Deutsche Spionage-Mission vor Syrien versehentlich ins Wasser gefallen
von Wolfgang Blaschka
Damast-Kuss. – Das geheim operierende Schiff der Bundesmarine vor der Küste Syriens, vollgestopft mit Aufklärungs-Elektronik, Weltmacht-Ambitionen und Schweinefleisch-Konserven, hatte während der Giftgasangriffe um Damaskus vom 21. August 2013 einen Blackout. Und nicht nur da. Nicht etwa, weil der Kapitän vergessen hatte, Ersatz-Glühbirnen mitzunehmen, auch nicht weil der 1. Offizier vergammelten Mittelmeerfisch zu sich genommen hatte, und schon gar nicht wegen des eigentlich gar nicht da seienden und daher so geheimniskrämerischen BND-Funkspezialisten, der immer eine zu dicke Sonnenbrille auf hatte und selbst unter Deck in seiner verschwiegenen Kajüte das Licht ausmachte, bevor er sich nachts an die Geräte setzte. Es war viel schlimmer. Noch nie hatten sie einen vollständigen Funkspruch oder ein halbwegs unverrauschtes Telefonat auffangen können aus Damaskus und Umgebung. Damaskus lag einfach falsch.
Blick auf die Damaskus, Syrien. Foto: Bernard Gagnon / Quelle: Wikipedia Commons
Es lagen nämlich – das hatten sie im Atlas übersehen – hohe Berge zwischen der syrischen Küste und der Hauptstadt, ein ganzes Gebirge. Das wirkte wie eine Schallmauer, die nicht durchbrochen werden konnte, selbst wenn sie die Motoren auf Full Speed aufdrehten. Sie kreuzten immer in Achter-Schleifen mit hohem Tempo und fanden dennoch nirgends ein Leck im Äther. Manchmal dümpelten sie in Schlangenlinien, um sich näher an Syrien heranzuschleichen, aber dann wurde es nur noch schlimmer. Die Berge wuchsen scheinbar noch höher. Wenn sie weiter wegtuckerten, kam die Erdkrümmung dazwischen, und übrig blieb das Hintergrundrauschen des Urknalls und ein bisschen Deutsche Welle. Die kann man überall empfangen.
Ach, hätten sie nur wenigstens eine einzige TÜV-zugelassene Drohne an Bord gehabt, dann wären sie ganz groß herausgekommen. Der Ehrgeiz der Bundesregierung, sich ein eigenes Bild machen zu wollen, konnte nur durch Ausschneiden entsprechender Fotos aus der Zeitung mit den dicken Buchstaben befriedigt werden. Das war denen in Berlin dann aber doch nicht geheim genug, um es ihrerseits an die Presse zu geben. Die wusste ohnehin, was sie zu schreiben hatte: Assad ist schuld. Böse Armee! Arme Rebellen! Die Zivilbevölkerung musste geholfen kriegen, oder so ähnlich. Die Geheimdienstler sahen das nicht ganz so.
Sie hatten überhaupt gar kein klares Lagebild. Sie hörten nur was von "Sarin". Hoppla, dachte sich der geschichtsbewusste Heino-Typ mit der kryptischen Personenkennziffer auf der Visitenkarte, das kennen wir doch! Das haben doch wir erfunden, gewiss nicht die Schweizer. Schon im Ersten Weltkrieg eingesetzt, damals gegen die Franzosen. Deswegen reagieren die so allergisch darauf. Klar. Er telefonierte mit Pullach und wurde nach Berlin durchgestellt: "Es war Sarin. Sagen die Amerikaner. Steht auch in der Bildzeitung. Eben in der Türkei gekauft. Klarer Beweis. Wird auch von niemandem bestritten." Auch in der FAZ stand es so und überhaupt in allen Blättern deutscher Zunge, die man am Kiosk erwerben konnte. Genau das, was man selber wusste: Damaskus lag falsch. Ob das schon zu einer Belobigung oder gar zu einer Beförderung reichen würde? Man wusste ohnehin, was man wissen wollte: Assad ist schuld. Aber der Rückruf aus dem Kanzleramt kam prompt: "Und sonst habt Ihr nichts? Keine eigenen Erkenntnisse? Keine E-Mails abgefangen, keine SMS, keine Handy-Signale?" Peinlich. "Nö. Kein eigenes Lagebild. Ich werde mal die Amis fragen, ob die was haben." – "Aber hopp-hopp! Und gebt Euch als harmlose, aber kritische Urlauber aus, die was über PRISM wissen wollen. Die verkaufen derzeit ihr Spionageprogramm als Wohltat für die Menschheit, jetzt, da es schon mal aufgeflogen ist. PRISM kann alles, und rückwirkend nun wirklich alles beweisen". Ratlosigkeit. Wie soll man als sich stinknormal gebendes Kriegsschiff getarnt, doch als blamierter Undercover-Depp dastehend an die PRISM-Daten herankommen? Die Peinlichkeit sich als mühsam lauschender, aber letztlich ahnungsloser BND-Kutter outen zu müssen, sollte um jeden Preis vermieden werden.
Also rief man als befreundetes Al-Quaida-Kommando beim nächsten US-Zerstörer an, jemand mit möglichst arabisch klingenden gutturalen Lauten in der Kehle sollte religiöse Formeln brabbeln. Der Kombüsen-Gefreite aus dem Alemannischen von nahe der Schweizer Grenze musste ran. Der US-Kommander, den er alsbald an der Strippe hatte, reagierte freundlich: "No problem, comrades, we'll help you. But please, speak a little bit more German! I would like to understand you." Die wussten doch alles, diese Yanks! Aber es half.
Binnen einer halben Stunde lief der schiffseigene Computer über vor Terabytes heikelster Informationen, schon vorgefiltert und aussortiert, mundgerecht serviert. Whow! Natürlich ohne genaue Quellenangaben, ohne Uhrzeiten und Koordinaten, aber mit Klarnamen und sogar Adressen. Reinster O-Ton, schön abgetippt und gleich übersetzt. Wie gemacht für den Weltsicherheitsrat. Besser als diese selbstgemalten Powell-Point-Präsentationen damals, nicht so trocken, sondern mit lebensechten Emotionen! Sogar die Audio-Dateien waren schon ins Englische übersetzt und mit Emphase nachgesprochen - wie original.
Nun schaltete der G2-Typ tatsächlich das Licht an, damit der Bildschirm nicht gar so grell blendete. Ihm quollen die Augen über. Was die nicht alles hatten! Ein Telefonat vom Bruder von Assad: "Seid Ihr irre? Setzt Eure Gasmasken auf! Was habt Ihr denn gemacht?!" Die Antwort fehlte. Dann weiter: "Wenn einer von Euch damit was zu tun hat, dann wehe Euch Brüdern, das sag ich meinem Bruder! Ihr rennt da bei Giftgas-Alarm draußen rum, röchelt und hustet und habt keine Ahnung, woher das kommt? Seid Ihr vom BND oder was?" Hier stand in Klammern dabei, dass man den letzen Satz aus Rücksicht auf Verbündete auch weglassen könne in der Reinschrift. Boah! Voller Beweis: Die wussten, dass Giftgas eingesetzt wurde.
Hammer! Echtes Herrschaftswissen! Dann noch eine Anweisung, sofort die Schutzbunker aufzusuchen. Feige Hunde, die! Und so ging es gigabyteweise weiter, diverseste Anrufe aus der Bevölkerung: "Dieser Sauhund Assad! Wir sind geliefert." Danach Husten und Stille. Klarer geht's nicht. Protokolle des Grauens. Eine lückenlose Beweiskette. Von "Sarin" über dessen Einsatz bis zu den schließlich höchst wahrscheinlich tödlichen Auswirkungen. "High Confidence", stand überall dabei. Höchste Glaubwürdigkeit! Natürlich war die ursprünglich arabische Tondatei nicht wirklich zu verstehen. Aber die Übersetzungen einwandfrei. Und die Niederschriften perfekt. Schlappi war hoch zufrieden und ging an Deck, um eine zu rauchen.
Da sah er weiter südlich (vermutlich israelische) Raketen aufsteigen, wahrscheinlich zum Test, aber vielleicht auch, um ihn an seine Staatsraison zu erinnern. Sofort kabelte er den ganzen Wust ins Isartal zu seinem Führungsoffizier. Das wird ihm den Major bringen, dachte er bei sich, als der Server rasselte und schnurrte, denn es dauerte deutlich länger bei der sparsamen Übertragungsgeschwindigkeit, die deutsche Dienststellen in Bayern zur Verfügung haben. Dumme Sparpolitik! Wahrscheinlich schaltet sich da auch noch ein bislang gänzlich klandestiner bayerischer Geheimdienst dazwischen und filtert das Interessanteste heraus, quasi als Maut. Die traditionellen Gebirgsschützen sind den dort stationierten Gebirgsjägern vom Bund nur zu gemeinsamen Adventsfeiern grün. Deswegen muss die Behörde ja auch nach Berlin umziehen. Aber das Haus wird und wird nicht fertig, seit sie die Baupläne verschlampt hatten und umplanen mussten. Und mit dem Brandschutz haperte es wohl auch. Wo doch da soviel gezündelt wird, ein Unding!
Am nächsten Morgen stand das alles in der Bildzeitung, als hätte er's selbst aufgeklärt. Er bekam das Blatt allerdings erst eine Woche später zu Gesicht gelegentlich des nächsten Landgangs in der Türkei. Da war schon von einem Oberst die Rede, der das alles aufgedeckt hätte. Damit konnte nur er gemeint sein. Mit Oberst Klein hatte es nach dem Kunduz-Malheur ja auch geklappt. Ihm stand gewiss auch eine glänzende Karriere bevor. Die BRD liebte nun wieder ihren BND. Trotz NSA und NSU. Und Assad war schuld dazu.
Mittlerweile steht eindeutig fest: Es war Sarin. Die UN-Inspekteure haben es in Deutschland untersuchen lassen. Die kennen sich damit aus dort: Sarin und Tabun und das ganze Arsenal, das die USA immer noch voll davon haben, für welche Einsätze auch immer. Die Beweise sind aber auch sowas von eindeutig: Aus der chemischen Zusammensetzung der Materialproben-Spuren lässt sich unzweifelhaft analysieren, wer das flüchtige, aber fluchtunfähig machende Gas produziert, abgefüllt, transportiert und vor Ort emittiert haben musste, und mit welcher Absicht: Jemand, der sich damit auskannte. PRISM wüsste das, wenn es anders gewesen sein sollte. Die CIA weiß es ganz sicher: Nicht die Rebellen, nicht die Al-Nusra-Fritzen, nicht Al-Qaida-Leute, sondern nur echte Profis könnten sowas wirklich unfallfrei händeln. Abgrundtief böse, äußerst skrupellose und gnadenlos grausame. Gibt es noch andere außer Assad, der doch eh schon schuld ist? Wenn einer schuld ist, dann ist der das. Dabei kann es schon deshalb kein Unfall gewesen sein, weil es für die "Freunde Syriens" und die "Garanten des Weltfriedens" ein echter Glücksfall war. Für die es tödlich war, die sind jetzt Martyrer. Für die Freiheit Syriens von jeder Vernunft. Quod erat demonstrandum.
Dennoch kam die Bundesregierung in Berlin zu der Einschätzung, dass eine Militärintervention ohne Mandat von wahlweise UNO, EU oder NATO jetzt eh nicht zur Debatte stünde und auch nicht angedacht sei. Das klingt erfreulich friedlich, und dann doch wieder bedrohlich. Denn jetzt ist Wahlkampf. Das Schlüsselwort ist "jetzt". Für später stehen deutsche Patriot-Abwehrraketen in der Türkei bereit, kaum 100 Kilometer hinter der Grenze zu Syrien. Da ist für jeden Bündnisfall angerichtet. Ein Weltkrieg ohne die Deutschen, das ginge gar nicht, beruhigte sich Schlappi, zündete sich eine an, aschte achtlos ins Mittelmeer und spuckte in hohem Bogen hinterher. Dabei rutschte ihm seine rundum verspiegelte Sonnenbrille von der Nase. Platsch, weg war sie. Nun konnte er sich kaum noch selbst in die Augen sehen. Umso greller stach ihm das frische, friedlich helle Blau ringsum in dieselben. Unangenehm für Dunkelmänner.
Wolfgang Blaschka, München