«Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit. Die Freiheit für viele, nicht nur für die wenigen. Freiheit des Gewissens und der Meinung. Auch Freiheit von Not und von Furcht.» (– Willy Brandt, 14. Juni 1987).
FragDenStaat
Geheimsache Domains: Ohne Transparenz keine Sicherheit
Die Bundesregierung will eine Liste seiner Behördendomains aus Sicherheitsgründen geheimhalten. Dabei führt genau das zu Problemen. Wir sorgen für Licht im Dunkeln.
Wenn Bürger*innen online nach Informationen staatlicher Stellen suchen, erwarten sie vor allem eines: Verlässlichkeit. Offizielle Webseiten sollen klar erkennbar, vertrauenswürdig und leicht auffindbar sein. Doch in Deutschland herrscht in diesem Bereich seit Jahren ein technisches Problem, das kaum öffentlich diskutiert wird: Intransparenz und mangelhaftes Management von Bundes-Domains. Welche Domainnamen tatsächlich vom Bund oder Behörden betrieben werden, ist oft schwer ersichtlich. Das führt zu Verwirrung, Missverständnissen und potenziellen Sicherheitsrisiken.
Während viele andere Staaten eindeutige Regeln und zentrale, öffentliche Verzeichnisse für Regierungsdomains führen (z. B. .gov in den USA, gov.uk in Großbritannien oder gv.at in Österreich), verfolgt Deutschland einen historisch gewachsenen, weitgehend dezentralisierten Ansatz.
Domain-KuddelmuddelBehörden nutzen ganz unterschiedliche Endungen und Strukturen:
- .de-Domains, teils mit widersprüchlichen Namensmustern
- .bund.de, das selten übergreifend genutzt wird
- Sonderdomains für Projekte, Initiativen oder zeitlich begrenzte Programme
- Domains einzelner nachgeordneter Behörden, die oft schwer einer übergeordneten Bundesstelle zuzuordnen sind.
Auf Landesebene gibt es ebenfalls eine heterogene Struktur. Ein Großteil der Bundesministerien nutzt keine bund.de oder gov.de-Adressen für Webauftritte. Dabei könnten insbesondere gov.de-Domains mehr Klarheit erzeugen. Viele Websites sind für Außenstehende nicht klar als staatlich erkennbar oder staatliche Websites können leicht nachgeahmt werden. Im Rahmen der Corona-Pandemie wurden staatliche Websites gezielt nachgeahmt und Gelder abgegriffen. Außerdem sind ausgelaufene Domains des Bundes bereits öfter in die Hände von unbefugten Dritten gelangt. Damit gehen erhebliche Risiken einher.
Für Bürger*innen ist es bis heute praktisch unmöglich zu beurteilen, ob eine URL offiziell ist oder nicht. Erschwert wird dies durch Umbenennungen nach Regierungsbildungen. Seit Ende der 1990er Jahre hatte das Bundesverkehrsministerium beispielsweise 5 verschiedene Namen:
- Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
- Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur
- Bundesminister für Digitales und Verkehr
- Bundesminister für Verkehr
Die Domains dazu gibt es zu großen Teilen noch bis heute. Als direkte Ministeriums-Domains gibt es: bmvbs.de, bmvi.de, bmvi.eu, bmvi.info, bmvi.net, bmvi.org, bundesbauministerium.com, bundesbauministerium.de, bundesbauministerium.net, bundesbauministerium.org, bundesinfrastrukturministerium.de, bundesverkehrsministerium.com, bundesverkehrsministerium.de, bundesverkehrsministerium.net, bundesverkehrsministerium.org, verkehrsministerium.de. Hinzu kommen „Minister“-Domains, wie: bundesbauminister.de, bundesbauminister.net, bundesbauminister.org, bundesverkehrsminister.com, bundesverkehrsminister.de, bundesverkehrsminister.net, bundesverkehrsminister.org, verkehrsminister.de
Das Beispiel zeigt: Die angestrebte „Digitale Dachmarke für Deutschland“ mit einer Endung gov.de, welche auf einer Sitzung des IT-Planungsrates im März 2024 beschlossen wurde, wartet auch knapp zwei Jahre später noch auf vollständige Umsetzung. Bislang sind nur wenige gov.de-Domains vergeben (vgl. S. 5 von BT-Drucksache 21/2439). Das Verkehrsministerium ist kein Einzelfall, auch andere Ministerien registrieren Domains, halten diese vor oder verlieren sie wieder.
Security by ObscurityUnsere Versuche, Licht ins Dunkel zu bringen, waren in den vergangenen Jahren nicht immer erfolgreich. Zwar konnten wir mit verschiedenen Anfragen für Transparenz sorgen. In einem Verfahren gegen das Bundesgesundheitsministerium urteilte das Verwaltungsgericht Köln jedoch, dass die Domains der Behörde nicht herausgegeben werden müssen.
Diese Linie verfolgt die Bundesregierung auch heute noch weiter. Sie stuft Listen von Domains als Verschlusssache ein. Das entspricht dem Prinzip Security by Obscurity. Danach sollen Systeme oder Dienste allein dadurch verschützt werden, dass ihre Existenz oder ihr genauer Zugangspunkt - etwa eine Domain - geheim gehalten wird. In der heutigen, hochvernetzten IT-Landschaft gilt dieses Prinzip jedoch weitgehend als überholt.
Gerade bei Domains von Behörden zeigt sich deutlich, dass Geheimhaltung allein keinen verlässlichen Schutz mehr bieten kann. Zum einen sind „geheime“ Domains in der Praxis selten wirklich verborgen. Suchmaschinen, automatisierte DNS-Scans, Zertifikatstransparenz-Logs, Fehlkonfigurationen oder einfache Leaks führen häufig dazu, dass solche Domains früher oder später entdeckt werden. Ein Angreifer muss heute nicht gezielt nach einer einzelnen Behörde suchen, sondern kann mit standardisierten Werkzeugen große Teile des Adressraums systematisch erfassen. Die Annahme, eine unbekannte Domain bleibe dauerhaft unsichtbar, ist daher realitätsfern.
Zum anderen bietet eine geheime Domain keinen Schutz vor gezielten Angriffen. Sobald ein Zugangspunkt bekannt ist - etwa durch einen kompromittierten Account oder interne Informationen - fehlt jede weitere Verteidigungsebene, wenn keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen existieren. Moderne IT-Sicherheit folgt deshalb dem Grundsatz, dass Systeme auch dann sicher sein müssen, wenn ihre Architektur und ihre Adressen bekannt sind. Starke Authentifizierungsverfahren, rollenbasierte Zugriffskontrollen, Verschlüsselung, Netzsegmentierung sowie kontinuierliches Monitoring und Logging sind deutlich wirksamer als bloße Geheimhaltung. Für Behörden ist dieser Aspekt besonders kritisch. Sie verarbeiten sensible personenbezogene Daten und stehen zugleich im Fokus von gezielten Angriffen.
Wir veröffentlichen Domain-ListeWenn Domains von Behörden offen veröffentlicht und dokumentiert werden, können alle Menschen und auch staatliche Stellen zuverlässig prüfen, ob es sich um eine authentische Seite von Behörden handelt. Das erschwert Betrugsversuche und Desinformationskampagnen erheblich, weil sich gefälschte Angebote leichter entlarven lassen. Gleichzeitig zwingt Offenheit die Betreiber dazu, Sicherheitsmaßnahmen konsequent umzusetzen, anstatt sich auf Geheimhaltung zu verlassen. Veröffentlichte Domains schaffen damit Vertrauen, fördern digitale Souveränität und sind ein notwendiger Bestandteil moderner IT-Sicherheitsarchitekturen: Sicherheit entsteht nicht durch Verbergen – sondern durch Transparenz. Aus diesem Grund veröffentlichen wir hier gebündelt mehr als 2.000 Domains des Bundes, die wir u.a. über Scraping und Suchmaschinen zusammengestellt haben:
von Tim Philipp Schäfers
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Unsere IFG-Jahresbilanz: Totgesagte leben länger
Das Informationsfreiheitsgesetz sollte sterben, doch es hat überlebt. Anlass für eine Bilanz: Das war unser Jahr 2025 vor Gericht in Sachen Informationsfreiheit.
Im März 2025 stand das Informationsfreiheitsgesetz vor dem Aus. Die Union wollte es abschaffen – ausgerechnet unter Federführung von Philipp Amthor, der selbst durch das IFG seine umstrittenen Nebentätigkeiten bei Augustus Intelligence offenlegen musste. Doch wir haben gemeinsam mit über 400.000 Menschen protestiert und am Ende gewonnen: Das IFG bleibt.
2025 war in Bezug auf die Informationsfreiheit für uns letztlich ein Jahr der Erfolge, aber auch der zähen Auseinandersetzungen. Wir haben Transparenz erkämpft, wo Behörden mauerten. 12 neue Verfahren haben wir in diesem Jahr auf den Weg gebracht. 11 ältere Verfahren konnten wir erfolgreich beenden oder in erster Instanz für uns entscheiden: In vier Fällen knickten die Behörden schon nach Klageerhebung ein, sodass sich die Verfahren erledigten. Sieben weitere gewannen wir durch ein Urteil in erster Instanz, wobei vier dieser Verfahren nun in Berufung gehen. Hier sind unsere Highlights.
IFG-Anträge, die den Bereich Migration betreffen, scheitern häufig unter Verweis auf Sicherheitsbelange oder den Schutz internationaler Beziehungen. Im vergangenen Jahr konnten wir hier allerdings gleich mehrere Erfolge vor Gericht verzeichnen.
Die Lageberichte des Auswärtigen Amtes sind eine zentrale Grundlage für Asylverfahren. Sie enthalten Einschätzungen zur Menschenrechtslage und zu Rückkehrbedingungen in Herkunftsstaaten. Sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch Verwaltungsgerichte stützen ihre Entscheidungen maßgeblich auf die Berichte. Bislang sind die vollständigen Berichte allerdings nur wenigen bekannt. Das Auswärtige Amt gibt sie auf Antrag zwar heraus, schwärzt aber die sensiblen Passagen. Gemeinsam mit PRO ASYL haben wir dagegen geklagt und dieses Jahr für die Lageberichte Nigeria und Iran in erster Instanz gewonnen. Das Verwaltungsgericht Berlin stellte fest: Die Schwärzungen waren widersprüchlich. Dieselben Berichte werden in verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren ungeschwärzt herausgegeben. Es gibt keinen Grund, sie gegenüber der Öffentlichkeit unter Verschluss zu halten. Das Auswärtige Amt hat Berufung beantragt, weiter geht es also in der zweiten Instanz.
Ein EuGH-Urteil bestätigte 2022, dass die jahrelange deutsche Praxis beim Familiennachzug zu unbegleiteten Minderjährigen rechtswidrig war. Als die Linksfraktion mittels einer Kleinen Anfrage aufklären wollte, wie es zu dieser Fehleinschätzung kam, verweigerte die Bundesregierung wesentliche Auskünfte. Die Begründung: Der Schutz des „Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung“.
Nachdem unsere IFG-Anfrage zur Herausgabe der internen Abstimmungsvermerke zu dieser Antwortverweigerung abgelehnt wurde, klagten wir. Das Verwaltungsgericht Berlin gab uns Recht und bestätigte, dass sich die Regierung bei abgeschlossenen Vorgängen nicht pauschal auf ihren geschützten Beratungsbereich berufen darf. Die durch das Urteil veröffentlichten Akten belegen nun, dass die rechtlichen Bedenken im federführenden Innenministerium (BMI) intern bekannt waren. Die Idee, die Antwort unter Verweis auf das Exekutivprivileg zu verweigern, stammte ursprünglich aus dem Wirtschaftsministerium. Die eigenen Fachleute für Parlamentsrecht im BMI meldeten jedoch früh Zweifel an und wiesen die Textentwürfe mehrfach als „nicht ausreichend“ zurück. Da es sich um abgeschlossene Vorgänge handelte, fehle eine tragfähige Begründung.
Dennoch hielt die Leitungsebene an der Verweigerung fest. Auch das Auswärtige Amt, das an der ursprünglichen Fehleinschätzung beteiligt war, blockierte die Aufklärung, lieferte zunächst keine Beiträge zu und stufte Anlagen als Verschlusssache ein. Das Verfahren zeigt: Die Bundesregierung entschied sich entgegen dem Rat der eigenen Fachabteilungen für Intransparenz, um eine detaillierte Aufarbeitung der rechtswidrigen Verwaltungspraxis gegenüber dem Parlament zu verhindern.
Wenn es um Geld, Infrastruktur und die Interessen der Privatwirtschaft geht, muss der Informationszugang erfahrungsgemäß ebenfalls besonders hart erkämpft werden.
Ein Etappensieg gelang uns gemeinsam mit Finanzwende gegen die VBL (Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder). Die Rentenkasse für den öffentlichen Dienst investiert Milliarden, teils auch in klimaschädliche Industrien, wollte aber als „privatwirtschaftlich handelnde“ Stelle keine Auskunft geben. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe stellte klar: Die VBL ist auskunftspflichtig und es handelt sich um Umweltinformationen. Auch wenn das Verfahren in der nächsten Instanz weitergeht, ist dies ein wichtiger Zwischenerfolg.
Auch bei der Verkehrsinfrastruktur mussten wir den Behörden die Informationen erst entreißen. Den umstrittenen Trassenvergleich für die ICE-Strecke Hannover-Hamburg veröffentlichte das Verkehrsministerium erst, nachdem wir Klage eingereicht hatten. Im Fall der Bundesstraße B247 wollte das Ministerium die Wirtschaftlichkeitsberechnungen für das ÖPP-Pilotprojekt (Öffentlich-Private-Partnerschaft) unter Verschluss halten. Wir haben geklagt und in erster Instanz gab uns das Gericht recht: Ob sich Privatisierungen für Steuerzahler*innen lohnen, ist kein Staatsgeheimnis, sondern eine Frage der öffentlichen Kontrolle.
In Baruth/Mark wollen die Getränkeriesen Red Bull und Rauch ihre Produktion massiv ausweiten – und das in einer Region, die bereits unter „Grundwasserstress“ leidet. Die Anwohner*innen sorgen sich zurecht: Wie viel Wasser wird den Konzernen zugesichert, während private Brunnen versiegen? Doch die Stadt verweigert den Einblick in die Übernahmeverträge und beruft sich auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Deshalb haben wir in diesem Jahr gemeinsam mit einer Betroffenen Klage eingereicht. Wir wollen offenlegen, zu welchen Konditionen unsere Ressourcen verkauft werden.
Erster Erfolg nach dem Sächsischen TransparenzgesetzVergangenes Jahr konnten wir unseren ersten Erfolg nach dem Sächsischen Transparenzgesetz verzeichnen. Sachsen hat das jüngste Transparenzgesetz unter den Bundesländern. Es trat erst im Januar 2023 in Kraft. Das Verwaltungsgericht Dresden entschied nach unserer Klage, dass das Sächsische Staatsarchiv eine transparenzpflichtige Stelle nach dem Sächsischen Transparenzgesetz ist und Informationen auf Antrag herausgeben muss. Auch wenn wir uns in der zweiten Instanz noch über Details streiten und das Sächsische Transparenzgesetz viele Schwachstellen hat, zeigt das Urteil, dass Transparenz im Grundsatz mittlerweile auch in Sachsen funktioniert.
Bundestransparenzgesetz: Viel Streit um ein SchnäppchenEigentlich hatte die Ampelregierung auch auf Bundesebene ein Transparenzgesetz in der letzten Legislaturperiode fest eingeplant, um das Informationsfreiheitsrecht grundlegend zu modernisieren. Auch wenn das Vorhaben am Ende scheiterte, existierten im Innenministerium bereits ein konkreter Referentenentwurf und beim Statistischen Bundesamt eine amtliche Kostenschätzung. Freiwillig herausgeben wollten die Behörden diese Unterlagen jedoch nicht.
Es bleibt ein Paradox dieses Jahres, dass wir erst Klage einreichen mussten, um den Entwurf für ein Transparenzgesetz (!) ans Licht zu holen. Nach Klageerhebung gaben das Ministerium und das Statistische Bundesamt die Dokumente schließlich heraus. Der Inhalt entkräftet dabei das Argument, mehr Transparenz sei nicht finanzierbar: Das Statistische Bundesamt kalkulierte für die Einführung lediglich einmalige Kosten von 12,8 Millionen Euro sowie 5,5 Millionen Euro jährlich. Ein überschaubarer Betrag. Bisher scheitert echte Transparenz also vor allem am Willen, nicht an den Kosten.
Vier Jahre Maskenaffäre – wir bleiben dranAndrea Tandler machte mit Maskendeals während der Pandemie Millionen. Gemeinsam mit ihrem Partner kassierte sie 48 Millionen Euro Provision für einen 700-Millionen-Euro-Kauf. Die Masken waren nicht nur überteuert, sondern auch von schlechter Qualität.
Wir haben die Kommunikation zwischen dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn und Andrea Tandler angefragt. Was folgte, war ein Paradebeispiel für Verzögerungstaktik: Das Ministerium wechselte die Begründungen, brachte zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung neue Argumente, spielte auf Zeit. Das Verwaltungsgericht Köln gab uns schließlich teilweise recht. Beide Seiten haben Berufung beantragt, das Verfahren geht also vor dem Oberverwaltungsgericht NRW weiter. Manche Fälle brauchen einen langen Atem. Wir haben ihn.
Dieses Jahr hat uns gezeigt: Die Informationsfreiheit in Deutschland ist nicht selbstverständlich. Sie muss jeden Tag erkämpft werden – vor Gericht, in der Öffentlichkeit und in den Amtsstuben der Republik. Wir schauen genau hin und klagen weiter, wo es nötig ist.
erledigt nach Klageeinreichung (4)- Entwurf Bundestransparenzgesetz der Ampel-Koalition
- Kostenfolgenschätzung zur Einführung eines Bundestransparenzgesetz
- Unterlagen zur Auflösung von Protesten gegen die Auflösung des CSD Schönebeck
- Trassenvergleich ICE-Strecke Hannover-Hamburg
- Interne Kommunikation der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage bzgl. Familiennachzug
- Anwendungsbereich Sächsisches Transparenzgesetz
- Verträge zwischen der JVA Hahnöfersand und dem Telekommunikationsdienstleister Telio
- Investmentportfolio der VBL (Versorgunsgsanstalt des Bundes und der Länder)
- Ungeschwärzte Herausgabe der Lageberichte des Auswärtigen Amts zu Nigeria und Iran
- Wirtschaftlichkeitsprüfung Bundesstraße B247
- Kommunikation Gesundheistminister Jens Spahn mit Andrea Tandler
Die Unterlagen zum Trassenvergleich der ICE-Strecke Hannover-Hamburg wurden durch das Verkehrsministerium veröffentlicht:
- Trassenvergleich
- dahinterliegende Grundlagen
- Handbuch-Leitfaden zur Bewertungsmatrix und Stellungsnahme
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Nach unserer Recherche: Bismarck verliert seine Steueroase
Der Sachsenwald wird zum Jahreswechsel eingemeindet. Damit endet nicht nur Deutschlands absurdeste Steueroase, sondern auch ein 150 Jahre altes Adelsprivileg. Auslöser dafür war eine Recherche von FragDenStaat.
Eine kleine Hütte im norddeutschen Mischwald, die Familie Bismarck und ein juristisches Relikt aus der Kaiserzeit – das waren die Grundpfeiler für Deutschlands absurdeste Steueroase. Die wird jetzt endgültig trockengelegt. Dank einer Recherche von FragDenStaat und dem ZDF Magazin Royale.
Mehr als 20 teils millionenschwere Firmen hatten ihren offiziellen Sitz in der kleinen Holzhütte im Sachsenwald gemeldet, fernab der Zivilisation. Dadurch zahlten sie ihre besonders niedrige Gewerbesteuer nicht in öffentliche Kassen, sondern an den Gutsbesitzer Gregor von Bismarck. Denn der Sachsenwald ist kein Teil einer öffentlichen Gemeinde, sondern gemeindefreies Gebiet. Hier gilt auch mehr als ein Jahrhundert nach dem Ende der Kaiserzeit noch immer ein altes Adelsprivileg. Gutsbesitzer Bismarck hat dort alle Rechte und Pflichten, die sonst einer demokratisch legitimierten und öffentlich kontrollierten Gemeindeverwaltung zukommen würden – also auch Gewerbesteuer kassieren. Doch damit ist zum Jahreswechsel Schluss.
Ein Ende der AdelsprivilegienAnfang Dezember hat der schleswig-holsteinische Landtag beschlossen, dass der Forstgutsbezirk Sachsenwald zum 1. Januar aufgeteilt und in angrenzende Gemeinden eingegliedert wird. Dabei geht es laut Aussagen von Abgeordneten explizit darum, die Steueroase trockenzulegen, die wir in einer monatelangen Recherche mit dem ZDF Magazin Royale aufgedeckt hatten.
Die „trickreiche Steuergestaltung“ der Bismarck-Nachfahren werde nun beendet, sagt der CDU-Abgeordnete Rasmus Vöge. „Dass diese antiquierten Privilegien aus der Kaiserzeit ihr Ende finden, wurde auch höchste Zeit“, kommentierte SPD-Politikerin Beate Raudies.
Was passierte mit den Steuereinnahmen?Knapp 2,3 Millionen Euro hatte Gregor von Bismarck in den Jahren 2017 bis 2023 an Gewerbesteuer eingenommen. Aktuelle Zahlen für das Jahr 2024 stehen noch aus. Zudem wurde zuletzt bekannt, dass Bismarck fälschlicherweise auch 130.000 Euro aus dem kommunalen Finanzausgleich bekommen hat. Grund dafür war ein Berechnungsfehler: Waldwege wurden als öffentliche Straßen gezählt, die durch den Finanzausgleich finanziert werden sollten. Obwohl Bismarck das Geld nicht zusteht, kann das Land es nicht zurückfordern.
Fraglich ist noch immer, was mit den Steuereinnahmen passiert ist, die durch die Firmensitze in der Waldhütte an Bismarck geflossen sind. Wir haben im Zuge unserer Recherchen zahlreiche Anfragen an Gutsbesitzer Bismarck gestellt und ihn zweimal verklagt. Aktuell läuft noch ein Verfahren auf Auskunft nach dem Schleswig-Holsteinischen Informationszugangsgesetz.
Wir wollen Klarheit darüber schaffen, wohin die Steuereinnahmen des Sachsenwalds geflossen sind. Denn wer Steuern wie eine Gemeinde erhebt, der muss auch wie eine Gemeinde darüber Auskunft geben. Daran ändert auch das Ende von Bismarcks Privatgemeinde nichts. Laut dem Gesetz über die Auflösung des Forstgutsbezirks Sachsenwald sind die Waldeigentümer weiterhin wie eine Gemeinde für alles verantwortlich, was sich auf die Zeit vor 2026 bezieht.
Mehr zu unserer Recherche über Bismarcks Steueroase im Sachsenwald:
→ Bismarcks Hütte im Wald: Die absurdeste Steueroase Deutschlands
→ Bismarcks Hütte im Wald: Noch mehr Unternehmen in Steueroase Sachsenwald
→ Steueroase Sachsenwald: Wir haben Bismarck schon wieder verklagt
von Aiko Kempen
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Jobcenter-Stories: Die Weiterbildungslotterie
Weiterbildungen sollen Chancen eröffnen. Doch Daten und Insider*innenberichte zeigen: Vieles ist Zufall und manches Manipulation. Ein Blick in ein kaum kontrolliertes Milliardensystem.
Die wichtigsten Punkte in Kürze- Menschen landen in qualitativ völlig unterschiedlichen Weiterbildungskursen, obwohl alle Anbieter die gleiche Zertifizierung haben.
- Zertifizierungsstellen prüfen vor allem Papiere, nicht den Unterricht.
- Große Bildungsträger manipulieren laut Insider*innenberichten die Plattform „mein Now”. Ein Datensatz unterstreicht diesen Vorwurf.
- Schlechte Arbeitsbedingungen für Dozierende drücken die Qualität zusätzlich.
Als Paul* und Viola* Ende 2024 arbeitslos werden, haben sie das gleiche Ziel: Sie wollen eine spezielle Weiterbildung im Projektmanagement absolvieren, um in einer anderen Branche Fuß zu fassen. Beide bekommen einen Bildungsgutschein dafür und buchen jeweils einen Kurs, der sie auf dieselbe Zertifikatsprüfung vorbereiten soll.
Doch Paul und Viola erzählen, dass sie vollkommen unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Sie landen in Kursen, die zwar auf dieselbe Prüfung vorbereiten sollen, aber qualitativ kaum vergleichbar sind. Während Paul begeistert ist, sagt Viola: „Ich war nicht in der Erwachsenenbildung, sondern in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.“ Beide können das beurteilen, denn sie haben Pädagogik mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung studiert.
Dies ist der zweite Teil unserer Serie „Jobcenter-Stories“. Im ersten Teil haben Teilnehmende von ihren negativen Erfahrungen mit Weiterbildungskursen berichtet. Danach meldeten sich Dutzende Personen aus der Weiterbildungsbranche selbst: Dozierende, Leiter*innen von Bildungsträgern und Prüfende, sogenannte Auditor*innen. Wir haben zahlreiche Hinweise bekommen, Unterlagen geprüft und mit vierzehn Personen, die sich unabhängig voneinander bei uns gemeldet haben, ausführlich gesprochen. Viele bestätigten die Eindrücke der Betroffenen aus Teil 1. Zudem wurde uns ein Datensatz der von der Agentur für Arbeit betriebenen Plattform „mein Now“ zugespielt, den wir ausgewertet haben. Die Gespräche, Dokumente und Daten geben tiefere Einblicke in ein System, das mit Milliarden an Steuergeldern Weiterbildungen finanziert, aber die Qualität kaum kontrolliert. Wer Pech hat, landet in einem Kurs, der nur auf dem Papier etwas taugt.
Hinweis: In diesem Text geht es nicht nur um das Jobcenter und Menschen, die Bürgergeld bekommen. Auch die Arbeitsagentur vergibt Bildungsgutscheine für Weiterbildungen, Umschulungen und Coachings. Sie ist für Menschen zuständig, die Arbeitslosengeld beziehen. Arbeitslosengeld bekommt, wer in den vergangenen 30 Monaten für 12 Monate angestellt war und damit in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Bürgergeldbeziehende und Arbeitslosengeldbeziehende sitzen jedoch in denselben Kursen – und treffen dort auf dieselben Probleme.
Weiterbildung als GlückssacheNachdem Pauls Bildungsgutschein bewilligt wurde, sucht der 37-Jährige auf der Online-Plattform „mein Now“ von Jobcentern und Arbeitsagentur nach einem passenden Anbieter. Er liest Kursbeschreibungen, vergleicht und klickt sich durch das umfangreiche Angebot. Auf Seite acht fällt ihm ein Kurs auf, dessen Beschreibung nicht nach einem Textbaustein klingt. Er entscheidet sich für diesen Kurs, seine Dozentin wird Mira. Sie hatte in Teil 1 der Jobcenter-Stories bereits von ihrer früheren Arbeit bei einem großen Bildungsträger erzählt.
Paul beschreibt die sechs Wochen bei ihr als „wirklich gut“. Die Gruppe sei klein gewesen, die Übungen und Praxisanteile klar und durchdacht. Später besucht er weitere Kurse bei Mira.
Wenige Wochen nach Paul verliert seine Partnerin Viola ihren Job. Die 29-Jährige will aus dem Personalbereich raus und sich wie Paul im Projektmanagement weiterbilden. Doch ihre Sachbearbeiterin habe sie in ihrer Auswahl eingeschränkt: Der Anbieter müsse einen Schulungsraum in ihrer Region haben. Dass der Kurs ohnehin online stattfindet, habe keine Rolle gespielt.
Viola sucht auch auf der Plattform „mein Now“. Sie entscheidet sich für den Kurs eines großen Anbieters, der in den Suchergebnissen ganz oben gelistet ist. Was sie erlebt, frustriert sie sehr – vor allem, weil sie Pauls positive Erfahrung kennt. Die Dozierenden hätten ständig grundlos gewechselt. Sie habe keine Lernmaterialien bekommen, die Übungen seien nicht sinnvoll gewesen. Die Gruppe sei mit 26 Personen viel zu groß gewesen. Ein Trainer habe sich jungen Frauen gegenüber abwertend verhalten, Beschwerden darüber seien versandet. Nach acht Wochen hatte Viola das Gefühl, die Zeit nur abgesessen zu haben. Den Kurs erwähne sie ihn ihrem Lebenslauf. Den Anbieter anzuführen, traue sie sich allerdings nicht.
Eigentlich dürfte es solche Unterschiede nicht geben. Alle Kurse und Anbieter auf „mein Now” sind zertifiziert. Doch das scheint keine Garantie dafür zu sein, dass ein Kurs auch wirklich gut ist. Das zeigt unsere Recherche.
Die privatwirtschaftliche PrüfmaschineDie Zertifizierung übernehmen keine Behörden, sondern privatwirtschaftliche Unternehmen, sogenannte fachkundige Stellen. Beauftragt werden sie von den Bildungsträgern. So heißen die Unternehmen, die Weiterbildungen, Umschulungen oder Coachings anbieten und dafür Bildungsgutscheine von Jobcentern und Arbeitsagenturen abrechnen.
Wer Weiterbildungen anbieten will, muss sowohl das Unternehmen als auch die einzelnen Kurse zertifizieren lassen. Alleine die Zertifizierung als Bildungsträger kann mehrere tausend Euro kosten. Zusätzlich müssen die Träger freiberufliche Auditor*innen bezahlen, die vor Ort den Betrieb und den Kurs prüfen und anschließend einen Bericht für die fachkundige Stelle schreiben.
Dario* ist einer dieser Auditor*innen und zugleich selbst Leiter eines Bildungsträgers. In der Branche ist diese Doppelrolle nicht ungewöhnlich, erzählt er. Als Auditor fährt er zu Bildungsträgern, prüft ihre Unterlagen und protokolliert das Ergebnis. „Wir prüfen allerdings nur Papiere, nicht den Unterricht selbst“, sagt er. Stundenpläne, Konzepte, Mietverträge, Nachweise über die Qualifikation der Dozierenden. Entscheidend sei, dass die Dokumente vollständig sind, nicht ob der Unterricht in der Praxis funktioniert.
Die Prüfungen werden angekündigt, alle Beteiligten wissen, wann sie sich auf Kontrollen einstellen müssen. „Als Auditor lernt man, ein Haifisch zu sein, dem die Zähne geschliffen wurden“, sagt Dario. Wer locker prüft, werde wieder gebucht. Wer streng prüft, verliere hingegen Aufträge. „Das Zertifizierungssystem verspricht Kontrolle. In Wahrheit schafft es aber Anreize, um wegzuschauen,“ sagt Dario.
Die privaten Zertifizierungsstellen sind ein Produkt der Hartz-Reformen Anfang der 2000er Jahre. Bis dahin prüften die Arbeitsämter selbst die Bildungsträger. Doch das galt als intransparent und korruptionsanfällig. So wurde die Zertifizierung an die Privatwirtschaft ausgelagert. Wettbewerb und klare Vorgaben sollten zu mehr Qualität führen. Doch heute zeigt sich, dass genau das oft nicht passiert.
Monopolisierung per PlattformIn unseren Gesprächen mit Teilnehmenden und Dozierenden fallen immer wieder dieselben Namen, wenn es um schlechte Erfahrungen geht: eine Handvoll großer, bundesweit aktiver Bildungsträger. Auf der Plattform „mein Now“ stehen jedoch genau diese Anbieter meist ganz oben in den Suchergebnissen, unabhängig vom Kursthema. Ein möglicher Grund: technische Manipulation.
Insider*innen berichteten uns, dass sich die Suchlogik des Portals leicht ausnutzen lasse. Je mehr Schlagworte im Beschreibungstext stehen, desto höher werde der Kurs gelistet. Die Anbieter würden auch mehr Termine und Standorte eintragen, um so präsenter angezeigt zu werden. Insbesondere große Träger würden gezielt damit arbeiten, erzählen mehrere Personen, die selbst im Weiterbildungssystem arbeiten. Die Unternehmen würden Kurse in mehrere Module zerlegen, um mehr Einträge zu erzeugen, zusätzliche Profile mit minimal abgewandelten Namen registrieren und Scheinstandorte angeben.
Die Bundesagentur für Arbeit räumt auf unsere Anfrage ein, es sei bekannt, dass Bildungsanbieter ihre Angebote durch Angabe von verschiedenen Standorten und Unterrichtsformen vervielfältigen, um besser gelistet zu werden. Zugleich erklären sie, es gebe Vorgaben und Maßnahmen, um Missbrauch zu verhindern, alle Anbieter gleich zu behandeln und Übersichtlichkeit zu wahren. Die Ergebnislisten von „mein Now“ würden „randomisiert“ also zufällig, ausgegeben. Grundlage dafür sei eine Volltextsuche, die Treffer entsprechend der Suchanfrage sortiert. Details zum Algorithmus wollte die Behörde nicht nennen. Wir bleiben dennoch dran und haken weiter nach. Die Anzahl der Accounts habe keinen Einfluss auf das Ranking. Identische Angebote mit einem oder mehreren Accounts zu veröffentlichen, sei unzulässig. Einträge, die dagegen verstoßen, würden gelöscht .
Die Kleinen werden unsichtbarDoch ein Datensatz der Plattform „mein Now“, der uns zugespielt wurde, untermauert die Vorwürfe. Er enthält Trägerprofile, Standorte und Beschreibungstexte der Kurse. In den vergangenen Wochen haben wir diesen Datensatz stichprobenartig ausgewertet. Aktuell können wir den Datensatz allerdings noch nicht veröffentlichen. Einige große Anbieter, die meist oben im Ranking auftauchen, verfügen über drei, vier oder mehr Profile, obwohl sie derselben rechtlichen Entität zuzurechnen sind, etwa weil es Tochterfirmen desselben Unternehmens sind. In den Kursbeschreibungen fällt zudem auf, dass bestimmte Schlagworte überdurchschnittlich oft verwendet werden. Laut Nutzungsrichtlinien ist das gezielte Wiederholen solcher Keywords jedoch unzulässig. Dass Bildungsträger sich nicht an diese Regel halten, ist der Arbeitsagentur ebenfalls bekannt. Das räumt sie auf unsere Anfrage ein. Man habe sämtliche Bildungsanbieter nachdrücklich darauf hingewiesen und aufgefordert, ihre Angebote zu korrigieren und die Mehrfachnennung zu unterlassen.
Die Daten zeigen auch, einige der angegebenen Standorte wirken zweifelhaft. So werden teilweise acht oder mehr Träger an einem Ort gelistet. Das wäre zulässig, allerdings muss laut Nutzungsrichtlinien pro Standort, den ein Träger angibt, auch eine Person vor Ort sein, selbst wenn der Kurs online stattfindet. Bei einigen Standorten, der von uns geprüften Standorte, scheint das unglaubwürdig. Mehrere Anbieter haben als Sitz eine Adresse in Coworking-Räumlichkeiten.
Die Bundesagentur für Arbeit schreibt uns dazu, sie habe in den vergangenen zwei Jahren je knapp 1.000 Standorte von Anbietern überprüft, knapp zwei Drittel davon gab es eine Vor-Ort-Prüfung. Dass ein Bildungsträger in einem Coworking-Space sitzt, sei zulässig, sofern der Anbieter zertifiziert sei und die Räume dauerhaft und nicht nur flexibel angemietet werden. Zu mehreren konkreten Hinweisen aus unserer Datenauswertung teilt uns die Bundesagentur mit, sie werde diese überprüfen.
Dieses System nützt offenbar den Großen in der Branche. Wer Ressourcen hat, viele Einträge erzeugt und viele Standorte angibt, kann anscheinend die ersten Seiten der Suchergebnisse dominieren. Die anderen Anbieter rutschen nach hinten. Wahrscheinlich fand Paul deshalb seinen Kurs bei Mira erst auf Seite acht. Mira hat nach den schlechten Erfahrungen bei großen Bildungsträgern selbst einen Träger gegründet. Sie wollte es besser machen. Wenige Teilnehmende, klare Inhalte, keine Massenware. Doch genau dieser Ansatz macht sie im System unsichtbar. Ihre Kurse würden auf „mein Now“ automatisch nach hinten rutschen, sagt sie. Immer weniger Menschen würden sich anmelden. Mira musste bereits Mitarbeitende entlassen. „Wir wollen gute Weiterbildungen machen“, sagt sie. „Aber das System belohnt nicht Qualität, sondern Masse.“
Das Ende der Nahrungskette
Doch nicht nur kleine Träger stehen unter Druck – auch die Dozierenden selbst. Von ihnen und ihren Arbeitsbedingungen hängt die Qualität der Kurse maßgeblich ab. Die Dozierenden großer Bildungsträger, mit denen wir gesprochen haben, berichten von Honoraren zwischen 20 und 45 Euro brutto pro Unterrichtseinheit. Die Anzahl der Stunden pro Monat variiere, je nachdem, wie oft sie von einem Bildungsträger gebucht werden. Sie arbeiten meist freiberuflich. Vorbereitungszeit werde nur selten bezahlt.
„Wir sind das Ende der Nahrungskette“, sagt Milan*, der Jahrzehnte als Dozent gearbeitet hat. Es gehe den Bildungsträgern nicht um Qualität, sondern darum, den niedrigsten Preis anzubieten, um die begehrten Ausschreibungen zu gewinnen. „Beim Personal wird als erstes gespart“, erzählt der 57-Jährige.
Andere Dozierende schildern ähnliches. Pauline* hat Angst vor Scheinselbständigkeit, weil sie immer zu festen Zeiten für denselben Bildungsträger arbeite. „Als Dozentin ist man machtlos.“, sagt sie. „Wenn ich mit Steuergeld finanziert arbeite, dann erwarte ich, dass diese Institutionen Arbeitsrecht auch wirklich leben.“ Farah* hat Verträge vorgelegt bekommen, dass sie vollständig hafte, wenn die Arbeitsagentur oder das Jobcenter an der Dokumentation etwas zu beanstanden haben. „Wir Coaches arbeiten auf eigenes Risiko“, sagt Farah. „Und bekommen unter Umständen kein Geld.“ Sie hat Verträge vorgelegt bekommen, dass sie vollständig hafte, wenn die Arbeitsagentur oder das Jobcenter mit den Unterlagen, in denen sie den Kurs dokumentiert, etwas zu beanstanden haben. Thomas* hat Maschinenbau studiert und sein halbes Leben in der Metall-Branche gearbeitet. Dann wurde er Dozent. Allerdings mit vielen Hürden, da die Arbeitserfahrung allein nicht ausreiche. Die würde ihn allerdings von einigen Kolleg*innen unterscheiden. „Ich habe sowohl beim Jobcenter und Arbeitsamt wie auch den Bildungsträgern, Menschen kennengelernt, die einen wirklich guten Job machen“, sagt Thomas. „Das Problem liegt ein paar Ebenen höher. Denn dort geht es nicht um die Menschen, sondern um die Zahlen.“
Diese Arbeitsbedingungen haben direkte Auswirkungen auf die Qualität. Wer schlecht bezahlt wird, wenig Vorbereitungszeit bekommt und ständig unter Druck steht, kann selten guten Unterricht leisten. Und wer es trotzdem versucht, brennt aus. So bleibt es für Teilnehmende wie Paul und Viola Zufall, ob sie in einen guten oder schlechten Kurs geraten.
* Die Namen der Personen haben wir zu ihrem Schutz geändert.
→ Hier geht es zu Teil 1 der Jobcenter-Stories
Das ist Teil 2 unserer Jobcenter-Serie. Du hast auch eine Jobcenter-Story zu erzählen? Melde Dich!
von Vera Deleja-Hotko❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Soli für die Demokratie: Wir starten den Überbrückungsfonds
Hunderte Projekte, die unsere Demokratie und Gesellschaft absichern, stehen jedes Jahr vor dem Aus – weil Bund und Länder sie monatelang auf Fördergelder warten lassen. Damit das nicht passiert, starten wir den Überbrückungsfonds.
Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in einer Kleinstadt, das Jugendzentrum, das queeren Menschen einen sicheren Raum bietet, der Verein, der sich gegen Hassrede einsetzt – all diese Projekte halten unsere Demokratie am Laufen. Doch sie sind in Gefahr: Jedes Jahr aufs Neue lassen Bund und Länder zivilgesellschaftliche Projekte monatelang auf Fördergelder warten, die sie längst zugesagt haben, aber nicht pünktlich auszahlen. Die Konsequenz: Beratung stoppt, Schutz bricht weg, wichtiges Engagement steht auf der Kippe. Und manche Projekte müssen ihre Arbeit sogar ganz einstellen.
Das ist ein Skandal! Deswegen starten wir den Überbrückungsfonds: Gemeinsam mit unserer Community schließen wir diese gefährliche Finanzierungslücke und halten die Zivilgesellschaft am Laufen. Betroffene Projekte können aus dem Überbrückungsfonds unkompliziert und schnell zinslose Darlehen erhalten und so die Zeit überbrücken, bis die Fördergelder endlich eintreffen.
Mit dem Überbrückungsfonds nehmen wir den finanziellen Druck von den Menschen, die sowieso schon jeden Tag gegen Hass, Hetze und andere Missstände ankämpfen. Aber wir wollen das Problem nicht nur kurzfristig angehen, sondern deutlich machen: Die Regierungen müssen ihre Förderpraxis ändern und zivilgesellschaftliche Projekte endlich angemessen priorisieren. Doch bis dahin können wir nicht tatenlos zusehen, wie die demokratische Infrastruktur im Wartemodus stirbt. Der Überbrückungsfonds darf zwar keine Dauerlösung sein – aber er hilft jetzt, wo er akut gebraucht wird.
Funktionieren kann der Überbrückungsfonds nur mit einer starken solidarischen Gemeinschaft, denn der Fonds wird über Spenden finanziert. 20.000 bis 80.000 Euro brauchen wir pro Projekt, das wir überbrücken wollen, wenn die Förderung stockt. Je mehr Geld wir sammmeln, desto mehr Organisationen können wir in der extistenzbedrohenden Phase am Jahresbeginn unterstützen. Und jeder Euro hilft mehrfach: Werden die Darlehen zurückgezahlt, fließt das Geld in weitere Demokratiearbeit.
Projekte mit einer Förderzusage von Bund oder Ländern, die eine finanzielle Überbrückung benötigen, können sich ab sofort und bis zum 15. Dezember 2025 bei uns melden. Damit wollen wir gewährleisten, dass wir direkt zum Jahresbeginn die Projekte unterstützen können, die gefährdet sind. Eine weitere Auswahlrunde wird im Januar 2026 stattfinden.
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von Michelle Trimborn
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Dokumente zum rassistischen Anschlag: Die Hanau-Datenbank
Fünf Jahre nach dem rassistischen Attentat sind drängende Fragen noch ungeklärt. Deshalb sammeln und veröffentlichen wir zentrale Dokumente.
Am 19. Februar 2020 ermordete ein Rechtsextremist in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven. Danach erschoss er seine Mutter und sich selbst. Seit Jahren kämpfen die Hinterbliebenen der Ermordeten um Aufklärung. Seit Jahren geht es nur schleppend voran. Seit Jahren sind Fragen nach staatlicher Verantwortung und der Schuld von Polizei und Stadt nicht abschließend geklärt.
Mehr als fünf Jahre nach dem Anschlag hat nun die Familie des Ermordeten Hamza Kurtović Verfassungsbeschwerde eingereicht. Denn trotz der offenen Fragen haben die zuständigen Staatsanwaltschaften mehrfach Ermittlungsverfahren eingestellt. Auch alle Versuche der Betroffenen, die Staatsanwaltschaft per Gerichtsbeschluss zum Ermitteln zu zwingen, sind fehlgeschlagen. Die Verfassungsbeschwerde ist eine der letzten Möglichkeiten auf Aufklärung.
Wir veröffentlichen erstmals umfangreiche Dokumente, die zeigen, wie staatliche Institutionen mit dem rassistischen Anschlag umgegangen sind – und welche Erkenntnisse es zu wichtigen Fragen gibt. Im Mai 2023 hatten wir bereits einen internen Polizeibericht zur Aufarbeitung veröffentlicht.
Hätten die Gäste der Arena-Bar durch den Notausgang fliehen können?Eine zentrale Frage der Aufarbeitung des Anschlags betrifft den Notausgang der Arena-Bar. In der Bar erschoss der Täter die beiden Gäste Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi und verletzte mehrere Menschen. Eine umfassende Rekonstruktion der Ereignisse in der Bar durch die Organisation „Forensic Architecture“ zeigt: Die meisten Gäste in der Arena-Bar hätten nach der ersten Sichtung des Täters genügend Zeit gehabt, um durch den Notausgang zu fliehen – darunter auch die beiden Ermordeten. Warum sie nicht zum Notausgang gelaufen sind, darüber sind sich zahlreiche Zeug*innen laut den Dokumenten einig: Alle Stammgäste hätten gewusst, dass der Notausgang verschlossen sei.
Zeugenaussage zum Notausgang Aus der KlageerzwingungEin Zeuge berichtet, dass ein Polizist im Jahr 2017 – drei Jahre vor dem Anschlag – am Rande einer Razzia den Barbesitzer aufgefordert haben soll, die Tür zu verriegeln. So steht es in einer eidesstattlichen Versicherung, die wir veröffentlichen. In der Arena-Bar fanden regelmäßig Kontrollen statt, weil die Polizei vermutete, dass die Gäste mit Drogen handelten.
Zeugenaussage zum Notausgang Aus einer eidesstattlichen VersicherungAuf Anfrage der ARD widersprach das zuständige Polizeipräsidium. Durch die Polizei ergehe niemals die Weisung oder Aufforderung, Notausgänge zu verschließen.
In den Dokumenten geben einige Zeug*innen an, dass der Notausgang geöffnet gewesen sei – darunter etwa der Barbesitzer. Doch kam ein Untersuchungsausschuss im Hessischen Parlament im Jahr 2023 zu einem klaren Ergebnis: „dass der Notausgang verschlossen war und die anwesenden Gäste davon ausgingen.“
Staatsanwaltschaften und Gerichte sehen trotzdem keinen Anlass für weitere Ermittlungen. Für sie ist nicht ausreichend belegt, ob der Notausgang tatsächlich verschlossen war. Und selbst wenn er offen gewesen wäre, hätten die Barbesucher nur unter „immenser Gefahr“ fliehen können, heißt es in einer Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt.
Einschätzung zum Notausgang Aus der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt Warum erreichte Vili-Viorel Păun den Notruf nicht?Am Abend des Attentats verfolgte Vili-Viorel Păun den Täter mit seinem Auto quer durch Hanau, bevor auch er erschossen wurde. In dieser Zeit wählte Păun mehrfach erfolglos den Notruf. Der Vorwurf der Familie: Hätte der Notruf funktioniert, wäre Păun womöglich noch am Leben. Polizist*innen am anderen Ende der Leitung hätten ihn wahrscheinlich dazu aufgefordert, die Verfolgung abzubrechen.
Doch auch in diesem Fall stellte die Staatsanwaltschaft Hanau die Ermittlungen im Januar 2025 ein. Die Dokumente zeigen, dass Probleme mit dem Notruf in Hanau seit Jahren bekannt waren. Auch zeigen sie die Bemühungen der Familie Păun um Aufklärung. Die Frage nach dem nicht funktionierenden Notruf ist ebenfalls Teil der Verfassungsbeschwerde, die die Familie des Ermordeten Hamza Kurtović nun eingelegt hat.
Was für Dokumente veröffentlichen wir?Die Dokumente zeigen die Aufarbeitung des Attentats. Unter den Dokumenten sind Briefwechsel mit Politikern, Aussagen von Zeug*innen, ein Antrag auf Klageerzwingung und Beschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Die Dokumente zeigen, wie die Hinterbliebenen beharrlich darauf drängen, dass der Staat Verantwortung übernimmt, die Geschehnisse lückenlos aufklärt und Fehler eingesteht. Behörden ermittelten zwar, stellten Strafverfahren jedoch immer wieder ein oder wiesen Verantwortung von sich.
Warum veröffentlichen wir die Dokumente?Es ist wichtig, transparent zu dokumentieren, wie der rassistische Anschlag von Stadt, Staatsanwaltschaften und Gerichten aufgearbeitet wurde – und wo es möglicherweise Lücken oder Widersprüche gibt. Anhand der Dokumente können sich alle Interessierten selbst ein Bild davon machen, wie gut die Aufarbeitung bisher gelungen ist. Die Briefe, Beschlüsse und Protokolle zeigen, wie der Staat Beweise, Aussagen und Argumente gesammelt, geordnet und bewertet hat.
Bewertung der Landesregierung Aus einem Brief des Hessischen InnenministeriumsAuf der anderen Seite zeigen sie die Bemühungen der Hinterbliebenen zu verstehen, aufzuklären und staatliches Handeln nachzuvollziehen oder zu kritisieren.
Frust der Hinterbliebenen Brief an den Hanauer OberbürgermeisterUnd sie zeigen den Frust vieler Betroffener – und welche Folgen der Anschlag für ihr Vertrauen in staatliche Institutionen hat. Ein regelmäßiger Gast der Arena-Bar, der mit vielen der Ermordeten befreundet war, sprach schon 2021 in einer Vernehmung mit der Polizei offen darüber.
Zeugenaussage zur Hanauer Polizei Aus der Klageerzwingung Was wurde geschwärzt?Wir haben uns entschieden, weitestgehend Namen und persönliche Informationen zu schwärzen. Außerdem haben wir Informationen unkenntlich gemacht, die Rückschlüsse auf das Privatleben von Zeug*innen zulassen. Auf Wunsch der Urheber*innen bestimmter Zeilen sind einige größere Textblöcke geschwärzt.
Die Namen der Ermordeten haben wir nicht geschwärzt. Auch Personen der Zeitgeschichte sind in den Dokumenten namentlich erkennbar.
Was sollte man wissen, bevor man sich die Dokumente anschaut?Die Dokumente schildern den Anschlag mitunter sehr genau und nah. Die Geschehnisse werden deutlich. Der Schmerz der Betroffenen wird sichtbar und spürbar. Auf der anderen Seite können rechtliche Bewertungen oder Entscheidungen distanziert wirken.
Lest die Dokumente nur, wenn ihr euch dazu gerade in der Lage fühlt und holt euch Unterstützung, wenn es euch stark belastet. Unterstützung bekommt ihr beispielsweise unter https://online.telefonseelsorge.de/ oder beim Krisentelefon unter 0800 / 11 10 111
von Jonas Seufert , Sabrina Winter❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Interaktive Karte: Das Steueroasen-Verzeichnis
DAX-Konzerne, Prominente, Profi-Sportler – sie alle haben Firmensitze in Steueroasen mitten in Deutschland. Es ist ein bundesweites System mit milliardenschweren Folgen für die Allgemeinheit. Wir machen es sichtbar.
Die Deutsche Bank zieht es in die Feuerwache eines 200-Seelen-Dorfes in der ostdeutschen Provinz, Popstar Shirin David hat ein Domizil für ihre Firmen auf einem in die Jahre gekommenen Schloss in Brandenburg gefunden und in Wohnhäusern und Villen von Münchner Vororten tummeln sich dutzende oder gar hunderte Unternehmen. All diese Orte haben eines gemeinsam: Es sind deutsche Steueroasen.
Wir haben uns in den vergangenen Monaten durch unzählige Einträge im Handelsregister gewühlt, haben mit Unterstützung des Informationsdienstes North Data riesige Datenbanken erstellt und sind quer durch die Republik gereist. In Orte, in denen Unternehmen nur eine sehr niedrige Gewerbesteuer zahlen müssen und in denen zugleich überdurchschnittlich viel Gewerbesteuer eingenommen wird. Das Ergebnis ist eine interaktive Karte, mit der deutsche Steueroasen digital erkundet werden können: das Steueroasen-Verzeichnis.
Deutsche Steueroasen online erkundenDie Karte zeigt 37 Gemeinden, die mit besonders niedrigen Steuersätzen Unternehmen anziehen. Die Höhe der Gewerbesteuer darf jede Gemeinde in Deutschland selbst festlegen. Dadurch müssen Firmen zum Beispiel in München mehr als doppelt so viel Gewerbesteuer auf ihren Gewinn zahlen wie im angrenzenden Grünwald. Der Grundgedanke dahinter: Wirtschaftsschwache Regionen sollen so Standortnachteile ausgleichen können und dafür sorgen, dass sich neue Unternehmen ansiedeln oder bestehende Firmen nicht abwandern. In der Realität führt dieses Prinzip zu einem Unterbietungswettbewerb zwischen Gemeinden, bei dem Unternehmen profitieren und es einen klaren Verlierer gibt: die Allgemeinheit. Rund eine Milliarde Euro gehen den öffentlichen Kassen nach Schätzungen jedes Jahr durch Gewerbesteueroasen verloren. Es ist Geld, das in Spielplätze, Straßenreinigung oder Schulsanierungen fließen könnte.
Der Blick in die Gemeinden zeigt: Neben den ortsansässigen Gewerbetreibenden haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten etliche weitere Unternehmen dort angesiedelt. Mal sind es Tochterfirmen großer DAX-Konzerne, mal Immobilienholdings, mal die Vermögensverwaltungen von Prominenten, die in Orten wie Grünwald, Lützen oder Monheim am Rhein ihren Geschäftssitz anmelden. Zuweilen teilen sich hunderte Unternehmen eine Adresse – in einem Fall sind es mehr als tausend Firmen.
Steueroasen-Verzeichnis
Briefkasten am baufälligen BauernhausViele dieser Steueroasen haben wir nicht nur digital erkundet. Und nicht immer hatten wir den Eindruck, dass in den Häusern mit den langen Unternehmenslisten an den Briefkästen regelmäßig gearbeitet wird.
Etwa in einer kleinen Ortschaft in Sachsen-Anhalt, die zur Stadt Lützen zählt – und damit die niedrigste Gewerbesteuer des Bundeslandes bietet. An einem baufälligen Bauernhaus stehen die Namen von 25 Firmen einer Leipziger Immobiliengruppe am Briefkasten. Laut Handelsregister sind ein paar der Unternehmen vor kurzem umgezogen oder wurden aufgelöst. Auch das zuständige Finanzamt hat bereits 2023 zur Prüfung an dem Bauernhaus vorbeigeschaut. Mit welchem Ergebnis? Steuergeheimnis.
Zurück "> WeiterSollte eine Firma die Betriebsstätte in einer Steueroase nur vortäuschen, während die Arbeit in Wirklichkeit in einer anderen Gemeinde erledigt wird, wäre dies eine Straftat: Steuerhinterziehung. Doch das zweifelsfrei nachzuweisen, ist schwierig. Vor allem, weil es oft Vermögensverwaltungen, Holdings und Beteiligungsgesellschaften sind, die sich in deutschen Steueroasen ansiedeln. Sie brauchen wenig oder gar kein Personal und verwalten zugleich enorme Summen.
Milliardenschwere Firmen in der FeuerwacheWie etwa mehrere Tochterfirmen der Deutschen Bank, die seit Jahren ebenfalls in Lützen sitzen – in einem Gemeindezentrum im winzigen Ortsteil Sössen und im Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr. Zusammen verfügen die drei Firmen in der 200-Seelen-Ortschaft über ein Eigenkapital von mehr als 10 Milliarden Euro. Die Gemeinde Lützen erklärt, sie könne bestätigen, dass durch die Tochterfirmen der Deutschen Bank „Tätigkeiten vor Ort ausgeübt werden”. Die Deutsche Bank teilt uns mit, die Geschäftsleitung der Gesellschaften erfolge in Lützen und die Geschäftsführer seien regelmäßig vor Ort. In Google-Rezensionen loben Menschen den Firmenstandort im Gemeindezentrum als „super Räumlichkeiten für private Feiern”.
Zurück "> WeiterWas betont werden muss: Nicht jede Firma in einer Steueroase ist automatisch eine Briefkastenfirma. Das gilt für den lokalen Klempner oder die Bäckerin genauso wie für alle mehr oder weniger finanzstarken Unternehmen, die sich dort ansiedeln. Drei DAX-Konzerne haben ihren Hauptsitz in einer der Gemeinden, die wir als Steueroasen identifiziert haben und beschäftigen dort zahlreiche Mitarbeitende.
Bundesweites System: DAX-Konzerne in SteueroasenAuch wer aus finanziellen Gründen seine Firmen in einer Steueroase anmeldet, überschreitet damit nicht automatisch die Grenze zur Illegalität. Entscheidend ist, ob dort tatsächlich gearbeitet wird. Zugleich zeigt unsere Karte ein bundesweites System, das Fragen zur Steuergerechtigkeit in Deutschland aufwirft.
Die Deutsche Bank ist mit ihrem steueroptimierten Firmensitz in der Feuerwache keine einsame Ausnahme unter den DAX-Konzernen. Gleich 15 der 40 größten deutschen Aktiengesellschaften haben zahlreiche Tochterfirmen in verschiedenen Steueroasen abseits der eigentlichen Firmenzentrale – insgesamt sind es mehr als 120 Tochtergesellschaften. So hat etwa Siemens allein 39 Tochterunternehmen am Sitz einer Privatbank in Grünwald registriert. Wenige hundert Meter entfernt teilen sich acht Tochterfirmen des Immobilienkonzerns Vonovia ein Gebäude mit fast 700 weiteren Unternehmen. Daimler Truck und die Mercedes Benz Group haben je ein knappes Dutzend Tochterfirmen im brandenburgischen Schönefeld. Und die Deutsche Telekom ist 2019 mit zwei Vermögensverwaltungen von Bonn nach Monheim am Rhein gezogen. „Gewerbesteuervorteile gehen hiermit für die Deutsche Telekom nicht einher”, sagt ein Unternehmenssprecher. Mercedes Benz erklärt, man handle stets im Einklang mit Steuervorschriften, will sich zu Details jedoch nicht äußern. Die anderen genannten DAX-Unternehmen wollten das Thema nicht kommentieren.
Bauch, Beine, Büro: Firmensitze von PromisWer deutsche Steueroasen erkundet, stößt auch auf prominente Namen. Gleich fünf Firmen der Sängerin Shirin David haben ihren Sitz nicht in Berlin, sondern im brandenburgischen Zossen – in einem denkmalgeschützten Schlossbau, der 123 Firmen eine Adresse bietet.
Stefan Raabs Laheif GmbH hat ihren Sitz im Büro einer Steuerberatung in Leverkusen. Geschäftszweck ist laut Handelsregister die Durchführung von Events. Zudem hält das Unternehmen 90 Prozent an der Firma, die seit Raabs Comeback seine Sendungen produziert. Rapper Kollegah, Influencerin Dagi Bee und der frühere Golf-Weltranglistenerste Martin Kaymer haben sich für Monheim am Rhein als Firmensitz entschieden. Dort sind ihre Unternehmen an Adressen mit dutzenden oder gar hunderten weiteren Firmen gemeldet.
Geschäftsmodell „postzustellfähiger Firmensitz”Ein Grund für die auffällige Firmenhäufung: An Adressen wie der von Dagi Bees Unternehmen bieten Dienstleister steueroptimierte Geschäftssitze an. Es ist ein Angebot, das es auch in nahezu allen anderen Steueroasen gibt, ob in Zossen, Lützen, Schönefeld oder Grünwald. Mal heißt es flexible Bürolösung, mal Co-Working, mal Virtual Office. Die Anbieter werben dafür, dass Unternehmen sich dort innerhalb kürzester Zeit einen repräsentativen Geschäftssitz sichern können – samt steuerlicher Vorteile. Einige Anbieter haben auf ihrer Website gleich einen Rechner integriert, um die mögliche Steuerreduzierung zu ermitteln.
Besucht man diese Adressen, stößt man oft auf menschenleere Gebäude. In manchen Fällen bietet sich ein Bild, das nur schwer mit dem eines repräsentativen Firmenstandortes in Einklang zu bringen ist. So wirbt ein Anbieter in Gräfelfing dafür, von den niedrigen Gewerbesteuersätzen zu profitieren und verspricht: „Anerkannt von Finanzämtern und der Gemeinde“. An der Adresse im Impressum findet sich ein Wohnblock über einem Eiscafé, gemeldet sind dort laut Handelsregister 25 Unternehmen.
In Monheim am Rhein teilen sich als „postzustellfähigen repräsentativen Firmensitz” 127 Unternehmen eine Doppelhaushälfte. „Wir schaffen die Plattform für Ihre persönliche Büro-Organisation, indem wir Ihre Post in Ihrem Firmennamen entgegennehmen”, wirbt der Anbieter.
Bundesregierung sieht HandlungsbedarfFragt man Finanzbehörden zu Gewerbesteueroasen, erhält man meist eine einhellige Antwort: Das Thema missbräuchlicher Steuergestaltungen von Unternehmen in Kommunen mit auffallend niedriger Gewerbesteuer sei bekannt. Sofern Behörden feststellen, dass ein Unternehmen nur zum Schein in einer Steueroase gemeldet ist und in Wahrheit woanders gearbeitet wird, würden sie entschieden dagegen vorgehen.
Auch die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf. „Wir werden alle zur Verfügung stehenden administrativen Maßnahmen ergreifen, um derartigen Scheinsitzverlegungen in Gewerbesteuer-Oasen wirksam zu begegnen”, heißt es im aktuellen Koalitionsvertrag. Dafür soll die Untergrenze für den Gewerbesteuerhebesatz, aus dem sich die Höhe der Gewerbesteuer ergibt, von 200 auf 280 Prozent erhöht werden. Sollte der Ankündigung eine Gesetzesänderung folgen, wäre das ein effektiver Schritt in die richtige Richtung, sagt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Gelöst wäre das Problem damit jedoch nicht. Damit es sich für Unternehmen nicht mehr lohnt, Gewinne in Steueroasen zu verschieben, müsste die bundesweite Untergrenze für die Gewerbesteuer noch höher angelegt werden, sagt er. Trautvetter nennt dazu einen Gewerbesteuerhebesatz von mindestens 315 Prozent. Doch derzeit zeigen sich mancherorts eher gegenteilige Entwicklungen.
„Etliche Fälle offensichtlicher Steuerhinterziehung”Der Münchner Vorort Baierbrunn hat die Gewerbesteuer erst im April 2025 drastisch gesenkt – mit Verweis auf die im Koalitionsvertrag angekündigte Erhöhung. Die Begründung: Indem der Ort die reiche Nachbargemeinde Grünwald bei der Gewerbesteuer noch unterbietet, könne Baierbrunn „das kluge Zeitfenster nutzen”, um Unternehmen anzuziehen, bevor eine gesetzliche Vereinheitlichung kommt. Sofern sie denn tatsächlich kommt. Bisher ist der Plan der Bundesregierung nur eine von vielen Ankündigungen in einem 146 Seiten starken Koalitionsvertrag. „Am Ende passieren Gesetzesänderungen, wenn das Problembewusstsein in der Öffentlichkeit groß genug ist”, betont Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. In den Steueroasen gebe es eine ganze Reihe von Fällen, in denen Steuerhinterziehung ganz offensichtlich sei. Diese offensichtlichen Fälle sollten auch unabhängig von einer möglichen Gesetzesänderung aufgedeckt und bekämpft werden, sagt er.
Solange sich Gemeinden gegenseitig unterbieten und damit der Allgemeinheit jedes Jahr mehr als eine Milliarde Euro für öffentliche Aufgaben verloren gehen, hilft aktuell vor allem eines: ein genauer Blick auf deutsche Steueroasen.
→ Zum Steueroasen-Verzeichnis mit interaktiver Karte
von Aiko Kempen❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Unsere Bibliothek wächst weiter: Wissen, was Kinder und Jugend gefährdet, darf nichts kosten
Wir befreien Amtsblätter von ihren Bezahlschranken. Amtsblätter enthalten zwar wichtige amtliche Informationen, werden aber durch private Verlage veröffentlicht und verkauft. So werden Bürger*innen und Interessierte zur Kasse gebeten – für Informationen, die für alle zugänglich sein sollten. Die Liste jugendgefährdender Medien der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) gibt es darum ab sofort bei uns frei Haus.
Vierteljährlich gibt die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz die BzKJAKTUELL heraus. Der amtliche Teil führt die aktuellen Indizierungen von Spiel-, Film-, Schrift-, Ton- und Multimediawerken auf. Inhalte und Medien, die auf dieser Liste stehen, sind kinder- und jugendgefährdend: Sie dürfen nicht frei verbreitet, vermarktet und ausgestrahlt werden.
Behörden, öffentliche Bibliotheken, Schulen sowie Jugendhilfeeinrichtungen bekommen die BzKJAKTUELL kostenfrei – alle anderen müssen zahlen. 50 Euro kostet das Abonnement der vier Hauptausgaben in Printform, wer weitere 36 Euro bezahlt, bekommt zusätzlich auch die digitale Version. Das digitale Abo gibt es für 72 Euro. Aber: Das Geld geht nicht direkt an die Behörde, um davon beispielsweise Aufklärungsarbeit zu finanzieren, sondern an einen privaten Verlag, die Forum Verlag Godesberg GmbH.
Denn während die BzKJ für die Indizierung und Aktualisierung der Liste zuständig ist, übernimmt die Forum Verlag Godesberg GmbH die Veröffentlichung – und streicht auch die Gewinne ein. Das absurde, aber gängige System in Deutschland: Bundesministerien oder Behörden erlassen Vorschriften, Verordnungen oder Regularien und private Verlage schränken den Zugriff ein und kassieren bei allen ab, die die Informationen der Behörden wollen.
Wir glauben: Amtliche Dokumente von allgemeinem Interesse gehören an die Öffentlichkeit – nicht in die Hände privater Verlage. Der freie Zugang zu staatlichen Dokumenten ist aus unserer Sicht nicht nur rechtmäßig, sondern auch notwendig. In der FragDenStaat-Bibliothek veröffentlichen wir systematisch die Amtsblätter von Bundesbehörden und sprengen die Bezahlschranken. Ab sofort kann jede*r die Listen der jugendgefährdenden Medien bei uns einsehen.
→ Zur gesamten FragDenStaat-Bibiliothek
von Thomas Babyesiza❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Etappensieg für die Informationsfreiheit: Wir kämpfen weiter für die Offenlegung öffentlicher Kapitalanlagen
Das Verwaltungsgericht in Karlsruhe hat entschieden: Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ist auskunftspflichtig. Grundsätzlich ein wichtiger Schritt für die Transparenz öffentlicher Kapitalanlagen – doch das Gericht schränkt die Auslegung der Informationspflicht in seinem Urteil gefährlich ein. Darum ziehen wir gemeinsam mit Finanzwende in die nächste Instanz.
Die VBL verwaltet die betriebliche Altersvorsorge von mehr als fünf Millionen Angestellten des öffentlichen Diensts und ist damit Deutschlands größte Zusatzvorsorgekasse. Sie verfügt über ein Anlagekapital von ca. 65 Milliarden Euro. Auf ihrer Website erklärt sie, Nachhaltigkeit sei „Teil der treuhänderischen Verantwortung der VBL“, Investitionen in Unternehmen mit überwiegend kohlebasiertem Geschäftsmodell seien ausgeschlossen.
Doch die Realität sieht anders aus: Eine parlamentarische Anfrage offenbarte, dass im Herbst 2021 rund 368 Millionen Euro in Kohleunternehmen investiert waren. Auch 2024 entfielen noch immer 2,17 Prozent des Investment-Portfolios auf Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie. Wegen dieser Diskrepanz zwischen Darstellung und Wirklichkeit wollten wir schon 2022 gemeinsam mit Finanzwende wissen, wo die VBL tatsächlich investiert. Weil die VBL uns den Informationszugang verweigerte, zogen wir vor Gericht – und erzielten einen Teilerfolg. Trotzdem gehen wir in die nächste Instanz.
Intransparenz und heiße Luft statt Verantwortung und Klimabewusstsein
Vor drei Jahren hakten wir per Informationsfreiheitsanfrage bei der VBL nach, in welche Branchen sie für die Rentenabsicherung investiert und wie sich das Investment-Portfolio der Pensionskasse zusammensetzt. Sie lehnte unsere Anfrage ab. Ihre Begründung: Die VBL sei nicht auskunftspflichtig, weil sie keine öffentlichen Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, sondern als privatrechtliche Versicherung privatrechtlich handelt. Außerdem begründete sie die Ablehnung mit einer gemeinsamen Beteiligung von Bund und Ländern, darum würden weder die bundes- noch landesrechtlichen Regelungen eindeutig greifen.
Wir hielten dagegen: Unabhängig davon, ob sie privatrechtlich handelt, ist die VBL eine Anstalt des öffentlichen Rechts und dementsprechend informationspflichtig. Und auch die Tatsache, dass mit Bund und Ländern mehrere staatliche Stellen beteiligt sind, darf nicht zu weniger Transparenz führen. Um die Informationspflicht der VBL grundsätzlich klären zu lassen, haben wir 2023 gemeinsam mit Finanzwende Klage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe eingereicht.
Verwaltungsgericht Karlsruhe: VBL ist auskunftspflichtigMit seinem Urteil gab uns das VG Karlsruhe im Kern recht und machte klar: die VBL ist eine informationspflichtige Stelle. Es entschied, dass weder das privatrechtliche Handeln noch die angeblich unklare Zuordnung zu Bund- oder Landesebene Intransparenz rechtfertigen. Öffentliche Stellen sind auch dann informationspflichtig, wenn sie keine öffentlich-rechtlichen Handlungsformen nutzen und letztlich untersteht die VBL der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums. Laut EU-Recht müssen Umweltinformationsansprüche darüber hinaus wirksam in Anspruch genommen werden können, dies kann nicht durch eine unklare Zuordnung zu Bund oder Ländern ausgehebelt werden.
Das Gericht folgte uns auch darin, dass es sich bei den Portfolioangaben um Umweltinformationen handelt – und zu diesen muss die Öffentlichkeit nach dem Umweltinformationsgesetz Zugang haben. Denn die Anlagetätigkeit der VBL betrifft Umweltbestandteile, da die Pensionskasse Nachhaltigkeitskriterien in ihrer Anlagestrategie einbezieht.
Trotz dieser Feststellungen verpflichtete das Gericht die VBL nur zur unmittelbaren Herausgabe von Informationen, die bereits aufgrund von gesetzlichen Mitteilungspflichten veröffentlicht wurden. Als Akteur im Finanzdienstleistungssektor unterliegt die VBL EU-rechtlichen nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungspflichten, sie ist gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mitteilungspflichtig und auch dem Bundesfinanzministerium. Für alle weiteren angefragten Informationen müsse die VBL erneut über den Antrag entscheiden. Damit spielte das Gericht die Entscheidung über den Informationszugang in unzulässiger Weise zurück an die VBL und kam damit seiner gesetzlichen Aufgabe nicht nach.
Zunächst muss klar sein, dass, soweit gesetzliche Mitteilungspflichten bestehen, keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vorliegen können. Es kann dagegen nicht darauf ankommen, ob die VBL diesen Mitteilungspflichten nachgekommen ist. Indem das VG Karlsruhe in der Entscheidung auch darauf abstellt, belohnt es potenziell die Missachtung gesetzlicher Mitteilungspflichten durch Behörden und öffentliche Stellen.
Besonders bedenklich ist, dass das Gericht sich dabei auf mögliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bezog, ohne konkret zu prüfen, ob diese tatsächlich vorliegen. Insbesondere, da die Informationen, die wir angefragt haben, aus den Jahren 2020 und 2021 stammen. Eine aktuelle Wettbewerbsrelevanz ist daher kaum nachvollziehbar. Schließlich hätte das Gericht, auch wenn es von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ausgeht, die gebotene Abwägung zwischen öffentlichem Informationsinteresse und möglichem Geheimhaltungsinteresse selbst treffen müssen. Stattdessen müssten wir gegen eine erwartbare Ablehnung erneut vor Gericht ziehen. Das heißt: Der Informationszugang würde sich erneut um Jahre verzögern. Diese Entscheidung widerspricht der gängigen Rechtsprechung und setzt ein gefährliches Signal: Sie belohnt öffentliche Stellen, die ihren Pflichten im Rahmen der Informationsfreiheit nicht nachkommen, wenn sie behaupten, nicht informationspflichtig zu sein.
Ein gefährlicher Präzedenzfall: Wir bleiben dran
Der Kern des Urteils – die Feststellung der Auskunftspflicht und die Einordnung der Portfolioangaben als Umweltinformationen – ist ein bedeutender Fortschritt. Doch die Einschränkungen des Gerichts schwächen die praktische Wirkung dieses Erfolgs erheblich. So bleibt der VBL eine Hintertüre, der Öffentlichkeit weiterhin ihren berechtigten Informationszugang zu verweigern. Außerdem birgt das Urteil die Gefahr, eine negative Präzedenzwirkung auf vergleichbare Fälle zu entfalten.
Deshalb ziehen wir gemeinsam mit Finanzwende vor den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg. Unser Ziel bleibt klar: Die Kapitalanlagen öffentlicher Einrichtungen müssen nachvollziehbar und überprüfbar sein. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf zu erfahren, wie ihre öffentliche Kapitalanlagen angelegt werden – erst recht bei einer öffentlichen Einrichtung.
→ Zur Anfrage
→ Zur Klage
→ Zum Urteil
→ Antrag auf Zulassung der Berufung
→ Zur Kampagne von Finanzwende zur VBL-Anlagepolitik
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Jobcenter-Stories: Das Geschäft mit den Arbeitslosen
Der Staat investiert Milliarden in Jobcenter-Maßnahmen. Doch anstatt die Menschen in Arbeit zu bringen, profitiert davon eine kaum kontrollierte Weiterbildungsindustrie.
Die wichtigsten Punkte in Kürze:- Der Staat zahlt jährlich Milliarden für Jobcenter-Maßnahmen wie Weiterbildungen, Umschulungen und Bewerbungstrainings.
- Eigentlich sollen sie Menschen in Arbeit bringen, tatsächlich profitieren vor allem private Bildungsträger.
- Jobcenter füllen vorab eingekaufte Plätze, auch wenn die Maßnahmen kaum passen.
- Qualität und Wirkung der Maßnahmen werden kaum kontrolliert.
- Teilnehmende gelten während der Maßnahme nicht als arbeitslos. So sinken die offiziellen Arbeitslosenzahlen.
Matthias darf in seiner Softwareentwickler-Weiterbildung keine Software installieren. Tobias übt im E-Commerce-Kurs nicht das Verkaufen, sondern das englische Alphabet. Ralf soll in seinem Bewerbungstraining Bilderrätsel lösen. Heiko lernt Word-Dokumente zu öffnen, statt einen neuen Beruf. Anna wird in ein Coaching gesteckt, für das das Jobcenter bereits Plätze eingekauft hat. Mira, die als Dozentin helfen wollte, dehnte Unterrichtsstoff über Tage, bis es sinnlos wurde. Und Coach Benedikt, der eigentlich Mut machen wollte, zweifelt inzwischen, ob dieses System überhaupt noch jemanden erreicht.
Seit Monaten tobt die Debatte über das Bürgergeld. In Talkshows ist von falschen Anreizen die Rede, von Trägheit, von zu viel Milde. Im Oktober einigte sich die Koalition auf mehrere Gesetzesänderungen. Geplant sind verschärfte Sanktionen „bis an die Grenzen dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist“, sagte Arbeitsministerin Bärbel Bas. Wer einen Termin verpasst oder eine Weiterbildung abbricht, soll künftig härter bestraft werden.
Doch die Menschen, die vom Bürgergeld leben müssen, kommen kaum zu Wort. Deshalb haben wir Anfang September aufgerufen: Erzählt uns eure Jobcenter-Story! Innerhalb weniger Tage meldeten sich Dutzende. Wir haben mit ihnen gesprochen, Unterlagen gelesen und geprüft. Ihre Geschichten zeichnen ein anderes Bild: Sie wollen arbeiten, stecken jedoch in einem System, das sie scheitern lässt. Nicht mangelnde Motivation ist das Problem, sondern mangelnde Kontrolle über sogenannte „Maßnahmen“, wie Weiterbildungen, Coachings und Umschulungen. Der Staat investiert Milliarden in diese Kurse, die helfen sollen, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Doch zu oft fließt das Geld in eine kaum kontrollierte Weiterbildungsindustrie, in der Beschäftigung simuliert wird und Qualität Zufall zu sein scheint.
Das ist Teil 1 unserer Jobcenter-Serie. Du hast auch eine Jobcenter-Story zu erzählen? Melde Dich!
Das VersprechenMatthias*, 39 Jahre, wohnt nahe Mannheim
Matthias hat Pflegewissenschaften studiert. Ohne eine dreijährige Ausbildung darf er allerdings nur Teams leiten und nicht mit Patient*innen arbeiten. Nachdem er seine krebskranke Mutter bis zum Tod gepflegt hatte, wollte er einen Beruf, den er auch von zu Hause ausüben kann. Falls ihn sein Vater einmal braucht. Programmieren konnte er schon etwas, deshalb wollte er sich in dem Bereich weiterbilden. Das Jobcenter habe seinen Antrag monatelang geprüft, sagt Matthias. Erst habe es geheißen, der Kurs passe nicht, dann das Budget sei erschöpft. Schließlich kam doch eine Zusage für eine zweijährige Weiterbildung zum Anwendungsentwickler. Seine Euphorie war jedoch nur von kurzer Dauer. Auf dem Laptop, den er bekam, fehlte die Software zum Programmieren. Neue Programme zu installieren sei verboten gewesen, erzählt er. Obwohl der Unterricht online stattfand, musste er täglich mehrere Stunden pendeln, um sich in den Räumen des Bildungsträgers an einem Stand-PC einzuloggen. „Ich habe nichts gelernt. Nur Zeit abgesessen für teures Geld“, erzählt Matthias. 36.000 Euro kostete diese Maßnahme, laut Matthias. Das Jobcenter gab dazu keine Auskunft.
„Maßnahmen“ heißen die Programme, die Arbeitslosen dabei helfen sollen, wieder einen Job zu finden. Das können Weiterbildungen, Umschulungen oder Bewerbungstrainings sein. Bezahlt werden die Maßnahmen aus Steuergeldern. 2025 werden rund 3,4 Milliarden Euro für Weiterbildungsmaßnahmen ausgegeben. Welche Maßnahme für wen in Frage kommt, entscheiden die Sachbearbeiter*innen in den Jobcentern. Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass die Wirksamkeit der Maßnahmen kaum überprüft wird. Zwar werden Teilnehmerzahlen und Abbrecherquoten erfasst, jedoch kaum Lernerfolge oder tatsächliche Vermittlung. So gibt der Staat jährlich Milliarden aus, ohne sicher zu wissen, ob das System funktioniert.
Tobias*, 34 Jahre, wohnt nahe Bielefeld
Eigentlich hat Tobias Wirtschaftsrecht studiert. Doch er erkrankte an der Schilddrüse, brach das Studium ab und landete beim Jobcenter. Als er wieder arbeitsfähig war, schickte ihn seine Sachbearbeiterin in eine Weiterbildung für „Helfer Büro/Verwaltung“, weil das seinen Interessen aus dem Studium nahe komme. „Von Wirtschaft hatten die Dozenten keine Ahnung“, sagt Tobias. In dem Kurs lernte er die Grundkenntnisse von Microsoft Office, die er schon längst beherrschte. Sechs Monate saß er in dem Kurs, aus Angst, sanktioniert zu werden. Heute arbeitet er nicht in dem Bereich, sondern macht eine Pflegeausbildung. Den Ausbildungsplatz hat er ohne die Hilfe des Jobcenters gefunden.
Der Bundesrechnungshof kritisiert in einem 2025 veröffentlichten Bericht, den Jobcentern gelinge es nach wie vor nicht, Menschen „zu aktivieren und in Arbeit zu vermitteln“. Die Möglichkeiten, Menschen durch Maßnahmen zu fördern, würden nicht „ausreichend, zielgenau und intensiv genutzt“. Mehr als ein Drittel der Teilnehmenden breche abschlussorientierte Maßnahmen ab, so der Bundesrechnungshof.
Die FeldstudieRalf*, 47 Jahre, wohnt nahe Frankfurt am Main
20 Jahre lang arbeitete Ralf bei einem Unternehmen, bis er sich entschied, noch einmal etwas Neues auszuprobieren. Er machte Abitur, studierte Soziologie und Politikwissenschaften. Danach wollte er in der Jugendbildung arbeiten, doch es fehlte ihm eine Zusatzqualifikation. Das Jobcenter steckte ihn allerdings nicht in eine Weiterbildung, sondern in ein Bewerbungstraining. Für vier Stunden täglich, fünf Tage die Woche, mehrere Monate lang. Er bekam Bilderrätsel, auf denen er fehlende Vokale ergänzen sollte, um die Zeit zu überbrücken. „Nach zwei Wochen habe ich gefragt: Was mache ich hier eigentlich?“ Mit ihm saßen viele andere im Kurs, die sich auch fehl am Platz fühlten. Sie hätten eine fachliche Weiterbildung oder einen Sprachkurs gebraucht, um voranzukommen. Stattdessen seien einige schon zum zweiten Mal dort gewesen und verstanden nicht warum. „Ich fühlte mich wie in einer Feldstudie, an der ich teilnehmen musste“, erzählt Ralf.
Ralf befand sich in einer sogenannten „Eingliederungsmaßnahme“. Der Grundgedanke davon ist, Menschen nach langer Arbeitslosigkeit wieder in eine Routine zu bringen. Für manche hilfreich, für viele nicht. Die Plätze für Eingliederungsmaßnahmen kaufen die Jobcenter meist vorab ein. Also müssen sie auch gefüllt werden. Auch die Maßnahme, an der Heiko teilnahm, war vorab eingekauft, ergab unsere Recherche.
Mira*, 41, wohnt in Süddeutschland
Mira kennt das Weiterbildungssystem von innen. Sie arbeitete als Dozentin für einen großen Bildungsträger. Sie wollte Menschen helfen, wieder im Berufsleben Fuß zu fassen. Doch sie war schnell ernüchtert: Ihre Kolleg*innen seien nicht ausgebildet gewesen, um tatsächlich Wissen an die Teilnehmenden zu vermitteln. Und darum schien es auch nicht zu gehen. „Ich sollte Lerninhalte, die man an einem Tag vermittelt, auf zwei Wochen strecken“, erzählt Mira. Die Kurse liefen online, meist mit 30 Teilnehmer*innen oder mehr. Auf Fragen eingehen? Unmöglich.
Maßnahmen-Kurse anzubieten ist ein lukratives Geschäft. Anbieter müssen nicht in Werbung investieren, denn die Kund*innen liefern die Behörden. Seit der Pandemie ist das Maßnahmen-Geschäft sogar noch lukrativer geworden. Aus Einzelcoachings in Präsenz wurden Massenveranstaltungen, die online abgehalten werden. Denn bezahlt wird pro Teilnehmendem.
Der VertragAnna*, 42 Jahre, wohnt nahe Bonn
Anna arbeitet selbständig als Fotografin, verdient aber nicht genug. Sie stockt ihr Einkommen mit Bürgergeld auf. Sie will raus aus dem Bezug und sich dafür beruflich umorientieren. Das Jobcenter schickte sie allerdings in ein sechsmonatiges Coaching für Selbständige. Nach zwei Sitzungen brach sie ab, da sie an der Kompetenz der Trainerin zweifelte und weil sie ihre privaten Kontoauszüge auf einem USB-Stick speichern und abgeben sollte. Für Anna war das ein Eingriff in die Privatsphäre. Durch den Abbruch riskierte sie, sanktioniert zu werden.
Es gibt zwei Möglichkeiten, um als Bildungsträger an Jobcenter-Kund*innen zu kommen: über Bildungsgutscheine oder über Rahmenverträge. Ein Bildungsgutschein wird beim Jobcenter beantragt. Dafür wählt man eine Maßnahme eines zertifizierten Bildungsträgers im Online-Portal aus. Wie viele Plätze belegt und somit bezahlt werden, ist offen. Bei einem Rahmenvertrag sind die Plätze allerdings im Vorfeld bereits eingekauft, unabhängig davon, ob alle belegt sind. Annas Jobcenter und der Bildungsträger, der für ihr Coaching zuständig waren, haben laut unseren Recherchen einen Rahmenvertrag.
2022 stellte der Bundesrechnungshof fest, dass rund 74 Prozent der vorab eingekauften Kursplätze ungenutzt blieben. Dadurch seien rund 350 Millionen Euro aus Steuermitteln an Bildungsträger geflossen, ohne dass eine Leistung erbracht wurde.
Der ZwangHeiko*, 39 Jahre, wohnt nahe Essen
Heiko ist gelernter Lagerlogistiker. Nach einem Autounfall, bei dem ein Mensch starb, verlor er den Halt, die Arbeit und landete beim Jobcenter. Da er bereits ein paar Jahre arbeitslos ist, gilt er als „berufsentfremdet“. Er wollte eine Umschulung im kaufmännischen Bereich machen, stattdessen sitzt er in einer Maßnahme, in der er lernt, Word-Dokumente zu öffnen. „Ich will wieder arbeiten, nicht Grundschule spielen“, sagt er. „Ich verliere Zeit.“ Bis März 2026 muss er noch in der Maßnahme sitzen, ansonsten könne er sanktioniert werden.
Menschen, die an einer Maßnahme teilnehmen, gelten offiziell nicht mehr als arbeitslos. In der Statistik tauchen sie als „in Weiterbildung“ oder „in Aktivierung“ auf. So sinken die offiziellen Arbeitslosenzahlen, die in Talkshows debattiert werden, auch wenn niemand tatsächlich arbeitet. Offiziell gelten derzeit rund 3 Millionen Menschen als arbeitslos. Rechnet man jene hinzu, die in Maßnahmen stecken, wären es 3,5 Millionen.
Die mangelnde QualifikationAndreas*, 33 Jahre, wohnt nahe Stuttgart
Andreas hat jahrelang im Marketing gearbeitet, bis das Burnout kam und mit ihm das Jobcenter. Weil er sein Studium nicht abgeschlossen hatte, sollte er an einer Weiterbildung zum E-Commerce-Kaufmann teilnehmen. Zuerst war er motiviert. Die Sachbearbeiterin sagte, der Kurs sei anspruchsvoll und es gebe nur wenige Plätze. Doch bald lernte Andreas im Englischunterricht die Zahlen von eins bis zwanzig und das Alphabet. Es galt Anwesenheitspflicht, doch es habe täglich mehrstündige Pausen gegeben, die sie im Raum absitzen mussten. Rund 18.000 Euro kostete der Kurs. „Es fehlte nicht nur an Inhalt, fachlicher Tiefe und Praxisrelevanz, sondern auch an Professionalität“, erzählt Andreas. „Ein Dozent hat einen Affiliate-Link zu seinem Buch geteilt.“ Mit jedem Kauf erhält der Dozent eine Provision. Andreas schrieb einen dreiseitigen Beschwerdebrief an das Jobcenter. Die Antwort der Sachbearbeiterin: Man habe den Träger kontaktiert, der könne allerdings nichts ändern, da diverse Umschulungsinhalte „eingekaufte Maßnahmen“ seien, also von einem Subunternehmen durchgeführt werden. Der abschließende Rat der Sachbearbeiterin: „Momentan bleibt Ihnen leider nichts anderes übrig, als die Umschulung fertig durchzuziehen.“
Um Bildungsträger zu werden, braucht es eine sogenannte AZAV-Zertifzierung. Diese wird allerdings nicht von einer Behörde ausgestellt, sondern von privaten Unternehmen. Ihre Arbeit wird nur stichprobenartig von der deutschen Zertifizierungsstelle überprüft, schreibt uns die Bundesagentur für Arbeit. Zusätzlich zur Trägerzertifizierung muss auch jede Maßnahme von den privaten Zertifizierungsstellen zugelassen werden.
Benedikt*, 30, wohnt nahe Berlin
Benedikt weiß, wie es ist, arbeitslos zu sein. Er hat über das Jobcenter ein Coaching besucht, das ihm half, seine Marketingagentur aufzubauen. Heute ist er selbst Coach, allerdings als Subunternehmer. Seine Kurse werden von zertifizierten Bildungsträgern eingekauft. Sich selbst zu zertifizieren wäre zu teuer. Er begleitet Arbeitslose dabei, ihre Businessideen zu vermarkten. Die Businessideen wurden zuvor vom Jobcenter genehmigt und in einem anderen mehrmonatigen Kurs, den das Jobcenter finanziert, ausgearbeitet. „Die Teilnehmenden sind an dem Punkt euphorisch und ich muss viele enttäuschen“, sagt er. „Denn ein Großteil der Ideen wird in der Wirtschaft nicht bestehen.“ Nicht nur seien die Kurse teuer, auch würden Menschen so desillusioniert und möglicherweise in Krisen gestürzt werden.
Das ist Teil 1 unserer Jobcenter-Serie. Du hast auch eine Jobcenter-Story zu erzählen? Melde Dich!
* Die Namen der Personen haben wir zu ihrem Schutz geändert.
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Klage wegen Abschiebungen nach Afghanistan: In die Hände der Taliban
Vor kurzem verkündete die Bundesregierung ihre erste Massenabschiebung zum Terror-Regime nach Afghanistan. Jetzt geben sich Bund und Länder allerdings schmallippig. Deswegen ziehen wir vor Gericht.
Abschiebung als PR-Stunt: Mitte Juli verkündete Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) stolz die Abschiebung von 81 Personen nach Afghanistan. Den Zeitpunkt hatte er sorgfältig gewählt. Pünktlich zu einem vom Dobrindt einberufenen Ministertreffen zur Migration auf der Zugspitze verkündete er, weitere Abschiebungen zu den Taliban würden folgen.
Auf viele der abgeschobenen Personen dürfte in Afghanistan Folter oder auch die Todesstrafe warten. Zwar behauptet das Innenministerium, die Taliban hätten eine Zusicherung gegeben, Betroffene nicht zu drangsalieren. Wie die Bundesrepublik allerdings Vereinbarungen mit Islamisten vertrauen kann, die es nicht einmal als legitime Regierung Afghanistans anerkennt, bleibt offen. Da Deutschland keine Vertretung in Afghanistan hat, kann es auch nicht überprüfen, was dort geschieht. Trotzdem bereitet die Bundesregierung derzeit ein Abkommen für regelmäßige Abschiebungen vor. Das erste Flugzeug soll laut taz bald starten.
Viele Details zu der Abschiebung sind unterdessen geheim. Zwar gab das Innenministerium an, die 81 abgeschoebenen Personen hätten zuvor „schwere Straftaten“ begangen. Was das genau heißen soll, bleibt unklar. Auf Anfrage von FragDenStaat weigern sich viele Bundesländer, etwa die Straftaten zu benennen, die die abgeschobenen Personen zuvor begangen haben sollen.
Land Berlin vor dem VG BerlinDas Land Berlin wollte zunächst sogar geheim halten, dass überhaupt Menschen aus Berlin abgeschoben wurden. Erst auf unsere Klageandrohung gab es zu, dass auch Berlin an den Abschiebungen teilnahm. Wie viele Personen aus Berlin abgeschoben wurden und welche Straftaten ihnen vorgeworfen werden, hält das Land aber weiter unter Verschluss. Die Begründung: Datenschutz der Betroffenen und die Sicherung künftiger Abschiebungen. Ein absurdes Argument – schließlich haben viele andere Bundesländer die Zahl der von dort abgeschobenen Personen von sich aus bekanntgegeben.
Wir recherchieren daher weiter zu den Abschiebungen und haben einen Eilantrag gegen das Land Berlin eingereicht. Das Verwaltungsgericht Berlin muss darüber entscheiden, ob das Land uns Details zu den Abschiebungen nennen muss.
von Arne Semsrott
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