Konsens als Waffe

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Klaus Fürst
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Konsens als Waffe
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Konsens als Waffe


Divide et impera! – Teile und herrsche! Kaum eine andere Machtstrategie hat die menschliche Gesellschaft so sehr geprägt. Obwohl erst im Mittelalter von Machiavelli beschrieben, datiert der Gebrauch dieser Strategie bis in die menschliche Frühzeit. Mit dem Beginn von Machtstreben dürfte man schnell erkannt haben, dass die zu beherrschende Gemeinschaft sich besser kontrollieren lässt, wenn sie in Interessengruppen aufgesplittert ist. So konnte am besten einer Vereinigung von Kräften, die sich gegen die beherrschende Macht richten, vorgebeugt werden.
 

In den demokratischen Gesellschaften hat diese Strategie teilweise an Bedeutung verloren, allerdings nur auf politischer Ebene, denn die wahren Machthaber sind heute Andere: „Diese Finanzoligarchie, bestehend aus Investmentbanken, Hedgefonds, Schattenbanken, Ratingagenturen und weiteren Akteuren, ist die derzeit dominierende zivile Weltmacht.“ Das sagt kein kommunistischer Ideologe, sondern Max Otte, Professor für BWL und hochangesehener Fondsmanager1. Für den Machterhalt der Oligarchen ist die Beherzigung von „Teile und herrsche!“ geradezu existenziell. Denn in der ganzen Welt und quer durch alle politischen Lager formiert sich Widerstand gegen diese nicht legitimierte Herrschaft, und die revolutionäre Entwicklung der Kommunikation ermöglicht die rasche weltweite Vernetzung der Aktivitäten. Umso fieberhafter wird nach Schwachstellen in diesen Allianzen gesucht.

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu vermuten, dass das Potential der unternehmensnahen Denkfabriken nicht allein genutzt wird, um die Strategie des Lobbyismus gegenüber der Politik zu optimieren, sondern auch für die Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung. Es ist wie der Wettlauf zwischen Hase und Igel, und bei allem Optimismus kann nicht davon ausgegangen werden, dass wir die Igel sind. Zu viel Trennendes steht der Bildung robuster Bündnisse im Wege, und leider spielen dabei persönliche Vorteilshaltungen und Eitelkeiten eine tragische Rolle. Ayse Sagir bringt es auf den Punkt: „Während die Kontrahenten mit sich selbst beschäftigt waren, konnten die Spalter ihre politischen Absichten in Ruhe weiter verfolgen. Getreu dem Grundsatz, man gebe den Kindern Spielzeug und arbeite im Haushalt weiter.2

Philosophische Tiefgänge bringen uns nicht weiter, ebenso wenig wie Träume von der Abschaffung des Kapitalismus, von sich selbst bescheidenden Bürgern oder einer Gesellschaft, deren höchstes Ideal die Solidarität ist. Wir brauchen realisierbare Ziele, und wir brauchen Konsens, wie diese gemeinsam angegangen werden können. Konsens ist nur möglich, wenn es Dialogpartner gibt, die in ihren Grundpositionen übereinstimmen, die aber auch bereit sind, unterschiedliche Wege und Lösungsansätze zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu akzeptieren. Diese Partnersuche muss im Kleinen beginnen und zwar mit Positionsbestimmung und dem Abstecken eines Konsensrahmens. Potentielle Verbündete werden sich nur dann finden, wenn diese Voraussetzungen in überzeugender Weise erfüllt sind. Dann aber ist ein solides Fundament errichtet, auf dem ein breiter Konsens entstehen kann; und der wäre tatsächlich eine unschlagbare Waffe gegen die Teile-und-Herrsche-Strategie.

Auch Goethe hatte sich darüber seine Gedanken gemacht: „Entzwei und gebiete! Tüchtig Wort. – Verein und leite! Besserer Hort.3

Klingt gut, aufklärerisch-romantisch, aber der Dichterfürst hat wohl die historische Realität ein wenig vernachlässigt, denn das Vereinen und Leiten war immer Ausgangspunkt von erneutem Entzweien und Gebieten. Ein moderner Konsens muss deshalb die Prämisse enthalten, dass Keinem die Leitung zukommt. Solch Ansatz ist erst in der heutigen Zeit mit den neuen Möglichkeiten der Kommunikation denkbar. Die Grundsatzpositionen werden nicht von Einzelpersonen formuliert, sondern entstehen im breiten Dialog. Solch ein Herangehen war in Vor-Internet-Zeiten nicht denkbar, hätte die Einberufung von Konferenzen und jahrelangen Schriftverkehr bedeutet, ganz abgesehen von der Frage, wie man überhaupt alle potentiellen Dialogpartner hätte finden sollen. Von daher war die Ernennung von Führern innerhalb einer Bewegung unabdingbar. Sicher wird es auch heute Vordenker geben, Aktivisten, die sich stärker in der Bewegung engagieren als Andere, aber es darf Keinem zugestanden werden, eine Führungsrolle oder gar ein Diktat auszuüben. Daran würde der Konsens unweigerlich zerbrechen.

Auf welcher Plattform kann der Dialog zur Formulierung tragfähiger Konsenspositionen stattfinden? Inzwischen gibt es tausende von Blogs, die sich mit politischen Fragen auseinandersetzen. Alle stecken noch in den Kinderschuhen und schlagen sich mit den gleichen Kinderkrankheiten: Unwissenheit, Ignoranz, Sturheit, Sendungsbewusstsein. Hier ist eine integrative Kraft gefragt, und eine solche sehe ich im Kritischen Netzwerk: ein neutrales Portal, das keiner Bewegung angehört, sich aber dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt und progressive Bewegungen unterstützt. Hier könnten die eingebrachten Meinungen nach objektiven und rationalen Kriterien gewichtet und in Positionspapieren zusammengefasst werden. Es könnte den Dialog zu wichtigen Zukunftsfragen begleiten und koordinieren. Und es wäre am besten gewappnet gegen Versuche von Fehlinformation und Diskreditierung seitens der Teile-und-Herrsche-Strategen.

Klaus Fürst
 



Fußnoten:


1 Max Otte „Stoppt das EURO-Desaster“ Berlin: Ullstein 2011

2 Ayse Sagir „Divide et impera – Teile und herrsche“ http://integrationsblogger.de 30.10.2012

3 Johann Wolfgang Goethe „Berliner Ausgabe. Poetische Werke, Band 1, S. 456, Berlin: Aufbau 1960

 
Bildquelle: Screenshot of free software GUESS, derivative work of File:Sna large.png, uncropped version, Bildautor: Screenshot taken by User:DarwinPeacock

 

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Franz Witsch
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Verbunden: 18.07.2013 - 17:22
Konsens als Waffe

Lieber Klaus Fürst,

Sie sagen, man müsse das Teile-und-herrsche-Prinzip überwinden. Dazu müssten Zusammenschlüsse im kleinen Kreis beginnen. Man benötige ein solides Fundament zur Herstellung eines Konsenses. Ich möchte bezweifeln, dass dies mit Ihren folgenden Aussagen gelingen kann:

[quote=Klaus Fuerst]Philosophische Tiefgänge bringen uns nicht weiter, ebenso wenig wie Träume von der Abschaffung des Kapitalismus, von sich selbst bescheidenden Bürgern oder einer Gesellschaft, deren höchstes Ideal die Solidarität ist. Wir brauchen realisierbare Ziele, und wir brauchen Konsens, wie diese gemeinsam angegangen werden können. Konsens ist nur möglich, wenn es Dialogpartner gibt, die in ihren Grundpositionen übereinstimmen, die aber auch bereit sind, unterschiedliche Wege und Lösungsansätze zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu akzeptieren. Diese Partnersuche muss im Kleinen beginnen und zwar mit Positionsbestimmung und dem Abstecken eines Konsensrahmens. Potentielle Verbündete werden sich nur dann finden, wenn diese Voraussetzungen in überzeugender Weise erfüllt sind. Dann aber ist ein solides Fundament errichtet, auf dem ein breiter Konsens entstehen kann; und der wäre tatsächlich eine unschlagbare Waffe gegen die Teile-und-Herrsche-Strategie.[/quote]
Die Aussagen enthalten Vorentscheidungen, die mit Allgemeinplätzen und Leeraussagen, also nicht hinreichend begründet werden, noch dazu bevor es eine Zusammenkunft im kleinen Kreis gegeben hat. Thesen werden dadurch erschlagen - mit der unausgesprochenen Botschaft, sie lieber zu verschweigen, um sich nicht ins Abseits zu stellen. In einem Diskurs, der im kleinen Kreis beginnt, dürfen Vorentscheidungen den Gang des Diskurses nicht von vorn herein bestimmen - noch bevor der kleine Kreis zusammentreten konnte. Alles muss auf den Tisch - in einer Art Brainstorming, wo Anregungen nicht hochfahrend ausgegrenzt, sondern ausgesprochen und diskutiert gehören. Alles kann wichtig sein, auch die These, dass es keinen sozialverträglichen Kapitalismus gibt.

Herzliche Grüße

Franz Witsch
 
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Klaus Fürst
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Verbunden: 27.06.2013 - 18:02
Konsens als Waffe


Lieber Franz Witsch,

ich kann nicht erkennen, am welcher Stelle mein Beitrag so missverständlich war. Sein Ziel war es ja gerade, keine Vorentscheidung zu treffen, sondern deutlich zu machen, dass in der Diskussion verschiedene Vorstellungen über Wege zu einem gemeinsamen Ziel akzeptiert werden müssen.

Im Übrigen geht es nicht um eine Zusammenkunft im kleinen Kreis, sondern um die grundsätzliche Vorgehensweise, wie Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, beginnen sollten, wenn sie etwas bewegen wollen. Aber ein gemeinsames Ziel sollte sie schon einen, sonst brauchen sie sich erst gar nicht zu versammeln.

Ein schönes Wochenende wünscht

 

Klaus Fürst

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Libra
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Verbunden: 02.10.2012 - 10:47
Wie kann ein Konsens erreicht werden


Seit Jahren gibt es in etlichen Foren kritische Stimmen gegen die destruktive neoliberale Entwicklung auf allen Ebenen. Nun bin ich gerade auf folgenden Link gestoßen:

http://www.geldsystem-verstehen.de/

Zwei Masterstudenten der Wirtschaftswissenschaften, die nach den Hintergründen der Kriesen fragten, geben hier einen Erklärungsversuch. Wichtig erachte ich zunächst, dass die Mehrheit der Bürger die Zusammenhänge versucht zu verstehen und begreift, wie er als Einzelner manipuliert und benutzt wird, mit dem Ziel, kritisches Denken zu wecken und zu vermitteln, dass man nicht alleine steht, um damit einen "Konsens als Waffe" überhaupt erst zu ermöglichen.

Am Ende der Fahnenstange sieht es dann so aus: Je mehr sich das "System" bedroht fühlt, desto aktiver wird es. Man sieht es an der AfD (was man auch immer davon hält).

Dazwischen liegt die Information und Kommunikation. Wobei wieder Jahre ins Land gehen. Denn da stellt sich auch das Problem der Erreichbarkeit.

 

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