Wer in der Bundeswehr dient

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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Wer in der Bundeswehr dient
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Wer in der Bundeswehr dient

von Otto Köhler

Ein Gebot geht aus von der Zeit, dem Zentralorgan der deutschen Bellizisten: »Nennen wir sie Helden« kommandiert es. Und klärt endlich auf: »Der Beruf des Soldaten ist todernst.« Doch der Gedanke an den Krieg, in dem »Soldaten töten und getötet werden« sei uns heute, bedauert die Verfasserin, »fremd geworden«.

Die Autorin ist sachverständig. Sie heißt Christiane Scherer, hat vor Jahren als Philosophiedozentin an der Westberliner Freien Universität ihren Namen aus Verehrung für Theodor W. Adorno (»Dialektik der Aufklärung«) in Thea Dorn geändert und schrieb dann ihr grundlegendes Werk »Berliner Aufklärung«: Ein Mörder deponiert die säuberlich zerlegten Überreste eines verhaßten Professors auf die 54 Postfächer des Philosophischen Instituts.

Thea Dorn weiß also ebensogut wie der Kundus-Oberst und nunmehrige General Georg Klein Bescheid, wie todernst der Beruf des Soldaten ist. Sie weiß schon lange von »unseren« Soldaten in Afghanistan, wie wichtig Massaker an Zivilisten [Erg. Admin: hier und hier] sind, denen glaubt sie: »Ohne massiven militärischen Schutz – der zum Beispiel auch beinhaltet, daß man es nicht einfach geschehen läßt, wenn Taliban zwei Tanklastzüge entführen – brauchen wir hier keinen Tag länger zu arbeiten

Darum wendet sie sich heute in der Zeit gegen Amateurinnen wie die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Die hocherfahrene Thea Dorn: »Wer in der Bundeswehr dient, entscheidet sich bewußt dafür, unsere Werte notfalls mit dem Leben zu verteidigen. Nur unsere Politiker erkennen das nicht an. Sie werben für die Truppe, als sei alles ein großes Spiel.« Es empört sie, »daß junge Menschen mit der Aussicht auf flexiblere Arbeitszeiten, vorbildliche Kinderbetreuung, ein ›hochmodernes‹ betriebliches Gesundheitsmanagement und renovierte Stuben samt WLAN und Kühlschrank in den Militärdienst gelockt werden sollen«.

Thea Dorn, die Menschen sachgerecht in 54 Teile zu zerlegen vermag, zumindest auf Papier, lockt dagegen mit Töten und Getötet-Werden (worauf natürlich auch die Soldatenmast der blonden Kriegs-Rose im Ministerium hinausläuft).

Thea Dorn jammert, daß »uns Durchsäkularisierten« das von Schiller vor »gut« zweihundert Jahren niedergeschriebene Kampfgeschrei »Das Leben ist der Güter höchstes nicht« nicht mehr »heilig« sei. Zuvor erläutert sie, wo wir schleunigst unser Leben loswerden sollten: In der Ost-Ukraine, damit wir uns nicht länger »von prorussisch-nationalistischen Fanatikern« – unsere Vorfahren würden »die Köpfe« schütteln – »jegliche Bestialität bieten lassen, ohne ernsthaft zurückzuschlagen«. Sie verschweigt, daß wir dort Seite an Seite mit jenen faschistischen Bandera-Freikorps kämpfen dürften, die die ostrussischen Untermenschen vernichten wollen.

Hauptsache, wir setzen wieder unser Leben ein und bekommen gegebenenfalls zum Volkstrauertag eine Gauckrede und einen schönen Platz im neuen Waldehrenhain. Das wäre eine Tat gegen die »Kurzsichtigkeit unserer intellektuellen Eliten«, denen die »Geschäftspolitik eines Konzerns wie Amazon die größere Bedrohung unserer Lebensart zu sein scheint als der mörderische Fanatismus, der seit Monaten von der Ukraine« ausstrahlt. Irak und Syrien fügt Dorn noch hinzu, um zu lehren, daß die Prorussen in der Ukraine blutige Kopfabschneider seien. »Unwillig« sind wir, »diese Wohlstands-, Friedens- und Freiheitsgesellschaft als Ganzes zu verteidigen.«

Richtig. Und wär das schön, wenn wir die intellektuellen Eliten hätten, von denen sie in der Zeit alpträumt.

Otto Köhler

⇒ Artikel bei ZEIT ONLINE "Soldaten: Nennen wir sie Helden" - weiter



Quelle:  Erschienen in Ossietzky, der Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft - Heft 24/2014 > zum Artikel

Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, wurde 1997 von Publizisten gegründet, die zumeist Autoren der 1993 eingestellten Weltbühne gewesen waren – inzwischen sind viele jüngere hinzugekommen. Sie ist nach Carl von Ossietzky, dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 1936, benannt, der 1938 nach jahrelanger KZ-Haft an deren Folgen gestorben ist. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte er die Weltbühne als konsequent antimilitaristisches und antifaschistisches Blatt herausgegeben; das für Demokratie und Menschenrechte kämpfte, als viele Institutionen und Repräsentanten der Republik längst vor dem Terror von rechts weich geworden waren. Dieser publizistischen Tradition sieht sich die Zweiwochenschrift Ossietzky verpflichtet – damit die Berliner Republik nicht den gleichen Weg geht wie die Weimarer.

Wenn tonangebende Politiker und Publizisten die weltweite Verantwortung Deutschlands als einen militärischen Auftrag definieren, den die Bundeswehr zu erfüllen habe, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Flüchtlinge als Kriminelle darstellen, die abgeschoben werden müßten, und zwar schnell, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Demokratie, Menschenrechte, soziale Sicherungen und Umweltschutz für Standortnachteile ausgeben, die beseitigt werden müßten, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie behaupten, Löhne müßten gesenkt, Arbeitszeiten verlängert werden, damit die Unternehmen viele neue Arbeitsplätze schaffen, dann widerspricht Ossietzky – aus Gründen der Humanität, der Vernunft und der geschichtlichen Erfahrung.

Ossietzky erscheint alle zwei Wochen im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin – jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen Sprachregelungen, gegen das Plattmachen der öffentlichen Meinung durch die Medienkonzerne, gegen die Gewöhnung an den Krieg und an das vermeintliche Recht des Stärkeren.
 

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