Vom Saulus zum Paulus, von Helden und Terroristen
von Bernd Volkmer
So mancher Leser wird meinen, „hat der noch alle Tassen im Schrank“, weil dieser Artikel gegen Tabus verstößt und allgemein anerkannte Kausalitäten in Abrede stellt. Aber es geht um die Betrachtung vorherrschender Doppelmoral, anhand von Helden und Terroristen, nicht nur in der Politik, sondern auch in unserem Alltagsdenken, welches zu einer zunehmenden Polarisierung unserer Gesellschaft führt.
Am 20. Juli 2019 begingen wir, mit großem Pomp, den 75 Jahrestag des Hitler-Attentats durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Bundespräsident Steinmeier hat zum 75. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler den Widerstand gegen das NS-Regime gewürdigt [4]. So sagte er u.a. „Wir alle wissen: Es gab zu wenig Widerstand. Aber es gab die Mutigen, die nicht weggeschaut haben, die Mitmenschlichkeit bewahrt haben, die andere vor Verfolgung geschützt haben und die Naziverbrechen vereitelt haben.“ (> Pressemitteilung [5]) Heute ist klar und ganz selbstverständlich, die Tat war moralisch gerechtfertigt, richtete sie sich doch gegen einen der größten Verbrecher, in der Geschichte der Menschheit.
Diese Einsicht gab es aber nicht zu jeder Zeit [6]. Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg und in der jungen Bundesrepublik galten die „Personen des 20. Juli [7]“ um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Henning von Tresckow, noch als Vaterlandsverräter. Die DDR betrachtete sie als Teil des faschistischen Systems und nicht als Teil des Widerstandes gegen den Faschismus. Ja, die Verschwörer hatten mit einem Bombenattentat gegen den „Führer“ und einem vorbereiteten Putsch einen Umsturz herbeiführen wollen. Dabei ging es ihnen aber nicht darum, den Nationalsozialismus zu beseitigen, sondern den bereits verloren geglaubten Krieg zu beenden, um Deutschland in eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Kriegsgegnern zu bringen.
► Die Attentäter waren keine Demokraten
Sowohl von Stauffenberg, als auch von Tresckow und die anderen späteren Verschwörer waren keine Demokraten, sondern einst glühende Verehrer des Nationalsozialismus. Sie alle begrüßten 1933 die Machtergreifung Adolf Hitlers. Von Stauffenberg empfand den Beginn des Zweiten Weltkrieges, den er als Berufssoldat begann, als „Erlösung“. Er wurde in der 1. leichten Division (später 6. Panzer-Division [8]) im Polenfeldzug 1939 [9] eingesetzt. Von hier schrieb er an seine Frau Nina:
„Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“ – Claus Schenk Graf von Stauffenberg … [> Wikipedia [10]].
Noch kurz vor dem Attentat, am 1. Juni 1944 wurde von Tresckow mit 43 Jahren zum Generalmajor ernannt. Das also sind die „Helden“, die wir heute als Vorbilder betrachten. Waren sie nicht eigentlich feige Terroristen, die um ihre Zukunft nach einem verlorenen Krieg fürchteten und die Flucht nach vorn antraten?
Ich will keineswegs die verbrecherischen Taten des Nationalsozialismus rechtfertigen, aber Widerstandskämpfer mit unterschiedlicher Herkunft beziehungsweise weltanschaulicher Prägung und Motivation gab es im gesamten Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus schon bedeutend früher [11]. Ein Umdenken hinsichtlich der „Personen des 20. Juli“ begann in der Bundesrepublik erst in den 1950er Jahren, vor allem nach dem Remer-Prozess [12] 1952. Ab 1963 wurden öffentliche Gebäude zum Gedenken am 20. Juli beflaggt.
► Die geteilte deutsche Sicht auf die Dinge
Vom Saulus zum Paulus, von Helden und Terroristen. In der DDR wurde der antifaschistische Widerstand ausschließlich aus der Sicht der Arbeiterklasse betrachtet. Eine Neubewertung des Hitler-Attentats fand erst Anfang der 1980iger Jahre statt. „Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem 20. Juli war das Kolloquium aus Anlass der Würdigung des 40. Jahrestages des Umsturzversuches, das am 13. Juli 1984 in Ost-Berlin durchgeführt wurde.“
Unsere Sicht rechtfertigt heute einen terroristischen Akt, aus moralischen Gründen. Ich halte diese Betrachtung für nicht ganz unproblematisch, da sie auf dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ fußt und letztlich auch Selbstjustiz toleriert. Aus rechtlicher Bewertung wäre somit ein terroristischer Anschlag gerechtfertigt, wenn er sich gegen Verbrecher richtet. Sind es aber nicht gerade islamistische Selbstmordattentäter, die ihre Taten genau damit begründen? Sie bomben im Namen Allahs, gegen die Verbrechen der westlichen Welt und das dadurch verursachte Elend nicht nur in ihren Herkunftsregionen.
Unsere Doppelmoral heißt das eine „gut, lobenswert, vorbildlich“ und verurteilt das andere als „terroristisch, islamistisch und mörderisch“. Eine kritische Auseinandersetzung mit der anderen Seite derselben Medaille, in Bezug auf das Hitler-Attentat, findet nicht mehr statt. Terror darf kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung sein, egal auf welcher Seite und für welchen Zweck. Terror ist kein Instrument einer Demokratie. Die Geschichte hat genügend Beispiele dafür, dass mit friedlichem Protest auch Diktaturen stürzen können, ohne dass nur ein Schuss fällt. Der Herbst 1989 ist dafür ein immer wieder gern angeführter Beleg in der jüngsten deutschen Geschichte.
Bernd Volkmer (. . der Mobilfunk-Guru [13]).
► Quelle: Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht am 22. Juli 2019 auf dem Blog QPress.de des Kollegen Wilfried Kahrs >> Artikel [14]. Die Bilder und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..
► Bild- und Grafikquellen:
1. Hitler´s Eagle - Spuren der Vergangenheit: Reichsadler 1935–1945. Foto: Thomas Strosse, Tielt / Belgien. Quelle: Flickr [15]. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0 [16]).
2. Schriftzug "SELBER TERROR" auf Gehweg. Foto: Karsten Suehring. Quelle: Flickr [17]. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0 [18]).
3. Messerattacke: Unsere Sicht rechtfertigt heute einen terroristischen Akt, aus moralischen Gründen. Sie fußt auf dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ fußt und letztlich auch Selbstjustiz toleriert. Aus rechtlicher Bewertung wäre somit ein terroristischer Anschlag gerechtfertigt, wenn er sich gegen Verbrecher richtet. Sind es aber nicht gerade islamistische Selbstmordattentäter, die ihre Taten genau damit begründen? Sie bomben im Namen Allahs, gegen die Verbrechen der westlichen Welt und das dadurch verursachte Elend nicht nur in ihren Herkunftsregionen. Vektorgrafik: Clker-Free-Vector-Images. Quelle: Pixabay [19]. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz [20]. >> Vektorgrafik [21].