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Aktualisiert: vor 5 Minuten 50 Sekunden

Bundesrechnungshof: Spahn verpulvert Milliarden

10. Juni 2025 - 8:13
Planlos, unwirtschaftlich, ohne nachhaltige Wirkung: Der Bundesrechnungshof kritisiert Spahns Gesundheitspolitik massiv. Wir veröffentlichen den Bericht.

Der Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist ein Meister politischer Kommunikation. Egal zu welchem Thema, Spahn hat eine knackige Forderung parat. Was würde er wohl fordern, wenn ein Oppositionspolitiker für die Verschwendung von Milliarden Euro verantwortlich ist?

Die Meldungen über Spahns Zeit als Gesundheitsminister reißen derzeit nicht ab. Ob der milliardenschwere Fehlkauf von Masken in der Corona-Zeit oder eine verfehlte Krankenhaus-Politik – offenbar kosteten Spahns Fehlentscheidungen den Bundeshaushalt Milliarden Euro. Wir veröffentlichen jetzt einen Bericht des Bundesrechnungshofs dazu, der in ungewohnt deutlichen Worten Spahn kritisiert. Der Spiegel hatte zuerst darüber berichtet, das Dokument aber nicht veröffentlicht.

Planlos und unwirtschaftlich

In dem Prüfbericht setzt sich der Bundesrechnungshof mit dem sogenannten Corona-Versorgungsaufschlag auseinander, durch den Spahns Gesundheitsministerium während der Pandemie Krankenhäuser mit zusätzlichen Milliarden Euro versorgte. Eine Analyse der Maßnahme zeigt: Laut Rechnungshof verschwendete Spahn dabei insgesamt 3,1 Milliarden Euro.

Die Maßnahme habe „sich auf keine validen Belastungsdaten“ gestützt, hatten „keine nachhaltige Wirkung“ und „war unwirtschaftlich“, schreibt der Rechnungshof. Sie sei „planlos und abgekoppelt von den tatsächlichen Bedarfen“ erfolgt.

Die ungewöhnlich deutliche Kritik des Bundesrechnungshofs zeigt enorme Versäumnisse von Spahn. Durch die Milliardenspritzen an die Krankenhäuser sei ein dysfunktionales System am Laufen gehalten worden und notwendige Reformen verzögert worden.

Spahn ist inzwischen Fraktionschef der Union im Bundestag. Zur Kritik an ihm wollte er sich gegenüber dem Spiegel nicht äußern.

→ zum Bericht

 

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Rechtsstaatlichkeit verteidigen: Wir zeigen Dobrindt an

6. Juni 2025 - 10:42
Der Bundesinnenminister hält an den rechtswidrigen Zurückweisungen an der Grenze fest. Deswegen muss sich jetzt die Staatsanwaltschaft mit ihm beschäftigen.

Die Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sind offensichtlich rechtswidrig. Spätestens nach den Beschlüssen des VG Berlin in dieser Woche muss die Bundespolizei die Zurückweisungen unverzüglich beenden. 

Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) weiß das. Trotzdem hält er an seiner Weisung fest, die Zurückweisungen aufrechtzuerhalten. Er setzt damit auf offenen Rechtsbruch und sagt dem Rechtsstaat den Kampf an.

Verleitung zu Straftaten und Nötigung

Deswegen haben wir heute gemeinsam mit Equal Rights Beyond Borders Strafanzeige gegen Dobrindt sowie gegen den Präsidenten der Bundespolizei, Dieter Romann, wegen Verleitung von Untergebenen zu einer Straftat eingereicht.

Das entbindet Bundespolizist*innen aber nicht von ihrer Verantwortung. Ihnen allen muss klar sein, dass sie für Zurückweisungen persönlich verantwortlich sind. Das gilt umso mehr für Fälle, die vor dem VG Berlin verhandelt werden. Die Zurückweisungen sind Straftaten. Sie können als Nötigung unter Missbrauch der Befugnisse eines Amtsträgers  gewertet werden. Hierfür sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor.

Es ist eine Lehre aus dem Nationalsozialismus, dass sich Beamte nicht darauf berufen können, lediglich Befehle zu befolgen. Nach dem Bundesbeamtengesetz tragen sie für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung. Gegenüber rechtswidrigen Weisungen wie in diesem Fall müssen Beamte remonstrieren und sich der Weisung damit widersetzen. Um Beamte dabei zu unterstützen, hat FragDenStaat eine Remonstrations-Vorlage für Bundespolizist*innen an der Grenze angefertigt.

Kampf für die Rechtsstaatlichkeit

Für Personen, die Zurückweisungen an der Grenze beobachten, haben wir zudem Vorlagen für Strafanzeigen gegen Beamte der Bundespolizei und für Dienstaufsichtsbeschwerden angefertigt. 

Allen Beteiligten an den Zurückweisungen muss klar sein, dass sie persönlich Verantwortung für ihr rechtswidriges Verhalten tragen. Gemeinsam mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Partnern kämpfen wir dafür, dass sie sich vor Gericht ihrer Verantwortung stellen müssen. Das Vorgehen von Bundesinnenministerium und Bundespolizei ist ein Angriff auf den Rechtsstaat. Wir begegnen ihm mit rechtsstaatlichen Mitteln.

Wer Informationen aus dem Ministerium und Polizeibehörden teilen möchte, kann das u.a. über unsere anonymisierte Plattform für Hinweise tun.
 

zur Strafanzeige gegen Dobrindt und gegen Romann

zur Vorlage für Remonstrationen für Bundespolizist*innen

Vorlage für Strafanzeigen gegen Bundespolizist*innen, die Zurückweisungen durchführen (folgt)

zur Vorlage für Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Bundespolizist*innen, die Zurückweisungen durchführen

 

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Bewaffnete Rechtsextreme: Wer AfD-Mitgliedern die Waffen wegnimmt – und wer nicht

5. Juni 2025 - 10:00
Wer Mitglied in einer verfassungsfeindlichen Organisation ist, darf laut Gesetz keine Waffen besitzen. Was bedeutet das für die AfD? Eine Recherche bei rund 140 Waffenbehörden zeigt, wie stark diese Entscheidung von der Postleitzahl abhängig ist.

Mit einem Sturmgewehr vor der Brust präsentiert sich Maximilian Müger im August 2024 auf TikTok. In dem kurzen Video sagt er, man müsse „Migration bekämpfen“ und fordert „freie Waffen für freie Bürger“. Anschließend schießt er mehrmals in die Luft. Müger ist nicht irgendwer. Als er das Video hochlädt, ist er Abgeordneter im hessischen Landtag – und zwar für die AfD. Zwischenzeitlich ist er aus der Partei ausgetreten.

Es ist nur einer von zahlreichen Fällen, in denen AfD-Mitglieder im Zusammenhang mit Waffen in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind. Ein ehemaliger AfD-Lokalpolitiker soll mit einem Gewehr in der Hand Polizist*innen entgegengetreten sein, die ihn festnehmen wollten. Ihm wird die Mitgliedschaft in einer rechten Terrorgruppe vorgeworfen. Eine frühere AfD-Bundestagsabgeordnete, die als Sportschützin mehrere Waffen besaß, soll als Teil einer Reichsbürger-Gruppe einen Umsturz geplant haben. 

Bundesweit besitzen AfD-Mitglieder Schusswaffen. Zugleich wird ihre Partei in weiten Teilen als rechtsextrem eingestuft und von Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Das hat bereits dazu geführt, dass einige AfD-Mitglieder ihre Waffen abgeben mussten. Doch einen einheitlichen Umgang mit bewaffneten AfD-Mitgliedern haben die zuständigen Behörden bisher nicht. Das zeigen unsere Recherchen. Wir haben bei mehr als einhundert Waffenbehörden in allen Bundesländern auf Basis des Presserechts nachgefragt. Die Antworten zeigen einen besorgniserregenden Flickenteppich, bei dem die einzelnen Bundesländer und sogar einzelne Städte ihre eigenen Maßstäbe festlegen – und ratlose Behörden auf eine bundeseinheitliche Lösung hoffen. 

„Gesichert rechtsextremistisch“

Anders als in den USA ist Waffenbesitz in Deutschland kein Grundrecht. Wenn Jäger*innen, Waffensammler*innen oder Sportschütz*innen eine Waffe besitzen möchten, müssen sie dafür eine Ausnahmegenehmigung beantragen: die Waffenbesitzkarte. Um diese zu erhalten, gibt es im Gesetz ein zentrales Kriterium: Man muss „zuverlässig“ sein. 

Als nicht zuverlässig gelten Personen, die wegen eines Gewaltdelikts vorbestraft sind, Mitglieder einer verbotenen Organisation sind oder verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen. Im Februar 2020 wurde das Waffengesetz verschärft. Seither können Behörden eine Waffenbesitzkarte bereits dann verweigern, wenn eine Person Mitglied in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung ist oder diese unterstützt. Aus demselben Grund können sie auch Genehmigungen wieder entziehen.

Am 2. Mai 2025 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD bundesweit als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. Mehrere Landesverbände der Partei waren bereits seit längerem als rechtsextrem eingestuft und wurden von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz richtet sich die AfD gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung und vertritt Positionen, die gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen. Die AfD klagte gegen die Einstufung. Bis zu einer Gerichtsentscheidung gilt eine sogenannte Stillhaltezusage. Das bedeutet, dass sich der Verfassungsschutz nicht mehr öffentlich dazu äußert, ob er die Bundes-AfD als gesichert rechtsextrem einstuft. Die Belege für die Bewertung des Verfassungsschutzes sind dennoch öffentlich. 

Ob jemand zuverlässig genug ist, um eine Waffe zu besitzen, überprüfen die rund 550 Waffenbehörden in ganz Deutschland. Ihre Zuständigkeit richtet sich nach dem Wohnsitz der antragstellenden Person. Wenn jemand einen Antrag für eine Waffenbesitzkarte stellt, dann müssen die Behörden beim jeweiligen Landesamt für Verfassungsschutz, der Polizei, dem Zoll und dem Bundeskriminalamt Informationen zu den Antragsteller*innen abfragen. Die finale Entscheidung, ob sie eine Waffenbesitzkarte ausstellt, trifft jedoch allein die Waffenbehörde. 

Keine einheitliche Linie 

Wir wollten von den Waffenbehörden wissen, ob die Verfassungsschutzämter sie überhaupt informieren, wenn Antragsteller*innen oder bestehende Inhaber*innen von Waffenbesitzkarten AfD-Mitglieder sind. Die Antworten unterscheiden sich nicht nur zwischen den einzelnen Bundesländern, sondern auch zwischen einzelnen Waffenbehörden im selben Bundesland.

  • In Bremen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg informiert der Verfassungsschutz die Waffenbehörden darüber, ob Personen, die Waffen besitzen oder besitzen möchten, AfD-Mitglieder sind. Das schreiben uns die jeweiligen Innenministerien. Die Waffenbehörde Heilbronn in Baden-Württemberg antwortete uns hingegen: „Im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung erfolgt keine pauschale Mitteilung hinsichtlich einer AfD-Mitgliedschaft durch den Verfassungsschutz“. 
     
  • Auch in Niedersachsen scheint es innerhalb des Landes keine klare Linie zu geben. Die AfD-Landespartei gilt in Niedersachsen seit Mai 2022 als rechtsextremer Verdachtsfall. Laut dem niedersächsischen Innenministerium teilt der Verfassungsschutz bei der Abfrage der Waffenbehörden nicht mit, ob jemand in der AfD ist. Das bestätigen auch unsere Anfragen an mehrere Waffenbehörden – außer in Göttingen. Die dortige Waffenbehörde gibt sogar an, dass vom Verfassungsschutz nicht nur übermittelt werde, ob jemand AfD-Mitglied ist, sondern auch ob die Person „Sympathisant“ der Partei sei. 
     
  • Aus der Antwort des nordrhein-westfälischen Innenministeriums geht hervor, dass der Verfassungsschutz die Waffenbehörden informiert, wenn Antragsteller*innen Verbindungen zum „völkisch-nationalistischen Personenzusammenschluss innerhalb der AfD“ haben, also dem mittlerweile offiziell aufgelösten „Flügel“ um Björn Höcke.
     
  • Im sächsischen Dresden müssen Antragstellende ein Formular ausfüllen und versichern, dass sie keiner verfassungsfeindlichen Gruppierung angehören oder diese unterstützen.
     
  • Andere Länder, wie Rheinland-Pfalz, halten sich diesbezüglich sehr zurück. Die angefragten Waffenbehörden teilten mit, dass der Verfassungsschutz keine Informationen zu einer AfD-Mitgliedschaft übermittle.
     
  • In Bayern, dem Saarland und Schleswig-Holstein wichen Waffenbehörden, Innenministerium und Verfassungsschutz der Frage aus oder wollten sich gar nicht äußern.
Es kommt auf die Postleitzahl an

Die zentrale Frage ist: Reicht eine Mitgliedschaft in der AfD aus, um jemandem eine Waffenbesitzkarte zu entziehen oder zu verweigern? Bei dieser Frage sind die lokalen Unterschiede noch deutlicher.

  • Viele Waffenbehörden sehen in der Mitgliedschaft lediglich ein Indiz dafür, dass jemand nach dem Gesetz unzuverlässig ist. Sie allein reiche nicht aus als Beleg. So sieht es etwa die Waffenbehörde im sächsischen Leipzig, obwohl der dortige Landesverband der AfD bereits seit 2023 als gesichert rechtsextrem eingestuft ist.
  • Eine Waffenbehörde im benachbarten Sachsen-Anhalt, wo die Landes-AfD gleichfalls als gesichert rechtsextrem vom Verfassungsschutz beobachtet wird, sieht es hingegen anders. Die Einstufung als gesichert rechtsextrem führe zur „Regelunzuverlässigkeit von Mitgliedern dieser Vereinigung“. Sprich: Keine Schusswaffen für AfD-Mitglieder. 
  • In Hessen und Nordrhein-Westfalen wurden bereits Waffenbesitzkarten von AfD-Mitgliedern entzogen – obwohl die AfD in beiden Ländern vom Verfassungsschutz derzeit noch als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft ist; der zweithöchsten Stufe.
  • Auch in Mecklenburg-Vorpommern wurden bereits AfD-Mitgliedern Waffenbesitzkarten entzogen, obwohl die AfD dort aktuell nur inoffiziell als rechtsextremer Verdachtsfall gilt. Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern dar laut Innenministerium dazu aufgrund der dortigen Gesetzeslage nicht öffentlich berichten. Auch in Rheinland-Pfalz mussten AfD-Mitglieder bereits ihre Waffen abgeben, auch wenn die AfD dort bisher nicht vom Verfassungsschutz eingestuft ist.

Einige Behörden antworten uns, dass sie sich bundeseinheitliche Standards wünschen, damit kein Flickenteppich entstehe. Am 12. Juni findet die nächste Konferenz der Innenminister*innen statt. Eine Möglichkeit, um eine gemeinsame Linie zu finden. 

Die Frage, wie viele Waffenbesitzkarten bisher bundesweit aufgrund einer AfD-Mitgliedschaft entzogen wurden, ist schwer zu beantworten. Viele Waffenbehörden antworteten uns, dass sie keine Statistik führen, aus welchen Gründen eine Waffenerlaubnis zurückgenommen wurde. Brandenburg führt nicht einmal eine allgemeine Statistik darüber, wie viele Waffenscheine verweigert oder entzogen wurden. 

Unklare Gesetzeslage

Die unklare Linie der Behörden spiegelt sich auch in Gerichtsentscheidungen wider. Ein Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen reichte Klage ein, da ihre Waffenbesitzkarten nicht erneuert wurden. Zusammen besitzen sie mehr als 200 Waffen – und beide sind AfD-Mitglieder. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf gab im Juni 2024 der Waffenbehörde Recht: Mitglieder einer vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall für verfassungsfeindliche Bestrebungen eingestuften Vereinigung dürften keine Waffe besitzen. In nächster Instanz kippte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen diese Entscheidung jedoch wieder. Die Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall reiche nicht aus – drei Tage später wurde die AfD bundesweit als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. 

Ein Grund für den unklaren Umgang mit bewaffneten AfD-Mitgliedern scheint im Waffengesetz selbst zu liegen. „Das Gesetz ist unklar formuliert und eröffnet damit einen weiten Interpretationsspielraum“, erklärt Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität zu Köln. Ein Problem, wie er findet. „Der Rechtsstaat lebt davon, dass Gesetze einheitlich angewendet werden“, sagt Ogorek. Schusswaffen zu besitzen sei ja auch deshalb im Grundsatz verboten worden, weil sie gefährlich sind. Der Besitz von Waffen sei somit eine Ausnahme, für den strenge Maßstäbe gelten sollten, um Risiken zu minimieren. 

Waffen in Händen von Rechtsextremen

Laut einer kürzlich veröffentlichten Recherche der Taz gibt es alleine in Sachsen-Anhalt 274 AfD-Mitglieder, die insgesamt über 330 Schusswaffen verfügen. In Thüringen seien es 34 AfD-Mitglieder mit insgesamt 154 Kurz- und Langwaffen. Bundesweite Zahlen dazu fehlen.

Die Liste der Verbindungen zwischen der AfD und der gewaltbereiten rechtsextremen Szene ist lang: Im November 2024 wurden acht rechtsextreme Terrorverdächtige festgenommen. Drei von ihnen sind AfD-Mitglieder. In Chats prahlten sie mit Verbindungen zu rechten Parteien und schrieben von einem „bewaffneten Flügel“ einer anerkannten politischen Bewegung, wie der Spiegel berichtet. Im Bundestag beschäftigt die AfD nach Recherchen des BR mehr als 100 Rechtsextreme. Und der Mann, der dem CDU-Politiker Walter Lübcke auf dessen Terrasse von hinten in den Kopf schoss, hängte für die AfD Wahlplakate auf und besuchte mehrere lokale Parteiveranstaltungen. 

zu allen Anfragen

Wie wir vorgegangen sind: 
In Deutschland gibt es etwa 550 Waffenbehörden. Das sind meist Landratsämter, Kreisverwaltungen, Ordnungsämter oder Polizeibehörden. Von diesen 550 Waffenbehörden haben wir rund 140 nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Das einzige Kriterium war, dass die Bundesländer ausreichend repräsentiert sein sollten. An diese rund 140 Waffenbehörden haben wir dann auf Basis des Presserechts Anfragen gestellt. Anfang April haben wir die ersten 40 Behörden angefragt. Das war vor der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die übrigen rund 100 Behörden haben wir danach angefragt. In einigen Bundesländern haben die Innenministerien zentral für die Waffenbehörden geantwortet. Zusätzlich haben wir alle Landesämter für Verfassungsschutz kontaktiert. Um zu vermeiden, dass unser Postfach überläuft, haben wir unser IFG-Anfrage-Tool benutzt. Die Antworten der Waffenbehörden veröffentlichen wir vollständig. Ihr findet sie über die interaktive Karte. 
 

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FragDenStaat-Fellowship: AI regulation and industry influence: The public is locked out

14. Mai 2025 - 10:00

We asked governments in seven European countries about their meetings with Big Tech around Artificial Intelligence. While they disclosed a small amount of information, they offered numerous justifications for why citizens should not know more. This lack of transparency is a severe problem.

AI lobbyists: easy to recognize by the number of fingers

“This is private data”, “disclosing information would affect commercial interests”, or “those meetings took place, but no minutes were recorded”. These are just some of the responses European governments gave when asked – via Freedom of Information requests – to disclose their meetings with major technology companies regarding Artificial Intelligence regulation. While regulatory frameworks are advancing across Europe, secrecy remains the norm when it comes to the decision-making process. Many European governments are withholding critical details about who they are meeting with and what is being discussed. However, these conversations between governments and tech companies could directly shape AI policies affecting millions.

Regulating AI is one of the most urgent and complex challenges policymakers face today. Across Europe and the world, governments are struggling to balance rapid technological innovation with ethical, social, legal and economic concerns. The European Union has developed the Artificial Intelligence Act (Regulation (EU) 2024/1689), a groundbreaking regulatory framework poised to set a global precedent. At the same time, many European governments are independently shaping their national approaches to deal with AI. To do so, they hold regular meetings with representatives from major technology companies. 

However, while meetings between EU institutions and corporate representatives are relatively accessible, many national governments operate under a veil of secrecy. Which governments are meeting with tech companies to discuss AI regulation? What is being discussed, which proposals and promises are made? And how do they shape national policies? This investigation used access to information laws to seek answers. 

Over the course of a year, we encountered delays, refusals, and exemptions – many citing commercial interests or privacy concerns – blocking the release of crucial information. The findings signal a lack of transparency, raising urgent questions about who is truly influencing the future of AI regulation in Europe.

What, who and how – the methodology

The investigation relied on Access to Information Laws to uncover lobbying efforts related to Artificial Intelligence regulation. Requests targeted specific ministries that were responsible for AI policy within seven European governments.
Authorities were asked to disclose:

  • Meetings between government officials and major technology companies regarding AI regulation, including agendas and minutes.
  • Written communications exchanged between public authorities and these companies.

To identify key industry players influencing AI regulation, the investigation referenced the 2023 report by Corporate Europe Observatory. While the report focused on lobbying efforts targeting MEPs ahead of the AI Act, it is reasonable to assume that these companies are also engaging with national governments. The primary actors identified include Google/Alphabet, Microsoft, Siemens, Meta (Facebook), Bosch, Huawei, and DOT Europe.

Requests were submitted to government authorities in Bosnia and Herzegovina, Denmark, Germany, Hungary, Ireland, Spain, and the United Kingdom, ensuring a diverse representation of EU membership status, legal systems, and geographical distribution. Requests were sent between April 2023 and February 2024, asking for disclosure of information stored during the same 4-month period in early 2023.

What we know: Meetings with Google or Facebook and discussion of AI models

The current data shows that meetings between companies and Ministries on AI regulation are happening across multiple countries. However, the full extent and substance of these conversations remain difficult to understand as governments did not disclose all relevant information. A few examples:

United Kingdom: On the 1st of March 2023, the Department for Business and Trade in the UK discussed the differences between EU and UK AI regulations in a meeting with Microsoft, noting that “the EU is considering excluding AI from broad sectors of critical national infrastructure, whereas the UK is taking a case-by-case approach.” However, all other details from the discussion were redacted.

Denmark: The Ministry for Digital Government and Gender equality met with a representative from Facebook in January 2023, but no minutes were recorded. There are, however, meeting notes from February 9, 2023, detailing a discussion with Microsoft Denmark. The agenda included discussions on the minister’s and the government’s provisional visions and priorities for digitalisation. On March 8, 2023, there was another dialogue with Microsoft regarding the Danish AI sandbox (an initiative by the Danish Data Protection Authority that provides companies and authorities with free access to guidance on legal frameworks), during which the Department presented on AI regulation. No agenda or list of participants were recorded.

Germany: The Federal Ministry for Economic Affairs and Climate Action shared documents related to the AI Roundtable held on April 20, 2023. According to the Ministry, the goal of the meeting was to “raise awareness” among company management about the importance of large AI models for future competitiveness. However, the list of attendees was heavily redacted, naming only one company. The Ministry also noted that on March 24, 2023, a discussion on AI took place between representatives from the Ministry and Alphabet during a business trip to San Francisco. No documents related to this meeting were made available.

Ireland: The Department of Enterprise, Trade and Employment provided a more comprehensive response to the requests. It shared a schedule of records  including some minutes from meetings and correspondence with Google, Facebook, and Microsoft. While some information was redacted due to concerns over the commercial interests of the companies, the provided documents revealed discussions between the Ministry and Microsoft on activities aimed at building public trust and awareness of AI. Additionally, they provided heavily redacted emails in which Google representatives shared their views on several AI policy regulation developments in Europe with the Ministry. Among the redacted parts were Google’s views themselves.

What we can’t know: Commercial interests, fees or no notes taken

While most ministries responded to information requests, many provided incomplete or heavily redacted answers, leaving citizens in the dark about the nature of their interactions with technology companies. Refusals to disclose information were justified using the following exemptions:

Personal Information: Some Ministries like the Department for Business and Trade in the UK confirmed they held the information requested but released a heavily redacted document in which only the companies that attended the meeting were visible but not the participants from the side of the Ministry. They argued that releasing names of all Ministry attendees might infringe their right to privacy.

Commercial Interests: Some Departments in the UK and Ireland argued that full disclosure of the information would be contrary to the legitimate expectations of confidentiality of companies and the release would be likely to damage the commercial interests of the companies.

Exceeds cost limit: The Department for Science, Innovation and Technology in the UK argued that compiling the information would exceed the cost limit. The Bundeskanzleramt in Germany argued that compiling the information would require a great deal of effort and if the request were approved, an unspecified fee would have to be paid.

Internal notes with no relevant public interest: Spain’s Ministry of Economic Affairs and Digital Transformation argued that any minutes of potential meetings between the Ministry and tech companies would qualify as internal notes, and therefore not be subject to FOIA requests.

A meeting took place but there were no minutes: Some Ministries acknowledged the existence of meetings between the Ministry and tech companies but stated that no minutes were recorded, such as the Ministry of Digital Government and Gender Equality in Denmark.

Why transparency on AI regulation matters

The EU has been actively shaping AI regulation over the past years. Its approach includes multiple regulatory instruments, and at the core of this framework is the AI Act, the world’s first comprehensive AI regulation, adopted in 2024. It follows a risk-based approach, classifying AI systems by risk level and assigning specific obligations accordingly. Big tech companies have been working to dilute the EU AI Act by lobbying for weaker regulations and seeking exemptions for their most advanced AI systems. Their efforts include pushing for vague definitions, minimising compliance requirements, and emphasizing voluntary codes of conduct over binding legal obligations. These strategies aim to reduce regulatory burdens, potentially at the expense of public accountability and fundamental rights. Proponents of ethical AI have long argued to limit certain systems due to its recorded detrimental effects such as discrimination and privacy intrusion.

Freedom of Information Acts, also known as Access to Information Laws or Transparency Acts, empower citizens to access information held by public authorities. These laws outline government responsibilities, such as the proactive disclosure of data and, more importantly, the right for individuals to request specific information. They also set deadlines for authorities to respond to requests and outline the exemptions that can be argued by authorities to deny the release of information.

However, obtaining information on AI regulation from national governments within the EU has been a challenging and uneven experience. Across Europe, significant disparities exist in how governments handle similar requests, revealing that citizens’ rights to access information and hold their leaders accountable differ depending on where they live. While some governments simply declared a lack of communication with AI lobbyists, others provided limited insight into the regulatory process. Despite the adoption of the AI Act, AI regulation in Europe remains an evolving process shaped by multiple stakeholders with often conflicting interests. Therefore, transparency is crucial in the AI regulation process, as it ensures accountability and allows citizens to understand how decisions that affect their lives are made.

→ see all documents from all countries

 

Want to do your own cross-border FOIA investigation? This is what we would (and wouldn’t!) do:
  • Send only one FOIA request at a time: We divided our questions into two requests, one asking for information about meetings and another one to request written communication between authorities and companies. Departments in many countries only responded to one of the questions or merged both questions and used an exemption to deny the release of information that could only apply to one of the questions, as it happened in Spain. We recommend to start with the most relevant question and wait until you get the response to send another request asking for more or different information.
  • Know your limits:  If your team is small or you are doing a comparative investigation using FOIA on your own, we would advise to start with 2 or 3 countries. You can always add more countries later.
  • Be specific: Some of our requests were rejected because authorities argued that answering them would exceed the cost limit. While this can often be misused to deny a request without justification, we would recommend making your request as specific as possible.
  • Be prepared for national differences: Public authorities in different countries work in different ways. In the UK requesters can send an email to the authority, but in Spain an electronic identification is required. Sometimes, as we experienced in Germany, requesters need to provide an address to receive physical letters.
  • Start creating a database right now: A simple Excel will do. You will need to track all requests from the day they are sent to the response date. We recommend creating a folder in which you can link to the request, add comments and deadlines.
  • Don’t miss a deadline! If you are requesting information from several countries and Departments you will be receiving lots of emails with different responses. Bear in mind that deadlines to appeal decisions vary from country to country so if an email (or a letter!) gets lost you might miss the right to appeal.
  • Be patient: No matter how much time you think it will take, it will take more. Responses to requests can get heavily delayed  (We started in 2023, it is now 2025).
  • Hola, Hallo. Find international allies! While AI might help you overcome basic language barriers,  you will need someone in the country who knows who to send the requests to and how the system works. On that note, thanks a lot to FragDenStaat in Germany and K-Monitor in Hungary!
  • Enjoy it: Sending Freedom of Information requests is fun. If you want to expand our investigation or we can help with one of your own please get in touch!

 

 

von Neus Vidal , Dr. Nasir Muftić

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FragDenStaat-Fellowship: Einfluss der KI-Lobby: Öffentlichkeit ausgesperrt

14. Mai 2025 - 10:00

Wir haben Regierungen in sieben europäischen Ländern nach ihren Treffen mit der Tech-Industrie zum Thema künstliche Intelligenz gefragt. Statt Informationen herauszugeben fanden die Behörden viele Gründe, weshalb Bürger*innen kaum etwas über die Kommunikation mit Microsoft, Google oder Siemens erfahren dürfen. Dieser Mangel an Transparenz ist ein ernstes Problem.

KI-Lobbyist*innen: leicht zu erkennen an der Anzahl der Finger

"Dies sind private Daten", "die Offenlegung von Informationen würde kommerzielle Interessen beeinträchtigen" oder "diese Treffen haben stattgefunden, aber es wurde kein Protokoll erstellt". Das sind nur einige der Antworten von europäischen Regierungen auf unsere Anträge nach verschiedenen Informationszugangsgesetzen, ihre Treffen mit großen Technologieunternehmen zur Regulierung von künstlicher Intelligenz offenzulegen.

Während sich Gesetze rund um künstliche Intelligenz in Europa rasant entwickeln, bleiben die Entscheidungsprozesse dahinter oft geheim. Viele europäische Regierungen verschweigen wichtige Details darüber, mit wem sie sich treffen und was besprochen wird. Doch genau diese Gespräche zwischen Regierungen und Technologieunternehmen könnten entscheidend für die Regulierung von künstlicher Intelligenz sein.

Die Regulierung von künstlicher Intelligenz ist eine der dringendsten und komplexesten Herausforderungen, vor denen die Politik momentan steht. In Europa und auf der ganzen Welt ringen Regierungen darum, die rasante technologische Entwicklung mit ethischen, sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bedenken in Einklang zu bringen. Die Europäische Union hat mit dem Gesetz über künstliche Intelligenz (KI Verordnung, Verordnung (EU) 2024/1689) einen Rechtsrahmen entwickelt, der weltweit für Aufmerksamkeit sorgt. 

Doch parallel entwickeln viele europäische Regierungen nationale Strategien zum Umgang mit KI. Dafür halten sie regelmäßige Treffen mit Vertreter*innen großer Technologieunternehmen ab. Während die Treffen zwischen EU-Institutionen und Lobbyist*innen relativ zugänglich sind, bleibt das Vorgehen nationaler Regierungen vergleichsweise intransparent.

Welche Regierungen treffen sich mit Technologieunternehmen, um über die Regulierung von KI zu diskutieren? Was wird besprochen, welche Vorschläge und Versprechen werden gemacht? Wie wirken sie sich auf die nationale Politik aus? Über ein Jahr hinweg waren wir immer wieder mit Verzögerungstaktiken, Ablehnungen oder Ausnahmeregelungen konfrontiert. Oft beriefen sich Behörden auf Geschäftsgeheimnisse oder den Datenschutz, um wichtige Informationen nicht preisgeben zu müssen. Unsere Recherche zeigt einen Mangel an Transparenz und wirft die Frage auf, wer die Zukunft der KI-Regulierung in Europa wirklich beeinflusst.

 

Wie wir recherchiert haben

Wir haben mithilfe von Informationszugangsgesetzen Ministerien und Behörden in sieben europäischen Ländern zu ihrer Kommunikation mit großen Tech-Unternehmen befragt. Konkret haben wir nach folgenden Dokumenten gefragt:

  • Treffen zwischen Regierungsvertretern und großen Technologieunternehmen zum Thema KI-Regulierung, einschließlich Tagesordnungen und Protokolle.
  • Schriftliche Mitteilungen zwischen den Behörden und Tech-Unternehmen.

Um die Hauptakteure der Branche zu identifizieren, haben wir einen Lobby-Bericht von Corporate Europe Observatory zugrundegelegt. Der Bericht konzentrierte sich zwar auf die Lobbyarbeit bei den Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Vorfeld des KI-Gesetzes, es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Unternehmen auch mit den nationalen Regierungen in Kontakt stehen. Zu den Hauptakteuren gehören Google/Alphabet, Microsoft, Siemens, Meta (Facebook), Bosch, Huawei und DOT Europe.

Die Anfragen haben wir an Regierungsbehörden in Bosnien und Herzegowina, Dänemark, Deutschland, Ungarn, Irland, Spanien und dem Vereinigten Königreich geschickt. Hintergrund war eine möglichst große Ausgewogenheit bei der geografischen Verteilung, dem Rechtssystemen und dem Status der EU-Mitgliedschaft. Wir haben die Anfragen zwischen April 2023 und Februar 2024 verschickt, sie bezogen sich alle auf denselben viermonatigen Zeitraum Anfang 2023.

 

Was wir wissen dürfen: Treffen mit Google, Microsoft und Facebook

Es gab in mehreren Ländern Gespräche zwischen Unternehmen und Ministerien über die Regulierung von KI. Das volle Ausmaß und der Inhalt dieser Gespräche sind jedoch kaum nachvollziehbar, da die Regierungen nicht alle relevanten Informationen offengelegt haben.

Vereinigtes Königreich: Am 1. März 2023 erörterte das britische Ministerium für Wirtschaft und Handel in einem Treffen mit Microsoft die Unterschiede zwischen den KI-Vorschriften der EU und des Vereinigten Königreichs und stellte fest, dass "die EU erwägt, KI aus weiten Bereichen kritischer nationaler Infrastrukturen auszuschließen, während das Vereinigte Königreich einen Ansatz von Fall zu Fall verfolgt". Alle anderen Details des Gesprächs wurden jedoch geschwärzt.

Dänemark: Das Ministerium für digitale Verwaltung und Gleichstellung traf sich im Januar 2023 mit einem Vertreter von Facebook, doch ein Gesprächsprotokoll liegt nicht vor. Es gibt jedoch Notizen einer Diskussion mit Microsoft Dänemark vom 9. Februar 2023. Auf der Tagesordnung: Diskussionen über die vorläufigen Visionen und Prioritäten der Ministerin und der Regierung für die Digitalisierung. Am 8. März 2023 gab es einen weiteren Dialog mit Microsoft über die dänische KI-Sandbox (eine Initiative der dänischen Datenschutzbehörde, die Unternehmen und Behörden unter anderem kostenlosen Zugang zu KI-Leitlinien bietet). Bei dem Treffen sprach das Ministerium auch zur Regulierung von KI – eine Tagesordnung oder eine Teilnehmer*innenliste wurde jedoch nicht veraktet.

Deutschland: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat Dokumente zu einem KI-Roundtable vom 20. April 2023 geschickt. Nach Angaben des Ministeriums war das Ziel des Treffens die "Sensibilisierung" der Unternehmensleitung für die Bedeutung großer KI-Modelle für die künftige Wettbewerbsfähigkeit. Die Teilnehmer*innenliste ist fast vollständig geschwärzt und nennt nur ein Unternehmen: Siemens. Zudem informierte das Wirtschaftsministerium über eine Diskussion zu KI zwischen Vertreter*innen des Ministeriums und dem Google-Konzern Alphabet am 24. März 2023 in San Francisco. Weitere Dokumente stellte das Ministerium dazu nicht zur Verfügung.

Irland: Das Ministerium für Unternehmen, Handel und Beschäftigung antwortete vergleichsweise ausführlich. Es stellte eine Reihe von Unterlagen zur Verfügung, darunter einige Protokolle von Sitzungen und Korrespondenz mit Google, Facebook und Microsoft. Einige Informationen wurden mit dem Hinweis auf Geschäftsgeheimnisse geschwärzt. Andere Dokumente belegen Gespräche zwischen dem Ministerium und Microsoft mit dem Ziel, das Vertrauen und das Bewusstsein für KI in der Öffentlichkeit zu stärken. Zudem schickte das Ministerium Emails, in denen Google-Vertreter*innen dem Ministerium ihre Ansichten zu verschiedenen Entwicklungen der KI-Politik in Europa mitteilten. Doch das meiste ist geschwärzt, darunter die Ansichten von Google selbst.

Was wir nicht wissen dürfen: Geschäftsgeheimnisse, Gebühren oder fehlende Notizen

Zwar beantworteten die meisten Ministerien die Informationsanfragen, doch viele gaben unvollständige oder stark geschwärzte Antworten. Die Verweigerung der Auskunft wurde mit einer Reihe von Argumenten begründet.

Persönliche Informationen: Einige Ministerien wie das britische Ministerium für Wirtschaft und Handel bestätigten, dass sie über die angeforderten Informationen verfügten, gaben jedoch stark geschwärzte Dokumente heraus. So sind etwa Mitarbeiter*innen des Ministeriums nicht identifizierbar. Das Argument der Behörden: Die Freigabe der Namen verletze das Recht auf Privatsphäre. 

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse: Ministerien im Vereinigten Königreich und in Irland argumentierten, dass eine vollständige Offenlegung der Informationen den berechtigten Erwartungen der Unternehmen an die Vertraulichkeit zuwiderlaufe und dass die Freigabe der Informationen wahrscheinlich die geschäftlichen Interessen der Unternehmen schädigen würde. 

Kosten: Das Ministerium für Wissenschaft, Innovation und Technologie im Vereinigten Königreich schrieb uns, dass die Zusammenstellung der Informationen die Kostengrenze nach britischem Recht überschreiten würde. Das Bundeskanzleramt in Deutschland argumentierte, dass die Zusammenstellung der Informationen einen großen Aufwand erfordern würde und im Falle einer Genehmigung des Antrags eine nicht näher bezeichnete Gebühr zu entrichten wäre.

Interne Notizen ohne öffentliches Interesse: Das spanische Ministerium für Wirtschaft und digitale Transformation teilte mit, dass alle Protokolle möglicher Treffen zwischen dem Ministerium und Technologieunternehmen als interne Notizen gelten würden und daher nicht Gegenstand von Informationszugangsanfragen seien.

Kein Protokoll: Einige Ministerien bestätigten die Existenz von Treffen zwischen dem Ministerium und Technologieunternehmen, gaben jedoch an, dass keine Protokolle erstellt wurden, wie z. B. das Ministerium für digitale Verwaltung und Gleichstellung in Dänemark.

Warum Transparenz bei der KI-Regulierung wichtig ist

Die EU hat in den vergangenen Jahren KI stark reguliert, Kernstück ist die KI-Verordnung, das weltweit erste umfassende KI-Gesetz. Sie wurde 2024 verabschiedet. Das Gesetz klassifiziert KI-Systeme nach Risikostufen und erlegt allen Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette entsprechende Verpflichtungen auf. Große Technologieunternehmen wollten das EU-KI-Gesetz verwässern, sie betrieben Lobbyarbeit für schwächere Vorschriften und beantragten Ausnahmen für KI-Systeme. Sie sprachen sich auch für vage Definitionen und freiwillige Verhaltenskodizes anstelle von verbindlichen rechtlichen Verpflichtungen aus. Befürworter*innen der ethischen KI plädieren seit langem dafür, bestimmte Systeme aufgrund ihrer nachgewiesenen nachteiligen Auswirkungen wie Diskriminierung und Eingriff in die Privatsphäre zu regulieren.

Informationszugangsgesetze ermöglichen Bürger*innen den Zugang zu Informationen und Dokumenten von Behörden. Die Gesetze legen Verpflichtungen von Behörden fest, etwa die proaktive Offenlegung von Daten oder das Recht von Einzelpersonen, bestimmte Informationen anzufordern. Sie enthalten auch Fristen für die Beantwortung von Anfragen und Ausschlussgründe, die von den Behörden geltend gemacht werden können, um die Freigabe von Informationen zu verweigern.

Unsere Recherche zeigt: In ganz Europa gibt es erhebliche Unterschiede in der Art und Weise, wie die Regierungen mit ähnlichen Anfragen umgehen. Die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern auf Zugang zu Informationen sind je nach Land sehr unterschiedlich. Während einige Regierungen schlicht erklärten, dass sie nicht mit KI-Lobbyist*innen kommunizieren, gaben andere begrenzte Einblicke in den Regulierungsprozess.

Auch mit der KI-Verordnung der EU bleibt die KI-Regulierung in Europa auf nationaler Ebene ein wichtiger Prozess, an dem zahlreiche Akteure mit widersprüchlichen Interessen teilnehmen.  Daher ist Transparenz im KI-Regulierungsprozess von entscheidender Bedeutung. Nur so können Bürger*innen verstehen, wie Gesetze entstehen, die ihr Leben beeinflussen.

→ zur Dokumentensammlung

Du willst selbst in verschiedenen Ländern mit Informationsfreiheitsrechten recherchieren? Das haben wir gelernt:
  • Eine Anfrage nach der anderen: Wir haben unsere Fragen in zwei Anfragen aufgeteilt, eine mit Bezug auf Treffen mit Tech-Unternehmen, die andere bezüglich schriftlicher Kommunikation. In vielen Ländern beantworteten die Behörden nur eine der Fragen oder legten beide Fragen zusammen und verweigerten die Auskunft pauschal – z. B. in Spanien. Wir empfehlen, mit der relevantesten Frage zu beginnen und die Antwort abzuwarten. Danach kann man je nach Antwort weitere Anfragen stellen.
  • Kenne deine Grenzen: Alleine oder in einem kleinen Team würden wir raten, mit zwei oder drei Ländern zu beginnen. Man kann die Recherche später immer noch ausweiten.
  • So konkret wie möglich: Einige unserer Anfragen wurden abgelehnt, weil die Behörden argumentierten, dass die Beantwortung der Anfrage die Kostengrenze überschreiten würde. Je konkreter die Art der Dokumente, je eingegrenzter der Zeitraum, desto wahrscheinlicher, dass Behörden sich nicht auf dieses Argument berufen können.
  • Andere Länder, andere Regeln: Im Vereinigten Königreich können Antragsteller*innen eine E-Mail an die Behörde senden, in Spanien ist jedoch eine elektronische Identifizierung erforderlich. Manchmal müssen Antragsteller*innen eine Adresse angeben, um physische Briefe zu erhalten – etwa in Deutschland.
  • Als erstes eine Datenbank erstellen: Ein einfache Excel-Tabelle reicht aus. Du solltest alle Anfragen verfolgen können – von dem Tag, an dem du sie schickst bis zum Datum der Antwort.
  • Fristen notieren: Wenn du mehrere Anfragen in unterschiedlichen Ländern stellst, wirst du schnell viele Mails verwalten müssen. Achtung: Die Widerspruchsfristen sind von Land zu Land unterschiedlich. Wenn eine E-Mail (oder ein Brief!) verloren geht, könntest du eine Frist verpassen.
  • Geduld: Egal, wie lange du glaubst, dass es dauern wird - es wird länger dauern. Die Beantwortung von Anfragen kann sich stark verzögern (wir haben 2023 begonnen, jetzt ist es 2025).
  • Hola, Hello. Schau dich nach Verbündeten in anderen Ländern um. KI kann zwar bei der Übersetzung helfen, aber du brauchst auch jemanden in dem Land, der weiß, an wen man Anträge schicken muss und wie das System funktioniert. Vielen Dank an FragDenStaat in Deutschland und K-Monitor in Ungarn!
  • Hab Spaß: Es macht Freude, IFG-Anträge zu stellen. Wenn du unsere Untersuchung ausweiten möchtest oder wir dir bei deiner Recherche weiterhelfen können, nimm gerne Kontakt auf.

 

 

von Neus Vidal , Dr. Nasir Muftić

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Bundesamt für Verfassungsschutz: Hier sind die ersten Belege zur Verfassungsfeindlichkeit der AfD

7. Mai 2025 - 7:00

Völkisch-nationalistisch, rassistisch, antidemokratisch – auch nach Ansicht des Geheimdienstes ist die AfD gesichert rechtsextrem. Wir veröffentlichen einen ersten Ausschnitt aus dem 1100 Seiten langen Gutachten.

Die AfD ist gesichert rechtsextrem. Das sagt seit vergangener Woche nun auch der Bundesverfassungsschutz. Zuvor hatte die Behörde die Bundespartei bereits seit mehreren Jahren als rechtsextremistischen Verdachtsfall geführt und beobachtet. Diese neue Einordnung auf der höchsten Beobachtungsstufe durch den Verfassungsschutz basiert auf einem rund 1100 Seiten langen Gutachten, das bislang nicht öffentlich ist.

Wir veröffentlichen jetzt aber einen 17-seitigen Ausschnitt aus dem Dokument. Es ist eine Belegliste, in der das Bundesamt für Verfassungsschutz 37 öffentlich nachvollziehbare Belege für die verfassungsfeindliche Ausrichtung der AfD auf Bundesebene aufführt. Zeit Online hatte zuerst über das Dossier berichtet, das Dokument aber nicht veröffentlicht

Verfassungsfeindliche Aussagen von Weidel und Chrupalla

Im Wesentlichen besteht die Zusammenstellung aus Aussagen von Mitgliedern des Bundesvorstands, darunter die Parteichef*innen Alice Weidel und Tino Chrupalla, sowie nicht namentlich gekennzeichneten Online-Postings über die Kanäle des Bundesvorstands in den vergangenen vier Jahren. 

Das Bundesamt gliedert die Aussagen in vier Bereiche:

  • „Ethnisch-abstammungsmäßige Aussagen und Positionen“: Die AfD verbreitet die extrem rechte Verschwörungserzählung einer „Umvolkung“. Dazu fordert sie einen Volksbegriff, bei dem nicht die Staatsangehörigkeit dafür entscheidend ist, ob jemand „deutsch“ sei.
  • „Fremdenfeindlichkeit“: Manche Wahlwerbung der AfD ist von früheren Plakaten der verfassungsfeindlichen NPD nicht mehr zu unterscheiden, etwa der Slogan „Abschieben schafft Wohnraum“. Geflüchtete werden von der AfD verächtlich gemacht und abgewertet. Die AfD behauptet, mit Messern ausgeübte Gewalt, Gruppenvergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen kämen unter Deutschen nicht vor  – was bereits ein kurzer Blick in die Kriminalstatistik widerlegen würde – sondern seien ein „importiertes“ Phänomen, das in anderen Kulturkreisen fest verankert sei. Die Partei verbreitet die von der extrem rechten „Identitären Bewegung“ geprägten Parole nach „Remigration“ und fordert, dass jährlich mindestens eine halbe Million Menschen Deutschland verlassen müssen.
  • „Islamfeindlichkeit“: Zahlreiche Aussagen der AfD sind islamfeindlich geprägt, darunter die Aussage, auf Deutschlands Straßen erlebe man einen „Dschihad“ gegen die deutsche Bevölkerung und die Warnung davor, Deutschland werde zu einem „Kalifat“.
  • „Demokratieprinzip“: Laut AfD-Bundesvorstand sind die demokratischen Parteien in Deutschland Verfassungsfeinde, die von anderen Mächten außerhalb Deutschlands gelenkt würden. Deutschland sei „nicht souverän“, die Regierungsmitglieder seien „Vasallen Amerikas“. Die CDU beschimpft die AfD als „Vaterlandsverräter“, ein klassischer extrem rechter Kampfbegriff.

Es ist unklar, ob die Struktur des Kurzdossiers das gesamte Gutachten über die AfD widerspiegelt. Es handelt sich hier nur um einige wenige öffentlich zugängliche Belege und nicht um Informationen, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie dem Einsatz von V-Leuten gewonnen wurden. Das vollständige Gutachten wurde bislang nicht veröffentlicht, da es laut Innenministerium schutzbedürftige Quellen enthalte.

Weitere Arbeit nötig

Zudem enthält der Ausschnitt vor allem Belege für eine Verfassungsfeindlichkeit, nicht aber verfassungsrechtliche Einordnungen. Diese sind aber im Zusammenhang mit einem möglichen Verbot der AfD entscheidend. So bräuchte es für ein Verbot eine ausführliche Begründung, wie die völkisch-nationalistischen Aussagen der Partei ein politisches Konzept widerspiegeln, das bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgrund einer imaginierten „Volksgemeinschaft” entrechtet und daher mit der Menschenwürde und dem Demokratieprinzip nicht vereinbar ist. Unter anderem so hat das Bundesverfassungsgericht im zweiten NPD-Urteil 2017 die verfassungsfeindliche Zielsetzung der NPD begründet.

Schließlich gibt es noch zahlreiche weitere eindeutige Belege, etwa zur Ablehnung des Demokratieprinzips und zur rassistischen, misogynen, antiziganistischen, antisemitischen, ableistischen und transfeindlichen Grundhaltung der AfD, die im Ausschnitt nicht auftauchen, obwohl sie ebenfalls öffentlich verfügbar sind. Auch die Verbindungen der AfD zu gewaltbereiten rechtsextremistischen Organisationen kommen in dem Ausschnitt nicht vor.

FragDenStaat sammelt derzeit Belege für die Verfassungsfeindlichkeit, die in einem ausführlichen zivilgesellschaftlichen Gutachten zur möglichen Verfassungswidrigkeit der AfD durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte einfließen werden. 

Unsere Arbeit zum AfD-Verbot kostet Geld – z.B. für die Recherche, externe Expert*innen und technische Infrastruktur. Unterstütze uns dabei mit Deiner Spende!

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Jens Spahn: Der Forderungsjournalismus muss sterben!

2. Mai 2025 - 9:36

Der CDU-Oppositionspolitiker Jens Spahn stellt immer wieder Forderungen. Und immer wieder melden Medien das, oft ohne Einordnung. Dabei ist das in der Regel erst mal keine Nachricht, wenn ein Politiker etwas fordert – vor allem, aber nicht nur, wenn diese Person Jens Spahn ist.

Durch ihre Anfälligkeit für spektakuläre Bilder und spektakuläre Aussagen werden Medien immer wieder zu Mitverantwortlichen bei der Verrohung des öffentlichen Diskurses. In diesem Zusammenhang müssen wir über Jens Spahn reden. Der neue CDU-Fraktionschef stellt immer mal wieder Forderungen. Das passiert auffallend häufig. Wirklich, googeln Sie mal „Jens Spahn fordert“.

Alleine in dem politisch relativ ruhigen Zeitraum zwischen Mitte Dezember 2023 und Mitte Januar 2024 schaffte es Jens Spahn mit acht (!) verschiedenen Forderungen in die Schlagzeilen überregionaler, reichweitenstarker Medien: Jens Spahn fordert, die Finanzierung von Moscheen über eine deutsche Stiftung zu regeln; Jens Spahn fordert längere Arbeitszeiten für Arbeitnehmer; Jens Spahn fordert, das Bürgergeld abzuschaffen; Jens Spahn fordert, die Rente mit 63 abzuschaffen; Jens Spahn fordert, die Verfassung zu ändern, um noch drastischere Vollsanktionen gegen manche Bürgergeld-Empfänger durchzusetzen; Jens Spahn fordert, überirdische Stromleitungen zu ermöglichen; Jens Spahn fordert, Abschiebungen zu verstärken; Jens Spahn fordert, Fraktionszwang im Bundestag bei manchen Fragen abzuschaffen. Und das alles in weniger als einem Monat und trotz Weihnachten!

Forderungen kommen Spahn offenbar leicht über die Lippen. In Bezug auf die anvisierten Vollsanktionen für Bürgergeld-Empfänger*innen forderte Spahn beispielsweise, notfalls die Verfassung zu ändern, da noch schärfere Sanktionen wie die dauerhafte Entziehung der kompletten Grundsicherung laut Bundesverfassungsgericht gegen die Verfassung verstoßen.

Das Gericht urteilte allerdings auf Basis von Artikel 1 und Artikel 20 des Grundgesetzes, also der Garantie der Menschenwürde und der Verfasstheit der Bundesrepublik als demokratischem und sozialem Staat, die Teil der Ewigkeitsklausel sind. Was Spahn konkret daran ändern wollte, bleibt erst mal sein Geheimnis. Seine Forderung lässt sich dennoch als Angriff auf die Verfassung verstehen.

Aber nehmen wir uns mal eine Forderung von Spahn vor, die er im Oktober 2023 äußerte und die das ZDF handbuchartig schlecht vermeldete: Spahn hatte in einem Interview gefordert, dass Deutschland und die EU an den Außengrenzen zur Abschreckung „physische Gewalt“ gegen Migrant*innen einsetzen sollten. Eine schockierende Forderung, die schlicht menschenrechtswidrig ist. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch wurde für ähnliche Forderungen im Jahr 2015 noch stark kritisiert und musste dann zurückrudern.

Sechs Wörter, drei Probleme

Spahn hingegen musste sich für gar nichts entschuldigen. Das ZDF titelte, basierend auf einer Meldung einer Nachrichtenagentur: „Spahn für ,Gewalt‘ bei irregulärer Migration“. Diese Überschrift alleine birgt bei sechs Wörtern schon drei Probleme.

Erstens: Spahn fordert nicht Gewalt bei Migration. Spahn will ja nicht, dass Frontex-Beamte Supermärkte verwüsten, wenn sie mitbekommen, dass es Migration gibt. Spahn befürwortet Gewalt gegen Migrant*innen. Die schüchterne Formulierung des ZDF verschleiert das. Sie entpersonalisiert und macht es der krassen Forderung damit leichter, als salonfähig durchzugehen.

Wie kommt es, dass das ZDF sich nicht traut, die Forderung von Spahn so wiederzugeben, wie sie gemeint war? Die naheliegendste Antwort: Viele Medien haben Angst, als zu alarmistisch wahrgenommen zu werden. Ein weiterer Aspekt: Es tut weh, die Wahrheit auszusprechen. Wenn man schreibt, dass Gewalt gegen Menschen eingesetzt werden soll, spürt man diese Gewalt selbst, sofern man nicht abgestumpft ist. Man sieht Bilder von blutenden Geflüchteten an den EU-Außengrenzen vor dem inneren Auge, Bilder von ertrunkenen Kindern am Strand. Eine Forderung nach Gewalt aufzuschreiben, tut einem selbst weh. Wenn man schreibt, dass es „Gewalt bei Migration“ geben soll, fühle ich weniger. Wenn ich lediglich über „harte Forderungen in der Migrationspolitik“ schreibe, fühle ich gar nichts.

Zweitens: Das ZDF schreibt in der Headline, Spahn fordere Gewalt bei „irregulärer Migration“. Den Begriff nutzt der Rundfunk vermutlich, weil Spahn selbst ihn benutzt. Nur: Was soll das eigentlich sein? Eine klare rechtliche Definition für „irreguläre Migration“ gibt es nicht. Sollte damit jede Form der Migration gemeint sein, die ohne Kenntnis von Behörden stattfindet, fallen damit auch Geflüchtete darunter, die in Deutschland Asyl bekommen – und denen dieses Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention auch gewährt werden muss. Sie haben ein Recht darauf, in Deutschland zu sein. Fordert Spahn also, dass auch ihnen Gewalt angetan werden soll? Dann ist das ein Verstoß gegen die Flüchtlingskonvention. Sollte das dann nicht zur Sprache kommen, in der Überschrift oder wenigstens im Artikel selbst?

Und drittens: Die Forderung wird in keiner Weise eingeordnet. Das ZDF gibt sie ungefiltert wieder, kontextualisiert nichts davon rechtlich oder politisch, bildet keine Kritik daran ab. Sie vermeldet, dass Jens Spahn etwas fordert, als ob das eine Nachricht wert wäre. Eine angemessene Überschrift wäre beispielsweise: „Spahn fordert menschenrechtswidrige Gewalt gegen Menschen auf der Flucht“.

Es gibt noch eine andere Möglichkeit zu erkennen, wie falsch Spahns Forderungen und die Meldung dazu sind. Lassen Sie uns dazu ein Gedankenexperiment machen. Vergessen Sie kurz, was Sie gerade über die Meldung und Jens Spahn gelesen haben, und stellen Sie sich vor, das ZDF hätte die Forderung eines AfD-Politikers vermeldet: „Höcke für ,Gewalt‘ bei irregulärer Migration“. Und im Untertitel: „Björn Höcke (AfD) hat Bundeskanzler Scholz (SPD) und dessen Migrationspolitik kritisiert. Er fordert ein hartes Vorgehen gegen irreguläre Migration.“

Wie fühlt sich das an? Welche Bilder haben Sie spontan im Kopf? Spüren Sie Abscheu, wenn Sie lesen, dass ein Faschist wie Björn Höcke Gewalt gegen Unschuldige auf der Flucht einsetzen will? Und Empörung darüber, dass das vom ZDF einfach kontextlos vermeldet wird? Gut. Dann sollten wir das bei Jens Spahn auch nicht akzeptieren.

Und deswegen fordere ich: Der Forderungsjournalismus muss sterben!

Wenn ein Politiker etwas fordert, ist das in der Regel erst mal keine Nachricht. Vor allem – aber nicht nur – , wenn diese Person Jens Spahn ist. Die Forderung kann zu einer Nachricht werden, wenn dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: wenn die Forderung politisch relevant ist und wenn die fordernde Person bestimmte Kompetenzen im Hinblick auf diese besitzt. Eine Forderung kann auch dadurch politisch relevant sein, dass ein Politiker einer demokratischen Partei eine menschenfeindliche Forderung stellt. In jedem dieser Fälle müssen Forderungen aber eingeordnet und kontextualisiert werden. Das dauert zwar länger und macht eine Meldung möglicherweise nicht exklusiv, aber dafür besser.

„Trump falsely claims“

Einen großen Erfahrungsschatz im Umgang mit rechten Forderungen und anderen Parolen haben Journalist*innen in den USA aufgrund von Donald Trump sammeln müssen. Die Lernkurve war steil und schmerzhaft: Schließlich hatten US-Medien den Aufstieg von Trump wesentlich mitverursacht, indem sie Trumps immer aberwitzigeren Statements und Forderungen 24 Stunden am Tag live sendeten. Niemand im US-Wahlkampf war so oft in den Medien präsent wie Trump – und zwar in der Regel ohne kritische Einordnung (oder sie ging im Getöse unter).

In Trumps Regierungszeit lernten Medien wie die „Washington Post“, dass reine Verkündungen von Forderungen Billig-PR sind und kein Journalismus. Forderungen sollten immer auch von Top-Politiker*innen direkt kritisch und prominent eingeordnet werden. Anstatt wie noch zu Beginn seiner Kandidatur jede Aussage von Trump ohne Einordnung zu vermelden, hat sich inzwischen etabliert, Richtigstellungen zu Trumps Aussagen direkt in die Headlines zu setzen. „Trump falsely claims“ – Trump behauptet zu Unrecht – ist inzwischen quasi ein eigenes Genre des US-Journalismus geworden.

„Politiker fordert fälschlicherweise“, „Politiker behauptet zu Unrecht“ – das sollten auch deutsche Medien in ihre Überschriften schreiben. Denn die meisten Menschen lesen auf sozialen Medien und Startseiten von Online-Medien eben vor allem Überschriften und Teaser. Was dort nicht aufgeklärt wird, ist in der Regel verloren.

Deutsche Medien haben das noch immer nicht gelernt, wie sich an zahllosen Beispielen zeigen lässt. In Bezug auf den polnischen Präsidenten Duda, der zur antidemokratischen Partei PiS gehört, schrieb die „Tagesschau“ im Januar 2024: „Duda warnt vor ,Terror der Rechtsstaatlichkeit‘“, ganz so, als ob das eine völlig rationale Warnung sei. Rechte Parolen gehören nicht unwidersprochen in Überschriften.

Weil Trump seine Forderungen und Behauptungen schneller von sich gibt, als Zeitungen erscheinen, hat sich in den USA ein Live-Fact-Checking von Trump etabliert, bei dem seine Aussagen etwa während öffentlicher Debatte in Echtzeit auf Online-Plattformen widerlegt werden. Das ist deutschen Versuchen des Fact-Checking weit überlegen.

Die ARD-Talkshow „Maischberger“ zum Beispiel veröffentlicht am Tag nach einer Sendung eine Textseite, auf der sie die Richtigkeit der Aussagen ihrer Gäste (darunter viele AfD-Politiker) überprüft. Ein bestürzend sinnloser Nachklapp, denn während die Fernsehsendung regelmäßig von mehr als einer Million Menschen verfolgt wird, erreicht der Onlinetext nur einen winzigen Bruchteil von ihnen. So können AfD-Politiker in der Sendung viele Falschaussagen von sich geben, die im Format nicht live korrigiert werden, der Online-Faktencheck gerät zum Feigenblatt für die Redaktion. Viel sinnvoller als ein nachträglicher Faktencheck wäre es, Lügenschleudern aus der AfD einfach nicht mehr einzuladen.

Dass die AfD mit ihren Pressemitteilungen auch immer wieder Mainstreammedien erreicht, zeigt etwa eine Meldung auf tagesschau.de im August 2023. Im Hessischen Landtagswahlkampf vermeldete ein AfD-Abgeordneter, die „linke Antifa“ habe Privatadressen von AfD-Landtagskandidaten geleakt. Die Nachricht vermeldete zunächst der rechte Kampagnen-Blog „Nius“ von Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt, anschließend die Öffentlich-Rechtlichen. Und die zitierten dann unkommentiert absatzweise die AfD-Politiker, darunter auch mit diesem Satz: „Das dröhnende Schweigen der selbst erklärten ,demokratischen Parteien‘ ist ein schäbiges Messen mit zweierlei Maß.“ Die AfD behauptet, die demokratischen Parteien seien nicht demokratisch – und tagesschau.de gibt das einfach so wieder.

Die Medien sind so der Strategie der Rechtsextremisten ausgeliefert, die die Öffentlichkeit mit Mist überschwemmen wollen – in den Worten von Donald Trumps früherem Berater Steve Bannon: „Flooding the zone with shit“. Teil dieser Problematik sind auch Zitatkacheln- und -videos von Politiker*innen in sozialen Medien. Die „Tagesschau“ postet auf ihren Kanälen beispielsweise immer wieder Zitate auch von AfD-Politikern, die ohne Einordnung letztlich auch aus Partei-Pressemitteilungen stammen könnten. Das bringt zwar Klicks, aber gerade die Öffentlich-Rechtlichen sollten wissen, dass das alleine kein sinnvolles Kriterium für Journalismus sein kann.

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Jens Spahn: Der Forderungsjournalismus muss sterben!

2. Mai 2025 - 9:36

Der CDU-Oppositionspolitiker Jens Spahn stellt immer wieder Forderungen. Und immer wieder melden Medien das, oft ohne Einordnung. Dabei ist das in der Regel erst mal keine Nachricht, wenn ein Politiker etwas fordert – vor allem, aber nicht nur, wenn diese Person Jens Spahn ist.

Durch ihre Anfälligkeit für spektakuläre Bilder und spektakuläre Aussagen werden Medien immer wieder zu Mitverantwortlichen bei der Verrohung des öffentlichen Diskurses. In diesem Zusammenhang müssen wir über Jens Spahn reden. Der neue CDU-Fraktionschef stellt immer mal wieder Forderungen. Das passiert auffallend häufig. Wirklich, googeln Sie mal „Jens Spahn fordert“.

Alleine in dem politisch relativ ruhigen Zeitraum zwischen Mitte Dezember 2023 und Mitte Januar 2024 schaffte es Jens Spahn mit acht (!) verschiedenen Forderungen in die Schlagzeilen überregionaler, reichweitenstarker Medien: Jens Spahn fordert, die Finanzierung von Moscheen über eine deutsche Stiftung zu regeln; Jens Spahn fordert längere Arbeitszeiten für Arbeitnehmer; Jens Spahn fordert, das Bürgergeld abzuschaffen; Jens Spahn fordert, die Rente mit 63 abzuschaffen; Jens Spahn fordert, die Verfassung zu ändern, um noch drastischere Vollsanktionen gegen manche Bürgergeld-Empfänger durchzusetzen; Jens Spahn fordert, überirdische Stromleitungen zu ermöglichen; Jens Spahn fordert, Abschiebungen zu verstärken; Jens Spahn fordert, Fraktionszwang im Bundestag bei manchen Fragen abzuschaffen. Und das alles in weniger als einem Monat und trotz Weihnachten!

Forderungen kommen Spahn offenbar leicht über die Lippen. In Bezug auf die anvisierten Vollsanktionen für Bürgergeld-Empfänger*innen forderte Spahn beispielsweise, notfalls die Verfassung zu ändern, da noch schärfere Sanktionen wie die dauerhafte Entziehung der kompletten Grundsicherung laut Bundesverfassungsgericht gegen die Verfassung verstoßen.

Das Gericht urteilte allerdings auf Basis von Artikel 1 und Artikel 20 des Grundgesetzes, also der Garantie der Menschenwürde und der Verfasstheit der Bundesrepublik als demokratischem und sozialem Staat, die Teil der Ewigkeitsklausel sind. Was Spahn konkret daran ändern wollte, bleibt erst mal sein Geheimnis. Seine Forderung lässt sich dennoch als Angriff auf die Verfassung verstehen.

Aber nehmen wir uns mal eine Forderung von Spahn vor, die er im Oktober 2023 äußerte und die das ZDF handbuchartig schlecht vermeldete: Spahn hatte in einem Interview gefordert, dass Deutschland und die EU an den Außengrenzen zur Abschreckung „physische Gewalt“ gegen Migrant*innen einsetzen sollten. Eine schockierende Forderung, die schlicht menschenrechtswidrig ist. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch wurde für ähnliche Forderungen im Jahr 2015 noch stark kritisiert und musste dann zurückrudern.

Sechs Wörter, drei Probleme

Spahn hingegen musste sich für gar nichts entschuldigen. Das ZDF titelte, basierend auf einer Meldung einer Nachrichtenagentur: „Spahn für ,Gewalt‘ bei irregulärer Migration“. Diese Überschrift alleine birgt bei sechs Wörtern schon drei Probleme.

Erstens: Spahn fordert nicht Gewalt bei Migration. Spahn will ja nicht, dass Frontex-Beamte Supermärkte verwüsten, wenn sie mitbekommen, dass es Migration gibt. Spahn befürwortet Gewalt gegen Migrant*innen. Die schüchterne Formulierung des ZDF verschleiert das. Sie entpersonalisiert und macht es der krassen Forderung damit leichter, als salonfähig durchzugehen.

Wie kommt es, dass das ZDF sich nicht traut, die Forderung von Spahn so wiederzugeben, wie sie gemeint war? Die naheliegendste Antwort: Viele Medien haben Angst, als zu alarmistisch wahrgenommen zu werden. Ein weiterer Aspekt: Es tut weh, die Wahrheit auszusprechen. Wenn man schreibt, dass Gewalt gegen Menschen eingesetzt werden soll, spürt man diese Gewalt selbst, sofern man nicht abgestumpft ist. Man sieht Bilder von blutenden Geflüchteten an den EU-Außengrenzen vor dem inneren Auge, Bilder von ertrunkenen Kindern am Strand. Eine Forderung nach Gewalt aufzuschreiben, tut einem selbst weh. Wenn man schreibt, dass es „Gewalt bei Migration“ geben soll, fühle ich weniger. Wenn ich lediglich über „harte Forderungen in der Migrationspolitik“ schreibe, fühle ich gar nichts.

Zweitens: Das ZDF schreibt in der Headline, Spahn fordere Gewalt bei „irregulärer Migration“. Den Begriff nutzt der Rundfunk vermutlich, weil Spahn selbst ihn benutzt. Nur: Was soll das eigentlich sein? Eine klare rechtliche Definition für „irreguläre Migration“ gibt es nicht. Sollte damit jede Form der Migration gemeint sein, die ohne Kenntnis von Behörden stattfindet, fallen damit auch Geflüchtete darunter, die in Deutschland Asyl bekommen – und denen dieses Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention auch gewährt werden muss. Sie haben ein Recht darauf, in Deutschland zu sein. Fordert Spahn also, dass auch ihnen Gewalt angetan werden soll? Dann ist das ein Verstoß gegen die Flüchtlingskonvention. Sollte das dann nicht zur Sprache kommen, in der Überschrift oder wenigstens im Artikel selbst?

Und drittens: Die Forderung wird in keiner Weise eingeordnet. Das ZDF gibt sie ungefiltert wieder, kontextualisiert nichts davon rechtlich oder politisch, bildet keine Kritik daran ab. Sie vermeldet, dass Jens Spahn etwas fordert, als ob das eine Nachricht wert wäre. Eine angemessene Überschrift wäre beispielsweise: „Spahn fordert menschenrechtswidrige Gewalt gegen Menschen auf der Flucht“.

Es gibt noch eine andere Möglichkeit zu erkennen, wie falsch Spahns Forderungen und die Meldung dazu sind. Lassen Sie uns dazu ein Gedankenexperiment machen. Vergessen Sie kurz, was Sie gerade über die Meldung und Jens Spahn gelesen haben, und stellen Sie sich vor, das ZDF hätte die Forderung eines AfD-Politikers vermeldet: „Höcke für ,Gewalt‘ bei irregulärer Migration“. Und im Untertitel: „Björn Höcke (AfD) hat Bundeskanzler Scholz (SPD) und dessen Migrationspolitik kritisiert. Er fordert ein hartes Vorgehen gegen irreguläre Migration.“

Wie fühlt sich das an? Welche Bilder haben Sie spontan im Kopf? Spüren Sie Abscheu, wenn Sie lesen, dass ein Faschist wie Björn Höcke Gewalt gegen Unschuldige auf der Flucht einsetzen will? Und Empörung darüber, dass das vom ZDF einfach kontextlos vermeldet wird? Gut. Dann sollten wir das bei Jens Spahn auch nicht akzeptieren.

Und deswegen fordere ich: Der Forderungsjournalismus muss sterben!

Wenn ein Politiker etwas fordert, ist das in der Regel erst mal keine Nachricht. Vor allem – aber nicht nur – , wenn diese Person Jens Spahn ist. Die Forderung kann zu einer Nachricht werden, wenn dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: wenn die Forderung politisch relevant ist und wenn die fordernde Person bestimmte Kompetenzen im Hinblick auf diese besitzt. Eine Forderung kann auch dadurch politisch relevant sein, dass ein Politiker einer demokratischen Partei eine menschenfeindliche Forderung stellt. In jedem dieser Fälle müssen Forderungen aber eingeordnet und kontextualisiert werden. Das dauert zwar länger und macht eine Meldung möglicherweise nicht exklusiv, aber dafür besser.

„Trump falsely claims“

Einen großen Erfahrungsschatz im Umgang mit rechten Forderungen und anderen Parolen haben Journalist*innen in den USA aufgrund von Donald Trump sammeln müssen. Die Lernkurve war steil und schmerzhaft: Schließlich hatten US-Medien den Aufstieg von Trump wesentlich mitverursacht, indem sie Trumps immer aberwitzigeren Statements und Forderungen 24 Stunden am Tag live sendeten. Niemand im US-Wahlkampf war so oft in den Medien präsent wie Trump – und zwar in der Regel ohne kritische Einordnung (oder sie ging im Getöse unter).

In Trumps Regierungszeit lernten Medien wie die „Washington Post“, dass reine Verkündungen von Forderungen Billig-PR sind und kein Journalismus. Forderungen sollten immer auch von Top-Politiker*innen direkt kritisch und prominent eingeordnet werden. Anstatt wie noch zu Beginn seiner Kandidatur jede Aussage von Trump ohne Einordnung zu vermelden, hat sich inzwischen etabliert, Richtigstellungen zu Trumps Aussagen direkt in die Headlines zu setzen. „Trump falsely claims“ – Trump behauptet zu Unrecht – ist inzwischen quasi ein eigenes Genre des US-Journalismus geworden.

„Politiker fordert fälschlicherweise“, „Politiker behauptet zu Unrecht“ – das sollten auch deutsche Medien in ihre Überschriften schreiben. Denn die meisten Menschen lesen auf sozialen Medien und Startseiten von Online-Medien eben vor allem Überschriften und Teaser. Was dort nicht aufgeklärt wird, ist in der Regel verloren.

Deutsche Medien haben das noch immer nicht gelernt, wie sich an zahllosen Beispielen zeigen lässt. In Bezug auf den polnischen Präsidenten Duda, der zur antidemokratischen Partei PiS gehört, schrieb die „Tagesschau“ im Januar 2024: „Duda warnt vor ,Terror der Rechtsstaatlichkeit‘“, ganz so, als ob das eine völlig rationale Warnung sei. Rechte Parolen gehören nicht unwidersprochen in Überschriften.

Weil Trump seine Forderungen und Behauptungen schneller von sich gibt, als Zeitungen erscheinen, hat sich in den USA ein Live-Fact-Checking von Trump etabliert, bei dem seine Aussagen etwa während öffentlicher Debatte in Echtzeit auf Online-Plattformen widerlegt werden. Das ist deutschen Versuchen des Fact-Checking weit überlegen.

Die ARD-Talkshow „Maischberger“ zum Beispiel veröffentlicht am Tag nach einer Sendung eine Textseite, auf der sie die Richtigkeit der Aussagen ihrer Gäste (darunter viele AfD-Politiker) überprüft. Ein bestürzend sinnloser Nachklapp, denn während die Fernsehsendung regelmäßig von mehr als einer Million Menschen verfolgt wird, erreicht der Onlinetext nur einen winzigen Bruchteil von ihnen. So können AfD-Politiker in der Sendung viele Falschaussagen von sich geben, die im Format nicht live korrigiert werden, der Online-Faktencheck gerät zum Feigenblatt für die Redaktion. Viel sinnvoller als ein nachträglicher Faktencheck wäre es, Lügenschleudern aus der AfD einfach nicht mehr einzuladen.

Dass die AfD mit ihren Pressemitteilungen auch immer wieder Mainstreammedien erreicht, zeigt etwa eine Meldung auf tagesschau.de im August 2023. Im Hessischen Landtagswahlkampf vermeldete ein AfD-Abgeordneter, die „linke Antifa“ habe Privatadressen von AfD-Landtagskandidaten geleakt. Die Nachricht vermeldete zunächst der rechte Kampagnen-Blog „Nius“ von Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt, anschließend die Öffentlich-Rechtlichen. Und die zitierten dann unkommentiert absatzweise die AfD-Politiker, darunter auch mit diesem Satz: „Das dröhnende Schweigen der selbst erklärten ,demokratischen Parteien‘ ist ein schäbiges Messen mit zweierlei Maß.“ Die AfD behauptet, die demokratischen Parteien seien nicht demokratisch – und tagesschau.de gibt das einfach so wieder.

Die Medien sind so der Strategie der Rechtsextremisten ausgeliefert, die die Öffentlichkeit mit Mist überschwemmen wollen – in den Worten von Donald Trumps früherem Berater Steve Bannon: „Flooding the zone with shit“. Teil dieser Problematik sind auch Zitatkacheln- und -videos von Politiker*innen in sozialen Medien. Die „Tagesschau“ postet auf ihren Kanälen beispielsweise immer wieder Zitate auch von AfD-Politikern, die ohne Einordnung letztlich auch aus Partei-Pressemitteilungen stammen könnten. Das bringt zwar Klicks, aber gerade die Öffentlich-Rechtlichen sollten wissen, dass das alleine kein sinnvolles Kriterium für Journalismus sein kann.

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