Warum gibt es keine Menschenrassen?
Tierrassen gibt es doch auch.
von Gábor Paál
► "Rassen" gibt es nur bei gezüchteten Haustieren
Auf die Frage nach den Rassen gibt es mehrere Antworten. Die erste ist: Auch Tierrassen gibt es in dem Sinn nur bei Haustieren – also etwa bei Hunden, Rindern oder Pferden. Das hat nichts mit natürlicher Evolution zu tun, sondern diese Tiere wurden vom Menschen gezielt auf bestimmte Eigenschaften hin gezüchtet. Bei Wildtieren gibt es das praktisch nicht. Es gibt keine Rassen bei Bären, Wölfen, Thunfischen oder Rotkehlchen.
► Arten sind keine Rassen
Was es gibt, sind Arten: Beispielsweise gibt es den Indischen und den Afrikanischen Elefanten. Und für die Abgrenzung von Arten gibt es klare Kriterien: Tiere zweier Arten können keine zeugungsfähigen Kinder bekommen. Es gibt aber nur eine Menschenart: Homo sapiens. Und es gibt kein sinnvolles Kriterium, um zwischen Unterarten oder eben Rassen zu unterscheiden. Der Vergleich mit der Tierwelt geht also schon mal ins Leere.
WARNUNG: Gefährliches Tier. Homo Sapiens. Wild und unberechenbar! Neigt zu unberechenbarem Verhalten und Stimmungsschwankungen. Äußerst launisch! Leicht erregbar! Vorsicht! Finger und Gliedmaßen fernhalten! Gibt man ihm den kleinen Finger, nimmt er gleich die ganze Hand! H.S.
► Unterschiede? Ja! – Rassen? Nein!
Das zweite Gegenargument zu angeblichen Menschenrassen liefert die Genetik [4]. Die alte Rassenlehre [5] vor 100 Jahren konzentrierte sich auf willkürlich herausgegriffene, ins Auge stechende Merkmale wie Hautfarbe, Haarstruktur oder Schädelform. Und sie bildete daraus, ebenso willkürlich, verschiedene Gruppen.
Nun weiß aber jeder, der mal ein bisschen durch die Welt gereist ist, dass die Hautfarben der Bevölkerung nicht an irgendeiner Grenze plötzlich umschlagen. Sondern zwischen hellhäutig und dunkelhäutig gibt es unendlich viele Schattierungen, zwischen glatten und lockigen Haaren ebenfalls. Das ist bei vielen anderen Merkmalen ebenso. Es ergibt keinen Sinn, bei einem bestimmten Dunkelwert der Haut eine Linie zu ziehen und zu sagen, alle Menschen, die dunkler sind, bilden eine eigene Rasse.
► Genetik widerlegt Rassenlehre
Die Genetik bestätigt genau das: Natürlich gibt es genetische Unterschiede zwischen den Durchschnitts-Europäern und Durchschnitts-Afrikanern. Aber wir haben ja nicht nur Gene für Haut und Haare, sondern auch Gene, die beeinflussen, wie groß wir werden, ob wir anfällig sind für Fettleibigkeit, Herzinfarkte oder Depressionen und viele andere Erbanlagen. Unterm Strich unterscheiden sich die Menschen innerhalb Europas genetisch viel stärker als sie sich insgesamt etwa von den Menschen in Afrika unterscheiden. Auch deshalb ergibt es keinen Sinn, von Rassen zu sprechen.
Übrigens sind nirgendwo die genetischen Unterschiede so groß wie innerhalb Afrikas. Einfach weil unsere Vorfahren bis vor etwa 80.000 Jahren dort gelebt haben. Man kann ja über Gene durchaus Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Bevölkerungsgruppen ermitteln. Dann zeigt sich, dass weiße Europäer mit Ostafrikanern wesentlich enger verwandt sind, als Ostafrikaner mit indigenen Südafrikanern. Also: Alle Afrikaner in einen Topf zu werfen – auf die Idee kann nur jemand Weißes kommen.
► Rassismus führte zu Rassenlehre – nicht umgekehrt
Und genauso war es auch: Der Rassismus ist nicht etwa Ergebnis einer wissenschaftlichen Rassenlehre, sondern es war umgekehr. Die Rassentheorie ist ein Produkt des Kolonialismus, entstanden aus dem Bedürfnis, eine Begründung zu liefern, um zwischen angeblich höher- und niederwertigen Menschen zu unterscheiden. So steht es auch in der 'Jenaer Erklärung [6]', die Zoologen und Evolutionsforscher 2019 veröffentlicht haben.
[Auf der Jahrestagung im September 2019 verabschiedete die 'Deutsche Zoologische Gesellschaft' (DZG) unter Martin S. Fischer [7], Uwe Hoßfeld [8], Johannes Krause [9] und Stefan Richter die 'Jenaer Erklärung', nach der das Konzept der Menschenrassen [5] "Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung" sei. Die Einteilung der Menschen in Rassen wird dabei als gesellschaftliche und politische Typenbildung bezeichnet, gefolgt und unterstützt durch eine anthropologische Konstruktion auf der Grundlage willkürlich gewählter Eigenschaften wie Haar- und Hautfarbe. H.S.]. Dort heißt es über die Idee der Menschenrassen:
„Es gibt hierfür keine biologische Begründung und tatsächlich hat es diese auch nie gegeben.“
Aus der „Jenaer Erklärung [10]“, 2019.
► Wenn es keine Rassen bei Menschen gibt, kann es dann "Rassismus" geben?
Selbstverständlich. Solche Wörter auf "-ismus" beschreiben ja immer das Weltbild der jeweiligen Person. Ein "Animist" glaubt an die Beseeltheit der gesamten Welt, ein "Monotheist" an genau einen Gott, ein "Atheist" an keinen. Genauso ist es mit Buddhismus, Kapitalismus, Kommunismus. Das, was vor dem "-ismus" steht, sagt also nichts darüber, was wirklich ist, sondern nur, woran die Menschen, die diese "Lehre" vertreten, glauben. Jemand, der – wissenschaftswidrig – glaubt, dass es sinnvoll ist, Menschen nach äußeren Merkmalen in Schubladen stecken zu können, kann deshalb weiter als "Rassist" bezeichnet werden.
Gábor Paál
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Gábor Paál, leitet die Redaktion SWR2 Wissen. Soweit dann noch Zeit bleibt, produziert er auch selbst Beiträge und Sendungen. Einerseits haben es ihm Erd-Themen angetan. Klima, Welternährung, globale Konflikte, natürlich Ressourcen: Da schimmert noch das Studienfach Geographie durch. Er reiste für seine Feature nach Argentinien, Indonesien, Syrien und Schottland [11], oft ging es dort um Wälder und Meere, Landwirtschaft und Fische.
Auf der anderen Seite beschäftigen ihn „realphilosophische“ Fragen an der Grenze zwischen „Geist und Natur“. Seine erste Sendung für den Schulfunk – den Vorläufer von SWR2 Wissen – war 1993 ein Porträt des Biologen und Naturphilosophen Gregory Bateson, dessen Bücher (es sind zum Glück nicht so viele) ihn sehr geprägt haben. Sein eigenes realphilosophisches Thema ist das Phänomen Schönheit. Fragen der Ästhetik beschäftigen ihn seit seinem Studium.
Nach einem ersten Fachbuch, einigen Aufsätzen und Sendungen (beispielsweise „Die Vermessung der Schönheit [12]“) erschien 2020 sein Buch "Was ist schön? – Die Ästhetik in allem". (306 Seiten, ISBN: 978-3-8260-7104-1, ersch. 2020 im Verlag Königshausen & Neumann GmbH, 97082 Würzburg).
Kurzinhalt: »Was verbindet die Schönheit eines Konzerts mit der eines Gesichts, einer mathematischen Formel oder einer Bergwanderung? Gábor Paáls Ästhetik beantwortet diese Frage, indem sie Schönheit nicht in Objekten, sondern in Erkenntnisprozessen sucht. Das Modell ist so einfach wie umfassend. Paál unterscheidet vier Dimensionen von Schönheit, die er E-, O-, S- und K-Werte nennt und anhand vieler Beispiele veranschaulicht. Er stützt sich dabei auch auf experimentelle Forschungen der jüngsten Zeit. Sie zeigen, unter welchen Bedingungen wir Schönheit erleben, und was dabei im Gehirn passiert. Wer Paáls Modell verinnerlicht hat, weiß, unter welchen Voraussetzungen Arbeiten und Lernen schön sein können. Und warum auch für die Wissenschaft Schönheit unverzichtbar ist.«
Paáls Berichte wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Heureka-Preis für Wissenschaftsjournalismus, dem Medienpreis Entwicklungspolitik, dem Medienpreis der Deutschen Geographie und dem UmweltMedienpreis.
► Quelle: Der Artikel von Gábor Paál und ein 3-Min.-Video wurden am 15.6.2020 beim SWR / SWR2 Wissen eröffentlicht >> weiter [13]. Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0 [14]).
ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. folgende Kriterien oder Lizenzen, s.u.. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Warnschild mit dem Hinweis: WARNUNG: Gefährliches Tier. Homo Sapiens. Wild und unberechenbar! Neigt zu unberechenbarem Verhalten und Stimmungsschwankungen. Äußerst launisch! Leicht erregbar! Vorsicht! Finger und Gliedmaßen fernhalten! Gibt man ihm den kleinen Finger, nimmt er gleich die ganze Hand! (WARNING: Dangerous Animal. Homo Sapiens. Wild and unpredictable! Prone to erratic behaviour and mood swings. Extremely cranky! Easily agitated! Caution. Keep fingers and limbs away! Given an inch - Will take a mile!). Foto: WeekendOClock / Weekend O'Clock, Virginia Beach/USA. Quelle: Pixabay [15]. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz [16]. >> Foto [17].
2. Originalbildtext: Die fünf Menschenrassen. Das Bild zeigt fünf Männer (Kopf und Oberkörper) aus verschiedenen Kulturkreisen: oben links einen Indianer, rechts daneben einen australischen Ureinwohner (Aborigine), im Zentrum einen Europäer, unten links einen Afrikaner, der als einziger im Profil gezeigt wird, rechts daneben einen Asiaten. Die Unterschiede werden am Äußeren, Kleidung, Schmuck und dem Gesicht, deutlich. Die Anordnung der Köpfe, bei der der Europäer im Zentrum als größte Figur steht, weist auf das eurozentrische Weltbild der damaligen Zeit (Anfang 20. Jh.) hin. Die Rassentheorie, welche die Menschheit in verschiedene Rassen einteilt, gilt heute als überholt. Chromolithographisches Plakat. Urheber/Illustrator: G. Ellka. Veröffentlichungsdatum: 1911. Quellen: Meinhold und Söhne C.C., Dresden. / Wikimedia Commons [18]. Dieses Werk ist gemeinfrei [19], weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.
3. Evolution: Vor knapp sieben Millionen Jahren begann in Afrika die Erfolgsgeschichte des Menschen. Mit vielen, vielen Zwischenstufen wurde daraus der heutige Mensch. Als Stammesgeschichte des Menschen wird das durch Evolution [20] bedingte Hervorgehen des modernen Menschen [21] (Homo sapiens) und seiner nächsten Verwandten aus gemeinsamen Vorfahren bezeichnet. Die Stammesgeschichte des Menschen begann nach heutiger Auffassung mit der Aufspaltung der letzten gemeinsamen Vorfahrenpopulation der Schimpansen und des Menschen. >> Artikel bei Wikipedia [22]. Foto: jplenio / Johannes Plenio. Quelle: Pixabay [15]. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz [16]. >> Foto [17].