Wohin steuert Israel?

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Rene Wolf
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Verbunden: 19.05.2012 - 09:03
Wohin steuert Israel?
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Wohin steuert Israel?

 

Israel interessiert mich aus zwei Gründen:

  • In meiner Familie wird das Thema heftig diskutiert. Warum? Keiner von uns ist Jude. Mich beschleicht das ungute Gefühl, tatsächliche Judenfeindschaft zu erleben. Ich rede bewusst nicht von "Antisemitismus", weil dieser Begriff verfälscht ist. Araber sind auch Semiten.
  • Israels Bitte um Absolution für einen Erstschlag gegen den Iran birgt das Riskio eines Flächenbrands im Nahen Osten. Und darüber hinaus: das Risiko eines atomaren Weltkrieges.

Vor diesem Hintergrund erscheinen mir viele andere politische Themen als sekundär.

Die folgenden Gedanken beruhen im Wesentlichen auf meiner Beschäftigung mit Professor Moshe Zuckermann, einem israelischen Soziologen und Historiker. Zuckermann analysiert auch Eigentumsverhältnisse und unterscheidet sich dadurch von vielen anderen Kommentatoren des Nahost- Konflikts, die sich gern auf Probleme des „Antisemitismus“, der „atomaren Bedrohung durch den Iran“ und des Shoah- Gedenkens beschränken. Insofern ist dies auch ein Beitrag zur aktuell im Kritischen Netzwerk verhandelten Eigentums- Thematik.

 

► Entstehung Israels


Israel in seiner heutigen Form ist ein Resultat zweier Entwicklungen. Die eine ist die nationale Staatsidee seit der französischen Revolution. Das bedeutet eine Einheit des Territoriums; Einheit der Menschen, die dieses Territorium besiedeln und Einheit von Kultur und Sprache.

Das kennzeichnet auch den heutigen Zionismus. Als der Zionismus entstand, war weder das Territorium vorhanden, noch das Kollektiv, und auch nicht die Sprache. Juden redeten in verschiedenen Sprachen. Der Zionismus verband die nationale Staatsidee mit der erstarkenden Juden- Feindlichkeit im 19. Jahrhundert. Also reaktiv. Bis in marxistische Kreise hinein war man der Ansicht, dass das jüdische Problem nur national zu lösen sei.

Zweitens ist der Nahe Osten nicht zu verstehen ohne den Ersten Weltkrieg. Im Ersten Weltkrieg ist das alte Europa zusammengebrochen. Britannien und Frankreich waren maßgeblich für das, was wir heute den Nahen Osten nennen. Der Nahe Osten entstand aus der Logik des ehemaligen Kolonialismus. Dazu passt auch die Bemerkung von Theodor Herzl, einem Mitbegründer des Zionismus, in seinem Buch „Der Judenstaat“ Ende des 19. Jahrhunderts, über Palästina : „Für Europa werden wir dort einen Teil des Walls gegen Asien bilden. Wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen“.

Die direkte Besetzung von Ländern durch Kolonisation wurde abgelöst durch die Schaffung von Einflusssphären. Es ist effektiver, Stellvertreter der eigenen Machtinteressen zu finden, die diese vertreten. Juden und Araber haben über lange Zeit einigermaßen friedlich miteinander gelebt. Erst durch Machtansprüche von außen gelang es, eine Feindschaft zwischen Juden und Arabern zu installieren. Die Briten, welche die Oberhoheit über Palästina hatten, solidarisierten sich mal mit den Juden, dann mit den Palästinensern, dann wieder mit den Juden und so weiter. Je nachdem, wie es denn Ansprüchen der Briten von Vorteil war. Als sich die Briten aus der Region zurückzogen, hinterließen sie einen Territorialkonflikt. Das hat nichts mit Kampf der Kulturen, Ethnien oder Religionen zu tun, sondern mit alten Kämpfen um Besitz und Macht und deren Folgen . Es geht um die Oberhoheit im Nahen Osten.


► Bürgerkriege


Ein Bürgerkrieg in Israel ist denkbar. Vielleicht braucht Israel auch erst einen Bürgerkrieg, ausgelöst durch den Konflikt zwischen der Regierung und den Siedlern (bei Rückgabe der besiedelten Gebiete an die Palästinenser), damit der Ruf nach Frieden überhaupt vernehmbar ist. Auf palästinensischer Seite gab es so einen Bürgerkrieg bereits. Dahingehend, dass ein fundamentalistischer, religionsbestimmter Nationalismus in der Hamas auf Widerstand in der palästinensischen Bevölkerung gestoßen ist. Dieser religiöse Fundamentalismus ist ein Erzeugnis der israelischen Politik. Ebenso, wie der religiöse Fundamentalismus, der heute Teil israelischer Politik ist.

 

► Religiöser Fundamentalismus


In den letzten 50 Jahren wurde ein religiöser Fundamentalismus zum Faktor der israelischen Politik.

Religiöser Fundamentalismus war im Zionismus nicht vorgesehen. In den siebziger Jahren hat die israelische Politik den religiösen Fundamentalismus in Palästina unterstützt. Gegen die PLO. Das hat unter anderem dazu geführt, dass Palästinenser bei den Olympischen Spielen 1972 in München und 1977 bei der Flugzeugentführung der „Landshut“ bis nach Mogadischu Terror Akte verübt haben. Palästina war ursprünglich säkular. Hamas und Dschihad hatten in den sechziger Jahren in Palästina nichts zu sagen.


► Krieg und Frieden


Israel war nie wirklich an Frieden interessiert. Und Israel hat alle Karten in der Hand. Auch Camp David und der Oslo Prozess zeigten höchstens einer äußerliche Friedensbereitschaft Israels. Damals wurden aus 100.000 Siedlern 200.000 Siedler.

Heute sind die Palästinenser in einer Zwangslage. Dabei können sie bis heute noch kein Verhandlungspartner sein. Das gefällt der israelischen Politik. Denn Israel will gar nicht über einen möglichen Frieden verhandeln. Warum? Israel steht vor einer historischen Weggabelung. Aus zionistischer Sicht steht Israel vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Die besetzten Gebiete sind das Hauptproblem. Gibt Israel sie zurück, kommt es zu einem innerjüdischen Bürgerkrieg mit den Siedlern. Behält Israel diese Gebiete, kommt es zu einer binationalen Lösung. Beides bedeutet das Scheitern des zionistischen Projekts. Und so stagniert man in Israel, weil man mit dem Rücken an der Wand steht. Ein nuklearer Krieg könnte die Folge sein.


► Israels Linke und aktuelle Bedrohungen


Nach dem Scheitern des Oslo- Prozesses und nach der zweiten Intifada gab es keine nicht- zionistische Linke mehr. Die nichtzionistische Linke besteht jetzt aus ein paar Tausend Leuten. Was heute in Israel stattfindet, ist keine Alternative zu Menachem Begin (Begin war schon ein schlechter „Beginn“ für Israel- er wurde von Albert Einstein und Hannah Arendt 1948 als Faschist bezeichnet). Rassismus nach innen und Agression sowie Isolation nach außen kennzeichnen heute israelische Politik. Die äußere Bedrohung Israels durch die „Nuklearisierung des Irans“, den „weltweiten Antisemitismus“ und das Shoah- Gedenken geraten zu Fetischen.

Noch einmal: Israel mit steht mit dem Rücken an der Wand. Es könnte den Iran angreifen. Was dazu führen würde, das nicht nur von Israel, sondern auch von den anderen Staaten in der Region kaum noch etwas übrig bleibt.

 

► Israel- Lobby in den USA


Die israelische Lobby in den USA ist, entgegen Behauptungen von Vielen, nicht das Problem. Die saudi-arabische Lobby ist dort mindestens ebenso stark wie die israelische Lobby. Man muss strukturell denken. Solange Israel nichts gegen die geopolitischen Interessen der USA tut, ist es den USA egal, was Israel macht. Ob Juden und Araber sich gegenseitig töten. Sollte Israel gegen amerikanische Interessen handeln, dann würden die USA Israel fallen lassen. In etwa 10-15 Jahren gibt es in dieser Region kein Öl mehr. Dann wird sich US- Amerika weniger für den Nahen Osten interessieren.


► Können die USA helfen?


Heute erhofft sich die israelische Linke irgendetwas von den Großmächten. Wobei es ja nur noch eine in diesem Sinne relevante Großmacht gibt. Die USA. Doch selbst unter Obama passiert da nicht viel. Zu beachten ist dabei: ein Volk muss sich selbst befreien. Es kann nicht von anderen befreit werden. Der zweite Grund, warum die Hoffnungen der israelischen Linken auf die USA zwecklos ist: die USA haben im Nahen Osten immer nur geopolitische Interessen verfolgt. Die Freundschaft der USA mit Israel drückte sich vor allem darin aus, dass Israel bewaffnet wurde. Es interessiert die USA nicht, ob sich Araber und Juden gegenseitig töten, solange die Machtinteressen der USA dabei nicht berührt werden. Wenn also die israelische Linke von den USA etwas erwartet, dann muss sie sich klarmachen, von wem sie da etwas erwartet. Wer will den Frieden im Nahen Osten?

 

► Die Zukunft im aktuellen Diskurs


Würde man den Frieden wollen, müsste es zunächst einmal eine Zwei- Staaten Lösung in Israel geben. An der ein- staatlichen, binationalen Lösung sind im Moment weder Israelis noch Palästinenser interessiert.

Die realen sozialen Probleme sind primär. Erst in zweiter Linie geht es um religiöse Konflikte oder ethnische. In dieser ganzen Diskussion um den Frieden im Nahen Osten darf man sich nie verunsichern lassen durch Vorwürfe in Richtung „Antisemitismus“. Judentum, Zionismus und Israel sind drei verschiedene Schuhe. Also auch Antisemitismus, Antizionismus und Israel- Kritik. Nicht alle Juden sind Zionisten, nicht alle Zionisten sind Israelis, und nicht alle Israelis sind Juden. Es geht um die politisch territoriale Lösung des Problems. Nicht um mögliche Feindschaften zwischen Arabern und Juden und weniger um weltweiten „Antisemitismus“.