Wie viel ist genug? - Fundierte Kritik des Wachstumswahns

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Klaus Fürst
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Verbunden: 27.06.2013 - 18:02
Wie viel ist genug? - Fundierte Kritik des Wachstumswahns
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Wie viel ist genug?

Fundierte Kritik des Wachstumswahns

Helmut Schnug hat bereits im April auf ein Buch hingewiesen: "Wie viel ist genug? - Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens" von den Autoren Robert und Edward Skidelsky. Leider kam ich erst im Urlaub dazu, es zu lesen. Meine Einschätzung: Das ist das wichtigste neuere Buch zum Thema Wachstumskritik, weshalb ich es allen an der Thematik Interessierten wärmstens empfehlen möchte.

Die Kombination von Ökonom (Vater Robert) und Philosoph (Sohn Edward) war offenbar ein äußerst glücklicher Umstand, denn das Buch hebt sich von den zahlreichen zum Thema erschienenen Werken deutlich ab:


1. Es ist kein ideologisches Buch.

2. In der Situationsbeschreibung werden ökonomische, soziologische und ethische Analysen zusammengeführt.

3. Es ist ein zielführendes Buch, das nicht bei der Analyse stehen bleibt.

4. Das Buch versteht sich nicht als „Ratgeber“ für Ausstiegswillige.

5. Die Frankfurter Allgemeine hat es verrissen.


Zu 1.

Die Autoren setzen sich in deutlichen Worten mit der Sinnkrise des Kapitalismus auseinander. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass Wachstum und Konsum in Ihren Augen keine Wege sein können, die in ein gutes Leben münden. Dennoch vermeiden sie es, Dogmen und Kodizes als Leitlinien für die Menschheit zu entwerfen; stattdessen appellieren sie an den gesunden Menschenverstand. »Ein gutes Leben kann auch nicht vollkommen anders sein, als das, was die Menschen überall auf der Welt und zu allen Zeiten sich wünschen. Anders als in den Naturwissenschaften ist in der Ethik der universelle Irrtum ausgeschlossen, denn zum Gegenstand der Ethik – dem, was gut für den Menschen ist – haben alle Menschen etwas zu sagen. es gibt keine Experten für Moral.«

Das Buch lässt jeglichen esoterischen Ansatz vermissen. Auch dem Kapitel „Das Wunder des Glücks“, ein Thema, das von anderen Autoren gern auf die transzendente Ebene gehoben wird, widmen sich die Skidelskys mit wohltuender Rationalität. Den Schwerpunkt legen sie dabei auf eine kritische Betrachtung der modernen – wie sie es bezeichnen – ökonomischen Glücksforschung. Sie sehen die Gefahr der wilden Hatz nach Glücksindizes, nach Messmethoden für Dinge, die man nicht messen kann. »Wir wollen die Technokraten des Wachstums nicht verbannen, nur um zu erleben, wie sie durch Technokraten der Glückseligkeit ersetzt werden.«

Auf der anderen Seite werden die in letzter Zeit häufig bemühten Argumente, welche auf natürliche Grenzen des Wachstums bauen, sehr kritisch hinterfragt. Letztendlich münden doch alle Umweltschutzbestrebungen, soweit sie überhaupt erfolgreich sind, nur in Verlagerungen des Wachstums von einer Branche in eine andere. Appelle an die Bürger, sich zugunsten der Umwelt einzuschränken, zeigen keine signifikante Wirkung. »Prophezeiungen, dass Seuchen und Unwetter kommen werden, sind ein altbekannter, aber ungeliebter Weg, zum Verzicht aufzufordern. Es ist freundlicher (und wahrscheinlich effizienter), den Menschen zu zeigen, dass ein weniger überladenes Leben ein gutes, erstrebenswertes Leben ist.«


Zu 2.

Unser Buch bringt die Sichtweisen der Philosophie und der Wirtschaftswissenschaft zusammen in der Überzeugung, dass die beiden Fachgebiete einander brauchen, das eine um seines praktischen Einflusses, das andere um seiner moralischen Fantasie willen.

Die Analyse der aktuellen Situation bauen die Autoren auf dem wenig bekannten Aufsatz von John Maynard Keynes „Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“ aus dem Jahr 1930 auf. Schon die Beschäftigung mit diesem Stoff ist das Geld wert, das man für das ganze Buch bezahlt. (Hier ist ein Link, wo man den Aufsatz als PDF herunterladen kann.) Keynes entwarf darin die visionäre Vorstellung, dass – in Anbetracht des damaligen technischen Fortschritts – das Wirtschaftswachstum zu einer vollständigen Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse der Menschen führen würde, so dass bei weiterem Wachstum keine Notwendigkeit mehr bestehen werde, soviel zu arbeiten wie bisher. Er prognostizierte einen Rückgang der notwendigen Arbeitszeit auf drei Stunden täglich bis zum Jahr 2030. Die Autoren untersuchen nun ausführlich, warum diese Entwicklung ausgeblieben ist. Die Antwort finden sie darin, dass Keynes nicht zwischen Bedürfnissen und Begierden unterscheidet. Sie geben sich aber nicht damit zufrieden, die Jagd nach immer Mehr auf die angeborene Unersättlichkeit zu schieben. Sie verweisen darauf, dass Keynes noch nicht erkennen konnte, dass der Kapitalismus eine neue Dynamik der Begierdenerzeugung in Gang setzte, die die traditionellen, durch Brauchtum und gesunden Menschenverstand definierten Beschränkungen hinwegfegen würde.

 

  

Der britische Wirtschaftshistoriker, Ökonom und Autor Robert Skidelsky  -  Bildquelle: Webseite des Autors

Den Autoren kommt es darauf an, die Abgrenzung zwischen Bedürfnissen und Begierden nicht unter moralischen Aspekten vorzunehmen, sondern ihr eine rationale Basis zu geben. Dies ist sehr wichtig, da jeder Mensch ein anderes Wertebewusstsein entwickelt. Ein moralisches Korsett, welches gute und schlechte Bedürfnisse unterscheidet, würde deshalb keine breite Akzeptanz finden. Auf der Suche nach Antworten unternehmen die Autoren umfangreiche Exkurse in die Geschichte. Letztendlich zeigt sich aber für den Leser, dass die wichtigste Erkenntnis schon im ersten Kapitel ausgesprochen wurde, nämlich von Keynes, der in besagtem Aufsatz die menschlichen Bedürfnisse unterteilt in solche Bedürfnisse, die in dem Sinne unbedingter Art sind, dass wir sie fühlen, gleichviel, wie die Lage unserer Mitmenschen sein mag, und solche, die in dem Sinne verhältnismäßiger Art sind, dass wir sie nur fühlen, wenn ihre Befriedigung uns über unsere Mitmenschen erhebt, uns ein Gefühl der Überlegenheit gibt. Die Autoren arbeiten nun heraus, dass diese zweite Kategorie zu Statuskonsum führt. Dieser hat die Eigenart dass er nie befriedigt werden kann, weil unweigerlich jemand anders mehr haben wird als ich. Im Gegensatz dazu gibt es Dinge, die zwingend zu einem guten Leben gehören. Die Autoren prägen dafür den Begriff der Basisgüter. Bei dem Versuch, diese abzugrenzen, stellen sie fest: Die Liste der Basisgüter umgibt eine Aura von Willkür.


Zu 3.

Die Autoren bleiben nicht bei der Analyse dessen stehen, was mehr oder minder große Geister bereits gesagt haben. Eine ihrer wichtigsten Leistungen ist die dialektisch begründete Systematisierung besagter Basisgüter. Ausgehend von vier Kriterien werden folgende Güter als basal definiert: Gesundheit, Sicherheit, Respekt, Persönlichkeit, Harmonie mit der Natur, Freundschaft, Muße. Die Autoren räumen zwar ein, dass diese Liste keinen Anspruch auf Endgültigkeit erhebt, dennoch ist offensichtlich, dass sie nicht so lala aus dem Ärmel geschüttelt wurde. Liest man die Begründungen im Detail, erschließt sich die Relevanz dieser Klassifizierung. Insbesondere die Ausführungen zur Muße sind prägnant und zielführend.

Der schwierigste Punkt bleibt: wie schafft man bei den Menschen ein Bewusstsein für die notwendigen Veränderungen, welches unbedingte Voraussetzung für die Bereitschaft zu Konsumverzicht und Wertewandel ist? Ausführlich wird hierzu die Rolle des Staates beleuchtet, der sich in dem Dilemma von Wertneutralität einerseits und Verpflichtung zu nachhaltiger Politik andererseits befindet. Als Fazit plädieren die Autoren dafür, dass die Verantwortung für eine zukunftsfähige Gesellschaft Vorrang vor liberalistischen Forderungen haben muss. Weil zwar ein gutes Leben nach jeder Definition autonom und selbstbestimmt ist, kann der Staat als Zwangsanstalt es immer nur zu einem bestimmten Grad fördern. Dennoch darf sich der Staat positionieren in der Frage, was zu einem guten Leben gehört. Ökonomische Anreize, um Menschen zu einem guten Leben zu motivieren, werden im Allgemeinen nicht als diktatorisch empfunden. Und da Basisgüter keinen Preishaben, also nicht marktfähig sind, kann man ihr Wohl und Weh nicht dem Markt überlassen, der sie verdrängen und durch handelbare Güter ersetzen würde. Schon aus diesem Grund kann nur der Staat sich dem Wachstum der Basisgüter annehmen.

Worauf es den Autoren schließlich ankommt, ist, einen schrittweisen, behutsamen Übergang zu finden, da die Auswirkungen staatlicher Maßnahmen, wie z.B. die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, zwar positiv zu sehen, aber ihre unmittelbaren Effekte nicht zuverlässig zu kalkulieren sind. Eine Gesellschaft, in der die Menschen sichere Arbeitsplätze haben, und viel Zeit für Muße, könnte in ökonomischer Hinsicht träge sein. Ob eine gut ausbalancierte Volkswirtschaft Wachstum fördert oder nicht, ist eine empirische Frage; wir können nicht a priori annehmen, dass eine schnell wachsende Volkswirtschaft eine gesunde Volkswirtschaft ist.

»Wir müssen unsere Präsenz in den aufstrebenden Märkten sichern.« - Aber warum sollten wir, wenn wir doch schon genug haben, eine stärkere Präsenz in den aufstrebenden Märkten anstreben?


Zu 4.

Diesen Punkt fand ich besonders wohltuend, denn Bücher von Minimalismus-Gurus haben wir zur Genüge. Auch im letzten Kapitel „Auswege aus der Tretmühle“ geben die Autoren keine Ratschläge, wie der Einzelne sich Alltagsstress und materiellem Streben entziehen kann, sondern fordern zum Nachdenken auf.


Zu 5.

Werner Plumpe behandelt das Buch in der FAZ mit dem Titel: "Sind wir am Ende der Unersättlichkeit". Nach einer gönnerhaft neutralen  Inhaltsangabe stellt er erst mal alles – nach seiner Auffassung – vom Kopf auf die Füße. Wer die heilige Kuh in Frage stellt, der muss zurechtgestutzt werden! Und wenn es keine Angriffspunkte gibt, dann wird halt verfälscht:  »Auch der Wertrelativismus des politischen Liberalismus und die Vorstellung der Neutralität des Staates gegenüber den Lebensentwürfen der Menschen sind ihnen [den Autoren] unbegreiflich.« - Aber gerade mit diesem Thema haben sich die Skidelskys sehr detailliert auseinandergesetzt, es war ihnen durchaus nicht unbegreiflich. Oder: »Hierbei kommt dem Staat eine wesentliche Rolle zu, und zwar über die Verkürzung der Arbeitszeiten, die Beschränkung des Konsums durch Luxusgesetze und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.« Auch das wurde von den Autoren einer sehr umfassenden Analyse unterzogen und keinesfalls in dieser Form als staatliche Intervention rezeptiert. Und natürlich wird in der FAZ das alte Schreckensbild bemüht: „Bald wären die Märkte leer, die Häuser und Straßen zerfielen, die Technik veraltete, der technische Fortschritt bliebe aus.“ (Werner Plumpe – der Name ist offenbar Programm.)

Gerade für die Auseinandersetzung mit dieser Art Argumente liefert das Buch unverzichtbares Rüstzeug. Die Autoren kennen alle Argumente der Verfechter des Wachstumswahns und begegnen ihnen bewusst unsentimental. Hier findet man handfeste Gegenargumente, die sich in Diskussionen als sehr nützlich erweisen könnten.


Klaus Fürst