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Aktualisiert: vor 53 Minuten 42 Sekunden

Springer-Konzern: Nutzte Hauptaktionär KKR den Medienkonzern für politische Einflussnahme?

14. November 2024 - 9:38

Die BILD-Zeitung war klare Gegnerin des Heizungsgesetzes. Welche Rolle spielte dabei Springer-Hauptaktionär KKR? Neue Dokumente belegen zumindest, dass der Finanzinvestor in Deutschland Lobbyarbeit betreibt. Wir untersuchen die Fakten dazu.

Seit fünf Jahren steht der US-amerikanische Investmentriese KKR hinter Deutschlands größtem Medienkonzern Springer. 2025 will KKR das Mediengeschäft von Springer wieder abgeben. Wir ziehen Bilanz und rollen ungeklärte Fragen auf.

KKR investiert umfangreich in fossile Energieträger. Deshalb gibt es immer wieder Spekulationen, dass KKR mit dem Springer-Konzern auch die deutsche Klimapolitik beeinflussen wollte. Tatsächlich liegen nun erstmals Dokumente vor, die zeigen, dass KKR in Deutschland Lobbyarbeit zum Thema Energiepolitik betrieb. Doch welche Zusammenhänge, Interessen und Einflusskanäle gibt es wirklich – und was lässt sich belegen? Ein Faktencheck.

Zusammenfassung:

  • Es gibt immer wieder Spekulationen darüber, dass der Springer-Hauptaktionär KKR Einfluss auf die BILD-Zeitung genommen hat, um fossile Interessen in Deutschland durchzusetzen. Als Beispiel dafür dient die Debatte um das Heizungsgesetz, gegen das die BILD-Zeitung Stimmung gemacht hatte.
  • KKR hat als Anteilseigner fossiler Firmen – wie unter anderem LNG-Terminals – ein geschäftliches Interesse daran, Klimaschutzgesetze zu verhindern oder zumindest zu verwässern. Dazu könnte auch das deutsche Heizungsgesetz zählen.
  • LobbyControl liegen erstmals Belege dafür vor, dass KKR in Deutschland Lobbyarbeit für energiepolitische Themen macht. Es bleibt aber unklar, zu welchen Fragen Einfluss genommen wurde. Auffällig ist allerdings, dass es besonders viele Treffen zwischen KKR und Kanzleramt vor und während der Debatte um das Heizungsgesetz gab.
  • In der Vergangenheit gab es bereits Einflussnahme des Springer-Konzerns auf die Redaktion der BILD-Zeitung. Die Döpfner-Leaks hatten gezeigt, dass Springer-Chef Döpfner über die BILD-Zeitung die FDP stärken wollte. Die FDP wiederum war wesentlich daran beteiligt, das ursprünglich geplante Heizungsgesetz zu verzögern und zu verwässern.
  • Zusammengefasst:
    a) KKR hat wirtschaftliche Interessen daran, Klimaschutzgesetze zu verwässern.
    b) KKR hat Lobbyarbeit zu energiepolitischen Fragen geleistet.
    c) Es erscheint nicht gänzlich abwegig, dass KKR die BILD-Zeitung auch für Einflussnahme rund um das Heizungsgesetz genutzt haben könnte. Konkrete Belege dafür gibt es allerdings nicht. Vor allem aber zeigt sich, wie problematisch die Machtkonzentration durch große Medienhäuser wie Springer ist.
KKR und Springer

Ab 2019 übernahm der Finanzkonzern KKR einen großen Teil der Aktien des Axel-Springer-Konzerns und löste damit Unternehmenserbin Friede Springer als größte Aktionärin ab. Der Konzern KKR hält 35,6 % der Anteile des multinationalen Medienkonzerns, zu dem Marken wie Bild, Die Welt, Business Insider, Politico oder der Fernsehsender Welt (ehemals N24) gehören.

Mit gleich drei Posten im Springer-Aufsichtsrat übernahm KKR zudem wichtige Schlüsselpositionen und hat seitdem erheblichen Einfluss innerhalb des Konzerns. Vorstandschef Mathias Döpfner sowie Unternehmens-Erbin und vormalige Haupteigentümerin und Aufsichtsrätin Friede Springer ziehen mit KKR laut interner Vereinbarung zusammen an einem Strang.

Wer ist dieses einflussreiche Unternehmen im Springer-Konzern? KKR (Kohlberg Kravis Roberts & Co.) ist eine der größten Beteiligungsgesellschaften der Welt. Der Konzern hält Anteile an Unternehmen mit einem Gesamtvolumen von über 553 Milliarden Dollar. In Deutschland ist KKR Mehrheitseigner u. a. der Immobilienkonzerne Velero, des Rüstungskonzerns Hensoldt und von RTL II.

KKR ist auf „Private Equity“-Geschäfte spezialisiert. Das bedeutet, dass der Konzern öffentlich gehandelte Unternehmen aufkauft und von der Börse nimmt – und trägt so dazu bei, sie dem Licht der Öffentlichkeit zu entziehen. Wenn KKR die Kontrolle über ein Unternehmen konsolidiert hat, folgen häufig Umstrukturierungen wie Massenentlassungen, Aufspaltungen oder Fusionen, um das Unternehmen profitabler zu machen. Nach einer gewissen Zeitspanne wird dann das nun wertvollere Unternehmen wieder abgestoßen und auf diese Weise Gewinn erzielt.

Ganz ähnlich ist das auch nach dem Einstieg von KKR bei Springer passiert: Springer wurde massiv umstrukturiert, Mitarbeiter:innen entlassen und nun steht KKR vor dem Ausstieg aus dem Mediengeschäft. Denn der Konzern Springer soll aufgespalten werden: Das deutlich lukrativere Kleinanzeigengeschäft wird bei KKR verbleiben, während das klassische Mediengeschäft zukünftig allein in der Hand von Mathias Döpfner liegt. Darauf hat sich der Konzern-Vorstand mit KKR geeinigt. KKR hatte bereits beim Einstieg 2019 angekündigt, nach fünf bis sieben Jahren wieder aussteigen zu wollen und hält sich jetzt an den eigenen Zeitplan.

Das alles spricht dafür, dass KKR tatsächlich bei Springer einstieg, um mit Umstrukturierungen und Wiederverkauf Geld zu verdienen – und nicht etwa, um Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen. Doch es gibt weitere Besonderheiten.

KKR: ein fossiler Investor

Auffällig an KKR ist: Der Konzern verdient erheblich am Geschäft mit fossilen Rohstoffen. Als eine der weltweit größten Private-Equity-Firmen besitzt KKR Anteile an 19 Firmen aus dem Bereich fossile Energien (Stand Juli 2024). Darunter befinden sich unter anderem große US-amerikanische Öl-Pipelines und laufende und geplante LNG-Terminals. KKR zählt damit zu den größten privaten Finanziers fossiler Firmen.

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KKR ist besonders aktiv im deutschen Markt. Nach eigener Aussage, in einem Schreiben von KKR ans Kanzleramt, das LobbyControl vorliegt, hatte das Unternehmen im Jahr 2022 über 11 Milliarden Euro in 29 Unternehmen im deutschsprachigen Raum investiert und 39 ihrer global agierenden Unternehmen waren auch in Deutschland tätig. Die Beteiligungen an US-amerikanischen LNG-Terminals wie etwa Port Arthur ist ebenfalls von Bedeutung für den deutschen Markt: Von dort könnte zukünftig Gas an die neu gebauten deutschen LNG-Terminals geliefert werden.

KKR hatte also aufgrund seines Investmentportfolios ein geschäftliches Interesse daran, den Ausstieg aus fossilen Energien möglichst lange hinauszuzögern – und zwar speziell auch in Deutschland. Entsprechend relevant sind politische Initiativen in diese Richtung. Dazu zählte in Deutschland vor allem die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes – oder anders ausgedrückt: die Lobbyschlacht um das Heizungsgesetz.

„Habecks Heiz-Hammer“: Bild und das Heizungsgesetz

Der Springer-Konzern fiel seit Frühjahr 2023 besonders damit auf, wie stark er gegen das Heizungsgesetz wetterte. Die Novellierung des bestehenden Gebäudeenergiegesetzes sollte das größte Projekt der Ampel-Koalition werden, um den Ausstieg aus den fossilen Energien voranzubringen. Es sah vor, den Einbau neuer Gas- und Ölheizungen weitgehend zu verbieten – ein Vorhaben, das die Gaslobby in den Vorjahren mit heftiger Lobbyarbeit immer wieder ausgebremst hatte. Denn das Interesse der Gasindustrie am Geschäft mit dem Heizen ist riesig: Es geht letztlich um die Zukunft weiter Teile ihrer Infrastruktur und Absatzmärkte – und um Milliardengewinne.

Springer-Medien – besonders die BILD-Zeitung – fielen hier ganz klar durch ihre Stimmungsmache gegen die Gesetzespläne auf. Sie prägten die Vorstellung, dass Habeck ein völlig neues Heizungsgesetz vorgelegt hatte, obwohl es sich um eine turnusgemäße Novellierung eines bereits bestehenden Gesetzes handelt. Dieses beinhaltete auch bereits Vorschriften, die den Ausbau bestimmter Heizungen vorsah.

Am 28. Februar 2023 zitierte die BILD-Zeitung aus einem noch unveröffentlichten Regierungspapier zu den Heizungsplänen und titelte: „Habeck will Öl- und Gasheizungen verbieten“. Im Anschluss setzte eine regelrechte mediale Kampagne ein: Die Bild-Zeitung prägte den Begriff „Habecks Heiz-Hammer“ und füllte über Wochen hinweg ihre Titelseiten mit Horrorgeschichten über die vermeintlich hohen Kosten von Wärmepumpen sowie über einen angeblichen Zwang, Heizungen sofort austauschen zu müssen.

Fast 70-mal verwendete die Bild-Zeitung den Begriff „Heiz-Hammer“ zwischen März und August 2023 in ihrer Berichterstattung, wie unsere Recherche über den Mediendienst Meltwater zeigt. Diese medialen Bilder fielen auf den Boden, der bereits durch ähnliche Kampagnen bereitet war und die Grünen als vermeintliche übergriffige „Verbotspartei“ darstellten.

Bild-Zeitung: Stimmungsmache beim Heizungsgesetz

Nach einer Studie des Progressiven Zentrums seien viele Aussagen der Bild-Zeitung zum Heizungsgesetz irreführend gewesen. Zudem fiel insbesondere die BILD-Zeitung durch emotionalisierende Begriffe wie „Heizhammer“ und „Heizungsverbot“ auf. Desinformation und Angstmache verfingen: Sie wurde von vielen weiteren Medien aufgegriffen und verunsicherte tatsächlich viele Menschen. Hinzu kamen aber auch schwere Kommunikations- und Konzeptionsfehler seitens des federführenden Bundeswirtschaftsministeriums.

Vor allem die FDP nutzte diese Situation, um koalitionsintern als Opposition gegen die zuvor vereinbarten Pläne aufzutreten. Am Ende wurde das „Heizungsgesetz“ zunächst monatelang blockiert, um dann schließlich in verwässerter Form beschlossen zu werden. Die aufgeheizte Stimmung führte trotz des beschlossenen Gesetzes dazu, dass der Absatz von Wärmepumpen im ersten Halbjahr 2024 in Deutschland einbrach.

KKR als politischer Akteur

Im Kontext der Heizungsdebatte legen nun einige Journalisten wie Spiegelkolumnist und Autor Christian Stöcker und der Volksverpetzer nahe, dass die Beteiligung von KKR bei Springer mit dem Verhalten der Bild-Zeitung in Zusammenhang stehe – allerdings ohne das belegen zu können. Belegen lässt sich aber, dass es sowohl in Deutschland als auch in den USA Lobbyaktivitäten von KKR gab, auch im Bereich Energiepolitik.

In den USA war KKR bereits direkt durch seine finanzielle Unterstützung politischer Aktivitäten im Sinne fossiler Interessen sichtbar: Der Konzern sponserte laut New York Times im Jahr 2022 die State Financial Officers Foundation (SFOF). Diese Stiftung unterstützte Finanzbeamt:innen der republikanischen Partei dabei, ihre staatlichen Positionen dafür zu nutzen, die Interessen von Öl- und Gasfirmen zu vertreten. So sollten Präsident Joe Bidens Klimaschutzpläne unterlaufen werden. Nach Veröffentlichung des Berichts ließ KKR sein Logo von der Seite der Stiftung SFOF löschen.

Auch für Deutschland gibt es nun erstmals Belege, dass KKR in Berlin direkt politisch aktiv ist. Laut Lobbyregister hat KKR im Jahr die Lobbyagentur FGS mit mindestens 50.000 Euro beauftragt, um Treffen mit Mitgliedern der Bundesregierung, Bundestagsabgeordneten und Verwaltungsbeamt:innen anzufragen und zu organisieren. Themen waren u.a. allgemeine Energiepolitik und Energienetze.

Eine schriftliche Frage des Bundestagsabgeordneten Bernd Riexinger (LINKE) zeigt, dass es tatsächlich mindestens 21 Treffen von KKR mit Vertreter:innen der Bundesregierung gab. Besonders häufig traf KKR auf Jörg Kukies, der damals Staatssekretär im Kanzleramt war und seit November 2024 Lindners Nachfolger als Finanzminister ist. Es gab aber auch ein Gespräch mit Staatssekretär Udo Philipp im Wirtschaftsministerium „zum Thema Rüstungsindustrie“. Von den 21 aufgelisteten Treffen waren drei Treffen explizit zu Energiepolitik, während sich elf nicht klar thematisch zuordnen lassen (weil z.B. „allgemeiner Austausch“ angegeben wurde).

Interne Dokumente aus dem Kanzleramt, die LobbyControl vorliegen, zeigen, dass sich KKR auch im Kanzleramt für energiepolitische Belange einsetzte. Am 16.3.2022, also wenige Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, sendete KKR ein Anschreiben an den Staatssekretär Jörg Kukies. Darin sucht KKR explizit das Gespräch zur „digitalen und klimaneutralen Transformation“ Deutschland und nennt insbesondere „Infrastruktur“ und „Energiewende“ als zentrale Themen, zu denen sie Expertise anbieten und sich austauschen möchten.

Nach diesem Austausch traf sich Staatssekretär Kukies insgesamt noch achtmal mit Vertretern von KKR, jedes Mal zu einem „allgemeinen Austausch.“ Besonders auffällig ist aber, dass sieben dieser Treffen zwischen Dezember 2022 und Oktober 2023 stattfanden, also genau in der heißen Phase des Heizungsgesetzes. So viele Treffen in zehn Monaten ohne einen speziellen Anlass sind angesichts der vollen Terminkalender von Staatssekretär:innen und Top-Manager:innen doch eher ungewöhnlich.

Auf Nachfrage teilte das Kanzleramt LobbyControl lediglich mit, dass es in den Gesprächen „im Wesentlichen“ um „Fragen zum allgemeinen Investitionsumfeld sowie zur Finanzierung der Transformation in Deutschland“ gegangen sei. Der Bundestagsabgeordnete Bernd Riexinger (LINKE) vermutet sogar einen Zusammenhang zum Heizungsgesetz: „Die hohe Frequenz von Treffen über einen bestimmten Zeitraum spricht dafür, dass konkrete Gesetzesvorhaben besprochen wurden, zum Beispiel das Heizungsgesetz, wo die Verhandlungen in diesen Zeitraum fielen. Das Ganze riecht streng nach verdecktem Lobbyismus.“

Es ist zu erwarten und auch legitim, dass ein so großes Unternehmen wie KKR auch Kontakte in die Politik unterhält. Interessant ist aber, dass KKR nicht allein zu rein finanzpolitischen Themen das Gespräch sucht. Das belegt ein breiteres Engagement zu Gesetzgebungs- oder anderen politischen Prozessen in Deutschland.

KKR-Manager spenden an die FDP

Auch mehrere Parteispenden von zwei langjährigen KKR-Top-Managern deuten auf politisches Engagement in der Führungsspitze des Konzerns hin. Unter den Spender:innen der FDP des Jahres 2021 finden sich Johannes Huth und Philipp Freise, die der Partei jeweils 50.000 Euro zukommen ließen.

Eintrag in der Parteispenden-Datenbank der Lobbypedia

Schon im Jahr 2017 hatten die beiden Unternehmer laut Rechenschaftsberichten der Parteien an die FDP gespendet. Von Freise kamen damals 30.000 Euro, von Huth 20.000 Euro. Freise ließ damals außerdem der CDU 15.000 Euro zukommen. Mehr Spenden an Parteien können Sie in unserer Parteispenden-Datenbank recherchieren.

Huth ist der Europa-Chef von KKR und Freise Co-Leiter des Private-Equity-Geschäftes von KKR in Europa. Beide sind auch als Lobbyisten für KKR im deutschen Lobbyregister aufgeführt. Und: Beide sitzen für KKR im Aufsichtsrat von Springer, sind also direkt mit dem Springer-Konzern verbunden. Freise und Huth sagten gegenüber dem Magazin Spiegel, sie hätten ihre Spenden „als Privatperson/Bürger getätigt“ und wollten sich „gegenüber Dritten nicht weiter dazu äußern“. Das ist formal richtig. Dennoch stellt sich die Frage, ob zwei Top-Manager tatsächlich völlig frei von unternehmerischen Interessen spenden.

Es kommt nicht selten vor, dass Manager:innen oder Unternehmer:innen als Privatpersonen anstelle der Unternehmen selbst spenden. Hinzu kommt, dass KKR seinen Unternehmenssitz außerhalb der EU hat und deswegen nicht an Parteien spenden darf. Auch gleichzeitige Spenden an zwei verschiedene Parteien, wie bei Freise, entsprechen eher dem Spendenverhalten von Unternehmen, die sich den Zugang zur Politik sichern wollen, als dem von überzeugten Parteianhänger:innen. Expert:innen bezeichnen solche Streuspenden deshalb auch in manchen Fällen als „politische Landschaftspflege“. Klare Belege dafür, dass Huth und Freise tatsächlich auch aus unternehmerischem Interesse spendeten, sind das aber nicht.

Zusammengenommen dokumentieren diese Informationen ein gewisses Interesse von KKR an der deutschen Politik und speziell an energiepolitischen Themen. Das alles ist aber nicht an sich verwerflich – und letztlich auch nicht völlig überraschend. Es ist zu erwarten, dass ein großer Konzern wie KKR Kontakte in die Politik unterhält und sich auch in Politikbereichen engagiert, die Auswirkungen auf den Wert ihrer Investitionen haben. Auch bedeutet das noch lange nicht, dass KKR auch den Springer-Konzern genutzt hat, um politische Ziele zu erreichen.

Die Döpfner-Leaks

Das Verlagsgeschäft und die Konzernspitze des Springer-Konzerns sind getrennt. Formal können also der Vorstand oder gar der Aufsichtsrat, in dem KKR sitzt, gar keinen Einfluss auf die redaktionellen Inhalte nehmen. Dennoch gibt es starke Belege dafür, dass zumindest Springer-Chef Döpfner dies zumindest einmal umgangen hat – und zwar in den „Döpfner Leaks“. Im April 2023 veröffentlichte die Wochenzeitung „Die Zeit“ eine Auswertung von internen Dokumenten und Messenger-Nachrichten des Springer-Chefs Mathias Döpfner.

Zum einen offenbaren die Dokumente besorgniserregende Positionen des Verlagschefs zur Klimakrise. Zum anderen zeigen die geleakten Informationen, dass Döpfner zumindest versuchte, die Chefredaktion der Bild dahingehend zu beeinflussen, im Bundestagswahlkampf die FDP zu stärken. „Please stärke die FDP“, schrieb Döpfner zwei Tage vor der Wahl an den damaligen BILD-Chefredakteur Julian Reichelt. Eine Regierungsbeteiligung der Grünen sollte verhindert werden oder im Falle einer Ampel-Koalition diese durch Blockaden zum Platzen gebracht werden.

Die Chefredaktion der Bild dementierte auf Anfrage von NDR Panorama, dass eine Beeinflussung stattgefunden habe. Dennoch sind solche Ansagen aufgrund der Machtposition von Döpfner im Springer-Konzern gewichtig. Eine Auswertung der Bild-Berichterstattung im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 durch ZDF Panorama, zeigte, dass „nach diesen Textnachrichten und im Vorfeld der Bundestagswahl überwiegend positive Berichte über die FDP in der ‚Bild‘ erschienen.“

Doch was ist mit KKR? KKR hat wichtige Positionen im Konzern – und zieht nach eigenen Aussagen mit Konzernchef Döpfner an einem Strang. Doch Belege dafür, dass KKR entweder direkt oder indirekt über Mathias Döpfner redaktionelle Inhalte beeinflusst hat, gibt es nicht. Eine Sprecherin des Unternehmens Springer sagte zu LobbyControl, dass die „journalistische Unabhängigkeit“ eine „unverzichtbare Grundlage“ von Springer sei und durch Leitlinien und einen Code of Conduct abgesichert seien. Die Vermutung, dass KKR in redaktionelle Entscheidungen eingreifen könne, seien „absurd, und klar zurückzuweisen“. Weiter heißt es: „Wirtschaftliche Interessen bzw. die Interessen Dritter spielen in der Berichterstattung unserer Medien keine Rolle.“

v.l.n.r.: Friede Springer, Mathias Döpfner und die früheren Chefredakteure Kai Diekmann und Julian Reichelt Fazit: Medienkonzerne als mögliches Einfallstor für Lobbyinteressen

Zusammengesetzt ergeben die verschiedenen Puzzleteile nun folgendes Bild:

  1. KKR hat erheblichen Einfluss im Springer-Konzern und zieht mit Konzernchef Döpfner an einem Strang
  2. KKR hat ein Portfolio, indem fossile Investitionen eine große Rolle spielen – besonders auch LNG-Terminals
  3. KKR hat ein starkes Interesse am deutschen Markt
  4. KKR-Manager haben Geld an die FDP gespendet, die wiederum eine zentrale Rolle in der Abschwächung des Heizungsgesetzes spielte
  5. KKR lobbyiert aktiv in Deutschland – auch zu energiepolitischen Fragen
  6. Springer hat sich besonders gegen das Heizungsgesetz auffällig eingesetzt – politisch durchgesetzt wurde der Widerstand gegen das Heizungsgesetz durch die FDP
  7. Die „Döpfner-Leaks“ dokumentieren eine gewisse inhaltliche Beeinflussung durch den Konzernvorstand auf redaktionelle Inhalte. Auch hier sollte die FDP gestärkt werden.

Konkrete Belege, dass KKR den Springer-Konzern für politische Einfluss nutzt, sind das nicht. Um im Puzzle-Bild zu bleiben: Die Puzzleteile lassen sich allerdings durchaus so aneinander legen, dass sich Verbindungen und Auffälligkeiten zeigen. Der Medienkonzern macht Stimmung gegen das Heizungsgesetz und stärkt damit die FDP. Dies entspricht den Interessen der fossilen Gaslobby, zu der auch KKR zählt – und gerade die FDP war ihr wichtigstes Sprachrohr in der scheidenden Bundesregierung.

Auch wenn KKR den Springer-Verlag jetzt abstößt, bleibt ein Kernproblem bestehen: Medienkonzerne sind extrem wichtig für die politische Meinungsbildung und damit auch für unsere Demokratie. Wenn Medienkonzerne in Privatbesitz so enorme Machtkonzentration aufbauen wie beim Springer-Konzern, dann bildet das ein gefährliches Einfallstor für Lobbyinteressen. Allein nur das hypothetische Szenario, dass die fossile Lobby einen solchen Konzern übernehmen und für die Durchsetzung ihrer Interessen verwenden könnte, ist besorgniserregend.

Lobbyismus findet nicht nur im dunklen Hinterzimmer statt, sondern auch in der Öffentlichkeit. Lobbyakteure spielen hier praktisch über Bande: Sie verschieben mithilfe eigener Öffentlichkeitsarbeit zunächst den öffentlichen Diskurs in eine gewisse Richtung. Das hilft den Lobbyist:innen dann, ihre Interessen besser durchzusetzen, wenn sie bei Entscheidungsträger:innen anklopfen. Die Initiative Soziale Marktwirtschaft (INSM) ist das beste Beispiel für eine solche Form des „indirekten Lobbyismus“, mit der sie die klassische direkte Lobbyarbeit ihrer Geldgeber aus Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie flankiert. Hier werden Medien – neben politischen Entscheidungsträgern – selbst zum Adressaten und Mittel von Lobbyarbeit.

Politiker:innen sind abhängig von Medienberichterstattung und verfolgen diese eng. Kurz: Eine Politikerin wird es schwer haben, gegen starke mediale Kampagnen zu handeln – das hat die Auseinandersetzung um das Heizungsgesetz deutlich gezeigt. Das macht Medienkonzerne, in denen viel Meinungsmacht konzentriert ist, zu einem Druckmittel und Einfallstor für Lobbyinteressen. Auch hier wird Konzernmacht also zur Demokratiefrage.

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Trump 2.0: Wie Musk und die Techlobby des Silicon Valley durchregieren wollen

13. November 2024 - 16:17
Elon Musk bei einer Wahlveranstaltung von Donald Trump. Transatlantische Eiszeit?

Europa muss sich also warm anziehen. Die transatlantischen Beziehungen dürften nach dem Wahlsieg Donald Trumps ohnehin deutlich abkühlen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Trump besonders Deutschland als mächtigste Volkswirtschaft des Kontinents ins Visier nimmt. Er kündigte im Wahlkampf an, er werde Deutschland zu mehr Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung und zu einer verstärkten Rolle in der NATO drängen. Aber auch die deutsche Exportindustrie wolle er in den Blick nehmen. Deutschland importiere zu wenige US-Produkte und exportiere gleichzeitig zu viele Autos in die USA.

Macht von Big Tech direkt im Weißen Haus

Doch es wird nicht nur die deutsche Autoindustrie sein, die es mit der neuen US-Administration zu tun bekommt. Europa insgesamt kann sich auf mehr Lobbydruck der mächtigsten US-Konzerne aus dem Silicon Valley gefasst machen. Die Rede ist von Google, Amazon & Co.

Schon jetzt verfügen US-Tech-Konzerne über immense Ressourcen und ein breites Lobbynetzwerk, um die EU-Politik in Brüssel zu beeinflussen. Google, Amazon, Microsoft, Meta (ehemals Facebook) und Apple geben zusammen mindestens 33,5 Mio Euro aus. Hinzu kommen Lobbybüros in den EU-Mitgliedstaaten. In Deutschland etwa gibt Amazon 2,82 Mio zusätzlich für seinen Einfluss auf die Bundespolitik aus.

Doch mit Donald Trump im Weißen Haus und Elon Musk an seiner Seite werden die Interessen der Tech-Konzerne nun zusätzlich direkt aus dem Weißen Haus kommen. Musk bekommt einen eigens für ihn geschaffenen Posten für Regierungseffizienz in der neuen US-Regierung. Der Posten dürfte zwar informell bleiben, weil Musk mit seinen zahlreichen Konzernbeteiligungen andernfalls gegen Verhaltensregeln verstößt. Aber klar ist: Er und die Techlobby haben fortan einen direkten Draht ins Weißen Haus, direkter denn je zuvor.

Konsequenzen für Kritik an Big Tech

Das dürfte Konsequenzen haben. Während des Wahlkampfs kündigte Musk über seine Plattform X an, dass die techkritische Chefin der US-Wettbewerbsbehörde Lina Khan bald gefeuert werden würde („Lina Khan will be fired soon“). Khan war von US-Präsident Biden nominiert worden und ging zusammen mit Jonathan Kanther, dem Leiter der Kartellabteilung des US-Justizministeriums, in den letzten Jahren entschieden gegen US-Konzerne aus dem Silicon Valley vor.

Zwar ist die Trump-Administration nicht in der Lage das Personal von EU-Kartellbehörden zu feuern. Aber der politische Druck, die US-Tech-Konzerne bei Regulierungen und Verfahren zu schonen, wird auch in Brüssel und Berlin spürbar werden. Der designierte Vizepräsident J.D. Vance drohte bereits, dass sich die USA aus der NATO zurückziehen würden, wenn die EU die Plattform X von Elon Musk regulieren würde. Bisher hat die EU nicht vor X zu regulieren, aber allein die Drohung ist ein Eingreifen der künftigen US-Regierung in den europäischen demokratischen Prozess. Das ist nicht akzeptabel.

Abhängig von den Tech-Monopolisten

US-Techkonzerne dominieren bereits jetzt in Europa, im Werbebereich, bei Social Media, bei Suchmaschinen oder im Cloudbereich. In vielen Bereichen haben uns die Tech-Konzerne mit ihrer Monopolmacht so die Wahlmöglichkeiten genommen und uns abhängig gemacht. Die Wahl von Donald Trump und seine Unterstützung aus dem Silicon Valley führen uns drastisch vor Augen, wie gefährlich diese Abhängigkeit ist: Sie macht die Politik erpressbar und liefert sie der Willkür von Donald Trump und Tech-Milliardären wie Elon Musk aus.

Zusätzlich drängen chinesischen Anbieter auf den EU-Markt und machen sich mit verstärkter Lobbyarbeit bemerkbar. Eines muss deshalb klar sein: Die Regeln für die Aktivitäten der Techkonzerne aus dem Silicon Valley und aus China bestimmen wir und nicht Washington oder Peking.

Europa und Berlin sind gefragter denn je

Statt zu einer Datenkolonie für US-Techmonopole zu verkommen, sollten wir unsere europäischen Datenschutz- und Marktmachtregeln endlich konsequent durchsetzen und entschieden gegen die Macht von Google, Amazon & Co vorgehen. Dazu muss Europa die Durchsetzung der Datenschutzgrundverordnung und des Digitalmarktgesetzes (DMA) mit mehr Ressourcen ausstatten. Es muss seine strukturellen kartellrechtlichen Instrumente nutzen. Die EU kann – wenn sie will – schon jetzt Google zerschlagen. Um künftig noch entschiedener auftreten zu können, sollte sie zusätzlich ihre strukturellen Instrumente gegen Konzernmacht weiter ausbauen, etwa über ein neues Europäisches Entflechtungsinstrument.

Wir haben die Möglichkeit, ein europäisches Schutzschild gegen die einseitige Macht von Tech-Monopolen aufzubauen und deren Macht zu begrenzen. Wir haben die Möglichkeit, den Raum für offenere und breitere Alternativen aus der ganzen Welt zu schaffen und die gefährlichen Abhängigkeiten zu beenden. Denn wenn wir konsequent gegen die Monopolmacht von Big Tech vorgehen, hilft das nicht nur Europa, sondern auch dem Rest der Welt. Europa hat einmal mehr die Chance ein wichtiges Zeichen für digitale Demokratie und gegen Monopolmacht zu setzen. Von der US-Techlobby, die jetzt im Weißen Haus mit am Tisch sitzt, darf sich Europa nicht reinreden lassen. Gerade wegen der Wahl Trumps sind die EU-Kommission und auch die künftige deutsche Bundesregierung gefragter denn je.

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29. Weltklimagipfel: Gipfel für den Klimaschutz – nicht für Konzerninteressen!


7. November 2024 - 11:10

Weniger Einfluss der fossilen Energie- und der Agrarindustrie beim 29. Weltklimagipfel! Das fordert ein Zusammenschluss von ADRA, Aktion gegen den Hunger, INKOTA, LobbyControl, Transparency Deutschland und ROBIN WOOD im Vorfeld der UN-Klimakonferenz (COP29), die am 11. November in Baku, Aserbaidschan, startet. Die Geschäftsmodelle dieser mächtigen Großkonzerne sind unvereinbar mit den internationalen Klimazielen und verhindern den dringend notwendigen Systemwandel.

„Die Regierungsdelegationen dürfen keine Vertreter:innen von Unternehmen aufnehmen, deren Geschäftsmodelle direkt den Klimaschutz untergraben“, fordert Nina Katzemich, politische Campaignerin von LobbyControl. „Bei der COP28 im letzten Jahr in Dubai saßen erneut Vertreter:innen fossiler Unternehmen wie Exxon oder BP mit am Tisch – darunter in den Delegationen von Italien, Frankreich und der EU. Dadurch hatten Lobbyist:innen direkten Zugang zu politischen Entscheidungsträger:innen.“ 

Mit 2.456 Vertreter:innen waren 2023 allein aus der fossilen Brennstoffindustrie fast 900 mehr Lobbyistinnen anwesend als Delegierte der zehn am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder zusammen. „Es ist nicht hinnehmbar, dass die Stimmen derjenigen, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind, aufgrund der übermächtigen Präsenz der Lobbyist:innen kein Gehör finden“, sagt Jan Sebastian Friedrich-Rust, Geschäftsführer der entwicklungspolitischen und humanitären Organisation Aktion gegen den Hunger.

In einem offenen Brief fordern acht Organisationen* die Bundesregierung daher auf, in ihrer Delegation keine Vertreter:innen von fossilen und agrarindustriellen Unternehmen mitzunehmen – auch nicht über sogenannte Party Overflow Badges. Auch in neun weiteren europäischen Ländern und auf EU-Ebene richten Organisationen diese Forderung an ihre Regierungen, um sicherzustellen, dass Klimaverschmutzer keinen privilegierten Zugang zur COP genießen. Koordiniert wird diese Kampagne vom „Fossil Free Politics“-Netzwerk.

Keine Lobby-Einbindung durch die Hintertür

Neben dem Ausschluss von Lobbyist:innen aus den Delegationen fordern die Organisationen zudem, die Klimaverhandlungen deutlicher von den Interessen großer Konzerne abzugrenzen. Besonders kritisch sehen die Organisationen dabei die starke Einbindung von Unternehmen in die Initiativen der COP-Präsidentschaft, wie beispielsweise im vergangenen Jahr die Action Agenda on Regenerative Landscapes sowie Aim For Climate Initiative und aktuell die Baku Harmoniya Climate Initiative. 

Besonders besorgt ist der NGO-Zusammenschluss über die Rolle der Gastgebernation Aserbaidschan. Der diesjährige Präsident der COP29, Mukhtar Babayev, war bis 2010 Vizepräsident des staatlichen Öl- und Gaskonzerns SOCAR. Zudem scheint SOCAR eng in die COP involviert zu sein, da sein Präsident und Mitglieder seines Aufsichtsrats bei der Organisation der Konferenz mitwirken. Der Präsident von SOCAR wurde bereits bei der Vermischung von COP- und Unternehmensgeschäften beobachtet, als er neue Kooperationsvereinbarungen mit internationalen Partnern unterschrieb. Dies zeigt eine Recherche von Transparency International und dem Anti-Corruption Data Collective. 

Dies wirft erhebliche Fragen hinsichtlich der Unabhängigkeit der Konferenz auf. „Es muss sichergestellt werden, dass die Leitung der Konferenz frei von den Interessen der fossilen und agrarindustriellen Lobbys ist“, betont Margarete Bause, stellvertretende Vorsitzende von Transparency Deutschland.

Um den sozialverträglichen Strukturwandel weg von Kohle, Öl und Gas sowie den Ausbau eines klimagerechten Ernährungssystems voranzutreiben, muss zudem die internationale Zusammenarbeit ausgebaut werden. Besonders wichtig dabei ist ein systematischer internationaler Erfahrungsaustausch und wechselseitiges Lernen frei von Interessenskonflikten. „Wer in Baku und bei künftigen COPs am Tisch sitzen sollte, sind die staatlichen Akteure, die sich von fossilen Geschäftsmodellen befreien wollen und nicht diejenigen, die sie verlängern wollen“, so die NGO-Allianz.

Vorsicht vor Scheinlösungen der fossilen und agrarindustriellen Unternehmen

Die Interessen der fossilen Industrie sind untrennbar verbunden mit denen großer Agrarkonzerne. „Sowohl die fossile Energie- als auch die Agrarindustrie nutzen ihren Einfluss, um Scheinlösungen voranzutreiben, die als klimafreundlich präsentiert werden, aber oft nicht zu echten Emissionsreduktionen führen. Ihre Geschäftsmodelle begünstigen sich dabei oft gegenseitig“, sagt Jan Sebastian Friedrich-Rust von Aktion gegen den Hunger. „Beispiele dafür sind die Herstellung von synthetischem Dünger auf Basis von energieintensivem ‚grünen‘ Wasserstoff sowie Technologien zur Kohlenstoffabscheidung“, so Friedrich-Rust. Diese „Greenwashing“-Strategien lenken von echten, nachhaltigen Lösungen ab, die den am stärksten betroffenen Gruppen zugutekommen würden, wie zum Beispiel Agrarökologie und erneuerbare Energien. 

Strukturwandel vorantreiben, statt alte Abhängigkeiten pflegen

Zusammen rufen die Organisationen die Bundesregierung dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass die Verhandlungen der COP29 frei von den Interessen der fossilen und agrarindustriellen Konzerne geführt werden. Für den Ausstieg aus Gas und Öl sowie für ein klima- und sozial gerechtes Ernährungssystem braucht es Abstand von fossiler und agrarindustrieller Lobby.

Unterzeichnende der Pressemitteilung


ADRA


Aktion gegen den Hunger


INKOTA


LobbyControl


Transparency International Deutschland e.V.


ROBIN WOOD


*Unterzeichnende des offenen Briefes


ADRA


Aktion gegen den Hunger


BUND


BUNDJugend


INKOTA


LobbyControl


Transparency International Deutschland e.V.


ROBIN WOOD

Hinweise zur Methodik

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UN-Klimakonferenz: Wie die fossile Lobby Einfluss nimmt

7. November 2024 - 9:46

Einmal im Jahr treffen sich Vertreter:innen fast aller Staaten zur UN-Klimakonferenz, um eine weitere Erwärmung des Erdklimas aufzuhalten. Zwar können die Beschlüsse keine Verbindlichkeiten schaffen, aber dennoch ist die Konferenz sehr bedeutsam. Deshalb machen sich auch zahlreiche Lobbyist:innen auf den Weg: 2024 nach Baku, in die Hauptstadt von Aserbaidschan.

Die UN-Klimakonferenz (auch Weltklimakonferenz oder Weltklimagipfel genannt) ist eine jährlich stattfindende Konferenz der Staaten, die die UN-Klimarahmenkonvention von 1992, das Kyoto-Protokoll von 1997 und das Pariser Klimaabkommen von 2015 beschlossen haben. Aktuell gibt es 196 Vertragsstaaten und die Europäische Union.

Kern der Konferenz ist es, mit Vereinbarungen den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Auf der zweiwöchigen Konferenz feilschen die Regierungen der Vertragsstaaten in internen Gesprächen um Fortschritte und Zugeständnisse. Zum Beispiel soll seit Jahren ein Enddatum für den Ausstieg aus den fossilen Energien festgelegt werden. Es ist sinnbildlich für die Weltklimakonferenz, dass das bisher nicht geklappt hat.

Ein Ausstiegsbeschluss aus fossilen Energien scheitert immer wieder

Erstmals wurde 2021 auf der Klimakonferenz in Glasgow begonnen, über einen endgültigen Ausstiegstermin aus Kohle, Öl und Gas zu diskutieren. Dabei weiß man seit den 1970er Jahren, dass es vor allem die fossilen Brennstoffe sind, die den Klimawandel so stark befördern. Hier konnte man sich aber einzig auf den Kohleausstieg einigen – Öl und Gas fanden kein Erwähnung. Und auch in den Jahren darauf hat es nicht geklappt, ein Datum für den Ausstieg aus den fossilen Energien festzulegen.

Fossile Industrie sieht ihre Geschäftsmodelle gefährdet

Es ist natürlich nicht überraschend, dass fossile Unternehmen versuchen Einfluss zu nehmen, wenn es darum geht, ihr fossiles Geschäftsmodell zu beenden. Unter das Label fossile Unternehmen fallen zum einen die Förder-, Speicher- und Versorgungsunternehmen für Kohle, Öl und Gas. Wir zählen dazu aber auch Unternehmen, die die fossilen Brennstoffe im großen Stil für ihre Produktion nutzen – die Chemieindustrie oder die Agrarindustrie, die Düngemittel mithilfe fossiler Energien herstellt.

Denn auch die sehen ihre Geschäftsmodelle gefährdet und nehmen Einfluss, um den Ausstieg aus diesen Energieformen noch so lange wie möglich herauszuzögern. In den vergangenen Jahren ist auch der Beitrag der Milch- und Fleischproduktion zum Klimawandel stärker in den Vordergrund gerückt, und so finden sich auch diese Unternehmen und ihre Verbände als Lobbyist:innen vor Ort.

Mehr Lobbyist:innen als Vertreter:innen der am meisten betroffenen Staaten

Auf der Weltklimakonferenz in Glasgow 2021 waren mehr als 500 Lobbyist:Innen der fossilen Brennstofflobby registriert. Wäre dies eine Regierungsdelegation, die Brennstofflobby wäre das größte Land auf der COP gewesen, doppelt so groß wie Gastgeber Großbritannien. Auf der Konferenz 2022 in Ägypten waren mehr Lobbyist:innen der Industrien mit fossilen Geschäftsmodellen als Vertreter:innen der zehn am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder dabei, wie das NGO-Netzwerk Kick Big Polluters Out ermittelt hat. Und ein Jahr später auf der COP28 vervierfachte sich die Menge der akkreditierten Lobbyist:Innen dann nochmal.

US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der COP 28 in Glasgow

Weil die Anzahl der Teilnehmer:innen ständig gewachsen ist und sehr intransparent war, wer eigentlich an den Konferenzen teilnimmt, hat das Sekretariat der Weltklimakonferenz mit einer Transparenzinitiative reagiert. An der Klimakonferenz in Dubai im vergangenen Jahr mussten alle zum ersten Mal beim Registrieren ihre Interessenbindungen offenlegen

Was machen die Lobbyist:innen eigentlich bei der Weltklimakonferenz? Wie nehmen sie Einfluss? Unternehmen können nicht als solche teilnehmen, aber sie können sich den Delegationen von Wirtschaftsverbänden und Unternehmensvereinigungen anschließen – oder gar auf dem Ticket von Regierungsdelegationen dabei sein.

Einflussstrategie 1

Mitreise in einer Regierungsdelegation

Den meisten Einfluss hat, wer in einer Regierungsdelegation mitreist. Denn das verschafft Lobbyist:innen ein rosa Bändchen und damit den begehrten Zugang zu den offiziellen Regierungsgesprächen und deren Teilnehmer:innen. Das kommt regelmäßig vor: So brachte Russland in seiner Delegation zur COP27 unter anderem sechs Lobbyist:innen des Staatskonzerns Gazprom mit, ebenso wie Vertreter:innen von Lukoil und dem Bergbauunternehmen Severstal. Zur selben COP brachte Brasilien das weltgrößte Fleischunternehmen JBS in seiner Delegation mit. Auch europäische Delegationen hatten mehr als 130 Lobbyist:innen mit klimaschädlichen Geschäftsmodellen dabei: 2023 nahmen Führungskräfte von Exxon Mobil, BP und Eni mit offiziellen Bändchen der Europäischen Union an der Weltklimakonferenz teil.

Dank eines derartigen Insider-Tickets wissen Unternehmen, welche Länder sich für strenge Klimaziele einsetzen und wer Dinge sagt, die ihren Interessen zuwiderlaufen. Diese Länder kann man sich dann für gezielte Gespräche herauspicken oder die Verhandlungsführer:innen der „eigenen“ Regierungsdelegation auf sie ansetzen, so erklärt es der Experte unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory auf der Rechercheplattform Desmog. Auf diese Weise können Unternehmen einen realen Einfluss ausüben. Sie können sogar die eigene Regierung dazu bringen, andere Staaten politisch unter Druck zu setzen, um zu ihrem Ziel zu kommen.

Fossile Lobbyist:innen in Regierungsdelegationen halten wir aus diesem Grund für nicht tragbar. In einem offenen Brief haben EU-weit Organisationen ihre Regierungen aufgefordert, diese Praxis nicht weiter zu ermöglichen und darauf hinzuwirken, dass sie verboten wird. Auch wir haben die Bundesregierung dazu aufgefordert. Wir beziehen hier ausdrücklich auch die so genannten Party Overflow-Ausweise mit ein. Auf diesen werden Teilnehmer:innen mitgenommen, für die für die in der offiziellen Delegation ihres Landes kein Platz mehr war. Sie haben dennoch vollen Zugang zu den meisten Regierungsverhandlungen – zur blauen Zone, dem offiziellen Konferenz- und Verhandlungsbereich. Sie dürfen lediglich nicht für die Regierung sprechen.

Einflussstrategie 2

Beobachter der Klimagespräche

Eine weitere Möglichkeit für Lobbyist:innen ist, als Teil einer Handelsgruppe zu reisen, die beim Sekretariat der Klimarahmenkonvention registriert ist. Diese Teilnehmer:innen kommen als so genannte „Beobachter:innen“ zu den Gesprächen. Dazu gehören globale Lobbygruppen wie der Hauptverband der Pestizidindustrie Crop Life oder die International Fertilizer Association, aber auch Nichtregierungsorganisationen der Zivilgesellschaft. Auch Unternehmen können mit diesen Gruppen – den so genannten „Bingos“ (Business and Industry NGOs) Vertreter:innen zur Weltklimakonferenz schicken.

Diese Gruppen haben zwar keinen Zugang zu den Verhandlungen. Sie können dennoch Einfluss auf die Konferenz nehmen, indem sie mit den Entscheidungsträger:innenn sprechen, wenn diese zu den hochrangigen Gesprächen kommen und gehen. Sie verfolgen außerdem die Verhandlungen und stellen sicher, dass die Interessen der Mitglieder vertreten werden – z.B. durch das Herausgeben von Positionspapieren.

Der europäische Ölgigant Shell hat den Handelsverband International Emissions Trading Association (IETA) 2016 öffentlich gelobt, den endgültigen Text des Pariser Abkommens auf der COP21 zu seinen Gunsten gestaltet zu haben.

Einflussstrategie 3

Pavillons in der Konferenzhalle

Pavillons sind Bereiche in der Konferenzhalle, in denen Unternehmen und Gruppen Stände einrichten, Ausstellungen veranstalten und Veranstaltungen abhalten, um ihre Anliegen den politischen Entscheidungsträger:innen und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Sie bieten eine zentrale PR-Möglichkeit und die Chance, mit Entscheidungsträger:innen ins Gespräch zu kommen.

Diese Aktivitäten haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Heute erinnern Weltklimagipfel oft eher an Messen. Ob politische Entscheidungsträger:innen, Unternehmenschef:innen und Lobbyist:innen, Diplomat:innen oder Medienvertreter:innen: Sie alle tummeln sich hier zwischen ihren Gesprächen. Daher sind die Pavillons sehr beliebt, um Lobbyarbeit zu betreiben, gemeinsame Positionen zu finden und Legitimität zu schaffen.

Unternehmen oder Handelsgruppen können dazu entweder mit Regierungen zusammenarbeiten, zum Beispiel indem sie an Veranstaltungen des offiziellen Pavillons einer Regierung teilnehmen. Sie können sich des Weiteren selbst um die Ausrichtung eines Pavillons bewerben – laut der Rechercheorganisation Desmog kostet das etwa eine Million Dollar, ist also eher etwas für die gut ausgestatteten Lobbyorganisationen. Der Desmog-Recherche zufolge hat die International Emissions Trading Association – ein Lobbyverband, dem einige der weltweit größten Produzenten fossiler Brennstoffe und Treibhausgasemittenten angehören – vergangenes Jahr in Dubai einen so genannten Business Hub veranstaltet, der Rednern aus ihren Mitgliedsunternehmen eine Plattform bot. Dazu gehörten der Pestizidhersteller Bayer, das Düngemittelunternehmen Nutrien und der Fleischverpacker Cargill.

Eine dritte, etwas kostengünstigere Option ist das Sponsoring von Pavillons, die von anderen COP-Beobachtergruppen ausgerichtet werden. Auch damit können Lobbyakteure für sich werben und ihre Inhalte darstellen, indem sie sich für etwa 200.000 Dollar Möglichkeiten zur Gestaltung von Veranstaltungen und Medienbeiträgen kaufen.

Einflussstrategie 4

„Initiativen“ ins Leben rufen, Narrative verbreiten

Auf den UN-Klimakonferenzen werden viele „Initiativen“ ins Leben gerufen und gefördert, oft in den verschiedenen Länderpavillons. Diese freiwilligen Initiativen können schneller voranschreiten als Verhandlungen. Sie zielen darauf ab, Unterstützung zu gewinnen und neue Finanzmittel für klimabezogene Themen zu beschaffen.

Solche Initiativen gehen aber häufig auf mächtige Wirtschaftsakteure zurück. Ein Beispiel ist Aim for Climate: Diese Initiative zu angeblich nachhaltiger Landwirtschaft wurde von den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA ins Leben gerufen. Zu den Partnern gehören neben 40 Staaten auch große Agrarunternehmen wie der brasilianische Fleischriese JBS und der Verband der Pestizidindustrie Crop Life International. Sie hat nach eigenen Angaben bisher 13 Milliarden Dollar für klimafreundliche Investitionen aufgebracht.

Die Partnerschaft wurde kritisiert, weil sie Geschäftsinteressen über Klimaschutzmaßnahmen stellt und die Stimmen der Kleinbäuer:innen übergeht. Eine Analyse von Desmog ergab 2022, dass von den rund 300 Partner:innen nur sieben Prozent in Afrika ansässig waren. Ernährungsorganisationen werfen ihr vor, in erster Linie für industriefreundliche und unbewiesene Klima-„Lösungen“ zu werben.

Beispiele für solche Lösungen sind die Herstellung von synthetischem Dünger auf Basis des knappen und teuren grünen Wasserstoffs oder die Kohlenstoffabscheidung. Mit diesen technologischen Maßnahmen – die sich in der Realität noch nicht als im großen Maßstab effizient erwiesen haben – versuchen Agrar- und Chemiekonzerne, ihre fossilen Geschäftsmodelle am Leben zu erhalten und von einer Umstellung auf eine nachhaltige Landwirtschaft abzulenken. Initiativen, die auf dieser Art von Narrativen beruhen und viel Geld an fossile Konzerne ausschütten, sind für die Ziele der Konferenz gefährlich – aber sehr präsent.

Kein template für den Block ‚lc/pop-up-newsletter‘ gefunden.stdClass Object ( [headline_left_1] => Bleiben Sie informiert über die fossile Lobby! [description_left_1] => Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter. [template] => petrol [pop_up_functionality] => visible [pop_up_once] => 1 [] => [gdpr_notice] => Datenschutzhinweis: Wir verarbeiten Ihre Daten auf der Grundlage der EU-Datenschutz-Grundverordnung (Art. 6 Abs. 1). Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Zur #GDPR_LINK##DATA_START{"label":"Datenschutzerkl\u00e4rung","link":"\/datenschutz"}#DATA_END. [newsletterSubscriptionRoute] => https://www.lobbycontrol.de/wp-json/ph-trust-api/v1/add-newsletter-subscription [newsletterUnsubscriptionRoute] => https://www.lobbycontrol.de/wp-json/ph-trust-api/v1/remove-newsletter-subscription [move_code_visible] => POP0000 [move_code_hidden] => POP0000 [move_code_deactivated] => LCW0000 ) Fragwürdige Rollen von Gastgeberländern

Mit Aserbaidschan fiel die Wahl für die Ausrichtung der Weltklimakonferenz 2024 nach den Vereinigten Arabischen Emiraten erneut auf ein Land, dessen Reichtum zentral auf den großen Öl- und Gasvorkommen beruht. Letztes Jahr in Dubai war der Präsident zugleich Chef des staatlichen Ölkonzerns des Gastgeberlandes. Und auch in seinem Team und der staatlichen Delegation der Regierung saßen offenbar zahlreiche ehemalige und aktuelle Mitarbeiter:innen von Adnoc. An einem wirklichen Ausstieg aus Öl und Gas hat dieses Land natürlich kein Interesse. Laut internen Briefings, die die BBC gesehen hat, wollten Al Jaber und sein Team Treffen im Vorfeld der Klimakonferenz nutzen, um mit verschiedenen Ländern neue Gas- und Ölförderprojekte voranzubringen. Ähnliches wird auch für dieses Jahr in Aserbaidschan befürchtet.

Eingang zur Weltklimakonferenz 2023 in Dubai

Fossile Brennstoffe machen in Aserbaidschan nach Angaben der Internationalen Energieagentur IEA 90 Prozent der Exporteinnahmen aus. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist Aserbaidschan außerdem ein wichtiger Erdgaslieferant für die Europäische Union. Der Gasexport in die EU soll laut einem Abkommen bis 2027 auf 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ansteigen – mehr als doppelt so viel wie heute.

Der diesjährige Präsident arbeitet zwar mittlerweile bei der Regierung, war aber bis 2010 beim staatlichen Gas- und Ölkonzern SOCAR. Laut einem aktuellen Bericht von der NGOs Urgewald und CEE Bankwatch ist SOCAR eine „zutiefst politische Organisation“ und eng verbunden mit dem Alijew-Regime Aserbaidschans. Der Konzern war auch an der Bestechung und Beeinflussung von Politiker:innen in der EU beteiligt, über die auch LobbyControl jahrelang recherchiert und berichtet hat.

Formelkompromisse gehören immer zur COP, aber wenn die Leitung der Konferenz von der fossilen Industrie unterwandert ist, ist das ein Riesenproblem: Sie führt durch die Konferenz, vermittelt Kompromisse und hat damit eine zentrale Rolle. Da braucht es jetzt eine Vorreiterrolle anderer Staaten. Was auf die Forderung zurückführt, die wir gemeinsam mit vielen anderen Organisationen an die Bundesregierung gerichtet haben: sich dafür einzusetzen, dass die Verhandlungen der COP29 frei von den Interessen der fossilen und agrarindustriellen Konzerne geführt werden. Für den Ausstieg aus Gas und Öl sowie für ein klima- und sozial gerechtes Ernährungssystem braucht es Abstand von fossiler und agrarindustrieller Lobby.

Unsere Forderungen

Die Politik muss:

  • Maßnahmen unterstützen, die die Politik vor dem unverhältnismäßigen Einfluss von Lobbyist:innen der fossilen Energien schützen
  • sich dazu verpflichten, Lobbyist:innen der fossilen Industrie grundsätzlich nicht als Teil der Regierungsdelegation zu den UN-Klimagesprächen mitzunehmen, auch nicht über die so genannten „Party Overflow-Ausweise“
  • sich beim Sekretariat der UN-Klimakonferenz dafür einsetzen, dass auch andere Regierungen diesen Lobbyist:innen grundsätzlich keinen Platz mehr in  Regierungsdelegationen überlassen
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Ihre Spende zur Weihnachtszeit

7. November 2024 - 8:00

Warum gerade diese Spenden für LobbyControl sehr wichtig sind

Die Weihnachtszeit ist für viele Menschen eine Zeit des Innehaltens – und für uns bei LobbyControl ein entscheidender Moment, um unsere Mission im kommenden Jahr zu sichern. Ein Großteil der jährlichen Spenden geht genau in diesen letzten Wochen des Jahres ein. Diese Beiträge legen die Basis für unsere Arbeit und geben uns die Sicherheit, auch in den kommenden Monaten konsequent für Transparenz und Demokratie eintreten zu können.

Spenden zu Weihnachten legen den Grundstein

LobbyControl hat sich dem Ziel verschrieben, verdeckte Einflussnahme sichtbar zu machen und politische Entscheidungsprozesse für alle nachvollziehbar zu gestalten. Gerade jetzt, in der Vorbereitungsphase für die anstehende Bundestagswahl, steht uns eine umfangreiche Kampagne bevor, mit intensiven Recherchen und nachhaltiger Aufklärung. Diese Arbeit erfordert Ressourcen. Unsere Weihnachts-Spendenkampagne ist ein entscheidender Bestandteil, um die finanzielle Basis für das nächste Jahr zu schaffen.

Gemeinsam für Transparenz, Fairness und Gemeinschaft

Durch Ihre Unterstützung tragen Sie aktiv zur Stärkung unserer gemeinsamen Werte bei. Transparenz in der Politik fördert Vertrauen und Gemeinschaft – und schaffen damit das Fundament für eine gerechtere und offenere Gesellschaft. Ihre Spenden zu Weihnachten sind nicht nur ein finanzieller Beitrag, sondern ein klares Zeichen dafür, dass Sie für diese Werte einstehen und mit uns eine demokratische Kultur unterstützen, die alle Bürgerinnen und Bürger einbezieht.

Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung

An dieser Stelle möchten wir uns bei all unseren Unterstützerinnen und Unterstützern bedanken. Ihr Engagement und Ihre Großzügigkeit geben uns die Kraft und die Mittel, unsere Arbeit im kommenden Jahr fortzuführen. Mit Ihrer Hilfe setzen wir uns für ein demokratisches Miteinander ein, in dem politische Entscheidungen transparent und nachvollziehbar sind. Wir wünschen Ihnen eine schöne Winterzeit und danken Ihnen, dass Sie mit uns für eine transparente Gesellschaft einstehen.

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Der neue EU-Transparenzkommissar: Können wir auf ihn setzen?

4. November 2024 - 16:02

Heute wird der neue EU-Kommissar für Lobbytransparenz und Ethikregeln, Maroš Šefčovič, vom EU-Parlament angehört. Immer noch können zu viele Lobbyist:innen der Transparenz entgehen, Lobbyregeln werden nicht durchgesetzt. Deshalb ist es mehr als besorgniserregend, dass EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Transparenz zum Nischenthema abwertet. Wie ernsthaft wird der zukünftige EU-Kommissar das Thema angehen?

Eine Denkfabrik aus Viktor Orbans autoritärem Netzwerk verbreitet seit einigen Jahren in Brüssel rechtes Gedankengut und Desinformation und wiegelt Bauern gegen die EU-Klimapolitik auf – wohl mit Geld, das unter anderem aus Putins Ölmilliarden stammt. Sie nutzt dabei ein Schlupfloch des EU-Transparenzregisters, so dass sie keine Angaben über die Herkunft ihrer Gelder machen muss. Das ist bei weitem nicht der einzige Fall, in dem autoritäre Staaten Lobbyarbeit in Brüssel betreiben oder betrieben haben, aber das Lobbyregister keine Auskunft darüber geben konnte.

Auch drücken sich immer noch Wirtschaftsberatungsfirmen, die eindeutig Lobbyarbeit bei der EU-Kommission leisten, um den Eintrag in das Register. Und eine EU-Kommissarin gibt offenbar ein Drittel ihrer Lobbytreffen nicht öffentlich an – ohne dass dies Folgen hat. Um die europäische Demokratie effektiv vor fragwürdiger Einflussnahme zu schützen, müssen die guten, bestehenden Regeln für Transparenz und Ethik endlich auch häufiger durchgesetzt werden!

Transparenz- und Ethikregeln in der neuen EU-Kommission nur noch Nischenthema

Umso unverständlicher ist, dass Ursula von der Leyen in ihrer zweiten Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin diesem Thema kaum mehr als eine Nische einräumt: In der vergangenen Wahlperiode hatte das Thema noch ein eigenes Ressort zusammen mit der Durchsetzung des Rechtsstaats und der Demokratie in Europa. Der künftig zuständige EU-Kommissar Maroš Šefčovič wird nun zugleich Kommissar für Handel und ökonomische Sicherheit – zwei Themen, die angesichts der angespannten geopolitischen Lage allein seine volle Aufmerksamkeit verlangen. Es steht insofern zu befürchten, dass die Themen Lobbyismus und Ethikregeln auf der Strecke bleiben.

Dabei steht eigentlich jede Menge konkrete Arbeit auf dem Programm: Bis Juli 2025 muss die EU eine offizielle Überprüfung des EU-Transparenzregisters vornehmen. Die drei beteiligten Institutionen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Ministerrat haben sich dazu 2020 selbst verpflichtet. Ziel ist es, Schwächen, die aus dem praktischen Umgang mit dem Register zu beobachten sind, zu beheben und gemeinsam Verbesserungen zu beschließen. Die letzte Überprüfung 2013 war ein intransparenter und im Ergebnis enttäuschender Prozess. Und der zuständige Kommissar war damals: Maroš Šefčovič! Das macht nicht gerade Hoffnung auf eine umfassende Überprüfung, die so dringend nötig wäre.

Kein template für den Block ‚lc/pop-up-cta‘ gefunden.stdClass Object ( [template] => lightorange [image] => 115138 [headline_1] => Für eine EU-Lobbykontrolle mit Biss! [description_1] => Korruptionsskandale zeigen, dass die EU-Lobbyregeln nicht ernst genommen werden. Deshalb braucht es eine unabhängige Kontrollbehörde mit Biss! [button_text] => Jetzt Appell unterschreiben! [button_link] => https://www.lobbycontrol.de/lobbyismus-in-der-eu/fuer-eine-eu-lobbykontrolle-mit-biss-115129/ [button_color] => lightorange [pop_up_functionality] => visible [pop_up_once] => ) Lichtblick: Lücke im EU-Lobbyregister soll geschlossen werden

Aber einen Lichtblick gibt es: Seit Jahren fordern wir, dass die EU-Kommission mit einer relativ einfachen Maßnahme endlich eines der klaffendsten Schlupflöcher im EU-Transparenzregister schließt: Lobbyist:innen ohne Lobbyregistereintrag dürfen sich bisher noch mit den Beamt:innen unterhalb der Ebene der Generaldirektor:innen treffen (vergleichbar mit den deutschen Staatssekretär:innen). Das sind diejenigen, die konkret an Gesetzen arbeiten. Damit sollte nun endlich Schluss sein. Mehr Beamt:innen sind in Zukunft in das Verbot, unregistrierte Lobbyist:innen zu treffen, mit einbezogen – und damit auch selbst besser vor fragwürdigen Lobbyakteuren geschützt.

Zuletzt haben wir Kommissionspräsidentin von der Leyen dazu vor der Wahl in einem offenen Brief gemeinsam mit anderen Transparenz-Organisationen aufgefordert. Nun steht es in der Aufgabenbeschreibung, die von der Leyen Šefčovič mit auf den Weg gegeben hat! Das ist ein echter Erfolg unserer Arbeit und muss jetzt schnell umgesetzt werden. Dafür werden wir uns beim neuen EU-Kommissar einsetzen.

Aufbau eines zahnlosen Ethikgremiums

Eine zweite große Aufgabe: Šefčovič muss das in der vergangenen Wahlperiode beschlossene Ethikgremium aufbauen. Es soll in Zukunft bei der Erarbeitung von Ethikstandards für die EU-Institutionen mithelfen. Erstmals dürfen unabhängige Expert:innen mitdiskutieren, welche ethischen Minimumstandards gelten sollten. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Überwachung und Durchsetzung der Standards bleiben aber den einzelnen Institutionen überlassen. Und damit packt das Gremium das eigentliche Problem nicht an: Die Regeln sind schon jetzt gar nicht so schlecht – aber sie werden nicht durchgesetzt. So hat die amtierende konservative EU-Kommissarin für Demografie und Demokratie, Dubravka Šuica, mehr als ein Drittel ihrer Lobbytreffen nicht offengelegt. Darunter z.B. ein Treffen mit dem Europäischen Verband katholischer Familien – der lauthals gegen Abtreibungsrechte Lobbyarbeit betreibt.

Der Verhaltenskodex schreibt den EU-Kommissar:innen die Veröffentlichung aller Lobbytreffen vor. Ist es wirklich unbeabsichtigt, wenn die für Demografie zuständige EU-Kommissarin ausgerechnet so ein Treffen unveröffentlicht lässt? Fast noch schwerwiegender ist ihr Verstoß gegen eine weitere Regel: EU-Kommissar:innen dürfen nur ins Transparenzregister eingetragene Lobbyist:innen treffen. Šuica hat sich aber unter anderem mit der nicht registrierten Heritage Foundation getroffen – eine Denkfabrik, die Trumps autoritäre Agenda in den USA vorantreibt.

EU-Institutionen halten ihre Regeln nicht ein

Das sind schwerwiegende Verstöße gegen den Verhaltenskodex. Einige Abgeordnete haben deshalb zurecht Sanktionen gefordert. Doch die EU-Kommission lehnt dies ab und findet jede Menge fadenscheiniger Ausreden, warum dies kein Bruch der Verhaltensregeln gewesen sein soll.

Reihenweise wechseln hochrangige Beamt:innen aus der EU-Kommission in gut bezahlte Lobbyjobs – als Lobbyist:innen für die Konzerne, die sie vorher noch kontrolliert haben. Erst kürzlich haben wir uns bei der EU-Kommission über einen besonders skandalösen Fall beschwert. Aber wenn die EU-Institutionen nicht dafür sorgen, dass ihre bestehenden Regeln auch eingehalten werden, schwächen sie ihre Integrität und Durchschlagskraft und gefährden damit auf Dauer die europäische Demokratie. Gerade jetzt, wo autoritäre Staaten und skrupellose rechtsgerichtete Politiker:innen jede Chance nutzen, der Demokratie zu schaden, ist die Durchsetzung der Regeln wichtiger denn je. Denn diese Akteure scheren sich nicht um Integrität und Regeln.

Die Durchsetzung der Regeln wird für uns daher in den kommenden 5 Jahren ein Schwerpunkt sein. Wir werden uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie sie in die Tat umgesetzt werden kann, und dabei Expert:innen einbeziehen.

Was passiert heute im Hearing?

Wenn Šefčovič heute „gegrillt“ wird, wie es die Abgeordneten nennen, wird es für uns zunächst einmal darauf ankommen, ob das Thema überhaupt vorkommt. Denn bei den schriftlichen Fragen, die Abgeordnete vorab an die Kommissar:innen stellen können, hat das Thema sich nicht durchsetzen können. Das ist auch eine Folge der neuen konservativen Mehrheiten im Parlament. Das Hearing behandelt beide Themenbereiche des kommenden EU-Kommissars.

Wir haben den Abgeordneten verschiedene Fragen geschickt und sie dazu aufgefordert, sie heute zu stellen. Dabei geht es um die Durchsetzung der Ethikregeln, aber auch um die nötigen Verbesserungen im Transparenzregister. Auch die allgemeine Frage, wie wichtig er das Thema nehmen wird, haben wir gestellt. Wir hoffen sehr, dass Šefčovič das Thema diesmal mit mehr Engagement angehen wird als beim letzten Mal.

Die Hearings werden live übertragen, wer kann, sollte sie sich unbedingt ansehen. Es geht schließlich um eine Institution, die über zentrale Fragen unseres alltäglichen Lebens mitbestimmt.

Wie der Hearingprozess weitergeht

Der Hearingprozess läuft noch bis zum 12.11.2024. Erst wenn alle EU-Kommissar:innen gehört und vom Parlament bestätigt wurden, kann die ganze EU-Kommission vom EU-Parlament bestätigt werden. In der Vergangenheit wurden auch stets noch einzelne Kandidat:innen abgelehnt. Bis die neue EU-Kommission steht, kann es daher durchaus Januar werden.

Zum Weiterlesen:

  • Fragen an Šefčovič , die wir den Abgeordneten geschickt haben
  • Infos und Termine der Hearings der designierten EU-Kommissar:innen sowie zu den Hearings

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Repräsentative Umfrage: Mehrheit der Deutschen wünscht sich Obergrenze für Parteispenden

29. Oktober 2024 - 11:54
  • 57% befürworten Einführung einer Obergrenze für private Spenden an politische Parteien
  • Mehr als zwei Drittel sind für die Offenlegung von Lobbytreffen von politischen Entscheider:innen
  • Beide Maßnahmen haben Mehrheiten bei den Wähler:innen aller im Bundestag vertretenen Parteien

Eine Mehrheit der Deutschen sieht bei Parteispenden und der Transparenz von Lobbytreffen politischen Handlungsbedarf. Insgesamt 57% der Befragten sprechen sich für eine Obergrenze bei Parteispenden aus. Nur 24% würden eine solche (eher) ablehnen. Ein Parteispendendeckel wird von einer Mehrheit der Wähler:innen aller im Bundestag vertretenen Parteien befürwortet (SPD 56%, Union 57%, Grüne 69%, AfD 53%, FDP 56%).

Ein Großteil aller Befragten (53%) unter denen, die eine Obergrenze befürworten, hält dabei einen Deckel von 50.000 Euro pro Spender:in pro Jahr für angemessen, während sich 24% für eine sogar noch strengere, niedrigere, Obergrenze aussprechen.

Zudem wünschen sich fast Dreiviertel der Deutschen (71%), dass die Lobbytreffen von politischen Entscheider:innen veröffentlicht werden sollten. Das sind die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage mit 2.151 Teilnehmenden, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag von LobbyControl vom 4.10.-8.10.2024 durchgeführt hat.

„Wir müssen Deutschland endlich an internationale Standards anpassen und auch eine Obergrenze für Parteispenden einführen. 19 der anderen EU-Länder haben mittlerweile einen Spendendeckel und nirgends in Europa fließen annähernd so viele Parteispenden wie in Deutschland. Auch die Veröffentlichung von Lobbytreffen ist mittlerweile Standard, so auch bei der EU-Kommission“, sagt Aurel Eschmann, Campaigner für Lobbyregulierung bei LobbyControl.

„Die Politik sollte die Umfrageergebnisse ernst nehmen und Transparenz sowie Integrität des politischen Prozesses sicherstellen. Nur so können wir verlorenes Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen. Als LobbyControl sprechen wir uns schon lange für einen Parteispendendeckel und eine Offenlegung von Lobbyterminen von Mitgliedern der Bundesregierung und anderen hochrangigen Entscheidungsträger:innen aus.“

Zwei Drittel (66%) der Befragten waren der Meinung, dass Bürger:innen im Allgemeinen zu wenig Einfluss auf die Politik in Deutschland hätten, während 61% den Einfluss von Menschen mit viel Geld als zu hoch ansahen. Über die Hälfte (52%) der Menschen in Deutschland sind außerdem der Meinung, dass große Unternehmen zu viel Einfluss auf die Politik hätten.

Hinweise zur Methodik

Grundlage der Angaben ist eine repräsentative Umfrage, die YouGov im Auftrag von LobbyControl durchgeführt hat. Vom 04.10.-08.10.2024 wurden 2.151 wahlberechtigte Personen in Deutschland online befragt. Die Stichprobe ist repräsentativ nach demographischen Faktoren sowie nach der Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl 2021. Mit Ausnahme der Linken sind alle Wählergruppen ausreichend groß, um robuste Aussagen zu den Positionen der Wähler:innen bestimmter Parteien zu treffen.

Gefragt wurde: „Bitte geben Sie an, ob die folgenden Gruppen und Akteure Ihrer Meinung nach zu viel, zu wenig oder einen angemessenen Einfluss auf die Politik in Deutschland haben…“; „In Deutschland gibt es aktuell keine Obergrenze dafür, wie viel ein privater Spender pro Jahr an politische Parteien spenden darf. Würden Sie die Einführung einer Obergrenze pro Jahr und Spender befürworten oder ablehnen?“; „Sie haben angegeben, dass Sie eine Obergrenze für private Parteispenden eher befürworten würden. Halten Sie eine Obergrenze von 50.000 Euro pro Jahr und Spender für zu hoch, zu niedrig oder angemessen?“; und „Sollten politische Entscheidungsträger dazu verpflichtet werden, ihre Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern von Interessenverbänden und Lobbygruppen immer offenzulegen, oder sollten sie dies nicht?“

Grafiken zum Download finden Sie hier.

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Wie Big Tech die Debatte um den Digital Markets Act verzerrt

29. Oktober 2024 - 11:41

So gaben ein Fünftel aller Teilnehmer:innen nicht an, dass sie enge Verbindungen zu einem Big Tech-Unternehmen haben, obwohl die EU-Kommission sie dazu aufgefordert hatte. Das deckt eine gemeinsame Recherche von CEO, SOMO und LobbyControl auf. 

Obwohl die Kommission Transparenz fördern wollte, indem sie ihre DMA-Compliance Workshops für ein breites Spektrum von Teilnehmer:innen öffnete, zeigen Untersuchungen von LobbyControl, Corporate Europe Observatory (CEO) und SOMO einen beunruhigenden Trend. 848 der registrierten Teilnehmer:innen (21 % aller Registrierten) hatten Verbindungen zu den Unternehmen, die der DMA regulieren soll. Darunter Vertreter:innen von 34 Anwaltskanzleien, 22 Lobbyagenturen, 17 Wirtschaftsverbänden, 10 Wirtschaftsberatungsunternehmen und acht Denkfabriken. 

Die Recherche zeigt zudem, dass die Kommission die Teilnehmer:innen zwar aufforderte, ihre Verbindungen zu Gatekeepern offenzulegen. Doch fast alle Teilnehmenden ignorierten diese Aufforderung. Dadurch konnten Tech-Konzerne weiterhin unverhältnismäßig viel Einfluss auf die Diskussionen in den Workshops ausüben, ohne die Verbindungen zu den Teilnehmer:innen transparent zu machen. So konnten Google, Apple & Co Kritik abschmettern und die Diskussion zu ihren Gunsten beeinflussen.

Margarida Silva, Researcher bei SOMO, kommentiert:

„Öffentliche Workshops, an denen Unternehmen und Nutzer:innen teilnehmen, bieten die Möglichkeit, die Einhaltung der neuen Regeln durch Big Tech zu testen. Sie können es ressourcenschwachen Gruppen ermöglichen, ihre Bedenken öffentlich zu machen und mehr Informationen zu erhalten. Wenn jedoch keine strikten Vorkehrungen zur Offenlegung und zum Schutz vor Interessenkonflikten getroffen werden, können sie auch leicht verzerrt werden. Denn dann können Anwält:innen, Lobbyist:innen und Expert:innen, die von Big Tech angeheuert oder finanziert werden, die Workshops beeinflussen.“

Zwei von Big Tech finanzierte Organisationen, ACT – The App Association und das International Center for Law and Economics (ICLE), nahmen sogar an den Workshops teil, ohne ihre Unternehmenssponsoren offenzulegen. In den Workshops lenkten beide Kritik ab und stemmten sich gegen Bemühungen, dass Gatekeeper die neuen Vorschriften einhalten müssen.

Bram Vranken, Campaigner bei Corporate Europe Observatory, dazu:

„Der Einsatz von Tarngruppen durch Big Tech zur Verzerrung der öffentlichen Debatte ist äußerst problematisch. Es ist nicht nur irreführend, sondern untergräbt auch die demokratische Entscheidungsfindung. Von Big Tech finanzierte Organisationen wie ACT und ICLE sollten zumindest ihre Interessenkonflikte transparent machen.“

Während die Kommission die Teilnehmer:innen dazu aufforderte, ihre Verbindungen zu Gatekeepern offenzulegen, zeigt die Analyse von CEO, LobbyControl und SOMO, dass fast alle Teilnehmenden diese Aufforderung ignorierten. Die Mehrheit der Akteure mit bekannten Verbindungen zu Big Tech legte diese nicht offen, unabhängig davon, ob sie vertraglich (Lobbyagenturen- und Anwaltskanzleien) oder finanziell (Think Tanks) mit den Gatekeepern verbunden waren oder ob die Unternehmen sogar Mitglied in deren Wirtschaftsverbänden waren.

Immense Machtungleichgewichte zwischen Kommission und Tech-Konzernen

Um zu verhindern, dass künftig Workshops in ähnlicher Weise verzerrt werden, drängen CEO, SOMO und LobbyControl darauf, dass alle Teilnehmer:innen etwaige Interessenkonflikte offenlegen müssen. Dazu gehören strengere Anforderungen während des Registrierungsprozesses sowie die Verpflichtung, die eigenen Interessen offenzulegen, wenn man während eines Workshops spricht. Organisationen, die eindeutig als Big Tech-Sprachrohr fungieren, sollte der Zugang zur persönlichen Teilnahme verweigert werden.

Gleichzeitig verdeutlicht die Recherche der drei Organisationen die immensen Machtungleichgewichte bei den Ressourcen zwischen der zuständigen DMA-Abteilung bei der Europäischen Kommission und den Tech-Konzernen. Derzeit verfügt die zuständige Abteilung der EU über nur 80 Mitarbeiter sowie weitere 20 unterstützende Beamte aus anderen Abteilungen. Bei den Gatekeepern hingegen sind insgesamt 106 Mitarbeiter:innen angestellt. Sie werden zusätzlich durch 282 Anwält:innen und Lobbyist:innen ergänzt.

Max Bank, Campaigner bei LobbyControl, fasst zusammen:

„Die EU-Kommission hat es mit Tech-Giganten zu tun, die über praktisch unbegrenzte Lobby-Budgets und Anwaltsteams verfügen. Es ist ein klassisches David-gegen-Goliath-Szenario. Wenn die EU ihre Durchsetzungskapazitäten nicht stärkt, kann auch der DMA die Macht von Big Tech nicht begrenzen. Die Chance dazu bietet sich jetzt mit den heute beginnenden Verhandlungen über den EU-Haushalt.“

Hintergrund

  • Das Gesetz über digitale Märkte (DMA) ist der Versuch der EU, die Monopolmacht von Big Tech einzugrenzen. Es trat am 07. März 2024 in Kraft und stieß auf den erbitterten Widerstand von Big Tech-Unternehmen. Konzerne wie ByteDance, Apple und Meta hatten sich gegen die Einhaltung der Vorschriften gewehrt, rechtliche Schritte eingeleitet und ihren Einfluss geltend gemacht, um den Rechtsrahmen zu untergraben.
  • Die Recherche finden Sie hier.
  • LobbyControl hat bereits einen Artikel über die Big Tech Frontgruppe ACT | The App Association veröffentlicht.
  • CEO und LobbyControl veröffentlichten ein Update zu den Lobbyausgaben der Tech-Industrie im September 2023.
  • Weitere Informationen über den Einfluss von Big Tech in der EU.

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Wie Big Tech die Debatte um den Digital Markets Acts verzerrt

29. Oktober 2024 - 5:00

Tech-Konzerne haben die Debatte um die Einhaltung des Digital Markets Acts verzerrt. Ein Fünftel aller Teilnehmer:innen an Workshops der EU-Kommission gaben nicht an, dass sie enge Verbindungen zu einem Big Tech-Unternehmen haben. Das deckt eine Recherche von CEO, SOMO und LobbyControl auf. 

Zur Durchsetzung des Gesetzes über digitale Märkte (DMA) organisierte die Europäische Kommission im März 2024 öffentliche Workshops, um Feedback von den Unternehmen und Endverbraucher:innen einzuholen, die von der Macht der Digitalkonzerne betroffen sind. Eigentlich sollten die daran Beteiligten etwaige Verbindungen zu Tech-Konzernen offenlegen, um so eine Einflussnahme zu beschränken.

Unseren Analysen zufolge wurde diese Auflage der Kommission jedoch größtenteils ignoriert. Google, Amazon & Co gelang es, die eigenen Rechts- und Lobbyabteilungen durch ein umfangreiches, geheimes Netzwerk aus Anwaltskanzleien, Beratungsfirmen, Wirtschaftsverbänden und Denkfabriken zu verstärken. Ausgewogene Verhältnisse zwischen Big Tech und den Regulierungsbehörden sehen anders aus. Momentan bereitet die Europäische Kommission einen weiteren DMA-Workshop vor, diesmal mit Booking.com. Für diesen kann und muss es gelingen, Interessenkonflikten noch besser vorzubeugen.

Im März 2024 organisierte die Europäische Kommission eine Reihe öffentlicher Workshops, in denen geprüft werden sollte, inwieweit sich die Tech-Konzerne an die Bestimmungen des Gesetzes über digitale Märkte (DMA) halten. Mit fast 4.000 registrierten Teilnehmer:innen waren die Workshops gut besucht. Angemeldet waren Unternehmen, Anwaltskanzleien, zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaftler:innen, Aufsichtsbehörden sowie Wirtschaftsverbände.

Man wollte so Feedback von Nutzer:innen, Wettbewerbern, Unternehmen und anderen Betroffenen einsammeln, die auf die Dienste der Gatekeeper angewiesen sind. Untersuchungen von Corporate Europe Observatory (CEO), LobbyControl und SOMO zeigen jetzt, dass 21 % der Angemeldeten Verbindungen zu Gatekeepern hatten. Dazu zählten Vertreter:innen von 34 Anwaltskanzleien, 22 Lobbyfirmen, 17 Wirtschaftsverbänden, 10 Beratungsunternehmen und 8 Denkfabriken.

Zählt man die Angestellten der Gatekeeper selbst noch hinzu, kommt man auf 26 % aller Anwesenden. Das sind mehr als die von der Macht der Techkonzerne betroffenen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengenommen.

Kategorie der InteressenvertreterAnzahl der registrierten Teilnehmer:innenProzentsatz der registrierten Teilnehmer:innenGatekeeperAngestellte der Gatekeeper2055 %Ohne bekannte Verbindungen zu Gatekeepern
von Gatekeepern betroffene Unternehmen – Wettbewerber76819 %
Öffentliche Stellen60315 %
Anwaltskanzleien53613 %
Wissenschaftler:innen2446 &
Wirtschaftsberatungen1454 %
Student:innen1283 %
Journalist:innen1273 %
Andere1263 %Branchenverbände1223 %PR-Agenturen872 %Zivilgesellschaftliche Organisationen571 %Denkfabriken10 %Mit bekannten Verbindungen zu GatekeepernAnwaltskanzleien48812 %PR-Agenturen1764 %Branchenverbände662 %Wirtschaftsberatungen602 %Denkfabriken391 %Zivilgesellschaftliche Organisationen190 %Insgesamt3997

Mehr über unsere Methodik erfahren Sie am Ende der Kurzstudie.

Die von der EU-Kommission initiierten Workshops waren ein bemerkenswerter Versuch, Politik transparenter zu gestalten. Durchaus positiv zu bewerten ist auch, dass die Europäische Kommission alle Teilnehmer:innen dazu aufforderte, Verbindungen zu Gatekeepern offenzulegen.

Unsere Analyse der Teilnahmelisten zeigt jedoch, dass die entsprechende Frage meist ignoriert wurde.

Transparent waren lediglich Beschäftigte der Gatekeeper (wenn auch nicht alle) sowie drei Anwälte, die als externe Berater für Gatekeeper tätig oder dorthin abgestellt sind, und eine Behörde des französischen Wirtschaftsministeriums. Letztere machte jedoch keine genaueren Angaben und nannte auch keine Namen, wodurch ein Versehen nicht auszuschließen ist.

Die meisten registrierten Teilnehmer:innen mit bekannten Verbindungen zu den Techkonzernen behielten diese für sich – unabhängig davon, ob es sich um vertragliche Verhältnisse handelte (bspw. bei Lobbyagenturen und Anwaltskanzleien), um finanzielle Unterstützung oder um die Mitgliedschaft von Gatekeepern in teilnehmenden Verbänden.

Im Vorfeld der Workshops ergriff die Kommission zusätzliche Maßnahmen, um Anmeldungen auf Verbindungen zu Gatekeepern hin zu kontrollieren. Im Registrierungsformular gab es eigens eine Frage dazu. Darüber hinaus gab die Kommission Beschäftigten von Gatekeepern, kleinen und mittelständischen Unternehmen, die von der Macht von Gatekeepern betroffen sind, und zivilgesellschaftlichen Organisationen Priorität für die persönliche Teilnahme an den Workshops. Alle anderen, also „Journalist:innen, Berater:innen, externe Anwält:innen, Wissenschaftler:innen oder Student:innen“, konnten zwar ebenfalls an Workshops teilnehmen, jedoch nur online.

Den für das Verfahren verantwortlichen Beamten zufolge wurden die im Anmeldeformular abgefragten Angaben zu bestehenden Verbindungen lediglich dazu genutzt, die Teilnehmer:innen in Gruppen einzuteilen und vorrangig diejenigen zur Teilnahme vor Ort zuzulassen, die keine Verbindungen zu Gatekeepern hatten. Aufgrund des Zeitdrucks wurden die entsprechenden Informationen jedoch ohne weitere Prüfung akzeptiert. Wie aus Kasten 1 und Kasten 2 ersichtlich wird, konnten jedoch Verteter:innen vor Ort teilnehmen und sich an der Diskussion beteiligen, die bestehende Verbindungen zu den Technologieriesen nicht offengelegt hatten.

„Die Studie bringt eine Realität ans Tageslicht, die wir als Vertreter:innen der KMU vor Ort miterleben: Die Techkonzerne nutzen eine ganze Reihe fragwürdiger Praktiken, um Einfluss auf die Entscheidungsfindung der EU zu nehmen. Sowohl die Kommission als auch die anderen EU-Institutionen sind gar nicht dafür gewappnet, das zu verhindern. Das Ergebnis ist ein Prozess, der von denjenigen mit mehr Ressourcen ungebührlich beeinflusst wird. So entsteht das Risiko, dass die Entscheidungen nicht im Interesse der europäischen KMU und der eigentlichen Betroffenen getroffen werden.“

Sebastiano Toffalletti, Generalsekretär von Digital SME EU Alliance, einem Wirtschaftsverband kleiner und mittelständischer Digitalunternehmen in Europa, der keine finanziellen Mittel von Big Tech erhält.

So gelang es Google & Co dank ihrer enormen Ressourcen und ihres umfangreichen Netzwerks von Dritten letztlich doch, Kritik abzuschmettern und die Debatte zu verzerren. Die Daten belegen darüber hinaus eindeutig, wie ungleich die Ressourcenverteilung zwischen den Regulierungsbehörden und den zu beaufsichtigten Unternehmen tatsächlich ausfällt.

Big Tech versteckt sich hinter Strohleuten

Seit mehreren Jahrzehnten schon monopolisieren Big-Tech-Unternehmen wesentliche Funktionen des Internets, wodurch Unternehmen und Endverbraucher:innen ihrer Macht völlig ausgeliefert sind. Mit dem Gesetz über digitale Märkte (DMA) versucht die EU, die Monopolmacht der Digitalkonzerne zu zügeln und die schlimmsten Auswüchse von deren Macht einzudämmen. Unternehmen, die als Gatekeeper betrachtet werden, also Google, Amazon, Meta, Apple, Microsoft, Bytedance und Booking.com1, sind einem ganz spezifischen Regelwerk unterworfen, mit dem wettbewerbswidriges Verhalten unterbunden werden soll. So ist es ihnen zum Beispiel untersagt, auf ihren Plattformen eigene Produkte gegenüber denen von Wettbewerbern bevorzugt anzubieten oder personenbezogene Daten aus verschiedenen Diensten zusammenzuführen.

Das DMA ist seit dem 7. März 2024 vollständig in Kraft und stieß von Anfang an auf massiven Widerstand bei den Techkonzernen. Seit das Gesetz beschlossen wurde, wehren sich die Unternehmen mit Händen und Füßen dagegen. Apple, ByteDance und Meta haben den DMA bereits vor Gericht angefochten.

Doch trotz der andauernden Rechtsstreite mussten die Gatekeeper nachweisen, dass sie sich an die Regeln halten. Dafür fanden nicht nur bilaterale Gespräche mit der Europäischen Kommission statt, sondern die Unternehmen mussten auch Compliance-Berichte veröffentlichen. Drittparteien konnten die darin enthaltenen Informationen bewerten und dazu Feedback geben. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Der Techjournalist Cory Doctorow beschrieb die Pläne der Gatekeeper als „Kriegserklärung“ an die Europäische Kommission. Entwickler:innen und Aktivist:innen kritisierten Apple scharf und warfen dem Unternehmen arglistige Compliance vor. Die Berichte von Amazon wiederum waren so vage, dass sie beschrieben wurden als „bunt zusammengewürfelte Textbausteine aus der Marketingabteilung, mit denen zumindest der Anschein erweckt werden sollte, man habe pflichtgemäß einen Compliance-Bericht vorgelegt“. Metas Ansatz vom „Zustimmen oder Bezahlen“ stieß schnell auf Widerstand von Datenschutz-Aktivist:innen und ‑Behörden.

Die im März stattfindenden Workshops waren dann eine wichtige Gelegenheit für die Zivilgesellschaft und betroffene Unternehmen, öffentlich die Compliance der Gatekeeper zu hinterfragen.

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Techkonzerne auf ein weitreichendes Lobbynetzwerk bauen können, die ihren Interessen der EU gegenüber Nachdruck verleihen. Von Lobbyagenturen und Tarnorganisationen bis zu Denkfabriken und Beratungsunternehmen: Dritte zu finanzieren und zu unterstützen, damit diese die eigenen Botschaften endlos wiederholen, ist eine beliebte Strategie von Big Tech. Ein geleaktes Lobbystrategiepapier zeigt, dass zum Beispiel Google einen “Neustart der politischen Debatte” um DMA und DSA (das Gesetz über digitale Dienste) plante, unter anderem auch mithilfe von Verbündeten aus der Wissenschaft und aus den USA. In einem Briefing haben LobbyControl und Corporate Europe Observatory unlängst neugewählte EU-Abgeordnete vor diesen Lobbystrategien gewarnt.

Man setzt nicht auf überzeugende Argumente, sondern will stattdessen Zweifel säen. Große Konzerne machen sich diese Strategie schon seit Langem zunutze, hatte sie sich doch bei der Tabakindustrie bereits bewährt.

1 Booking.com wurde später ebenfalls als Gatekeeper aufgelistet, war jedoch in der ersten Workshop-Runde nicht beteiligt.

Auf die Ergebnisse unserer Recherchen reagierte Tommaso Valletti, Professor für Wirtschaftswissenschaften und ehemaliger Chefvolkswirt der EU-Wettbewerbsbehörde, mit den Worten:

Durch Interessenkonflikte und fehlende Transparenz sind in der Wettbewerbspolitik und Regulierung die Grenzen zwischen Sachkenntnis und Lobbyarbeit verwischt worden. Ohne eine Lösung für dieses Problem können wir die digitale Zukunft Europas nicht angemessen diskutieren.

Das Lobbynetzwerk von Big Tech bei den DMA-Workshops

1. Anwaltskanzleien

Mit mehr als 1.000 Anwesenden gehörten die Vertreter:innen von 179 Anwaltskanzleien zur größten Gruppe unter den Registrierten. Wie unsere Analyse zeigt, arbeiten mindestens 34 dieser Kanzleien für Gatekeeper an Wettbewerbsfragen oder taten dies in der jüngsten Vergangenheit.

So zum Beispiel Freshfields, die Apple und Meta in deren Klagen gegen den DMA vertritt. Die Anwaltskanzlei hatte insgesamt die meisten Workshop-Anmeldungen (81). Zehn ihrer Beschäftigten waren sowohl für die Workshops von Apple als auch von Meta angemeldet, doch nur in einer Anmeldung war eine externe Beratungstätigkeit für Apple erwähnt.

Skadden, Rechtsbeistand von ByteDance in der Klage gegen die Erfassung als DMA-Gatekeeper, war bei dem ByteDance-Workshop mit einer nicht gerade kleinen Delegation von zehn Rechtsanwält:innen vertreten. Nicht in einer einzigen Anmeldung war die Verbindung zum Gatekeeper erwähnt.

Zu den Anwaltskanzleien, die zwar eindeutige Verbindungen zu Gatekeepern haben, diese jedoch nicht offenlegten, gehört auch BTS&Partners. Die Kanzlei berät Apple durch „Nachverfolgung, Überwachung, Berichterstattung und Analyse bezüglich Vorschriften und neuen Rechtsakten.”

Norton Rose Fulbright LLP „unterstützt Microsofts Abteilung für Wettbewerbsrecht im EMEA-Raum in Fragen der Wettbewerbs-Compliance“. In den 15 Registrierungen wurde nur ein einziges Mal eine Verbindung zu einem Gatekeeper erwähnt, ohne jedoch dessen Namen zu nennen.

Einige der Anwaltskanzleien bieten mehr als nur Rechtsberatung. So beriet Clifford Chance Amazon nicht nur während der Untersuchungen der EU hinsichtlich der Amazon-Marktplätze (Überschneidungen mit dem DMA), sondern betreibt für das Unternehmen auch Lobbyarbeit bei den EU-Institutionen. Keine einzige Registrierung der 8 Anwält:innen für den Amazon-Workshop erwähnt diese Verbindung.

In gleicher Weise vertritt Covington Microsoft gegenüber der EU in Wettbewerbsfragen und White & Case Meta in Sachen DMA. Latham Watkins ließ seine Anwält:innen für Apple Lobbytreffen zum Thema DMA arrangieren. Nicht in einem einzigen Fall wurden diese Verbindungen publik gemacht. Darüber hinaus scheint Latham die allgemeinen Transparenzbestimmungen zu umgehen, wenn es Apple im EU-Lobbyregister gar nicht erst als Klienten erwähnt.

2. Lobbyagenturen

Techkonzerne greifen gern auf Lobbyagenturen zurück, lassen sich von diesen in der Lobbyarbeit unterstützen oder überlassen ihnen das Lobbying ganz. Daten unserer EU-Lobbyismusdatenbank lobbyfacts.eu zeigen, dass Apple, Amazon, Alphabet, Microsoft und ByteDance im Jahr 2023 Aufträge im Gesamtwert von 8.155.000 Euro an 44 Lobbyagenturen vergeben haben – fast ein Viertel der jährlichen Lobbybudgets der Gatekeeper.

Bei den Workshops waren 53 verschiedene Lobbyagenturen vertreten, verteilt auf insgesamt 263 Anmeldungen. Nicht ein einziges Mal wurde dabei die Lobbyarbeit für die Gatekeeper erwähnt, obwohl 22 der Firmen derzeit im Auftrag von Gatekeepern aktiv sind.

Dazu gehört zum Beispiel Fleishman-Hillard, die sowohl Meta als auch Amazon vertreten, letztere unter anderem bei Themen wie dem DMA. Auch Flint Europe betreibt im Namen von Amazon, Apple, Alphabet, Meta und Microsoft Lobbyarbeit – etwa im Bereich Digitalwirtschaft und Wettbewerb. Shearwater Global wiederum wird von Google für DMA-Lobbyarbeit bezahlt, sowohl direkt als auch über die Anwaltskanzlei Cleary Gottlieb.

Nicht ein einziges Mal erwähnten die registrierten Personen diese Verbindungen.

3. Wirtschaftsverbände

Von den 188 angemeldeten Teilnehmer:innen gehörten 66 zu Verbänden, die von Techkonzernen finanziert werden oder diese zu ihren Mitgliedern zählen. Diese Verbindung wurde jedoch ebenso nicht ein einziges Mal offengelegt.

Das ist umso überraschender, da einige dieser Verbände hauptsächlich für Big-Tech-Unternehmen Lobbyarbeit betreiben. So der Verband der Computer- und Kommunikationsindustrie (CCIA Europe), zu dessen Mitgliedern Alphabet, Amazon, Apple und Meta zählen. In der Anmeldung wurden dazu keine Angaben gemacht.

Die CODE-Initiative (Coalition for Open Digital Ecosystems) – gegründet von Google und Meta als Diskussionsforum rund um den Plattform-Wettbewerb – erwähnt diese Verbindung ebenfalls mit keinem Wort.

Für den Apple-Workshop angemeldet war unter anderem die Chamber of Progress. Der Verband aus den USA stieß als Tarnorganisation von Big Tech bereits auf starke Kritik. Finanziert wird Chamber of Progress von Amazon, Apple, ByteDance, Alphabet und Meta, doch auch das wurde in der Registrierung nicht offengelegt.

Zu weiteren Wirtschaftsverbänden, die ihre Verbindung zu den Gatekeepern unerwähnt ließen, gehörten auch Allied for Startups, Developers Alliance, DIGITALEUROPE, IAB Europe und Ecommerce Europe.

Apple-Tarnverband weist Kritik an DMA-Compliance zurück
Während der Workshops zu Apple und Amazon tat sich besonders ACT | The App Association durch positive Wortbeiträge zu Apple hervor. Nach dem Apple-Workshop schrieb ACT-Lobbyist Mike Sax auf LinkedIn: „Ganz offensichtlich sieht sich Apple nicht nur verpflichtet, die Anforderungen des DMA zu erfüllen, sondern man will auch sicherstellen, dass die neuen Vorschriften zum Wohle aller sind.“

Mit keiner Silbe erwähnte Sax während seiner Wortmeldungen, dass der Wirtschaftsverband ACT, der nach eigenen Angaben App-Entwickler vertritt, zu großen Teilen von Apple und Amazon finanziert wird. Auf mehrmalige Nachfrage bestätigte ACT gegenüber LobbyControl 2023, dass die Hälfte des eigenen Budgets von 13,5 Mio. Dollar von Apple stamme. Das EU-Lobbybudget des Verbandes fällt mit 100.000–199.999 Euro bedeutend bescheidener aus. Möglicherweise liegt diese Schätzung aber auch zu niedrig: Die beim belgischen Fiskus eingereichten Abschlüsse belegen, dass die Gesamtausgaben des Verbandes 2022 bei 378.000 Euro lagen.

Frühere Angestellte haben darüber hinaus offenbart, dass Apple hinter den Kulissen bei der Positionierung des ACT die Fäden ziehe. In der Tat ähneln die Lobby-Standpunkte des Verbandes verdächtig denen von Apple. Auch hat sich ACT in mehreren Gerichtsverfahren im Auftrag des Unternehmens beteiligt.

So zum Beispiel 2022 bei einem Verfahren vor dem Pariser Handelsgericht, das Apple letztlich zu einer Strafe von 1 Mio. Euro verurteilte, weil das Unternehmen französischen App-Entwickler:innen missbräuchliche Geschäftsklauseln aufgezwungen hatte. Während des Verfahrens wandte sich das französische Wirtschaftsministerium gegen ACTs Intervention zugunsten von Apple mit dem Argument, dass „der von Apple finanzierte belgische Verband ACT von Intransparenz umgeben“ und daher dessen Intervention vor Gericht „rein opportunistisch, dilatorisch und unnötig“ sei.

ACT hat sich schon wiederholt gegen den DMA ausgesprochen und erklärt, alternative App-Stores könnten das Vertrauen der Kund:innen zerstören, Sicherheitsprobleme verursachen und potenziell geistige Eigentumsrechte verletzen. Apple selbst hätte es nicht besser sagen können.

Fünf Tage nachdem sich Sax in seinem LinkedIn-Beitrag für Apple verbürgte, leitete die Europäische Kommission eine Untersuchung gegen das Unternehmen ein: Es bestand der Verdacht, Apple zwinge App-Entwickler:innen missbräuchliche Geschäftsklauseln auf.

4. Denkfabriken

Nur eine der neun Denkfabriken, die an den Workshops teilnahmen, erhielt keine finanzielle Unterstützung von Techkonzernen (und damit nur 1 von 40 Registrierten). In keiner der restlichen 39 Anmeldungen für die DMA-Workshops wurden Verbindungen zu Gatekeepern offengelegt.

Das Centre for Information Policy Leadership (CIPL) zum Beispiel meldete neun Teilnehmer:innen an. Nicht ein einziges Mal wurde die Verbindung zu Gatekeepern erwähnt, obwohl CIPL finanzielle Unterstützung von allen sechs Konzernen erhält.

Bei anderen Denkfabriken sieht es ähnlich aus: Das Centre on Regulation in Europe (CERRE; 7 Anmeldungen) wird von allen sechs Gatekeepern finanziert, das Progressive Policy Institute (4 Anmeldungen) von Amazon und Meta und das Center for European Policy Analysis (4 Anmeldungen) von Amazon, Alphabet und Meta.

International Center for Law and Economics (ICLE)

Lazar Radic, leitender Wissenschaftler für Wettbewerbspolitik am International Center for Law & Economics (ICLE), nahm persönlich am Amazon-Workshop teil. Er betrat das Gebäude gemeinsam mit dem AmazonLobbyisten, der für die Kontakte zu Wissenschaftler:innen zuständig ist. Beide saßen während der Veranstaltung nebeneinander. Sie tauschten sich fortwährend miteinander aus. Nicht lange nach Beginn des Workshops, nach Fragen von ACT (von Amazon finanziert) und CIPL (von Amazon finanziert), wendete sich Radic mit der Frage an Amazon, ob die Einhaltung des DMA für das Unternehmen kostspielig sei. Amazons Compliance-Team war nur allzu gern bereit, die Frage zu beantworten. Zu keinem Zeitpunkt während dieses Austauschs wurde von irgendeiner Seite eingeräumt, dass ICLE auch von Amazon finanziert wird.

ICLE beschreibt sich selbst als globale Denkfabrik. Ihr Hauptsitz befindet sich im amerikanischen Portland, und offiziell eingetragen wurde es unter dem Namen „International Policy Network“. Für das Jahr 2022 deklarierte ICLE Gesamteinnahmen von knapp 5 Mio. Dollar, fast ausschließlich aus Zuwendungen und Fördergeldern. Seit 2017 ist ICLE auch immer häufiger in der EU tätig. Laut der amerikanischen Steuererklärung gab man 2022 in Europa 152.500 Dollar aus. ICLE trägt sich jedoch bislang nicht im EU-Lobbyregister ein.

Zu ihren Einnahmequellen hält sich die Denkfabrik bedeckt. Auf der Webseite ist lediglich zu lesen, sie werde gefördert von „gleichgesinnten Institutionen, Branchenpartnern und von Personen, die an unsere Mission glauben“. Trotz mehrfacher Nachfragen unsererseits gab das ICLE keine Auskunft zu seiner Finanzierung.

Aus verschiedenen Quellen ist jedoch bekannt, dass ICLE Geld von Big Tech erhält. Amazon und Meta berichteten gegenüber Investoren, das ICLE über ihre Public-Policy-Teams zu finanzieren. Der Verband der Computer- und Kommunikationsindustrie (CCIA), der als Branchenverband die großen US-amerikanischen Techkonzerne vertritt, fördert ICLE seit Jahren direkt. So erhielt ICLE 2022 eine Zuwendung über 100.000 Dollar „zur Unterstützung der ICLE-Forschung und zur Erstellung einer detaillierten Analyse, ob AdTech-Märkte ähnlich wie Finanzmärkte reguliert werden sollten“. Einer der angegliederten Akademiker von ICLE war bis vor Kurzem bei CCIA tätig und gründete anschließend eine Beratungsfirma. Diese betreibt jetzt bei der Europäischen Kommission Lobbyarbeit, und zwar sowohl im Auftrag von CCIA (zu DMA und anderen Bereichen der Wettbewerbspolitik) als auch für das von Big Tech geförderte Chamber of Progress.

Es gibt zahlreiche Berichte, dass ICLE auch Geld vom Google Mutterkonzern Alphabet erhalten hat. Geoffrey Manne, einer der Gründer der Denkfabrik, geriet in die Kritik, weil er sich schon seit mehr als einem Jahrzehnt für die Interessen von Alphabet stark macht.

ICLE-Wissenschaftler:innen stehen dem DMA eher skeptisch gegenüber. Sie lehnen das Gesetz zwar nicht komplett ab, gehören aber zu denjenigen, die Zweifel daran säen, ob der DMA überhaupt durchgesetzt werden wird, ob er etwas bewirken kann und ob er irgendwann mehr Wettbewerb schaffen wird. In letzter Zeit waren die ICLE-Autor:innen besonders in Indien, der Türkei und in Brasilien aktiv. Dort versuchen sie mit Gastkommentaren und politischen Stellungnahmen, die Regierungen davon abzubringen, Gesetze im Stile des DMA zu verabschieden. Wer sie dafür bezahlt, bleibt freilich unerwähnt.

Machtungleichgewichte zwischen Big Tech und Regulierungsbehörden

Die Teilnehmerlisten der Workshops bieten auch einzigartige Einblicke in die Personalressourcen, die den Gatekeepern für die Arbeit mit dem DMA zur Verfügung stehen.

Allen voran stand Alphabet mit sage und schreibe 48 Beschäftigten, die für die Workshops registriert waren. Damit jedoch nicht genug.

Nicht ganz unbedeutend war auch die Unterstützung, die das Unternehmen durch 24 Rechtsanwält:innen verschiedenster Kanzleien erhielt: Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP (die Google nicht nur in Wettbewerbsverfahren verteidigt, sondern auch eine Lobbyfirma damit beauftragte, zugunsten des Unternehmens Einfluss auf das DMA zu nehmen), Guarrigues, Gunnercooke, Hengeler Mueller, Hogan Lovells, Slaughter and May (die das Unternehmen in verschiedenen Wettbewerbsverfahren in der EU vertritt, darunter auch im den AdTech-Fällen), VJT & Partners und White & Case.

Hinzu kamen 28 Lobbyist:innen von Lobbyagenturen wie communication matters, Flint Global, Shearwater Global, Kreab, FTI Consulting und andere.

Um die Interessen des Unternehmens kümmerten sich darüber hinaus 13 Vertreter:innen von Branchenverbänden, in denen Alphabet Mitglied ist. Dazu gehörten CCIA, die von Alphabet und Meta neu gegründete Coalition for Open Digital Ecosystems, Developers Alliance, Alliance Digitale, Allied for Startups, Interactive Advertising Bureau und DIGITALEUROPE.

Insgesamt waren bei dem Workshop zu Alphabet mindestens 113 Teilnehmer:innen anwesend, die in einem direkten Verhältnis zum Unternehmen standen. Nicht mitgezählt sind dabei geförderte Dritte wie Denkfabriken, Wissenschaftler:innen, Wirtschaftsberatungsfirmen und zivilgesellschaftliche Organisationen.

GatekeeperAnwalts-kanzleienLobby-agenturenBranchen-verbändeGesamtAlphabet-Workshop48242813113Amazon-Workshop132724973Meta-Workshop1027201067Apple-Workshop112591055Microsoft-Workshop152611153Bytedance-Workshop9135027

Im Vergleich dazu besteht das DMA-Team der EU-Kommission aus rund 80 Personen – 40 von der GD Connect und 40 von der GD Wettbewerb. Ergänzt wurde es nach Bedarf durch andere Beamt:innen der Kommission auf bis zu 100 Personen insgesamt.

Mit Abstand am größten war das Team von Alphabet. Das bedeutend kleinere DMA-Team hingegen muss sich gleichzeitig um alle Gatekeeper kümmern. Dieses Missverhältnis ist besonders relevant, da eine der zentralen Fragen bei der Durchsetzung des DMA eben dieses Ungleichgewicht ist: Den weltweit größten und reichsten Unternehmen stehen so viel mehr Ressourcen zur Verfügung als den für die Durchsetzung verantwortlichen Teams der EU-Kommission. LobbyControl argumentierte bereits 2022 in einem Rechtsgutachten, dass sehr viel mehr Personal für die konsequente Durchsetzung des DMA nötig sei. Dieses Gutachten wurde auch in der Gesetzgebung von Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufgegriffen.

Empfehlungen

Unsere Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie problematisch verdeckte Geldflüsse sind: Sie können die öffentliche Debatte verzerren, ohne das dies offensichtlich wird. Es ist seit langem bekannt, dass Techkonzerne oft und gern auf diese Strategie zurückgreifen. Der Gesetzgeber muss also die Lage ganz genau im Blick behalten, wenn er verhindern will, dass Google & Co auf diese Weise die Umsetzung des DMA und anderer Gesetze beeinträchtigen.

Ein erster Schritt wäre hier die Verbesserung des Registrierungs- und Sortierprozesses für die DMA-Workshops. Wir schlagen gezieltere Fragen in den Anmeldeformulare vor. Zum Beispiel:

  • Wurden Sie oder Ihr Unternehmen/Ihre Organisation von einem Gatekeeper beauftragt, diesen in Fragen der Compliance, bei Gerichtsverfahren oder im Umgang mit Regulierungsbehörden zu unterstützen?
  • Haben Sie/Erhalten Sie oder Ihr Unternehmen/Ihre Organisation Förder- oder Sponsorengelder von dem Gatekeeper erhalten?
  • Ist der Gatekeeper Mitglied Ihrer Organisation?

Darüber hinaus sollte im Formular die Registrierungsnummer der angemeldeten Unternehmen/Organisationen im EU-Lobbyregister abgefragt werden. Das würde den Zugang zu Informationen über deren Finanzierung erleichtern.

Ergänzend bedarf es künftig einer Offenlegung möglicher Interessenkonflikte von Redner:innen während der Workshops: vor ihren Wortmeldungen sollten Teilnehmer:innen potenzielle Interessenkonflikte offenlegen. In akademischen Fachartikeln wird das bereits zum Standard.

Um die Ressourcenungleichgewichtte zwischen Regulierern und Gatekeepern zu reduzieren, müssen die EU-Institutionen die personellen und technischen Mittel des DMA-Teams unbedingt aufstocken. Das wird für den Erfolg des DMA von entscheidender Bedeutung sein. Mit den heute beginnenden Haushaltsverhandlungen besteht die nächste Gelegenheit dafür.

Das Ungleichgewicht bei den Ressourcen und der unterschiedliche Zugang zu Informationen kann weiter ausgeglichen werden, indem die EU-Kommission es interessierten Kreisen erleichtert, die Durchsetzung des DMA zu prüfen und daran teilzuhaben. Um das zu erreichen, wird das DMA-Team verstärkt dafür sorgen müssen, dass betroffene Unternehmen und Verbraucherschutzorganisationen an diesen Workshops und ähnlichen Evaluierungsmöglichkeiten teilnehmen können. Außerdem müssen die Gatekeeper dazu gezwungen werden, der Öffentlichkeit detailliertere Informationen zu ihrer Compliance zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel durch die Veröffentlichung von tatsächlich aussagekräftigen Compliance-Berichten.

Methodische Anmerkungen

Um Zugriff auf die Teilnehmerlisten der DMA-Workshops zu erhalten, haben wir eine Informationsfreiheitsanfrage an die Europäische Kommission gestellt. Daraufhin wurde uns die Liste als PDF-Datei zur Verfügung gestellt. Wir haben diese in ein maschinenlesbares Format umgewandelt und dann mithilfe von OpenRefine die Namen der Teilnehmer:innen und die Kategorien der Interessenvertreter bereinigt und gruppiert.

Ergänzt wurde diese Arbeit durch Online-Recherchen, insbesondere bei der Entschlüsselung von Akronymen und bei fremdsprachlichen Namen. In einigen Fällen ist es nicht gelungen, die Details der Anmeldung zu entschlüsseln. In diesen Fällen wurde der eingegebene Name stehengelassen. Wurden in Einträgen mehrere Kategorien angegeben (wie bei Deloitte, die als Anwaltskanzlei, PR-Agentur und Wirtschaftsberatung kategorisiert werden kann), haben wir die eingegebenen Informationen so belassen. Darüber hinaus haben wir die Kategorien Geschäftliche Anwender:innen und Wettbewerber zusammengeführt.

Für die Bewertung bekannter Verbindungen zu den Gatekeepern haben wir folgende Quellen benutzt:

  • für Anwaltskanzleien: die Online-Datenbank des Europäischen Gerichtshofs für laufende DMA-Verfahren, Legal500, Lobbyfacts.eu und die Webseiten der einzelnen Kanzleien
  • für Lobbyagenturen: Lobbyfacts.eu und das EU-Lobbyregister
  • für Wirtschaftsberatungfirmen: Webseiten und Veröffentlichungen der einzelnen Unternehmen
  • für Branchenverbände, zivilgesellschaftliche Organisationen und andere Gruppen: Lobbyfacts.eu, Webseiten und Veröffentlichungen der einzelnen Unternehmen und Organisationen sowie Informationen der Gatekeeper für US-Investoren, in denen Förderungen für Dritte offengelegt sind

Die bestehenden Verbindungen zu Big Tech variieren hinsichtlich Art und Umfang. Einige Vorstände erhalten sehr wenig finanzielle Unterstützung von den Gatekeepern und äußern sich in der Öffentlichkeit durchaus kritisch. So geschehen im Fall von EDRi: Der Dachverband der netzpolitischen Zivilgesellschaft erhielt eine Spende von Apple, die auf der Webseite und im Jahresbericht veröffentlicht wurde. Dennoch äußert sich EDRi öffentlich sehr kritisch über das Unternehmen und hat sogar Beschwerden gegen Apple wegen DMA-Verstößen eingereicht. Auch eines der Regionalbüros der NGO Article 19 hat Spenden von Big Tech (Alphabet) erhalten für andere Arbeitsbereiche als die Arbeit zum DMA in Höhe von 0,7 % der Gesamteinnahmen. Auch in diesem Falle ist die Offenlegung dieser Informationen im Rahmen von öffentlichen Diskussionen wichtig.

Da keine einzelnen Namen genannt wurden, konnten wir die möglichen Verbindungen von Wissenschaftler:innen, Forschungsinstituten und anderen Einzelpersonen nicht analysieren.

Weitere Informationen

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Transparenz stärken: So lässt sich der Zugang zu EU-Dokumenten verbessern

28. Oktober 2024 - 13:46

Zehn-Punkte-Plan von Access Info, mit dem der Zugang zu EU-Dokumenten verbessert werden soll.

Unsere Partnerorganisation Access Info hat heute zehn Vorschläge zur Verbesserung des Zugangs zu EU-Dokumenten veröffentlicht. Trotz einer soliden rechtlichen Grundlage gibt es im Alltag erhebliche Schwierigkeiten, wenn Bürger*innen, Medien oder zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Zugangsrechte durchsetzen wollen. Das erleben wir auch in unserer Arbeit immer wieder. Häufig werden etwa Anfragen stark verzögert und erst mit großer Verspätung beantwortet.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, hat Access Info einen Bericht mit zehn konkreten Empfehlungen veröffentlicht. Diese Empfehlungen, die auch von uns unterstützt werden, zielen darauf ab, bestehende Barrieren abzubauen und die Transparenz zu verbessern:

Moderne Kommunikationsformate einbeziehen

Ein zentrales Problem ist, dass die EU-Institutionen den Begriff „Dokument“ oft falsch interpretieren. Beispielsweise werden moderne Kommunikationsformate wie ein Austausch über Chatkanäle oder SMS oft nicht in die Dokumentenverwaltung einbezogen. Die Frage, ob ein Dokument vorliegt oder nicht, sollte jedoch nicht von seinem Format oder seiner Registrierung abhängen.

Transparenz in Echtzeit: Zivilgesellschaftliche Beteiligung ermöglichen

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass viele Dokumente erst spät veröffentlicht werden, was die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der EU-Gesetzgebung erheblich erschwert. Die Empfehlungen schlagen eine proaktivere Veröffentlichung von Dokumenten während des Gesetzgebungsprozesses vor, darunter auch Folgenabschätzungen und Dokumente aus den sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Rat. Darüber hinaus wird eine breitere Definition von „legislativen Dokumenten“.

Zu viele Geschäftsgeheimnisse

Ein wichtiger Aspekt: Regelmäßig lehnt die EU-Kommission Anträge auf Zugang zu Dokumenten unter Berufung auf den Datenschutz oder den Schutz interner Geschäftsgeheimnisse ab. Der Bericht fordert, dass diese Rechte sauberer gegen das öffentliche Interesse abgewogen und häufiger als bisher auch teilweise Zugänge gewährt werden sollten.

Kein template für den Block ‚lc/pop-up-cta‘ gefunden.stdClass Object ( [template] => lightgrey [image] => 105147 [headline_1] => Gesetzgebung darf keine Geheimsache sein! [description_1] => In Brüssel werden Gesetze unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Wir fordern die EU auf, diese Geheimhaltung zu beenden. [button_text] => Jetzt unterschreiben! [button_link] => https://www.lobbycontrol.de/lobbyismus-in-der-eu/gesetzgebung-darf-keine-geheimsache-sein-2-105162/ [button_color] => lightorange [pop_up_functionality] => visible [pop_up_once] => 1 ) Das Versprechen der Transparenz einlösen

Die Verordnung 1049/2001, die den Zugang zu Dokumenten regelt, sollte das Herzstück der Transparenz in der EU sein, aber in der Praxis bleibt ihre Umsetzung oft hinter den Erwartungen zurück. Die zehn Empfehlungen von Access Info sollen sicherstellen, dass das Recht auf Zugang zu EU-Dokumenten nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis gewährleistet wird.

Ziel der Empfehlungen ist es nicht nur, diese Probleme aufzuzeigen, sondern auch sicherzustellen, dass das Recht auf Zugang zu Dokumenten vollständig umgesetzt wird und Transparenz und Rechenschaftspflicht in den EU-Institutionen gestärkt werden.

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LNG-Terminals und das Wasserstoff-Narrativ

25. Oktober 2024 - 9:20

Hat die Gasindustrie politischen Einfluss auf den Bau fester LNG-Terminals genommen? Das legt eine Untersuchung von Bjarne Behrens nahe. Ein Interview mit dem Bonner Politikwissenschaftler über die Strategien der Gaslobby.

Nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine setzte die Bundesregierung im Eiltempo den Bau fester LNG-Terminals an Nord- und Ostseeküste durch, um russisches Gas zu ersetzen. Umweltverbände wie die DUH hatten dagegen protestiert, noch immer halten die Auseinandersetzungen etwa um den Bau des Terminals auf Rügen an: Die Terminals seien umweltschädlich, schadeten dem Tourismus und seien vor allem auch nicht nötig, um den Gasbedarf zu decken. Mittlerweile sind erste Terminals in Betrieb gegangen, sind jedoch bei weitem nicht ausgelastet.

Hinter dem Bau der Terminals standen auch die Interessen der Gasindustrie. Der Bonner Politikwissenschaftler Bjarne Behrens hat erforscht, mit welchen Narrativen die Gaslobby ihre Interessen an die Politik getragen hat und wie dies den Bau der Terminals beschleunigt hat. Behrens’ Erkenntnisse ergänzen unsere eigenen Recherchen zur Gaslobby aus unserer Studie „Pipelines in die Politik“.

Herr Behrens, Sie haben zur Gaslobby geforscht. Was war der Anlass dazu?

Auslöser war die Verabschiedung des LNG-Beschleunigungsgesetzes im Mai 2022, also die Entscheidung, etwa ein Dutzend LNG-Terminals für den Import von Flüssiggas zu bauen. Diese sollen dann bis 2043 fossiles Gas importieren. Damit steht der Bau dieser Terminals im krassen Widerspruch zu den nationalen und internationalen Klimazielen. Ich habe mich gefragt, warum die Energiekrise von 2022 nicht genutzt wurde, um den Gasausstieg einzuleiten, erneuerbare Energien auszubauen oder die Wärmewende voranzutreiben.

Was genau haben Sie untersucht und wie sind Sie dabei vorgegangen?

Ich habe untersucht, wie genau dieses Gesetz zu Stande gekommen ist. Welche Akteure haben es vorangetrieben? Warum haben Alternativen keine Rolle gespielt? Was sagt die Wissenschaft dazu?

Für meine Forschung habe ich etliche Interviews geführt: mit Abgeordneten aus dem Bundestag, Lobbyverbänden und Energiekonzernen, mit Vertreter:innen aus Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Darüber hinaus habe ich auch eine Vielzahl von Dokumenten und Publikationen sowie Zeitungsartikel ausgewertet.

Bjarne Behrens

engagiert sich seit Jahren für Klimagerechtigkeit. Er hat Internationale Beziehungen im Bachelor und Sozioökonomie im Master studiert. In seiner letzten Forschungsarbeit hat er das Zustandekommen des LNG-Beschleunigungsgesetzes untersucht und die Macht der Gasindustrie unter die Lupe genommen. Momentan lebt und arbeitet Bjarne Behrens in Bonn.

Was waren die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer Forschung? Hat Sie etwas besonders erstaunt oder fanden Sie etwas besonders auffällig?

Die Auswertung aller im Analysezeitraum veröffentlichten wissenschaftlichen Studien hat klar gezeigt: Der Bau fester LNG-Terminals ist überflüssig. Mehr noch: diese Ergebnisse lagen der Bundesregierung Monate vor der Verabschiedung des Gesetzes vor. Warum Robert Habeck und Olaf Scholz dennoch immer wieder das Gegenteil behaupteten, war auch für meine Interviewpartner:innen aus NGOs und Wissenschaft rätselhaft.

Für mich war schnell klar, dass die Gaslobby ihre Finger im Spiel hat. In meiner Forschung konnte ich nachzeichnen, wie es der Gasindustrie gelungen ist, ihre Interessen politisch durchzusetzen. Als Schlüsselelement habe ich dafür das sogenannte „Wasserstoff-Narrativ“ identifiziert.

Was genau ist das „Wasserstoff-Narrativ“?

Als „Wasserstoff-Narrativ“ bezeichne ich die Erzählung, dass Wasserstoff die Lösung für alles ist. Demnach müssten wir für den ökologischen Umbau der Wirtschaft einfach nur Gas durch Wasserstoff ersetzen, egal ob fürs Heizen, Mobilität oder Industrieproduktion. Das komplizierte daran ist, dass es per se nicht falsch ist, Wasserstofftechnologien zu fördern. Allerdings ist sich die Wissenschaft einig darin, dass Wasserstoff nur für ganz bestimmte Anwendungen sinnvoll ist, zum Beispiel in der Chemie- oder Stahlproduktion.

Und was sagt die Wissenschaft dazu?

Der wissenschaftliche Diskurs zu Wasserstoff ist ein ganz anderer als uns die Gasindustrie vorgaukelt. Ich habe dazu verschiedene Quellen von Gaskonzernen und ihren Lobbyverbänden analysiert. Das habe ich dann verglichen mit der neuesten Studie des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU). Das Ergebnis: das Wasserstoff-Narrativ und der wissenschaftsbasierte Diskurs stehen in vielen Punkten im starken Widerspruch zueinander. Während ersteres behauptet, die bestehende Gasinfrastruktur könne auch für Wasserstoff verwendet werden, sieht der SRU hohe Investitions- und Umbaukosten.

Die Gasindustrie will Gaskraftwerke mit Wasserstoff betreiben, die Wissenschaft warnt vor den hohen Umwandlungsverlusten; Wasserstoff sei lediglich in der Speicherung sinnvoll. Die Gaslobby hält auch mit Gas produzierten Wasserstoff für eine gute Übergangslösung, die Wissenschaft nicht. So könnte ich noch viele weitere Beispiele nennen…

Kein template für den Block ‚lc/pop-up-cta‘ gefunden.stdClass Object ( [template] => petrol [image] => 106973 [headline_1] => Studie: Pipelines in die Politik [description_1] => Unsere Studie zeigt, wie mächtige Lobby-Allianzen aus Gaskonzernen und Industrie Druck machen für den Erhalt ihrer fossilen Geschäfte. Die letzten Bundesregierungen haben der Gasindustrie Lobbypipelines gelegt, die auch aktuell noch fortwirken. [button_text] => Mehr über unsere Studie [button_link] => https://www.lobbycontrol.de/pipelines-in-die-politik-die-macht-der-gaslobby-in-deutschland/ [button_color] => lightorange [pop_up_functionality] => deactivated [pop_up_once] => 1 ) Und wer steckt hinter dem Wasserstoff-Narrativ?

In meiner Forschung konnte ich zeigen, dass das Wasserstoff-Narrativ ein Produkt der Gaslobby ist. Jahrelang hatte sie „sauberes Gas“ als „Brückentechnologie“ vermarktet. Seit einigen Jahre ist aber klar, dass Flüssiggas durch die Vorkettenemissionen genauso klimaschädlich ist wie Öl oder Kohle – dabei geht es beispielsweise um die Emissionen während des Transports oder auch bereits bei der Förderung durch Leckagen. Einen Ausstieg aus Gas will die Gaslobby aber um jeden Preis verhindern. Daher wurde das Wasserstoff-Narrativ geboren.

Es suggeriert zum einen, dass die Industrie schon auf dem richtigen Weg sei. Zum anderen sichert es das fossile Geschäft auf Jahrzehnte ab. Große Mengen Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien wird es nämlich erstmal nicht geben. Stattdessen plant die Gasindustrie, Wasserstoff mit Gas zu produzieren. Ein Teil des freigesetzten CO2 soll dann abgespalten und in Pipelines nach Norwegen transportiert werden. Dort wird es dann in den Meeresboden verpresst. Gasinfrastruktur wie Pipelines können dadurch Jahrzehnte weitergenutzt werden. Ein Gasausstieg rückt in weite Ferne.

Können Sie Beispiele nennen, wo das Wasserstoff-Narrativ vermehrt verwendet wurde?

Besonders auffällig war der Anstieg des Wasserstoff-Narrativs in den Nachhaltigkeitsberichten der Energiekonzerne. 2016 hat Wasserstoff bei Uniper zum Beispiel noch gar keine Rolle gespielt, im letzten Nachhaltigkeitsbericht wurde alleine der Begriff fast hundertmal verwendet. Das wohl bekannteste Beispiel ist aber die Behauptung, die neuen LNG-Terminals seien „wasserstofffähig“ oder auch „H2-ready“. Über Parteigrenzen hinweg wurde der Bau dieser Terminals im Bundestag als „Investition in die Zukunft“ bezeichnet.

Verschwiegen wird, dass eine Umrüstung ziemlich teuer und aufgrund anderer Materialanforderungen unwahrscheinlich ist. Die meisten Expert:innen gehen davon aus, dass die jetzt geplanten LNG-Terminals bis 2043 Gas importieren werden und dann ihr Lebensende erreicht haben. Ein Blick in die Planungsdokumente der LNG-Terminals legt offen, dass eine zukünftige Umrüstung bislang auch gar nicht geplant ist, oder wie ein Interviewpartner von einer der Baufirmen sagt: „Natürlich ist hier gar nichts wasserstoff-ready, es gibt ja noch nicht einmal DIN-Normen dafür“.

Wie ist das Wasserstoff-Narrativ wirksam geworden?

Historisch sind Politik und Energieunternehmen ohnehin eng verflochten. Während der Energiekrise hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zusätzlich regelmäßig zu Krisensitzungen eingeladen. Hier saßen ausschließlich Industrievertreter zusammen. Wissenschaft und Umwelt-NGOs waren davon ausgeschlossen. Schlüsselfiguren wie Robert Habeck und Olaf Scholz haben das Wasserstoff-Narrativ und die Erzählung von der angebliche Notwendigkeit von festen LNG-Terminals bekannt gemacht. Daraufhin wurde es von vielen Abgeordneten und den meisten Medien unkritisch übernommen – und so oft wiederholt, bis es zu einer „Quasi-Wahrheit“ wurde.

Gab es weitere Narrative?

Die ganze Diskussion um den Bau von LNG-Terminals wäre ohne die Energiekrise natürlich undenkbar gewesen. Diese Krise hat die fossile Industrie diskursiv geschickt genutzt. Über Monate haben Konzerne und ihre Lobbyverbände den Untergang des Industriestandortes Deutschlands beschworen. Damit wurde enormer Handlungsdruck auf die Regierung aufgebaut. Natürlich gab es damals auch eine große Unsicherheit über zukünftige Gaslieferungen.

Wissenschaftlich wurde entsprechend kontrovers darüber gestritten, ob wir schwimmende LNG-Terminals zur Überbrückung brauchen, und wenn ja, wie viele. Einig waren sich aber alle Studien darin, dass es keine festen Terminals braucht. Diese werden ohnehin frühestens 2027 fertig. Dieser Unterschied wurde aber politisch verwischt. Im LNG-Beschleunigungsgesetz wurden dann auch der Bau von festen und von schwimmenden Terminals beschlossen. Das Narrativ der Gasmangellage hat entscheidend dazu beigetragen.

Was hat die Durchsetzung der Narrative begünstigt?

Letztlich kann man es damit zusammenfassen: die Macht der Gaskonzerne. Ob warme Wohnungen im Winter oder ausreichend Energie für die Industrie, beides ist ohne die großen Energiekonzerne nicht zu haben. Das weiß auch die Regierung. Wer in Krisenzeiten Handlungsfähigkeit beweisen will, bringt die Energiekonzerne lieber nicht gegen sich auf.

In der Politikwissenschaft spricht man auch von struktureller Macht, die sich allein aus der der Position in unserem Wirtschaftssystems ergibt. Hinzu kommt die Lobbyarbeit, die Nähe zur Politik und damit der Einfluss auf die politischen Debatten. Das gibt der Gasindustrie auch medial enorme Reichweite. Für zivilgesellschaftliche Akteure ist es dann oft schwer, dem diskursiv noch etwas entgegenzusetzen.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihrer Forschung für die Debatte über die Rolle der Gaslobby und fossile Interessen?

Meine Forschungsarbeit ist nur ein weiteres Puzzleteil, das zeigt: Die fossile Industrie hat einen viel zu großen politischen Einfluss. Ohne eine Veränderung der Machtverhältnisse wird echte Klimapolitik nicht möglich sein. Klimagruppen wie zum Beispiel Ende Gelände oder Umweltverbände wie die DUH machen seit Jahren darauf aufmerksam. Sie haben auch schon früh versucht, die Erzählungen vom „sauberen Gas“ oder der angeblichen Wasserstofffähigkeit der LNG-Terminals als Greenwashing-Strategien zu entlarven.

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Seitenwechsel zu Microsoft: Beschwerde bei EU eingereicht

24. Oktober 2024 - 8:47

Regelmäßig wechseln Beamte der EU-Kartellbehörde die Seiten. Sie gehen zu den Konzernen, die sich gegen Beschränkungen ihrer Marktmacht wehren und die sie vorher im Auftrag Europas kontrolliert haben. Alternativ wechseln sie zu den Anwaltskanzleien, Beratungsfirmen und Lobbyverbänden, die diese Konzerne gegenüber der Kartellbehörde vertreten. Damit macht sich die Kartellbehörde selbst äußerst angreifbar.

Nicholas Banasevics Wechsel zu Microsoft

Ein besonders skandalöser Fall ist der Wechsel von Nicholas Banasevic. Der ehemalige hohe Beamte der EU-Kommission hat diese in vielen Fusionsverfahren gegenüber großen Techkonzernen vertreten, darunter Microsoft, Google und Qualcomm. Banasevic verließ die Kommission 2021 und wechselte Januar 2022 zur Anwaltskanzlei Gibson Dunn. Schon dieser Seitenwechsel war problematisch: Gibson Dunn zählt unter anderem Apple zu seinen Kunden. Banasevic beriet die Kunden von Gibson Dunn unter anderem zum Digital Markets Act (DMA) der EU. Da Banasevic kein Jurist ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass er von der Kanzlei wegen seiner speziellen Wettbewerbskenntnisse und seines Insiderwissens zum DMA und zu den Fusionsverfahren mit großen Tech-Konzernen eingestellt wurde.

Im Juli 2024 wechselte er dann als Vizepräsident für Wettbewerb und Regulierung in Microsofts Lobbyabteilung in Brüssel. Banasevic arbeitet damit fortan bei dem Unternehmen, gegen das er im Namen der EU zuvor über viele Jahre hinweg vorgegangen ist. Brisant dabei: kurz nach Banasevics Wechsel zu Microsoft äußerte der Konzern sich kritisch zu einem beigelegten Streitverfahren mit der EU-Kommission, für das Banasevic als EU-Beamter in der Vergangenheit zuständig war. Laut Financial Times gehen Insider davon aus, dass Banasevic für Microsoft insgesamt von großem Wert sein dürfte in bevorstehenden Auseinandersetzungen um die Monopolposition in Europa.

Banasevics mögliche Interessenkonflikte sind offensichtlich. In einer Beschwerde an die EU-Kommission fordern wir deshalb, dass die Kommission den Wechsel zu Microsoft rückgängig macht, damit der Techkonzern nicht Banasevics Insiderinformationen ausnutzen kann, um Microsofts Monopolmacht zu verteidigen.

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Banasevic ist bedauerlicherweise kein Einzelfall. Noch im Oktober 2024 wechselte der hohe Beamte Nicholas Khan KC vom juristischen Dienst der EU-Kommission zur Anwaltskanzlei Monckton Chambers. Khan hat die EU in Wettbewerbsverfahren gegen Google vertreten, jetzt arbeitet er bei der Kanzlei, die Google gegen die Kommission vertrat.

Hinzu kommen dieses Jahr Hendrik Morch und Svend Aelbeek. Beide verließen die Wettbewerbsbehörde in den Privatsektor. Während Aelbeek aus dem Team des Chefökonomen der Wettbewerbsbehörde zur Wirtschafsberatungsfirma Charles River Associates (CRA) wechselte, ging Morch nach über 30 Jahren zur Anwalskanzlei Paul Weiss. Paul Weiss vertrat unter anderem Google, Apple und Amazon in Wettbewerbsverfahren und bejubelte den Wechsel von Morch als großen Gewinn für die Kunden der Anwaltskanzlei. Charles River Associates berät große Unternehmen bei Fusionen und reicht für diese Studien bei der Wettbewerbsbehörde ein.

Die Europäische Ombudsfrau setzt sich engagiert für mehr Transparenz in der EU ein. Transparenz ist das Mindeste

Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly leitete ein Untersuchungsverfahren von Morchs Seitenwechsel ein und forderte eine Offenlegung der Bedingungen, unter denen sein Seitenwechsel genehmigt wurde. Die Kommission weigerte sich jedoch, die Bedingungen offenzulegen. Das ist ein Skandal. Vorbild für die EU sollte hier die Praxis der britischen Wettbewerbsbehörde CMA sein, die detailliert die Vorgaben für Ex-Beamte offenlegt.

Gleichzeitig muss klar sein, dass die ständigen Seitenwechsel von der Kartellbehörde zu denjenigen, die Monopolkonzerne gegen die Kartellbehörde vertreten, Reputation und Integrität der EU-Institutionen beschädigen. Derartige Seitenwechsel schwächen die Durchschlagskraft der EU gegen Monopolmacht – mit möglicherweise gravierenden Folgen für die europäischen Bürger:innen, weil Monopole zu einseitigen Abhängigkeiten und fehlender Wahlfreiheit führen. Die EU-Kommission muss ihre Ethikregeln für Beamte und Kommissar:innen deshalb viel konsequenter durchsetzen als bisher. Mit unserer Beschwerde wollen wir hier einen Stein ins Rollen bringen.

Weitere Infos:
  • Beschwerde zu Banasevics Seitenwechsel gemeinsam mit unseren Brüsseler Partnern von Corporate Europe Observatory (CEO).
  • Meinungsartikel beim EU-Observer zu Seitenwechseln und Interessenkonflikten bei der EU-Kartellbehörde.
  • Weitere Hintergründe zu Seitenwechseln bei der EU-Kartellbehörde.

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Allied for Startups: Wie Google & Co versuchen die Politik zu täuschen

15. Oktober 2024 - 14:35

Heute lädt die Initiative „Allied for Startups“ Abgeordnete des Europäischen Parlaments zum „VIP -Policy Dinner“ und zu ihrer Jahreskonferenz ein. Aber wer steckt hinter diesem nach jungen und unterstützungsbedürftigten Unternehmen klingenden Namen? Hinter diesem angeblichen Startupverband stehen große Techkonzerne, darunter Amazon, Google, Microsoft and Apple.

Einladung von Allied for Startups an EU-Abgeordnete (Ausriss)

Selbst Vertreter:innen der EU-Kommission sind sich bedauerlicherweise nicht zu schade, dort auf dem Podium aufzutreten. Auch die ehemalige Cheflobbyistin von Meta und jetzige EU-Abgeordnete Aura Salla spricht bei der Veranstaltung. Das zeigen gemeinsame Recherchen mit unseren Brüsseler Partner:innen von Corporate Europe Observatory.

Was steckt hinter Allied for Startups?

Allied for Startups gibt vor, Startup-Unternehmen aus ganz Europa zu repräsentieren. Finanziert wird die Initative jedoch unter anderem von Amazon, Google, Microsoft und Apple. Auch die politischen Positionen ähneln stark denen der großen Techkonzerne, die die Initiative finanzieren.

In einem geleakten Lobbystrategiedokument von Google nennt der Techkonzern explizit Allied for Startups als Organisation, die Positionen von Google zum Digital Markets Act und zum Digital Services Act gegenüber der Politik in Brüssel vertritt.

Zudem haben mehrere Mitarbeiter:innen von Allied for Startups direkte Verbindungen zu Amazon und Google:

  • Ein Berater bei Allied for Startup arbeitet zeitgleich für Google und Amazon bei seiner Lobbyagentur Leading Edge Global Communications.
  • Ein Google-Lobbyist war zeitgleich seit 2015 an organisatorischen Aktivitäten („daily management“) von Allied for Startups beteiligt. Seit Januar 2023 ist er nicht mehr bei Allied for Startups. Er begann aber bereits im Mai 2020 bei Google und hat bis Anfang 2023 – also parallel – für beide Akteure Lobbyarbeit betrieben.
Warnung an Abgeordnete und Kommission

Die Veranstaltung von Allied for Startups am heutigen 15. Oktober 2024 wendet sich explizit an Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Die Ankündigung legt nicht offen, wer hinter Allied for Startups steckt. Wir haben die Abgeordneten vor der Veranstaltung gewarnt, damit sie im Bilde sind, wer dahinter steckt.

Auch bei den eingeladenen Redner:innen der EU-Kommission haben wir uns gemeldet und sie darum gebeten, nicht auf der Veranstaltung einer Organisation zu sprechen, die einen irreführenden Namen hat. Von einer der Redner:innen, Lucia Bonova, Abteilungsleiterin bei der EU-Wettbewerbsbehörde, kam eine Rückmeldung. Bonova hat sich für unsere Warnung bedankt, will aber trotzdem bei der Veranstaltung sprechen. Wir haben sie dazu aufgefordert, dass sie sich kritisch auf dem Podium äußert.

Ex-Meta Cheflobbyistin kommentiert Veranstaltung unkritisch

Kurzfristig wurde auch die ehemalige Cheflobbyistin von Meta (früher Facebook) und jetzige EVP-Abgeordnete Aura Salla für die Auftaktrede der Jahresversammlung von Allied for Startups eingeladen. Sie wies über Instagram darauf hin, dass sie heute bei einer Startup-Veranstaltung eine Rede halte. Eine kritische Anmerkung zur Finanzierung machte sie jedoch nicht, obwohl sie die Infos dazu von uns erhalten hat.

Etikettenschwindel: Google & Co machen sich Startup-Image zunutze

Bereits seit Längerem beobachten wir, wie große Techkonzerne Initiativen unterstützen, die dem Anschein nach Startups und kleine und mittelständische Unternehmen vertreten, in Wahrheit aber das Sprachrohr von Google & Co sind. Mit Namen wie SME Connect (Meta, Google, Amazon), Center for Data Innovation oder eben Allied for Startups entsteht das Bild von Akteuren, die für eine junge, aufstrebende Techstartupszene stehen. Finanziert werden jedoch alle diese Akteure – zumindest in Teilen – von Big Tech. Mehr zur Finanzierung dieser Tarnvereine in unserem Briefing für Abgeordnete.

Abgeordnete und EU-Kommission sollten auf Distanz gehen

Es ist problematisch, wie Google, Amazon & Co versuchen, die Politik mit Initiativen wie Allied for Startups mit Etikettenschwindel zu täuschen. Wir werden weiter öffentlichen Druck dafür machen, dass Initiativen wie Allied for Startups die hinter ihnen stehenden Interessen öffentlich breiter bekannt machen müssen. Und wir werden auch künftig die EU-Institutionen vor zweifelhaften Initiativen dieser Art warnen.

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Integritätscheck der neuen EU-Kommissar:innen: Mangelhaft! 

14. Oktober 2024 - 14:51

Das EU-Parlament hat alle Anwärter:innen für die Posten der EU-Kommissar:innen zu den Anhörungen zugelassen. Vorangegangen ist dem ein Integritätscheck der Kandidat:innen durch den Rechtsausschuss. 

Nina Katzemich, Expertin für EU-Lobbyregulierung, erklärt: „Das Verfahren kann man leider nur als mangelhaft bezeichnen. Weder fand ein seriöses Prüfverfahren statt, noch gab es ein unabhängiges externes Beratungsgremium. Das EU-Parlament hat damit die Chance vertan, von vornherein für eine integre Kommission zu sorgen. Das ist eine schlechte Nachricht für die Bürger:innen der EU, weil die Kommissar:innen eine zentrale Rolle in der politischen Gestaltung der Politik der nächsten fünf Jahre einnehmen. Sie haben massiven Einfluss auf unseren Alltag – sei das bei Fragen zu Klimaschutz, Gesundheit oder Verbraucher:innenschutz. Eine Überprüfung der Kandidat:innen auf Herz und Nieren sollte da die Minimalanforderung sein.“

Unsere wichtigsten Kritikpunkte:

  • Die Regeln für das Prüfverfahren haben eine seriöse Überprüfung der Kandidat:innen verhindert: Informationen, die sich in Medien, aber nicht in den Interessenerklärungen der Kandidat:innen fanden, flossen nicht in die Bewertung ein. Damit hat das Parlament sich selbst in seiner Arbeit beschränkt.
  • Keine externen Expert:innen: 2019 war der Rechtsausschuss erstmals für die Überprüfung der Kandidat:innen zuständig. Auf Grundlage dieser Erfahrungen hatte er ein unabhängiges Beratungsgremium zur Überprüfung der Kandidat:innen gefordert. Das hat die EU-Kommission aber abgelehnt. 
  • Politisiertes Verfahren: Die großen Parteien hielten sich mit kritischen Fragen zu ihren gegenseitigen Kandidat:innen zurück. Aus Sorge, dass sonst im Gegenzug auch ihre eigenen Kandidat:innen durchfallen könnten. Aus Protest gegen dieses Vorgehen haben Grüne und Linke heute morgen sogar den Ausschuss verlassen.
  • Intransparenz: Die Interessenerklärungen werden während des gesamten Prozesses geheim gehalten.
  • Wenig Zeit: Die Mitglieder des Parlaments mussten die Interessenerklärungen der Kandidat:innen innerhalb weniger Tage checken.

Im Ergebnis wurden nun einige Kommissar:innen durchgewunken, deren Integrität schon bei einer Schnellrecherche in Frage steht. Das Verfahren zeigt ein weiteres Mal, wie notwendig eine unabhängige Kontrolle und Durchsetzung von Lobbyregeln ist, wie LobbyControl sie immer wieder einfordert.

Hintergrund

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Lobbyskandal um Medizinforschungsgesetz: LobbyControl fordert Aufklärung und Konsequenzen

14. Oktober 2024 - 14:50

Medienberichte legen nahe, dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach vom US-amerikanischen Pharmakonzern Eli Lilly unter Druck setzen ließen. Demnach soll Eli Lilly eine Investition mit der Forderung verknüpft haben, das Medizinforschungsgesetz im Sinne des Konzerns zu gestalten. Das Gesetz wurde mittlerweile vom Bundestag verabschiedet. Dies wäre ein schwerer Lobbyskandal, sollten sich die Vorwürfe erhärten. Im Ergebnis wird die neue Regelung zu hohen Kosten für die Allgemeinheit führen. LobbyControl fordert lückenlose Aufklärung und Konsequenzen.

Dazu kommentiert Aurel Eschmann, Campaigner für Lobbyregulierung:
„Sollte sich der Vorwurf erhärten, hätte Minister Lauterbach diesen Skandal zu verantworten. Das Ministerium muss dringend vollständige Transparenz darüber herstellen, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist. Der Bundestag sollte Gesundheitsminister Lauterbach in einer Sondersitzung befragen und gegebenenfalls einen Untersuchungsausschuss einrichten.
Auch Bundeskanzler Scholz und sein Staatssekretär Jörg Kukies müssen Rede und Antwort stehen. Sollte sich bestätigen, dass die Bundesregierung auf Druck eines Pharmaunternehmens gehandelt hat, wäre das eine politische Bankrotterklärung. Minister Lauterbach wäre dann politisch nicht mehr haltbar.“

Recherchen von NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung und Investigate Europe belegen mit internen Dokumenten des Bundesgesundheitsministeriums, dass der Pharmakonzern eine milliardenschwere Investition in Deutschland an die Bedingung knüpfte, dass das Medizinforschungsgesetz in ihrem Sinne ausgestaltet würde. Demnach forderte Eli Lilly, dass Pharmaunternehmen künftig die Preise, die sie für ihre neuen Arzneimittel von den Krankenkassen erstattet bekommen, geheim halten könnten. Eli Lilly weist einen Zusammenhang zwischen der Investitionsentscheidung und der Gesetzesänderung zurück.

Laut der Recherche belegen die Dokumente, dass sich die Bundesregierung über die Meinung der Fachabteilung des Bundesgesundheitsministeriums hinwegsetzte und sich des Zusammenhangs mit Investitionsentscheidungen bewusst war. Zudem legt die Berichterstattung nahe, Bundeskanzler Scholz habe Druck auf Lauterbach ausgeübt, nachdem er selbst sowie sein Staatssekretär Kukies Gespräche mit Eli Lilly geführt hatten. Nach Meinungen von Expert:innen und Krankenkassen bedeutet die beschlossene Regelung erhebliche Preissteigerungen für Verbraucher:innen und eine Mehrbelastung des öffentlichen Gesundheitssystems.

Hintergrund

Hier finden Sie die Recherche von Investigate Europe, Süddeutsche Zeitung und WDR/NDR.

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Einfluss der Waffenlobby: EU-Kommission will Rüstungsanlagen als nachhaltig erklären

8. Oktober 2024 - 12:00

Orwell wäre stolz: Die EU-Kommission möchte Rüstung als nachhaltig einstufen – wegen ihres vermeintlichen Beitrages zum Frieden. Recherchen von Taz und LobbyControl belegen: Dahinter steckt eine massive Kampagne der Waffenlobby.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und der Zuspitzung geopolitischer Spannungen herrscht Goldgräberstimmung in der europäischen Rüstungsindustrie. Die Nachfrage nach Rüstungsgütern kann kaum bedient werden, die Aktienkurse sind explodiert. Verteidigungsminister Pistorius möchte Deutschland bis 2029 „kriegstüchtig“ machen. Auch für die EU-Kommission ist Sicherheit und Verteidigung eine der Top-Prioritäten.

Vor dem Hintergrund ihrer strategischen Relevanz ist es nicht überraschend, dass die europäische Rüstungslobby derzeit in der Politik ein offenes Ohr für ihre Interessen zu finden scheint. Ein Ergebnis: Die neue EU-Kommission möchte private Investitionen in Rüstung als nachhaltig einstufen.

Lobbykampagne der Rüstungsindustrie

Es mag richtig sein, vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine die Rüstungsindustrie neu zu bewerten. Recherchen von Taz und LobbyControl decken aber eine großangelegte Lobbykampagne der Rüstungsindustrie auf. Nach dem Vorbild der Atomindustrie möchte sie sich einen Zugang zu Investitionen von nachhaltigkeitsbewussten Anleger:innen sichern. Ziel der Kampagne ist es nicht nur, Rüstungsinvestitionen als prinzipiell vereinbar mit Nachhaltigkeitskriterien einzustufen. Investitionen in „Verteidigung, Resilienz und Sicherheit“ sollen sogar an sich als nachhaltig gewertet werden, da sie nach Auffassung der Industrie Frieden sichern und so erst Nachhaltigkeit ermöglichen würden.

Diese Argumentation hat Eingang in mindestens zwei der wichtigsten Strategiedokumente der EU-Kommission gefunden. Teilweise finden sich Formulierungen, die sich wortgleich mit Aussagen in Stellungnahmen eines Rüstungslobbyverbandes decken.

Dies ist ein weiteres Symptom davon, dass die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ihre Politik zunehmend an Industrieinteressen ausrichtet. Wettbewerbsfähigkeit und Deregulierung sollen priorisiert werden, im Zweifel auch auf Kosten von Verbraucher:innen und Umwelt.

Die EU als Verbraucherschützer auf den Finanzmärkten

Viele Anleger:innen möchten ihr Geld in sogenannte ESG-Anlagen investieren, das bedeutet Anlagen, die Nachhaltigkeit fördern. ESG steht dabei für Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung (Governance), und bezeichnet die drei zentralen Nachhaltigkeitskriterien. Doch wie nachhaltig eine Anlage ist, lässt sich bei komplizierten Finanzprodukten oft nur schwer nachvollziehen. Um Verbraucher:innen den Zugang zu Informationen zu ermöglichen und Greenwashing zu verhindern, legt die EU Transparenzpflichten und Kriterien fest. Diese muss eine Anlage erfüllen, um sich „nachhaltig“ nennen zu dürfen. Das wird in der sogenannten EU-Taxonomie und der „EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzsektor“ festgelegt.

Die EU nimmt hier also eine wichtige Rolle im Verbraucher- und Umweltschutz ein. Jedoch wurden die Definitionen der EU in der Vergangenheit bereits scharf kritisiert. Als die EU-Kommission auf Drängen von Deutschland und Frankreich 2022 Atomstrom und Erdgas als „nachhaltig“ einstufte, warf ihr die Umweltorganisation WWF „strukturelles Greenwashing“ vor. Rüstung, Tabak, Alkohol oder Glücksspiel gelten jedoch bis heute als nicht nachhaltig.

Das war der Rüstungsindustrie schon lange ein Dorn im Auge. Ihr entgeht damit viel Geld, das in nachhaltigen Fonds angelegt ist. Deshalb wirft sie ihre beträchtliche Lobbymacht dahinter, die ESG-Definitionen in ihrem Sinne zu ändern.

Die Lobbymacht der Rüstungsindustrie

Der Rüstungssektor gehört mit Sicherheit zu den einflussreichsten Lobbys in Brüssel. Eine Auswertung des EU-Transparenzregisters mit lobbyfacts.eu ergibt ein jährliches Lobby-Budget von ca. 11-15 Millionen Euro, das sich über Unternehmen und Verbände erstreckt. Seit der EU-Wahl 2019 traf sich die EU-Kommission insgesamt 356-mal mit Vertreter:innen der Rüstungsindustrie. Zwar sind diese Zahlen nur Annäherungen1, aber sie geben doch ein Bild über die finanziellen Mittel der Rüstungslobby und die privilegierten Zugänge, die sie zur EU-Kommission hat.

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Besonders ist am Rüstungsbereich jedoch auch, dass Politik und Lobby ein gesteigertes Interesse aneinander haben. Denn die Kunden von Rüstungsunternehmen sind keine Individualverbraucher, sondern Regierungen. Die wiederum sind auf die Industrie angewiesen, um ihre Armeen auszustatten und geben dafür auch sehr viel Geld aus. Entsprechend geht es zwischen Rüstungslobby und Politik oft besonders intransparent zu und andere dürfen kaum mitreden.

Für die Jahre 2023 und 2024 finden sich insgesamt 44 Treffen von Rüstungslobbyist:innen und hohen Vertreter:innen der EU-Kommission, wie Thierry Breton, Josep Borrell oder Margarethe Vestager. Bei diesen Treffen wurde das Thema Verteidigung explzit als Thema angegeben. Auffällig ist, dass die Kommission zu diesem Thema ausschließlich die Rüstungsindustrie getroffen zu haben scheint. Zumindest findet sich kein Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft, bei dem das Thema angegeben wurde.

Aufmarsch der Rüstungslobby

Bei sieben Treffen der EU-Kommission mit Vertretern der Konzerne Leonardo, Airbus, Patria Oyi, Rolls Royce und der Lobbygruppe ASD ging es ganz offiziell um die EU-Taxonomie, nachhaltige Investitionen oder die „Defence Industry Policy“. Die Rüstungsindustrie ist sowohl auf EU-Ebene als auch in den Mitgliedstaaten hervorragend koordiniert. Man kann sich also vorstellen, was durch diesen Aufmarsch der Waffenlobby für einen Druck auf die Kommission erzeugt wird.

Die Rüstungslobby hatte aber auch einen langen Atem. Das belegt eine Stellungnahme von März 2021, also knapp ein Jahr vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. In der Stellungnahme fordern große Verbände der Rüstungsindustrie aus sechs EU-Mitgliedsstaaten genau die Anerkennung ihres Sektors als nachhaltig, die sich später in den Positionen der Kommission wiederfindet.

Doch Lobby-Strategien in der EU finden immer auch auf der Ebene der Mitgliedsstaaten statt. Und dank des neuerdings sehr viel umfangreicheren Lobbyregisters lassen sich gerade in Deutschland tiefe Einblicke in Argumentationen und Strategien der Lobby gewinnen.

Rüstung als positiv und nachhaltig kategorisieren

In Deutschland ist der Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) einer der wichtigsten Lobbyakteure des Sektors. Laut Lobbyregister hat der Verband 228 Mitglieder und ein Lobbybudget von rund 1 Million Euro. Präsident des BDSV ist der Vorstandsvorsitzende von Rheinmetall, Armin Papperger. Hauptgeschäftsführer ist Hans Christoph Atzpodien, ein ehemaliger Manager von ThyssenKrupp.

Seit 01.07.2024 müssen eingetragene Lobbyakteure im Register angeben, was ihre politischen Ziele sind und grundständige Stellungnahmen hochladen. Beim BDSV findet sich hier unter anderem das Ziel „Positive Inklusion von Rüstung in Nachhaltigkeitsregulatorik“, das mit der folgenden Forderung konkretisiert wird: „Wir fordern ein bindendes Regelungsvorhaben, das Rüstung für EU und NATO Streitkräfte als positiv nachhaltig kategorisiert, ähnlich der Kategorisierung von Kern-Energie in der Umwelt Taxonomie.“ Dieses Ziel verfolgt der Verband unter anderem auch mit einer Kampagne unter dem Motto „Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit.“

Bemerkenswert ist, dass die Rüstungsindustrie nicht nur nicht weiter kategorisch von nachhaltigen Anlagen ausgeschlossen werden soll. Die Lobby möchte vielmehr erreichen, dass die „Investitionen in Verteidigung, Resilienz und Sicherheit der [Europäischen] Union“ u.a. wegen ihres Beitrages zu „Frieden und Sicherheit“ grundsätzlich als nachhaltig definiert werden. Die einzige Einschränkung: Es sollen keine Waffen verkauft werden, die durch internationale Verträge verboten sind, die von EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurden. Wie wenige Waffen das betreffen würde, wird allerdings aus einer anderen Stellungnahme des BDSV aus dem Jahr 2022 zur EU-Taxonomie deutlich. Dort bemängelt der BDSV, dass die EU Nuklearwaffen in eine Liste von „gebannten“ Waffen einschließen wollte, obwohl kein NATO-Staat den Vertrag zum Verbot von Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet habe.

Für die Waffenlobby, gegen Verbraucher und Umwelt

Eine Klassifizierung der Rüstungsindustrie als nachhaltig hätte weitreichende Folgen. Aktien der Hersteller von Panzern, Raketen oder gar Nuklearwaffen könnten sich in nachhaltigen Aktienpaketen und Fonds verstecken, ohne dass Anleger:innen sich dessen bewusst sind.

Christian Klein, Professor für nachhaltige Finanzwirtschaft an der Uni Kassel, betont, dass dies nicht im Interesse von deutschen Anleger:innen ist: „Wir wissen aus unserer Forschung, dass zumindest deutsche Kleinanleger und Kleinanlegerinnen ,Rüstung’ als das Gegenteil von ,nachhaltig’ empfinden.

Es besteht also die Gefahr, dass durch die Pläne der Kommission, Menschen zu Investitionen in Rüstung gebracht werden, die das eigentlich explizit nicht möchten. Für die Rüstungsindustrie wiederum wäre das ein attraktives Szenario, da sich neue Finanzierungsquellen öffnen.

Allerdings wären die Auswirkungen noch viel größer. Denn nicht nur, dass Rüstungsaktien sich fortan als nachhaltig bezeichnen könnten, Investitionen in die Verteidigung und Sicherheit der Union würden selbst zum ESG-Kriterium der EU. Das bedeutet, dass Investitionen nur dann als nachhaltig bezeichnet werden könnten, wenn sie auch diesen Zielen nicht auf „signifikante Weise“ zuwiderlaufen. Es ist gut denkbar, dass dann Organisationen mit einem Fokus auf Abrüstung der Zugang zu Geldern aus ESG-Fonds erheblich erschwert würde.

Offenes Ohr für die Rüstungsindustrie

Dennoch scheint die EU-Kommission den Argumenten der Rüstungslobby ein offenes Ohr zu schenken. In der „Europäischen Industriestrategie für den Verteidigungsbereich“ (EDIS), die von der Kommission im März dieses Jahres vorgestellt wurde, findet sich die folgende Aussage:

Sieht man von Waffen ab, die gemäß den von den Mitgliedstaaten unterzeichneten internationalen Übereinkommen verboten sind und daher von der EU als mit sozialer Nachhaltigkeit unvereinbar angesehen werden, sorgt die Verteidigungsindustrie angesichts ihres Beitrags zu Resilienz, Sicherheit und Frieden für mehr Nachhaltigkeit.“

Auffällig ist, dass sich die Formulierung der Kommission stellenweise Wort für Wort mit der Formulierung aus der Stellungnahme des BDSV gleicht. Allerdings wurde das Kommissionsdokument einen Monat früher verfasst, als der Lobbyverband sein Schreiben verschickte. Die Kommission hat also nicht von diesem Schreiben abgeschrieben. Und doch ist es ein Indikator dafür, wie nah die Kommissionsposition an den Interessen der Rüstungsindustrie ist.

Treffen mit EU-Kommission schon vor offiziellen Konsultationen

Gegenüber der Taz kommentiert Johanna Bernsel, eine Sprecherin des Generaldirektors für Sicherheit und Verteidigung der Kommission (vergleichbar mit einem Staatssekretär), Timo Pesonen: „Der Zusammenhang zwischen dem EU-Rahmen für nachhaltige Finanzen und den Schwierigkeiten des Verteidigungssektors beim Zugang zu öffentlichen und privaten Finanzmitteln wurde im Rahmen einer Konsultation im Herbst 2023 aufgeworfen.“ Taz und LobbyControl konnten allerdings allein im Frühjahr des Jahres 2023 sechs Treffen zwischen Vertretern der Rüstungsindustrie und der EU-Kommission finden – also bevor die offiziellen Konsultationen überhaupt begonnen hatten.

Bernsel führt weiter aus, die Kommission habe über 180 Beiträge von Interessenträgern aus dem Finanzsektor, der Verteidigungsindustrie, den Mitgliedstaaten und Thinktanks erhalten, darunter auch zur Frage der Finanzierung und Nachhaltigkeit von Verteidigungsgütern. Unklar bleibt allerdings, wer genau konsultiert und ob Ausgewogenheit sichergestellt wurde, also beispielsweise Umwelt- oder Verbraucherschutzverbände befragt wurden.

Auch im sogenannten „Draghi-Report“, der maßgeblich Vorschläge für die Prioritäten der neuen Kommission bis zur nächsten Wahl macht, finden sich die Forderungen der Rüstungsindustrie wieder. Dort heißt es auf Seite 169, die EU-Kommission müsse „den Zugang der europäischen Rüstungsindustrie zu Finanzierung verbessern“, unter anderem durch die Anpassung der EU-Rahmenverordnungen zu nachhaltigem Investment und ESG. Es ist also davon auszugehen, dass die Kommission ihre Ziele aus der Verteidigungsstrategie zeitnah umsetzen möchte.

Auch bei der Vorbereitung des Draghi-Reports lässt sich der einseitige Einfluss der Rüstungslobby beziffern. Denn auch Mario Draghi scheint sich nicht gerade ausgewogen informiert zu haben, wie LobbyControl bereits kritisierte. Unter den 236 Beitragenden waren 157 Unternehmen (65%), während nur 12 NGOs, Gewerkschaften oder Verbraucherschutzorganisationen beteiligt wurden. Im staken Kontrast dazu entfallen allein 6 Beiträge auf Vertreter:innen der Rüstungslobby.

Warum wir Unternehmenslobbys nicht das Feld überlassen sollten

Dass die EU-Kommission im Interesse der Rüstungsindustrie handelt, ist auch ein Symptom einer Kehrtwende in ihren politischen Prioritäten. War 2019 noch ein ambitionierter Green Deal das Kernstück der Agenda Ursula von der Leyens, steht nun Wettbewerbsfähigkeit, Deregulierung und Industrieförderung ganz oben auf der Liste. Mit Blick auf geopolitische Konkurrenz und Spannungen geht es nun vornehmlich darum, die eigene Industrie zu stärken – notfalls auch auf Kosten von Gemeinwohl und Umwelt.

Deshalb möchte die EU-Kommission erneut den Nachhaltigkeitsbegriff im Interesse der Industrie aufweichen, wie sie es auch schon bei Erdgas und Atomenergie getan hat. Noch kann das allerdings verhindert werden. Bisher wurden die entsprechenden Regeln nicht angepasst. So bleibt noch Zeit, die EU-Kommission dazu zu verpflichten, auch andere Akteure als die Waffenlobby anzuhören.

Es mag richtig sein, dass im Nachgang des russischen Angriffs auf die Ukraine eine Neubewertung der Rüstungsindustrie stattfindet. Allerdings sollte nicht durch einseitige Lobby-Strategien beeinflusst werden, wie Nachhaltigkeit definiert wird. Anleger:innen, die nachhaltig investieren möchten, wollen im Normalfall nicht in Rüstung oder Erdgas investieren und die EU sollte hier nicht dafür sorgen, dass sie im Interesse der Rüstungsindustrie getäuscht werden können.

Ob Rüstungsproduktion tatsächlich Sicherheit und Frieden schafft und deshalb zu Nachhaltigkeit beiträgt, ist eine komplexe Diskussion, die einer breiten Diskussion mit Beteiligung von Industrie, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bedarf. Aber einfach die Argumente der Waffenlobby zu übernehmen und Aufrüstung mit Frieden gleichzusetzen, ist Neusprech, auf den George Orwell stolz gewesen wäre.

Dieser Text entstand unter Mitarbeit von Valentin Eitel.

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1) So fallen darunter auch Unternehmen wie Airbus, die zwar auch anteilig Rüstungsgüter produzieren, aber auch große andere Geschäftsbereiche unterhalten. Es lässt sich nicht feststellen, wie viele ihrer Treffen oder ihres Budgets für Rüstungsangelegenheiten verwendet wurden. Unternehmen aus Großbritannien und von Rüstungsunternehmen finanzierte Thinktanks sind nicht enthalten.

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Welche Kommissar:innen könnten wegen Interessenkonflikten durchfallen?

2. Oktober 2024 - 14:24

In Brüssel werden derzeit die Kandidat:innen für die neuen Kommissarsposten auf Herz und Nieren gecheckt. Hier die Kandidat:innen, denen das EU-Parlament ganz genau auf die Finger schauen muss:

In Brüssel werden derzeit die Kandidat:innen für die neuen Kommissarsposten auf Herz und Nieren gecheckt. Zunächst prüft der Rechtsausschuss des EU-Parlamenmts die finanziellen Interessenerklärungen der Bewerber:innen. Erst wenn er sein OK gibt, dürfen sie weiter in die inhaltlichen Hearings mit dem Parlament. Dort müssen die designierten Kommissar:innen zahlreiche Fragen zu ihrer Vergangenheit und ihren zukünftigen Plänen beantworten.

Bisher hat das Parlament noch jedes Mal einen oder mehrere Kandidat:innen durchfallen lassen, wenn auch nicht immer nur wegen Interessenkonflikten, sondern auch aus inhaltlichen Gründen.

Leider dürfen wir die Interessenerklärungen erst später einsehen. Aber nach unseren Recherchen sind das hier die Kandidat:innen, denen das EU-Parlament ganz genau auf die Finger schauen muss:

Die bulgarische Kandidatin Ekaterina Sachariewa – vorgeschlagen als Kommissarin für Startups, Forschung und Innovation – sah sich 2018 massiven Vorwürfen einer bulgarischen Whistleblowerin konfrontiert. Diese sagte aus, dass während Sachariewas Amtszeit als Justizministerin in tausenden Fällen bulgarische und damit europäische Pässe gegen Beträge von 500 bis 1500 Euro verkauft worden seien. Die Whistleblowerin Katja Matewa beschreibt Sachariewa zwar nicht als Hauptnutznießerin des Betrugs, sie sei aber durchaus verantwortlich für die Genehmigung von mehr als 7000 unrechtmäßigen Bewerbungen gewesen. Zudem wirft Matewa der Kommissarsanwärterin vor, für die Kündigung Matewas 2016 verantwortlich gewesen zu sein, nachdem sie sich geweigert hätte, die illegalen Machenschaften mit zu tragen. Sachariewa stritt alle Vorwürfe ab. Ob oder inwieweit die Vorwürfe stimmen, wissen wir nicht abschließend. Das liegt aber auch daran, dass es trotz Matewas Aussagen vor der bulgarischen Staatsanwaltschaft bis heute nicht zu Ermittlungen gegen die betroffenen Politiker:Innen und damit einer Aufarbeitung der schweren Vorwürfe gekommen ist. Wir finden, dass dieser Mangel an Transparenz keine Grundlage für einen vertrauensvollen Start in das Amt als Kommissarin für Startups, Forschung und Innovation bieten kann. 

Wopke Hoekstra aus den Niederlanden verkaufte Anteile an einer Briefkastenfirma auf den britischen Jungferninseln kurz bevor er niederländischer Finanzminister wurde. Als Finanzminister unterstützte er die niederländische Fluggesellschaft KLM mit mehreren Milliarden Euro und schwächte aktiv die Ziele der niederländischen Regierung zur Verringerung der Stickstoffemissionen ab. Auch beim Thema Nebentätigkeiten hatte Hoekstra in der Vergangenheit etwas zu bieten: während seiner Zeit im niederländischen Parlament arbeitete er gleichzeitig für die Beratungsfirma McKinsey. Diese hat Großunternehmen aus zahlreichen Bereichen als Kunden, beispielsweise aus dem fossilen Sektor den saudischen Ölkonzern Saudi Aramco. Inzwischen ist Hoekstra Klimakommissar (er ist vergangenes Jahr auf Frans Timmermans gefolgt, der als Ministerpräsident in den Niederlanden kandidierte.) Bei seiner Anhörung im Parlament sagte er zu, die Kunden, für die er bei McKinsey gearbeitet hatte, zu nennen. Im Nachhinein hat das aber verweigert, weil McKinsey Vertraulichkeit über die Kunden eingefordert hatte. Die Abgeordneten werden Hoekstra hoffentlich ordentlich auf den Zahn fühlen. Denn zukünftig ist er nicht nur für Klima, sondern auch für Steuerwesen zuständig, was sein Investment in einer Steueroase nochmal brisanter macht. Auch unsere Partner vom Netzwerk Steuergerechtigkeit zeigen sich überrascht: Sie zeigten Anfang des Jahres in einer Studie, dass der Reisekonzern Booking.com zwischen 2011 und 2022 fast drei Milliarden Euro einsparte, indem er einen Großteil seiner Gewinne in den Niederlanden günstig versteuerte. Der Konzern habe eine besondere Steuervergünstigung, die so genannte „Innovation Box Tax“, in Anspruch genommen. Dass „ein Kommissar aus einer der größten Steueroasen und mit persönlicher Steueroasen-Vergangenheit diese Aufgaben (des Steuerkommissars Anm. d. Verf.) übernehmen soll, ist ein schlechtes Zeichen“, so Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit.

Marta Kos aus Slowenien arbeitet als Senior Advisor bei Kreab, einer der größten Lobbyberatungsunternehmen für Großunternehmen. Zu den Firmenkunden von Kreab gehören Amazon, Google und BP, aber auch Banken und Chemiehersteller. Aus unserer Sicht muss sie hre Kund:innen der Öffentlichkeit nennen, bevor sie Kommissarin werden kann.

Olivér Várhelyi ist derzeitiger Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung. Es ist fraglich, ob er die Anhörungen im Europäischen Parlament überstehen wird, da er während seiner Zeit als Kommissar an vielen Kontroversen beteiligt war. Beispielsweise bezeichnete er Abgeordnete des Europäischen Parlaments als „Idioten“. Dem Nationalisten und Vertrauten von Viktor Orbán wurde wiederholt vom Parlament vorgeworfen, bei den Erweiterungsgesprächen die Notwendigkeit demokratischer Reformen zu negieren oder den Schutz der territorialen Integrität infrage zu stellen.

Die zukünftige Exekutiv-Vizepräsidentin für Digitales, Henna Virkkunen, ist Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Platform Economy“ von SME Connect. Der Verband gibt vor, die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu vertreten. Zu seinen Mitgliedern gehören aber auch Google, Meta und Amazon. 

Hadja Lahbib ist belgische Außenministerin. In ihrem früheren Job als Journalistin hat sie 2022 eine von Russland finanzierte Krim-Reise in Anspruch genommen. Das muss dringend aufgeklärt werden. Auch gab es ein Misstrauensvotum gegen sie, weil sie einer iranischen Delegation um den Teheraner Bürgermeister Alireza Zakani – ein Ultra-Radikaler des iranischen Regimes – 2023 Visa für einen Brüsseler Städtegipfel (12.-15. Juni) ausstellen ließ. Sie soll das Humanitäre-Hilfe Ressort erhalten.

Wenn wir weitere Interessenkonflikte ermitteln, werden wir diesen Blog für Sie ergänzen.

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Wirtschaftsweise: Grimms Umgang mit Interessenkonflikten muss Konsequenzen haben!

2. Oktober 2024 - 12:26

Köln, 2. Oktober 2024: LobbyControl begrüßt, dass der Sachverständigenrat sich moderne Compliance-Regeln geben will. Damit könnten künftig Interessenkonflikte wie der von Veronika Grimm durch ihre Doppelmitgliedschaft im Sachverständigenrat und im Aufsichtsrat des Dax-Konzerns Siemens Energy vermieden werden. Dass Grimm gegen die Compliance-Regeln klagt, geht aus einem Interview in der Wirtschaftswoche mit der Vorsitzenden des Sachverständigenrats Monika Schnitzer hervor. Die Klage zeigt einmal mehr, dass Grimm um jeden Preis einen offensichtlichen Interessenkonflikt nicht anerkennt. LobbyControl fordert Konsequenzen.

Max Bank, Sprecher von LobbyControl, kommentiert:

„Es ist gut und wichtig, dass der Sachverständigenrat sich Compliance-Regeln geben will, um künftig Interessenkonflikte zu vermeiden. Das war überfällig und ist eine wichtige Reaktion auf die öffentliche Debatte um den Interessenkonflikt von Veronika Grimm durch ihre gleichzeitige Mitgliedschaft im Sachverständigenrat und im Aufsichtsrat von Siemens Energy.

Wenn Veronika Grimm nun dagegen klagt, beschädigt sie einmal mehr die Reputation und Integrität des Sachverständigenrats.

Wir fordern die politisch Verantwortlichen auf Konsequenzen zu ziehen, bevor Veronika Grimm den Ruf des Rats weiter in Mitleidenschaft zieht. Es braucht endlich Klarheit: entweder Aufsichtsrat eines Dax-Konzerns oder Wirtschaftsweise. Beides zusammen geht nicht. Regierungsberatung muss unabhängig sein.“

Hintergrund

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Big Tech muss weg! – Ein Manifest für eine neue digitale Wirtschaft

30. September 2024 - 8:13

Um eine demokratische digitale Zukunft aufzubauen, müssen die mächtigen Tech-Konzerne zerschlagen werden, fordern wir gemeinsam mit über 70 Organisationen in einem neuen Manifest.

Wir, Menschen und Organisationen aus aller Welt, kämpfen für eine Zukunft, in der die digitale Infrastruktur, die diese Welt durchdringt, im Dienst der Menschen, der Beschäftigten und des Planeten steht. Eine Zukunft, in der sich Kreativität und Innovation frei entfalten können, ganz ohne zentralisierte Kontrolle.

Wir glauben an eine Welt, in der die Kontrolle über Daten und Technologien dezentralisiert, umverteilt und demokratisiert wird und nicht mehr in den Händen gefährlicher Tech-Monopolisten liegt. Eine Welt, in der Menschen frei wählen können, mit welchen digitalen Werkzeugen sie die Welt erkunden und sich miteinander vernetzen, und zwar ohne dabei ihre Privatsphäre oder andere Rechte aufgeben zu müssen. Eine Welt, in der wir die volle Kontrolle haben und darauf vertrauen können, was uns soziale Medien zeigen, weil eben nicht Algorithmen das Sagen haben, die uns überwachen, ausnutzen, aufwiegeln und abhängig machen sollen.

Wir wissen, dass eine solche Welt möglich und wichtig ist, und zwar dringend. Doch von allein wird sie nicht entstehen. Damit die digitale Zukunft sich so gestaltet, wie wir es alle verdienen, müssen Staaten entschlossen und mit all ihren Ressourcen handeln. Nur so können sie die mächtigen Tech-Monopole aufbrechen und die Digitalwirtschaft auf einen Weg bringen, der Innovation, fairen Wettbewerb und demokratische Werte fördert. Nur so können die Menschen sich wirklich frei und selbstbestimmt für Waren und Dienstleistungen entscheiden, die sie nicht ausnutzen, sondern einen Nutzen bringen.

Big Tech hat uns in ein Zerrbild der digitalen Welt eingesperrt. Es höhlt unsere Demokratie systematisch aus und macht die Reichen immer reicher, während gleichzeitig die Ungleichheit auf der Welt immer größer wird. Es ist an uns, die abgeschotteten Systeme (Walled Gardens) einzureißen, mit denen Big Tech letztlich nur die eigenen Profite schützt, und nicht das Wohlergehen aller. Damit lassen sich Fortschritt, fairer Wettbewerb und Innovation in einer neuen Digitalwirtschaft freisetzen – diese kann dann den Milliarden Menschen dienen, die das Internet wirklich ausmachen, und nicht den Wenigen, die im Moment alle Fäden in der Hand halten. Um dies zu erreichen, müssen die Staaten:

Big Tech zerschlagen und für fairen Wettbewerb sorgen

Um optimale Bedingungen für eine neue Digitalwirtschaft zu schaffen, müssen die Regulierungsbehörden die strukturelle Macht der Tech-Konzerne direkt angehen und einheitliche Wettbewerbsbedingungen schaffen, damit Alternativen entstehen und sich entwickeln können. Dazu gehört:

  1. Die striktere Umsetzung des aktuellen Wettbewerbs- und Kartellrechts: So lassen sich dominante Tech-Konzerne entflechten, währende eine weitere Konsolidierung durch Verbote weiterer Fusionen und Übernahmen verhindert wird.
  2. Die Verpflichtung dominanter Technologieunternehmen zu mehr Interoperabilität: So können Nutzergruppen frei wählen und problemlos zwischen verschiedenen Plattformen und Anbietern wechseln. Neue Markteilnehmer bekämen eine Chance, die Empfehlungssysteme der Plattformen ließen sich individuell anpassen.
  3. Die angemessene Besteuerung dominanter Tech-Konzerne, bspw. durch eine Digitalsteuer: So können die enormen Gewinne umverteilt werden.
Eine neue und faire Digitalwirtschaft fördern

Staatliche Industriepolitik muss proaktiv ein offeneres und vielfältigeres Ökosystem digitaler Dienste fördern, das dem Gemeinwohl dient und nicht der privaten Profitmaximierung. Dazu gehört:

  1. Die Bereitstellung umfangreicher Investitionen zur Förderung einer öffentlichen digitalen Infrastruktur mit freier und quelloffener Software nach dem Grundsatz der digitalen Allmende.
  2. Der Einsatz des öffentlichen Beschaffungswesens als Markthebel für Einführung und Ausbau von offenen und interoperablen Alternativen zu vorherrschenden Big-Tech-Unternehmen.
  3. Die Einführung und Durchsetzung von robusten Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte sowie von nachvollziehbarer Governance, auch hinsichtlich der öffentlichen digitalen Infrastruktur.

Die digitale Welt ist unsere Welt; ihre Hard- und Software ist die Infrastruktur menschlicher Vernetzung. Diese Welt ist zu groß, zu wichtig, als dass wir sie einigen wenigen überlassen könnten, die doch nur aus Eigeninteresse handeln. Wenn Regierungen die vorgeschlagenen Maßnahmen ergreifen, können sie mehr tun, als nur die Symptome zu lindern, die durch die geballte Macht der Tech-Konzerne und deren schädliche Geschäftsmodelle entstehen. Stattdessen kann eine bessere und fairere Digitalwirtschaft entstehen. Jetzt ist die Zeit, damit anzufangen.

Weitere Informationen

Koordiniert wurde das Manifest vom Balanced Economy Project, People vs Big Tech und IT for Change. Es wird von einem Whitepaper begleitet, das eine Vision für eine neue digitale Wirtschaft entwirft.

Unterzeichner*innen

Accountable Tech
African Internet Rights Alliance
AfroLeadership
AI Forensics
Alternatif Bilisim (AiA-Alternative Informatics Association)
Alliance4Europe
ARTICLE 19
Associação Alternativa Terrazul
Association for Progressive Communications
Balanced Economy Project
Bangladesh NGOs Network for Radio and Communications
Canadian Anti-Monopoly Project (CAMP)
Center for the Study of Organized Hate
Centre for Artificial Intelligence Ethics and Governance in Africa (CAIEGA)
Check My Ads Institute
Coding Rights
Commons Network
Consortium of Ethiopian Human Rights Organizations
Corporate Europe Observatory (CEO)
Council for Responsible Social Media
CyberLove
Defend Democracy
Digital Action
digiQ
Digitalcourage
Ekō
European Digital Rights (EDRi)
Fair Vote UK
Federación de Consumidores y Usuarios CECU
Forum on Information and Democracy
Foxglove
German NGO Forum on Environment & Development
GRESEA
Hindus for Human Rights
Homo Digitalis
Human Rights Journalists Network Nigeria
HuMENA for Human Rights and Civic Engagement
IT 4 CHange
Lie Detectors
LobbyControl e.V.
LODelle
Nexus Research Cooperative
Open Future
Open MIC
Open Markets Institute
Panoptykon Foundation
People Vs Big Tech
PLZ Cooperative
Public Citizen
Rebalance Now
SHARE Foundation
SocialTIC
SOMO
Superbloom Design
TEDIC
Tehila
The Citizens
The London Story
Transnational Institute
UBUNTEAM
Universität zu Köln
Uplift
Waag Futurelab
WACC
Wikimedia Germany
T20 Working Group on Information Integrity, Interoperability & Media Diversity (i3M)
World Economy, Ecology & Development – WEED
Xnet, Institute for Democratic Digitalisation
Robin Berjon, Governance & Standards Technologist
Dr. Ian Brown, Centre for Technology and Society at Fundação Getulio Vargas (FGV)
Dr Christina J. Colclough, The Why Not Lab
Dr. Maria Farrell, Writer
Michelle Meagher, Competition lawyer and author

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Onlinehändler Shein holt früheren EU-Kommissar Oettinger als Lobbyisten

27. September 2024 - 9:16

Der ehemalige EU-Kommissar und frühere Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) vertritt die Lobbyinteressen des Onlinehändlers Shein. Dieser drängt auf den europäischen Markt und schert sich dabei nicht um Verbraucher- oder Umweltschutzregulierung.

Schon früher war Günther Oettinger dafür bekannt, dass er auf Gemeinwohlinteressen keine besondere Rücksicht nahm: In seinen drei Amtszeiten als EU-Kommissar hatte er so viele Gespräche mit Industrievertreter:innen, wie nur wenige andere Mitglieder der EU-Kommission. Bekannt geworden ist unter anderem ein Briefwechsel aus dem Jahr 2012 mit dem damaligen VW-Chef Martin Winterkorn, indem er ihm versicherte, dass die Interessen von VW bei den Klimaauflagen beachtet worden seien.

Schon als EU-Kommissar lobbynah

Er veranstaltete im Luxus-Skiort Lech am Arlberg sein eigenes „Mini-Davos“, ein Lobbyforum für Konzerne und Politik. Und schließlich hat kein früherer EU-Kommissar so viele Nachfolgetätigkeiten wie Oettinger, teils mit klarem Lobbybezug. Darunter eine eigene Beratungsfirma namens „Oettinger Consult“.

Shein setzt auf externe Beratungen

Ähnlich wie andere chinesische Techkonzerne, setzt auch der Billig-Onlinehändler Shein auf externe Beratungen, um seine Interessen in Europa zu vertreten. Während Tiktok und Huawei auf große internationale Lobbyagenturen wie FTI Consulting oder Brunswick setzen, wird Shein nun von Günther Oettinger unterstützt. Dieser hatte als EU-Kommissar unter anderem das Digitalressort inne.

Neben US-Techkonzernen haben auch chinesische Plattformen keinen guten Ruf bei der europäischen Politik. Das Image der chinesischen Techkonzerne dürfte noch deutlich schlechter in Brüssel sein. Diese setzen deshalb auf Lobbyberatungsfirmen als Türöffner, um Einfluss zu nehmen. Shein gibt insgesamt mindestens 200.000 Euro Lobbyausgaben für Brüssel an, die Hälfte davon fällt für die Dienste externer Beratungsfirmen an.

Der Onlinehändler setzt zudem mit seinem deutschen Cheflobbyisten Martin Reidy auf einen Ex-Mitarbeiter der internationalen Beratungsfirmen FTI Consulting und Brunswick. Obwohl er Cheflobbyist in Berlin ist, sitzt er offenbar in Dublin, am Hauptsitz von Shein in Irland.

Wer ist Shein?
Shein ist eine umstrittene Onlineplattform für Mode- und Sportartikel mit Sitz in Singapur. Umstritten ist das Unternehmen, weil es europäische Verbraucherschutzregeln unterläuft und den Zoll umgehen soll bei seinen Lieferungen per Flugzeug. Derzeit wird Shein im Rahmen des Digital Services Act (DSA) gesondert untersucht.

Bekannt ist das Unternehmen vor allem unter jungen Leuten, nicht zuletzt durch seine massive Onlinewerbung über Social Media. Shein produziert in Asien, verkauft seine Produkte auf dem europäischen, amerikanischen und asiatischen Markt, nicht aber in China selbst. Ursprünglich wurde das Unternehmen in China gegründet, verlagerte aber seinen Sitz 2022 nach Singapur.

Oettingers Arbeit für Shein

Shein konnte nun zusätzlich Günther Oettinger für seine Lobbyarbeit in Europa gewinnen. Dessen Beratung läuft nicht nur über die Lobbyfirma KEKST CNC, in der Oettinger im globalen Beratungsgremium sitzt, sondern auch direkt über den Ex-Kommissar und seine eigene Firma Oettinger Consulting GmbH, wie aus dem EU-Lobbyregister hervorgeht.

Oettinger bestätigte dies auch gegenüber der Zeit und wies darauf hin, dass sein Mandat begrenzt sei auf Geopolitik, Cybersicherheit und Datenschutz. Damit sind jedoch zentrale Aspekte von Sheins Interessen abgedeckt. Insbesondere in der Geopolitik dürfte die Frage nach dem Marktzugang für den Onlinehändler Shein enthalten sein, der immer wieder wegen unfairer Geschäftspraktiken in der Kritik ist.

Mini-Davos in Lech

Oettinger gilt als bestens vernetzt. Nicht nur in Brüssel, sondern auch unter deutschen Unternehmen. Auf das Netzwerk von Oettinger kann sich Shein künftig verlassen. Bereits als EU-Kommissar organisierte er unter anderem einen Exklusivgipfel in den österreichischen Bergen in Lech, um dort politische Entscheidungsträger:innen und Unternehmen zusammenzubringen. Vor allem deutsche Unternehmen waren und sind in Lech zugegen. Oettingers Mini-Davos findet auch heute weiter in Lech am Arlberg statt, obwohl Oettinger mittlerweile ausschließlich Lobbyist ist. Das bestätigt einmal mehr, dass Oettinger weiterhin einen engen Draht in die Politik hat.

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Organisiert wird das Mini-Davos offiziell von United Europe. Diese Organisation findet man nicht im EU-Transparenzregister, obwohl bei den Veranstaltungen EU-Entscheidungsträger:innen zugegen sind. United Europe bezeichnet sich selbst als gemeinnütziger Zusammenschluss, der die internationale Kooperation von Unternehmen, politischen Entscheidungsträger:innen, Individuen und vor allem von jungen Europäer:innen fördert.

Es handelt sich um ein Lobbyforum, das unter anderem vom Stahlunternehmer und Ex-Kanzler Schröder-Freund Jürgen Großmann sowie dem österreichischen Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel initiiert wurde. Präsident von United Europe ist Oettinger selbst. Neben der Veranstaltung am Arlberg bietet United Europe auch ein Mentor:innenprogramm für europäische Führungskräfte an.

Vernetzt durch zahlreiche Tätigkeiten

Auch durch seine zahlreichen Nachfolgetätigkeiten im Anschluss an sein Amt als EU-Kommissar (2010 – 2019) ist Oettinger bestens vernetzt: Wohl kaum ein früherer EU-Kommissar hat so viele Tätigkeiten inne wie er: Sei es der bereits erwähnte Sitz im globalen Beratungsgremium von KEKST CNC, über das der Kontakt mit Shein zustande gekommen sein könnte. Oder seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat beim Tunnelbohrunternehmen Herrenknecht aus Baden-Württemberg, sein Beiratssitz beim Beratungsunternehmen Deloitte Deutschland, oder, oder, oder…. Eine vollständige Liste seiner Nachfolgetätigkeiten findet sich auch in unserer Lobbypedia.

Shein & Co verstärken Lobbyarbeit

Anders als chinesische Techkonzerne treten US-Techkonzerne in Europa bereits seit langem mit massiver Lobbyarbeit auf. Zusammen geben Google, Amazon, Meta, Apple und Microsoft 33 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel aus. Die Ausgaben chinesischer Techkonzerne sind zwar vergleichsweise geringer. Aber auch sie versuchen, mehr Einfluss zu gewinnen. Zusammen geben Huawei und Tiktok mittlerweile mindestens 6,39 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel und Berlin aus.

US Big Tech vs. Chinese Big Tech

Doch es gibt deutliche Unterschiede beim Schwerpunkt und bei der Strategie in der Lobbyarbeit. Während Google, Meta & Co mit viel Lobbydruck versuchten, die Digitalgesetzgebung der letzten EU-Legislatur zu beeinflussen, verhielt sich Tiktok eher zurückhaltender, obwohl die Videoplattform ebenfalls von den neuen Regeln des Digital Services Act (DSA) und des Digital Markets Act (DMA) betroffen ist.

Chinesischen Techkonzernen geht es anders als Google & Co vor allem um den Marktzugang in Europa. Der ist – anders als bei US-Techkonzernen – deutlich gefährdeter in Anbetracht der angespannten geopolitischen Lage zwischen China und der EU. Das zeigt nicht zuletzt der Ausschluss von Huawei aus dem Ausbau des 5G-Netzes in vielen europäischen Ländern.

Lobbyismus gegen EU-Kommission

Gerade deshalb ist neben der eigenen Lobbyarbeit die Zusammenarbeit mit externen Lobbyagenturen ein wichtiger Bestandteil dessen, was chinesische Techkonzerne in Europa betreiben. Dafür dürfte Günther Oettinger mit seinem prall gefüllten Adressbuch und seinen privilegierten Zugängen ein wichtiges Pfund für Shein sein.

Für einen früheren EU-Kommissar kann man diesen Lobbyjob durchaus als problematisch ansehen: Shein dürfte mit seinem Billigangebot gegen zahlreiche Regelungen in der EU verstoßen, insbesondere im Bereich Verbraucherschutz und Umweltschutz. Auch versuchen Konzerne wie Shein in der Regel, Steuern und Zölle zu umgehen.

Frühere EU-Kommissare sollen sich bei der Wahl ihrer Nachfolgetätigkeiten laut Verhaltenskodex integer verhalten. Wir haben Zweifel, dass es integer ist, sich als Interessenvertreter für ein derartiges Unternehmen einspannen zu lassen. Ziemlich klar ist, dass er damit nicht im Interesse seines früheren Arbeitgebers agiert – der EU-Kommission.

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