Die Ideologie des "Positiven Denkens"

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Peter Weber
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Die Ideologie des "Positiven Denkens"
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Bitte lächeln !

»Versuchen Sie, ein positiver, fröhlicher, heiterer Mensch zu sein. Seien sie optimistisch, und ermutigen Sie andere. Seien Sie fröhlich und locker. Legen Sie sich eine Ausstrahlung zu, von der andere sich angezogen fühlen. Egal, wie es in Ihrem Privatleben aussieht, lassen Sie es die Kunden nicht spüren.«

- Brian Tracy, Verkaufsstrategien für Gewinner –

 

Lächeln gehört zum Geschäft. Lächeln ist Geschäft. Mit Lächeln macht man Profite, lockt Kunden an, gibt ihnen ein gutes Gefühl. Lächeln ist ein immanenter Bestandteil der Verkaufsstrategie, der Werbung. Eine Maßnahme, die Geld in die Taschen der Profitmacher spülen soll. Lächeln ist hier nicht nur künstlich, kalt und unehrlich, sondern verbirgt die Fratze des Kapitalismus: Egoismus, Gier und Profitdenken. Der zwischenmenschliche Mechanismus der Anziehung und Sympathie wird instrumentalisiert, zur Ware degradiert. Ob Versicherungsvertreter, Bankangestellte oder Kassierer – sie alle sollen ein »freundliches Auftreten« an den Tag legen und möglichst viel lächeln.

Lächeln ist Ausdruck von Lebensfreude, Fröhlichkeit, Zufriedenheit oder sogar Glück. Lächeln ist ein Stimulus, dass auf äußerliche Eindrücke Bezug nimmt. Lächeln ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Der kapitalistische Verwurstungswahnsinn pervertiert es zum Verkaufsargument. Lächeln ist hier nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Überall wo verkauft wird oder wo Lohnarbeiter mit Menschen zu tun haben, wird von ihnen verlangt, freundlich zu sein, zu lächeln. Lächeln als Zwang, als Anzug, als Anordnung, als Maske und als Lüge.

Psychologen der Frankfurter Universität haben herausgefunden, daß zwanghaftes Dauerlächeln sogar zu Depressionen führen kann, wenn man sein wirkliches Wohlbefinden unterdrückt. Vielmehr darf der Lohnarbeiter kein Mensch sein, dem es auch mal nicht gut geht oder der schlechte Laune hat. Nein, er muß einem Roboter gleich funktionieren, soll immer gut drauf sein, freundlich lächelnd auf Menschen eingehen können. So kann der Profit vermehrt werden. Wer seinen wahren, echten Gefühlen freien Lauf lässt, wird auf Dauer für viele Unternehmen zum Problem.

Wer über hundert mal am Tag seinen Kunden ein »schönes Wochenende« wünscht und sie anlächelt, legt sich ein zweites Gesicht zu, ein Image, eine Pseudo-Emotionalität, um nicht verrückt zu werden und um nicht an soviel künstlich erzeugter positiver Energie zu ersticken

 

Positives Denken als Schmiermittel der Unterwerfung oder Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt

 

 

 

Empfehlenswertes Buch von Barbara Ehrenreich "Smile Or Die".

  


positives Denken als Adaptionshilfe

Man kann davon ausgehen, daß die Attraktivität des positiven Denkens in Deutschland vor allem durch die marktradikale Wirtschafts- und Sozialpolitik verursacht wird. Die wirtschafts-

liberale Reorganisation und Umwälzung der Gesellschaft im Namen von Deregulierung, Privatisierung und mehr Eigenverantwortung benötigt für die darunter leidenden Seelen das positive Denken als ein herrschaftssicherndes Schmiermittel.

Das positive Denken wird schließlich als eine vermeintliche Universalmethode zur Lösung seelischer und sozialer Probleme und körperlicher Erkrankungen angepriesen, mehr noch, es soll zu einem andauernden Glück und Reichtum führen.

„Das positive Denken eignet sich gut als Rechtfertigung für die brutalen Züge der Marktwirtschaft. Wenn der Schlüssel zu wirtschaftlichem Erfolg Optimismus ist, und wenn man sich eine optimistische Haltung durch die Methode des positiven Denkens aneignen kann, gibt es fürs Scheitern keine Entschuldigung mehr. Die Kehrseite der Positivität ist daher ein hartnäckiges Insistieren auf der persönlichen Verantwortung: Wenn dein Geschäft zusammenbricht oder deine Stelle wegrationalisiert wird, muss es daran liegen, dass du dich nicht genügend angestrengt, dass du nicht fest genug an deinen unausweichlichen Erfolg geglaubt hast."(Barbara Ehrenreich)

Der Einzelne muss sich hierbei als Selbst-Unternehmer begreifen: "Sein Körper, sein Geist und seine Seele sind sein Kapital, und seine Lebensaufgabe besteht darin, dieses vorteilhaft zu investieren, einen Profit aus sich zu ziehen. Menschliche Eigenschaften wie Freundlichkeit, Höflichkeit und Güte werden zu Gebrauchswaren, zu Aktivposten des >Persönlichkeitspakets<, die zu einem höheren Preis auf dem Personalmarkt verhelfen. Gelingt es jemanden nicht, sich gewinnbringend zu investieren, so hat er das Gefühl, dass er ein Versager ist; ist er erfolgreich, so ist es sein Erfolg." (Erich Fromm)

Infolgedessen werden die positiv Denkenden die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr hinterfragen, sondern als unveränderliche und unbeeinflussbare Begebenheiten voraussetzen, denen man sich nicht nur optimistisch zu unterwerfen, sondern an denen man sich erfolgreich zu bewähren hat, in dem man das positive Denken unbeirrt praktiziert.

Positives Denken führt deswegen nicht nur zu einer neuen, zwanghaften wie realitätsverzerrenden Innerlichkeit und zur sektenhaften Weltentfremdung, sondern vor allem zur Entpolitisierung und Entsolidarisierung der Menschen und deshalb zu einer Verschärfung des inzwischen allgegenwärtigen kapitalistischen Konkurrenzprinzips auf der einen und auf der anderen Seite zu einer Naturalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die nun als unveränderlich gelten. Kritik, Revolten, Widerstand, politische und solidarische Gegenwehr gegenüber den eingerichteten Verhältnissen sind damit hinfällig und antiquiert. Politische Alternativen gibt es nicht mehr.

Positives Denken ist deswegen zu einer riskanten Sinnprothese nicht nur für Menschen geworden, die an diesen verrückt gewordenen kapitalistischen Verhältnissen leiden und deshalb nach einer einfachen Adaptions- und Lösungshilfe suchen, sondern auch für die politisch Erschöpften und Resignierten, die keine Möglichkeit mehr sehen, dass eine grund-

legende und rasche Änderung in Politik und Gesellschaft machbar ist. Soweit lässt sich festhalten, dass das positive Denken nicht nur krank macht, sondern einen wichtigen Beitrag zur Legitimation und Zementierung des neoliberalen Status quo leistet.



positives Denken als Unterwerfungsmittel

Für die heutige Machtelite, die ihre neoliberale Politik durchsetzen und absichern will, ist es lohnend, wenn sie ihren Herrschaftsunterworfenen das positive Denken aufzwingt, in dem sie es fördert und finanziert: In den Händen der Arbeitgeber ist das positive Denken zu einem Mittel sozialer Kontrolle am Arbeitsplatz geworden, zum Ansporn, immer höhere Leistungen zu bringen. "Mit der Motivation als Peitsche wurde positives Denken zum Kennzeichen des fügsamen Angestellten schlechthin" (Barbara Ehrenreich).

Das positive Denken ist nicht nur zu einem weltweiten "Werkzeug der Unterdrückung"  geworden, das die Menschen zur beständigen "Wartungsarbeit am Ich"  zwingt, sondern beflügelte auch den Finanzsektor, weshalb die dortigen Akteure nicht nur an Selbstüberschätzung, sondern auch einen weitgehenden Realitäts- und Urteilsverlust erlitten "Aber was war dieser Marktfundamentalismus anderes als aus dem Ruder gelaufenes positives Denken?" (Zitate alle von Barbara Ehrenreich).

Schon vor langer Zeit machte der Philosoph Günther Anders auf den totalitären Anspruch des ominösen Wortes Positiv aufmerksam, als er ausführte:

"Sei misstrauisch, wenn deine Nachbarn die Gewohnheit annehmen, vom Positiven zu sprechen. Und noch misstrauischer, wenn sie beginnen, dieses Wort salbungsvoll auszusprechen. Die Funktion dieses Wortes besteht ausschließlich darin, das, was ist, zu sanktionieren. Kritik wird stets als negativ verstanden und damit diffamiert. Der Ausdruck ist der Vorbote des Terrors, und wer ihn in den Mund nimmt, der lockert immer bereits seinen Revolver." (Günter Anders)

Aber:  Hier soll nicht das Wort gegen jede Art von positivem Denken gesprochen werden. Sofern die positive von innen her aufbauend wirkt, dann ist sie zu unterstützen (siehe Thema „Individualpsychologie/Eigenmotivation)

 

Peter A. Weber

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Ludwig der Träumer
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Verbunden: 13.12.2012 - 16:25
Positives Denken als moderne Religion

 

Positives Denken als moderne Religion


Die Idee des ‚positive Denken‘ ist sicher so alt, wie die Religionen. Es gab schon immer clevere Zeitgenossen, die das Volk zu ihren eigenen Vorteil konditionieren konnten. Nur mit einem Unterschied zu Heute. Im Angesicht des Schweißes (hatte fast das w vergessen) sollst du dein Brot verdienen, dann wird dir das Paradies nach dem Tod zuteil. Früher Hallejulia, heute Tschacka Tschacka, du schafft es. Die alten Prediger aller Religionen waren sicher cleverer als die modernen Prediger des Materialismus. Hatte doch ihre Botschaft beim Pöbel lange Zeit ehrfürchtig bis zum Tod angehalten. Die harte Arbeit auf dem Feld oder beim Bau der Kathedralen ließ keine Zeit für Depressionen. Die Welt war noch einfach gestrickt. Hier die ‚Oben‘, dort die ‚Unten‘. Ein Austausch oder Vermischung war so gut wie ausgeschlossen. Es rumorte hie und da. Manch Einer des Pöbels erkannte die Ungerechtigkeiten und beschwerte sich. Wenn er es intelligent anging wurde er zum Hofnarren umgepolt. Die anderen Beschwerdeführer endeten direkt im Paradies. Die moderne Form der Hofnarren sind die Kabarettisten. Oder, wie ich manchmal denke, wir Blogger.

Mit der Aufklärung fiel die wortgewaltige Macht der alten Prediger langsam in sich zusammen. Die Blüte der Märchen begann. Es ist sicher kein Zufall, daß die Gebrüder Grimm vor 200 Jahren eifrig Märchen für die Nachwelt sammelten. Münchhausens Lügengeschichten dürfte die Grundlage für das heutige ‚positive Denken‘ sein (sich mit dem eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen oder yes we can). Ich liebe Märchen. Versprechen sie mir die mögliche Wende meines bescheidenen mühsamen Lebens noch Diesseits, wenn ich nur daran glaube. Meine Lieblingsfee ist die Lottofee, die mich hoffentlich am nächsten Samstag küßt. Das letzte Märchen dürfte heute von Rosamunde Pilcher im Fernsehen laufen.

Jeder kann materiellen Wohlstand erreichen und sofort glücklich werden, wenn nur genügend positiv denkt. Die Vermählung Unten mit Oben ist dadurch auch möglich. Wenn auch nur mit einer besonders hübschen jungen Dame von Unten, spielt für die weitere Betrachtung keine Rolle. Über die Esoteriker wurde diese Erkenntnis wesentlicher Bestandteil der heutigen Religion. Nennen wir sie Materialismus. Die Prediger sitzen heute nicht mehr in den Kirchen, sondern in den großen Werbeagenturen, die uns sogar das Kloputzen als Glücksgefühl einbleuen. Christus ist endgültig gegen Meister Propper ausgetauscht.

Die Glaspaläste und Shopping Malls haben die alten Kathedralen und Sandsteinpaläste abgelöst. Das Paradies ist in das Jetzt verlagert. Die alte Religion machte ihre größte Wandlung durch. Sie wurde reduziert auf sentimentale Reden beim Begräbnis. Für den Beistand bei der Hochzeit taugt sie manchmal auch noch.

Die Schulen versagen ebenfalls. Versprechen sie grundsätzlich ein besseres Leben in der Zukunft, wenn man nur eine entsprechende Programmierung zuläßt. Den alten Religionen und den Schulen ist gemeinsam, daß sie nur Gutes für die Zukunft predigen. Das Hier und Jetzt wird nicht gepflegt. Es ist daher ein Leichtes für die moderne Religion Materialismus, hier einzukeilen und dem im Jetzt entwurzelten Menschen einen Nährboden zu liefern. Es waren schnell moderne Prediger zugange, die dem sinnfreien Jetzt Fülle versprachen. Daß dieser Nährboden sich bald zu einer Müllhalde entwickelte, deprimierte immer mehr Menschen. Sich selbst mit dem Schopf aus dem Sumpf ziehen, war doch schon mal in einem Märchen angedacht. Beinhaltet es doch alles, was der moderne Mensch an Geisteskraft zum glücklich sein braucht. Positives Denken ist angesagt, um überhaupt auf die irrsinnige Idee zu kommen, sich selbst aus einer ausweglosen Situation zu befreien. Sich gegenseitig helfen war gestern. Man schafft es allein mit der richtigen Einstellung. Erst einmal das begriffen, bedarf es keiner sich gegenseitig stützender Gemeinschaft mehr. Jeder Einzelne ist seines Glückes Schmid. Die Abkehr von der sich gegenseitig verpflichtenden Großfamilie ist daher eine logische Konsequenz. Daß er dabei immer einsamer wurde und sich oft sinnentleert vorkam, bemerkte er zunächst nicht. Um nicht verrückt zu werden, mußte ein neuer Sinn des Lebens gefunden werden. Die Psychologen sitzen inzwischen in den Werbeagenturen, die  ‚hier wirst du geholfen‘ verkünden. Das glückliche Leben holt man sich dann mit deren Rezept in der Shopping Mall ab, mit oft fatalen Nebenwirkungen. Als erstes bekommt der Geldbeutel Schwindsucht. Mit großer Anstrengung muß diese Krankheit bekämpft werden. Dafür gibt es spezielle Trainer und Berater, die sich oft im nebeligen Esoterikfeld tummeln. Positives Denken und immer gut drauf mit einem Lächeln, verkaufen diese als wesentliches Erfolgsrezept  gegen diese Krankheit. Eine Bestellung beim Universum soll bei fortschreitendem Dahinsiechen des Geldbeutels besonders gut helfen.

Ausgerechnet die Esoterikszene, die sich vom Materialismus und den alten Predigten befreien wollte, hat das ‚positive Denken‘ als Diener des Turbokapitalismus vorangetrieben. Yes, we can. Wer da nicht mehr mit kann und abstürzt, ist selbst schuld. Dem sei zur Heilung eine Hartz4-Kur empfohlen.

Möge sich das götzenhafte positive Denken 2013 in menschliche Zuversicht verwandeln und das verzerrte Lächeln in einen Ausdruck menschlicher Zuneigung.
 

Die Hölle ist überwindbar. (Hermann Hesse)

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Positives Denken als Antagonismus zum Träumen

 

Positives Denken als Antagonismus zum Träumen


In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen meiner eigenen Beiträge zu dieser Thematik "Die Ideologie des Positiven Denkens". Ludwig der Träumer findet daher meine volles Verständnis zu seinen Ausführungen. Die Relevanz von Träumen und Utopien für ein sinnvolles Leben und eine evolutionäre Fortentwicklung ist (zumindest von mir) unbestritten und im KN schon oft dargelegt worden. Positives Denken im hier erörterten Sinne ist jedoch im Gegensatz zum lebenswichtigen Schlaftraum und einem konstruktiven Träumen, das zukunftsgerichtet ist und das Imaginationsvermögen anspricht, ein destruktives Konstrukt und Mittel zum Zweck, den Menschen einzuschläfern und zu verdummen.

Beispiele für die neoliberale Strategie, positives Denken als demagogische Waffe gegen den Menschen zu verwenden, sind die jüngsten Versuche unserer höchsten Staatsrepräsentanten, uns mit Hilfe ihrer Weihnachts- und Neujahrslügen über die wahren Zustände zu täuschen und uns zur Untätigkeit zu bewegen, damit wir diese Dilettanten nicht dahin jagen, wo der Pfeffer wächst. Ihr eigenes Versagen wird ausgeblendet und noch als Gipfel der Unverschämtheit als Erfolg verkauft, die bestehenden Verhältnisse werden schön geredet, verhängnisvolle Entwicklungen und deren Lösungsmöglichkeiten ignoriert und rosige Zukunftaussichten werden versprochen, ohne zu erwähnen, daß dafür nur erhebliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwälzungen die Bedingung wären.

Auch die Weihnachtsansprache des Papstes, die ich mir angetan habe, paßt genau in dieses Muster. Außer rhetorisch-theologischen Verschwurbelungen und schwammigen Appellen enthält dieses Pamphlet nichts, womit die Welt oder der einzelne Mensch etwas anfangen kann. Die Aufdeckung der Ursachen für die unhaltbaren weltweiten Miseren und Ungerechtigkeiten und die Nennung von Roß und Reiter, also der bekannten Verantwortlichen, kommt dem Throninhaber nicht in den Sinn. Dafür ist er zu feige und/oder zu abgehoben - wahrscheinlich ist er bereits in den Lift zum Himmel eingestiegen.

 

Peter A. Weber

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