Werde nie was du verachtest: Der gesellschaftliche Wandel

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Werde nie was du verachtest: Der gesellschaftliche Wandel
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Werde nie was du verachtest: Der gesellschaftliche Wandel


von Jens Blecker / iknews


Die Gegner sind mächtig und gehen ohne jede Scham ans Werk. Ich rede von den Totengräbern der freien Gesellschaft und Demokratie. Für manchen mögen die Taten ziellos wirken, aber glauben Sie mir, es wird mit höchster Präzision gearbeitet. Es trennt die Gesellschaft nur noch ein Augenzwinkern davon, die Rechte und Grundwerte zu verlieren, wofür Generationen in Kämpfen ihr Leben ließen.

Die exponentielle Zunahme der Geschwindigkeit ist kein Hirngespinst, auch wenn mancher versucht, es sich einzureden. Die angeblichen Volksvertreter – in Zusammenarbeit mit Großkonzernen - sind dabei, den Boden für einen neuen und bisher nie dagewesenen Feudalismus zu bereiten. Es bedroht die Freiheit der Menschen im Ganzen und diese Bedrohung ist äußerst real.

Sie können natürlich streng nach “Walter Ulbricht” denken: “Niemand hat vor, eine Mauer zu errichten!” Ob das am Ende die beste Wahl ist?

Besonders seit 2007 hat die Geschwindigkeit, mit der die Grundrechte mit Füssen getreten werden, in abnormen Maße zugenommen. Einzelne versuchen mit aller Kraft zumindest einzelne dieser Schandtaten aufzuhalten. Viele von Ihnen sind dabei verbrannt. Das Kollektiv der Menschen wird dabei zusehends apathischer und stellt sich handlungsunfähig.

Eigentlich könnte ich mir sagen, “was interessiert es mich, bald sind wir in Kanada”. Die Erklärung ist recht einfach: Die Demokratie – richtig umgesetzt – bedeutet Freiheit und Wohlstand für alle und ich bin ein ausdrücklicher Verfechter der Demokratie. Weiterhin ist es ein Planet, der uns allen ein Zuhause bietet. Kann ich wirklich abends beruhigt einschlafen, weil meine Regierung oder die eines anderen Staates die Raketen auf andere Menschen abfeuert, ohne dabei auch nur den geringsten Schimmer zu haben, wer dort gleich in einem Feuerball umkommt? Sieht so Nächstenliebe aus? Streng nach dem Motto: Besser Du als ich?

Die Fähigkeit zur Empathie nimmt in erschreckender Geschwindigkeit ab. Die Menschen hören sogar schon auf, sich für die eigenen Belange zu interessieren. Wassertreten um über den Tag zu kommen, während die Regierungen einen immer schlimmer überwacht, die Rechte einschränkt und finanziell ausbluten lässt.

In Deutschland ist es noch lange nicht so schlimm wie in vielen anderen Ländern der Welt, wenn aber die Nivellierung durchgeführt ist, werden die Bürger weite Teile des Wohlstands eingebüßt haben. Dazu gehören dann auch das Sozial- und Gesundheitswesen, welche noch reichlich Potential nach unten bieten.

Was aber ein weiterer Punkt ist, die Menschen entwickeln sich immer mehr zu Raubtieren. Sachliche und konstruktive Gespräche werden immer schwieriger. Viele beteiligen sich nicht an der Kommunikation, einige zerstören sie durch Rechthaberei, Wortklaubereien und Entführung von den eigentlichen Themen.

Webseiten wie meine sollten sich eigentlich durch eine aktive, aufgeschlossene und friedliche Gemeinschaft auszeichnen. Eigentlich erwartet man hier Leser, die hinter die Fassaden blicken und erkennen, was läuft. Manchmal ist es Zeit, einen Schritt zurück zu machen und durchzuatmen. Wie ich auch schon am Anfang meiner Webseite schrieb: die Geschwindigkeit wird immer mehr erhöht werden und man darf nicht in eine Schockstarre geraten. Das macht handlungsunfähig. Man darf nicht zulassen, dass die wenigen Aktiven verbrannt werden, denn am Ende ist Niemand mehr da, der sich für Ihre Rechte und Freiheit einsetzt.

Wenn die Menschen nicht wollen, dass auch in Deutschland bald Bilder wie aus der Ukraine, Syrien, Ägypten oder Libyen über die Bildschirme flackern, dann muss gehandelt werden solange das Volk noch die Möglichkeiten des Rechtsstaats für sich in Anspruch nehmen kann. Auch daran wird kräftig gewerkelt, das einzuschränken oder wenn möglich gleich ganz abzuschaffen.

Wer in den letzten Jahren nicht gemerkt hat, dass der ganze Kampf gegen den Terrorismus eine Farce ist, dem ist absolute Abstinenz von Sensibilität zu unterstellen.

Die Menschen werden an Unternehmen verkauft, die Gesundheit wird wirtschaftlichen Interessen untergeordnet und die Freiheit in beängstigendem Maß eingeschränkt. Es ist absurd zu denken, dass würde einfach vorbeigehen, wenn man nur ganz feste die Augen verschließt.

Meine Bitte:

Denken Sie einmal über Ihre Rolle in diesem ganzen Schauspiel nach. Fragen Sie sich, ob Sie wirklich genügend für die eigene und die Freiheit der anderen Menschen unternommen haben. Beteiligen Sie sich an sachlichen Diskussionen. Helfen Sie unsachliche Kommentatoren in die Schranken zu weisen. Damit zeigen Sie auch Wertschätzung gegenüber meiner Arbeit, von der ich immer hoffe, dass Sie nicht umsonst ist.

Jens Blecker
 



► Quelle der Erstveröffentlichung:  iknews > Artikel

 

Bildquelle:


1. Verlust von Demokratie und Freiheit geht immer zu Lasten der Menschen. Foto: Uta Herbert Quelle: Pixelio.de

2. Freiheit wird immer weiter eingeschränkt. Foto: Karin Wobig Quelle:
Pixelio.de

 

 

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Rene Wolf
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Verbunden: 19.05.2012 - 09:03
Die gesellschaftliche Windel

                                                           

Die gesellschaftliche Windel

 

Vielen Dank, lieber Herr Blecker, für Ihren interessanten Beitrag. Gestatten Sie mir, Ihre Gedanken vom Ende her zu kommentieren. Sie fragen, ob wir wirklich genügend für die eigene und die Freiheit anderer Menschen tun. Sie bitten um Sachlichkeit. Und sie hoffen, dass ihre Arbeit mit diesem Beitrag nicht umsonst sein möge.

Wie versprochen, beginne ich am Ende. Warum sollte Ihre Arbeit umsonst sein, ist sie nicht weit mehr wert, als das, was den reinen Konsum bedeutet, im Sinne von copy and paste? Sie haben sich ihre eigenen Gedanken gemacht.

Unsachliche Kommentatoren treffen wir immer. Denen geht es vorwiegend darum, Recht zu haben. Das Thema interessiert sie weniger. Sollte uns das davon abhalten, etwas zu tun, was uns begeistert? Oder könnte es auch begeisternd im Sinne von "den Geist anregend" sein, auf eben jene Unsachlichkeiten einzugehen, die doch recht einfach erklärbar, dabei jedoch massenhaft zu finden sind? In einer Konkurrenzgesellschaft sind Un- Sachlichkeit und Beleidigung vorprogrammiert.

 

                                                   Freiheit und Demokratie

Wenn wir, als Internetautoren und im besten Falle auch noch Aktivisten des wahren Lebens meinen, für die Freiheit zu kämpfen, welche Freiheit meinen wir damit? Unser Bundespräsident Gauck operiert gern mit diesem Begriff. Er wird dafür bezahlt. Der einfache Satz "Freiheit gibt es nur unter Gleichen" wird dabei bewusst im Dunklen gehalten. Wir sollten deshalb diesen Satz umso mehr beleuchten. Sonst bleiben wir im Dunkeln eines verschwommenen Freiheitsbegriffs, der sehr wohl ein negativer sein kann. Etwa dann, wenn wir uns klammheimlich und geradezu mystisch an den Begriff der Demokratie klammern. Insofern wir damit wirklich Volksherrschaft meinen, irren wir bereits. Sowohl im Begriff eines scheinbar existierenden Volkes als auch in der euphemistischen Definition von Volks- Herrschaft. Ich weiß nicht wie es Ihnen, Herr Blecker bei dem Gedanken geht, dass ein ganzes Volk, also all die Menschen, die in einer der erst seit der französischen Revolution definierten geographisch bestimmten Nationen leben, darüber bestimmen soll, wie Sie persönlich  zu leben hätten. Demokratie hieße doch eigentlich, dass jeder jedem gleich viel zu sagen oder nicht zu sagen hätte. Das geht doch ein wenig über die Stimmabgabe bei Wahlen hinaus, oder? Was ist für Sie Demokratie?

                                                                  Identität und Auspuffgase

Zu den Mythen der Gegenwart gehört die Illusion, man könne prinzipiell an der Macht teilhaben. An der Mondlandung, mit der Stimmabgabe bei Wahlen und an der Bedeutsamkeit der eigenen Nation vom Olympiagold bis zu unserer militärischen Übermacht.

Die eigene Identität bestimmt sich heute oft über die Identifizierung mit der Macht. Ich selbst bin nichts, der Fortschritt ist alles. Hauptsache fort, Hauptsache weg. Wohin die Reise geht, wissen wir nicht genau. Wir wissen nur, dass uns das Gute immer nur so lange gut genug ist, bis wir etwas Besseres erfunden haben. Und wir erfinden ständig Besseres. Deshalb kann nichts gut sein. Schon gar nicht wir selbst. Es ist, als würde man der Projektion eines Autos hinterher laufen. Man berauscht sich an den Auspuffgasen und befindet sich in der unerfüllbaren Illusion, eines Tages am Steuer dieses Autos sitzen zu können. Aber das Auto ist abstrakt. Es ist eine Projektion unserer Gier, unseres Neides, unserer nie erreichbaren Perfektion.

                                                                Macht gewinnen

Und schließlich herrscht der Mythos vom Gewinnen- Können. Vom Aufstieg in der sozialen Hierarchie. Dieser Aufstieg ist deshalb illusorisch, weil er linear gedacht wird. Es gibt keinen ständigen Aufstieg. Und über uns ist immer einer, der uns auf der Karriereleiter mit seinem Stiefel- Absatz die Finger bricht. Wenn auch sanft, langsam, kaum spürbar. Unsere gebrochenen Finger sind untauglich, Werkzeuge unseres eigenen Willens zu sein. Als Entschädigung dafür gibt uns die Macht immer wieder ein Krümelchen vom großen Kuchen ab. Dadurch verpflichtet sie uns zum Gehorsam. Die Macht also, welche uns zu Verstümmelten machte, sie profitiert von unserer ängstlichen Ergebenheit. So bleibt die Macht elegant und so gut wie unsichtbar. Wir verteidigen die Macht. Am besten geht das durch Demokratie. Wir bleiben freiwillig in unserer Ohnmacht. Und in der Illusion, dass es nur die Autorität sein kann, die uns erlöst. Eine Partei etwa, vielleicht "Die Linke"?

                                                                        Beschleunigung und Integration

Die Verwertung der Welt treibt in Sachzwänge, die so objektiv sind, dass sie sich jeder moralischen Bewertung entziehen. Das Netz dieser Zwänge wird immer dichter. Und schneller, beschleunigter. Dadurch entsteht die "Klaustrophobie der Menschheit in der verwalteten Welt" (Adorno)

Dieses Eingesperrtsein verursacht jedoch kaum Fluchtimpulse. Die Mehrheit der Menschen will gar nicht aus den Verhältnissen heraus. Im Gegenteil. Sie hat Angst davor, nicht stark genug integriert sein zu können und ausgegrenzt zu werden. Dabei wäre gerade das die Chance: die Selbstausgrenzung. Und damit:


                                                     Das Abseits, die Nische. Die Verweigerung

Das Aufhören. Innehalten, um der Natur und den Verhältnissen lauschen zu können, auf sie hören. Aufhorchen, statt sich von der Megamaschine des Tittytainments beschallen zu lassen. Eine wirkliche Revolution kann nicht anders beginnen als mit einem massenhaften Aufhören. Und wie es scheint, woran zu glauben aber sich selbst die Bewusstesten weigern, ist der Beginn eines solches Aufhorchens und Aufhörens wohl erst in einer globalen Katastrophe wahrscheinlich.

Die Verdrängung der Apokalypse ist die Bedingung für das Weiterleben. Positives Denken ist ein Euphemismus. Realer wäre der Begriff: positive Verdrängung. Wie schon bei Luther, welcher stets Baumsamen bei sich trug, um sie am Vorabend des Weltuntergangs einpflanzen zu können. Optimismus ist nicht mehr ein verschmerzbarer "Mangel an Information". Wir sind informiert. Optimismus ist heute Mangel an Empathie. Nur mit der Brille einer durchindustrialisierten Zivilisation kann das tägliche Massensterben im Nebel konsumistischer Bequemlichkeit verschwinden.

Nur so können die apokalyptischen Reiter immer schneller und effektiver über den Erdball galloppieren. Dabei wäre alles vermeidbar: Hunger, Kriege, epidemische Krankheiten und schmerzvolles Sterben von so vielen Menschen wie noch nie. Sie alle werden auf dem Altar abstrakter Mythen geopfert. Diese Mythen sind Effizienz, Innovation, Kapitalvermehrung und Macht. Sicherheit und Vergleichbarkeit alles Lebendigen.

Die großen Kriege des letzten Jahrhunderts waren nicht effektiv genug. Sechs Jahre brauchte der II. Weltkrieg für eine Opferzahl, die heute in einem Jahr produziert wird. Darüber weinen wir nicht, so lange wir es noch schmerzfrei zur Kenntnis nehmen können. Schmerzfrei und leidlos zu sein, das ist das Gegenteil von Empathie. Das Gegenteil von Menschlichkeit.

                                                           Moderne Reiter der Apokalypse

Die neuen apokalyptischen Reiter heißen Wissenschaft, Technik, Bürokratie und Ökonomie. In ihrem Zusammenwirken sind sie scheinbar allmächtig. Es wird gemacht, was möglich ist. Die Wissenschaft erklärt die Welt. Die Ökonomie sichert die Konkurrenz aller menschlichen Beziehungen. Die Technik macht die Welt konsumierbar und beharrt auf dem Konsum als ausschließlicher Form der Daseinssicherung. Die Bürokratie arbeitet an der Gleichschaltung der Menschen durch allseits konformes, systemkompatibles Funktionieren.

Noch erscheinen die modernen apokalyptischen Reiter angenehmer als die alten. Noch ist es möglich, mit dem Hinweis auf die tatsächliche Existenz von Hunger, Krieg, epidemischen Krankheiten und frühen Tod in armen Ländern die Bewohner der reichen Länder auf die Segnungen der Moderne einzuschwören. Lieber gleichgeschaltet als krank, verwundet oder tot. Kommende Katastrophen werden auch uns westlichen Privilegierten die Begegnung mit den  den alten Bekannten der Apokalypse ermöglichen.


                                                                       Weltrettung

Der vielleicht größte Mythos unserer Zeit besteht darin, die Welt retten zu können. Niemand kann das. Wer es versucht, die deprimiert sich selbst.

Man brennt aus. Die wenigen Beispiele von revolutionären Menschen, welche ihr Leben lang als Vorbild galten, können die Behauptung von einer möglichen Weltrettung nicht in ihrer globalen Bedeutung untermauern. Nelson Mandelas hat nicht Südafrika gerettet. Er hat im Gegenteil die Illusion genährt, dass ein besseres Leben möglich ist. Es ist nicht möglich. Denn das Gute ist nicht das Mit- und Weitermachen, ist nicht die Verbesserung, sondern die radikale Verweigerung. Konsens, Konsum, Konkurrenz und Konformität sind weder in Südafrika, noch auf der Welt im Rückzug begriffen.


                                                                            Was tun?

Obwohl Institutionen und Verwaltungen überall auf dem Vormarsch sind, gelingt ihnen doch nie das, wonach sie streben. Allmächtig zu sein. Noch nicht einmal im Nationalsozialismus wurde das Leben vollständig institutionell eingenommen. Ein System besteht aus Betonplatten. Dazwischen wächst Gras. Sollte dies einmal nicht mehr so sein, gibt es auch kein Leben mehr. Wer an die Totalität des Systems glaubt, hat sich selbst aufgegeben. Das System ist mächtig. Aber es ist nicht göttlich. Abseits- Zonen, Nischen und Geheimgänge bleiben. Diese gilt es zu suchen und in ihnen zu leben. Aufhören, nicht mehr mitmachen, desertieren. Das System erkennen und es aktiv ignorieren. Sich unerlaubt von der Truppe entfernen. Darüber lächeln können, feige genannt zu werden. Dabei sind jene feige, die sich der sie vergewaltigenden Macht anbequemen. Die mitmachen. Die zu politischen Wahlen strömen und von eben jenen, die sie versklaven, eine Ent- Sklavung erwarten. Im Krieg ist der wirklich Mutige nicht der Soldat. Der Mutige ist der Deserteur. Derjenige, der die Leer- Stellen im System, das machtlose scheinbare Nichts als das eigentliche Etwas begreift.

Es grüßt ein arm- seliger Radfahrer.

Mit Dank an Marianne Gronemeyer, insbesondere ihrem Buch "Die Macht der Bedürnisse".

 

Nu pogodi!

René L. Wolf

 

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