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Konsens als Waffe
Divide et impera! – Teile und herrsche! Kaum eine andere Machtstrategie hat die menschliche Gesellschaft so sehr geprägt. Obwohl erst im Mittelalter von Machiavelli [4] beschrieben, datiert der Gebrauch dieser Strategie bis in die menschliche Frühzeit. Mit dem Beginn von Machtstreben dürfte man schnell erkannt haben, dass die zu beherrschende Gemeinschaft sich besser kontrollieren lässt, wenn sie in Interessengruppen aufgesplittert ist. So konnte am besten einer Vereinigung von Kräften, die sich gegen die beherrschende Macht richten, vorgebeugt werden.
In den demokratischen Gesellschaften hat diese Strategie teilweise an Bedeutung verloren, allerdings nur auf politischer Ebene, denn die wahren Machthaber sind heute Andere: „Diese Finanzoligarchie, bestehend aus Investmentbanken, Hedgefonds, Schattenbanken, Ratingagenturen und weiteren Akteuren, ist die derzeit dominierende zivile Weltmacht.“ Das sagt kein kommunistischer Ideologe, sondern Max Otte [5], Professor für BWL und hochangesehener Fondsmanager1. Für den Machterhalt der Oligarchen ist die Beherzigung von „Teile und herrsche!“ [6] geradezu existenziell. Denn in der ganzen Welt und quer durch alle politischen Lager formiert sich Widerstand gegen diese nicht legitimierte Herrschaft, und die revolutionäre Entwicklung der Kommunikation ermöglicht die rasche weltweite Vernetzung der Aktivitäten. Umso fieberhafter wird nach Schwachstellen in diesen Allianzen gesucht.
Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu vermuten, dass das Potential der unternehmensnahen Denkfabriken nicht allein genutzt wird, um die Strategie des Lobbyismus gegenüber der Politik zu optimieren, sondern auch für die Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung. Es ist wie der Wettlauf zwischen Hase und Igel, und bei allem Optimismus kann nicht davon ausgegangen werden, dass wir die Igel sind. Zu viel Trennendes steht der Bildung robuster Bündnisse im Wege, und leider spielen dabei persönliche Vorteilshaltungen und Eitelkeiten eine tragische Rolle. Ayse Sagir bringt es auf den Punkt: „Während die Kontrahenten mit sich selbst beschäftigt waren, konnten die Spalter ihre politischen Absichten in Ruhe weiter verfolgen. Getreu dem Grundsatz, man gebe den Kindern Spielzeug und arbeite im Haushalt weiter.“2
Philosophische Tiefgänge bringen uns nicht weiter, ebenso wenig wie Träume von der Abschaffung des Kapitalismus, von sich selbst bescheidenden Bürgern oder einer Gesellschaft, deren höchstes Ideal die Solidarität ist. Wir brauchen realisierbare Ziele, und wir brauchen Konsens, wie diese gemeinsam angegangen werden können. Konsens ist nur möglich, wenn es Dialogpartner gibt, die in ihren Grundpositionen übereinstimmen, die aber auch bereit sind, unterschiedliche Wege und Lösungsansätze zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu akzeptieren. Diese Partnersuche muss im Kleinen beginnen und zwar mit Positionsbestimmung und dem Abstecken eines Konsensrahmens. Potentielle Verbündete werden sich nur dann finden, wenn diese Voraussetzungen in überzeugender Weise erfüllt sind. Dann aber ist ein solides Fundament errichtet, auf dem ein breiter Konsens entstehen kann; und der wäre tatsächlich eine unschlagbare Waffe gegen die Teile-und-Herrsche-Strategie.
Auch Goethe hatte sich darüber seine Gedanken gemacht: „Entzwei und gebiete! Tüchtig Wort. – Verein und leite! Besserer Hort.“3
Klingt gut, aufklärerisch-romantisch, aber der Dichterfürst hat wohl die historische Realität ein wenig vernachlässigt, denn das Vereinen und Leiten war immer Ausgangspunkt von erneutem Entzweien und Gebieten. Ein moderner Konsens muss deshalb die Prämisse enthalten, dass Keinem die Leitung zukommt. Solch Ansatz ist erst in der heutigen Zeit mit den neuen Möglichkeiten der Kommunikation denkbar. Die Grundsatzpositionen werden nicht von Einzelpersonen formuliert, sondern entstehen im breiten Dialog. Solch ein Herangehen war in Vor-Internet-Zeiten nicht denkbar, hätte die Einberufung von Konferenzen und jahrelangen Schriftverkehr bedeutet, ganz abgesehen von der Frage, wie man überhaupt alle potentiellen Dialogpartner hätte finden sollen. Von daher war die Ernennung von Führern innerhalb einer Bewegung unabdingbar. Sicher wird es auch heute Vordenker geben, Aktivisten, die sich stärker in der Bewegung engagieren als Andere, aber es darf Keinem zugestanden werden, eine Führungsrolle oder gar ein Diktat auszuüben. Daran würde der Konsens unweigerlich zerbrechen.
Auf welcher Plattform kann der Dialog zur Formulierung tragfähiger Konsenspositionen stattfinden? Inzwischen gibt es tausende von Blogs, die sich mit politischen Fragen auseinandersetzen. Alle stecken noch in den Kinderschuhen und schlagen sich mit den gleichen Kinderkrankheiten: Unwissenheit, Ignoranz, Sturheit, Sendungsbewusstsein. Hier ist eine integrative Kraft gefragt, und eine solche sehe ich im Kritischen Netzwerk: ein neutrales Portal, das keiner Bewegung angehört, sich aber dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt und progressive Bewegungen unterstützt. Hier könnten die eingebrachten Meinungen nach objektiven und rationalen Kriterien gewichtet und in Positionspapieren zusammengefasst werden. Es könnte den Dialog zu wichtigen Zukunftsfragen begleiten und koordinieren. Und es wäre am besten gewappnet gegen Versuche von Fehlinformation und Diskreditierung seitens der Teile-und-Herrsche-Strategen.
Klaus Fürst
► Fußnoten:
1 Max Otte „Stoppt das EURO-Desaster“ Berlin: Ullstein 2011
2 Ayse Sagir „Divide et impera – Teile und herrsche“ http://integrationsblogger.de 30.10.2012
3 Johann Wolfgang Goethe „Berliner Ausgabe. Poetische Werke, Band 1, S. 456, Berlin: Aufbau 1960
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