«Jeder Einzelne von uns muss seinen Teil dazu beitragen, dass sich etwas ändert, und wir müssen weiterhin alles tun, was wir können, um eine freundlichere und gerechtere Welt zu schaffen. Durch die Kraft unserer gemeinsamen Anstrengungen erreichen wir mehr als wir alleine erreichen, und wir tun es für die Vielen und nicht für die Wenigen.» (-Jeremy Corbyn, MP)
FragDenStaat

Spendenkampagne 2023: Wir wollen fragen, klagen, haben – ohne Drama
FragDenStaat will Zugang zu den Fakten, kämpft gegen jegliche staatlichen Einwände und leakt, wenn es sein muss, wichtige Dokumente. Darüber singen wir auch in unserem neuen Weihnachtssong! Hilf uns jetzt, unser Spendenziel zu knacken - 120.000 Euro brauchen wir noch bis zum Jahresende!
Es ist wieder soweit, wir haben uns in Schale geworfen, die Mikros rausgeholt und unsere Schüchternheit in den Aktenschrank gepackt. Im vierten Jahr in Folge gibt es wieder einen Weihnachtssong vom FragDenStaat-Team. Denn (Spoiler!) wir wollen Infos, wir wollen Fakten, wir wollen Zugang zu den Akten! Hör am besten selbst rein!
Wir freuen uns über Alle, die uns begleitet und unsere Arbeit verfolgt haben! Unser Spendenziel haben wir allerdings noch nicht erreicht, daher brauchen wir noch einmal Deine Unterstützung!
Hilf uns, unser Spendenziel zu knacken - 120.000 Euro brauchen wir noch bis zum Jahresende!2023 war ein wildes Jahr für FragDenStaat, in dem wir wieder auf unterschiedlichen Wegen für Informationsfreiheit gekämpft haben:
So konnten wir gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale Licht auf rechtsextreme Polizei-Chats werfen, wobei die Spur uns bis zum NSU 2.0 geführt hat. In einer weiteren Recherche zeigten wir, mit welcher Unterwürfigkeit Politiker und ihre Mitarbeiter um die Gunst von Elon Musk und Tesla werben. Darüber hinaus haben wir Unmengen an amtlichen Dokumenten zugänglich gemacht und Arne hat sogar einfach die Gerichtsbeschlüsse zu Durchsuchungen und Abhörmaßnahmen bei der „Letzten Generation“ veröffentlicht - News dazu bald!
Auch das Thema Migration lag wieder in unserem Fokus. Mit der Kampagne „See something, say something“ haben wir Mitarbeitende der EU-Grenzpolizei Frontex aufgefordert, Menschenrechtsverstöße anonym zu melden. Gemeinsam mit ProAsyl – und Euch – befreiten wir wiederum Lageberichte des Auswärtigen Amts, um Transparenz in Abschiebeverfahren zu bringen.
Um Informationsfreiheit zu stärken, haben wir mit unserem neuen Rechtshilfefonds, dem Gegenrechtsschutz, schon 9 Menschen, die von rechts abgemahnt oder verklagt wurden, geholfen. Unser Legal-Team hat ein dickes 448-seitiges Handbuch für Informationsfreiheit herausgegeben, damit nun alle ihre Rechte gegenüber mauernden Behörden durchsetzen können. Und in einem Pilotprojekt begleiten wir drei FragDenStaat-Fellows, die zu ihren Herzensthemen recherchieren.
Insgesamt hat alleine das FragDenStaat-Team 1.034 Anfragen gestellt, 24 Klagen eingereicht und war sogar zwei mal vorm Europäischen Gericht. Es ist viel zu viel passiert, um es hier alles aufzuschreiben.
Das Wichtige dabei ist aber: Wir schaffen all dies nur mit Deiner Hilfe!
Unser Arbeit ist spendenfinanziert, damit wir schnell und unabhängig agieren können. Für 2023 waren 440.000 Euro an Spenden eingeplant. Dieses Ziel haben wir noch nicht erreicht, daher rufen wir jetzt noch einmal dazu auf, FragDenStaat zu unterstützen. Bitte mach mit und spende jetzt für unsere Klagen, Kampagnen, Recherchen und die Plattform!
von Judith Doleschal
❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Gegenrechtsschutz: Wie Betroffene sich gegen rechte Angriffe wehren
Unterlassungen und viel Geld: Die Drohungen sind groß und der Schock noch größer, wenn Menschen von rechten Akteur*innen abgemahnt werden. FragDenStaat hilft ihnen, dagegen vorzugehen. Betroffene berichten, was ihnen passiert ist – und was ihnen Kraft gibt.
FragDenStaat hat einen Rechtshilfefonds gegründet. Er hilft Menschen, die wegen ihrer Tweets, Mails oder Aussagen von rechts abgemahnt, verklagt und angegriffen werden. Diese Einschüchterungsklagen schränken den öffentlichen Diskurs ein. Sie sollen jene zum Schweigen bringen, die auf Missstände hinweisen. Hier erzählen vier Menschen, die wir mit dem Rechtshilfefonds „Gegenrechtsschutz“ unterstützen.
„Die Sache hat mich bestärkt, mich erst recht für Demokratie einzusetzen“
Foto privat
Ich lebe in einem kleinen Ort in Rheinland-Pfalz. Dort gibt es seit einiger Zeit Demonstrationen von Rechtsextremen. Das verändert unseren Ort. Ich erinnere mich noch gut an den Faschingsdienstag dieses Jahr: Es war wieder eine Demonstration angemeldet. Ich war mit meiner Tochter auf dem Weg zum Supermarkt, als demonstriert wurde. Jemand fuhr mit dem Fahrrad an mir vorbei und rief, ich solle dahin zurückgehen, wo ich herkomme. Ich bin in Deutschland geboren, meine Eltern kommen aus Pakistan. Ich schrie den Mann zurück an.
Dann bremste der Mann, sprang vom Fahrrad und rannte auf uns zu. Wir sind schnell in den Supermarkt geflüchtet. Da stand ich in der Gemüseabteilung, schaute mich um und fragte mich, wer mir helfen würde, wenn er uns angreifen würde. Zum Glück stoppte er vor dem Supermarkt. In dem Moment wurde mir klar: Ich muss was gegen diese Demos tun.
Mir fiel auf: Die Demos begleitet auch ein Unternehmer mit seinem Firmenwagen. Dieser Unternehmer ist Hauptsponsor des Fußballvereins im Dorf. Ich habe dem Verein geschrieben. Als Beweis habe ich Fotos in der E-Mail mitgeschickt. Doch der Verein sah kein Problem bei seinem Hauptsponsor.
Eine Woche später hatte ich ein Abmahnschreiben im Briefkasten: Ich solle zwei Aussagen zurücknehmen, die den Hauptsponsor mit Rechtsextremen in Verbindung bringen, und eine Unterlassungserklärung unterschreiben.
Ich war total im Schock. Über meinen Freundeskreis fand ich einen Anwalt, der einen Widerspruch schrieb. Eine Kollegin schickte mir eine Artikel, in dem über den Gegenrechtsschutz berichtet wurde. Ich las ihn und schrieb FragDenStaat. So erfuhr ich überhaupt, dass diese Einschüchterungsklagen System haben.
Vor Kurzem war die Gerichtsverhandlung: Das Gericht hat die Unterlassung abgelehnt. Ich habe gewonnen. Die Gegenseite muss die Kosten tragen. Ich bin sehr erleichtert über den Ausgang der Verhandlung.
Doch ich frage mich, wie es im Ort nun weitergeht. Ich habe schon Sorge, dass es zu Anfeindungen kommt. Das ist ein seltsames Gefühl. Dennoch hat mich die ganze Sache darin bestärkt, mich jetzt erst recht zu engagieren und für die Demokratie einzusetzen, wo ich nur kann.
Schakeela Stark, 42 Jahre, Rheinland-Pfalz
„Als ich abgemahnt wurde, war ich noch Schüler“Luca Barakat wurde wegen eines Tweets abgemahnt –
Foto privat
Ich war mit Freund*innen in einer Bar, als die Abmahn-Mail kam: Ein Anwalt schrieb mir, ich dürfe mit seinem Mandanten nur noch über ihn, den Anwalt, kommunizieren. Ich solle eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Wenn ich danach meine Aussagen wiederhole, drohen mir bis zu 5.000 Euro Strafzahlung. Da war ich echt eingeschüchtert.
Der Grund dieser Mail: Ich hatte auf Twitter einen Tweet von Julian Marius Plutz zitiert. Ich schrieb, man solle sich vor diesem rechtsextremen „Journalisten“ in Acht nehmen. Denn er hatte angekündigt, öfter von Christopher Street Days in Bayern zu „berichten“. Eigentlich diskreditiert und beleidigt er die Teilnehmer*innen der Christopher Street Days. Das hatte er schon in anderen Artikeln gemacht. Man muss wissen: Julian Marius Plutz schreibt zum Beispiel für den rechten Blog Tichys Einblick.
Auf Twitter erfuhr ich auch davon, dass FragDenStaat mit dem Gegenrechtsschutz Hilfe für Fälle wie meinen bietet. FragDenStaat hat mir einen Anwalt zur Seite gestellt und dieser hat die Unterlassung zurückgewiesen. Seitdem habe ich nichts mehr von Plutz oder seinem Anwalt gehört.
Ich hätte mir einen Anwalt kaum leisten können. Als ich abgemahnt wurde, war ich noch Schüler. Jetzt mache ich ein freiwilliges ökologisches Jahr. Dabei ist es in einer Demokratie so wichtig, dass ein Rechtssystem auch für Menschen mit geringem Einkommen funktioniert.
Luca Barakat, 18 Jahre, München
„Das ist ein beklemmendes Gefühl, gleichzeitig bin ich aufgeregt“
DiG/Plus GmbH, Thomas Kläber
Als der Abmahnbrief kam, war ich nicht einmal überrascht. Wir rechnen immer damit, von der extremen Rechten angegriffen zu werden. Statt geschockt zu sein, ratterte mein Kopf gleich los: Was ist jetzt zu tun? Welche Arbeit und Kosten kommen nun auf uns zu?
Aber von vorn: Wir wurden abgemahnt von der Firma Hentschke Bau und gleichzeitig von deren Geschäftsführer Jörg Drews als Privatperson, einem Unternehmer aus dem sächsischen Bautzen. Wir sollten eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Der Streitwert liegt bei 50.000 Euro. Das ist existenzgefährdend für unseren kleinen Verein: der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Sachsen. Der Verein ist Träger des Rechercheblogs 15-Grad-Research. Dort schreibt ein Recherchekollektiv vor allem über rechte Strukturen im Landkreis Görlitz.
In einer unserer Veröffentlichungen geht es unter anderem um Jörg Drews. Wir berichten von einem ehemaligen Mitarbeiter der Firma, der uns von rassistischen Äußerungen im Pausenraum erzählte. Zudem wird im Artikel geschildert, wie Drews rechte Strukturen finanziell unterstützt hat. Es war eine Publikation gemeinsam mit dem Else Frenkel-Brunswik Institut, das an der Universität Leipzig angesiedelt ist.
Verschiedene Aussagen darin, etwa eine halbe Seite dieser Veröffentlichung, wollen Hentschke Bau und Drews verschwunden sehen. Wir kamen mit dem Gegenrechtsschutz zusammen und im Januar 2024 wird das Dresdner Landgericht darüber entscheiden, ob unsere Recherchen online bleiben dürfen. Ich werde auf der Bank der Beklagten sitzen. Denn ich bin der 1. Sprecher des Vereins, vertrete ihn somit nach Außen. Das ist ein beklemmendes Gefühl, gleichzeitig bin ich aufgeregt.
Das Ding ist: Der Richter unseres Prozesses war bis 2018 AfD-Mitglied. Er saß für die AfD auch im sächsischen Landtag. Wir haben die Kammer des Gerichts darauf hingewiesen. Die hat uns signalisiert: Wir müssen damit leben. Jörg Drews war nie Parteimitglied in der AfD. Aber er hat 2017 an die AfD 19.500 Euro gespendet und tritt bei Demonstrationen in Bautzen auf, die von Rechten organisiert sind.
Silvio Lang, 39 Jahre, Dresden
- Mehr Informationen und Kontaktmöglichkeiten zum Gegenrechtsschutz gibt es hier!
- Was es für Betroffene bedeutet, abgemahnt zu werden
- Dieses Urteil haben wir schon erwirkt
von Sabrina Winter
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Trennung zwischen Amt und Mandat: Ein Mensch, zwei Jobs, viele Fragen
In Deutschland gibt es eine verfassungsrechtliche Besonderheit: Regierungsmitglieder können gleichzeitig Abgeordnete bleiben, obwohl diese Funktionen mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten einhergehen. Insbesondere für die Informationsfreiheit hat sich dadurch eine rechtliche Grauzone entwickelt.
Wo beginnt politische Kommunikation?Diese rechtliche Grauzone trat in der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2023 vor dem Verwaltungsgericht Berlin (Az. VG 2 K 124/22) zu Tage. Der Journalist Arne Semsrott begehrte nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) Zugang zu der SMS- und Messenger Kommunikation des damaligen Außenministers und Bundestagsabgeordneten Heiko Maas zum chaotischen (und rechtswidrigen) Afghanistan-Abzug im April 2021. In solchen auskunftsrechtlichen Verfahren gegen Minister*innen, die auch Abgeordnete sind, besteht grundsätzlich ein Spannungsverhältnis, da Abgeordnete wegen des in Art. 38 GG geschützten freien Mandats, anders als Ministerien, keine auskunftspflichtigen Stellen sind. Semsrott scheiterte mit seiner Klage sowohl hinsichtlich der Kommunikation auf dem Diensthandy als auch bezüglich der Kommunikation, die der Minister über sein Bundestagshandy führte. Das Heiko Maas vom Ministerium zur Verfügung gestellte Diensthandy hatte man nach dem Ausscheiden des Ministers trotz des noch nicht abgeschlossenen IFG-Verfahrens auf Werkseinstellungen zurückgesetzt. Ob von dem Antrag umfasste Kommunikation vorher auf dem Handy vorhanden war, blieb ebenso ungeklärt wie die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Form diese Kommunikation beim Auswärtigen Amt veraktet worden ist. Am Rande erwähnte das Gericht noch, dass auch auf Diensthandys des Auswärtigen Amts „politische Kommunikation“ stattfinden könne, die nicht Gegenstand des Informationsfreiheitsrechts sei.
Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor, aber das Gericht ließ in der mündlichen Verhandlung durchblicken, dass etwaige auf dem Bundestagshandy von Maas vorhandene Kommunikation schon deshalb nicht herausgegeben werden müsse, da sie nie beim Auswärtigen Amt vorhanden gewesen sei. Der faktische Zugriff des im Zeitpunkt des IFG-Antrags noch amtierenden Ministers Maas mache diese Informationen – ungeachtet ihres Inhalts – nicht zu amtlichen Informationen des Auswärtigen Amtes. Ist eine solche strikte Zweiteilung in den Fällen der Personalunion von Amt und Mandat überhaupt möglich und wie ist sie rechtsdogmatisch einzuordnen? Anlass, um sich im ersten Teil dieses Beitrags der Trennung von Amt und Mandat1) zu widmen und anschließend den Zusammenhang zu einer kritischen Verschleierungspraxis zu untersuchen.
Vereinbarkeit von Amt und Mandat als gängige und wenig umstrittene PraxisEin Blick in die Statistik zeigt, dass die Personalunion von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat auf horizontaler Ebene in Deutschland eher die Regel als die Ausnahme ist. Lediglich vier der aktuell sechszehn Bundesminister*innen (Nancy Faeser, Klara Geywitz, Boris Pistorius, Wolfgang Schmidt) sind nicht gleichzeitig Abgeordnete des Bundestages. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es überhaupt nur 60 Nicht-Abgeordnete, die Bundesminister*innen waren (Datenhandbuch Kap. 6.8.). Demokratietheoretisch ist die Vereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat keine Selbstverständlichkeit. So kämpfte der linke Parteiflügel von Bündnis90/Die Grünen bis Ende der 90er Jahre gegen die Ämterhäufung, weil er sie für unvereinbar mit der Gewaltenteilung und -kontrolle hielt. Gleichzeitig diskutierte die Verfassungslehre die Frage, ob das Grundgesetz eine Inkompatibilität sogar vorsehe. Kritiker*innen nahmen die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG normierte Gewaltenteilung als Ausgangspunkt und verstanden die durch Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlich vorgeschriebene Existenz „besonderer Organe“ als eine Notwendigkeit der Gewährleistung „von einander gesonderter Organe“. Dies lässt jedoch aus dem Blick, dass für eine parlamentarische Demokratie neben der Gewaltenteilung auch eine Gewaltenverschränkung typisch ist. Das Grundgesetz sieht eben keine „absolute Trennung, sondern eine gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten“ vor (BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996 – 2 BvF 2/93 –, BVerfGE 95, 1-27, Rn. 44). So dürften sich damalige Vertreter der Inkompatibilitätsthese wie Epping (DÖV 1999, 529), von Münch (NJW 1998, 34) sowie Schneider/Zeh (Parlamentsrecht § 4 Rn. 38 Fn. 64) heute der ganz herrschenden Meinung gegenübersehen, dass das Grundgesetz die Vereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat jedenfalls nicht ausschließt. Das Ergebnis wird auch aus dem Umkehrschluss von Art. 66 GG (einfachgesetzlich § 5 BMinG) gezogen. Diese Einigkeit überrascht insbesondere vor dem Hintergrund, dass heutzutage mehr Abgeordnete denn je Teil der Bundesregierung sein dürften. Schließt man parlamentarische Staatssekretäre und die immer wachsende Zahl der Regierungsbeauftragten ein, sind es 56 Abgeordnete und damit knapp 10% der Bundestagsmindestgröße, die regierungsnahe Tätigkeiten wahrnehmen und eigentlich als Abgeordnete die Regierung kontrollieren sollten. Denn die Ansicht des Volljuristen, Bundesjustizministers und Bundestagsabgeordneten Marco Buschmann, dass Regierungsmitglieder im Parlament gerade die Kontrolle der Exekutive stärken, dürfte zu weit gehen.
Inkompatibilität andernorts NormalitätDiese Verfassungsrealität ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Dafür genügt zunächst schon ein Blick in die Bundesländer, von denen etwa Bremen im Art. 108 Abs. 1 sowie Hamburg in Art. 39 Abs. 1 ihrer jeweiligen Verfassung vorsehen, dass Mitglieder der Regierung keine Parlamentsmandate ausüben dürfen. In Brandenburg hingegen sehen die parteiinternen Regelungen der Linken und der Grünen vor, dass ihre Mitglieder bei der Ernennung zu*r Minister*in ihr Landtagsmandat aufgeben. Auch im europäischen Vergleich dürfen Regierungsmitglieder unter anderem in Belgien (Art. 50), Frankreich (Art. 23), Luxemburg (Art. 54) und Schweden (Kap. 4 § 13) nach ihrer jeweiligen Verfassung ein Parlamentsmandat nicht ausüben (vgl. vollständige Übersicht). In der Regel ruht dann das Mandat oder wird von einem Stellvertreter ausgeübt.
Für Regelungen, wie sie Bremen und Hamburg treffen, gibt es gute Gründe. Sowohl das Abgeordnetenmandat als auch das Amt als Bundesminister*in sind anspruchsvolle Tätigkeiten, die jeweils „den ganzen Menschen“ verlangen (So das BVerfG (Urt. v. 5.11.1975 – 2 BvR 193/74) in seinem Diätenurteil jedenfalls bzgl. der Abgeordnetentätigkeit). Eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2018 unter Abgeordneten ergab, dass mehr als 90 Prozent der Parlamentarier 55 oder mehr Stunden arbeiten und fast die Hälfte mehr als 70 Stunden pro Woche arbeitet. Kaum vorstellbar also, dass Bundesminister*innen ihre Abgeordnetentätigkeit so ausfüllen, wie andere ämterlose Abgeordnete. Gleichzeitig sieht die „Orientierungshilfe zu den Rechtsverhältnissen der Mitglieder der Bundesregierung“ des Bundesinnenministeriums vor, dass Bundesminister*innen „ihre Arbeitskraft in vollem Umfang ihrem Amt zu widmen“ haben. Schneider/Zeh (Parlamentsrecht § 4 Rn. 32) prägten den Begriff der „faktischen Inkompatibilität“. Dass eine Person diese beiden Tätigkeiten nicht vollumfänglich ausfüllen kann, findet schließlich auch in der Vergütung von Abgeordneten Berücksichtigung. So wird gem. §§ 11, 29 AbgG die Abgeordnetendiät bei gleichzeitigem Einkommen aus einem Amtsverhältnis um die Hälfte gekürzt.
Abgrenzungsprobleme und InteressenkonflikteWenig verwunderlich also, dass die Tätigkeiten im politischen Alltag oft kaum voneinander abzugrenzen sind. Momentan wird wieder viel über den Interessenkonflikt bei der Nutzung amtlicher Ressourcen zur Förderung der eigenen politischen Ambitionen als Abgeordnete*r diskutiert. So wurde die Umwidmung des Twitter-Accounts der Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu Wahlkampfzwecken in Hessen kritisiert. Vergangene Woche entschied das Amtsgericht Berlin-Mitte, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Nutzer*innen auf X blockieren darf, obwohl er dort – nach Ansicht des AG jedoch nicht überwiegend – als Gesundheitsminister und mit einem blauen, staatliche Institutionen kennzeichnenden, Haken auftrat. Es finden sich noch weitere Probleme. So etwa die Frage, wann ein*e Bundesminister*in, die auch Abgeordnete*r ist, sich auf die Indemnität gemäß Art. 46 GG berufen kann (exmpl.: OVG Münster, Urt. v. 04.10.1966, II A 16/65, DVBl 1967, 51, 53). Indes scheinen die Bundesministerien keine Notwendigkeit zur Regelung dieser Interessenkonflikte zu sehen. So ergaben verschiedenen Anfragen der Plattform fragdenstaat, dass in den Bundesministerien über die bereits erwähnte Orientierungshilfe hinaus keine internen Regelungen zu Interessenkonflikten eine*s Bundesminister*in mit einem Abgeordnetenmandat bestehen. Die Orientierungshilfe selbst stellt lediglich fest, dass Ministeramt und Abgeordnetenmandat kompatibel sind und führt Näheres zur Vergütung, Dienstreisen und Dienstwägen aus.
Schlupfloch für demokratische Kontrolle?Wie das eingangs erwähnte Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin gezeigt hat, ist die Ministerkompatibilität auch eine Herausforderung für die Bestimmung des Umfangs von Auskunftsrechten. Abgeordnete sind nicht auskunftspflichtig, da sie weder Behörden im Sinne des Presserechts (vgl. § 4 Abs. 1 LPressG) noch im Sinne des Informationsfreiheitsrechts (vgl. § 1 Abs. 1 IFG) sind. Jedoch offenbarten einige Verfahren der jüngeren Vergangenheit, dass die Kommunikationskanäle von denen des Ministeriums nicht immer klar getrennt sind.
So teilte in einem weiteren auskunftsrechtlichen Verfahren bezüglich der Kommunikation Marco Buschmanns das Bundesjustizministerium zunächst mit, dass „Korrespondenz, die in Zusammenhang mit parteipolitischer Betätigung oder Abgeordnetentätigkeit steht“ nicht unter das IFG fällt und dem Ministerium in diesem Sinne keine Informationen vorlägen. Erst im Laufe des Klageverfahrens ergab sich, dass Buschmann in dem angefragten Zeitraum zwar keine E-Mails von seiner Ministeriumsadresse verschickt hat, jedoch drei E-Mails von seinem Abgeordnetenaccount. Bei den – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – bisher herausgegeben Dokumenten handelte es sich eindeutig um amtliche Kommunikation, in der die Pressestelle des Ministeriums Marco Buschmann um die Freigabe bestimmter Zitate bittet.
Auch der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nutzte seine Bundestags-E-Mail-Adresse, um über die unionsrechtswidrige PKW-Maut zu kommunizieren. Scheuer ließ sich unter anderem von einem Abteilungsleiter des Ministeriums über seine Abgeordneten-E-Mail-Adresse bezüglich der damals diskutierten Einsetzung eines Untersuchungsausschusses briefen und stimmte seine Reaktionen diesbezüglich mit ihm ab. Die technische Infrastruktur des Bundestages zu nutzen, war ein zunächst erfolgreiches Manöver, denn dem eingesetzten Untersuchungsausschuss wurden erst nachträglich 320 Seiten E-Mails vorgelegt, die auch Kommunikation von der Abgeordnetenadresse Andreas Scheuers enthielten. In einem daraufhin angestrengten Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG verpflichtete der Bundesgerichtshof den Untersuchungsausschuss, sich die auf den Servern des Bundestages gespeicherten Protokolldateien (Logfiles) bestimmter E-Mail Accounts des Bundestages vorlegen zu lassen. Der BGH (Beschl. v. 29.1.2021 – 1 BGs 42/21, 1 ARs 1/20, BeckRS 2021, 917 Rn. 38) stellte fest, dass, falls ein Bundesminister es zulässt, „dass Bedienstete des Ministeriums ihn unter seinen vom Deutschen Bundestag bereitgestellten E-Mail-Adressen zu Amtsgeschäften kontaktieren“ und er darauf antwortet, „er diesen Kommunikationsweg eigenverantwortlich für Dienstgeschäfte als Minister“ öffnet. Was auskunftspflichtig ist, wird hier richtigerweise funktional nach dem Inhalt der Information bestimmt und nicht nach der organisatorischen Zugehörigkeit der technischen Infrastruktur.
Gänzlich außerhalb der Reichweite auskunftsrechtlicher Ansprüche dürfte – jedenfalls nach Auffassung des VG Berlin – jede Kommunikation sein, die ein Minister mit Dritten über seine Abgeordnetenkanäle führt. Ob es eine solche Kommunikation im eingangs erwähnten Maas-Verfahren gegeben hat, wird wohl ungeklärt bleiben.
Ausblick und FazitWarum Abteilungen eines Ministeriums ihre Minister*innen über ihre Abgeordnetenadressen kontaktieren, wie im Fall Scheuer und Buschmann, lässt sich nur mutmaßen. Ebenfalls unklar bleibt, warum solche Kommunikation nicht veraktet wird. Die Auswahl der drei Verfahren zeigt zunächst, dass Lena Buß (Kompatibilitätsregeln für Angehörige der Legislativ- und Exekutivorgane im Mehrebenensystem, 2019, S. 114ff) in ihrer Dissertation einem Fehlschluss unterliegen dürfte, wenn sie feststellt, dass kein Regelungsbedarf bestehe, da „sowohl des Bundesregierungsmitglied als auch der Bundestagsabgeordnete dem Gemeinwohl des Bundes gegenüber verpflichtet“ sind und es somit unwahrscheinlich sei, „dass bei Ausübung beider Funktionen ein Interessenkonflikt besteht.“ Vielmehr zeigen die Beispiele, dass es einer Regulierung bezüglich der Interessenkonflikte bei Personalunion von Ministeramt und Abgeordnetenmandat bedarf. Mit verbindlichen Regeln zur Aktenführung ließen sich Auskunftsrechte besser durchsetzen. Auch die politische Diskussion um die Notwendigkeit der Abgeordnetenmandate von Bundesminister*innen muss nicht gescheut werden. Die Kompatibilität ist zwar de lege lata nicht ausgeschlossen. Das bedeutet aber nicht, dass eine Inkompatibilität nicht durch eine Grundgesetzänderung möglich oder gar wünschenswert wäre.
Dieser Text wurde zunächst auf dem Verfassungsblog unter der Lizenz CC-BY SA 4.0 veröffentlicht.
von Lennart Lagmöller❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Taser für die Polizei NRW: Was in den Dienstanweisungen steht – und was nicht
Wir haben die Taser-Dienstanweisungen aus Nordrhein-Westfalen frei geklagt und mit einem Forscher besprochen.
Foto-Credit: eigene Bearbeitung
Polizisten drücken einen Mann zu Boden. Dann kommt ein weiterer Polizist dazu, richtet seinen Taser auf den am Boden Liegenden und versetzt ihm einen Elektroschock. Im April 2021 verbreitet sich ein Video dieser Szene im Internet. Viele sehen es, auch Bjarne Rest. Für ihn ist es der Anlass, eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu stellen: Er beantragt die Dienstanweisungen der Polizei Nordrhein-Westfalen für Taser, oder Distanzelektroimpulsgeräte (DEIG) wie sie im Polizeideutsch heißen. Damals ahnt Rest noch nicht: Es wird zwei Jahre dauern, eine Klage und einen Gerichtsprozess brauchen, bis er das Dokument sehen wird.
„Ich habe damit gerechnet, dass die Polizei sich quer stellt. Aber ich dachte, spätestens nach einem Widerspruch ist das geklärt“, sagt Rest. Doch einen Widerspruch sieht das nordrhein-westfälischen Informationsfreiheitsgesetz nicht vor. Rest muss gegen die Ablehnung direkt klagen, um seine Anfrage nicht sofort zu verwerfen. „Bürger:innenfreundlich ist das nicht“, sagt er. FragDenStaat unterstützt ihn bei der Klage.
Gericht hält Polizei-Argumentation für unplausibelVor Gericht argumentiert die Polizei, dass „Störer“ sich mit den Dokumenten auf Einsatzszenarien der Polizei vorbereiten könnten. So werde womöglich der Erfolg der polizeilichen Maßnahme verhindert. Darum könne die Polizei ihre Dienstanweisung nicht veröffentlichen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hält das für unplausibel. Es entscheidet: Die Polizei NRW muss ihre Taser-Dienstanweisungen herausgeben.
Und was steht drin? Der erste Satz des Dokuments weist darauf hin, dass die Gewalt gegen Polizist:innen gestiegen sei. Taser könnten dazu beitragen, diese Gewalt zu reduzieren. Zugleich könnten Taser der Dienstanweisung zufolge auch das Verletzungsrisiko des sogenannten polizeilichen Gegenübers senken.
Doch so einfach wie in der Dienstanweisung beschrieben, ist es nicht. „Taser können töten“, sagt der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes. Besonders Herzkranke und psychisch Kranke seien gefährdet. Für Menschen, die etwa psychotisch sind, wirke es besonders bedrohlich, wenn Uniformierte sie umkreisen und ihren Taser ziehen. Der Drang, sich zu verteidigen, ja, mit Gewalt gegen Polizist:innen vorzugehen, werde so nur stärker. Ein Taser eskaliere die Situation, statt sie zu entschärfen, sagt Feltes.
Gern hätten wir von der Polizei in NRW gewusst, wie oft sie die Taser bisher eingesetzt hat – und wie oft tatsächlich durch den Tasereinsatz Gewalt gegen Polizisten reduziert werden konnte. Trotz mehrerer Nachfragen schickt das Landesamt für Polizeiliche Dienste keine Antworten auf unsere Fragen.
Schwanger, gebrechlich, psychisch krank: Wer darf getasert werden?Über den Umgang mit psychisch Kranken steht in der Dienstanweisung kein Wort. „Das halte ich für einen wesentlichen Mangel“, sagt Feltes. Denn unter den von der Polizei getöteten Menschen sind in Deutschland auffällig oft psychisch Kranke oder Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Auch zu Herzkrankheiten steht nichts in der Dienstanweisung. Allerdings findet sich der Hinweis, keine sichtbar Schwangeren, Gebrechlichen oder Menschen unter 14 Jahren zu tasern.
GesundheitsrisikenBodycams vor einem potentiellen Tasereinsatz einzuschalten, ist laut Dienstanweisung „zulässig und erwünscht“. Verpflichtend ist es demnach nicht. Polizeiforscher Feltes sagt dazu: „Ich kenne keinen Polizisten, der seine Bodycam freiwillig einschaltet, wenn er den Taser zieht.“ Feltes fordert, dass die Bodycam sich automatisch einschaltet, sobald Polizist:innen den Taser aus der Halterung zieht.
BodycamsNach dem Willen der Polizei hätte nie öffentlich werden sollen, nach welchen Vorgaben die Beamt:innen Taser einsetzen und wie wenig sie dabei über die Gefahren informiert werden. Das Dokument war von der Behörde als “Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch” (VS-NfD) klassifiziert worden. Dass solche Dienstanweisungen als einfach Verschlusssache eingestuft werden, hält Polizeiforscher Feltes für nicht nachvollziehbar. Nach einem Blick in die Dienstanweisungen aus NRW sagt er: „Da steht nichts drin, was geheim bleiben müsste.“
Polizist:innen haben bereits gegen Taser-Anweisung verstoßenWer die Dienstanweisungen kennt, kann prüfen, ob die Polizei sich daran hält. Bei einem Einsatz in Dortmund verstießen Polizist:innen offenbar gegen die Taser-Dienstanweisung. Im August 2022 erschoss ein Dortmunder Polizist den 16-jährigen Mouhammed Dramé. Der aus dem Senegal geflohene Jugendliche war in einer psychischen Ausnahmesituation und drohte im Hof einer Jugendeinrichtung damit, sich mit einem Messer umzubringen. Taser „werden grundsätzlich in statischen Einsatzlagen eingesetzt“, steht in der Dienstanweisung. Nachdem die Beamt:innen Dramé mit Pfefferspray besprühten, ging er auf sie zu. Eine dynamische Lage. Trotzdem schossen zwei Polizist:innen mit Tasern auf ihn. Ein dritter Polizist tötete Dramé mit fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole.
Dynamische LageDie jetzt veröffentlichten Dienstanweisungen sind von 2021. Sie entsprechen dem Stand zum Zeitpunkt, als Bjarne Rest die Dokumente angefragt hatte. Er weiß schon, welche Information er als nächstes beantragt: die aktuellen Dienstanweisungen zu Tasern der Polizei in NRW.
von Sabrina Winter❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Quartal 3/2023: FragDenStaat-Transparenzbericht
Rechtsextreme Polizei-Chats und weitere Leaks gab es in den Sommermonaten. Außerdem haben wir eine neue Kunstedition! Mehr Highlights sowie einen Überblick unserer Finanzen haben wir in unserem Quartalsbericht zusammengefasst. Unser Spendenziel für 2023 ist zu 63 Prozent erreicht.
Ende September feierten wir wieder den Tag der Informationsfreiheit mit einer neuer geschwärzter Kunst: Die diesjährige, limitierte „Lage“-Edition stammt aus dem Lagebericht 2022 für Nigeria. Aufgrund der übermäßigen Schwärzungen darin haben wir das Auswärtige Amt nun auch gemeinsam mit Pro Asyl verklagt.
Im FragDenStaat-Team konnten wir außerdem Sabrina willkommen heißen, die das Investigativ-Team seit August verstärkt. Manja unterstützt das Legal-Team als neue Rechtsreferendarin noch bis Ende Oktober. Thomas ist neu im Team Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dabei und Leonie ist aus der Elternzeit zurück. Denis kümmert sich seit Anfang Oktober als SysAdmin um unsere technische Infrastruktur. Und Amata löst Tasha als neue Bundesfreiwilligendienstleistende ab. Fast alle Neuen konnten schon mit an unserem Retreat Ende August (s. Foto) teilnehmen. Wir freuen uns sehr!
Auch die FragDenStaat-Summer School stand wieder auf dem Programm. Tolle Kolleg*innen waren dabei, diesmal von verschiedenen Flüchtlingsräten, Pro Asyl, Kabul Luftbrücke, Fridays for Future, Fossil Free, Lobbycontrol, Mehr Demokratie, Digitalcourage, AlgorithmWatch, Initiative Lieferkettengesetz, Verbraucherzentrale Bundesverband, Netzwerk Recherche und detektor.fm.
Anfragen über FragDenStaat pro Tag Januar bis September 2023 Klage Nr. 161 und Verhandlungen vor dem Europäischen GerichtUm Einblicke in das offizielle Minister-Postfach zu verhindern, behauptet das Bundesjustizministerium, die Nachrichten des Behördenchefs Marco Buschmann seien unter anderem „aufgrund ihrer geringfügigen inhaltlichen Relevanz” keine amtlichen Informationen. Das ist im Jahr 2023 doch eher unglaubwürdig. Wir klagen dagegen.
In Sachsen soll inmitten der Klimakrise der Braunkohle-Tagebau Nochten in der Lausitz weiter vergrößert werden. Die Behörden halten die Genehmigungsunterlagen geheim. Wir ziehen daher vor Gericht.
Unser EU-Team hat sich die letzten Wochen auf zwei Verhandlungen vor dem Europäischen Gericht in Luxemburg vorbereitet. Anfang Oktober wurde dort zum einen der Fall Ioannis Lagos verhandelt: Ein verurteilter Neonazi, der für 13 Jahre im Gefängnis sitzt – und gleichzeitig als EU-Abgeordneter weiter Gelder erhält. Wir wollten wissen, wofür er diese verwendet. Außerdem haben wir uns mit Sea-Watch zusammengetan und Frontex verklagt. Über die Ergebnisse beider Verhandlungen werden wir ausführlich berichten, sobald die Urteile feststehen.
Gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale veröffentlichen wir den rechtsextremen Frankfurter Polizei-ChatUnser Investigativ-Team war im Sommer vor allem mit der Recherche um den bisher geheimen rechtsextremen Frankfurter Polizei-Chat befasst. Gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royal konnten wir diesen unter itiotentreff.de erstmals veröffentlichen. Weil die Recherche so viel Material hervorbrachte, konnten wir Inhalte für die erste Doppelfolge der Sendung überhaupt liefern. Die Spur führte das Team zum NSU 2.0. Wir konnten zeigen, dass die Staatsanwaltschaft gegen einen Frankfurter Polizisten aus der Chat-Gruppe wegen Bedrohung ermittelt. Er ist verdächtig, eine Morddrohung an eine Anwältin verschickt zu haben. Das Schreiben gilt als Beginn der NSU 2.0-Serie.
Gemeinsam mit Journalist*innen vom stern durchforsteten wir E-Mails und Dokumente aus deutschen Behörden und können nun zeigen, mit welcher Unterwürfigkeit Politiker und ihre Mitarbeiter um die Gunst von Elon Musk und Tesla werben.
Weitere Recherchen zum Beispiel zu internen Schulungsunterlagen der Berliner Polizei zu Schmerzgriffen oder dem Lobbyismus rund um das Heizungsgesetz findest Du bei uns im Blog.
Für eine freie Berichterstattung der Presse darf kein striktes Veröffentlichungsverbot geltenEs gibt Dokumente, die gehören an die Öffentlichkeit, auch wenn die Veröffentlichung möglicherweise gegen das Gesetz ist. Kaum eine aktivistische Initiative erhitzte in den vergangenen Jahrzehnten die deutschen Gemüter so sehr wie die „Letzte Generation“. Im Mai ließ die Generalstaatsanwaltschaft München die Wohnungen und Aufenthaltsorte von sieben Menschen der „Letzen Generation“ durchsuchen. Wie begründet ein Gericht diese Maßnahmen? Das ist eine wichtige Frage. Sie sollte öffentlich diskutiert und bewertet werden – und zwar bereits jetzt mit allen vorliegenden Informationen. Arne Semsrott hat daher die Gerichtsbeschlüsse zu Durchsuchungen und Abhörmaßnahmen bei der „Letzten Generation“ veröffentlicht.
Einnahmen & AusgabenIm dritten Quartal sind erfreulich viele Spenden sowie Fördergelder eingetrudelt, so dass wir die Sommermonate mit einem Plus von 194.247 Euro abschließen können. Die Spendensumme beläuft sich auf 117.395 Euro. Mit dabei sind eine Spende über 20.000 Euro von Campact für unseren Gegenrechtsschutz. Außerdem haben wir die Spenden der letzten Monate in Höhe von 19.059 Euro unserer betterplace-Spender*innen abgerufen. Vielen Dank also an die 1.743 Unterstützer*innen über unsere Plattform und noch mehr über betterplace. Der Median der Spenden an uns liegt weiterhin bei 10 Euro; die Durchschnittsspende diesmal bei 33 Euro.
Die Förderung von Arcadia (ein Wohltätigkeitsfonds von Lisbet Rausing und Peter Baldwin) in Höhe von 285.000 Euro ist im Juli eingegangen. Damit befreien wir öffentliche Informationen von Bezahlschranken und machen sie für alle zugänglich. Neuigkeiten vom Projekt erfolgen bald. Außerdem hat die European Climate Foundation mit 17.270 Euro Recherchen unterstützt.
Die Personalkosten liegen im Quartal bei 174.258 Euro. Dazu kommen noch 13.850 Euro für freie Mitarbeitende. Für Klagen haben wir 20.823 Euro ausgegeben – mehr als die Hälfte davon für Kooperationsklagen. 2.748 Euro für Gebühren und Widersprüche ginge an Behörden.
Spendenfortschritt 2023
63 Prozent des Spendenziels 2023 erreichtFür das Jahr 2023 brauchen wir insgesamt Spenden in Höhe von 440.000 Euro, um unsere Arbeit zu finanzieren. In den ersten drei Quartalen konnten wir davon schon 63 Prozent erreichen. Um unser Jahresziel zu erreichen, bräuchten wir monatlich etwa 36.000 Euro an Spenden. Wir freuen uns also wie immer über neue Daueraufträge, die uns nachhaltig tragen und Sicherheit schenken. Die IBAN von FragDenStaat ist DE 36 4306 0967 1173 8932 00, Kontoinhaberin ist die Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.. Bitte gib als Verwendungszweck „FragDenStaat“ an. Unserem Ziel, laufende Kosten vermehrt durch Spenden zu decken und damit unabhängig von einzelnen großen Geldgebern agieren zu können, würden wir damit immer näher kommen.
→ zu allen Transparenzberichten
by Judith Doleschal❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Kostenlos und für alle: Wir haben ein Handbuch für die Informationsfreiheit geschrieben
Frei zugängliche rechtswissenschaftliche Literatur im Bereich der Informationsfreiheit gibt es bisher so gut wie nicht. Das erschien uns paradox. Also haben wir ein Handbuch geschrieben.
Im Mai letzten Jahres haben wir gemeinsam mit OpenRewi, einer Initiative für offene Rechtswissenschaft, das Projekt „Handbuch Informationsfreiheitsrecht“ gestartet. Aus unserem Aufruf zur Mitarbeit ist ein Team von 13 Autor*innen aus Rechtswissenschaft und Praxis entstanden. Unser Ziel: Einen gut verständlichen und praxistauglichen Überblick des Informationsfreiheitsrechts in Deutschland zu schaffen. Und zwar nicht nur für die, die es sich leisten können, sondern für alle. All unsere Autor*innen haben relevante Rechtsprechung und Stimmen aus der Literatur ausgewertet und im Handbuch aufbereitet. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Buch nicht von den „klassischen“ rechtswissenschaftlichen Kommentaren. Aufbau und Sprache des Buches haben wir aber so gewählt, dass nicht nur Jurist*innen, sondern darüber hinaus alle mit dem Buch etwas anfangen und es für ihre Zwecke nutzen können.
Warum das für dich nützlich istDas Informationsfreiheitsrecht in Deutschland ist unübersichtlich. Es gibt eine Vielzahl von Bundes- und Ländergesetzen und einige kommunale Satzungen. Die Gesetze folgen jedoch einer ähnlichen Struktur und sie verwenden häufig identische oder jedenfalls ähnliche Begriffe. Unser Handbuch orientiert sich deswegen nicht an einzelnen Paragraphen, sondern an Themengebieten. Wenngleich ein Schwerpunkt auf dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) liegt, ist es damit nicht nur für Anträge nach dem IFG, sondern auch für Anträge nach anderen Gesetzen nutzbar.
Wir als Legal-Team von FragDenStaat haben in den vergangenen Jahren immer wieder rechtlich geprüft, warum Behörden Informationsfreiheitsanträge ablehnen. Welche Argumente bringen Behörden? Wann lohnt es sich zu klagen?
Unsere Beobachtungen und Erfahrungen geben wir im Handbuch unter anderem in vielen Praxistipps für Antragsteller*innen weiter.
Wie das Buch entstanden istDas Buch ist ein Gemeinschaftswerk. Die einzelnen Kapitel wurden zunächst jeweils von Co-Autor*innen in einem Peer-Review-Prozess geprüft . Anschließend haben wir PrePrints bei PubPub veröffentlicht und dazu aufgerufen, die Kapitel zu kommentieren. An der öffentlichen Peer-Review haben sich viele kluge Menschen beteiligt, deren Anmerkungen das Buch verbessert haben. Die (vorläufig) finale Version des Buches ist nun beim Universitätsverlag Kiel sowohl online als auch in gedruckter Form erschienen.
Das Buch soll aktualisiert und fortentwickelt werden. Auf PubPub wird es weiterhin die Möglichkeit geben, zu kommentieren und wir freuen uns über Feedback.
Vor allem hoffen wir, dass das Buch einen Beitrag zu vielen erfolgreichen IFG-Anträgen leisten wird!
→ Zur Online-Version des Handbuchs Informationsfreiheit
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von Hannah Vos
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Preisgelder, Orden, Wein: Was mit den Geschenken an Minister:innen passierte
Ein Orden hier, ein Preisgeld da: Behalten dürfen Minister:innen ihre Geschenke meist nicht. Unterlagen aus dem Kanzleramt zeigen nun, wer das Geld bekam.
Wenn von Geld und Politik die Rede ist, ist der Anlass meist kein schöner. Oft geht es dann um beträchtliche Nebeneinkünfte von Abgeordneten, fragwürdige Parteispenden oder dubiose Masken-Provisionen.
Etwas anderes erzählen Unterlagen, die die Bundesregierung kürzlich auf Antrag von abgeordnetenwatch.de nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgegeben hat. Sie zeigen, was mit mehreren hunderttausend Euro passiert ist. Das Geld war eigentlich für Minister:innen bestimmt, am Ende kam es aber bei zivilgesellschaftlichen und oftmals karitativen Organisationen an.
10.000 Euro für die Welthungerhilfe – und ein AktenvermerkEiner der Namen, der in den Dokumenten häufig vorkommt, ist der des früheren Innenministers Wolfgang Schäuble (CDU). Im Mai 2015 schrieb Schäuble an Kanzleramtschef Peter Altmaier, dass er kürzlich den mit 10.000 Euro dotierten Johann-Heinrich-Voß-Preis für Literatur erhalten habe. Das Preisgeld wolle er gerne der Welthungerhilfe zugute kommen lassen.
In einem Antwortbrief fand Altmaier anerkennende Worte für Schäuble. Die Entscheidung, das Preisgeld der Welthungerhilfe zu spenden, sei „eine Geste, die Ihr großes politisches Wirken unterstreicht, das durch Streben nach sozialer Gerechtigkeit und Menschenwürde geprägt ist.“
Mit Altmaiers Brief an den Minister war es allerdings nicht getan. Eine Beamtin im Kanzleramt legte zu dem Vorgang – so viel Sorgfalt muss sein – auch noch einen Vermerk an. Schließlich war über die Spende in der folgenden Kabinettssitzung unter dem Punkt „Verschiedenes“ zu sprechen. Dort mussten Kanzlerin Angela Merkel und ihre Minister:innen noch zustimmen.
Geschenke bis 150 Euro dürfen behalten werdenDass es derart formal zugeht, liegt am Bundesminister-Gesetz. In Paragraph 5 Absatz 3 ist geregelt, dass Mitglieder und ehemalige Mitglieder der Bundesregierung Geschenke melden müssen, die sie in Bezug auf ihr Amt erhalten. „Die Bundesregierung entscheidet über die Verwendung der Geschenke.“ Behalten dürfen Minister:innen ein Geschenk nur, wenn der Wert unter 150 Euro liegt.
Schäubles Preisgelder und deren weitere Verwendung waren mehrfach Thema im Kabinett. Im Juni 2015 hatte der Minister wieder einmal eine Auszeichnung erhalten, den „Point-Alpha-Preis für Verdienste um die deutsche Wiedervereinigung und den Frieden und Freiheit in Europa“. Die 25.000 Euro wolle er der Point-Alpha-Stiftung „zur Finanzierung einer deutsch-polnischen Jugendbegegnung zuwenden“, teilte Schäuble dem Kanzleramt mit. Ein Jahr später bekam er von der „Stiftung Marktwirtschaft“ einen mit 15.000 Euro dotierten Preis verliehen. Das Preisgeld sollte dem Deutschen Roten Kreuz zugehen, „um es in meinem Sinne für Flüchtlingshilfe in den bzw. nahe der Herkunftsregionen von Flüchtlingen (Nahost) zu verwenden“, schrieb Schäuble. Weitere 10.000 Euro für einen Preis der „Europäischen St. Ulrichs-Stiftung“ waren für Caritas International bestimmt.
Viel Geld zu verteilen: Als Minister erhielten Wolfgang Schäuble und Frank-Walter Steinmeier Zehntausende Euro an Preisgeld. Dieses ließen sie u.a. der Welthungerhilfe und einem Flüchtlingsnetzwerk zukommen.
Viel Geld zu verteilen hatte auch der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Ein Preisgeld der Hans-Ringier-Stiftung in Höhe von 50.000 Euro spendete er der Obdachlosenarbeit der Evangelischen Bahnhofsmission Zoologischer Garten in Berlin. 50.000 Euro, die er für den Ignatz Bubis-Preis erhalten hatte, ließ Steinmeier zu gleichen Teilen der Bente-Kahan-Stiftung in Breslau und der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg zukommen. Weitere 10.000 Euro Preisgeld von der Katholischen Akademie Bayern spendete er dem Projekt „Flüchtlingsnetzwerk Brandenburg“, das von evangelischen und katholischen Kirchengemeinden getragen wird.
Die frühere Forschungsministerin Johanna Wanka verteilte ein 10.000 Euro-Preisgeld von der Handelskammer Düsseldorf an zwei Organisationen: den Förderverein Freiwillige Feuerwehr Nitzow und die Jugendbauhütte Quedlinburg Westendorf. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil erhielt 2019 den mit 5.000 Euro dotierten Regine Hildebrandt-Preis. Das Geld reichte er an die Bahnhofsmission Bielefeld weiter.
Ein Modellflugzeug wollte Altmaier gerne behalten, einen Orden nichtDoch bei den Geschenken und der Frage, was mit ihnen passieren soll, geht es nicht immer um große Summen. Als Kanzleramtschef Peter Altmaier 2016 einen Karnevals-Orden mit dem schönen Namen „Es war einmal anders – die Heinzelmännchen auf den Kopf gestellt“ erhielt, verzichtete er auf das Unikat (Materialkosten: "rund 10 Euro"). Er habe entschieden, „dass der Orden der ständigen Ausstellung in Köln u. damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann“, ließ er über eine Mitarbeiterin ausrichten.
Anders sah es aus, als Altmaier einmal vom Chef der chinesischen HNA-Firmengruppe ein Modellflugzeug (Wert: „ca. 80 Euro“) übergeben bekam. „ChefBK [Chef des Bundeskanzleramtes] möchte das Modellflugzeug gern behalten,“ heißt es in einer internen Mail des Kanzleramtes. „Es steht im Büro des Ministers.“
"4 Biere der Sorte Domian" und sechs Flaschen Wein2017 erhielt Altmaier von den belgischen Christdemokraten und dem CDU-Auslandsbüro eine Aufmerksamkeit im Wert von 12 Euro: „Das Präsent waren 4 Biere der Sorte Domian (belgisches Bier) und ein Glas“, ist dazu vermerkt. Über den Verbleib der Getränke geben die Unterlagen keinen Aufschluss.
Geklärt ist dagegen die Verwendung von sechs Flaschen Wein im Wert von 156 Euro, die eine Amtschefin der Bayerischen Staatskanzlei mit nach Berlin brachte. Altmaier verfügte, „dass der Wein im Rahmen von Gesprächen der Leitungsebene im Kanzleramt genutzt wird.“
Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei abgeordnetenwatch.de.
von Martin Reyher
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Klage gegen Landesbeauftragten: Warum Behörden in Rheinland-Pfalz dem Weihnachtsmann antworten, nicht aber FragDenStaat
In einem Comic erklärt ein Landesbeauftragter für Informationsfreiheit, wie man an behördliche Informationen kommt. Wir machen es nach. Doch ausgerechnet der Landesbeauftragte stellt sich quer und verweigert uns die Auskunft.
Dieter Kugelmann trägt einen Titel, der kompliziert klingt, aber Hilfe verspricht: Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz. Er überwacht die Einhaltung der Informationsfreiheitsgesetze und berät Menschen bei der Antragstellung. Eigentlich. Denn tatsächlich behindert er systematisch den Zugang zu Informationen bei seiner eigenen Behörde. Darum erinnern wir ihn nun vor Gericht daran, dass es seine Aufgabe ist, für die Informationsinteressen einzelner zu kämpfen - und nicht dagegen.
Es begann mit einem AdventskalenderLetztes Jahr veröffentlichte Kugelmann als Teil des behördeneigenen Adventskalenders den Comic „der Weihnachtsmann und die Informationsfreiheit“. Darin versucht der Weihnachtsmann von der Baubehörde Informationen über alle Häuser mit Schornstein zu bekommen. Denn er will seine Route für Heiligabend planen. Doch der Behördenmittarbeiter verweigert ihm die Auskunft, weil der Weihnachtsmann angeblich die Voraussetzungen des Landestransparenzgesetzes (LTranspG) nicht erfülle. Die Weihnachtsbescherung droht auszufallen! Zum Glück eilt der hilfsbereite Informationsfreiheitsbeauftragte zu Hilfe und erklärt dem Mitarbeiter: Der Anspruch auf Information ist voraussetzungslos und die Behörde muss seinen Antrag bearbeiten. „Das zeigt mal wieder wie wichtig Transparenz und Offenheit in einem Rechtsstaat sind“, freut sich der Weihnachtsmann, als er die Informationen zu den Schornsteinen erhält. Das Weihnachtsfest ist gerettet.
Diese Geschichte hat uns inspiriert, bei Herrn Kugelmann einige Informationen zu der Adventskalender-Aktion anzufragen: Was hat dieser Comic gekostet? Was für ein Souvenir konnte man bei der Weihnachtsverlosung gewinnen? Und wie viele Menschen haben eigentlich das Kreuzworträtsel richtig gelöst? Außerdem wollten wir wissen, wie Kugelmann mit anderen Datenschutzbehörden zusammenarbeitet. All diese Informationen unterfallen zweifellos dem Landestransparenzgesetz von Rheinland-Pfalz. Und wir haben ja in dem Comic gelernt: Wir brauchen weder ein besonderes Interesse an der Information darlegen noch müssen wir irgendwelche Voraussetzungen erfüllen.
Umso überraschter waren wir von der Antwort: Weil wir unsere Frage per E-Mail gestellt hatten, benötige Kugelmann eine Postanschrift, um den Antrag zu bearbeiten. Konnte der Weihnachtsmann seine Anfrage bei der Baubehörde nicht einfach per Telefon stellen? Wozu eine Anschrift? Nun gut, vielleicht will uns die bürgernahe Behörde per Post ein übrig gebliebenes Souvenir aus der Weihnachtsverlosung zukommen lassen. Also teilen wir die Anschrift unserer Journalistin in Österreich mit.
Wurde der Weihnachtsmann belogen?Tatsächlich finden wir wenige Tage später Post aus Mainz im Briefkasten: Der Landesbeauftragte bittet darum zu bestätigen, dass die über FragDenStaat gestellte Anfrage tatsächlich von uns stamme. Das sei zur Verhinderung von Identitätsmissbrauch erforderlich. Seltsam.
Die Baubehörde aus dem Comic hat doch die Anfrage einer Person beantworten, die sich am Telefon als Weihnachtsmann ausgab. Da hätte ein Identitätsmissbrauch doch näher gelegen als bei der FragDenStaat-Anfrage einer bekannten Journalistin.
Aber was soll‘s: Wir bestätigen über das FragDenStaat-Portal, dass die Anfrage von uns stammt. Wir wollen endlich die angefragten Informationen bekommen. Schon ein Tag nach unserer Bestätigung erhalten wir ein Schreiben per E-Mail. Es erklärt uns, dass unsere Anfrage nicht weiter bearbeitet werde, weil wir unsere Identität nicht preisgegeben hätten. Dazu sei nämlich eine behördliche Meldeanschrift in Deutschland erforderlich. Ohne eine solche sei unsere Identität nicht hinreichend erkennbar, es bestünde die Gefahr eines Identitätsmissbrauchs. Bis zur Angabe einer solchen inländischen Anschrift ließe man unsere Anfrage einfach liegen.
Nanu, was war passiert? Eine Recherche und einige weitere Anfragen beim Landesbeauftragten zeigen: Die Behörde geht bei allen Anfragen über FragDenStaat so vor. Das verstößt gegen das Landestransparenzgesetz und den europäischen Datenschutz.
Wie die Behörde ihre eigenen Regeln brichtDas Landestransparenzgesetz von Rheinland-Pfalz enthält eine kleine Besonderheit: Hier muss bei der Antragstellung „die Identität erkennbar“ sein. In anderen Ländern und auf Bundesebene ist das nicht so. Eine anonyme Antragstellung, etwa unter dem Pseudonym „der Weihnachtsmann“, wäre dort denkbar. In Rheinland-Pfalz ist das hingegen nicht zulässig. Aber wir haben ja auch unter Klarnamen gefragt.
Für die Erkennbarkeit der Identität im Sinne von § 11 Abs. 2 LTranspG reicht aber die Angabe des Namens und einer Email-Adresse vollkommen aus. Schon die Forderung einer Postanschrift ist für die Bearbeitung einer Anfrage nicht erforderlich. Selbst wenn Gebühren erhoben werden sollten oder eine Ablehnung erfolgt, kann diese Entscheidung den Antragstellenden in elektronischer Form bekanntgegeben werden. Das sieht sogar der Kollege des Landesbeauftragten für Informationsfreiheit auf Bundesebene (BfDI) so, der in der Vergangenheit in ähnlichen Fällen Bundesbehörden abgemahnt hatte. Wenn aber eine Behörde die Postanschrift nicht unbedingt für die Aufgabenerfüllung benötigt, darf sie diese auch nicht erheben. Das besagt der europarechtliche Grundsatz der Datensparsamkeit aus Artikel 5 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), nachdem die Datenverarbeitung auf das „absolut notwendige Maß“ zu beschränken ist. Aus diesem Grund hat auch das OVG Münster in einem Verfahren von FragDenStaat gegen das Bundesinnenministerium entschieden, dass bei der Stellung von Informationsanfragen nach dem Bundes-IFG die Angabe einer Postanschrift nicht zur Voraussetzung für die Bearbeitung gemacht werden darf. Dem Landesbeauftragten für Informationsfreiheit, der neben der Informationsfreiheit ja auch den Datenschutz in seiner Behördenbezeichnung trägt, sollte dieser Grundsatz eigentlich nicht nur gut bekannt sein, sondern auch ganz besonders am Herzen liegen.
Inländische Meldeadresse – eine diskriminierende AnforderungJedenfalls aber die Forderung einer inländischen Meldeadresse ist rechtswidrig und wirft die Frage auf, ob bei der Behörde in Mainz eigentlich mehr Comic-Zeichner*innen als Jurist*innen beschäftigt sind. Denn Zugangsrecht steht grundsätzlich jeder Person unabhängig von Nationalität oder Wohnort offen. Deshalb müsste eigentlich auch die Anfrage eines Nutzers aus Japan beantwortet werden.
Der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit schließt damit viele Menschen von einem Zugang zu amtlichen Informationen aus. Das sind einerseits Personen, die mangels Wohnsitz überhaupt nicht meldepflichtig sind und deshalb auch über keine Meldeanschrift verfügen, wie zum Beispiel Menschen, die keinen festen Wohnsitz haben, sich nur kurzfristige im Inland aufhalten oder Menschen, die eine Freiheitsstrafe verbüßen. Solchen ohnehin marginalisierten Gruppen den Zugang zu staatlichen Informationen kategorisch zu verwehren, ist zutiefst undemokratisch. Andererseits wird der Zugang aber auch für alle Menschen im Ausland, also den gesamten „Rest der Welt“, verwehrt. Dabei sieht keines der Informationsfreiheitsgesetze eine Beschränkung auf Menschen in Deutschland vor.
„Ob sich da nicht jemand einen schlanken Fuß machen will?“Der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit begründet sein Vorgehen mit der Verhinderung von Identitätsmissbrauch: Er befürchtet, Menschen könnten mit einer erfundenen oder fremden Identität missbräuchliche Anfragen stellen. Der Landesbeauftragten sieht dadurch die Funktionsfähigkeit seiner Behörde gefährdet. Die Schuld gibt er „Initiativen wie FragDenStaat“. Das geht aus einem internen Vermerk des Landesbeauftragten für Informationsfreiheit hervor, den FragDenStaat aus der Behörde befreit hat – natürlich unter Angabe einer inländischen Meldeadresse.
Die Befürchtung von massenhaften Identitätsmissbräuchen erscheint aber nur vorgeschoben. Möglicherweise will sich der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit - mit den Worten des Weihnachtsmanns im Comic – „einen schlanken Fuß zu machen“. Denn es ist schon nicht erkennbar, dass es in der Praxis überhaupt zu einer nennenswerten Zahl solcher Missbrauchsfällen käme. Auf Nachfrage verweigerte der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit Auskunft darüber, wie viele Fälle von Identitätsmissbrauch in den letzten Jahren festgestellt wurde, weil diese Information die öffentliche Sicherheit gefährde. Dabei war es ihm aber wichtig zu betonen, dass Fälle von „Identitätsmissbräuchen erfreulicherweise die Ausnahme“ seien und die allermeisten Personen die Anträge unter ihrer wahren Identität stellten. Wieso dann aber die Schikane?
Die Argumentation des Landesbeauftragten ist widersprüchlich. Sie stützt sich im Wesentlichen auf einen Absatz in der Verwaltungsvorschrift zum LTranspG. Hätte der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit an der betreffenden Stelle aber nur einen Satz weitergelesen, wäre er auf Folgendes gestoßen: „Die Bestimmung gewährt der Behörde kein Recht zur Identitätsermittlung.“ Dementsprechend wurde auch in keinem der Fällen, in dem wir eine inländische Anschrift angegeben haben, eine Überprüfung beim Melderegister veranlasst. Wenn aber die Identität nicht ermittelt werden darf, wie soll dann ein Identitätsmissbrauch verhindert werden?
NSU-Akten, Krawall und RemmidemmiEs scheint vielmehr, als sei die Arbeit von FragDenStaat der eigentliche Dorn im Auge von Dieter Kugelmann. Denn er begründet sein schikanöses Vorgehen unter anderem damit, dass FragDenStaat im Oktober 2022 die als Verschlusssache eingestuften NSU-Akten veröffentlichte. Für den Landesbeauftragten zeige sich darin, dass FragDenStaat nicht immer gesetzestreu handle. Deshalb seien besondere Schutzvorkehrungen bei elektronisch gestellten Anträgen über die Plattform erforderlich. Was die Aufklärung der Ermordnung von neun Menschen durch den „Nationalsozialistischen Untergrund“ mit dem befürchteten Identitätsmissbrauch bei Informationsanfragen zu tun haben soll, bleibt allerdings das Geheimnis des Landesbeauftragten.
Auch unsere letzte Spenden-Kampagne scheint nicht ganz den Geschmack des ehemaligen Professors einer Polizei-Hochschule getroffen zu haben. Unser Aufruf „Mit Liebe und Krawall für mehr Informationsfreiheit – werde Teil unserer Schreibtisch-Hoolgang!“ wecke eindeutige Assoziationen zu Menschen, die durch die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auffallen. Das animiere unsere Nutzer*innen dazu, „missbräuchliche Anträge“ bei Behörden zu stellen.
Wir freuen uns natürlich, dass der Landesbeauftragte aufmerksam unsere Spendenkampagnen verfolgt und sprechen Ihm bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich eine Einladung aus, Ehrenmitglied der „Schreibtisch-Hooligang“ zu werden. Dennoch irritiert es uns, dass der Landesbeauftragte anstandslos einem unbekannten bärtigen Opa Informationen erteilt, damit dieser ungefragt an Feiertagen in möglichst viele Privatwohnungen einsteigen kann, aber gleichzeitig wegen eines humorvollen Kampagnen-Titels die öffentliche Sicherheit durch FragDenStaat gefährdet sieht.
Der Weihnachtsmann ist unser ZeugeIm Ergebnis behindert der Kugelmann durch sein Vorgehen den Zugang zu Informationen bei seiner Behörde ganz massiv. Ob das rechtlich zulässig ist, wird nun das Verwaltungsgericht Mainz entscheiden. Wir haben Klage gegen den Beauftragten für Informationsfreiheit eingereicht, um Zugang zu Informationen zu bekommen.
Dass eine deutsche Meldeanschrift nicht erforderlich sein kann, hätte dem Landesbeauftragten für Informationsfreiheit eigentlich bei einem erneuten Blick in seinen Advents-Comic auffallen müssen. Schließlich hat auch der Weihnachtsmann von der Baubehörde die Informationen bekommen – obwohl er bekanntlich seinen Wohnsitz am Nordpol hat. Wir haben ihn vorsorglich als Zeugen benannt und sind zuversichtlich, dass es auch am Ende dieses Verfahrens heißt: „Das zeigt mal wieder, wie wichtig Transparenz und Offenheit in einem Rechtsstaat sind!“
von Philipp Schönberger
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Rechtsextreme Drohschreibenserie: Der NSU 2.0 war nicht allein
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Frankfurter Polizisten wegen Bedrohung. Er ist verdächtig, eine Morddrohung an eine Anwältin verschickt zu haben. Das Schreiben gilt als Beginn der NSU 2.0-Serie.
„Hessische Polizistinnen und Polizisten waren zu keinem Zeitpunkt Absender oder Tatbeteiligte der NSU-2.0-Drohmails-Serie“ – Zweifel an dieser Aussage von Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) haben offenkundig selbst hessische Behörden. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt aktuell gegen einen Polizisten wegen des Tatverdachts der Bedrohung. Das räumte die Staatsanwaltschaft gegenüber FragDenStaat und ZDF Magazin Royale nach mehrfacher Nachfrage und der Androhung rechtlicher Schritte ein. Dabei geht es um eine Morddrohung gegenüber einer Rechtsanwältin, die als Beginn einer Serie von Schreiben gilt, die mit NSU 2.0 unterzeichnet waren.
Der NSU 2.0 begann auf dem 1. Polizeirevier FrankfurtSeit August 2018 waren rund 170 Morddrohungen verschickt worden, die mit dem Kürzel NSU 2.0 unterzeichnet waren – eine Referenz an den rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), der zwischen 2000 und 2007 mindestens zehn Menschen ermordet hatte. Viele der Drohschreiben enthielten persönliche Daten der Empfänger*innen, die zuvor auf Polizeicomputern abgerufen worden waren.
Am 2. August 2018 erhielt die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız ein Fax, das mit NSU 2.0 unterzeichnet war. Man werde ihre Tochter schlachten, hieß es in dem Schreiben. Außerdem enthielt es die geheime Anschrift der Familie und den Namen der damals zweijährigen Tochter. Anderthalb Stunden bevor das Schreiben verschickt wurde, hatte jemand auf einem Computer im 1. Polizeirevier Frankfurt am Main diese Daten abgefragt. Rund sieben Minuten lang wurde in verschiedenen Systemen nach Başay-Yıldız und ihrer Familie gesucht. Wer genau die auffällige Abfrage durchgeführt hat, ist bis heute nicht geklärt. Die Polizistin Miriam D. war zum damaligen Zeitpunkt am Computer eingeloggt. Sie gab später an, sie könne sich nicht daran erinnern, ob sie die Abfrage durchgeführt habe. Zudem sei es üblich, dass ihr Passwort auf einem Zettel neben dem Computer für alle zugänglich ist.
Rechtsextreme Polizeichats: Der „Itiotentreff”Auf dem Telefon von Polizistin Miriam D. fanden Ermittler einen WhatsApp-Chat mit Polizisten ihrer Dienstgruppe namens „Itiotentreff”. Darin hatten sich die Polizist*innen und die Lebensgefährtin eines Beamten hundertfach menschenverachtende Inhalte geschickt. In ihren Nachrichten relativierten die Polizist*innen den Holocaust und den Nationalsozialismus, sie machten Menschen mit Behinderung verächtlich und amüsierten sich über Vergewaltigungen. Den gesamten Chatverlauf haben wir im September 2023 gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale veröffentlicht. Mehr Hintergründe zu der Gruppe und den gesamten Nachrichtenverlauf gibt es unter www.itiotentreff.chat.
Ein Polizist, der im Gruppenchat besonders häufig mit menschenverachtenden Inhalten auffiel, ist Polizeikommissar Johannes S.. Aufgrund zahlreicher Indizien führten die Ermittler ihn damals schnell als Hauptverdächtigen für die Morddrohung gegen Anwältin Seda Başay-Yıldız.
Noch immer verdächtig: Polizeikommissar Johannes S.Polizist Johannes S. zeigte seine rechte Gesinnung nicht nur in den Nachrichten in der Chatgruppe „Itiotentreff”. Auch in mehreren weiteren Gruppen mit weiteren Polizist*innen teilte er diese Inhalte. Auf seiner Festplatte und seinem Telefon fanden Ermittler zudem zahlreiche Fotos, die aus seiner Schulzeit stammen und auf denen S. und frühere Klassenkameraden den strafbaren Hitlergruß zeigen. Ein anderes Foto, das S. gespeichert hatte, wurde in einem Klassenraum der Hessischen Polizeiakademie aufgenommen: Es zeigt Stifte, die auf dem Schultisch in Form eines Hakenkreuzes und der Insignien der SS zusammengelegt sind. Das öffentliche Verbreiten beider Symbole ist strafbar.
Zurück "> Weiter Diese Fotos fanden Ermittler*innen bei Polizist Johannes S.Neben mehrfachen Hinweisen auf eine rechte Gesinnung von Johannes S. fanden Ermittler zahlreiche weitere Indizien, die auf ihn als Absender des ersten NSU 2.0-Drohschreibens deuten. So hatte der Polizist laut seinem Browserverlauf vor der fraglichen Datenabfrage in Online-Telefonbüchern nach „Yildiz in Frankfurt am Main” gesucht und sich mit einem Mandanten der Anwältin beschäftigt, auf den das erste Drohfax referiert. S. hatte in der Polizeischule einen Vortrag über das verschlüsselte „Tor-Netzwerk” gehalten, das man ihm zufolge dafür verwende, um seine Meinung frei äußern zu können. Um das Drohfax über einen Onlineanbieter zu verschicken, war ein Tor-Browser verwendet worden. Außerdem werteten die Ermittler ein falsch ausgefülltes Funkwagenauftragsblatt mit den Einsatzzeiten des Polizisten als möglichen Versuch, sich für den Zeitpunkt der Drohung ein Alibi zu verschaffen.
Seit 2018 ist Polizeikommissar Johannes S. bei vollen Bezügen vom Dienst freigestellt. Dass aktuell noch immer gegen ihn wegen des Tatverdachts der Bedrohung (§241 StGB) ermittelt wird, räumte die Frankfurter Staatsanwaltschaft jedoch nur nach erheblichem Nachdruck ein. Auf konkrete Nachfrage, ob wegen dieses Vorwurfs gegen Johannes S. ermittelt wird, antwortete eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft, ihren bisherigen Äußerungen sei „nichts hinzuzufügen”. Erst nachdem FragDenStaat und das ZDF Magazin Royale unter Verweis auf das Pressegesetz und die Auskunftspflicht der Behörde mit einer Klage drohten, ergänzte die Staatsanwaltschaft, dass wegen des Tatvorwurfs der Bedrohung gegen den Polizisten ermittelt wird.
Zuletzt war von Seiten der Staatsanwaltschaft nur öffentlich kommuniziert worden, dass gegen Johannes S. und seine Kollegin Miriam D. wegen Geheimnisverrat ermittelt wird. In beiden Fällen steht noch im Raum, ob sie die Daten von Seda Başay-Yıldız, die am 2. August 2018 auf dem 1. Frankfurter Polizeirevier abgefragt wurden, an eine andere Person weitergegeben haben.
Die dankbare These vom EinzeltäterDenn für die Drohserie des NSU 2.0 verurteilt wurde im November 2022 der arbeitslose Informatiker Alexander M. aus Berlin. Laut Gericht soll er als Einzeltäter agiert haben. An Daten aus Polizei- und Meldesystemen, die in den Schreiben verwendet wurden, sei M. über Trickanrufe gekommen. Das Gericht ordnete Alexander M. rund 80 Drohschreiben zu, darunter auch das erste Drohfax vom 2. August 2018. Die Richterin räumte nach dem Urteil ein, dass das erste Drohfax dem Gericht „Kopfzerbrechen” bereitet habe. Trotzdem verurteilte sie Alexander M. auch für dieses Schreiben.
„Für die Staatsanwaltschaft war es wichtig, insbesondere im Hinblick auf das erste Drohfax, also das erste Drohfax am 2. August 2018 eine Verurteilung zu erreichen”, erklärte ein Sprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft nach dem Urteil. Das Fazit: „Und das ist uns gelungen. Und das finden wir gut.“
Dennoch führt die Staatsanwaltschaft wegen dieses ersten Drohschreibens ein Verfahren gegen den Frankfurter Polizisten Johannes S.. Bis heute sind viele Fragen zur Drohserie des NSU 2.0 nicht geklärt. Was wir wissen: Der NSU 2.0 begann im 1. Polizeirevier Frankfurt; als dort Daten abgefragt wurden, während Polizist*innen im Dienst waren, die zusammen eine rechtsextreme Chatgruppe hatten. Auch auf anderen Polizeirevieren wurden später Daten von Opfern des NSU 2.0 abgefragt. Und noch immer werden Drohschreiben verschickt, die mit NSU 2.0 signiert sind – während der angebliche Einzeltäter Alexander M. im Gefängnis sitzt.
von Aiko Kempen, Sabrina Winter❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Spähsoftware für Autokraten: Wie die Europäische Union ihre Kontrollen aufweichte – und Deutschland half
Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland bohrten Schlupflöcher in die neue Verordnung zum Export von Überwachungstechnik. Das zeigen Dokumente aus den Verhandlungsprozessen, die wir veröffentlichen.
Die EU macht es Spähsoftware-Herstellern leicht
Foto-Credit: Eigene Bearbeitung
Eigentlich wollte die Europäische Union es besser machen. Eigentlich sollte Spähsoftware nicht mehr so einfach die EU verlassen können. Eigentlich wollte die Staatengemeinschaft ihre Exporte streng regulieren. Und eigentlich wollte das auch Deutschland. Eigentlich, eigentlich, eigentlich.
Jahrelang verhandelten die Mitgliedsstaaten der EU darüber, wie die Exportkontrolle neu reguliert werden soll. Vor zwei Jahren trat die neue Verordnung schließlich in Kraft. Zahlreiche Überwachungsskandale erschütterten unterdessen die Welt: Journalist:innen deckten auf, dass Angreifer mit einer Software namens Pegasus in Handys eindringen, Mikrofone anschalten und Nachrichten mitlesen. Vergangenes Jahr wurde bekannt: Die griechische Regierung nutzte die Spähsoftware Predator der Firma Intellexa offenbar, um Oppositionspolitiker:innen und Journalist:innen auszuspionieren.
Die EU-Kommission und das EU-Parlament begannen 2016 mit großen Ambitionen eine neue Verordnung zu entwerfen. Die Ausfuhr von Gütern mit sowohl zivilem als auch militärischem Verwendungszweck sollte streng kontrolliert werden. Produkte zur digitalen Überwachung gehören zu diesen Gütern, weil sie auf beide Arten eingesetzt werden können. Doch vor allem Deutschland, Schweden, Finnland und Dänemark bohrten Schlupflöcher in die neue EU-Verordnung. Das zeigen Dokumente, die FragDenStaat gemeinsam mit dem SPIEGEL und dem journalistischen Recherchenetzwerk European Investigative Collaborations (EIC) befreit hat.
Kleine Formulierung, große WirkungAus den sogenannten Working Papers des Rats der Europäischen Union geht hervor, dass Deutschland aus einer Verpflichtung für exportierende Unternehmen lediglich eine Sorgfaltspflicht machen wollte. Eine kleine Änderung – doch sie schmälert die Verantwortung von Unternehmen erheblich. Schweden wollte die Sorgfaltspflicht ganz aus dem Gesetz streichen. Deutschlands Änderung setzte sich durch.
Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, ist wichtig, um Menschenrechte zu wahren. Die griechische Firma Intellexa beispielsweise lieferte ihre Überwachungssoftware offenbar an sudanesische Paramilitärs. Wenige Monate später starteten diese Paramilitärs den Krieg im Sudan.
Regierungen müssen den Export von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use-Güter) überprüfen und genehmigen. Die EU sammelt all diese Güter auf einer Liste. Mit der neuen Verordnung können Mitgliedsländer Exporte auch dann untersagen, wenn ein Produkt nicht auf der Liste steht, aber vom Empfängerland missbräuchlich verwendet wird. Die EU-Kommission schuf dafür eine sogenannte Catch-All-Regel. Auch sie soll Menschenrechtsverletzungen verhindern. „Technik entwickelt sich ständig weiter. Da kann eine Catch-All-Regel ein guter Ansatz sein“, sagt Ben Wagner, Associate Professor für Menschenrechte und Technologie an der Technischen Universität Delft.
Wie Menschenrechte für Wettbewerbsvorteile geopfert wurdenDeutschen Unternehmen gefiel die Catch-All-Regel gar nicht. In Stellungnahmen sprechen die Lobbyverbände von Überforderung, Wettbewerbsnachteilen und dass die Verantwortung für Menschenrechte auf die Wirtschaft abgewälzt werde. Ben Wagner entgegnet: „Firmen wissen oft genau, wofür ihre Produkte vom Empfänger genutzt werden. Sie kennen die Risiken der Technik und wissen, wie man sie minimieren kann.“
Doch Deutschland nahm die Lobbyinteressen mit in die Verhandlung über die EU-Verordnung. Als Kommission und Parlament die Mitgliedsstaaten verpflichten wollten, ein Register mit Zulassungsanforderungen zu pflegen, plädierten Deutschland, Dänemark und Schweden dafür, den Absatz im Gesetz zu streichen. Sie argumentierten: Der Verwaltungsaufwand sei zu hoch.
Als die Catch-All-Regel entstand, verhandelten die Mitgliedstaaten auch darüber, wie schnell sie einander über Verstöße informieren müssen. Deutschland versuchte auch diesen Ansatz zu entschärfen: Wo vorher stand „die anderen Mitgliedsländer sofort informieren“, machte Deutschland „die anderen Mitglieder informieren, wo es angemessen ist“. Wo die EU-Kommission vorschlägt, „relevante Infos weiterzugeben“, wollte Deutschland relevante Infos nur weitergeben „soweit möglich“. Die EU Kommission setzte eine Frist von zehn Tagen, in denen die anderen Staaten sich gegen den Export aussprechen können. Finnland und Deutschland wollten diese Frist streichen. Damit konnten sie sich jedoch nicht durchsetzen.
Es wirkt wie ein Gütesiegel, wenn die Europäische Union ein Produkt kontrolliert und zum Export zulässt. Dass diese Wahrnehmung nicht stimmt, zeigt der Umgang mit der Firma Intellexa, die Tochterunternehmen in ganz Europa hat. Ihr gelang es, von Griechenland eine Exportgenehmigung für die Spähsoftware Predator nach Madagaskar zu bekommen, ein Land mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz. Der deutsche Firmenableger Trovicor exportierte schon Abhörtechnik nach Äthiopien und in den Iran. Spionagesoftware mit EU-Siegel gelangt immer wieder in die Autokratien dieser Welt.
Zwar hat sich die EU mit ihrer neuen Regulierung zu Transparenz verpflichtet, allerdings hält sie sich nicht daran. Der jährliche Bericht zur Kontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck erscheint verspätet und hat große Lücken. Im letzten Bericht von 2021 sind die Angaben nicht annähernd so detailliert, wie sie laut der Verordnung sein sollen. Auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gibt die Zahlen auf Nachfrage nicht heraus – und verweist stattdessen auf den Bericht. Die EU-Kommission verweigert Antworten auf einen konkreten Fragenkatalog ebenfalls. Sie schreibt stattdessen: „Die Umsetzung der Verordnung ist ein komplexer Prozess, der umfassende Konsultationen mit den relevanten Interessengruppen erfordert.“
Die Predator Files
Am Donnerstag, dem 5. Oktober, veröffentlichen 15 internationale Medien unter der Koordination des Recherchenetzwerks European Investigative Collaborations (EIC) und mit technischer Unterstützung des Security Lab von Amnesty International die ersten Kapitel einer grenzüberschreitenden Recherche mit dem Titel „Predator Files“.
Auf der Grundlage Hunderter vertraulicher Dokumente, welche die französische Internetzeitung Mediapart und Der Spiegel erhalten haben, enthüllen die "Predator Files", wie einige europäische Konzerne seit mehr als einem Jahrzehnt als passive Komplizen europäischer Regierungen Cyber-Überwachungsinstrumente finanziert und an Diktatoren verkauft haben.
In noch nie dagewesener Ausführlichkeit werfen die Predator Files einen Blick hinter die Kulissen der Intellexa-Allianz, einem Zusammenschluss mehrerer europäischer Unternehmen mit Sitz in Frankreich, Griechenland, Irland und Nordmazedonien, über die Predator-Software an autoritäre Staaten wie das Ägypten, Vietnam und Madagaskar geliefert wurde.
Die Enthüllungen zeigen, dass das derzeit auf europäischer Ebene geltende Kontrollsystem nicht in der Lage ist, gegen diese Verkäufe von Cyber-Überwachungswaffen an sensible Ziele vorzugehen. Die neue, im September 2021 in Kraft getretene europäische Verordnung, die die Ausfuhr dieser Instrumente strenger kontrollieren soll, wird bereits heftig kritisiert.
FragDenStaat hat die Medienpartner von „Predator Files“ fachlich unterstützt und gemeinsam mit ihnen den Gesetzgebungsprozess sowie die politischen und privaten Einflüsse untersucht, die zur Schaffung dieser Kontrollregelung geführt haben.
von Sabrina Winter❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
Europäisches Gericht in Luxemburg: Klage zu griechischem Neonazi vor EU-Gericht
Ioannis Lagos ist ein verurteilter Neonazi, der für 13 Jahre im Gefängnis sitzt – und gleichzeitig als Abgeordneter im Europäischen Parlaments. Wie der Kriminelle seine Parlamentsgelder verwendet, hält das EU-Parlament geheim. Jetzt verhandelt das EU-Gericht unsere Klage dazu.
Vor zwei Jahren forderten wir vom Europäischen Parlament alle Informationen darüber an, wie der EU-Abgeordnete Ioannis Lagos seine Parlamentsgelder verwendet. Lagos ist ein Neonazi, der derzeit eine 13-jährige Gefängnisstrafe in Griechenland verbüßt – er ist allerdings weiterhin Mitglied des Parlaments und hat damit Zugriff auf große Geldtöpfe.
Das EU-Parlament besitzt 73 Dokumente zu Lagos' Ausgaben, weigerte sich jedoch, sie zu veröffentlichen. Die Begründung: Eine Herausgabe der Informationen würde Lagos’ Privatsphäre verletzen. Wir haben das EU-Parlament deswegen im Juli 2022 verklagt. Am 5. Oktober verhandelt das Europäische Gericht in Luxemburg über die Klage.
→ Mehr über unsere Klage gegen das Europäische Parlament
Nazi, kriminell, EU-AbgeordneterIm Oktober 2020 wurde die Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ in Griechenland in einem wegweisenden Urteil zu einer kriminellen Vereinigung erklärt. Die Partei wurde aufgelöst und ihre führenden Mitglieder zu Haftstrafen verurteilt. Darunter war auch Ioannis Lagos. Er wurde für schuldig befunden, die Organisation geleitet und den Mord am antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas sowie andere gewalttätige Angriffe organisiert zu haben.
Zu dieser Zeit war Lagos allerdings bereits EU-Abgeordneter. Daher genoss er zunächst Immunität. Während das EU-Parlament nach dem Urteil ganze sieben Monate lang über die Aufhebung der Immunität verhanndelte, wurde Lagos nicht nach Griechenland ausgeliefert.
Campaign sticker in the streets of Brussels against the presence of Ioannis Lagos in the European Parliament. –
FragDenStaat
Während dieses Zeitraums konnte Lagos ein normales und freies Leben in Brüssel führen. Er hielt Reden im Europäischen Parlament und gelobte, die Mittel zu nutzen, die ihm als Abgeordneter zur Verfügung gestellt wurden – fast 5.000 € pro Monat zusätzlich zu seinem Gehalt. Inzwischen hat das Parlament hunderttausende Euro an Lagos gezahlt, Gehalt, Spesen und weitere Gelder.
Gleichzeitig weigerte sich Lagos beharrlich, die Rechtmäßigkeit des Prozesses gegen die Goldene Morgenröte anzuerkennen, den er als Betrug bezeichnete. Er legte gegen das Urteil Berufung ein. Er behauptete, er werde politisch verfolgt, und erklärte offen, dass er Vorkehrungen treffe, um anderswo in Europa – wahrscheinlich in Norwegen – Asyl zu beantragen, um seiner Haftstrafe zu entgehen.
Am 26. April 2021 schließlich stimmte das Europäische Parlament für die Aufhebung der Immunität von Lagos. Zuvor war Lagos bei der Durchführung eines Covid-19-Tests fotografiert worden, der damals Voraussetzung für Reisen war. Einen Tag später wurde er schließlich in Brüssel verhaftet und nach Griechenland ausgeliefert, wo er seitdem seine Haftstrafe verbüßt.
EU-Abgeordneter aus einer GefängniszelleAber: Auch als strafrechtlich verurteilter Neonazi, der eine Haftstrafe verbüßt, ist Lagos immer noch EU-Abgeordneter und darf sein Mandat weiterhin normal ausüben. Lagos bleibt nicht nur Mitglied in parlamentarischen Ausschüssen, er kann auch weiterhin Gesetzentwürfe verfassen und schreibt oft Änderungsanträge, um seine neonazistischen Ideale durchzusetzen. Er hält Reden, schreibt Anfragen und schlägt Anträge vor – alles von seiner Gefängniszelle in Griechenland aus.
Amendment by Ioannis Lagos. –Screenshot via ParlTrack
Lagos korrespondiert auch häufig mit seinen Kollegen im EU-Parlament. Er hat seine Kolleg*innen in mehreren E-Mails aufgefordert, für die Wiederherstellung seiner Immunität zu stimmen oder „als Freiwilliger den ukrainischen Streitkräften beizutreten“ (auch wenn Lagos einer der wenigen Abgeordneten war, die gegen die Verurteilung der Invasion in der Ukraine gestimmt haben).
Während er seine Haftstrafe verbüßt, erhält Lagos auch weiterhin sein Gehalt als Europaabgeordneter: ein monatliches Bruttogehalt von fast 10.000 Euro. Wenn er 63 Jahre alt wird, hat er Anspruch auf eine Rente wie alle seine Altersgenoss*innen. Auch aus dem Gefängnis heraus hat er weiterhin Zugang zu parlamentarischen Geldern und Ressourcen. Griechische Medien haben berichtet, dass ein ihm vom Parlament zur Verfügung gestelltes Auto immer noch von einem seiner Assistenten genutzt wird.
Zwar ist derzeit nicht bekannt, ob Lagos bei den Europawahlen 2024 erneut kandidieren will, doch ist es ziemlich sicher, dass er sein Mandat trotz seiner strafrechtlichen Verurteilung normal beenden darf. Abgesehen von der Aufhebung seiner Immunität hat das Europäische Parlament keine sichtbaren Schritte unternommen, um anzuerkennen, dass die Anwesenheit des Kriminellen in den Reihen der Abgeordneten ein Problem darstellt.
Besonders alarmierend ist die fehlende öffentliche Kontrolle über Lagos' Verwendung der parlamentarischen Gelder. In Anbetracht von Lagos' Neonazi-Ideologie, seiner Prominenz innerhalb der griechischen extremen Rechten und seiner Vorstrafen ist es äußerst bedenklich, dass er Zugang zu öffentlichen Geldern hat, über die er nicht Rechenschaft ablegen muss. Wir kämpfen vor Gericht, damit sich das ändert.
von Luisa Izuzquiza❤️ Hilf mit! Stärke die Informationsfreiheit mit Deiner Spende.
EU Court in Luxembourg: Lawsuit On Greek Neo-Nazi Goes To Trial
Ioannis Lagos is a convicted neo-nazi serving a 13-year prison sentence. He is also a Member of the European Parliament. Lagos’ use of parliamentary funds is kept secret by the EU Parliament – but we’re fighting this secrecy in court.
In 2021, we requested from the European Parliament all information showing how Ioannis Lagos, a neo-nazi Member of the European Parliament who is currently serving a 13-year prison sentence in Greece, is spending the funds that are available to him as an MEP.
The EU Parliament confirmed it holds 73 documents related to Lagos’ expenses but refused to disclose any of them, alleging it would be a violation of Lagos’ privacy. Defending there is a great public interest in making this information public, we took the EU Parliament to court in July 2022.
→ Read more about our lawsuit against the European Parliament.
On Thursday 5 October we will be in Luxembourg, at the Court of Justice of the European Union, to fight for the disclosure of the 73 documents that show how a jailed prominent neo-nazi is making use of public funds.
Ioannis Lagos: a nazi, a convicted criminal, a Member of the European ParliamentIn October 2020, a landmark ruling in Greece declared Golden Dawn, the Greek neo-nazi party, a criminal organisation. Golden Dawn was dissolved and its leadership received prison sentences; it was an important and joyful victory in the fight against fascism that was celebrated in Greece and all around Europe.
Among the leading party members receiving a criminal conviction was Ioannis Lagos. Lagos was found guilty of running the criminal organisation that was Golden Dawn, as well as orchestrating the stabbing of anti-fascist rapper Pavlos Fyssas and other violent attacks. For this, he was sentenced to 13 years and 8 months in prison.
During Lagos’ time in the organisation, Golden Dawn was described to be operating “like a criminal mob, destroying property, intimidating people, attacking leftist organizations and migrants and murdering an antifascist musician.”
In 2019, Lagos was one out of two representatives of Golden Dawn to win a seat at the European Parliament. Shortly after being sworn as a member of parliament (MEP), however, he announced he would part ways with Golden Dawn and instead occupy his seat as an independent. In his announcement, and in reference to the trial against Golden Dawn which was already ongoing at the time, Lagos stood by his party and claimed: “Golden Dawn was not, and never will be, a criminal organization.” He was proved wrong 15 months later.
Business as usual in BrusselsLagos received his 13-year prison sentence already as an MEP and living in Brussels. This meant that, thanks to the immunity all MEPs are granted when they take office, he was able to avoid extradition to Greece for over 7 months while the European Parliament was processing the request from Greece to have Lagos’ immunity lifted.
Campaign sticker in the streets of Brussels against the presence of Ioannis Lagos in the European Parliament. –
FragDenStaat
During this 7-month period, Lagos was able to live a normal and free life in Brussels. He gave speeches in the European Parliament. He vowed to make use of the funds that were made available to him as an MEP, which amount to almost €5,000 per month on top of his salary.
In parallel, Lagos persistently refused to recognise the legitimacy of the Golden Dawn trial, which he called a sham. He appealed the verdict. He claimed that he was being politically persecuted, and openly stated that he was making arrangements to seek asylum elsewhere in Europe - likely in Norway - in order to escape his prison sentence.
On 26 April 2021, the European Parliament voted to lift Lagos’ immunity. Earlier that day, Lagos had been pictured taking a Covid-19 test, a prerequisite for travel at the time. The neo-nazi MEP was finally arrested in Brussels on 27 April 2021 and extradited to Greece, where he since serves his prison sentence.
MEP via a prison cellEven as a criminally convicted neo-nazi serving a prison sentence, Lagos is still an MEP and is allowed to exercise his mandate with a high degree of normality.
Lagos remains a member of parliamentary committees. He’s able to write legislation and often writes amendments seeking to impose his neo-nazi ideals. He gives speeches, writes questions and proposes motions – all from his prison cell in Greece.
Amendment by Ioannis Lagos. –Screenshot via ParlTrack
Lagos also corresponds frequently with his fellow Members of the EU Parliament. He has sent multiple e-mails asking his peers to vote to have his immunity reinstated, or to “be allowed to join as a volunteer of the Ukrainian forces” (even if Lagos had been one of the few MEPs who voted against condemning the Ukraine invasion).
While serving his prison sentence, Lagos also continues to receive his salary as an MEP: a monthly gross salary of almost €10,000. When he turns 63 years old, he will be entitled to a pension like any of his peers. From prison, he also continues to have access to Parliamentary funds and resources; Greek media have in fact reported that a car made available to him is still in use by one of his assistants.
While it is currently unknown whether Lagos intends to run again in the 2024 European elections, it is quite certain that he will be allowed to finish his mandate with astounding normality in spite of his criminal conviction. Beyond the lifting of his immunity, the European Parliament has taken no visible steps to acknowledge - let alone address - the deep democratic flaw Lagos represents.
The lack of public oversight over Lagos’ use of the parliamentary funds is particularly alarming. Given Lagos neo-nazi ideology, prominence within the Greek far right, and criminal record, allowing him to have access to public funds that are, by design, unaccountable, is already unacceptable and deeply concerning. Furthermore, the fact that the European Parliament is choosing to hide from the public the information on Lagos’ use of these funds is shameful – and something we are determined to fight in court.
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