Gaucks Diplomatie: Wie ein Präsident protestiert

1 Beitrag / 0 neu
Bild des Benutzers Wolfgang Blaschka
Wolfgang Blaschka
Offline
Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Gaucks Diplomatie: Wie ein Präsident protestiert
DruckversionPDF version

Gaucks Diplomatie

Wie ein Präsident protestiert


Joachim Gauck ist gelernter Protestant. Erst wurde er Pfarrer, dann Endzeit-Bürgerrechtler, später bundesoberster Stasi-Aktenverwalter, und schließlich allerhöchster deutscher Präsident und Freiheits-Prediger. Er lässt sich mit dem Kennzeichen "0-1" kutschieren. Das sei das Ende der Fahnenstange, möchte man meinen. Mehr geht kaum in einem Menschenleben, denken sich Lieschen Müller und Mäxchen Klein. Doch lebenslanges Lernen nimmt kein Ende bis zur finalen Löffelabgabe. Gauck müsste auf seine alten Tage noch einen draufsatteln und auf Protestler umschulen. Eine Rolle, die er sich nicht einmal selbst abnimmt. Darum lässt er es behutsam angehen und sagt einfach erstmal gar nichts. Er weigert sich nach Sotschi zu fahren, sagt aber nicht warum. Dabei hätte er sogar eine Ehrenkarte für die Olympischen Winterspiele auf der Krim und einen Freiflug dahin und wieder zurück. Den lässt er schnöde verfallen.

Der russische Präsident hätte ihm sogar eine eigene Protestmeile eingerichtet, wo er mit einem selbst gemalten Schild auf und ab marschieren hätte können. Aber Gauck bockt. Zu Putins Propagandashow will er nicht, erklären will er das aber auch nicht so direkt. Nicht dass ihm Wladimir Putin noch böse wäre! Ein unerklärter Protest also, eine ganz neue Form des Aufbegehrens. Dabei würde ihm die devote Hofberichterstattung jedes auch nur beiläufig hingeworfene Wort zur Schlagzeile aufpumpen. Ein Blitzlichtgewitter würde jeden seiner Auftritte, und seien es nur Besuche im Trainingsquartier des Olympia-Teams, zu fulminanten Leuchtfeuern der "Freiheit" stilisieren, gegen Despotismus, Oligarchie, Schwulenfeindlichkeit und überhaupt. Ein prominenterer Demonstrant wäre kaum zu finden. Selbst die feministische Gruppe FEMEN würden dagegen abstinken. Doch er möchte sie nicht in den Schatten stellen, gendermäßig korrekt. Und sich nicht ins Rampenlicht.

Angela Merkel dagegen fährt, sagt aber selbstredend auch nichts, vermutlich. Es reicht, dass sie als lebendes Mahnmal anwesend ist. Ein Zucken der Mundwinkel wird ihr Missfallen bis in den Kreml dröhnen lassen. Putin wird vor ihrem stummen Vorwurf erschauern, in ihren Augen ein Schuft zu sein. Bei jedem Armhochreißen wird er die Botschaft erahnen: Sie ist so frei sich zu freuen, wenn sie sich freut. In ihrer Jugend konnte sie das nicht, wird sich Putin denken und schamhaft erröten, wenn die arme Angela nach freudlosen Jugendjahren ihre Arme hochreißt. Von Gaucks Nicht-Anwesenheit wird im Medaillen-Regen niemand etwas bemerken. Auch in Südafrika fehlte die Kanzlerin niemandem wirklich. Wer nicht da ist und nicht sagt warum, wird einfach nicht wahr genommen, egal warum. Dafür war Gauck dort, um Nelson Mandelas Tod diplomatisch zu nutzen, um vergessen zu machen, dass die Bundesrepublik Deutschland, die er in persona so formidabel repräsentiert, bis zum bitteren Ende des Apartheid-Regimes zu diesem stand. Aber das war längst vor seiner Zeit, lange vor der Wende. Vielleicht hat er das in der DDR einfach anders erlebt. Dort wurde Nelson Mandelas Entlassung aus 27-jähriger Gefängnishaft gefeiert, im Westen pragmatisch bis zähneknirschend begrüßt, als nichts mehr anderes übrigblieb. Das lief ähnlich wie beim Sturz Mubaraks. Kaum war der weg, erglühte die deutsche Staatsspitze im Arabellions-Pathos, keine Sekunde früher.

Wenn also Angela Merkel nicht in Südafrika und Gauck nicht in Sotschi auftaucht, andersherum aber sehr wohl, dann hat das durchaus Gründe: Deutschland hätte im Ausland zwei Gesichter, mit dem Draußenminister sogar drei. Dieses Dreigestirn tritt selten komplett auswärts auf, anders als bei heimischen Karnevalsveranstaltungen. Da hätte schon der deutsche Papst im Amt dahinscheiden müssen, dann wäre auch noch Seehofer mit dabei gewesen. Ansonsten gilt: Ein Deutschland-Vertreter muss genügen. Nicht dass die Leute am Ende noch denken, es gäbe wieder zwei deutsche Staaten. Dass immer einer demonstrativ zuhause bleibt, gibt genügend Anlass zu Spekulationen, warum wer wo da ist und wer extra nicht. Es sichert die Geheimdiplomatie der Republik in jedem Fall ab, denn man kann immer darauf verweisen, dass jemand da war, und für den Fall irgendwelcher Zweifel lässt sich akkurat belegen, dass einer nicht da war, selbstverständlich aus stillem und unerklärlich unerklärtem Protest. Ach, wären sie doch beim Entsenden deutscher Soldaten auch so zurückhaltend!

Die Vakanz-Abstinenz wird so zur politischen Waffe. Ebenso die Anwesenheit des jeweils Anderen. Die chiffrierten Signale, die Deutschland damit in die Welt sendet, wären nicht einmal für die NSA vollends ergründlich, so subtil könnten sie ausfallen. Was wöge schwerer: Das Fernbleiben der Kanzlerin oder des Bundespräsidenten? Oder gar die Nicht-Anwesenheit der Bundeswehr?! Immerhin hat sich Angela Merkel ins Kondolenzbuch der Südafrikanischen Botschaft eingetragen. Vielleicht findet Gauck ja noch eine Gelegenheit zu einer mutigen Freiheitsrede auf irgendeinem Christkindlmarkt in der Nähe eines Wodka-Standes. Ein kräftiger Schluck, und dann der herzerwärmende Ausruf: Nastrowje! Das wäre wenigstens rundum interpretationsfähig. Kolumnisten und Kommentatoren warten nur darauf; sie würden sowas spaltenweise einordnen, gewichten und bewerten. Eine "Brennpunkt"-Sondersendung wäre da nicht ausreichend. So aber gilt. Gauck drückt sich. Der Vielredner schweigt. Der Bundespräsident hat nichts zu melden. So ist es wohl. Die Wirtschaftsbeziehungen gehen vor. Darum haben die deutschen Unterhändler in der Republik Ukraine auch so auf die Pauke gehaut, wegen der Wirtschaftsbeziehungen.

Dabei soll nicht-artikulierter Protest wesentlich mächtiger wirken als der lauthals vorgetragene. Man merkt das am täglichen nicht hallenden Aufschrei: Irgendwie beklemmend! So hatte beispielsweise keine einzige Groß-Demonstration gegen die Bildung einer Großen Koalition (GroKo) stattgefunden. Was das im Klartext zu bedeuten haben mag, könnten sich die Medienmacher in den grässlichsten Farben ausmalen: Tiefste Verachtung, hellste Empörung, heftigste Ablehnung der Bundesbürger, von denen diese Konstellation nun wirklich niemand gewählt haben kann, stand sie doch in keinem der Wahlprogramme, wurde sie im Gegenteil dezidiert ausgeschlossen von allen Beteiligten. Doch niemand nimmt diesen stummen Nicht-Protest der Wählerschaft zur Kenntnis. Das unterschwellig betretene Schweigen der Bevölkerung ist ja nun nicht so wichtig wie das kommentarlose Nicht-Reisen des Bundespräsidenten, oder? – Wenn sie sich da mal nicht getäuscht auf Dauer haben!

Wolfgang Blaschka, München
 



Bildquellen:


Autokennzeichen 0-1: Das offizielle Auto-Kennzeichen des deutschen Bundespräsidenten lautet seit jeher "0-1". Neben dem Audi A8 W12 findet man das Kennzeichen gelegentlich auch an anderen gepanzerten Limousinen deutscher Premiumhersteller wie 7er BMW oder Mercedes-Benz S-Klasse mit hohen Widerstandsklassen. Aus Sicherheitsgründen sind solche Repräsentativ-Nummernschilder meist nur kurzzeitig an den Fahrzeugen angebracht, ansonsten fahren diese mit zivilen Tarnnummern.

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit Wladimir Putin in Peterburg 2012, Foto: Presidential Press and Information Office, Quelle: Wikipedia Commons. Diese Datei stammt von der Webseite des russischen Präsidenten und ist urheberrechtlich geschützt. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 3.0 Unported-Lizenz. Kurz gesagt: Du darfst die Datei vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen sowie Bearbeitungen davon anfertigen, solange du www.kremlin.ru als Urheber nennst. Das Erlaubnisschreiben des Pressesprechers des russischen Präsidenten kann unter Kremlin authorisation-English.pdf eingesehen werden.


Bundespräsident Joachim Gauck  2009 – Foto: Sebastian Hillig Quelle: Wikipedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert. Das Foto wurde horizontal vom Admin gespiegelt.