Wirtschaftslobbyistisch ausgerichtetes Staatenkartell EU erhält Friedensnobelpreis

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Wirtschaftslobbyistisch ausgerichtetes Staatenkartell EU erhält Friedensnobelpreis
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Wirtschaftslobbyistisch ausgerichtetes Staatenkartell EU erhält Friedensnobelpreis


Das norwegische Nobelkomitee hat einstimmig entschieden, daß der diesjährige Nobelpreis für Frieden an die Europäische Union verliehen wird. Zu Beginn meines Kommentars gebe ich zunächst einmal den Pro-Stimmen für die Verleihung eine Chance:


© Klaus Stuttmann Karikaturen, Berlin - klick



► Die Pro-Argumente des Komitees:

 

  • „Die EU hat über sechs Jahrzehnte entscheidend zur friedlichen Entwicklung in Europa beigetragen.“
  • Die deutsch-französische Aussöhnung wurde bemüht mit „Heute ist Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar“.
  • Der Leiter des Nobelkomitees Jagland nannte als weitere Leistungen der EU die Förderung der demokratischen Entwicklungen in südeuropäischen Ländern. Hinzu komme die Integration osteuropäischer Staaten nach dem Mauerfall 1989. Er nannte auch die Befriedung des Balkans. „Dies ist ein historischer Preis sowohl in langfristiger wie in aktueller Perspektive“.
  • Die EU sei ein „erfolgreiches Friedensprojekt“.
  • Die EU leiste „den besten oder größten Einsatz für Brüderlichkeit zwischen Staaten, für die Abschaffung oder Abrüstung von stehenden Heeren sowie für die Organisation und Förderung von Friedenskonferenzen“.
  • „Die Europäische Union bemüht sich seit Jahren auch außerhalb der eigenen Grenzen um die Verhinderung und Entschärfung von Konflikten. Die EU ist gemeinsam mit Russland, den USA und den Vereinten Nationen Mitglied des Nahost-Quartetts. Die EU sucht besonders enge Beziehungen zu den nordafrikanischen und den osteuropäischen Staaten. In vielen Fällen finanziert die EU Projekte zur Schaffung von Arbeitsplätzen vor allem für junge Menschen.“


Quelle: Zitate aus TAZ vom 12.10.2010 - klick hier  


Politische Stimmen aus dem In- und Ausland:


Angela Merkel

  • Es handele sich um eine „wunderbare Entscheidung“.
  • „Das ist Ansporn und Verpflichtung zugleich – auch für mich ganz persönlich“.


Helmut Kohl

  • Die Entscheidung sei „klug und weitsichtig“ und „vor allem eine Bestätigung für das Friedensprojekt Europa“
  • und „eine Ermutigung für uns alle, auf dem Weg des geeinten Europa weiter voranzugehen“.
  • „Als Europäer haben wir heute allen Grund, stolz zu sein. Ich bin es.“


EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso

  • Die Verleihung sei „große Ehre für unsere 500 Millionen Bürger, alle Mitgliedstaaten und europäischen Institutionen“.
  • Die EU sei ein „einzigartiges Projekt“, sie stehe für  „Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Rechtstaatlichkeit und Respekt für Menschenrechte“.
  • „Dieser Friedensnobelpreis zeigt, dass die Europäische Union in schwierigen Zeiten eine Inspiration für Führer und Bürger in aller Welt bleibt.“


EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy

  • Der Preis sei eine Maßnahme der „größtmöglichen Anerkennung für die tiefen politischen Motive hinter unserer Union“.
  • Weiter: „In den vergangenen 60 Jahren hat die Europäische Union einen durch den Kalten Krieg gespaltenen Kontinent wieder zusammengebracht.“ Damit sei sie „die größte friedensstiftende Institution, die je in der Weltgeschichte geschaffen wurde“.


Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz

  • Die EU stelle einen „ein Magnet für Stabilität, Wohlstand und Demokratie ist“ dar.
  • Die Prinzipien und Werte der Versöhnung seien ein Vorbild für andere Weltregionen; vom Balkan über den Kaukasus diene die EU als „Leuchtturm für Demokratie und Versöhnung“.


Quelle: Zitate aus TAZ vom 12.10.2012 - klick hier



Meine Contra-Argumente

Nach all den hehren Worten und der Selbstbeweihräucherung komme ich nun als Spielverderber und sozusagen als Contra-Anwalt ins Spiel. Denn das Nobelpreis-Komitee in Norwegen scheint erhebliche Probleme mit seiner Vorstellung von friedensfördernden Maßnahmen zu haben. Vor nicht allzu langer Zeit (2009) wurde die Auszeichnung an einen Präsidenten eines kriegführenden und imperialistischen Landes verliehen. Zur Erinnerung noch einmal eine kleine Auflistung von ebenfalls nicht unumstrittenen Preisträgern: Henry Kissinger, Menachem Begin, Schimon Peres, Jimmy Carter.

Diesmal hielt es das Komitee für opportun, ein Wirtschaftskartell als würdigen Kandidaten für den Friedens-Nobel-Preis auszuwählen. Die geäußerten euphorischen und euphemistischen Beurteilungen maßgebender Politiker zeugen allerdings nicht gerade von einem ausgeprägten Realitätssinn. Sie haben bei ihren Beifallsstürmen wohl folgende Fakten übersehen:

  • Die EU befindet sich in einer schwer wiegenden Existenzkrise.
  • Diese Krise gründet darauf, daß die EU nur als wirtschaftspolitisches Staatenkartell und nicht als Modell solidarischer Staatengemeinschaften ausgerichtet ist.
  • Die wirtschaftliche Ungleichheit ihrer Mitglieder und der ideologisch gerechtfertigte Exportfetischismus Deutschlands in Verbindung mit der Behandlung der EU-Südstaaten als zweitklassige Mitglieder läßt die EU nicht gerade als Vorzeigemodell erscheinen.
  • Der Lissabonner Vertrag regelt eindeutig die Vorfahrt der Wirtschaft und des Handels zu Lasten der Interessen der Bürger.
  • Der propagierte freie Handel macht sich in unfairen Handelsbeziehungen zu Nicht-EU-Ländern insbesondere aus der Dritten Welt bemerkbar und ufert teilweise zu einer Art von Neokolonialismus aus.
  • Der EU-Vertrag geht dabei so weit, daß er Militäreinsätze sowohl im Ausland zur Stützung oder Verteidigung geostrategischer und ökonomischer Interessen als auch militärisches Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung erlaubt.
  • Entgegen der fälschlichen Behauptungen hat die EU den Balkan noch lange nicht befriedet, und sie hat in den Balkankriegen eine sehr unrühmliche Rolle gespielt.
  • Die EU mischt sich in die Angelegenheit anderer Staaten ein, in dem sie Kriege in Regionen/Ländern führt oder sich daran beteiligt (militärisch, wirtschaftlich oder durch politische Befürwortung), die keinerlei Angriff auf EU-Territorium planen oder durchführen.
  • Die EU verstößt mit ihren Einsätzen der Grenztruppe FRONTEX im Mittelmeerraum gegen geltende Menschenrechte, indem sie Exilanten inhuman behandelt und für den Tod vieler Bootsflüchtlinge verantwortlich ist.


Die aufgeführten Tatsachen sprechen eigentlich für sich. Sie plädieren nicht für einen Status der EU als Frau Friedens-Nobel-Preisträgerin. Denn diese Frau EU fristet ein trauriges Leben ohne jeglichen Volkskörper und läßt sich in ihren Handlungen von außerdemokratischen Elementen fremdbestimmen. So vegetiert sie dahin in Abhängigkeit von äußeren Mächten, die mit Frieden nicht viel im Sinn haben.

Damit ich mir nicht vorwerfen lassen muß, nur negativistisch gegen alles Kritik zu beziehen, möchte ich mich auch mit der konstruktiven Variante der Friedenspreisvergabe befassen. Die Verleihung könnte man auch als Signal an die EU-Bevölkerung und die politischen Verantwortlichen verstanden werden, zukünftig den gesellschaftlichen und nicht den wirtschaftlichen Einigungsprozeß Europas in den Vordergrund zu stellen und sich des Solidaritätsprinzips zu erinnern.

Da war doch noch etwas in der Geschichte Europas, das einen Impuls gegeben hat: ja, die Französische Revolution von 1789 mit ihren Parolen „Liberté, Egalité, Fraternité“, die immer noch auf ihre Umsetzung warten! In der EU- und Eurokrise könnte auch eine Chance lauern, endlich einmal klar Schiff zu machen und ein Europa der Bürger und keins der Eurokraten und Gewinnler zu schaffen. Es wäre an der Zeit, für eine gerechte Lastenverteilung zu sorgen und die Verursacher der Krise und die Profiteure endlich zur Kasse zu bitten.
 

Peter A. Weber