Whistleblowing - Zivilcourage und Aufklärung im Dienste der Gesellschaft.

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Helmut S. - ADMIN
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Whistleblowing - Zivilcourage und Aufklärung im Dienste der Gesellschaft.
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Whistleblowing - eine detaillierte Analyse


Zivilcourage und Aufklärung im Dienste der Gesellschaft.


WHISTLEBLOWER-NETZWERK e.V. ist eine 2006 gegründete Initiative zum Schutz von Whistleblowern. Whistleblower sind Insider, die auf Missstände hinweisen, z.B. am Arbeitsplatz. Whistleblowing schafft Transparenz und hilft so in den vielen Bereichen gegen Rechtsbrüche, Korruption, Gesundheits- und Umweltschäden. Dennoch sind Whistleblower hohen persönlichen Risiken ausgesetzt.


Der gemeinnützige Verein setzt sich für ein Klima des offenen Dialogs ein und dafür die Rahmenbedingungen für Whistleblower in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zu verbessern. Der Verein berät Whistleblower und solche, die es werden könnten. Außerdem vernetzt er sie mit möglichen Unterstützern.

Ein Vereinsinfo-Flyer bietet einen schnellen Überblick über Whistleblowing, dem Verein und seine Aktivitäten. PDF DIN A4 hoch

Die Texte in diesem Artikel sind Informationen, welche WHISTLEBLOWER-NETZWERK e.V. auf seiner Vereinsseite veröffentlicht hat und welche durch den ersten  Vorsitzenden, Herrn Guido Strack , für eine Veröffentlichung im KN freundlicherweise freigegeben wurden. Die Rechte daran verbleiben natürlich beim Verein!


Whistleblowing im Detail

In den nachfolgenden Texten erfahren Sie mehr über die Herkunft des aus dem englischen stammenden Begriffs “Whistleblower” und lernen einige der gebräuchlichsten Definitionen kennen. Whistleblower-Netzwerk e.V. erläutert welche verschiedenen Formen von Whistleblowing es gibt und in welchen fünf Phasen ein Whistleblowing Prozess typischer Weise abläuft.

WHISTLEBLOWER-NETZWERK hat 10 Thesen zu Whistleblowing erarbeitet, um die Bedeutung, die Whistleblowing aus unserer Sicht hat bzw. haben sollte, zu erläutern.

weitere Informationen:


A. Begriffliches

B. Definitionen

C. Formen

D. Fünf Phasen des Whistleblowing

E. 10 Thesen zu Whistleblowing

 


 

A. Begriffliches


Herkunft

Der Begriff Whistleblower ist abgeleitet vom Englischen „to blow the whistle“. Neben der zusammengesetzten Schreibweise finden sich auch Schreibweisen mit und ohne Bindestrich also “whistle blower” und “whistle-blower”.

Schon in Wiliam Shakespeares Drama “The Winter´s Tale” [Das Wintermärchen] wurde diese Wendung, mit  Bezug auf die Offenbarung von Geheimnissen, benutzt, wenn der Sohn des alten Schafhirten fragt: “Whe are you going to … whistle off these secrets”.

Seine gegenwärtige Verwendung fand der Begriff im englischen Sprachraum wahrscheinlich erstmals in einem New York Times Artikel im Jahre 1970 “Hamilton: Blowing the Whistle on The Bossess, The New York Times v. 23.03.1970″ und vor allem 1971 in der von Ralph Nader organisierten “whistle blower´s conference” in Washington D.C. Seitdem hat er eine eigenständige Ausprägung und Anwendung in der angelsächsischen und zunehmend auch weltweiten Wissenschaft, Politik und Rechtspraxis erlangt, an die wir anknüpfen.

Hinsichtlich der Herkunft des Begriffs finden sich in der Literatur gelegentlich auch Anlehnungen an einen Schiedsrichter auf einem Sportfeld, der auf falsches sportliches Verhalten hinweist (vgl. Miceli/Near: Blowing the whistle: The organizational and legal implications for companies and employees. Issues in organization and management series. New York: Lexington Books, 1992, S. 8) oder an das “die Trillerpfeife blasen” des ehemals unbewaffneten englischen Straßenpolizisten “Bobbies”, der damit Aufmerksamkeit erzeugen und jemanden Stoppen wollte (vgl. Düsel: Gespaltene Loyalität: Whistleblowing und Kündigungsschutz in Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Baden-Baden, 2009, S. 26).


Verwendung

Im englischen Sprachraum hat sich der Begriff mittlerweile fest eingebürgert und ist auch positiv besetzt (mehr dazu unter Definitionen). Er findet sich dort regelmäßig in den Medien, in der Wissenschaft, in Gesetzestexten und auch in Vorschlägen und Diskussionen auf internationaler Ebene. Von da aus hat er mittlerweile auch in Deutschland zumindest in ohnehin angloaffinen Wirtschafts-Fachkreisen (Compliance/Governance), aber auch in Teilen der Bürgerrechtsbewegung (z.B. deutsche Whistleblowerpreis), Einzug gehalten und eine gewisse Verbreitung erfahren. Diese wollen wir mit unserer Arbeit gerne noch steigern.

Gründe für die Verwendung des englischen Begriffs sind für uns vor allem dessen dortige positive Konnotation, die wir auf den in Deutschland noch unbelasteten Begriff übertragen wollen, und der Mangel an einer besseren deutschen Alternative (siehe “Übersetzbarkeit”). Wir sind uns bewusst, dass die Verwendung des englischen Begriffs bei manchen den Eindruck erweckt, es ginge um etwas ausländisches oder elitäres, und versuchen u.a. durch diese Erläuterungen jenem Eindruck entgegen zu treten.

Whistleblowing findet auch in Deutschland jeden Tag vielfach statt und kann von jedermann unabhängig von seinem Bildungsstand oder seiner beruflichen Stellung praktiziert werden.

Wir verwenden sowohl für den Begriff Whistleblower als auch für andere Begriffe auf dieser Webseite weitestgehend nur die männliche Form. Dies geschieht ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit. Wir sind uns bewusst, dass es viele mutige zivilcouragierte Frauen gibt, vielleicht sogar mehr als Männer, die Whistleblowerin sind. Es ist insoweit sicherlich auch kein Zufall, dass die ersten drei deutschen Preisträger des Whistleblowerpreises (M. Herbst, B. Heinisch und L. Bode) Frauen waren, und auch in den USA waren es 2002 drei Frauen, die vom Time Magazine zur “Person of the Year: The Whistleblowers” erklärt wurden.


Übersetzbarkeit

“Whistleblower” heißt wörtlich übersetzt (Alarm-)Pfeifenbläser. Es gab bereits verschiedene Versuche den Sinn, bzw. das dahinter stehende Konzept mit einer Deutschen Übersetzung zu erfassen. Die vielleicht gelungenste Umschreibung ist “jemand der Alarm schlägt”, wobei die Substantivierung mit “Alarmschläger oder Alarmschlagender” sicherlich zumindest sehr ungewohnt klingt und die Verwendung der Umschreibung auf Dauer auch sperrig wirkt. Im niederländischen “klokkenluiders” und im französischen “systeme d´altert” findet sich diese Konnotation ebenfalls wieder.

Teilweise wurde in Deutschland auch der Begriff “Skandalaufdecker” verwandt, konnte sich aber nicht durchsetzen. “Informant” wird im deutschen Sprachraum vor allem im Zusammenhang mit Informantenschutz verwandt und meint vor allem jene die den Medien Informationen mitteilen. Andere häufige Verwendungen erfolgen im Bereich Geheimdienste oder im Bezug auf totalitäre Regime. All dies trifft nicht was mit Whistleblowing gemeint ist, weshalb wir uns für die Beibehaltung des englischen Begriffs entschieden haben. “Denunziant” und “Nestbeschmutzer” sind im Deutschen Kampfbegriffe die auch gegen Whistleblower ins Feld geführt werden.

Häufiger verwendet wird mittlerweile auch der Begriff “Hinweisgeber”. Dies vor allem im Zusammenhang mit so genannten Hinweisgebersystemen. Auch wir verwenden ihn mittlerweile manchmal als Synonym für Whistleblower, sehen ihn eigentlich jedoch als zu neutral und technizistisch an. Gerade wenn es darum geht Rechte für Whistleblower einzufordern, z.B. jenes auf Aufklärung von Sachverhalten, besteht die Gefahr, dass diese Rechte mittels Verwendung des Begriffs Hinweisgeber abgesprochen werden können, da dessen Aufgabe ja mit der Abgabe des Hinweises erfüllt zu sein scheint. Auch die positive gesellschaftlich zivilcouragierte Dimension die Whistleblowing im englischen Sprachraum hat, bleibt dabei schnell auf der Strecke.
 



B. Definitionen


Wikipedia definiert: “Hinweisgeber oder Whistleblower ist jemand, der auf Missstände, illegales Handeln (z. B. Korruption, Insiderhandel) oder allgemeine Gefahren, von denen er an seinem Arbeitsplatz erfährt, aufmerksam macht.”

Unsere Satzung umschreibt: “Whistleblower sind Menschen, die illegales Handeln, Missstände oder Gefahren für Mensch und Umwelt nicht länger schweigend hinnehmen, sondern aufdecken. Sie tun dies intern innerhalb ihres Betriebes, ihrer Dienststelle oder Organisation oder auch extern gegenüber den zuständigen Behörden, Dritten, oder auch der Presse.”

Die obigen Definitionen geben zwar die wesentlichen Kernelemente des Begriffs Whistleblowing wider, sind aber keineswegs unumstritten, insbesondere was ihre Details angeht.

Nach der in der Wissenschaft derzeit gebräuchlichsten Definition (Miceli, Marcia P.; Near, Janet Pollex; Dworkin, Terry Morehead: Whistleblowing in organizations; ISBN: 978-0-8058-5989-8; 2008, S. 6, m.w.N.) ist Whistleblowing: “the disclosure by organisation members (former or current) of ilegal, immoral or illegitimate practices under the control of their employers, to persons or organizations that may be able to effect action” (Die Offenbarung durch Organisationsmitglieder (frühere oder gegenwärtige) von illegalen, unmoralischen oder illegitimien Praktiken unter der Kontrolle ihrer Arbeitgeber an Personen oder Organisationen, die in der Lage sein könnten, diesbezüglich aktiv zu werden).

Weitere Definitionsversuche unterscheiden zum Beispiel danach, ob sie die Definitionsteile “organisation members – Organisationsmitglieder” und “employers” eng begreifen, dann in der Regel nur auf Arbeitnehmer, oder weit “in irgendeiner besonderen Beziehung mit der Organisation stehen” (was z.B. auch ehrenamtliche Tätigkeit in einem Verein erfassen würde).

Teilweise wird die obige Definition auch um besondere Qualifizierungen ergänzt, in dem zusätzlich die Notwendigkeit eines öffentlichen Interesses am Gegenstand der Offenbarung oder dessen Erheblichkeit oder Brisanz gefordert wird, so dass z.B. das reine Einfordern eigener Rechte ebenso ausgeschlossen wird, wie Hinweise auf unbedeutende Regelverstöße. Z.T. wird der Begriff Whistleblower nur dann angewandt, wenn der Meldende negative Reaktionen seiner Umwelt auf die Meldung zu recht befürchtet oder tatsächlich zu spüren bekommt. Uneinheitlichkeit besteht auch, ob das Vorliegen einer Meldepflicht Whistleblowing ausschließt, ob ein einfacher Hinweis an den Vorgesetzten schon als Whistleblowing anzusehen ist oder nicht und ob auch die bloße Verweigerung der Mitwirkung in Bezug auf einen Missstand schon als Sonderform des Whistleblowings gelten sollte. Andere wiederum fordern Gutgläubigkeit des Whistleblowers, selbstlose Motive, stellen auf besondere Zivilcourage und Gefahren ab oder wollen generell nur organisations-externe Offenbarungen als Whistleblowing ansehen.

Je nach dem, welcher dieser Definitionen bei der Verwendung implizit oder explizit der Vorzug gegeben wird, kann der Begriff wissenschaftlich neutral (i.S.d. Definition von Miceli u.a.), technisch instrumentalisierend (z.B. Whistleblower als Nutzer eines von der Unternehmensleitung zu deren Information eingerichteten Hinweisgebersystems) oder mit starkem Bezug auf Zivilcourage (z.B. bei den Kriterien der Preisvergabe für den Whistleblowerpreis) verwendet werden. Der starke Bezug auf Zivilcourage und gesellschaftliche Nützlichkeit und öffentliche Interessen ist zwar hilfreich bei dem Versuch, das Thema in der Öffentlichkeit positiv zu besetzen, andererseits besteht jedoch auch die Gefahr, dass hieraus von anderer Seite hohe Anforderungen entwickelt werden, die dem Betroffenen im Falle eines Rechtsstreites entgegengehalten werden können, um ihm eine Stellung als Whistleblower – und den damit evtl. irgendwann einmal verbundenen Schutz – abzusprechen.

Zusammenfassend sind die wesentlichen Elemente eines weit verstandenen Whistleblower Begriffs:

  • Eine Person oder Gruppe von Personen (Absender = Whistleblower)
  • die in einer besonderen Beziehung zu einer Organisation steht (insbesondere einer Arbeitsbeziehung)
  • und die über spezifische, d.h. nicht allgemein bekannte oder bewusste, Informationen verfügt oder zu verfügen glaubt
  • die sich beziehen auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen
  • Missstand, ein Risiko oder eine Gefahr
  • innerhalb oder mit engem Bezug zu der Organisation
  • gibt diese Information weiter (offen, vertraulich oder anonym, direkt oder über Dritte)
  • an eine Person oder Gruppe (Adressat) innerhalb oder außerhalb der Organisation (Unterscheidung internes-externes Whistleblowing) von der sie sich erhofft, dass diese hinsichtlich des Mißstandes, Risikos oder der Gefahr aufklärend oder bekämpfend tätig werden kann.

Personen, die auf der Basis allgemein verfügbarer Informationen auf politische oder gesellschaftliche Missstände hinweisen (z.B. Journalisten, warnende Wissenschaftler) sind nach den gängigen Definitionen demnach mangels Organisationsbezug keine Whistleblower. Dennoch wird der Begriff in der Praxis mit einer deutlich positiven Konnotation des öfteren auch auf sie angewandt und in der Tat werden derartige Personen dann auch oft zu Whistleblowern im Sinne der obigen Definition, weil sie von den Organisationen, denen sie angehören (z.B. Verlage, Universitäten, Forschungsgemeinschaften) oder zu denen sie in besonderen Beziehung stehen, Repressalien für die Verbreitung der kritischen Informationen erleiden.
 



C. Formen


Unterscheidung nach dem Adressaten

Danach, ob der Adressat innerhalb der Organsation steht und oder außerhalb, wird zwischen internem und externem Whistleblowing unterschieden.

Beim internen Whistleblowing hat der Adressat demnach typischer Weise ein grundsätzliches Recht, die Information zu kennen, d.h. es kommt nicht zu einem Geheimnisverrat. Insbesondere, wenn internes Whistleblowing in einer hierarchischen Ordnung unter Umgehung von Hierarchiestufen erfolgt, kann aber auch derartiges internes Whistleblowing schon als problematisch empfunden werden und offizielle oder inoffizielle Sanktionen zur Folge haben. Auch internes Whistleblowing an nicht vollständig der Organisationsleitung unterstehende Organisationseinheiten wie z.B. Betriebsräte, Aufsichtsräte oder gar Hauptversammlungen und Aktionäre bringt in der Regel besondere Probleme mit sich und kann schon fast als Zwischenform zum externen Whistleblowing betrachtet werden.

Beim externen Whistleblowing ist zu beachten, dass dieses keineswegs mit Whistleblowing an die Öffentlichkeit gleichgesetzt werden kann. Als Adressaten kommen vielmehr auch Personen oder Organisationen in Betracht, die zwar außerhalb der Ausgangsorganisation stehen, selbst aber wiederrum Schweige- und Sorgfaltspflichten unterliegen, was insbesondere für staatliche Behörden und Stellen der Fall ist. Als andere externe Adressaten kommen z.B. in Betracht: Betoffene bzw. potentiell Geschädigte, Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft und schließlich die Medien. Organisationen beurteilen externes Whistleblowing generell kiritscher als internes, da damit der Verlusst der Kontrolle über die in der eigenen Organisation vorhandenen Informationen verbunden ist und auch öffentliche Rufschädigungen befürchtet werden.



Unterscheidung nach der Bekanntheit des Absenders

Danach ob der Whistleblower als Absender des Whistleblowing jedermann, einem sehr kleinen Kreis oder niemandem bekannt ist, kann unterschieden werden zwischen offenem, vertraulichem und anonymem Whistleblowing.

Anonymes Whistleblowing scheint dem Whistleblower den besten Schutz vor negativen Reaktionen zu bieten. Dies gilt jedoch nur solange wie es gelingt Anonymität aufrecht zu erhalten, was neben der Anonymitätswahrung beim Whistleblowing selbst (also bei der Weiterleitung der Nachricht) auch voraussetzt, dass der Inhalt der Nachricht keine Rückschlüsse auf die Identität des Whistleblowers zulässt. Gerade letztere Voraussetzung ist oft nicht gegeben, da Missstände nur einer kleinen Gruppe von Personen überhaupt bekannt sind und jene, die diese feststellen, sich auch oft durch kritisches Nachfragen selbst der Möglichkeit späteren anonymen Whistleblowings begeben.

Anonymes Whistleblowing birgt außerdem die Gefahr, das die Suche nach dem Whistleblower mehr Aufmerksamkeit erlangt als die Beschäftigung mit dem gemeldeten Missstand, dass es dem Whistleblower erschwert ist, sich weiterhin für sein Anliegen einzusetzen oder dieses gar rechtlich zu verfolgen und auch dass Nachfragen beim Whistleblower, die im Rahmen einer Sachaufklärung sinnvoll wären, unmöglich oder zumindest erschwert sind. Schließlich verweigert die Rechsprechung des Bundesarbeitsgericht in Deutschland Whistleblowern, die zunächst anonym agiert haben, die Berufung auf den Schutz der Grundrechte (z.B. aus Artikel 5 GG) auch dann wenn ihre Identität nachträglich bekannt wurde.

Ein weitere Problematik anonymen Whistleblowings besteht darin, das die Einschätzung der Person des Adressaten und die Einschätzung dessen genereller Glaubwürdigkeit in der Regel als wichtiges Kriterium zu Beurteilung der Glaubwürdigkeit seiner Mitteilung herangezogen wird. Dies führt sowohl bei Untersuchungsbeauftragten als auch im Licht der Öffentlichkeit bei anonymen Hinweisen regelmäßig dazu, dass diesen weniger geglaubt wird. Moralisch ist im übrigen nachteilig, dass Whistleblowing von Dritten Rechenschaft und Verantwortlichkeit hinsichtlich Missständen einfordert, anonyme Whistleblower sich tendenziell selbst aber gerade dieser Rechenschaftspflicht entziehen. Andererseits hat es zumindest den Versuch, Whistleblowing anonym zu betreiben, immer gegeben und es wird ihn wohl auch immer geben.

Angebote für vertrauliches Whistleblowing versuchen die Vorteile anonymen Whistleblowings, also insbesondere den Schutz des Whistleblowers vor Repressalien zu sichern und dessen Nachteile zu vermeiden. Anderes als beim offenen und beim anonymen Whistleblowing bedarf es beim vertraulichen Whistleblowing stets eines Mittlers zwischen Absender und Adressat. Diesem ist die Identität des Absenders bekannt. Sinn der Vertraulichkeit ist jedoch zu gewährleisten, dass dem Adressaten und auch Dritten die Identität des Absenders nicht bekannt wird. Auch vertrauliches Whistleblowing bezieht sich daher in erster Linie auf den Übertragungsweg der Nachricht (s.o.) und schließt Rückschlüsse auf die Identität des Absenders aus dem Inhalt der Nachricht nicht aus. Teilweise wird jedoch versucht dieses Risiko zu verringern in dem Mittelsmann auch die Aufgabe obliegt hat die Nachricht zu anonymisieren. Weiterhin steht die Glaubwürdigkeit des Angebots der Vertraulichkeit damit, dass der Mittelsmann diese Zusage auch einhalten will und kann. Zumindest wenn es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen kann, sind daher Zeugnisverweigerungsrechte des Mittelmanns essentiell während sich Akteneinsichtsrechte der Gegenseite gerade in Fällen von Whistleblowing an Behörden oft das faktische Ende der Vertraulichkeit bedeuten. Über den Mittelsmann ist beim vertraulichen Whistleblowing eine kontinuierliche Kommunikation zwischen Whistleblower und Adressaten oder Dritten grundsätzlich möglich.

Offenes Whistleblowing erlaubt es dem Whistleblower, offen zu seinem Anliegen zu stehen ohne sich zu verstecken, birgt aber das Risiko von Repressalien durch den Adressaten oder durch Dritte (z.B. Kollegen). Regelungen zum Whistleblowerschutz versuchen dieses Risiko einzugrenzen, können es letztlich aber nie vollständig beseitigen.
 



D. Fünf Phasen des Whistleblowings


In Anlehnung an die US-Wissenschaftlerinnen Marica P. Miceli und Janet P. Near (Grundlegend: Blowing the Whistle, 1992) kann Whistleblowing mit dem Fokus auf die Sicht des Whistleblowers, der diesen initiiert und betreibt, als fünfstufiger zeitlicher Prozess begriffen werden. Wobei die Phasen 1 und 2 (Pre-WB) vor dem eigentlichen Akt des Whistleblowings liegen und die Phasen 4 und 5 danach (Post-WB). Wichtig ist, dass je nach dem Ergebnis der 5. Phase ein erneutes Whistleblowing, typischer Weise mit einem anderen höheren bzw. externen Adressaten und somit ein erneuter Durchlauf des Modells ab Phase 2 stattfinden kann.


Phase 1: Ereignis

Am Anfang jedes Whistleblowing-Prozesses steht die Wahrnehmung eines Ereignisses (auch eines Unterlassens) mit Missstandscharkter durch den potentiellen Whistleblower. Misstände können dabei verschiedenste Dinge sein, insbesondere Verstöße gegen Regeln aller Art (moralisch-ethische, rechtliche, innerorganisatorische, berufsständische) oder Risiken und Gefahren für Menschen, Organisationen und Umwelt. Anzumerken ist, dass es keineswegs einen tatsächlichen Missstand geben muss, sondern dass es ausreicht, dass für den potentiellen Whistleblower eine Unklarheit bzw. ein Verdacht bzgl. eines Missstandes entsteht, der diesen zu einem weiteren Nachdenken und einer Bewertung (Phase 2) veranlasst. Außerdem führt auch nicht jedes Ereignis zu einer bewussten Wahrnehmung und die Wahrnehmung des selben Ereignisses ist individuell verschieden. So kann ein “was nicht sein darf, dass nicht sein kann” auch schon unterbewusst ablaufen und die Wahrnehmung eines Ereignisses in einer Gruppe durch die Reaktion der anderen Gruppenmitglieder ebenfalls unbewusst erheblich beeinflusst werden. Wo Whistleblowing gefördert werden soll, sollte eine Förderung bereits damit beginnen, zu fragen, wie das bewusste Wahrnehmen kritischer Ereignisse gesteigert werden kann.


Phase 2: Bewertung


Nach dem Wahrnehmen beurteilt der Whistleblower:

 

(a) das Ereignis und seine Missstandsqualität,

(b) die Notwendigkeit eines Handelns,

(c) die Reaktion der Organisation und seines Umfeldes,

(d) seine eigene Verantwortlichkeit zum Handeln,

(e) seine Handlungsmöglichkeiten.

 

Bei all diesen Beurteilungsprozessen spielen eine Vielzahl von Variablen eine Rolle und beeinflussen das individuelle Bewertungsergebnis, z.B.: die Person des Whistleblowers, seine Werte, seine Sozialisation und Lebenserfahrung, sein privates Umfeld, die ihm übertragenen Aufgaben, seine Stellung innerhalb der Organisation, die zur Verfügung stehenden Informationen, die mittels Nachforschungen erreichbaren Informationen, die Einschätzung der Reaktion der Kollegen, die Kommunikations- und Konfliktbearbeitungskultur in der Organisation, die Alternativen …

Gerade die Aspekte (c) und (d) sind oft von widersprüchlichen Loayalitätspflichten geprägt. So will der Whistleblower einerseits loyal zu seiner unmittelbaren Arbeitsgruppe stehen, deren andere Mitglieder nicht verraten und auch nicht als einizger aus der Reihe tanzen, er will den Erwartungen seiner Vorgesetzten entsprechen, andererseits ist er sich auch seiner Rolle als Mitglied der Gesellschaft und seiner Identifikation mit kommunizierten langfristigen Organistationszielen bewusst.

Welche Variablen welchen Einfluss haben, ist Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zur Motivation von Whistleblowern, die in vielem noch am Anfang steht. Sicher ist aber, dass es diesbezüglich viele Möglichkeiten für Staat, Gesellschaft und Organisationen gibt, ein Umfeld zu schaffen, welches Whistleblowing entweder begünstigt oder erschwert.

Was das Ergebnis des Bewertungsprozesses angeht, so sind grundsätzlich fünf Ergebnisse denkbar:

 

(1) Zufriedenheit ohne Handlungsnotwendigkeit (Loyalty),

(2) eigene Handlung zur Missstandseindämmung (Action),

(3) Handlungsnotwendigkeit ohne Handlungswille (Neglect/Silence),

(4) Herausbegeben aus der Situation (Exit),

(5) Einbeziehung Dritter (Voice = Whistleblowing = Übergang in Phase 3)

 

Zu beachten ist, dass diese Ergebnisse keineswegs immer stabil bleiben müssen, sondern dass insbeosondere auf Grund veränderter Umstände auch eine Neubewertung und Ergebnisveränderung stattfinden kann und bestimmte Ergebnisse auch miteinander kombiniert werden bzw. zeitlich hintereinander gereiht werden können. Im Rahmen des Bewertungsprozesses findet oft auch bereits ein Dialog mit Vertrauten (z.B. Freunde, Familie, Kollegen) statt, der unter Umständen auch bereits von der Organisation oder ihren Vertretern wahrgenommen wird, bzw. später auf der Suche nach dem Whistleblower dessen Identifizierung erlauben kann.


zu (1): Zufriedenheit ohne Handlungsnotwendigkeit (Loyalty – Loyalität) kann zunächst einmal ein beruhigendes positives Ergebnis sein, bei welchem z.B. einem Ereignis nach Analyse keine Missstandsqualität mehr zukommt oder eine Reaktion Dritter erfolgt ist oder bevorsteht und als angemessen bewertet wird. Hier besteht kein Bedarf für ein eigenes Tätigwerden. Andererseits kann es zu Zufriedenheit ohne Handlungsnotwendigkeit (im Sinne einer Missstandsverhinderungshandlung) auch kommen, wenn der Beurteilende sich mit der Situation “arrangiert” und sich z.B. dafür entscheidet, durch eigenes Mit-Unrechts-Handeln oder durch bewusstes Dulden selbst Missstandsgewinne zu realisieren. Dass letzteres für die Organisation und die Gesellschaft fatale Folgen haben kann, liegt auf der Hand.

zu (2): Eigene Handlung zur Missstandseindämmung setzt voraus, dass der Bewertende zu dem Ergebnis kommt, dass ein Ereignis mit Missstandsqualität vorliegt und die Notwendigkeit und Möglichkeit eigenen Handelns besteht, durch welches der Missstand beseitigt oder zumindest effektiv eingedämmt werden kann. Zu beachten ist, dass das eigene Handeln, zumindest dann, wenn Dritte oder die Organisation davon Kenntnis erlangen, auch eine Form von Kommunikation, also einen Voice-Charakter bzw. Elemente von Whistleblowing enthält. Diese kommen vor allem dann in Form eines direkten Übergangs in Phase 4 zum Tragen, wenn die Reaktion der Organisation negativ ist. Ein typisches Beispiel in diesem Sinne ist die Weigerung eines Mitarbeiters, sich selbst an einem geforderten illegalen, unethischen oder mit seinem Gewissen nicht zu vereinbarenden Handeln zu beteiligen.

zu (3): Im Falle von “Handlungsnotwendigkeit ohne Handlungswille” (Neglect/Silence – Nichtbeachtung/Schweigen) entscheided sich der Bewertende dafür, das Ereingnis auf sich beruhen zu lassen und nicht zum Whistleblower zu werden. Hintergrund kann sein, dass er zwar einen Missstand und eine grundsätzliche fortbestehende Handlungsnotwendigkeit seitens der Organisation oder ihrer Mitglieder sieht, eine eigene Verantwortlichkeit und/oder Handlungsmöglichkeit aber als nicht gegeben ansieht. Damit ist die Sache aber nicht erledigt. Zum einen besteht nämlich der Missstand fort (und damit eigentlich auch die Bewertungssituation, was ein Belastungspotential beinhaltet), zum anderen ist zu beachten, dass, wenn erst einmal ein Bewertungsprozess stattgefunden hat und dieser nicht zu einem beruhigenden positiven Ergebnis geführt hat, eine derartige Nichtreaktion letztlich gar nicht möglich ist. Bewusst oder unbewusst wird sich das Beurteilungsergebnis demnach schleichend auswirken. Der betreffende Mitarbeiter läuft Gefahr, zumindest ein Stückchen seines Selbstwertgefühls und/oder seiner positiven Einschätzung seiner Organisation und damit seiner intrinsischen Motivation für diese zu arbeiten, einzubüßen. Diejenigen, die intern und gegenüber denjenigen schweigen, die Handeln könnten, äußern sich oft an anderer Stelle, z.B. gegenüber Kollegen oder im privaten Umfeld, was für die betroffene Organisation und deren Reputation ebenfalls sehr nachteilige, aber kaum in Ursache und Wirkung nachvollziehbare Auswirkungen haben kann.

zu (4): Auch beim Herausbegeben aus der Situation (Exit – Weggehen) bleibt der als solcher erkannte Missstand bestehen. Der Bewertende versucht sich nur selbst der Situation zu entziehen, weil er keine aktiven Handlungsmöglichkeiten sieht oder deren Risiken als zu hoch beurteilt und auch Schweigen für ihn mit zu hohen Kosten (z.B. hinsichtlich Selbstwertgefühl, fortgesetzter Belastungssituation und/oder Identifikation) verbunden ist. Exit kann innerhalb der Organisation (z.B. Wechsel der Abteilung) oder durch Ausscheiden aus der Organisation stattfinden, ist aber immer auch mit erheblichen Kosten für den Betroffenen wie für die Organisation verbunden. Exit und Voice (=Whistleblowing) können auch kombiniert oder zeitlich versetzt auftreten. So z.B. wenn der Whistleblower sich zunnächst in eine Position bringen will, in der er gegen negative Reaktionen besser geschützt zu sein glaubt, oder wenn das Exit nicht den gewünschten Erfolg hat, weil der Betreffende objektiv der Situation nach einem internen Wechsel immer noch ausgesetzt ist oder ihn Schuldgefühle hinsichtlich des fortbestehenden Missstandes plagen.

zu (5): Diese Option entspricht weitgehend dem Whistleblowing und wird im Folgenden näher behandelt. Eine Sonderform von Voice ist die Ansprache eines Täters mit der Aufforderung, sein missstandbegründendes Tun zu beenden bzw. Schäden zu beseitigen. Unabhängig davon, ob dies als Whistleblowing zu qualifizieren ist, sind die Überlegungen zu den Phasen 3 bis 5 auch auf diesen Sonderfall übertragbar. Oft stellt dieses dann eine erste Schleife dar, der bei Nichtbefolgung seitens des Täters weitere folgen.

 

Phase 3: Aktion

Wenn am Ende des Bewertungsprozesses die Entscheidung fällt, Dritte einzubeziehen, um so eine Eindämmung oder Bekämpfung des Missstandes zu erreichen (Voice), so liegt mit der Umsetzung dieser Entscheidung Whistleblowing vor und der Prozess tritt in seine dritte Phase ein. Whistleblowing kann sehr unterschiedlich erfolgen, je nachdem, wen der Whistleblower (Grobformen: interes-externes Whistleblowing), auf welchem Kommunikationsweg (direkt, indirekt – (fern-)mündlich, schriftlich, Internet – vorgesehen, vorgeschrieben oder nicht), auf welche Art (Klarheit und Nachvollziehbarkeit der Darstellung – neutral, bewertend, beleidigend), mit welchen Informationen (mit oder ohne Übermittlung von legal oder illegal besorgten Unterlagen/Beweisen), mit welchem Ziel (welche persönlichen Ziele schwingen neben dem der Missstandsbekämpfung mit) und mit welchem Grad der persönlichen Identifizierbarkeit (offen-vertraulich-anonym) anspricht. Whistleblowing kann darüber hinaus auch von mehren offen oder verdeckt, gleichzeitig oder zeitlich abgestimmt erfolgen.


Phase 4: Reaktionen

Sobald der Whistleblower seine Aktion beendet hat, wartet er auf eine Reaktion des Whistleblowing-Addressaten und/oder der Organisation und hofft darauf, dass diese sowohl ihm gegenüber als auch im Bezug auf die erstrebte Missstandsbeseitigung positiv ausfällt. Warten und Hoffen sind daher charakteristische Elemente des Whistblowing-Prozesses, die für die psychische Situation des Whistleblowers auch sehr belastend sein können. Zu Reaktionen kann es darüberhinaus von Dritten (z.B. Kollegen) kommen, die vom Whistleblowing und/oder dem Missstand erfahren.

Die ideale Reaktion wäre demnach eine schnelle und nachhaltige Beseitigung des Missstandes gepaart mit einer positiven Reaktion (z.B. Anerkennung, Belobigung, Belohnung) gegenüber dem Whistleblower. Der Schnelligkeit steht jedoch entgegen, dass sich der Adressat zunächst selbst ein Bild von der geschilderten Sitution machen und dabei eventuell auch Unterlagen sichten und Dritte und/oder Beschuldigte zu der Angelegenheit befragen muss, um den Sachverhalt zu ermitteln.

Letztlich befindet der Adressat sich in einer Situation, die derjenigen entspricht, die in Phase 2 geschildert wurde. Auch für ihn kommen alle dort dargelegten Bewertungsergebnisse in Betracht. Dabei kann aber eine Verschiebung insoweit eintreten, dass für den Adressaten das Problem nicht in dem Ereignis besteht, welches der Whistleblower als Missstand bewertet hat (z.B. weil dieses für ihn Teil einer bewusst gewählte Strategie ist oder weil er erkennt, dass gar kein Problem vorliegt), sondern darin, dass es in dieser Situation jemand (der Whistleblower) wagt, dies als Missstand anzusehen und ihn diesbezüglich (vielleicht sogar noch unter Umgehung von Hierarchiestufen) zu addressieren. Die Reaktion ist demnach immer eine doppelte, auf das Ausgangs-Ereignis (und evtl. die dafür verantwortlichen Personen) und auf das Whistleblowing (und den Whistleblower).

Neben der Art der Reaktionen (positiv, gemischt, negativ, gar nicht) spielt auch noch die Kommunikation dieser Reaktion an den Whistleblower und an Dritte eine entscheidende Rolle. Der Whistleblower kann seine Evaluation nur auf die von ihm beobachtbaren Reaktion – oder wie z.B. bei Mobbingverdacht auf Spekulationen darüber – stützen. Dort, wo Whistleblowing gewollt ist, kommt es darauf an, dies nicht nur durch positive Reaktion auf das Ereignis (im Sinne von Missstandsbeseitigung) und auf die Person des Whistleblowers jenem zu zeigen, sondern diese Reaktionen auch als positives Beispiel innerhalb der Organisation offensiv zu kommunizieren.


Phase 5: Evaluation

In Phase 5 findet eine erneute Beurteilung seitens des Whistleblowers statt, nämlich die Evaluation der wahrgenommenen Reaktion, die zugleich auch eine Evaluation der Ausgangssituation nach Reaktion beinhaltet und die erneute Entscheidung zwischen den bereits in Phase 2 dargestellten Ergebnisalternativen. Entscheidet sich der Whistleblower erneut für Voice werden die Phasen 3 bis 5 gegebenenfalls auch mehrere Male wieder durchlaufen.

Kennzeichnend bei wiederholtem Whistleblowing ist, dass jeweils ein neuer Adressat gewählt wird, von dem der Whistleblower erwartet, dass dieser in der Lage ist, die Entscheidung des vorherigen Adressaten zu korrigieren bzw. zu übertrumpfen. Nachfolgendes Whistleblowing ist daher typischer Weise geprägt von einer Eskalation von hierarchisch niedrig angesiedeltem internen zu öffentlichkeitswirksameren externen Whistleblowing. Dabei kann es zu einer Akzentverschiebung bzw. Akzentergänzung gegenüber Phase 2 und 3 kommen, wenn negative oder Nicht-Reaktionen(/Kommunikation) gegenüber dem Whistleblower stattfanden und diese vom Whistleblower jetzt eventuell sogar als gravierender als das Ausgangsereignis betrachtet werden.

Zum Abschluss kommt der Whistleblowing Prozess erst, wenn der Whistleblower sich in Folge seiner Evaluation dafür entscheidet, dass alles ein (verhältnismäßig) gutes Ende gefunden hat oder er den weiteren Kampf wegen Aussichtslosigkeit und mangels mit Hoffnungen verbundener weiterer Adressaten aufgibt. Die Organisation kann diesen Prozess immer nur indirekt beeinflussen (am wirksamsten durch eine eindeutige doppelt positive Reaktion) aber letztlich, gerade vor dem Hintergrund externer Eskalationsmöglichkeiten, nicht kontrollieren. Außerdem kann es vorkommen, dass unabhängig von der Entscheidung des ursprünglichen Whistleblowers, den Prozess fortzuführen oder nicht (also dem Wiedereinstieg in Phase 2 oder 3), das Whistleblowing und/oder die Reaktion darauf zum auslösenden Ereignis für Dritte wurde und bei diesen der Prozess von Phase 1 an erneut beginnt.
 



E. 10 Thesen zur Bedeutung von Whistleblowing


Die nachfolgenden Thesen erläutern die Bedeutung, die Whistleblowing aus unserer Sicht hat bzw. haben sollte:


1. Whistleblowing nützt uns allen

Whistleblower decken Missstände im öffentlichen und unternehmerischen Interesse auf und erschließen wichtige Informationen zur Risikofrüherkennung und Missstandsbekämpfung.


2. Whistleblowerschutz nützt uns allen

Whistleblowerschutz dient nicht in erster Linie den potentiellen Whistleblowern, denn wo effektiver Whistleblowerschutz nicht besteht, bleibt Whistleblowing in der Regel einfach aus. Dies aber bedeutet, dass wir alle um seine Vorteile und unseren Nutzen gebracht werden.


3. Whistleblower sind keine Denunzianten

Die bewusste Verbreitung von Fehlinformationen, Verleumdung, falsche Verdächtigungen und Beleidigungen müssen auch in Zukunft verfolgt und bestraft werden All dies ist kein Whistleblowing. Der gutgläubige Whistleblower hingegen muss geschützt werden.


4. Whistleblowerschutz leistet Denunziation keinen Vorschub

Whistleblower wollen unabhängige Aufklärung ihrer Vorwürfe und die Bekämpfung der aufgezeigten Missstände in Strukturen, in denen dies durch die bestehenden Machtverhältnisse verhindert wird. Denunzianten bauen auf Gerüchte, wollen keine Aufklärung und arrangieren sich mit den Machtverhältnissen, um dafür Belohnungen zu erheischen.


5. Whistleblowing ist ein Menschenrecht

Freie Meinungsäußerung und Petitionsrecht, auf denen Whistleblowing letztlich basiert, sind unteilbare Menschenrechte, denen unmittelbare Drittwirkung auch im Arbeitsverhältnis zukommen muss. Einschränkungen sind nur dort und insoweit möglich, als dies zur Wahrung anderer Grundrechte (z.B. Eigentum) zwingend nötig ist.


6. Verantwortung braucht Verantwortlichkeit

Wer Verantwortung hat, muss sich auch gefallen lassen, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Whistleblowing dient dazu, dies auch dort möglich zu machen, wo sonst nicht genügend Transparenz oder Vertuschungsmöglichkeiten bestehen.


7. Whistleblowing braucht kulturelle Akzeptanz

Wir brauchen einen anderen Umgang mit Kritik und Fehlern – auch den eigenen. Der demokratische Diskurs muss gefördert werden. Autoritätsgläubigkeit und Vorverurteilung müssen durch zügige unabhängige Aufklärung ersetzt werden. Für eventuell entstehende Schäden ist angemessener Ersatz zu leisten.


8. Whistleblowing ist mehr als Korruptionsbekämpfung

Die derzeit in einigen Unternehmen zu beobachtende Verkürzung auf ein Instrumentarium zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität greift zu kurz. Letztlich geht es um alle Arten öffentlicher Interessen und um die Frage, wie eine Organisation auf die Kommunikation kritischer Informationen angemessen reagiert


9. Whistleblowerschutz braucht mehr als Anonymitätssicherung

Anonymitätssicherung ist nur einer von mehreren Wegen des Whistleblowerschutzes, oft aber angesichts des Verbreitungsgrades der Information praktisch nicht möglich. Anonymes Whistleblowing muss vom Grundrechtsschutz erfasst werden. Ein kultureller Wandel wird aber durch offenes Whistleblowing stärker gefördert


10. Effektiver gesetzlicher Whistleblowerschutz ist nötig

Die nur ansatzweise bestehenden gesetzlichen Regelungen sind völlig unzureichend. Es bedarf umfassenden und effektiven Schutzes, dessen Durchsetzung auch in der Prozesswirklichkeit durch Beweislastregelungen und die Beseitigung von Umgehungsmöglichkeiten abzusichern ist.
 



Kontakt zu Whistlebower Netzwerk e.V.:


Whistleblower-Netzwerk e.V.

c/o Guido Strack

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