Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina (PETRA WILD)

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Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina (PETRA WILD)
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Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina

 - Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat


Autor:  Petra Wild

Verlag:  Promedia, Wien (13. März 2013) – zur Verlagsseite

ISBN-13:  978-3-85371-355-6

broschiert, 240 Seiten mit 5 Landkarten, 15,90 Eur[D] / 15,90 Eur[A] / 22,90 CHF

Über die Palästina-Frage scheint schon alles gesagt. Das Buch von Petra Wild beweist das Gegenteil. Es orientiert sich an den neuesten Erkenntnissen der Kolonialismus- und Genozidforschung, die den Zionismus als eine Form des europäischen Siedlerkolonialismus ausweisen.

Nach einer Einführung in den Ursprung des palästinensisch-israelischen Konflikts und den exklusiv ethno-religösen Charakter des Staates Israel wird in diesem Werk detailliert auf die israelische Politik gegenüber den Palästinensern innerhalb der Grenzen Israels und in den 1967 besetzten Gebieten eingegangen. Diese wird von israelischen, palästinensischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen wie auch von UN-Organisationen immer wieder als Apartheid angeprangert.

Da der zionistische Siedlerkolonialismus anders als der südafrikanische nicht auf die Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung als billige Arbeitskräfte, sondern auf deren möglichst vollständige Ersetzung durch die Siedlerbevölkerung zielt, ist die schleichende ethnische Säuberung neben der Apartheid das Hauptmerkmal der zionistischen Kolonialpolitik. Wie diese Politik in der Praxis aussieht, wird in einzelnen Kapiteln über die Ghettoisierungspolitik in der Westbank, die ethnische Säuberung des Jordantals, die Gewalt der kolonialen Siedler sowie die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung und die Zerstörung der historischen Stadt Jerusalem dargelegt.

Dass es dennoch einen Silberstreif am Horizont gibt, zeigt das Abschlusskapitel zur Debatte über die Ein-Staat-Lösung, wie sie unter Palästinensern, antizionistischen Israelis und Aktivisten der internationalen Solidaritätsbewegung geführt wird. Angestrebt wird die Errichtung eines demokratischen säkularen Staates auf dem Boden des historischen Palästinas, in dem muslimische, christliche und drusische Palästinenser sowie jüdische Israelis auf der Basis von gleichen Rechten zusammenleben. Der seinem Anspruch nach exklusiv jüdische Staat Israel soll durch einen multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen ersetzt werden. Die Ein-Staat-Lösung würde nicht nur den Palästinensern ihre von der UNO anerkannten Rechte auf Selbstbestimmung, Rückkehr und Entschädigung garantieren, sondern auch die jüdisch-israelische Bevölkerung von ihrem Status als Kolonialherren befreien.


Inhaltsverzeichnis:


Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 7

Der Ursprung des Konflikts: Zionistischer Siedlerkolonialismus und die ethnische Säuberung 1947/1948 . . . . . . . . . . . . . . . 11

Ethnokratie, Apartheid und ethnische Säuberung . . . . . . . . . . . . . . . 21

Die gläserne Mauer: Segregation und Ausschluss der Palästinenser innerhalb der Grünen Linie . . . . . . . . . . . . . . . 33

Vertreibung, Landraub und Zerstörung der einheimischen Kultur innerhalb der Grünen Linie am Beispiel des Naqab/Negev . . . . . . . . . . . . . . . 55

Rassismus in der jüdisch-israelischen Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . 73

Die israelische Kolonialpolitik in den 1967 besetzten Gebieten vor und nach den Oslo-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . 91

Gettoisierung, Enteignung und schleichende Vertreibung der Palästinenser in der Westbank . . . . . . . . . . . . . . . 111

Die ethnische Säuberung des Jordantals . . . . . . . . . . . . . . . 125

Die Funktion der Siedler: Landraub und Terrorisierung der einheimischen Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . 141

Ethnische Säuberung und Zerstörung der historischen Stadt in al-Quds/Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . 159

Die Blockade des Gazastreifens und die Genozid-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . 183

Demokratischer säkularer Staat statt Apartheid und ethnischer Säuberung . . . . . . . . . . . . . . . 209

Literaturliste . . . . . . . . . . . . . . . 223

Landkarten . . . . . . . . . . . . . . . 233
 



► 1. Leseprobe: Einleitung


Die Realität in Palästina wird besonders in Deutschland verdeckt durch einen dichten Schleier aus Desinformation und Manipulation. Durch ständige Wiederholung werden im Bewusstsein der Öffentlichkeit bestimmte Verknüpfungen und Konnotationen hergestellt: Dass Israel der Staat der Überlebenden des Holocausts sei; dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten sei; dass Israel ein bedrohter und belagerter Staat in einer feindlichen und zivilisatorisch rückständigen Region sei; dass die Araber und Muslime Israel ablehnten, weil der Islam eine repressive und barbarische Religion und/oder die arabische Kultur in vormodernen Strukturen gefangen sei; dass Israel nach Frieden strebe, während Palästinenser, Araber und Iraner Israel vernichten wollten; dass jeder israelische Krieg per definitionem nur der Selbstverteidigung diene und Israels Recht auf Selbstverteidigung sakrosankt sei, ebenso dessen Anspruch, ein exklusiv jüdischer Staat sein zu wollen. Die immer gleichen propagandistischen Versatzstücke prägen die Reaktionsmuster der Öffentlichkeit, die sich oftmals in eingeübten Reflexen auf gegebene Reize erschöpfen.

Sobald es um Israel geht, wenden auch kritische Köpfe völlig andere Kriterien an als auf andere Staaten. Während es in den 1980er Jahren selbstverständlich war, den Apartheidstaat Südafrika zu boykottieren, wird die Apartheidpolitik Israels als zulässig betrachtet, da dieses seinen jüdischen Charakter bewahren müsse. Je nach politischer Vorliebe solidarisieren sich viele mit der baskischen Minderheit in Spanien oder der tibetischen in China, die Unterdrückung der palästinensischen Minderheit in Israel wird jedoch geflissentlich übersehen. Die antideutsche Linke, die alle Nationalstaaten eifrig bekämpft, glorifiziert gleichzeitig den Nationalstaat Israel. Jeder andere Staat, der im 21. Jahrhundert darauf bestünde, der exklusive Staat einer bestimmten Religionsgemeinschaft zu sein, würde als fundamentalistisch verurteilt. Jeder andere Staat, der ein System von nach Ethnien getrennten Wohngebieten und Straßen unterhielte, würde als rassistischer Staat verurteilt. In Bezug auf Israel jedoch scheint es eine Immunisierung des Denkens zu geben, die verhindert, dass die Realität so wahrgenommen werden kann, wie sie ist. Die außerordentlich brutale israelische Kolonial- und Kriegspolitik und der beharrliche Widerstand der Palästinenser dagegen haben allerdings in den vergangenen zehn Jahren in den meisten westlichen Ländern dazu geführt, dass der Schleier zerrissen wurde und die Dinge beim Namen genannt werden. Hierzulande jedoch ist die Auseinandersetzung mit der Palästina-Frage von einer bemerkenswerten Rückständigkeit gekennzeichnet. Die Solidaritätsbewegung ist schwach, die internationale Kampagne zu Boykott, Desinvestment und Sanktionen gegen Israel beginnt erst langsam sich zu entwickeln. In der Palästina-Frage gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen rechten und linken Parteien und Organisationen. Die Sicherheit Israels ist von der Bundesregierung zur Staatsräson erklärt und das Existenzrecht Israels von der Linkspartei ins Parteiprogramm geschrieben worden. Die außerparlamentarische Linke, die sich als antifaschistisch versteht, überholt die herrschenden Parteien von rechts und vertritt teilweise ähnliche Positionen wie die Partei »Die Freiheit«, »politically-incorrect« und andere rechte rassistische Strömungen. Die wenigen kritischen Stimmen, die es gibt, werden regelmäßig mittels inszenierter Antisemitismusvorwürfe zum Schweigen gebracht, Veranstaltungen, die nicht die offizielle israelische Linie wiedergeben, immer wieder verhindert.  

Entscheidend für das Gelingen der fortwährenden Manipulation der Öffentlichkeit ist die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfes. Zionisten innerhalb und außerhalb Israel bezeichnen auch Antizionismus und Kritik an der Politik des Staates Israel als Formen des Antisemitismus. In den Metropolen wurde dieser Ansatz in den letzten Jahren aufgegriffen, und wenn heute von Antisemitismus die Rede ist, ist meist Israelkritik oder Antizionismus gemeint. Beides sind jedoch grundverschiedene Dinge. Während der Begriff des Antisemitismus den pauschal gegen die jüdische Religionsgemeinschaft gerichteten Rassismus bezeichnet, ist Antizionismus eine politische Position, die im Kern in der Ablehnung der Vertreibung, Enteignung und Entrechtung der Palästinenser und eines exklusiven jüdischen Staates in einem multiethnischen, multireligiösen Land besteht. Welche Theorien in Umlauf gebracht, gefördert werden und sich durchsetzen können, hängt in nicht geringem Maß von den ideologischen Interessen der Herrschenden ab. Theodor W. Adorno hat das bereits in den 1960er Jahren pointiert formuliert: »Über das, was wahr und was bloße Meinung, nämlich Zufall und Willkür sein soll, entscheidet nicht, wie die Ideologie es will, die Evidenz, sondern die gesellschaftliche Macht, die das als bloße Willkür denunziert, was mit ihrer eigenen Willkür nicht zusammenstimmt.« 1

Um der permanenten Manipulation etwas entgegenzusetzen, hatte ich ursprünglich vor, ein Buch über die israelische Apartheidpolitik und die Ein-Staat-Lösung zu schreiben. Bei meinen Studien stellte sich jedoch heraus, dass die israelische Politik gegenüber den Palästinensern sich nicht auf Apartheid beschränkt, sondern auch systematische ethnische Säuberungen einschließt. Der antizionistische Israeli Moshe Machover lehnt die Verwendung des Apartheidbegriffs sogar als Verharmlosung ab, da der Kern israelischer Kolonialpolitik die ethnische Säuberung sei. Im Gegensatz zum südafrikanischen Apartheidregime habe Israel kein Interesse an der Ausbeutung der Arbeitskraft der einheimischen Bevölkerung, sondern wolle sich ihrer entledigen. 2 Diese Einschätzung wird von mehreren kritischen Israelis und internationalen Kolonialismus- und Genozidforschern geteilt. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung wurde mir klar, dass die israelische Kolonialpolitik weder durch den Begriff der Apartheid noch durch den der ethnischen Säuberung ausreichend erklärt werden kann, da beide nur Folgen sind, Symptome.

Die Suche nach der Ursache führte mich zur Beschäftigung mit dem Phänomen des Siedlerkolonialismus. In der neueren Kolonialismus- und Genozidforschung werden Israel und dessen Staatsdoktrin, der Zionismus, als solcher behandelt. Der reine Siedlerkolonialismus, für den Israel ein Beispiel ist, strebt danach, die einheimische Bevölkerung durch eine eingewanderte Siedlerbevölkerung vollständig zu ersetzen. Die Grenzen werden stets weiter nach vorne verschoben und die einheimische Bevölkerung auf stets kleiner werdenden Flächen zusammengedrängt, um ihr Land und ihre Ressourcen für die Siedlerbevölkerung freizumachen. Charakteristisch für siedlerkolonialistische Gebilde sind neben territorialer Expansion ein ausgeprägter Rassismus in der Siedlerbevölkerung und die Behauptung, das Land sei menschenleer gewesen, als die Siedler kamen. Die bekanntesten siedlerkolonialistischen Staaten sind die USA, Neuseeland, Australien, Südafrika und Israel. Der Begriff des Siedlerkolonialismus war der Schlüssel, um die Logik, die der Apartheid und ethnischen Säuberung in Palästina zugrunde liegt, verstehen und die konkreten Ausprägungen der zionistischen Kolonialpolitik miteinander in Bezug setzen zu können. So wurde aus einem Buch über die israelische Apartheidpolitik ein Buch über den zionistischen Siedlerkolonialismus in seinen verschiedenen Ausdrucksformen, zu denen – wie in allen siedlerkolonialistischen Staaten – Apartheid, ethnische Säuberung und schleichender Genozid gehören.

Petra Wild,
Berlin, im Januar 2013


1. Adorno, Theodor W., Meinung Wahn Gesellschaft in: Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt/Main 1963, S. 153

2. Machover, Moshe, Is it Apartheid?, News from Within (AIC), Jerusalem, December 2004/January 2005; deutsche Übersetzung von Ellen Rohlfs, Ist es Apartheid? unter - klick hier

 




2. Leseprobe:  das Kapitel "Die ethnische Säuberung des Jordantals"

findet Ihr hier als direkt unter dem Coverfoto – bitte einfach den Anhang anklicken.



Informationen zur Autorin:

Petra Wild wurde 1963 im hessischen Aarbergen (heute ca. 6 000 Einwohner) geboren, studierete im arabischen Jerusalem, in Leipzig und Damaskus Arabistik und später an der Berliner Humboldt-Universität Islamwissenschaft. Sie lebt heute in Berlin und arbeitet als freiberufliche Publizistin, vor allem zur Palästina-Frage und zur Arabischen Revolution.. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist der Palästina-Konflikt, zu dem sie das hier empfohlene Buch veröffentlicht hat. .

Mit diesem Buch, sagt Petra Wild in einem Interview mit SALAM SHALOM  Arbeitskreis Palästina-Israel e.V vom 30.4.2013, habe sie „der permanenten Desinformation und Manipulation rund um die Palästina-Frage“ etwas entgegensetzen wollen. „Es ist“, sagt sie im selben Interview, „meine Aufgabe [als Wissenschaftlerin], Sachverhalte zu analysieren und daraus Erkenntnisse zu formulieren, die ich der kritischen Öffentlichkeit zur Verfügung stelle.“„Ich orientiere mich an der kritischen Theorie [der Frankfurter Schule], und da geht es darum, die Sache selber zum Sprechen zu bringen bzw. durch die … Ebene der Erscheinungen [Phänomene] auf das Wesen der Sache zu kommen. Das Buch ist die Zusammenfassung eines Erkenntnisprozesses, der zu den vorliegenden Ergebnissen geführt hat.“

 

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Rudolf Selbach
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Verbunden: 25.09.2012 - 19:27
"ethnische Säuberung"


Ethnische Säuberung


Der französische Philosoph Vladimir Jankélévitch (1903-1985) schrieb 1971 in seinem Essay "Pardonner?", der auf deutsch unter dem Titel "Verzeihen?" erschien, folgendes:


"Auf unserer Moderne lastet (...) der ungeheure Holocaust wie ein unsichtbares Schuldgefühl, selbst wenn man nicht darüber spricht. (...) Das Verbrechen war zu schwer, die Verantwortung zu schwerwiegend (...). Wie werden sie sich von ihrem latenten Schuldgefühl befreien? Der 'Antizionismus' ist in dieser Hinsicht ein unghesuchter Glücksfall, denn er gibt uns die Erlaubnis und sogar das Recht, ja selbst die Pflicht, im Namen der Demokratie Antisemit zu sein! Der Antizionismus ist der gerechtfertigte, schließlich jedermann verständlich gemachte Antisemitismus. Er ist die Erlaubnis, demokratischer Antisemit zu sein. Und wenn die Juden selbst Nazis wären? Das wäre wunderbar. Es wäre nicht länger nötig, sie zu bedauern; sie hätten ihr Los verdient. So entlasten sich unsere Zeitgenossen von ihrer Sorge. Denn alle Alibis sind recht, die es ihnen letztendlich gestatten, an etwas anderes zu denken." (Vladimir Jankélévitch: Verzeihen? Frankfurt am Main 2006. S. 9f.)


Es geht nicht darum, alles rundweg zu bestreiten, was in Publikationen wie dem Buch von Petra Wild behauptet wird. Es geht um die Frage, was man damit erreichen will, wenn man dergleichen ausgerechnet in Deutschland breit tritt und die dabei frei werdende Energie in Kampagnen organisiert. Die entsprechende Seelenverfassung hat Jankélévitch präzise genug analysiert.  Es ist bekannt, welche Verhaltensweisen aus ihr folgen. Sie bestehen darin, dass z. B. die Polizei am Rande einer gegen Israel gerichteten Demonstration die Entfernung einer Israel-Flagge aus einem Fenster veranlasst, und zwar auf Druck der sich vorgeblich provoziert fühlenden Teilnehmer hin,  dass Menschen, die eine Kippa tragen, bedroht und geschlagen werden und "Du dreckiger Jude!" zu einer beliebten Schmähung auf unseren Schulhöfen wird.

Wer unter solchen Umständen Deutschland den Rücken kehrt und in Israel Zuflucht sucht, wird nicht unbedingt andere politische Kräfte unterstützen wollen als die hinter der unglückseligen Regierung Netanjahu versammelten, denn er sieht sich in seiner neuen Heimat von gerade den Todfeinden umgeben, deren Verbündete er zuvor in Deutschland kennenlernen durfte. Und Parteinahme von außen, vor allem von Deutschland aus, dürfte die politische Spaltung der israelischen Gesellschaft noch vertiefen. Dass die israelische Opposition etwas mit unserer fragwürdigen Solidarität anfangen kann, ist ziemlich zweifelhaft.

Kritik an der Politik des Staates Israel fällt unendlich leicht. Die Motive, von denen sie bei Deutschen befeuert wird, sind evident. Der schrille Ton, in dem sie gerade von denen geäußert wird, die sich etwas auf ihren angeblichen Antifaschismus einbilden und Hamas und Hisbolla mit Befreiungsbewegungen verwechseln, ist zu verräterisch. Wer die tragischen Aporien israelischer Politik nicht begreift, tut gut daran, sich anderen Themen zuzuwenden. Wir haben weder das Recht, in dieser Sache allzu entschieden das Wort zu ergreifen, noch haben wir die Chance, damit durchzudringen.
 

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Deutscher Juden-Schuldkomplex
 

Deutschland sollte endlich erwachsen werden

und sich eine eigene, unabhängige Meinungzum Juden- / Israel-Thema zulegen

Ich muß sowohl Vladimir Jankélévitch als auch Rudolf Selbach widersprechen. Mein Leben begann in dem Jahr, als die Bundesrepublik gegründet wurde – daher sehe ich nicht den geringsten Anlaß, mich für die Verbrechen (noch nicht einmal meiner Eltern, denn die waren nur arme Moselwinzer, die aus ihrem Dorf nicht herausgekommen sind) der vorhergehenden Generation schuldig zu fühlen.
 
Ich habe mir im Laufe der Jahre eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte beigebracht, die nichts beschönigt. Das bedeutet, daß ich aber auch die Untaten anderer Nationen in eine Gegenüberstellung mit einbeziehe, ohne zu relativieren. Wenn ich irgendwo Menschenrechtsverletzungen feststelle, dann mache ich keine Unterschiede zwischen Israel, USA, Frankreich, Rußland, Großbritannien, Iran oder China, was meine Bereitschaft zur Kritik angeht. Nur die Differenzen im Ausmaß der Vergehen werden berücksichtigt. In diesem Zusammenhang finde ich die folgenden Aussagen sehr bedenklich:

[quote=Rudolf Selbach]

Der 'Antizionismus' ist in dieser Hinsicht ein ungesuchter Glücksfall, denn er gibt uns die Erlaubnis und sogar das Recht, ja selbst die Pflicht, im Namen der Demokratie Antisemit zu sein! Der Antizionismus ist der gerechtfertigte, schließlich jedermann verständlich gemachte Antisemitismus. Er ist die Erlaubnis, demokratischer Antisemit zu sein. Und wenn die Juden selbst Nazis wären? Das wäre wunderbar. Es wäre nicht länger nötig, sie zu bedauern; sie hätten ihr Los verdient. (Vladimir Jankélévitch)

[/quote]

 

Das soll doch heißen, wenn ich es recht verstehe, daß derjenige, der Israel wegen inhumaner Aktionen anklagt oder kritisiert, gleich als Antisemit denunziert wird. Diese Behauptung geht mir wirklich zu weit. Und was ich jetzt zu sagen habe, sollte nicht mißverstanden werden, weil ich die Juden oder Israel nicht in einen Topf mit den Nazis werfen will. Aber es gibt faschistische Vorgehensweisen (verbaler, schriftlicher und tätlicher Art), die von Gruppierungen in allen Teilen der Welt praktiziert werden. Dazu gehört auch m. E. teilweise die Umgangsweise Israels mit den Palästinensern, die mir erlaube, als das zu bezeichnen, was sie sind: völkerrechtswidrige Übergriffe. Dabei lasse ich mir keinen Maulkorb umhängen.
 
Ich sehe es durchaus nicht als meine erste Pflicht an, kein Antisemit zu sein, sondern vielmehr in vorderster Linie eine Position als Demokrat und Humanist einzunehmen. Das heißt im Umkehrschluß wiederum nicht, daß ich eine antisemitische Haltung befürworte. Auch sollte nicht der Fehler begangen werden, Antizionismus mit Israel-Kritik gleichzustellen! Deshalb haben wir sogar die Pflicht, den Mund aufzumachen, wenn wir entsprechende  gegen die Menschlichkeit gerichtete Machenschaften entdecken, ganz egal ob in Israel oder anderswo. So leicht ist es bei uns gar nicht, Kritik an Israel zu üben, weil der größte Teil der Politik, der Medien und der öffentlichen Meinung – aus welchen Gründen auch immer – sehr parteilich pro Israel eingestellt sind. Man muß als sich als kritischer Querdenken sogar ziemlich in acht nehmen, weil man Gefahr läuft, von radikalen pro-israelischen Kräften bedrängt zu werden.
 
Rudolf Selbach stört sich daran, daß man „dergleichen in Deutschland breit tritt“. In Deutschland wird allerdings sehr viel Peripheres und Unwichtiges breit getreten, aber zu diesen Nebensächlichkeiten zählen nicht die  israelischen Menschenrechtsverletzungen, die zu Recht angegriffen werden. Über diese wird im Gegenteil sogar von den Kritikern meistens sehr sachlich und angemessen berichtet. Wir besitzen nicht nur das Recht, uns in dieser Angelegenheit zu Wort zu melden, sondern wir haben sogar die verdammte Pflicht, entsprechende Veränderungen der israelischen Politik zu fordern. Aufgrund des Gewichts der deutschen Politik bestünde auch eine große Chance, etwas in diesem Sinne zu erreichen, sofern der politische Wille vorhanden wäre.
 
 
Peter A. Weber
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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Zionismus und Demokratie beißen sich


Zionismus und Demokratie beißen sich

Antisemitische „Demokraten“ sind keine


Philosemitische Faschisten sind zwar selten, aber es gibt immer mehr  

         
Rudolf Selbach beteuert zu Beginn seines Kommentars: "Es geht nicht darum, alles rundweg zu bestreiten, was in Publikationen wie dem Buch von Petra Wild behauptet wird." Doch dann verzettelt er sich in seiner Etikettierungswut zur Brandmarkung von Israel-Kritikern ungeachtet der Faktenlage zwischen Demokratie-Desavouierung und Völkerrechts-Verachtung bis hin zur Verharmlosung und Relativierung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nur um unter Bemühung eines Zitats den "Beweis" zusammenzustopseln, dass Antizionismus und Antisemitismus ein- und dasselbe wären. Sie sind sowenig in Eins zu setzen wie "Antideutsch" und "Antinationalistisch", auch wenn manche "Antifaschismus"-Helden unter den unkritischen Israel-Freunden das gern so hätten, um sich als die besseren, ja die besten und eigentlich einzigen Vorkämpfer gegen Nazis zu profilieren. Antinationalistisch zu sein heißt aber nicht sich mental außerhalb der Nation zu stellen und quasi von außen, als selbstdefinierter Kosmopolit oder "mental Nationsloser" möglichst laut "Deutschland, halt's Maul!" zu skandieren und mit Davidstern-Flagge oder Stars and Stripes zu wedeln, sondern die eigene Nation, aus der man ohnehin schlecht "austreten" kann, ohne sich und seine Identität zu verleugnen, zu kritisieren, zu mahnen, zu konfrontieren, und sie vor allem faktisch zu verändern in Richtung internationalistischen Denkens und Handelns. Es gibt keine andere praktische Möglichkeit als hauptsächlich dort zu wirken, wo man lebt.

So wie das jeder US-amerikanische Demokrat tun muss, der sich gegen den "Patriotismus" oder gegen den Rassismus positioniert, und diesen Namen "Demokrat" nicht nur wegen der Partei, die er vielleicht auch wählt, vor sich her trägt, sondern weil er wirklich einer ist, ohne deshalb als "Antiamerikaner" verleumdet werden zu wollen wie das zu Mc-Carthy-Zeiten üblich war. So wie das auch jeder jüdische Israeli tun muss, wenn er die zionistische Verblendung seiner Landsleute oder Glaubensbrüder anprangert, ohne deshalb "Antisemit" zu sein, was ihm auch schlecht gelänge als Jude. Das dürfte auch für Palästinenser schwierig werden; selbst wenn sie Israel hassen wie die Pest, blieben sie doch ebenso Semiten. Ihnen Antisemitismus zu unterstellen wäre genauso quatschig wie einem Kritiker des europäischen Kolonialismus vorzuwerfen, er sei ein gewissenloser  "Vaterlandsloser Geselle". Das verfing zu Zeiten der Sozialistengesetze so nachhaltig, dass sich die deutsche Sozialdemokratie vor lauter "Patriotismus" in den Ersten Weltkrieg hat treiben lassen und noch heute vor lauter "Standortpolitik" ganz auf ihre ursprünglich internationalistischen, sozialistischen und pazifistischen Positionen vergessen und sich damit den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Merkel kann Bismarck genausogut. Dafür braucht's keinen Steinbrück.

Gegen (deutschen) Nationalismus aufzutreten gelingt nicht glaubwürdig, ohne sich gegen Nationalismus generell zu stellen, in all seinen Spielarten, vom "Hurra-Patriotismus" bis zum "Euro(Supra-)Nationalismus, es sei denn, man würde als französischer, polnischer, britischer oder schweizer Nationalist gegen Deutschland wettern, was aber nichts mit Antinationalismus zu tun hätte, sondern mit Ressentiment. Als Internationalist kann das jede/r Angehörige/r jeder Nation glaubhaft vertreten, am besten zuvorderst gegen die eigene. Das schließt aber nicht aus, auch auf den Rest der Welt zu blicken. So wie die Welt (zurecht) auch argwöhnisch auf Deutschland blickt, nicht nur wegen der Nazis, die hier noch immer morden, sondern auch wegen der den "Schuldnerländern" zwangsauferlegten Sparpolitik, wegen der wirtschaftlichen Dominanz der deutschen Exportwirtschaft oder wegen dümmlicher, weil einerseits verharmlosender, andererseits die Tradition der Commedia dell' Arte beleidigender Clown-Vergleiche. Und das von einem gnadenlosen Agenda-2010-Verantwortlichen, der jetzt plötzlich "links von der Mitte" punkten will, was doch ziemlich komisch klingen muss, vielmehr eigentlich lächerlich ist. Dennoch hat ihm niemand ernsthaft unterstellt, er sei generell italienfeindlich oder hasse Italiener. Hätte er Netanjahu in weit weniger despektierlicher Form als irgendwas bezeichnet, läge der Fall sofort etliche Etagen höher, und er bräuchte gar nicht erst anzutreten zur Wahl. Woran liegt das? An der "historischen Schuld" des Vielredners? An der Immunität Netanjahus? Nein, einzig daran, dass das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland ebenso verlogen ist wie das Verhältnis Deutschlands zu Israel scheinheilig.

Beide Staaten tun sich damit nichts Gutes, indem sie einander nicht weh tun. Israel sich selbst nicht, weil es sich vom regierungsamtlichen deutschen Philosemitismus blenden und in falsche "Sicherheit" wiegen lässt, und Deutschland nicht, weil es seinen eigenen tatsächlich antisemitischen Bodensatz genausowenig sehen will wie die Verbrechen Israels an den Palästinensern. Deutschland möchte nicht erinnert werden an die Verbrechen des Holocaust, Israel will nicht angesprochen werden auf die Verbrechen der Nakba, der Katastrophe für die Palästinenser. Dieses faule Schweigeabkommen hält der grausamen Wirklichkeit nicht stand. Denn sowohl darf nicht die kollektive historische Verantwortung für die Shoah vergessen wie auch die daraus entstandene Situation in Palästina-Israel beschönigt werden. Die Weitergabe des Traumas wird weder die Traumatisierten befreien noch die Schuld der Täter auslöschen können. Sie perpetuiert Unrecht und Hass.

Würde über beides offen gesprochen werden können, und nicht nur in Sonntagsreden, sondern mit praktischen Konsequenzen im Alltag, müssten beide Staaten ihr Verhalten grundsätzlich ändern, das wäre bitter für beide. Mit dem Schweigekartell aber schmeckt es nur bitter für die, die nichts dafür können, dass die Juden Europas von den Nazis verfolgt, vertrieben und ermordet, deportiert oder in die Emigration gezwungen wurden, und dass die dem Terror Entkommenen von der britischen Mandatsherrschaft großzügig Teile Palästinas überlassen bekamen, glücklich "ihr gelobtes Land" geschenkt bekamen, das den Briten nicht gehörte, und das seinen ursprünglichen Bewohnern dadurch zum Fluch wurde. Die Verstrickungen des britischen Imperialismus wurden und werden indes kaum thematisiert, von Israel aus Dankbarkeit nicht, aus Deutschland nicht, weil man sich nicht dem Vorwurf der Relativierung oder Aufrechnung ausgesetzt sehen möchte. Es täte aber auch nichts zur Sache, sowenig wie mit dem Phänomen der Nazi-Kollaborateure gegen Frankreich oder mit dem der SS-Freiwilligen gegen die Niederlande oder gegen die Ukraine sinnreich zu argumentieren wäre, um Deutschlands Kriegsschuld zu relativieren. Die Vergangenheit wirkt in der Gegenwart folgenschwer und grausam fort.

Es bleibt eine Sache der Unaufrichtigkeit zwischen Israel und Deutschland, zwischen Deutschen und Israelis, aber auch zwischen den Juden in Deutschland und denen in Israel. Und umgekehrt: Viele israelische Juden sehen die der Diaspora, in Europa, speziell die in Deutschland lebenden als Abtrünnige, als Verräter, die sich dem harten und jederzeit "bedrohten Leben an der Front" entziehen. Und liberale Juden in Deutschland rümpfen oft die Nase über die nationalreligiöse Borniertheit in Israel, halten aber den Mund oder Israel gar die Stange, sobald es gilt, Angriffe auf die Kriegs- und Besatzungspolitik abzuwehren und im Keim zu ersticken. Stimmen der Vernunft klingen nur vereinzelt auf, doch es gibt sie. Im Zentralrat sind sie kaum repräsentiert.

Die orthodoxen Gemeinden fungieren meist als Außenstellen des israelischen Außenministeriums. Anstatt zu sagen: Hört auf, haltet ein! Ihr isoliert euch international. Ihr schürt neue Vorurteile gegen das Judentum. Ihr gefährdet die Existenz des Staates Israel, wenn ihr ihn bedenkenlos in einen Angriffskrieg treibt. Das müssten sie doch sagen, wenn sie Freunde Israels wären. Das müssten auch Nichtjuden sagen, sofern sie Israels Freunde sind. Ehrliche sind sie aber offensichtlich nur zu geringen Teilen. Der Rest lügt weiter, belügt auch sich selbst, beschweigt, beschwichtigt sein Gewissen mit dem Mantra: "Nie wieder Opfer sein". Der traurige Witz dabei ist: Wer als Opfer meint, er könne sich über alle Gesetze hinweg und wider alle Vernunft zum Amoklauf aufschwingen, der wird nicht nur zum Täter, sondern ganz schnell und im selben und vermutlich letzten Atemzug wieder zum Opfer, wie in einer selbsterfüllenden Prophezeiung, wie durch Eigensuggestion. Daher ist Kritik an der (im Kern selbst-)zerstörerischen Politik Israels nicht nur legitim, sondern tatsächlich notwendig, so wie auch Kritik an der nur vordergründig freundschaftlichen Israel-Politik Deutschlands.

Und zwar von allen Menschen, in allen Ländern, egal welcher Nationalität sie sind oder welcher religiöser oder weltanschaulicher Provenienz. Das gebieten Vernunft und Humanität, Wahrheitsliebe und Fairness, Verantwortung und Respekt, also so ziemlich alles, was Selbach anscheinend in seiner positiven Bezugnahme auf den französischen Philosophen unter "Demokratie" subsumiert. Und diese soll dadurch "antisemitisch" werden oder sein, weil sie israelkritisch ist und sein muss, wenn sie ehrlich sein soll? Und wird sie dadurch gar zur bequemen Maskerade für Nazis, für ewiggestrige Antisemiten? Wenn er sich da mal nicht täuscht. Es gibt immer mehr Nazis, denen die "harte Hand" Israels so imponiert, dass sie am liebsten die ihre ausgestreckt reichen würden zur Verbrüderung gegen "die Araber", gegen "die Moslems", gegen "die Türken" und überhaupt gegen alle Orientalen – außer den Israelis –, wenn die sie nur annehmen würden. Das braune Feindbild hat sich längst verschoben. Nazis sind heute türkenfeindlich, araberhassend und islamophob. Die Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" richtete sich auch nicht gegen Juden.

Wenn "Israel-Freinde" heute eine Maske tragen, dann die des Philosemitismus. Sie sind die "Demokraten", die Israel zum Krieg ermuntern und die dazu benötigten atomwaffentauglichen U-Boote beisteuern. Sie sind beileibe keine Nazis, sondern bürgerliche Demokraten, aber doch keine verkappten Antisemiten, oder?! Wer wollte das der offiziellen Politik Berlins unterstellen!? Israel tut es nicht. Es ist froh um seine falschen Freunde. Es glaubt sie in der Hand zu haben. Mit der unausgesprochenen Drohung, die Omertà jederzeit zu brechen.

Der bedenkenswerteste Teil des wuchtigen Zitats ist: "Und wenn die Juden selbst Nazis wären? Das wäre wunderbar. Es wäre nicht länger nötig, sie zu bedauern; sie hätten ihr Los verdient. So entlasten sich unsere Zeitgenossen von ihrer Sorge ..." Da ist immerhin was dran: Tatsächlich erschien es in der jungen Nachkriegs-BRD opportun, die überlebenden Juden in Israel nicht als individuelle "Opfer" oder Beinahe-Ermordete der deutschen Verbrechensmaschinerie zu entschädigen, sondern über sie und ihre Nachkommen und Angehörigen hinweg pauschale "Wiedergutmachung" zu leisten an den Staat Israel, zum Waffenkauf und zur kriegerischen "Selbstbehauptung inmitten eines Meeres von Feinden". Damit ließ sich die Debatte sowohl um das Leid der europäischen Juden als auch über die deutschen Grausamkeiten abstrahieren sowie zumindest begrenzen und abkürzen. In manchem Hirn mag die perfide Absicht geschlummert haben, die "wehrhaften Israelis" sich selber ähnlich und ebenbürtig zu machen, um sich ihrer Anspruchsberechtigtheit zu entledigen.

Ein David zum Goliath mutiert hätte selbst Dreck am Stecken und Leichen im Keller, und könnte nicht mehr so einfach auf Deutschland zeigen, welches sich doch alle finanzielle, diplomatische und militärtechnische Mühe gab, die "Sache" wiedergutzumachen. So wie eben Militaristen meinen Dinge regeln zu können, mit Waffenbrüderschaft und logistischer Schützenhilfe. Mit dem neuen "Erbfreund" Frankreich klappte das auch vorzüglich. Nichts gelernt aus dem Krieg außer das Falsche: Erst Materialschlachten und Stellungskrieg, Giftgaseinsatz und Trommelfeuer, Vernichtungskampf bis zur Erschöpfung, und dann zur Aussöhnung gemeinsame Brigaden bilden gegen den Feind im Osten, nach dem Motto: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Für Kommissköpfe die einzig vorstellbare Form von Frieden und Völkerfreundschaft. Als wäre eine demilitarisierte, gewaltfreie Nachbarschaft überhaupt nicht denkbar oder jedenfalls indiskutabel gewesen. Klar, eine Einbindung in die NATO wäre dann nicht zur Disposition gestanden, auch keine Remilitarisierung und auch kein als Antwort auf den Widerstand gegen die Wiederbewaffnung folgendes KPD-Verbot. Deutschland wäre nicht ein gespaltenes, sondern ein einheitliches, blockfreies, entmilitarisiertes, demokratisches geworden, für Adenauer ein Graus: "Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze halb" war seine Devise.

Und so ging es fort im alten Geist. Korea, Nahost, Vietnam, überall war die Position Westdeutschlands die der USA, in deren Windschatten es sich trefflich erstarken ließ. Nur militärisch aktiv mitmachen durfte oder brauchte man noch nicht wieder, dazu schien die Zeit noch nicht reif, höchstens Lazarettschiffe entsenden, während in der DDR zu Solidaritätsspenden für die Befreiungsbewegungen aufgerufen wurde. Seltsamerweise bekämpfte Israel damals die Fatah bis aufs Messer, während es heute zuerst gegen die Hamas geht. Gäbe es sie nicht, müsste sie erfunden werden. Denn Konfrontation ist das Lebenselixier Israels. Gemäßigte Kräfte werden mit extralegalen Tötungen gezielt "ausgeschaltet" wie kürzlich im Gazastreifen, damit nur ja keine Verständigung keimen kann. Israel braucht den latenten Kriegszustand wie der Zionismus die permanente "Existenzbedrohung"; ohne dieses Adrenalin wäre das koloniale Projekt nicht durchzusetzen und selbst vor Verbündeten kaum noch zu begründen. Die sagen beim Siedlungsbau bereits halblaut "Stop!" und rücken ab, denn die Beton-Fakten, die Israel schafft, drohen selbst eine Zwei-Staaten-Lösung zu verunmöglichen.

Mit der kryptischen Bemerkung "Wer unter solchen Umständen Deutschland den Rücken kehrt und in Israel Zuflucht sucht, wird nicht unbedingt andere politische Kräfte unterstützen wollen als die hinter der unglückseligen Regierung Netanjahu versammelten, denn er sieht sich in seiner neuen Heimat von gerade den Todfeinden umgeben, deren Verbündete er zuvor in Deutschland kennenlernen durfte" suggeriert Selbach, dass es 1. eine Parteinahme für Hamas oder Hisbollah bedeuten würde, wenn man die Expansions- und Oppressionspolitik Israels anprangert (was ähnlich haltlos ist wie die Unterstellung, die Millionen Gegner der US-Irakkriege weltweit möchten gar heimliche Parteigänger Saddam Husseins gewesen sein und damit quasi Miniausgaben der "Wiedergeburt Hitlers"), und dass es 2. eine signifikante Fluchtbewegung aus Deutschland nach Israel gäbe. Das Gegenteil ist Tatsache: Immer mehr Israelis kehren dem zionistischen Staat den Rücken, angesichts der schwierigen Wohnraum- und Wirtschaftslage, der exorbitanten Lebenshaltungskosten sowie der andauernden und flächendeckend greifenden Militarisierung der Gesellschaft. Wenn sie nicht als traurige Siedler enden wollen, die staatlich alimentiert und subventioniert werden dafür, dass sie die vorderste Stellung im "Feindesland" der besetzten Gebiete halten, gehen kriegsmüde Israelis lieber weg, nicht selten nach Deutschland. Hierzulande gibt es wachsende jüdische Gemeinden, gespeist nicht nur aus den GUS-Staaten – allen fortkeimenden und wieder aufwuchernden antisemitischen Tendenzen zum Trotz. Sie fliehen nicht zuletzt genau jene Netanjahu-Politik, die Israel-Zuwanderer aus Deutschland angeblich suchen. Wenn man sie aber am eigenen Leib erlebt hat, wird man sie gern hinter sich lassen und nicht etwa vermissen, zumal als liberaler oder säkularer Jude. Sollen die dann auch schweigen, sobald sie Deutsche geworden sind?

Selbach verheddert sich mit seinem anempfohlenen Gebot zum Schweigen oder zumindest zum Leisetreten zwangsläufig in der Aufforderung zu einem Maulkorb auch für sich selbst, und merkt es gar nicht. Wenn er demokratisch, antirassistisch und friedliebend gesinnte Menschen, die ihre Augen vor dem offenkundigen Unrecht ebensowenig verschließen können wie Erich Fried, verächtlich macht und als "Antisemiten im Namen der Demokratie" (nach Vladimir Jankélévitch) hinstellen will, erhebt sich die Frage, was er mit dieser sinnlosen Verquickung zweier sich unvereinbar gegenüberstehender (wenn auch einander nicht gänzlich ausschließender) Begriffe und Kategorien bezwecken will: Den Antisemitismus als "demokratisch" entlarven oder die Demokratie als "antisemitisch" disqualifizieren?! Im letzteren Fall müsste er folgerichtig der Zensur das Wort reden, ganz undemokratisch. Im ersteren Fall würde er sich der Reinwaschung des Antisemitismus schuldig machen. Mit Logik kommt er dem Problem nicht bei, wenn er nicht den offenen Diskurs dulden will.

Beides ist so hirnrissig wie einen "nationalistischen Sozialismus" oder einen "sozialistischen Nationalismus" basteln zu wollen, wie es die historischen Nazis (allerdings zu Werbezwecken) für ihre mörderische Bewegung erfolgreich und derart nachhaltig geschafft haben, dass die Wissenschaftler noch heute ganz "sachlich" eins zu eins mit dem Propaganda- und Kampfbegriff des "Nationalsozialismus" operieren, wenn sie (deutschen) Faschismus meinen. Das ist aber kaum wissenschaftlich, das ist Nazisprech. Die absichtsvolle Paarung widersprüchlicher Begrifflichkeiten impliziert von vornherein eine Lüge und ist inhaltlich absurd paradox. Haben doch beide Antagonismen soviel miteinander zu tun wie Feuer und Wasser. Sozialismus ist immanent internationalistisch oder gar nicht, Nationalismus per definitionem genau das Gegenteil davon, also nichts mit Verbrüderung der "Proletarier aller Länder", sondern sie gegeneinander ausspielen und aufeinander hetzen.

Nicht unähnlich steht es mit der Begriffs-Verschmelzung des Demokraten und des Antisemiten: Ein als Demokrat getarnter Nazi (und die gab es in der Nachkriegs-Bundesrepublik zuhauf bis hinauf in höchste Führungspositionen) ist eben kein Demokrat (und auch kein "demokratischer Nazi"), sondern höchstens ein Faschist im demokratischen Mäntelchen, und wenn er Antisemit ist (was nicht alle Faschisten waren, zum Beispiel die in Italien weniger), dann eben ein sich demokratisch gebender Antisemit – aber doch kein demokratischer! Im übrigen wäre eine Vermeidung jeglicher Kritik am Zionismus alles andere als demokratisch, fordert der doch die politische, ethnisch-religiöse Vormachtstellung der Juden in Palästina bis hin zur absoluten Herrschaft über das Land, dessen "Ureinwohner" er einfach ignoriert und entrechtet und wegsäubert, um seine Verheißung des Erez-Israel zu erfüllen.
 

Israel wäre erst dann und nur dann eine Demokratie, wenn es gleiche Rechte und gleiche Chancen für alle in Israel-Palästina lebenden Menschen garantieren würde – für Juden, Palästinenser, Drusen, Christen und Nichtreligiöse –, wenn es de facto ein säkularer Staat wäre, in dem alle gleichberechtigt und nichtdiskriminiert leben könnten. Genau davor besteht aber die größte Angst, denn dann wären die Palästinenser eventuell bald in der Überzahl. Deswegen verbietet sich Demokratie schon aus demografischen Gründen. Doch Demokratie mit Beatzungsstatuten und Bürgern "zweiter Klasse" gibt es nicht. Der Werbespruch von Israel als "einziger Demokratie im Nahen Osten" ist nichts als hohle Phrase, die von der Realität Lügen gestraft ist. Da beißt die Maus keinen Faden ab, so oft der Euphemismus auch wiederholt wird. Um das Demokratiedefizit wegzubürsten hilft nur noch Verteufelung und Dämonisierung der Kritiker als wahlweise verkappte Nazis oder heimliche Sympathisanten "islamistischen Terrors", was auch gern konnotiert wird. Aber es hilft nichts: Die bewusste Gleichsetzung von Antizionismus (also der Kritik am jüdischen Nationalismus) und Antisemitismus (also der NS-Ideologie als "Höhepunkt" des deutschen Nationalismus) ist und bleibt perfide und unlauter.   

Diese Unsauberkeit mag sich ein verbitterter französischer Philosoph erlauben, aber richtig und zutreffend wird seine flapsige Beschreibung dadurch nicht, dass man sie kritiklos zitiert. Auch wenn sie vordergründig so eingängig klingen mag und weit verbreitet ist, erfasst sie doch nicht den Wesenskern der Sache. Demokratie und Antisemitismus vertragen sich offenkundig nicht. Der Antisemitismus kann – das ist wohl wahr – auch in der Demokratie gedeihen und in ihrem Gewand auftreten, läuft ihr aber grundsätzlich zuwider, da er auf die Ausgrenzung und Aberkennung von Staatsbürgerrechten abzielt, also auf Ungleichbehandlung der Menschen.

Im Auftrag oder "Namen der Demokratie" oder der Menschenrechte Antisemit zu sein dürfte sich ähnlich absurd gestalten wie als Antisemit "Demokrat" zu sein. Als Rassist ist man eben per se kein Freund von Menschenrechten, und als Zionist kein Liebhaber des Völkerrechts. Es sei denn, man könnte die Regeln für sich zurechtbiegen oder instrumentalisieren. Da das selten gelingt, fegt man sie besser beiseite und stellt sich über sie und außerhalb der Völkergemeinschaft, reklamiert Sonderrechte für sich oder verzichtet ganz auf juristische Legitimationsversuche, konstatiert einfach den "übergeordneten Notstand" oder ein brutales Besatzungsstatut, proklamiert willkürlich den "Ausnahmezustand" oder plädiert permanent auf "präventive Selbstverteidigung". Auf Dauer führt das ins politische Aus. Oder gar in den Untergang, wie man an Nazideutschland gut studieren konnte. Ich höre schon den selbstgerechten Aufschrei: Ah, jetzt hat er Israel mit Nazideutschland verglichen! Ha, nun haben wir ihn, den verkappten Antisemiten! Hat er aber gar nicht, wie blöd: Er hat darauf hingewiesen, dass "allein gegen den Rest der Welt" und gegen die Menschheit auf Dauer kein Durchkommen ist. Und dass eine ungerechte Sache auf längere Sicht keinen Erfolg oder Bestand haben kann. Das gilt für die USA (Vietnam, Irak), das gilt für Israel, das gilt für Deutschland genauso wie für jedes andere Land, selbstverständlich auch für Israel. Israel steht nicht über den Vereinten Nationen, sondern ist eine von ihnen. Wenn sich die israelischen Regierungen nicht um UN-Resolutionen scheren, vergessen sie, dass die Gründung ihres Staates nur Mithilfe der Völkergemeinschaft möglich war, und nicht gegen sie.

Keine noch so martialische Bewaffnung kann vor der Erosion schwindender Legitimation schützen, weder gegenüber dem Ausland noch vor der eigenen Bevölkerung. Schon gar nicht bei den Unterdrückten, Entrechteten, Vertriebenen, Enteigneten. Die kann man nicht mit Atomsprengköpfen verscheuchen, ebensowenig wie die Gespenster der Vergangenheit mit Geldzahlungen zum Verschwinden bringen. Sie werden immer da sein und bleiben, solange wir ihnen nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem wir aus ihrem Schmerz und aus "unserer" Hybris die zutreffenden Lehren gezogen haben: Nie, nie, niemals wieder!

Wir haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, gegen die Anmaßungen deutschen Herrenmenschentums die Stimme zu erheben, und nicht mehr oder weniger wie gegen ein zionistisches Postulat des "auserwählten Volkes", das andere unterdrücken dürfe. Es gibt kein geteiltes Menschenrecht und keinen gerechten Krieg zur Landnahme, zur Kolonisierung, zur Besetzung, und schon gar keinen Frieden ohne tiefere Einsicht in die zwingende Notwendigkeit von Gerechtigkeit als seiner unabdingbaren Voraussetzung. Dazu muss man die Dinge offenlegen und nicht verschleiern, das Unrecht anprangern und nicht beschweigen, Kritik und Protest ernstnehmen anstatt sie wegzuwischen und klein zu machen. Intellektuelle Redlichkeit ist gefragt, und Empathie für das Narrativ der "anderen" Seite. Die offizielle Politik muss dazu von der Zivilgesellschaft getrieben und gedrängt, ja gezwungen werden. Es geht um nicht weniger als: Heraus aus dem Bunker!

Wo, wenn nicht in Deutschland und in Israel sollte man das "breit treten", was die tiefste Wunde des Zwanzigsten Jahrhunderts und den schmerzlichsten Konflikt des Nahen und Mittleren Ostens betrifft?! Das lässt sich nicht abspalten und amputieren, nicht betäuben und wegsperren. Und nicht ignorieren und vergessen. Damit werden wir auch "bei der Opposition" in Israel durchdringen, wenn sie tatsächlich eine ist.

Selbach fragt angesichts der Beschreibung der Verbrechen des Zionismus nach dem Zweck: "Es geht um die Frage, was man damit erreichen will, wenn man dergleichen ausgerechnet in Deutschland breit tritt und die dabei frei werdende Energie in Kampagnen organisiert." Nun, genau darum geht es: Dass diese Verbrechen aufhören, und dass Schluss sein muss mit deren Rechtfertigung unter Hinweis auf die Vergangenheit. Sie sind grausige Gegenwart. Und sie werden von den Eliten in Deutschland eisern und zynisch gedeckt, um nicht an die eigenen erinnert zu werden. Ist das nicht Grund genug für mehr als einen empörten Aufschrei, und Anlass Kampagnen zu organisieren?! Die marginale Friedensbewegung in Israel weiß diese Solidarität zu schätzen. Mit ihr gilt es sich zu verbünden, nicht mit dem Mainstream zu heulen – hier wie dort. Es sei denn, man wolle Krieg statt Frieden. Doch wer sollte das vernünftigerweise wollen können außer denen, die daran profitieren? Zu denen dürfte Rudolf Selbach doch sicher nicht zu zählen sein. Also: Wozu die Kriegstrommel rühren?!

Wolfgang Blaschka, München

 

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Rudolf Selbach
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Verbunden: 25.09.2012 - 19:27
Antizionismus und Antisemitismus


Antizionismus und Antisemitismus


Es scheint, als sollte die Reinheit des Kritischen Netzwerks dadurch wiederhergestellt werden, dass man nach meinem Kommentar die Seite mittels einer Art Welterklärungsschwall gewissermaßen abwäscht. Aber immerhin, ein anderes Niveau als die unterirdischen Repliken des Herrn Weber, dem zu meiner Argumentation (s. Kommentare zu Hecht-Galinski: Religiöser Sohn Israels wird US-Finanzminister) nichts anderes einfiel als ein Appell, im Sinne von Jürgen von Manger Mensch zu bleiben, haben Wolfgang Blaschkas Ausführungen schon. Darum möchte ich, wenn auch etwas kürzer, darauf antworten.

Zu den Begriffen Antisemitismus und Antizionismus ist festzuhalten: Nach dem Aufkommen von Rassentheorien im 19. Jahrhundert, sprach man von „semitischen“ Völkern. Schon vorher gab es, was man dann Antisemitismus nannte, in Form von Antijudaismus oder Judenfeindlichkeit, und das nicht nur bei den Christen: Der Stellenwert, der einigen Koranpassagen – wie etwa den in der Charta der Hamas (s. meinen Kommentar zum o. g. Beitrag) zitierten – von bestimmten Interpretationen zugewiesen wird, beweist, dass auch die islamische Welt an dergleichen ihren Anteil hat. Im Rassismus fand die ursprünglich religiös motivierte Verfolgungswut dann neue ideologische Nahrung, und auch in der islamischen Welt wurden die entsprechenden Theorien spätestens im vergangenen Jahrhundert begierig aufgegriffen, wie man an der Erfolgsgeschichte der „Protokolle der Weisen von Zion“ ablesen kann. Wenn jetzt von Antisemitismus die Rede war, konnte man fast immer sicher sein, dass es sich ausschließlich um Judenfeindlichkeit handelte. Der Unterschied bestand darin, dass anders als die religiösen Judenfeinde der Vergangenheit die Antisemiten über einen schrankenlosen Vernichtungswillen verfügten, so dass anders als zuvor Konversion keine Rettung mehr versprach.

Der Begriff des Antisemitismus hat die Rassentheorien insofern überlebt, als alle anderen in den Begriff einer semitischen Rasse ursprünglich Eingeschlossenen sich nicht mehr damit gemeint fühlen müssen. Es geht nur noch um die Juden. In erster Linie ging es eigentlich immer um sie. Das ist absurd genug: Einer Rasse kann man nicht beitreten. Aber man kann z. B. unter bestimmten nicht-biologischen Voraussetzungen Bürger eines jüdischen Staates werden und sich dadurch rassistische Anfeindungen aller Art einhandeln.

Der Staat Israel war und ist das Projekt des Zionismus. Ein Ziel, das sich zunächst der Diskriminierung, der Unterdrückung und den Pogromen im Europa des 19. Jahrhunderts verdankte, wurde nach dem Holocaust zur Notwendigkeit und schließlich zur Realität: Ein eigener Staat für die der Vernichtung Entkommenen, mit einer Armee, die sie schützt. Darum gibt es diese Menschen noch. Und darum haben ihre Nachkommen vorläufig noch eine Überlebenschance. Wer diesen Staat zum Verschwinden bringen will, stellt ihre physische Existenz in Frage. Das bedeutet: Wer sich gegen den Zionismus wendet, wendet sich gegen das zionistische Projekt: den Staat Israel. Er bestreitet ihm seine Existenz. Es ist daher nur legitim, zwischen Antisemitismus und Antizionismus einen Zusammenhang herzustellen. Selbst eine Gleichsetzung wäre verständlich. Die Resolution von Durban, die ihrerseits Zionismus und Faschismus gleichsetzte, wurde mit einer Mehrheit von Stimmen aus Staaten beschlossen, in denen man nach der Verwirklichung von Menschenrechten vergeblich fragt. Auf ein solches Dokument des Hasses kann man sich nicht guten Gewissens berufen.

Eine Zweistaatenlösung ist mit dem Antizionismus naturgemäß nicht vereinbar. Die Idee einer gemeinsamen Heimat für Juden und Palästinenser zu vertreten, ist aber angesichts des in der gesamten islamischen Welt verbreiteten Judenhasses vollkommen unverantwortlich. Man müsste Regierungen, die ihren Laden nur mit Gewalt und durch den Hinweis auf den äußeren Feind zusammenhalten können, sowie die einschlägigen Terrororganisationen für Knabenchöre halten, um darin eine Lösung zu sehen, die keine „Endlösung“ ist.

Zugegeben werden muss, dass die militärische Logik, deren zu großes Gewicht zu den unvermeidlichen Geburtsfehlern des Staates Israel gehört, sich in einem erschreckenden Maße verselbständigt hat. Aber man sollte nicht übersehen, dass Palästinenserorganisationen, die palästinensische Autonomiebehörde und die Regierungen der Nachbarstaaten das Ihrige zu dieser Entwicklung beigetragen haben.

Die Frage ist: Wem kann man noch zutrauen, eine Zweistaatenlösung überhaupt zu wollen? Die Hamas und vergleichbare Organisationen wollen alles. Die Regierungen der Nachbarstaaten und die palästinensische Autonomiebehörde zeichnen sich durch Instabilität und Doppelzüngigkeit aus. Mit dem Plan einer vollständigen Rückeroberung Palästinas lassen sich andererseits in Massen Anhänger gewinnen.

Dass auch die gegenwärtige israelische Regierung keine Zweistaatenlösung will, lässt sich nicht leugnen. Die Chance, die besetzten Gebiete wieder den bestehenden Nachbarstaaten Ägypten und Jordanien zu überantworten, bestand vielleicht einmal, war aber auf Grund der palästinensischen Totalansprüche und Furcht der Nachbarn Israels vor innerer Unruhe nicht erwünscht. Eine bessere Förderung für die Pläne eines Groß-Israel als diese vertane Chance konnte es nicht geben. Der Terrorismus tat dann ein Übriges.

Israelische Militärs bestreiten die Lebensfähigkeit eines selbstbestimmten palästinensischen Kleinstaates und betrachten eine autonome Westbank nur noch als Delle in der Karte des eigenen Territoriums, die dessen Verteidigung erschwert. Ob sie damit richtig liegen, lässt sich schwer sagen. Solche Leute denken eben so, und man hört auf sie. Man hört auf sie, weil bei aller militärischen Stärke die Bedrohungslage Israels realistisch eingeschätzt wird, wenn man sagt, das Land sei von Todfeinden umgeben.

Manche Leute scheinen Ahmadinedschads Zusicherungen, kein militärisches Atomprogramm vorzubereiten, für vertrauenswürdiger zu halten als Israels Bereitschaft, mit der eigenen atomaren Streitmacht verantwortlich umzugehen. Für Letzteres spricht immerhin, dass trotz angedeuteter Angriffsdrohungen seegestützte Atomraketen in ihrer Eigenschaft als Zweitschlagswaffen grundsätzlich Abschreckungswaffen sind. Wer andererseits wie Peter Weber behauptet (a.a O.), die Charta der Hamas mit ihren Vernichtungsphantasien sei „nur ein Stück Papier“, verteilt seinen Kredit nach reichlich undurchsichtigen Maßstäben. Warum glaubt er die Drohungen der israelischen Regierung wörtlich nehmen zu müssen? Das letzte der drei Kritierien für modernen Antisemitismus: Delegitimierung, Dämonisierung und „double standards“ findet so im „Kritischen Netzwerk“ seine Bestätigung. Die anderen sowieso.

Die Zahl der alle drei Kriterien erfüllenden Beiträge zu dem Thema „Israel und Palästina“ und der Ton, in dem die entsprechenden Ansichten geäußert wurden, stehen für eine bedenkliche Entwicklung. Ich glaubte, sie nicht widerspruchslos hinnehmen zu dürfen. Die angeblichen Widersprüche im Zusammenhang mit den Begriffen Antizionismus und Antisemitismus habe ich ausgeräumt. Im Zusammenhang mit Antisemitismus und Demokratie kann mir nur jemand Widersprüche unterstellen, der die bittere Ironie in meinem Jankéléwitch-Zitat bewusst verkennt. Bewusstes Missverstehen ist auch im Spiel, wenn mir auf reichlich verschlungenen Wegen Zensurbestrebungen angehängt werden, obwohl ich nichts weiter als meine Gründe für Maß und Zurückhaltung dargelegt habe, wo Dämme zu brechen drohen.

Worauf ich hinaus will, hat eine moralische und eine ästhetische Dimension. Ich kann es mit einem Erinnerungsbild verdeutlichen: Das Fernsehen zeigte vor etlichen Jahren vom Rand einer Demonstration gegen den ersten Irak-Krieg (eigentlich war es schon der zweite) einen Teilnehmer, den als Kotzbrocken zu bezeichnen ich keine Sekunde zögere und über dessen Herkunft und religiöses Bekenntnis ich lieber nicht spekulieren will. Er posierte mit erhobener Faust vor der Kamera und skandierte: „Tod dem (!) Israel!“ Der Grund, aus dem ich vor Kampagnen gegen Israel warne und mir eine eigene Teilnahme an ihnen nicht vorstellen kann, ist leicht genug zu verstehen: Ich möchte mich nicht neben so einem wiederfinden.

Ich möchte es nicht nur deshalb nicht, weil ich meinen Mageninhalt bei mir behalten will. Wenn ausgerechnet in Deutschland – wie im vergangenen Jahr in Hamburg geschehen – die Vorführung eines Films von Claude Lanzmann verhindert und der Regisseur aufs übelste rassistisch angepöbelt wird, ist es schon weit gekommen. Die Verhinderer und Pöbler hätten zu den begeisterten Lesern mancher Beiträge im „Kritischen Netzwerk“ gehören können. Die Weigerung, solches Verhalten publizistisch anzufeuern, wäre weder eine Vernachlässigung demokratischer Pflichten noch eine Verletzung der Regeln des menschlichen Anstands.

 

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Ansichten eines Unterirdischen

Ansichten eines Unterirdischen


Ich habe mich schon des öftern mit Überirdischem auseinandergesetzt, muß mir nun aber selbst vorwerfen, daß ich erst jetzt mit meinem Kommentar, der anscheinend die Kreise von Herrn Selbach gestört hat, in die Gefilde der Unterirdischen vorgestoßen bin. Es wirkt auf mich schon irgendwie erheiternd, daß mein PC-Arbeitsplatz in der Nähe oder in der Hölle angesiedelt sein soll. Wenn sich dies so verhalten sollte, muß ich verschämt zugeben, daß ich mich dort sauwohl fühle. Allerdings bin ich etwas verunsichert, ob ich mit meiner heutigen Entgegnung mein Niveau noch weiter senke – vor allem, weil ich nicht weiß, was unterhalb des Unterirdischen noch auf mich wartet -, oder ob ich mich lieber in Richtung des hohen geistigen Levels von Herrn Selbach bewegen soll. Die Wahl fällt schwer …


Da es beim Kommentar von Rudolf Selbach inhaltlich um Angriffe, Abschreckung, Aufrüstung und Verteidigung sowie deren Rechtfertigung im Zusammenhang mit Israel geht, möchte ich diese Begriffe einmal auf die profane Ebene unserer Kommunikation im KN verlagern. Es scheint so, als habe Herr Selbach einen Angriff auf mich gefahren, wobei ich mich jedoch nicht getroffen fühle, weil die Kugeln entweder ihr Ziel verfehlt haben oder sie abgeprallt sind. Aus diesem Grunde habe ich auch weder Veranlassung noch die Ambition zum knallharten Zurückschießen. Denn in diesem Falle müßte ich mich ja auf das herausragende Niveau von Herrn Selbach begeben, was mir einige Mühe bereiten würde.


Um wieder dem Ernst der Lage gerecht zu werden: Mein Kommentar „Deutschland sollte endlich erwachsen werden“ hatte ausschließlich das Ziel, eine unabhängige und tolerante Meinungsbildung aufzubauen. Vor allem war es mein Anliegen, eigene und gesellschaftliche Schuldgefühle zu verringern und einen Beitrag zu einem gesunden Selbstwertgefühl zu leisten. Weshalb Rudolf Selbach sich veranlaßt sieht, mich deshalb unter Beschuß zu nehmen, bleibt sein Geheimnis. Die Leser mögen sich dazu ihr eigenes Urteil fällen.


Ich möchte gar nicht auf alle Zurechtrückungen von Herrn Selbach eingehen und greife nur einige wenige Punkte heraus. Wenn er feststellt, daß der Staat Israel ein Projekt des Zionismus war und ist, so liegt er richtig. Wenn er sich aber zu der Behauptung versteigt, „Wer sich gegen den Zionismus wendet, wendet sich gegen das zionistische Projekt: den Staat Israel. Er bestreitet ihm seine Existenz“, dann muß er etwas falsch verstanden haben. Denn der Zionismus ist ein internationales Phänomen, das sich nicht lokalisieren läßt, wobei ein Schwerpunkt sich in den USA befindet. Er verficht einige Ziele, die nicht nur auf den Erhalt des Staates Israel ausgerichtet sind. Jedenfalls finde ich es sehr weit hergeholt und ungerechtfertigt, die These aufzustellen, daß jeder Kritiker Israels oder des Zionismus die Existenz Israels in Frage stellt. Sollte Herr Selbach mir diese Absicht unterstellt haben, muß ich sie auf das entschiedenste zurückweisen.


Etwas absonderlich kommt mir auch der Vergleich vor, die nicht vorhandenen Atomwaffen des Iran mit der realen atomaren Gefechtskraft Israels in den Kontext einer abzuwägenden Vertrauensfrage zu stellen. Ausgesprochen blauäugig scheint mir die Meinung zu sein, selbst erklärte Zweitschlagswaffen grundsätzlich nur als Abschreckungspotenzial zu klassifizieren, als seien sie Schreckschußpistolen. Sehr verwundert hat mich auch, daß Rudolf Selbach dem Kernthema der menschenverachtenden Politik Israels gegen die Palästinenser total ausgewichen ist und die unkontrollierbaren Rüstungsanstrengungen freimütig und unkritisch verteidigt. Wer will mir oder Gleichgesinnten vorwerfen, wenn wir Zweifel an der Friedfertigkeit der israelischen Regierung und der Militärapparates hegen und uns ernsthaft um den Frieden sorgen? Dies ist absolut realistisch und diskriminiert niemanden.


Selbstverständlich ist die Charta der Hamas genauso wie die UN-Charta oder jegliche andere Verfassung zunächst nur ein Stück Papier und die Absichtserklärung einer Gruppierung. Erst durch eine tatkräftige Umsetzung verläßt sie die Zweidimensionalität des Papiers und erwacht zum Leben. Und wenn sich nur eine Minderheit einer Volksgruppe um die Verwirklichung Hamas-Charta bemüht, darf man keine Pauschalverurteilung abgeben – genau wie im Falle einer Menschenrechtserklärung schon gleich mit der Rettung der Welt zu rechnen ist.


Auch ich teile die Auffassung, daß bewußtes Mißverstehen nicht unbedingt zu den Tugenden zählt, aber Einbildung gehört auch nicht zu den hervorragenden Einstellungen. Dazu rechne ich die Unterstellung, ich hätte Herrn Selbach Zensurbestrebungen angehängt. Ich weiß ja nicht, wie es um die Befindlichkeit seines Magens bestellt ist. Bei mir jedenfalls führt eine Magenverstimmung nicht dazu, daß ich jemanden in den Dunstkreis eines Verhinderers und Pöblers positioniere, wie es Herr Selbach im Kontext mit dem Widerstand gegen  die Vorführung eines Films von Claude Lanzmann (über dessen Hintergründe und Inhalte ich nicht informiert bin) praktiziert hat. Diese Beschimpfung war gemünzt auf die Macher und Leser des KN. Auch wieder ein Fall für unsere User, sich in diesem Streitfall  eine eigene Meinung zu bilden und sie möglichst auch zu posten.

 

Peter A. Weber

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Überidentifikation oder Kumpanei?


Überidentifikation oder Kumpanei? 

   
Lieber Rudolf Selbach,

auch wenn Du mir anfangs schmeichelst, um dann umso enthemmter nachzulegen, Antizionismus sei in einem Atemzug mit Antisemitismus zu nennen, ja selbst ihre Gleichsetzung sei legitim, denke ich, dass Deine Beiträge etliche sachliche Fehler und falsche Behauptungen enthalten, die ich um der Ernsthaftigkeit der Debatte willen geraderücken möchte, auch wenn ich mir bewusst bin, dass sie in erster Linie aus emotionalen Gründen "unterlaufen" bei jemandem wie Dir, der nach eigener Auskunft verkrampft bemüht ist, "seinen Mageninhalt" bei sich "zu behalten", und dieses Grummeln und Gären, das er in sich spürt, durch peristaltisches Würgen im Griff zu halten bemüht ist. Nur auf der Kotzebene kommen wir nicht weiter, auch nicht mit Anpinkeln, Giftsprühen, Dünnscheißen und Überschäumen, um es mal derb zu sagen.
 
Die Unwahrheit zu kolportieren verunreinigt nur die Umwelt und beschmutzt einen selbst. Bleiben wir doch sachlich: Die letzten Bastionen der Selbstverteidigung von Übeltätern vor Gericht sind 1. der Verweis auf die Provokation des Gegners/Opfers und 2. der Verweis auf die eigene schwere Kindheit. Der Tatvorwurf als solcher kann nicht bestritten werden angesichts der Beweislage, und so bleiben nur Gegenangriff und/oder Selbstentschuldigung. Beide Strategien tun übrigens nichts oder wenig zur Sache, können allenfalls zur Strafverschärfung oder zur Gewährung strafmildernder Umstände beitragen. Nun stehen weder Israel vor Gericht noch Du, und ich frage mich, wieso Du Dich so verzweifelt um Kopf und Kragen argumentierst.
 
Weder musst Du Dich überidentifizieren mit den Bösewichten noch Dich zu Netanjahu und Konsorten in geistige Kumpanei begeben. Nicht Du stehst am Pranger, sondern Israels Kriegs- und Besatzungspolitik steht unter Anklage, wenn auch nicht vor Gericht, da Israel ein solches nicht anerkennt. Israel stellt sich außerhalb der Völkerrechtskonventionen, um nicht verurteilt werden zu können. Das ist aber natürlich "Vogel-Strauß"-Politik, der naive Kinderglaube, solange man den Kopf in den Sand stecke, sähen einen die Andern nicht.
 
Du beklagst, "am Rand einer Demonstration gegen den ersten Irak-Krieg (eigentlich war es schon der zweite) einen Teilnehmer, den als Kotzbrocken zu bezeichnen ich keine Sekunde zögere und über dessen Herkunft und religiöses Bekenntnis ich lieber nicht spekulieren will." gesehen zu haben. "Er posierte mit erhobener Faust vor der Kamera und skandierte: „Tod dem (!) Israel!“ Der Grund, aus dem ich vor Kampagnen gegen Israel warne und mir eine eigene Teilnahme an ihnen nicht vorstellen kann, ist leicht genug zu verstehen: Ich möchte mich nicht neben so einem wiederfinden." Ich auch nicht, stell Dir vor! Ich muss Dir aber was verraten:
 
Auf einer Kundgebung unter dem Motto "Gegen Rassismus, Antisemitismus und Naziterror" (ich habe das Bühnentransparent selbst gemalt, daher kann ich mich genau erinnern) musste ich den (erwachsenen) Sohn einer Bekannten, einer jüdischen Sängerin, krakeelen hören: "Die Araber gehören ausgerottet!" Reinster Nazi-Wortschatz aus zionistischem Munde. Ich habe ihr das auch so deutlich gesagt. Sie entschuldigte ihren Sohn mit dem flapsigen Satz "Meschuggener Kerl, Du weißt doch ...", und nach Sekunden: "No, sind se denn nicht alle Stinker?!" Seither ist unser Kontakt begrenzt, weil langwirkend belastet. Mit ihr war nicht mehr zu reden. Niemals würde ich diesen Vorfall verallgemeinern, wiewohl ich weiß, dass Rassismus gegenüber "Arabern", wie sie die Palästinenser nennen, unter Juden durchaus verbreitet ist, seltsamerweise auch in Deutschland, wo die Palästinenser ja nun wirklich sein "dürfen", ohne sich so anpöbeln lassen zu müssen, ob von Juden oder Deutschen oder von deutschen Juden. Einen Neonazi hätte ich dafür aus dem Verkehr ziehen lassen, wenn ein Polizist greifbar gewesen wäre – wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Völkermord. Du siehst, die "Kotzbrocken" sind allseits zu finden, Du musst sie nicht ausschließlich bei Nichtjuden verorten.
 
Und einen zweiten Vorfall führst Du an: "Wenn ausgerechnet in Deutschland – wie im vergangenen Jahr in Hamburg geschehen – die Vorführung eines Films von Claude Lanzmann verhindert und der Regisseur aufs übelste rassistisch angepöbelt wird, ist es schon weit gekommen. Die Verhinderer und Pöbler hätten zu den begeisterten Lesern mancher Beiträge im „Kritischen Netzwerk“ gehören können." Abgesehen davon, dass ich nicht verstehe, wieso Du Dich in einem so üblen Internetforum tummelst und sogar ausführlich schreibst, frage ich mich ernsthaft, wo Du da einen Beitrag entdeckt haben willst, der sich für Zensur stark macht (außer Deinem eigenen, den ich entsprechend kritisiert habe), muss Dir freilich auch dazu Gegenbeispiele nennen, wiederum aus München:
 
Als Professor Ilan Pappe, ein Historiker, der von der Universität in Haifa weggemobbt worden war und heute in England doziert, bei einer Veranstaltung von "Salam-Shalom" (Arbeitskreis Palästina-Israel e.V.) im Pädagogischen Institut des Münchner Schulreferats auftreten sollte, kam es zu einem bezeichnenden Vorfall (bezeichnend deshalb, weil es inzwischen bundesweit zur Methode wurde, Israel-Kritiker entweder mit Auftrittsverboten, Veranstaltungsverhinderungen oder auch juristisch mundtot machen zu wollen), der ein Licht auf die Aktivitäten der "deutsch-israelischen Gesellschaften" wirft, welches ziemlich dunkle Schatten wirft.
 
Dieser Verein richtete einen Brandbrief an die Landeshauptstadt, in dem 1. in diffamierender Weise auf die "antisemitischen" Absichten des jüdischen Historikers hingewiesen und 2. mit zu erwartenden "Störungen" gedroht wurde, vor denen man ja nur warnen könne. Eine perfide Art, die selbst inszenierte tumultöse Störung oder Sprengung der Veranstaltung anzukündigen. Anstatt das durchsichtige Ansinnen zurückzuweisen und gegebenenfalls Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, knickte die Leitung des Schulreferats ein und kündigte einen Tag vor dem Termin die Nutzungsvereinbarung für den Saal. In aller Hektik musste ein Ersatz gesucht und gefunden werden, und die Information des interessierten Publikums über den Ortswechsel konnte nur noch übers Internet laufen. Über hundert Zuhörer mussten dennoch mit Bussen zum neuen Veranstaltungsort transferiert werden. Das Beispiel blieb nicht das einzige. Auch später führte eine weitere, ähnliche Krawall-Ankündigung dazu, dass der eingeladene Referent seinen Auftritt absagte. Du siehst auch daran, dass selbst robuste "Saalkampf"- Methoden von der Israel-Lobby nicht gescheut werden, und leider durchaus erfolgreich sind. Aber das ist alles nur Ausfluss und Erscheinungsform der generellen Absicht, Israel-Kritik klein zu halten und zu diskreditieren. Daher will ich mich dabei nicht länger aufhalten und zum Wesentlichen kommen.
 
Du schreibst: "Eine Zweistaatenlösung ist mit dem Antizionismus naturgemäß nicht vereinbar." Das ist doch wohl reiner Humbug: Viele Palästinenser wollen sie, die Arabische Liga will sie, die USA wollen sie, die EU will sie, die Vereinten Nationen streben sie an (alles Antizionisten, oder?), nur die israelischen Regierungen wollen sie partout nicht. Sind letztere am Ende selbst "Antizionisten" so wie (von ihnen gern unterstellt) der gesamte Rest der Welt? Vielleicht hast Du Dich einfach vertippt; ich hoffe das für Deine mentale Verfasstheit, bei aller Bauchgefühldominanz. Richtig müsste der Satz lauten: Eine Zweistaatenlösung ist vom zionistischen Staat nicht erwünscht, alle anderen Kräfte und Mächte (einschließlich der USA) wünschen sie ausdrücklich. Vereinbar mit dem Zionismus ist sie insofern nicht, als dieser das ganze Palästina für Juden beansprucht. Daher wird sie mit aller Macht hintertrieben. Dennoch ist sie auf dem heutigen Stand wohl kaum zu vermeiden, soll der permanente Kriegszustand beendet werden oder zumindest in einen kontrollierten Waffenstillstand münden. Umfassende Sicherheit für Israel wäre zumindest ein Argument dafür, dass sich auch Zionisten damit anfreunden könnten, wenn sie von ihren Expansionsbestrebungen nur lassen könnten. In der "Zwischenzeit" werden allerdings "Tatsachen" geschaffen und Siedlungen zementiert, die sie "überflüssig", weil unmöglich machen. Nicht weil sie mit "Antizionismus" nicht vereinbar wäre, und schon gar nicht "naturgemäß", sondern weil sie dem zionistischen Kolonialplan im Wege steht, wird die Zweistaaten-Lösung von Israel sabotiert.
 
Du fährst fort: "Die Idee einer gemeinsamen Heimat für Juden und Palästinenser zu vertreten, ist aber angesichts des in der gesamten islamischen Welt verbreiteten Judenhasses vollkommen unverantwortlich." Schon wieder eine Unwahrheit: Es gibt in der "gesamten islamischen Welt" keinen allgemeinen "Judenhass", sondern einen sehr konkreten antizionistischen Hass auf Israels Umgang mit den palästinensischen "(Glaubens-)Brüdern", und der kommt nicht von ungefähr, und er steigert sich mit jedem Verbrechen, das Israels Bulldozer-Politik jenen antut. Der Begriff "Juden" kam auch bei Mahmud Ahmadinedschad nie vor, wenn man seine Äußerungen richtig übersetzt liest; es ist immer die Rede von "Zionisten", vom "zionistischen Regime" bzw. vom "Regime, das Jerusalem besetzt hält". Du solltest nicht so beliebig mit dem "Judenhass" jonglieren.
 
Von "Judenhass" bei Moslems könnte nur sprechen, wer vergessen machen will, dass die Juden in Spanien zur Zeit der Mauren besser und freier lebten als zuvor unter den Christen, und genau deswegen dann nach der Rekonquista umso blutiger angefeindet und schließlich vertrieben wurden. Oder aber, wer Israel als ethnisch gesäuberten reinen Juden-Staat haben möchte unter Missachtung seiner auch palästinensischen, christlichen und anderen Minderheiten (im Kernland). Wer das will und ausdrücklich befürwortet, outet sich als Rassist und kann getrost aufhören gegen "Antisemitismus" zu argumentieren, ist er doch selber um keinen Deut besser, nur "umgekehrt". Ich unterstelle Dir so etwas nicht, aber Du solltest nicht immer und immer wieder Israel mit Judentum gleichsetzen, sonst redest Du Dich ins intellektuelle Nirwana. Der Abgrund oder "Untergrund", um den Du Dich mit Peter A. Weber balgen müsstest, ist da nicht so weit weg.
 
Weiterhin überlegst Du: "Man müsste Regierungen, die ihren Laden nur mit Gewalt und durch den Hinweis auf den äußeren Feind zusammenhalten können, sowie die einschlägigen Terrororganisationen für Knabenchöre halten, um darin eine Lösung zu sehen, die keine „Endlösung“ ist". Ich könnte Dir als ehemaliger Regensburger Domspatz (siehe hierzu Artikel Teil 1 und Teil 2 in der NRhZ) ganze Litaneien singen über die Affinität von Knabenchören und Terror(organisationen, in diesem Fall der "Una sancta Catholica"). Komm nicht mit solchen Vergleichen, von denen Du keinen Schimmer haben kannst, und schon gar nicht in der Konnotation mit dem perfiden Wort von der "Endlösung". Willst Du damit subtil andeuten, dass "die Moslems" oder "die Araber" Faschisten seien? Willst Du Koranverbrennungen befördern? Geht's noch?! Sowas hört man nicht einmal von eingefleischten Neonazis, die "die Orientalen" in ihrem islamophoben Hass verfolgen, aber doch nicht mit sich bzw. ihren historischen "Vorbildern" auf eine Stufe gestellt wissen wollten? Bring also nicht alles durcheinander, und lass die Kirche im Dorf!
 
Wie despotisch islamische Gesellschaftsbilder auch ausgeprägt sein mögen, derlei unsachliche Nazi-Vergleiche tangieren sie nicht. Ebensowenig richtetest Du damit aus, alles "Böse" in der Welt einzig im "Nationalsozialismus" verdampft sehen zu wollen. Es wäre ja schön, dann gäbe es nur noch relativ wenig "Böses" auf der Welt, bis auf ein paar braune Unbelehrbare. Aber es ist nicht so: Eine der so beschriebenen "Regierungen, die ihren Laden mit Gewalt und durch den Hinweis auf den äußeren Feind zusammenhalten", könnte auch Israel sein. Terrororganisationen hatte und hat es auch, wenngleich diese heute nicht mehr als paramilitärische Untergrundkommandos unterwegs sind, sondern als "geheimster Geheimdienst der Welt" firmieren. Die Ermordung iranischer Atomwissenschaftler geht auf dessen Konto, genauso wie die Entführung Öcalans in Rom. Sie sind keine "Franziskaner"-Patres (und selbst die haben es, wie wir über Bergoglios Verbindungen zum argentinischen Militärregime wissen, auch faustdick hinter den Ohren). Lass es also!
 
Unter der Staatsgründung Israels verstehst Du: "Ein eigener Staat für die der Vernichtung Entkommenen, mit einer Armee, die sie schützt. Darum gibt es diese Menschen noch. Und darum haben ihre Nachkommen vorläufig noch eine Überlebenschance. Wer diesen Staat zum Verschwinden bringen will, stellt ihre physische Existenz in Frage." Schon wieder falsch! Niemand stellt die physische Existenz der Holocaust-Überlebenden und ihrer Nachfahren in Frage außer diesen selbst, indem sie die Bedrohung, der sie entkommen sind, auf alles um sie herum, selbst auf ihresgleichen projizieren. Selbst kritisch denkenden Juden in Israel und anderswo wird notfalls "jüdischer Selbsthass" (im Nachkriegsdeutschland hieß es "Nestbeschmutzung") unterstellt, um sie zum Schweigen zu bringen. Die israelische Regierung rechnet mit 300 bis 500 israelischen Opfern im Falle eines Angriffskrieges gegen den Iran. So unverblümt zynisch hat noch niemand seit Nazizeiten den Tod von Hunderten von Juden (und mitbetroffener Palästinensern) einkalkuliert, außer vielleicht noch der deutsche "Big Broder", der ebenfalls zum selbstzerstörerischen Völkerrechtsbruch trommelt.
 
Schon rein militärisch aufgrund des Atomwaffenmonopols, insbesonders aber auch durch die Partnerschaft mit der EU und der NATO, ist Israel zwar punktuell verwundbar, aber niemals existenzgefährdet. Genau das lässt Netanjahu auch so ungeniert mit der Allein-Angriffs-Option jonglieren, von der selbst israelische Militärs und Geheimdienstler dringend abraten. Die allseitige und immer wieder bemühte Behauptung einer "Existenzbedrohung" ist groteske Selbstsuggestion und mutwillige Projektion eigener Aggressivität gegen Andere, und spätestens seit dem 6-Tage-Krieg eine faustdicke Lüge. Israel hält fremdes Territorium besetzt, es bedroht seine Nachbarn und verletzt (vorderhand ungestraft) beispielsweise syrisches Territorium, wie kürzlich erst wieder mit den Raketenangriffen auf angebliche Regierungs-Militärkonvois. Würde Israel einen friedlichen Umgang mit den Palästinensern und seinen Nachbar-Staaten pflegen, gäbe es überhaupt keinen Anlass für feindselige Haltungen gegenüber Israel, schon gar nicht gegenüber seinen Bewohnern. Die feindseligen Handlungen, denen Israel vorgibt zuvor kommen zu müssen, begeht es selbst. Es gefährdet sich dadurch, und so soll es ja auch nach außen aussehen.
 
Hält man aber das zionistische Projekt für riskant sowohl für Israel und seine Bewohner als auch gefährlich für die (arabische) Welt und deren Menschen, witterst Du Verrat an den Holocaust-Überlebenden, von denen sich nicht wenige genieren für ihre Regierung: "Das bedeutet: Wer sich gegen den Zionismus wendet, wendet sich gegen das zionistische Projekt: den Staat Israel. Er bestreitet ihm seine Existenz. Es ist daher nur legitim, zwischen Antisemitismus und Antizionismus einen Zusammenhang herzustellen. Selbst eine Gleichsetzung wäre verständlich." Genau dieselbe Logik, wie sie im deutschen Faschismus üblich war: Wer sich gegen das NS-Regime stellte, galt als "Volksschädling" und "Feind des deutschen Reiches". Gibt Dir das nicht zu denken, wie ähnlich die Argumentationsmuster sind? Wie ist es möglich, dass Du Dich angesichts solch unverdaulichen Gebräus in Deinem Magen nicht schon längst von allein übergeben hast?
 
Immerhin räumst Du ein: "Zugegeben werden muss, dass die militärische Logik, deren zu großes Gewicht zu den unvermeidlichen Geburtsfehlern des Staates Israel gehört, sich in einem erschreckenden Maße verselbständigt hat.", fährst jedoch im selben Atemzug fort: "Aber man sollte nicht übersehen, dass Palästinenserorganisationen, die palästinensische Autonomiebehörde und die Regierungen der Nachbarstaaten das Ihrige zu dieser Entwicklung beigetragen haben." Auch diese Gedankenfigur wird gern und ausgiebig von den Vertretern des verkappten und offenen Antisemitismus bemüht: Die Juden seien an Ihrem Schicksal selbst schuld, weil sie so und so seien oder sich so und so verhalten hätten. Eine perfide Lüge: Der Antisemitismus war eine Projektion der europäischen Umgebungen auf das, was sie als "Fremdkörper" ausgrenzten und abspalten wollten, um ihrer Bevölkerung ein "Feindbild" zu präsentieren, auf das man alle Schuld abladen konnte. Der Judenhass brauchte zu seinen infamen Behauptungen und Unterstellungen nicht einmal die Juden, sondern er bediente sich seiner eigens geprägten Klischees: Brunnenvergiftungen, die man ansonsten "Hexen" andichtete, Hostienfrevel, Kinderschändung, all das, was in der "eigenen" Gesellschaft vorkam, aber nicht vorkommen sollte, wurde wahlweise "den Zigeunern" oder "den Juden" angedichtet. Wenn irgend etwas als "gestohlen" vermisst wurde, waren es die Sündenböcke.
 
Im Unterschied zum jahrhundertelang "gepflegten" Antisemitismus in Europa ist der heutige Antizionismus nicht gegen "die Juden" gerichtet, sondernd gegen deren zionistisches Projekt, nämlich ganz Palästina zu vereinnahmen und die Palästinenser aus ihrem Land möglichst restlos zu vertreiben, um es rein jüdisch zu kolonisieren. Das war der Wesensgehalt des Zionismus von Anfang an, unter dem Vorwand eine "sichere Heimstatt für die Juden aus aller Welt" zu schaffen. Dass dieses rassistische Vorhaben auf Widerstand stößt (nicht nur bei den unmittelbar betroffenen Palästinensern), war klar und folglich auch, dass es nur gewaltsam realisiert werden kann. Nicht zuletzt deshalb passte es auch den britischen Kolonialherren bestens in den Kram. Es sollte verhindern, dass sich die Araber jemals zusammenschließen und zu einer starken Nation werden könnten.
 
Einer der renommiertesten israelischen Soziologen, Baruch Kimmerling, beschreibt die israelische Politik der Zermürbung der Palästinenser als die eines fortwährenden "Politizids", dessen Ziel es sei – so wörtlich –, „das Ende der Existenz des palästinensischen Volks als soziale, politische und wirtschaftliche Größe herbeizuführen ...“ Das führt automatisch zur Radikalisierung auf der anderen Seite. Nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 setzten Israel und die USA alles daran, ihr den Sieg streitig zu machen, indem sie die abgewählte Fatah des Präsidenten Mahmud Abbas mit Geld und Waffen unterstützten und den Gaza-Streifen rigoros abriegelten. Der ehemalige amerikanische Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter bezeichnet diese Politik des Westens als ein schweres Verbrechen am palästinensischen Volk. Das Konzept der Demokratie dürfte im Nahen Osten dadurch total diskreditiert sein. Die Hamas hat also keineswegs – wie es in unseren Medien immer heißt – durch einen Putsch im Gazastreifen die Macht an sich gerissen, sondern kam dem geplanten und schon vorbereiteten Militärschlag der abgewählten Fatah zuvor und übernahm die ihr zustehende Regierungsgewalt.
 
Seither leben die Menschen in Gaza unter einem unvorstellbaren israelischen Staatsterror: Schutzlos in einem riesigen Freiluftgefängnis eingesperrt, einem Ghetto, umgeben von Mauern, aus dem es kein Entrinnen gibt, total abhängig von der hochgerüsteten Militärmacht Israel, die Wasser, Elektrizität, Lebensmittel, Medikamente nach Belieben in dieses Ghetto "Gaza" hineinlässt oder auch nicht. Die Raketen der Hamas richten sich also gegen die brutale Belagerung und die inhumane Blockade des Gazastreifens, gegen die außergesetzlichen Tötungen, Verhaftungen, Massaker, Zerstörungen, gegen die barbarischen Aktionen der regionalen Supermacht Israel, gegen die täglich stattfindenden Kriegsverbrechen an Palästinensern in allen besetzten palästinensischen Gebieten – ganz besonders aber im Gazastreifen. Das macht sie nicht akzeptabler, aber verstehbar als Verzweiflungsakte gegen die erdrückende Übermacht, die nach Gutdünken Hamas-Funktionsträger exekutierte mittels gezieltem Raketenbeschuss. Wie aufgeheizt die Lage war, verdeutlichen nicht zuletzt die israelischen Äußerungen: Der stellvertretende israelische Verteidigungsminister Matan Vilnai droht im Februar 2008 der Hamas sogar mit einer "Shoah"!
 
Du musst Dir nur, wenn Du meinen Darstellungen nicht vertrauen solltest, die Reden führender Zionisten anhören, um zu sehen, was sie vorhaben: „Unser Ziel ist nicht ein jüdischer Staat in Palästina, sondern ganz Palästina als jüdischer Staat“! So redete David Ben Gurion, schon 1947, also noch vor der Staatsgründung: „Das Problem waren die vielen Araber“. Ben Gurion: „Ich bin für Zwangsumsiedlung. Darin sehe ich nichts Unmoralisches.“ Und noch einmal Ben Gurion vom Februar 1948: „Die Weisheit Israels ist es, Kriege zu führen und nichts anderes.“ Vermutlich kennst Du diese Zitate, willst sie aber nicht "wörtlich" genommen haben.
 
Vielleicht magst Du es Dir aus weniger brachialen Gehirnwindungen eher eingehen lassen. Der 2. israelische Ministerpräsident Moshe Sharett notierte in seinem privaten Tagebuch: „... Unsere Führung scheint anzunehmen, dass sich der Staat Israel auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen nach den Gesetzen des Dschungels benehmen darf – oder sogar muss.“ Sharett zitiert Moshe Dayan, den späteren Verteidigungs- und Außenminister, der am 26.05.1955 sagte: "Wir brauchen keinen Sicherheitspakt mit den USA. Solch ein Pakt wird uns nur ein Hindernis sein. Für die nächsten 8 - 10 Jahre sehen wir überhaupt keine Gefahr einer arabischen Übermacht für uns ... Der Sicherheitspakt wird uns die Hände binden und uns die (militärische) Aktionsfreiheit nehmen, die wir in den kommenden Jahren brauchen. Vergeltungsschläge, die wir – gebunden an einen Sicherheitspakt – nicht durchführen könnten, sind unser Lebensnerv. Erstens verpflichten sie die arabischen Regierungen, strenge Maßnahmen zur Sicherung ihrer Grenzen zu ergreifen. Zweitens – und das ist die Hauptsache – ermöglichen sie es uns, in unserer Bevölkerung und der Armee eine hochgradige Spannung aufrechtzuerhalten. Ohne diese (militärischen) Aktionen wären wir kein kämpferisches Volk mehr, und ohne die Disziplin eines kämpferischen Volkes sind wir verloren ..." Und weiter Moshe Sharett, staunend über Moshe Dayan: „Im Interesse dieses Ziels darf (der Staat Israel) – nein, muß er – Gefahren erfinden, und zwar durch die Methode von Provokation-und-Rache". Und als Krönung: "Hoffentlich gibt es einen neuen Krieg ..., so dass wir vielleicht endlich ... unseren "Lebensraum" erwerben". Welch ein Versprecher! ... Ben Gurion selbst sagte, daß es sich lohnen würde, einem Araber eine Million Pfund zu zahlen, damit dieser einen Krieg anfängt“ (!) Soweit Moshe Sharett im Jahr 1955, wohlgemerkt der langjährige erste israelische Außenminister und 2. Ministerpräsident, nicht irgendein westlicher Korrespondent oder nahöstlicher Übelwoller.
 
Moshe Dayan, Armeechef und, wie Shimon Peres und Ariel Sharon, Verfechter der von Ben Gurion verfolgten Gewaltpolitik, sagte auch ganz unverblümt, was er von seinen engsten und mächtigen Bündnispartnern hielt: "Unsere amerikanischen Freunde bieten uns Geld, Waffen und Ratschläge. Wir nehmen das Geld, wir nehmen die Waffen aber wir lehnen die Ratschläge ab." Das klingt zunächst nach stolzem David, der sich von keiner Macht der Welt hindern lassen will, das zu tun, was er glaubt tun zu müssen. Aber in Wirklichkeit ist lediglich es Ausfluss seiner Hybris, auch ohne die Unterstützung des Auslands seine zionistischen Ziele durchsetzen zu können. Das könnte sich noch als fataler Irrtum herausstellen. Bis zu dem Tag, an dem auch von den Verbündeten Druck ausgeübt werden wird auf Israel, wird dennoch munter so weiter gemacht und im doppelten Wortsinn gekriegt, was zu kriegen ist.
 
Nein, Israel darf keine Zweistaaten-Lösung und damit eine Entschärfung des Konflikts oder gar Frieden wollen, wenn es "das gelobte Land" völlig unter Kontrolle bringen will, und das will es zweifelsohne. Dazu bemerkte im Juli 2008 der US-amerikanische Jude Richard Falk, emeritierter Professor des Völkerrechts und Sonder­bericht­­erstatter der UNO für Palästina: „Ich finde es schockierend, dass den wiederholten Angeboten der Hamas für einen langfristigen Waffenstillstand ... so wenig Beachtung geschenkt worden ist. Die Hamas erklärte – trotz einer Reihe von israelischen Provokationen nach den Wahlen im Januar 2006 – einen einseitigen Waffenstillstand und hielt ihn auch weitgehend ein. Während dieser Zeit hat Israel seine gezielten Erschießungen und seine militärischen Einfälle in die palästinensischen Gebiete fortgesetzt. Daher muss man sich fragen, ob Israel überhaupt daran interessiert ist, die Gewalt zu reduzieren, die mit seiner sogenannten Sicherheitspolitik in den besetzten Gebieten verbunden ist.“
 
Du solltest Dich auch fragen, ob Deine emotional gesteuerte Parteinahme für diese Politik, für diesen Staat, für diese Regierungen nützlich oder schädlich ist für das Judentum, geschweige für den Weltfrieden. Stell' Dir einfach die Frage, was besser ist für die unmittelbar beteiligten und betroffenen Bevölkerungen: Ein ungewinnbarer Krieg in Permanenz oder ein gerechter Frieden, wie der auch immer verhandelt werden kann nach soviel Verwundungen. Es ist eben alles eine Frage des Standpunkts und der Interessenslage: Wäre er als Palästinenser geboren, hätte er sich "einer terroristischen Organisation angeschlossen", meinte Ehud Barak (Premier Minister Israels) am 17. Mai 1999 knochentrocken. David ben Gurion (Staatsgründer und 1. Premierminister von “Israel”) sah den Interessenskonflikt ebenso nüchtern wie brutal: "Warum sollten die Araber Frieden schließen? Wäre ich ein arabischer Führer, würde ich niemals mit Israel verhandeln. Das ist ganz natürlich: Wir haben deren Land genommen. Sicher, Gott hat es uns versprochen, aber was geht die das an? Unser Gott ist nicht deren Gott. Wir stammen aus Israel, aber das ist 2000 Jahre her, und was interessiert die das? Es gab Antisemitismus, die Nazis, Auschwitz, aber war das deren Schuld? Das Einzige, was die sehen ist: Wir kamen her und stahlen ihr Land. Warum sollten die das akzeptieren?" Anders als terroristisch gefragt: Warum sollten sie Frieden denn nicht akzeptieren? Nun, es liegt in ihrem vitalen Interesse einen eigenen Staat zu bekommen. Sie wollen nicht auf ewig Flüchtlinge, Vertriebene, Entrechtete, Bombardierte, Ausgehungerte sein, sowenig wie die Israelis immerzu Angst und Panik haben wollen, dass der nächste Bus, in den sie einsteigen, in die Luft fliegt. Ihre Führung will das vielleicht, die Bevölkerungen nicht.
 
Die Kriegslogik zu verlassen gelingt freilich nur, wenn man die Sichtweisen wechselseitig an sich heranlässt, wenn man aufhört, den "Gegner" zu dämonisieren oder auf ihn all das zu projizieren, was man selbst mit sich herum schleppt. Denn diese Projektionen bewahrheiten sich umso schneller, je mehr man sie strapaziert. Und sie zerstäuben ins Nichts, lernt man den Standpunkt des Anderen kennen und seine Geschichte zu begreifen, seine Ängste und Befürchtungen zu würdigen, seine Traumatisierungen erkennen und seine durch "schlechte Erfahrungen" gewachsenen Urteile und Vorurteile. Wo immer Israelis und Palästinenser sich zusammenfinden, etwa zu Friedensaktionen oder zu Initiativen gegen Hauszerstörungen, zu Checkpoint-Beobachtung oder einfach zu Gesprächsgruppen, verblasst der Hass, wo das Interesse am Verstehen wächst. Dann wird schnell klar, wie der Andere "tickt", was ihn bewegt und wie er wirklich ist – nicht Abziehbild hässlicher Karikaturen. Das ist freilich nur in Einzelfällen möglich. Die Regel bleibt die Wahrnehmung entgegengesetzter und scheinbar unvereinbarer Narrative sowie deren Instrumentalisierung durch die jeweiligen politischen Führungen.
 
Hinzu kommt der Effekt der projektiven Deformation: Nimm einem Menschen seinen Lebensunterhalt, sein Zuhause, enteigne ihn, entrechte ihn, pferche ihn in Ghettos oder auf isolierte Landstriche, entziehe ihm das Wasser oder den Strom, baue Mauern darum herum, und schon nach relativ kurzer Zeit wirst du ihn verwahrlosen sehen, entwurzelt, verbittert, verarmt, verroht, arbeitslos herumsitzend seine Kinder dazu ermuntern Steine zu werfen. Das passierte mit den Palästinensern in den Flüchtlingslagern in Gaza, das widerfuhr den "Ostjuden" in den Ghettos und Städten, es geschah den Schwarzen in den Bantu-Staaten und den Indianern in den Reservaten Nordamerikas, die sich dem "Feuerwasser" des Weißen Mannes ergaben, und es ist ein Leichtes, auf die traurigen, "verkommenen" Gestalten herabzublicken, seine Vorurteile bestätigt zu sehen, und jene zu verachten, zu ächten und auszustoßen. Die Hemmungen sie weiter zu entmenschen und ihr Leid nicht an sich heran zu lassen sinken proportional zu deren Verelendung. Und reziprok dazu steigt der Hass der Erniedrigten auf ihre Verfolger.
 

Am Schluss dürfen die israelischen Soldaten palästinensische Kinder verhaften, foltern und einsperren, und schämen sich dabei nicht einmal. Die meisten jedenfalls. Einige desertieren, weil ihnen das doch peinlich wird und sie das nicht mehr mitmachen wollen. Sie riskieren viel, sie sind wesentlich mutiger als der moralisch korrumpierte Rest der stolzen israelischen Armee. Sie sind Menschen und wollen keine Kindsmisshandler sein. Das ehrt sie durchaus, aber es sind noch viel zu wenige, die sich verweigern. Denn der Militärdienst gilt nach wie vor als Eintrittskarte in die israelische Gesellschaft und Empfehlung ins Berufsleben, ganz archaisch.
 
Israel züchtet sich seine Feinde systematisch selbst, auf Generationen. Und es züchtigt sich damit selbst, verkrampft, verhärmt und verhärtet, wird stumpf letztlich sich selbst gegenüber. Da nimmt man dann auch "300 bis 500" tote Juden inkauf, da spielt man dann auch mit dem ultimativen Einsatz von Atomwaffen, wie im 6-Tage-Krieg geschehen (und von Dir pauschal in Abrede gestellt. Von wegen "verantwortungsvoller Umgang", – es stand mehrmals kurz davor). Sie werden nicht zuletzt "Tempelwaffen" genannt, weil sie alles mit sich in den Abgrund reißen sollen; sobald die Säulen des Tempels ins Wanken geraten, würde sie Samson selbst stürzen, um die Philister mit in den Abgrund zu reißen (so die biblische Lesart). Israels selbstgewählter "Existenzkampf" gegen den Rest der Menschheit ist auf Dauer ein irrwitziges (wenn auch vermeidbares) Selbstmordkommando, zumal ihm seine Existenz niemand ernstlich abspricht, auch die Autonomiebehörde nicht, wohl aber seine verantwortungslose Politik ankreidet und seine Regierung zum Teufel wünscht. So wie das viele Israelis übrigens auch tun. Deine Identifikation mit dem Staatsapparat treibt grausige Blüten.
 
Die Palästinenser könnten sich durchaus damit abfinden, mit Juden in einem Land leben, wenn Israel aufhören würde, ihre Rechte mit Füßen zu treten. Sie würden nicht einmal in ihrer Mehrheit zurückkehren wollen in ihre alten Gehöfte, die es nicht mehr gibt, wenn ihnen ein prinzipielles Rückkehrrecht zugesichert würde, das auch mit Entschädigungszahlungen zu kompensieren wäre, wenn sie gleichberechtigte Staatsbürger wären und eine Anerkennung ihres Leides erfahren würden, historische Gerechtigkeit also, wie sie auch den Juden widerfahren ist. Die Ein-Staat-Lösung wäre ein Israel-Palästina, zweifellos anders verfasst als das heutige Israel, aber selbstverständlich mit Sicherheitsgarantien für die gesamte dort lebende Bevölkerung. Dazu ist Israel keinesfalls bereit, weil es ein exklusiver Judenstaat sein will.
 
Die Zwei-Staaten-Lösung wäre ein schmerzlicher, aber vermutlich historisch notwendiger Umweg dahin, wenn auch von relativ wenig Nutzen auf dem Weg zum Frieden, außer dem, dass er dann auf gleicher Augenhöhe ausgehandelt werden könnte, von Staat zu Staat, was immerhin ein immenser Vorteil wäre, aber kaum Entschärfung oder gar Lösung des eigentlichen Konflikts brächte. Die Wahrscheinlichkeit nämlich, dass sich beide Staaten unversöhnlich und feindlich oder zumindest nicht friedfertig gegenüberstünden, scheint beim heute herrschenden, seit Jahrzehnten vergifteten Klima größer; es könnte zu einer harten Konfrontationsstellung kommen, wesentlich angespannter noch als zwischen BRD und DDR im Kalten Krieg, eher wie zwischen Nord- und Südkorea. Voraussetzung wäre ohnehin die Aufgabe der jüdischen Siedlungen in der Westbank, was Israel ebensowenig will wie dass die Palästinenser gleichberechtigte Staatsbürger würden. Das traurige Los der palästinensischen Wanderarbeiter bliebe bestehen und würde sich noch verschärfen, denn sie müssten weit ins israelische Kernland pendeln, wo ihnen blanke Feindseligkeit entgegenschlüge. Allein auf sich gestellt und ohne wirtschaftlichen Austausch mit Israel wäre ein noch dazu geographisch geteilter Palästinenserstaat kaum lebensfähig, da haben die Skeptiker durchaus recht. Was also will Israel?
 
Die totale Kolonisierung Palästinas. Das ist die traurige Realität. Israel kann gar keinen Frieden wollen nach seiner eigenen Logik, daher wird es ein grundsätzlich anderes werden müssen. Hagana und Irgun verübten grausamste Pogrome an der palästinensischen Bevölkerung, um sie zum schnellstmöglichen Wegzug zu bewegen. Die Aggressivität der jüdischen Siedler steht noch heute in dieser Tradition. In Kooperation mit dem Militär drangsalieren sie die palästinensische Restbevölkerung, verüben Überfälle, zerstören Brunnen und Solaranlagen, gerieren sich als kämpferische Vorhut des Kolonialismus, sozusagen als Mob des Zionismus. Nicht zuletzt, weil eine Siedlungsaufgabe das Ende ihrer Privilegien bedeutete. Als israelischer "Normalbürger" lebt es sich nämlich wesentlich bescheidener. Vor allem die ultraorthodoxen Siedler, die ihre Hauptaufgabe darin sehen zur Synagoge zu gehen und möglichst viele Kinder zu zeugen, und die Gründung des Staates Israel eigentlich ablehnen und als Blasphemie verurteilen, sich aber gern vom Militär "verteidigen" lassen ohne sich selbst zum Dienst zu stellen, geben den Ton an, obwohl sie eine Minderheit darstellen. Doch ihre fanatischen Forderungen nach dem gesamten Land (nicht Staat!) lassen sich gut instrumentalisieren. Sich mit ihnen ernsthaft anzulegen hieße einen Bürgerkrieg zu riskieren, raunt man in Israel. Man müsste sie an allen Vieren aus ihren Behausungen zerren. Dann doch lieber die Palästinenser ganz vertreiben. So geht die perfide Rechnung auf für die "Gemäßigten".
 
Aber nicht genug der unhaltbaren Thesen Deinerseits. Du behauptest wider alle militärische Logik, "dass trotz angedeuteter Angriffsdrohungen seegestützte Atomraketen in ihrer Eigenschaft als Zweitschlagswaffen grundsätzlich Abschreckungswaffen sind." Das sind sie nicht, jedenfalls nicht im Falle der Konfrontation mit dem Iran. Der hat nämlich gar keine, die er einsetzen könnte. Er könnte allenfalls konventionell zurückschlagen bei einem israelischen Angriff auf sein Territorium, wovon ihn die mobil positionierten seegestützten A-Waffen Israels ja genau abhalten sollen. Der Iran soll einen israelischen Militärschlag möglicht gelähmt und handlungsunfähig hinnehmen müssen, so das Kalkül. Der Einsatz solcher Waffen wäre in jedem Fall ein atomarer Erstschlag. Lüg Dir da nichts in die Tasche! Mit beidseitiger Abschreckung zwischen gleichermaßen gerüsteten Nuklearmächten hat das nichts zu tun. Du weißt wie ich, dass Israel im Nahen und Mittleren Osten das Atomwaffenmonopol besitzt. Die Rechnung ist, dass die (alleinige) Atomwaffen-Verfügungsgewalt Israel in die Lage versetzt, jede noch so völkerrechtswidrige Militäraktion mit jedenfalls deutlich vermindertem Eigenrisiko durchziehen zu können. Mit Verteidigungs- oder "Zweitschlags"-Kapazität hat das rein gar nichts zu tun. Woher nimmst Du die Chuzpe, eine solche schon in sich verlogene Behauptung aufzustellen?! Wo doch die "Abschreckung" im angedrohten Erstschlag läge.
 
Tatsächlich ist es doch so: Selbst wenn der Iran (eines Tages) einsatzfähige Atomwaffen hätte, wäre er doch total meschugge, seine eigene beinahe zwangsläufig folgende Vernichtung zu provozieren, indem er Israel auch nur damit bedroht. Das hat er übrigens auch bisher bei allem rhetorischen Säbelrasseln nicht getan, wohl aber Israel – laut und unzweideutig, nicht nur "angedeutet". Iran hätte in einem solchen Fall nicht nur Israel gegen sich, sondern beinahe automatisch auch die USA und die EU-Staaten. Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus: Israel droht unverhohlen mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Vertrauen auf seine atomaren Stärke wie auch seiner konventionellen Überlegenheit. Iran könnte nur (konventionell) zurückschlagen unter Inkaufnahme des Risikos seiner weitreichenden Zerstörung und nachhaltigen atomaren Verseuchung. Dennoch würden sich womöglich auch die Schiiten im Irak erheben, die Palästinenser, die Hisbollah im Libanon und wer weiß wer noch, und ein politischer Flächenbrand könnte entstehen mit unabsehbaren Folgen auch für Israel. Die Region würde brennen, und das Risiko wäre unkalkulierbar. Wer so tut, als hätte Israel alles im Griff, zündelt geistig mit an einem möglichen Weltbrand. Du solltest Dich schämen mit den Kriegstreibern zu heulen!   
 
Im Gegensatz zu Deiner Behauptung "Man hört auf sie (die Militärs), weil bei aller militärischen Stärke die Bedrohungslage Israels realistisch eingeschätzt wird, wenn man sagt, das Land sei von Todfeinden umgeben" hört die Netanjahu-Regierung offenbar auf ihre in diesem Fall zaudernden Militärs nur sehr widerwillig, wenn sie auf internationalem Parkett permanent zum Waffengang trompetet – wider alle Einwände und Bedenken, man könne "den Erfolg nicht garantieren", sähe aber die Risiken umso deutlicher. Man hört eben nicht immer auf sie, nur wenn es ins Konzept passt. Die derzeitige Regierung ist absolut unberechenbar. Sie beschimpft den iranischen Ministerpräsidenten als "Irren von Teheran" und ist selbst so durchgeknallt, dass ein israelischer Innenminister (!) in völliger Überschreitung seiner Kompetenzen einen Günter Grass frech und anmaßend auffordert seinen Literatur-Nobelpreis zurückzugeben und ihn flugs zur Persona non grata erklärt (wenn überhaupt wäre sowas die Sache des Außenministeriums). Anscheinend ist auch schon ein mahnender Schriftsteller sein "Todfeind". Solche Ausraster können schnell zu irrationalen Entscheidungen auch auf anderen Gebieten führen. Sei mir also nicht böse, wenn ich von dieser Regierung nichts "Vernünftiges" erwarte und ihre Besonnenheit in Zweifel ziehe.
 
Und dann der Gipfel Deiner gespielt harmlosen Naivität: "Warum glaubt er die Drohungen der israelischen Regierung wörtlich nehmen zu müssen?" Ich bin nicht Peter A. Weber, aber ich denke doch zu wissen warum: Weil diese eindeutigen Kriegsdrohungen mehrmals und immer wieder so verkündet wurden. Auch Du konntest sie hören. Sollen wir der israelischen Regierung etwa nicht glauben, was sie verkündet und androht? Macht sie etwa Späßchen? Sollen wir Israel vielleicht überhaupt nicht ernst nehmen? Sollen wir die "Spaßvögel" in Tel Aviv für nicht ganz dicht erachten? Wie hättest Du es denn gerne?! Willst Du das alte antisemitische Vorurteil befördern, "den Juden" dürfe man nicht trauen? Welch hinterhältige Frage an Deinen Adressaten!
 
Schließlich folgt Dein robuster finaler Rundhammer: "Das letzte der drei Kriterien für modernen Antisemitismus: Delegitimierung, Dämonisierung und „double standards“ findet so im „Kritischen Netzwerk“ seine Bestätigung. Die anderen sowieso." Hoppla, jetzt aber! Die doppelten Standards sehe ich bei Deinen verqueren Argumentationsversuchen zur Reinwaschung der israelischen Politik, und natürlich bei dieser selbst. Delegitimierung betreibt Israel mit Unterstützung seiner unkritischen Fans in aller Welt mit dem Pauschalvorwurf des "Antisemitismus", wann und wo immer der Zionismus oder das Verhalten der israelischen Autoritäten kritisiert wird. Und die Dämonisierung kann gar nicht weit genug gehen – bis hin zur Diffamierung als "Judenfeind" und "Nazi". Zur Auswahl stünde auch noch "Deutsch-National", "Völkisch", "katholisch", "protestantisch", – alles Agenturen und Horte des Antisemitismus ehedem. Bedien' Dich! In konservativen Kreisen findest Du ihn ebenso wie in Polen, in der Ukraine, in Russland, in Rumänien. Greif zu, und wirf mit Schimpf und Schande um Dich! Es wird diejenigen, denen Du es vorhältst, nicht tangieren.
 
Nach Deinem Kriterien-Dreigestirn könntest Du selbst locker als Vertreter des "modernen Antisemitismus" durchgehen, konsequent nach Deiner Logik gedacht. Ich sehe davon ab, Dir solch zynisches "Kompliment" zurückzugeben. Aber als Leser und gelegentlich Autor des Kritischen Netzwerkes fühle ich mich von derart unsachlichen Attestierungen und apodiktisch zusammen geschusterten Kriterienkatalogen zur "Freund-Feind-Kennung" schon angewidert. Nimm das zurück, denn es spricht wirklich nur gegen Dich! Sollte das Niveau auf diesem Level bleiben oder noch weiter unter die Gürtellinie rutschen, sehe ich unseren Dialog als beendet an. Dann kannst Du in anderen Blogs und Foren ätzen. Irgendwann wird niemand mehr mit Dir korrespondieren wollen, aber vielleicht willst Du das dann auch so, um sagen zu können: Seht nur, Ihr seid doch alle ...
 

Vielleicht liest Du mal dieses Buch, in dem folgendes Zitat vorkommt: „Was das Land zusammenhält, sind unsere Kriege. Wir sagen oft, es sei ein Glück, dass wir die Araber zu Feinden haben, sonst hätten wir uns schon längst gegenseitig zerfleischt. [Wenn unsere Feinde schlau wären, würden sie ihre Waffen niederlegen, aus ihren Schwertern Pflugscharen machen und geduldig abwarten, dass wir die Arbeit für sie erledigen.“] Avraham Burg, Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss, Frankfurt am Main 2009, S.64
 
Da ich kein Feind Israels bin, warte ich nicht in Ruhe ab, sondern mische mich ein, um mit zu helfen den verhängnisvollen Weg zu stoppen, der unweigerlich ins Aus führen muss, wenn er unverändert fortgesetzt wird. Diese Sorge bewegt noch viel vehementer viele Juden innerhalb und außerhalb Israels. Sie fühlen sich von solchen wie Dir im Stich gelassen. Vergiss also Deine "Nibelungentreue" zur Kriegs- und Besatzungspolitik Israels! Sie lässt sich weder als (mit-)fühlender Mensch noch als politisch informierter Humanist rechtfertigen. Schon gar nicht als Internationalist, als Kosmopolit, als Antimperialist, als Sozialist oder Kommunist oder Anarchist, nicht als Demokrat und nicht als Verteidiger des Menschenrechts oder des Völkerrechts, und eigentlich nicht einmal als Zionist. Denn wer wollte schon sehenden Auges auf den Abgrund zu marschieren?! Die Nazis haben es getan, und dafür die verdiente Quittung bekommen.
 
 
Richard Szklorz* schrieb:

"Die Einverleibung der Westbank ist ein nationalistisches Großprojekt, dessen Förderer sich nie ernsthaft um den sogenannten Friedensprozess scherten. Wer an die dramatische Situation der palästinensischen Bevölkerung erinnert, muss daher zwangsläufig als Saboteur des Projekts dingfest gemacht und nach Möglichkeit zum Verstummen gebracht werden. Egal ob Jude oder Jakob Augstein. Jüdische Kritiker, die das Ende der Besetzung verlangen, tun es nicht obwohl, sondern weil sie Juden sind. Sie nehmen das Risiko in Kauf, von nationalistisch gesinnten Gruppierungen der eigenen Gemeinschaft als Abweichler, Universalisten, gar Verräter verleumdet zu werden. Manchmal auch als sich selbst hassende Juden oder als Antisemiten.

Bei diesem Streit steht der Holocaust als feste Größe immer im Raum. Die streitenden Protagonisten ziehen jedoch unterschiedliche Schlussfolgerungen daraus. Die Einen definieren sich national, sie glauben an das Allheilmittel der Waffenstärke, und sie sind immer im Dienst und bemüht, die Wehrmauern aus Denkverboten auch anderen aufzuerlegen, ob Juden oder Nichtjuden. Die Anderen halten am Vermächtnis der großen jüdischen Denkerinnen und Denker des 20. Jahrhunderts fest: an Martin Buber, Franz Rosenzweig, Gerschom Scholem, Hannah Arendt, Leo Baeck, Jehoschuah Leibowitz, Joshuah Heschel oder an dem liberalen Zionisten Nahum Goldmann. Sie alle wussten, dass die jüdische Tradition nicht um ihrer selbst willen da ist, sondern der ganzen Welt eine Botschaft der Humanität und Vernunft, des dialogischen Denkens, der Kompromissbereitschaft übermittelt. Allemal auch für die Palästinenser."

(*Richard Szklorz, geboren und aufgewachsen in der Nachkriegs-Tschechoslowakei, studierte an der Universität Tübingen und an der Freien Universität Berlin. Lange lebte er in London, Jerusalem und New York, wovon die New Yorker Zeit beinahe seine zweite Auswanderung wurde. Nach der Wende bereiste Szklorz als Redakteur der Wochenzeitung "Freitag" zum ersten Mal wieder sein Geburtsland und andere ostmitteleuropäische Staaten. Inzwischen lebt er in Berlin und arbeitet als freier Journalist für Zeitungen und Rundfunkanstalten. Szklorz ist Autor zahlreicher Glossen über den deutschen Alltag sowie von Kommentaren, Rezensionen und Berichten aus der jüdischen und jüdisch-deutschen Welt.)
 
Ich halte zu den Klügeren. Das solltest Du auch tun, willst Du kein Dummkopf sein, der ungefiltert platte Regierungspropaganda nachplappert. Salam, Shalom, und ein Hoch auf die Vernunft!
 
Wolfgang Blaschka
 

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Rudolf Selbach
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Verbunden: 25.09.2012 - 19:27
Unvertretbare Argumentationsmuster


Lieber Wolfgang Blaschka,

Ihr Kommentar wirkt auf mich einigermaßen befremdlich, und zwar sowohl durch seine bloße Masse als auch durch das Ausmaß der Erregung, die er durchgängig, und ohne darin nachzulassen, spüren lässt. Auch wenn ich zugeben muss, selbst nicht ohne Zorn und Eifer geschrieben zu haben, glaube ich so weit dann doch nicht gegangen zu sein. Meine Enttäuschung über die m. E. weitgehend nicht-argumentative und kaum mehr als selbstbezügliche Antwort des Herrn Weber zu äußern, mag nicht ganz den Regeln entsprochen haben, aber es gab dazu auch nicht mehr und kaum anderes zu sagen.

Ihre Belehrungen über Bekanntes und der um selbst konstruierte Ecken herum erfolgte scheinbare Nachweis unvertretbarer Argumentationsmuster verfehlen bei mir die möglicherweise gewünschte aufklärende Wirkung. Besonders unproduktiv scheint es mir zu sein, (übrigens fast deckungsgleich mit Herrn Weber) einerseits die Aussagen von Hamas, Hisbollah und ihrer Unterstützer als „nicht so gemeint“ darzustellen und auf der anderen Seite die Bedeutung israelischen Säbelrasselns unnötig aufzublähen. Das Schema, nach dem hier Vertrauen und Ablehnung verteilt werden, kommt mir ziemlich unbrauchbar vor.

Noch unbrauchbarer sind einige Elemente Ihrer Terminologie. Was um Himmels willen soll der Begriff „Philosemitismus“ bedeuten? Von einem bekennenden Antizionisten sollte man erwarten, dass er, schon um seine taktische Position nicht zu schwächen, den Rekurs auf einen sich Rassentheorien verdankenden Terminus vermeidet. Die Legitimität der Weiterverwendung des Antisemitismusbegriffs muss ich in diesem Zusammenhang kein zweites Mal begründen. Den Vorwurf einer immunisierungsstrategischen Verwendung dieses Begriffs müsste ich für mich nur akzeptieren, wenn Sie sich in meinen in ihrem Umfang immer noch recht übersichtlichen Ausführungen besser zurecht gefunden hätten. Angesichts Ihrer Verwendung des Islamophobie-Begriffs kann ich aber nicht umhin, Ihnen meinerseits vorzuwerfen, sich einer Immunisierungsstrategie zu bedienen. Ich verweise der Kürze halber nur auf die Kritik, die an diesem Begriff geübt worden ist:

  • Heiko Heinisch, Nina Scholz: Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf? Wien 2012.

Was unsere eigene Debatte betrifft, so scheint sie kaum mehr zu bieten als die Möglichkeit der Erregungsabfuhr. Eine für beide Seiten des israelisch-palästinensischen Konflikts annehmbare Lösung ist keinem von uns bekannt. Und wenn jeder nur damit weitermacht darauf hinzuweisen, dass die jeweils andere Seite mindestens genauso abgrundtief böse ist wie nach Ansicht des Debattengegners die eigene, dann kann man das ganze auch lassen. Oder man mäßigt die Form des eigenen Engagements und übt sich in Äquidistanz. Das muss weder auf Zynismus noch auf Tatenlosigkeit hinauslaufen. Die vom „Komitee Grundrechte und Demokratie“ unter dem Titel „Ferien vom Krieg“ regelmäßig veranstalteten Ferienfreizeiten, in denen sich palästinensische und israelische Jugendliche begegnen und einander annähern können, sind allen „Mavi-Marmara“-Aktionen vorzuziehen.

Und die vor vierzehn Tagen bei Arte ausgestrahlten Aussagen ehemaliger Shin-Bet-Chefs, die die Ausweglosigkeit der derzeitigen politischen Situation Israels feststellen und aus ihrem tiefen Einblick in die Zusammenhänge sogar Gespräche mit der Hamas vorschlagen, lassen mehr hoffen als die mutmaßliche Wirkung deutscher Hasstiraden gegen Israel. Auch wenn die Grundsätze einer Organisation wie der Hamas einem kein übertriebenes Vertrauen einflößen.

Wir sollten allmählich unsere Auseinanderssetzung beenden. Mehr wird dabei nicht herauskommen.

 

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Stichhaltige Argumente sind nicht unvertretbar


Stichhaltige Argumente sind nicht unvertretbar

 
Lieber Rudolf Selbach,

es wäre ja schon einiges gewonnen, wenn Du Initiativen wie "Ferien vom Krieg" oder ähnliche Versuche, israelische und palästinensische Kinder zu gemeinsamen Projekten zusammenzuführen, unterstützt. Das hätte aber nichts mit Äquidistanz zu tun (es sei denn, Du machtest Dich zum Schiedsrichter darüber, welches Kinderleid und welche Traumatisierungen die schlimmeren, welche Vorbehalte und Ressentiments die berechtigteren wären. Im Gegenteil ginge eine Annäherung eben diametral gegen den Zionismus (mit seinem immanenten Apartheids-Gebot) und die Islamisierungsversuche der Hamas (mit ihren Radikalisierungstendenzen), und wäre damit sehr wohl parteilich gegen die Kriegslogik gerichtet, also "mitten ins Herz" des Konflikts, und ganz nah dran, also gar nicht "distanziert" – auch nicht "gleich weit".
 
Du scheinst aber mehr Probleme mit den Kämpfern der Hamas als mit der israelischen Armee zu haben, wiewohl letztere diejenige ist, weswegen die Auseinandersetzungen überhaupt stattfinden. Ohne Besatzung und Blockade, ohne die Vertreibungspolitik Israels gäbe es keinerlei Notwendigkeit einer palästinensischen Gegenwehr, und ohne zionistischen Kolonialismus überhaupt keinen Streit um die Landnahme durch jüdische Siedler. Du müsstest schon erklären, wieso Du denkst, dass die Resistenz der angestammten Bevölkerung in Deinen Augen verwerflicher oder gefährlicher sei als die Angriffe der Usurpatoren auf deren Lebensgrundlagen. Historisch liegt der Fall ziemlich eindeutig, und die Kausalität recht offensichtlich auf der Hand.
 
Du gehst auf keines meiner Argumente ein, unterstellst mir aber "unvertretbare Argumentationsmuster" und ganz konkret, "(übrigens fast deckungsgleich mit Herrn Weber) einerseits die Aussagen von Hamas, Hisbollah und ihrer Unterstützer als „nicht so gemeint“ darzustellen und auf der anderen Seite die Bedeutung israelischen Säbelrasselns unnötig aufzublähen", ja sogar, mich "einer Immunisierungsstrategie zu bedienen", und zwar "angesichts Ihrer Verwendung des Islamophobie-Begriffs". Nun kommt dieser Begriff in meinem zugegeben langen Kommentar (in der "bloßen Masse" von 6276 Wörtern) nur ein einziges Mal vor, und zwar im unmittelbaren Zusammenhang mit Nazis, die gegen "die Orientalen" solcherart Haltung an den Tag legen. Wieso meinst Du Dich davon angesprochen fühlen zu müssen, ja den Begriff (wie umstritten Du ihn auch sehen magst) gar auf Dich persönlich gemünzt zu nehmen, und davon abzuleiten, ich wollte damit Deiner Immunisierungsstrategie (dem Antisemitismus-Vorwurf gegen Israel-Kritiker, zu dem Du nach wie vor stehst) etwas Identisches entgegensetzen? Was immer das sei, erläuterst Du nicht näher, aber zu vermuten steht so etwas wie der "Nazi"-Vorwurf an Israel-Verteidiger, oder etwas in der Art? Das müsste Dich aber in keiner Weise tangieren, denn in dieser Konnotation habe ich den Islamophobie-Begriff nicht benutzt, und schon gar nicht gegen Dich. Wieso Du wie ein getroffener Hund aufheulst, bleibt Dein dunkles Geheimnis. Du musstest Dich nicht gemeint fühlen. Das hoffe ich jedenfalls.
 
Ich brauche auch kein taktisches Verhältnis zu irgend etwas, wenn ich den Begriff des "Philosemitismus" als bekannt voraussetze, was Dir als mittlerer "Skandal" dünkt: "Von einem bekennenden Antizionisten sollte man erwarten, dass er, schon um seine taktische Position nicht zu schwächen, den Rekurs auf einen sich Rassentheorien verdankenden Terminus vermeidet." Da besteht offenbar eine Kenntnislücke Deinerseits: Nicht der (nach dem Krieg in Westdeutschland so ostentativ herausgekehrte) Philosemitismus, also die allseits verkündete "Judenfreundlichkeit" verdankt sich der Rassentheorie der Nazis, sondern der damit überdeckt werden sollende Antisemitismus hat jene hervorgebracht. Ich habe dazu in meinem Artikel "Philosemitismus als Erlösung vom Antisemitismus?" ausführlich dargestellt, was damit gemeint ist: Philosemitismus, zumal (zwischen)staatlich als Doktrin praktiziert, ist der untaugliche Versuch, die deutschen Verbrechen an den Juden zu übertünchen und zu entschulden (unter einem Mantel der "Freundschaft" zu den Opfern des Holocaust) mit einer "Schicksalsverkettung" zwischen Deutschen und Juden, einer moralisch gebotenen wie auch militärisch garantierten "Verantwortungsgemeinschaft" für den Bestand des Staates Israel, und damit letztlich vergessen zu machen, wie es zur Shoah überhaupt kommen konnte: Durch Rassismus und Krieg, durch Nationalismus und Militarismus. Auf diese Weise kann also munter so fortgefahren werden, ohne an den Grundlagen beider Gesellschaften rütteln zu müssen. Deutschland "entschuldigt" sich fortgesetzt mit tatkräftiger Unterstützung des zionistischen Projekts, und lässt die Folgen seines "verlorenen" Krieges de facto anderswo ausfechten, um sich reinzuwaschen.
 
Du willst das nicht wahrhaben und beharrst forsch auf Deiner schon vorher nicht begründeten und nicht zu begründenden, weil sachlich grundlosen Behauptung: "Die Legitimität der Weiterverwendung des Antisemitismusbegriffs muss ich in diesem Zusammenhang kein zweites Mal begründen". Mit Argumentation hat das nichts zu tun, auch nicht mit Kenntnisnahme von Tatsachen. So kannst Du keinen Disput führen, ohne dass Du bei unlauteren Unterstellungen und faktischen Unwahrheiten landest. Am Ende bleibt nur vorgespiegelte Ahnungslosigkeit. "Was um Himmels willen soll der Begriff „Philosemitismus“ bedeuten?" Na eben das, was ich hier kurz skizziert habe. Aber anscheinend gefällt es Dir, Dich in Deiner "Unaufgeklärtheit" wohlzufühlen, denn Du betonst: "Ihre Belehrungen über Bekanntes und der um selbst konstruierte Ecken herum erfolgte scheinbare Nachweis unvertretbarer Argumentationsmuster verfehlen bei mir die möglicherweise gewünschte aufklärende Wirkung." Nun, darüber solltest Du hinweg kommen. Doch nicht genug damit, unterstellst Du auch noch mir, ich könne den Sinngehalt Deiner Erwiderung nicht überreißen. Ein listig lustiger Dreh ist das, von sich einfach auf andere zu schließen! Ernsthafte Debatten sind jedoch auf diese Art nicht zu führen (verzeih die "Belehrung").
 
Ich habe mich in Deinen "in ihrem Umfang immer noch recht übersichtlichen Ausführungen besser zurecht gefunden" als Dir lieb sein mag. Ich habe nämlich sehr deutlich herauslesen können, wieviel Dir daran gelegen ist, die Belege für Israels irrationale Kriegsdrohungen gegen den Iran als "nicht wörtlich" verstanden wissen zu wollen, sie also sträflich zu verharmlosen. Statt Dich "ertappt" zu fühlen in Deiner verklausulierten Parteinahme für das Verwerflichste, womit Menschen überhaupt drohen können, nämlich mit organisiertem Staatsterror über Ländergrenzen hinweg, mit Tötung und Zerstörung also gegen einen anderen Staat und dessen Bevölkerung, statt Dich dafür kleinlaut zu entschuldigen, die israelischen Drohungen als "Pillepalle" abgetan zu haben, denen kein Glauben zu schenken sei (als wäre die israelische Regierung ein nicht wirklich ernst zu nehmender Kindergarten), "schießt" Du "zurück" mit einem "Argument", das keines ist: Kritiker des Zionismus hätten "die Aussagen von Hamas, Hisbollah und ihrer Unterstützer als „nicht so gemeint“" dargestellt. Abgesehen davon, dass ich keinerlei Aussagen der Hamas erwähnt habe, also auch nicht relativieren oder als "nicht so gemeint" verharmlosen hätte können, bleibt mir ein Rätsel, wieso national-religiöses Gerede von seiten der Hamas Gegenstand unserer Auseinandersetzung sein sollte. Ich könnte abschnittsweise, ja seitenweise aus dem "Buch Josua" zitieren, da würden Dir die Zehennägel spreißeln und die Haare zu Berge stehen, so sehr strotzen die vor Gift und Galle gegen die Ursprungsbewohner Kanaans, Judäas und Galiläas, und diese darin geronnenen Mythen sind via Zionismus zur Staatsdoktrin Israels adaptiert und hochstilisiert worden, lesen sich beinahe wie geträumte Handlungsanweisungen für die Besatzungstruppen.


Nun zur Leseprobe: "Und Josua zog von Lachisch mit ganz Israel nach Eglon und belagerte die Stadt und kämpfte gegen sie; und sie eroberten sie an diesem Tag und schlugen sie mit der Schärfe des Schwerts, und Josua vollstreckte den Bann an allen, die darin waren, an diesem Tage, ganz wie er mit Lachisch getan hatte. Danach zog Josua hinauf mit ganz Israel von Eglon nach Hebron, und sie kämpften gegen die Stadt." (Josua 10,34-36)


Ähnliches hat tatsächlich auch in der neueren Geschichte stattgefunden, und nicht nur einmal. Aber ein konkretes Beispiel, das gut dokumentiert ist, will ich nennen, damit Du es nicht in den Bereich der Fabel verweisen kannst: "Am 9. April 1948 massakrierte Menahem Begin mit seinen Truppen des Irgun die 254 Bewohner – Männer, Frauen und Kinder – des Dorfes Deir Jassun," Die biblisch genannten Orte dürften eine vergleichbare Einwohnerschaft gezählt haben.


Im 4. Buch Mose wird uns von den Erfolgen der "Söhne Israels" berichtet, den Besiegern der Midianiter, die, "wie der Herr es Mose befohlen hatte", "alles töteten", "die Frauen gefangen nahmen" und "alle ihre Städte mit Feuer verbrannten". Als sie zurück zu Mose kamen, "wurde Mose zornig. (...) Warum habt Ihr alle Frauen leben lassen?" "So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind. Aber alle Mädchen, die unberührt sind, die lasst für euch leben." (31,7-18,14-18)


Und das blutrünstige Selbstlob nimmt noch lange kein Ende.

 
"An diesem Tag eroberte Josua auch Makkeda und schlug es mit der Schärfe des Schwerts samt seinem König und vollstreckte den Bann an der Stadt und an allen, die darin waren, und ließ niemand übrig und tat mit dem König von Makkeda, wie er mit dem König von Jericho getan hatte. Da zogen Josua und ganz Israel mit ihm von Makkeda nach Libna und kämpften gegen Libna. Und der Herr gab auch dieses mit seinem König in die Hand Israels; und er schlug die Stadt mit der Schärfe des Schwerts und alle, die darin waren, und ließ niemand darin übrig und tat mit ihrem König, wie er mit dem König von Jericho getan hatte. Danach zogen Josua und ganz Israel mit ihm von Libna nach Lachisch, und er belagerte die Stadt und kämpfte gegen sie. Und der Herr gab auch Lachisch in die Hände Israels, dass sie es am nächsten Tag eroberten und es schlugen mit der Schärfe des Schwerts und alle, die darin waren, ganz wie sie mit Libna getan hatten. Zu dieser Zeit zog Horam, der König von Geser, hinauf, um Lachisch zu helfen; aber Josua schlug ihn und sein Kriegsvolk, bis niemand übrigblieb." (Josua, 10,28-33)


So zieht sich das kapitelweise hin mit der Aufzählung der (archäologisch nur bruchstückhaft belegbaren) "heiligen Ausrottungen" im Westjordanland. Schon damals, in alttestamentarischer Zeit, war das Land also keineswegs unbewohnt, das da angeblich "von Gott verheißen" war. Es wurde mit brutalsten Mitteln erobert. Das ist Israels Gründungsmythos: Gemetzel und Gräueltaten. Und immer mit dem ethnischen Trennungsgebot, das gefordert wird bis heute: "Ich möchte, dass junge jüdische Männer ausschließlich jüdische Mädchen heiraten", postulierte 1993 der Großrabbiner Frankreichs, Sitruk, ohne befürchten zu müssen, von irgendeiner Instanz zur Ordnung gerufen zu werden.  


Im 3. Buch Mose wird den Juden vorgeschrieben, keine Vermischung der Art zuzulassen (19,19) und befohlen, das "reine" vom "unreinen" "abzusondern" (20,25), so wie der Herr selbst Israel von den anderen Völkern abgesondert hat (20,24), um eine rassische Diskriminierung herbeizuführen. "Ich will einen Unterschied machen zwischen meinem und deinem Volk." (2. Mose 8,19)
 
Im 5. Buch Mose darf sich das "erwählte" Volk (7,6) nicht mit den anderen Völkern vermischen: "Und sollst dich mit ihnen nicht verschwägern; eure Töchter sollt ihr nicht geben ihren Söhnen, und ihre Töchter sollt ihr nicht nehmen für eure Söhne." (7,3) Diese Politik der Apartheid ist die einzige Art, die Verschmutzung der von Gott erwählten Rasse zu verhindern, den Glauben, der ihn an sie bindet.
 
Diese Trennung von den anderen ist das Gesetz geblieben: In seinem Buch "Le Talmud" schreibt Rabbi Cohen: "Die Bewohner der Welt können aufgeteilt werden in Israel auf der einen, und allen anderen Nationen zusammen auf der anderen Seite. Israel ist – höchstes Dogma – das auserwählte Volk."
 
Bei der Rückkehr aus dem Exil wachen Esra und Nehemia über die Wiedereinführung dieser Apartheid: Esra weint, denn "das heilige Volk hat sich vermischt mit den Völkern des Landes" (Esra 9,2). Pinhas pfählte ein gemischtes Paar ... Esra befiehlt die rassische Selektion und den Ausschluss: "Diese alle hatten sich fremde Frauen genommen; und nun entließen sie Frauen und Kinder." (Esra 10,44) Nehemia sagt von den Juden: "So reinigte ich sie von allem Ausländischen ..." (Nehemia 13,30)
 
Diese Angst vor Vermischung und ablehnende Haltung gegenüber den Anderen geht über das Rassische hinaus: Wenn man das Blut des anderen durch die Mischehe ablehnt, lehnt man auch seine Religion, seine Kultur oder seine Art zu leben ab. Und so wütet Jahwe gegen die, die von seiner Wahrheit abweichen – der einzig richtigen selbstverständlich: Sophonie kämpft gegen die ausländische Kleidungsmode; Nehemia gegen die fremden Sprachen: "Zu dieser Zeit sah ich auch Juden, die sich Frauen genommen hatten aus Asdod, Ammon und Moab. Und die Hälfte ihrer Kinder sprach asdodisch oder in der Sprache eines der andern Völker, aber jüdisch konnten sie nicht sprechen. Und ich schalt sie und fluchte ihnen und schlug einige Männer und packte sie bei den Haaren und beschwor sie bei Gott: Ihr sollt Eure Töchter nicht ihren Söhnen geben noch ihre Töchter für eure Söhne oder euch selbst nehmen." (Nehemia 13,23-25) Alle, die dem zuwiderlaufen, werden hart bestraft. Rebekka, Frau Isaaks und Mutter Jakobs, sagt: "Mich verdrieß' zu leben, wegen der Hethiterinnen. Wenn Jakob eine Frau nimmt von den Hethiterinnen wie diese, eine von den Töchtern des Landes, was soll mir das Leben?" (1. Mose 27,46) Die Eltern von Samson sind von der Heirat ihres Sohnes mit einer Philisterin außer sich und rufen aus: "Ist denn nun kein Mädchen unter den Töchtern deiner Brüder und in deinem ganzen Volk, dass du hingehst und willst eine Frau nehmen von den Philistern, die unbeschnitten sind?" (Richter 14,3)
 
Die im heutigen Staat Israel systematisch betriebene Politik der "ethnischen Säuberung" entspringt dem Prinzip der ethnischen Reinheit, das die Mischung jüdischen Blutes mit dem "unreinen Blut" aller anderen Menschen verbietet. In den Versen, die auf den Befehl Gottes folgen, die Völker, die er ihnen ausliefert, zu vernichten, empfiehlt der Herr Mose, dass seine "Söhne ihre Töchter nicht zu Frauen" nehmen. (2. Mose, 34,16)
 
War der Weg Josuas nicht der, wie ihn Joram Ben Porath in der großen israelischen Zeitung Jediot Aharonoth vom 14. Juli 1972 beschrieb: "Es gibt keinen Zionismus, keine Kolonisierung durch den jüdischen Staat ohne die Verdrängung der Araber und die Enteignung ihres Landes." Die Methode dieser Enteignung des Landes bestimmte Rabin, als er Oberkommandierender in den besetzten Gebieten war: die Knochen der jungen Steinewerfer der Intifada brechen. Wie sah darauf die Reaktion der Talmud-Schulen in Israel aus? – Sie ließen einen der direkt für Sabra und Chatila Verantwortlichen an die Macht kommen: Genaral Rafael Eytan, der die "Verstärkung der bestehenden jüdischen Siedlungen" verlangte.
 
Warum sollte nun ein frommer und integristischer Jude (d.h. ein Jude, der sich an den Wortlaut der Bibel hält) nicht dem Vorbild solch wunderbarer Gestalten wie Mose oder Josua folgen? Steht nicht im 4. Buch Mose, als die Eroberung Palästinas (Kanaans) beginnt, geschrieben: "Und der Herr hörte auf die Stimme Israels und gab die Kanaaniter in ihre Hand, und sie vollstreckten den Bann an ihnen und ihren Städten"? (21,3) Und dann, die Amoriter und ihren König betreffend: "Sie schlugen ihn und seine Söhne und sein ganzes Kriegsvolk, bis keiner mehr übrig blieb, und nahmen das Land ein"? (21,35)
 
Auch im 5. Buch Mose, wo nicht nur die Plünderung der Erde und die Ausweisung der Eingeborenen, sondern das Massaker gefordert wird, heisst es wieder: "Wenn dich der Herr, dein Gott, ins Land bringt, in das du kommen wirst, es einzunehmen, und er ausrottet viele Völker vor dir her, die Hethiter, Girgasiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hewiter und Jebusiter, sieben Völker, die größer und stärker sind als du, und wenn sie der Herr, dein Gott, vor dir dahingibt, dass du sie schlägst, so sollst du an ihnen den Bann vollstrecken. Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und keine Gnade gegen sie üben." (5. Mose 7,1-2) "Und du sollst ihren Namen auslöschen unter dem Himmel. Es wird dir niemand widerstehen, bis du sie vertilgt hast." (5. Mose 7,24)
 
Das ist das Vorbild für die Art, wie die Zionisten – von Scharon bis Rabbi Meir Kahane – mit den Palästinensern umgehen. War der Weg Menahem Begins nicht durch den Josuas vorherbestimmt, als er dazu aufrief nicht nur "die Araber zu vertreiben, sondern sich ganz Palästinas zu bemächtigen"? Und war der Weg Josuas nicht der, den Mosche Dayan so bezeichnet hat: "Wenn wir die Bibel besitzen und wir uns für das Volk der Bibel halten, dann muss uns auch das Land der Bibel gehören."
 
Von der gleichen Überzeugung angetrieben, tötete Dr. Baruch Goldstein, Kolonist amerikanischer Herkunft in Kirjat Arba (Westjordanland), siebenundzwanzig Menschen und verletzte weitere fünfzig, indem er mit seinem Maschinengewehr am Grabe des Patriarchen betende Palästinenser niedermähte. Baruch Goldstein, Mitglied einer integristischen Gruppe, die mit der Patenschaft Ariel Scharons gegründet wurde (unter dessen Schutz die Massaker von Sabra und Chatila begangen wurden und der für sein Verbrechen mit einer Beförderung zum Wohnungsbauminister, beauftragt mit dem Bau von "Siedlungen" in den besetzten Gebieten, belohnt wurde), ist heute zum Gegenstand eines regelrechten Kultes für die Integristen geworden, die sein Grab schmücken und küssen, denn er stand treu in der Tradition Josuas, der alle Völker aus Kanaan ausrottete, um sich deren Land anzueignen.


Wollen wir da noch Worte verlieren? Müssen wir uns in Bibel- oder Talmud-Auslegung üben, oder gar den Koran bemühen? Fundamentalisten gibt es hier wie dort. Es dürfte schwierig werden mit dem Erkennen des Splitters im Auge des Anderen, solange man den Balken vor dem eigenen Auge nicht sehen will oder kann – um abschließend noch einmal im Zitatenschatz religiöser Gleichnisse zu stöbern.
 
Dabei war der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, beileibe nicht religiös, er sah sich selbst als Agnostiker. Doch den religiösen Nationalmythos konnte er gut gebrauchen zur Unterfütterung seines "historischen Anspruchs" auf das Land, das zu dessen Zeit einfach Palästina (und von Arabern und Nomaden bewohnt) war – ein Teil der späteren "Erbmasse" des Osmanischen Reiches, das die britischen Kolonialisten nach dessen Zusammenbruch besetzten, verwalteten und schließlich den jüdischen Immigranten zusagten und später teilweise überließen. Bereits mit der Balfour-Deklaration von 1917, also lange vor der Machtübertragung an die Nazis in Deutschland, wurde das den Zionisten in Aussicht gestellt. Und nicht aus Antisemitismus, sondern aus militärstrategischen Gründen während des Ersten Weltkrieges, nicht zuletzt um die Juden in und aus Europa wie auch aus Übersee gegen das mit Deutschland verbündete und vor dem Zusammenbruch stehende Osmanische Reich in Stellung zu bringen.
 
Alle späteren Konsequenzen gehen darauf zurück und daraus hervor. Angesichts dieser Historie jedwede Hasstiraden aus der islamischen Welt gegen die Kolonialpolitik Israels als "Antisemitismus" zu geißeln, führt in die Irre. Im Gegenteil lebten Juden und Araber jahrhundertelang friedlich zusammen. Die pauschale Ablehnung und Bekämpfung des israelischen Siedlungsprojekts sind vielmehr als antizionistisch zu begreifen, wenngleich die arabische Israel-Feindlichkeit ihrerseits nationalistisch und religiös verbrämt ist. Mit Feindschaft gegenüber Juden, wie sie im christlich geprägten Europa herrschte, hat sie rein gar nichts zu tun. Nimm doch bitte wenigstens diesen Fakt zur Kenntnis, und nimm Deine absichtsvoll falschen Gleichsetzungs-Versuche zurück statt sie argumentationslos aufrecht zu erhalten, um Israel-Kritiker zu desavouieren! Damit kommst Du nicht weiter, sondern diskreditierst Dich allenfalls als Propagandist einer schlechten Sache. Der Zionismus ist der spezifische Nationalismus der Israelis, mit samt mythologisch-religiöser Untermauerung. Nationalismus hatte jedoch und hat beinahe zwangsläufig fatalste Konsequenzen. Hier in Deutschland wie auch in Israel-Palästina.
 
Es gibt keinen "positiven Nationalismus" und keinen "harmlosen Patriotismus". Alle Spielarten dieser Borniertheit verkleistern die Hirne und Herzen der Menschen, für die sie Identitätskrücken sein wollen. In diesen Kategorien gedacht lässt sich freilich kein Konfliktlösungsansatz finden. Das heißt aber nicht, dass ich keinen wüsste und Dir keinen versucht hätte aufzuzeigen. Verlasse die Burg! Deine Giftpfeile treffen mich nicht. Denn ich bin Antinationalist und folglich "bekennender Antizionist", und keineswegs aus "taktischen" Gründen, etwa um Deinem Antisemitismus-Vorwurf zu entgehen. Ich halte es "strategisch" mit dem unteilbaren Internationalismus, und fordere Dich zum Abschluss unseres Gedankenaustauschs dazu auf, Deine Position zu überdenken und aufzuhören, "Erregungszustände" zu ventilieren. Damit ist niemandem im Nahen Osten gedient, und hierzulande auch nicht geholfen. Denn bei uns gilt es dem Naziterror entgegenzutreten, gegen Nationalismus, Rassismus und Krieg aufzustehen und den nach wie vor virulenten Antisemitismus, in welchem Gewand auch immer, politisch zu bekämpfen. Da hilft auch kein äquidistanziertes Abseits-Stehen. Dafür wird Dein Empörungspotenzial gebraucht, nicht zur "Verbroderung" der politischen Landschaft.

Ich wünsche Dir für Deine weiteren Überlegungen und für Dein ideologisches Fortkommen (aus den Fängen des Zionismus) viel Erfolg.

Wolfgang Blaschka
 


 
► Anmerkung:
 
Die blau markierten Textstellen sind entnommen aus einer Veröffentlichung von Roger Garaudy (1913-2012): "Die Gründungsmythen der israelischen Politik", speziell aus dem Kapitel "Der Mythos des Josua: Die ethnische Säuberung".

Nichts läge dem Autor Wolfgang Blaschka wie auch dem Kritischen Netzwerk ferner als antisemitischen und nationalistischen Tendenzen jedweder Art Vorschub zu leisten, wie aus den hier publizierten Texten unzweideutig hervorgeht. Daher kostete es einiges an Abwägungen, ob es überhaupt statthaft sei, sich zur Argumentation eines Buches zu bedienen, das in Frankreich unter Verbot steht, weil es Aussagen enthält, die als Leugnung des Holocausts aufzufassen sind, und sei es "nur", was Art, Zweck und Umfang seiner vorsätzlichen und planvollen Durchführung als industriell organisierter Völkermord betrifft. Garaudy versteigt sich in späteren Kapiteln seines Buches zu der These, dass das Ziel der NS-Führung nicht die physische Vernichtung der Juden (und anderer als "Untermenschen" oder "Volksschädlinge" klassifizierter Menschengruppen) gewesen sei, sondern lediglich ihre massenhafte Umsiedelung bzw. Auswanderung. Dem ist heftig zu widersprechen, entspricht diese Sichtweise doch keineswegs den historischen Tatsachen.

Dennoch sollte auf die im ersten Teil des Buches zusammengetragenen Zitate und Quellenverweise aus dem "Alten Testament" nicht verzichtet werden, belegen sie doch einen substanziellen Teil jenes national-religiösen Mythos, auf dem der moderne Zionismus fußt, der seinerseits keinesfalls mit dem religiösen Judaismus identisch ist und sein will. Im Gegenteil bestehen oft tiefgreifende Differenzen und Widersprüche zwischen (Ultra-)Orthodoxen und realstaatlich agierenden nationalistischen Zionisten.

Einige kritische Bemerkungen zur wechselvollen Vita von Roger Garaudy scheinen zwingend angebracht: Der ehemalige Hochschulprofessor, 1913 als Sohn eines Buchhalters in Marseille geboren, wurde von der deutschen Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg in ein Konzentrationslager verschleppt, aus dem er nach 30 Monaten Haft fliehen konnte. 1947 trat er der KP Frankreichs bei und war viele Jahre Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Frankreichs, die er auch als Abgeordneter in der Nationalversammlung vertrat. 1970 wurde er nach seiner Kritik am Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrags in die Tschechoslowakei aus der Partei ausgeschlossen. Im Jahr 1981 wollte er als Grüner und Kernkraftgegner französischer Präsident werden, doch konnte er die dafür notwendigen Unterschriften nicht aufbringen. Der französische Philosoph und Kulturwissenschaftler verstarb im Alter von 98 Jahren in Chennevières bei Paris, ohne seine dubiosen und falschen Aussagen zurückgenommen zu haben.

Prominenten Beistand erhielt Garaudy vom ägyptischen Literatur-Nobelpreisträger Nagib Mahfuz (1911-2006), einem der bedeutendsten Autoren seines Landes und führenden Intellektuellen der arabischen Welt, dem mit seiner Kairoer Trilogie (Zwischen den Palästen, Palast der Sehnsucht und Zuckergässchen) die uneingeschränkte Anerkennung als Schriftsteller und der ägyptische Staatspreis für Literatur zuteil geworden war. Sein Roman Die Kinder unseres Viertels konnte nach dem Abdruck der ersten Kapitel in der regierungsamtlichen Zeitung Al Ahram erst im Jahr 2006 auf Arabisch in Ägypten erscheinen, nachdem Proteste konservativer islamischer Kreise die Einstellung des Vorabdrucks erzwungen hatten – wegen angeblicher Gotteslästerung. Kurz nach Verleihung des Nobelpreises 1988 wurde in Kairo für Mahfuz ein Denkmal aufgestellt – an einer verkehrsreichen Straße am westlichen Nilufer. Die Preisverleihung wurde von Islamisten als Provokation seitens des Westens empfunden. Ein radikaler Geistlicher, der heute in den USA wegen Terrorismus zu lebenslanger Haft verurteilte Omar Abdel-Rahman, verhängte in einer Fatwa ein Todesurteil über den Preisträger. 1994, im Alter von 82 Jahren, wurde Nagib Mahfuz durch einen islamistischen Attentäter mit Messerstichen in den Hals angegriffen – nicht zuletzt wegen seiner Unterstützung des Friedensprozesses mit Israel. Er überlebte schwerverletzt und musste danach unter Personenschutz leben. Wahrscheinlich wegen seiner Ablehnung religiöser und nationalistischer Intoleranz und seines Eintretens für eine säkulare und demokratische Gesellschaft fühlte er sich dem verfemten Garaudy verbunden.

Zu dessen mehrmals wechselnden weltanschaulich-religiösen Ausrichtungen bleibt folgendes zu bemerken: Aus atheistischer Familie stammend, trat er in seiner Jugend dem Protestantismus bei, in den 60er Jahren dem Katholizismus, mit dessen rechtem Flügel er engen Austausch pflegte, schließlich – nach seinem Übertritt zum Islam 1982 – positionierte sich Garaudy als Kritiker des Staates Israel und dessen zugrunde liegender Staatsideologie, des Zionismus. Wegen Leugnung des Holocaust und "Anstachelung zum Rassenhass" in seinem 1996 erschienen Buch "Die Gründungsmythen der israelischen Politik" wurde Garaudy 1998 von einem französischen Gericht als "Negationist" zu neun Monaten Gefängnis auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 160.000 Francs (rund 24.500 Euro) verurteilt. Das Urteil wurde 2003 vom Europäischen Gerichtshof bestätigt. Er hatte u.a. die Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden als "Dogma" bezeichnet, also als einen Glaubenssatz, der keinen Bezug zur Realität habe, und zog die Funktionstüchtigkeit der Gaskammern und speziell die Existenz mobiler Vergasungswagen in Zweifel. Er benutzte immer wieder Topoi, Gutachten, Aussagen und Einschätzungen von fragwürdigen "Kronzeugen", wie sie auch gern von Holocaust-Leugnern und tatsächlichen Antisemiten herangezogen werden. Er selbst sah sich indes als Antizionist, nicht als "Judenfeind".

Daneben kritisierte er die Kollaboration der nationalistischen Zionisten mit den Nazis und warf ihnen vor, die durch die Expansion Hitlerdeutschlands akut gefährdeten assimilierungs-orientierten Juden in Europa verraten zu haben, indem sie nur finanziell, ideologisch und beruflich "nützliche" Juden retten wollten, und daraus sogar finanzielle und politische Vorteile ziehen konnten, um ihr politisches Ziel, die Staatsgründung Israels voranzubringen. Letztere Behauptungen und Darstellungen konnte er auch fundiert belegen.

Bei aller Fragwürdigkeit seiner teils verwerflichen, weil unbegründeten und nicht zu begründenden Thesen und unzulässigen, weil falschen Folgerungen und leichtfertigen Verdrehungen – werden hier aus dem religionskritischen Teil des Buches, das Garaudy ausdrücklich als Bestandteil einer Trilogie gegen "Fundamentalismus" verstanden wissen wollte, ausschließlich solche Passagen zitiert, die unumstritten sein dürften, da sie aus den Originalquellen der Thora und ihrer fünf Bücher schöpfen, denen nun selbst bei größtem Übelwollen kein "Antisemitismus" zu unterstellen ist. Von den inkriminierten Stellen seines Werkes allerdings, die hier selbstverständlich nicht aufscheinen, gilt es sich deutlich zu distanzieren.

 

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Rudolf Selbach
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Verbunden: 25.09.2012 - 19:27
Eindeutigkeit, ehrbarer Antisemitismus, Jean Amery


Wie Eindeutigkeit entsteht


Am Anfang der auf diesen Seiten geführten Auseinandersetzung schrieb ich in einem Kommentar zu einem Beitrag von Evelyn Hecht-Galinski:

„In David Grossmans Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" packt einen kleinen israelischen Jungen das blanke Entsetzen, als er zum ersten Mal die Landkarte sieht. Der unvoreingenommene Blick dieses noch nicht schulpflichtigen Kindes liberaler Eltern ist realistisch: Israel ist von lauter Todfeinden umgeben. Einzig die Versicherung, dass Israels Armee stärker ist als alle Armeen seiner Feinde zusammen, kann das Kind beruhigen. Der Vorsatz der Gründer seines Staates, nie mehr Amboss sein zu wollen, sondern, wenn es darauf ankommt, nur mehr Hammer, muss ihm einleuchten.“



Die Mitverantwortung einer dem Zionismus verpflichteten israelischen Politik für einen Zustand, der sich so darstellt, ändert nichts an der Tatsache, dass die palästinensischen Terrororganisationen und die führenden Politiker zahlreicher sie unterstützender muslimischer Staaten von einem gnadenlosen Vernichtungswillen gegenüber den Juden besessen sind. Dem korrespondiert auf israelischer Seite trotz schändlicher Einzelbeispiele nichts Vergleichbares. Die Rücksichtslosigkeit und Unverhältnismäßigkeit eines auch in seinen Zielen in keiner Weise unterstützungswürdigen israelischen Vorgehens rechtfertigt es nicht, sich zum Verbündeten jener Staaten und Organisationen zu machen, deren exterminatorische Ziele durch Dokumente wie die Charta der Hamas, durch Fernsehsendungen, Videos und Druckerzeugnisse sowie von Reportern und Reisenden berichtete Aussagen des „Mannes auf der Straße“ hinreichend belegt sind.

Meine Konsequenz daraus lautete: „(...) indem man sich zum Sprachrohr derer macht, die das Werk des deutschen Faschismus vollenden wollen, zu dessen Verbündeten sie unter dem Jerusalemer Großmufti Amin Al-Husseini einmal gehörten, wird man eine israelische Regierung schwerlich von der beklagenswerten Ansicht abbringen, gegenüber so wahrgenommenen Gegnern sei alles erlaubt.“

Darum ist angesichts der Zustände im Nahen Osten Zurückhaltung geboten. Die Behauptung, der Internationalismus sei unteilbar, ist daher zu überprüfen. Dass er teilbar ist, kann man schon daran ablesen, dass sich manche Zeitgenossen geradezu obsessiv auf bestimmte Themen – wie beispielsweise Nahost – spezialisieren. Themen mit größerer Relevanz für den Weltfrieden, aber geringerem Erregungspotential kommen dann zu kurz. Der Tag hat 24 Stunden. Solange das so ist, blockiert ein Thema das andere. Man kann nicht allen Konflikten der Welt in gleicher Weise gerecht werden. Wenn der gemeine Einheitsinternationalist nichts dabei fand, als Chávez, Ahmadinedschad und Lukaschenko einander herzlich umarmten und venezolanische Juden Anlass sahen, den Koffer vom Schrank zu holen, beweist er damit nicht mehr und nicht weniger als die Teilbarkeit seiner internationalen Solidarität.

Vanessa Redgrave muss sich als britische Staatsbürgerin vielleicht nicht fragen lassen, warum es unbedingt das Thema Nahost sein muss. Ein Deutscher sollte da schon in sich gehen. Er könnte dann darauf kommen, dass Jankélévitch mit seinem Urteil über die psychologischen Grundlagen eines solchen Engagements nicht ganz falsch lag.

Verräterisch ist bei der Abwehr solcher Überlegungen - trotz der mühsam zurecht gelegten individuellen Definition - die Verwendung des Begriffs „Philosemitismus“. Die unvermeidliche Übersetzung mit „Judenfreund“ schafft eine Gesinnungsgemeinschaft, derer man sich schämen muss. Von diesem terminologischen Unrat müssen sich wie die Fliegen diejenigen angezogen fühlen, denen das Wort „Rassenschande“ leicht von den Lippen geht.

Der Unbedenklichkeit in der Wahl des Vokabulars entspricht die Bedenkenlosigkeit in der Auswahl der Gewährsleute. Dass ein notorischer Holocaustleugner wie Garaudy wegen des angeblich durch einen Nobelpreisträger ausgestellten Persilscheins plötzlich zitierfähig sein soll, ist ein Gedanke, auf den man erst einmal kommen muss. Man kann aber auch darauf kommen, dass die Nachbearbeitung eines vorübergehend zurückgezogenen Textes nicht geeignet ist, eine endgültige Selbstentlarvung des Autors zu verhindern.


Links zu Garaudy:


Holocaust-Referenz (h-ref.de): Ist der Zionismus jüdischer Rassismus? - weiter

Holocaust-Referenz (h-ref.de): Die Gründungsmythen der israelischen Politik - weiter

haGalil.com: Von der Philosophie zur Narretei: Roger Garaudy wird 85 - weiter

Süddeutsche.de: Zum Tod von Roger Garaudy - Segelkurs Starrsinn - weiter

The Independent (engl.-sprachig) Roger Garaudy: Veteran of the Resistance who later became a Holocaust denier - weiter


Die von Garaudy zitierten Stellen schildern in Antike und Mittelalter gängige Praktiken der Kriegführung. Ein jüdisches Monopol waren sie nicht. Mit dem Verweis auf die entsprechenden Stellen soll offenbar eine Kontinuität bis auf den heutigen Tag zu konstruiert werden. Angesichts der Komplexität der politischen Situation in Israel  kann man eine solche These nur absurd finden. Wenn andererseits die in ihrer Ideologie eher unterkomplexe Hamas ausdrücklich Koranstellen zustimmend zitiert, die massenmörderische Absichten erkennen lassen, kann man das nicht mit Hilfe einer wohlwollenden Interpretation klein reden. Es mag in Israel fundamentalistische Juden geben, die ein ungebrochenes Verhältnis zu den blutigen Mythen haben, mit denen sie ihre Gebietsansprüche rechtfertigen. Wer unterstellt, dass deren politischer Einfluss auch nur annähernd demjenigen mordbegieriger islamistischer Fundamentalisten in deren Ländern, in Gaza oder den besetzten Gebieten gleichkäme, dürfte es schwer haben, dafür seriöse Quellen zu finden.

Der Nahostkonflikt ist wie eine Kippfigur, die einem immer nur die Seite zeigt, auf die man starrt, solange man sich nicht zu einem Blickwechsel entschließt. Für eine Seite stehen Alex Feuerherdt, Gerhard Scheit, Heinz Gess oder, ja, Henryk M. Broder. Für die andere Daniel Bax, Jürgen Elsässer oder Wolfgang Blaschka. Es gibt keine richtige Seite. Dem Bedürfnis nach Eindeutigkeit nachgeben heißt fehlgehen. Das muss für jeden, der sich in dieser Sache engagieren will, Folgen für die Form seines Engagements haben. Niemand sollte sich durch das folgende Argumentationsmuster erpressen lassen: „Wenn Sie x nicht zustimmen oder sich weigern, sich y anzuschließen, sind Sie ein moralisches Monster.“

Meine Weigerung, auf einem antizionistischen Ticket zu fahren, hat, wie man sieht, ihre Gründe. Sie sind ausführlicher nachzulesen in Jean Paul Sartres Schrift über die Judenfrage, bei Vladimir Jankélévitch und bei Jean Améry. Für dessen Essay über den von ihm ironisch so genannten „ehrbaren“ Antisemitismus genügt es mir nicht, nur den Link anzugeben. Den dokumentiere ich im Anschluss – und zum Abschluss -  komplett:
 



Der ehrbare Antisemitismus

Von Jean Amery


Das klassische Phänomen des Antisemitismus nimmt aktuelle Gestalt an. Der alte besteht weiter, das nenn ich mir Koexistenz. Was war, das blieb und wird bleiben: der krummnasige, krummbeinige Jude, der vor irgendwas - was sag ich? - der vor allem davonläuft. So ist er auch zu sehen auf den Affichen und in den Pamphleten der arabischen Propaganda, an der angeblich braune Herren deutscher Muttersprache von einst, wohlkaschiert hinter arabischen Namen, mitkassieren sollen. Die neuen Vorstellungen aber traten auf die Szene gleich nach dem Sechs-Tage-Krieg und setzen langsamerhand sich durch: der israelische Unterdrücker, die mit dem ehernen Tritt römischer Legionen friedliches palästinensisches Land zerstampft. Anti-Israelismus, Anti-Zionismus in reinstem Vernehmen mit dem Antisemitismus von dazumal. Der ehern tretende Unterdrücker-Legionär und der krummbeinige Davonläufer stören einander nicht. Wie sich endlich die Bilder gleichen! Doch neu ist in der Tat die Ansiedlung des als Anti-Israelismus sich gerierenden Antisemitismus auf der Linken. Einst war das der Sozialismus der dummen Kerle. Heute steht er im Begriff, ein integrierender Bestandteil des Sozialismus schlechthin zu werden, und so macht jeder Sozialist sich selber freien Willens zum dummen Kerl.

Den Prozess kann man nutzbringend nachlesen in dem schon vor mehr als einem Jahr in Frankreich bei Pauvert“ erschienenen Buch „La Gauche contre Israel“ von Givet. Es genügt aber auch, gewisse Wegmarken zu erkennen, beispielsweise eine in der Zeitschrift „konkret“ erschienene Reportage zu lesen: „Die dritte Front“. „Ist Israel ein Polizeistaat?“ heißt da ein Zwischentitel. Die Frage ist nur rhetorisch. Natürlich ist Israel das. Und Napalm und gesprengte Häuser friedlicher arabischer Bauern und Araber-Pogrome in den Strassen von Jerusalem. Man kennt sich aus.

Es ist wie in Vietnam oder wie es einstens in Algerien war. Der krummbeinige Davonläufer nimmt sich ganz natürlich aus als Schrecken verbreitender Goliath.

Es ist von der Linken die Rede und keineswegs nur von den noch mehr oder minder orthodoxen kommunistischen Parteien im Westen oder gar von der Politik der Staaten des Sozialistischen Lagers. Für diese gehört der Anti-Israelismus, aufgepfropft auf den traditionellen Antisemitismus der slawischen Völker, ganz einfach zur Strategie und Taktik einer so und so gegebenen politischen Konstellation. Die Sterne lügen nicht, die Gomulkas wissen, worauf sie rechnen dürfen. C’est de bonne guerre! Darüber ist kein Wort zu verlieren.

Schlimmer ist, dass die intellektuelle Linke, die sich frei weiß von Parteibindungen, das Bild übernimmt. Jahrelang hat man - um einmal von Deutschland zu reden - den israelischen Wehrbauern gefeiert und die feschen Mädchen in Uniform. In schlechter Währung wurden gewisse Schuldgefühle abgetragen. Das musste langweilig werden. Ein Glück, dass für einmal der Jude nicht verbrannt wurde, sondern als herrischer Sieger dastand, als Besatzer. Napalm und so weiter. Ein Aufatmen ging durchs Land. Jedermann konnte reden wie die „Deutsche National- und Soldatenzeitung“; wer links stand (steht), war (ist) befähigt, noch den Jargon des Engagements routinemäßig zu exekutieren.

Fest steht: Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar. Er kann ordinär reden, dann heißt das „Verbrecherstaat Israel“. Er kann es auf manierliche Art machen und vom „Brückenkopf des Imperialismus“ sprechen, dabei so nebstbei allenfalls in bedauerndem Tonfall hinweisen auf die missverstandene Solidarität, die so ziemlich alle Juden, von einigen löblichen Ausnahmen abgesehen, an den Zwergstaat bindet, und kann es empörend finden, dass der Pariser Baron Rothschild die Israel-Spenden der französischen Bevölkerung Frankreichs als eine Steuer einfordert.

Der Antisemitismus hat es leicht allerwegen. Die emotionelle Infrastruktur ist da, und das keineswegs nur in Polen oder Ungarn. Der Antisemit „demystifiziert“ den Pionierstaat mit Wohlbehagen. Es fällt ihm ein, dass hinter dieser staatlichen Schöpfung immer schon der Kapitalismus stand in Form der jüdischen Plutokratie: Auf diese letztgenannte geht er nicht ausdrücklich ein, das wäre ein ideologischer lapsus linguae, jedoch - c’est l’or juif! - niemand wird sich täuschen über die tatsächliche Bestelltheit eines Landes, das aus einer schlechten Idee geboren, am schlechten Orte errichtet, einen oder mehrere schlechte Kriege geführt und Siege erfochten hat.

Missverständnisse sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Ich weiß so gut wie irgendwer und jedermann, dass Israel objektiv die unerfreuliche Rolle der Besatzungsmacht trägt. Alles zu justifizieren, was die diversen Regierungen Israels unternehmen, fällt mir nicht ein. Meine persönlichen Beziehungen zu diesem Land, von dem Thomas Mann in der Josefs-Tetralogie gesagt hat, es sei ein „Mittelmeer-Land, nicht gerade heimatlich, etwas staubig und steinig“, sind quasi null: Ich habe es niemals besucht, spreche seine Sprache nicht, seine Kultur ist mir auf geradezu schmähliche Weise fremd, seine Religion ist nicht die meine. Dennoch ist das Bestehen dieses Staatswesens mir wichtiger als irgendeines anderen.

Und hiermit gelangen wir an den Punkt, wo es ein Ende hat mit jeder berichtenden oder analysierenden Objektivität und wo das Engagement keine freiwillig eingegangene Verbindlichkeit ist, sondern eine Sache der Existenz, das Wort in mancherlei Bedeutung verstanden.

Über Israel, den modischen Anti-Israelismus, den altmodischen, aber stets in jegliche Mode sich wieder einschleichenden Antisemitismus spricht existentiell subjektiv, wer irgendwie „dazugehört“ („Juden, Personen, die im Sinne des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 als Juden gelten“) - und erreicht am Ende vielleicht gerade darum eine Objektivität annähernd naturrechtlichen Charakters. Denn schließlich mündet noch die geistesschlichteste - genauso wie die gründlichste und gescheiteste - Überlegung in die Erkenntnis, dass dieses Pionierland, und mag es hundertmal nach einer sich pervertierenden pseudomarxistischen Theologie im Sündenstande technischer Hochentwicklung sich befinden, unter allen Staaten dieses geopolitischen Raumes das gefährdetste ist. Sieg, Sieg und nochmals Sieg: Es droht die Katastrophe, und ihr weicht man auch nicht aus, indem man direkt in sie hineinrennt und Israel zum Teilgebiet einer palästinensischen Föderation macht.

Die arabischen Staaten, denen ich Glück und Frieden wünsche, werden den israelischen Entwicklungsvorsprung einholen, irgendeinmal. Ihr demographischer Überdruck wird das übrige tun. Es geht unter allen Umständen darum, den Staat Israel zu erhalten, so lange, bis Frieden, wirtschaftlicher und technischer Vorausgang die Araber in einen allgemeinen Gemütszustand versetzen, der ihnen die Anerkennung Israels innerhalb gesicherter Grenzen gestattet.

Es geht darum. Wem? Die subjektive Verfassung, die zur geschichtlichen Objektivität werden will, hat hier ihre Dreinrede. Israels Bestand ist unerlässlich für alle Juden („Juden, Personen, die im Sinne ...“ und so weiter), wo immer sie wohnen mögen. „Wird man mich zwingen, Johnson hochleben zu lassen? Ich bin bereit dazu“, rief am Vorabend des Sechs-Tage-Krieges der linksradikale französische Publizist und Sartre-Schüler Claude Lanzmann. Der wusste, was er meinte und wollte. Denn jeder Jude ist der „Katastrophen-Jude“, einem katastrophalen Schicksal ausgeliefert, ob er es erfasst oder nicht. „Lauf, blasser Jude“ schreiben die Black-Panther-Männer an die Geschäfte und Häuser jüdischer Händler in Harlem und vergessen leichten Herzens die alte Allianz, die in den USA den Juden an den Neger kettete und die noch der mieseste bürgerlich-jüdische Händler nicht verriet.

Wer garantiert, dass nicht einmal eine Regierung in den Vereinigten Staaten zum großen Versöhnungsfest den Juden dem Neger zum Fraß hinwirft? Wer verbürgt den einflussreichen und zum Teil reichen Juden Frankreichs, dass nicht eines Tages das Erbe der Drumont, Maurras, Xavier Vallat zu neuer Virulenz gelangt? Wer steht ein dafür, dass nicht Herrn Strauss, an die Macht gekommen, irgendwas einfällt, worauf dann auch ein gewisser Zeitungs-Tycoon sich hüten würde, weitere schnöde Spenden einer schnöde zur Annahme bereiten israelischen Regierung zu geben? Niemand garantiert nichts. Das ist keine paranoide Phantasie und ist mehr als die menschliche Grundverfassung der Gefahr. Die Vergangenheit, die allerjüngste, brennt.

Und nun wird jeder Freund von der Linken mir sagen, auch ich reihte mich ein in die große Armee derer, die mit sechs Millionen (oder meinetwegen fünfen oder vieren) Ermordeter Meinungserpressung treiben. Das Risiko ist einzugehen: Es ist geringer als das andere, welches die Freunde mir proponieren, wenn sie für die Selbstaufgabe des „zionistischen“ Israel plädieren. Die Forderung der praktisch-politischen Vernunft geht dahin, dass die Solidarität einer Linken, die sich nicht preisgeben will (ohne dass sie dabei das unerträgliche Schicksal der arabischen Flüchtlinge ignorieren muss), sich auf Israel zu erstrecken, ja, sich um Israel zu konzentrieren hat. Das Gebot hat für den nichtjüdischen Mann der Linken nicht die gleiche Verbindlichkeit wie für Juden, stehe dieser politisch links, mittwegs, rechts oder nirgendwo. Aus der Linken kann man austreten; das Sosein als Jude entlässt niemand, das wusste schon ein Früh-Antisemit wie Lanz-Liebenfels. Freilich hat die Linke ihre ungeschriebenen moralischen Gesetze, die sie nicht beugen darf. „Wo es Stärkere gibt, immer auf der Seite des Schwächeren“, welch unüberschreitbar wahre Trivialität! Und stärker - wer wagte Widerrede? - das sind die Araber; stärker an Zahl, stärker an Öl, stärker an Dollars, man frage doch bei der Aramco und in Kuwait nach, stärker, ganz gewiss, an Zukunftspotential.

Die Linke aber ganz offensichtlich schaut wie gebannt auf die tapferen palästinensischen Partisanen, die freilich ärmer sind als die Männer Moshe Dayans. Sie sieht nicht, dass trotz Rothschild und einem wohlhabenden amerikanisch-jüdischen Mittelstand der Jude immer noch schlechter dran ist als Frantz Fanons Kolonisierter, sieht das so wenig wie das Phänomen des antiimperialistischen jüdischen Freiheitskampfes, der gegen England ausgefochten wurde. Am Ende ist es auch nicht die Schuld der Israelis, wenn die Sowjetunion vergaß, was 1948 vor der UNO Gro-myko mit schönem Vibrato vorgetragen hat: „Was den jüdischen Staat betrifft, so ist seine Existenz bereits ein Faktum, das gefalle oder nicht (...) Die Delegation der UdSSR kann sich nicht enthalten, ihr Erstaunen über die Einstellung der arabischen Staaten in der palästinensischen Frage auszudrücken. Ganz besonders sind wir überrascht zu sehen, dass diese Staaten oder zumindest einige von ihnen sich entschlossen haben, militärische Maßnahmen zu ergreifen mit dem Ziele, die nationale Befreiungsbewegung der Juden zu vernichten. Wir können die vitalen Interessen der Völker des Nahen Ostens nicht identifizieren mit den Erklärungen gewisser arabischer Politiker und arabischer Regierungen, deren Zeugen wir jetzt sind.“

So sprach, wie schon gesagt, die Sowjetunion, eine Großmacht, die Großmachtpolitik treibt und die wohl a la longue nicht absehen konnte von dem offenbaren Faktum, dass es mehr Araber gibt als Juden, mehr arabisches Öl als jüdisches, dass militärische Stützpunkte in den arabischen Staaten einen höheren strategischen Wert haben als in Israel. Die Linke im weiteren und weitesten Sinne aber, und ganz besonders die protestierende äußerste Linke, der ich mich auf weiten Stecken verbunden weiß, hat diese Großmacht- Ausflucht nicht. Sie ist, nach dem Gesetz, nach dem sie angetreten, zur Einsicht verpflichtet; zur Einsicht in die tragische Schwäche des jüdischen Staates und jedes einzelnen Juden in der Diaspora, zur Einsicht in das, was hinter den Kulissen eines jüdisch-bürgerlichen Mittelstandes, hinter dem Mythos des Geld- und Gold-Juden (vom Jud Süss bis zu den kontemporären Rothschilds und ein paar jüdischen Hollywood-Größen) sich verbirgt. Die Juden manipulieren zeitweilig Kapitalien: Sie beherrschen sie niemals. Sie haben heute in Wall Street so wenig zu sagen wie einst im wilhelminischen Deutschland in der Schwerindustrie.

Der Staat Israel ist heute so wenig ein Bollwerk des Kapitalismus, wie er es war, als die ersten Pioniere dort den Boden umgruben, so wenig wie die arabischen Staaten vernünftigerweise als progressiv angesehen werden können. Die Linke macht, das ist der Jammer, die Augen zu. Der Zufall spielte mir gerade einen Text von Hans Blüher zu: „Eine wirkliche Geschichte Europas dürfte nicht so geschrieben werden, wie das bisher geschah, dass nämlich ein Jude einmal hie und da anekdotenhaft vorkommt ..., vielmehr müsste die Darstellung so sein, dass dauernd die geschichtliche Macht des Judentums als eines latenten und ständig mitspielenden Reiches sichtbar wird.“ Der Text könnte wörtlich in einer der zahlreichen pseudointellektuellen arabischen Veröffentlichungen stehen, mit denen die Presse überschwemmt wird. Und von Blüher - aber auch von Streicher, denn allerwegen ebnet der Antisemitismus die intellektuellen Höhenunterschiede ein - könnte stammen, was der Unterrichtsminister des progressiven Staates Syrien an den Generaldirektor der UNESCO schrieb: „Der Hass, den wir unseren Kindern einprägen, ist ein heiliger Hass.“ Es wäre das alles kaum der Aufnotierung wert, und der närrische Blueher könnte im Frieden des Vergessens schlafen, hätte nicht die intellektuelle Linke Westeuropas (einschließlich übrigens einiger vom Selbsthass verstümmelter Juden wie Maxim Rodinson) sich dieses Vokabulars bemächtigt und das vom Wortschatz vermittelte Normensystem angenommen.

Wenn aus dem geschichtlichen Verhängnis der Juden- beziehungsweise Antisemitenfrage, zu dem durchaus auch die Stiftung des nun einmal bestehenden Staates Israel gehören mag, wiederum die Idee einer jüdischen Schuld konstruiert wird, dann trägt hierfür die Verantwortung eine Linke, die sich selber vergisst. „Der Antizionismus ist ein von Grund auf reaktionäres Phänomen, das von den revolutionären progressistischen antikolonialistischen Phrasen über Israel verschleiert wird“, sagte neulich Robert Misrahi, ein französischer Philosoph, der, gleich dem vorhin zitierten Claude Lanzmann, zur weiteren Sartre-Familie gehört.

Der Augenblick einer Revision und neuen geistigen Selbstbestreitung der Linken ist gekommen; denn sie ist es, die dem Antisemitismus eine ehrlose dialektische Ehrbarkeit zurückgibt. Die Allianz des antisemitischen Spießer-Stammtisches mit den Barrikaden ist wider die Natur, Sünde wider den Geist, um in der vom Thema erzwungenen Terminologie zu bleiben. Leute wie der polnische General Moczar können sich die Umfälschung des kruden Antisemitismus zum aktuellen Anti-Israelismus gestatten: Die Linke muss redlicher sein. Es gibt keinen ehrbaren Antisemitismus. Wie sagte Sartre vor Jahr und Tag in seinen „Überlegungen zur Judenfrage“: „Was der Antisemit wünscht und vorbereitet, ist der Tod des Juden.“

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Zitation: Jean Améry (2012), Der ehrbare Antisemitismus, in:

Kritiknetz-Zeitschrift für kritische Theorie der Gesellschaft; Erstveröffentlichung in „Die Zeit“, Juli 1969. www.kritiknetz.de, Hrsg. Heinz Gess, ISSN 1866-4105

 

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Zweideutige Eindeutigkeiten


Zweideutige Eindeutigkeiten am Thema vorbei      

     
Ach, mein lieber Rudolf Selbach, wie leicht ist es doch, am Thema vorbei zu reden und zu schreiben! Welch bekennerische Attacken reitest Du wider das Vermeintliche, nur um das Tatsächliche nicht angreifen zu müssen!

Das Thema dieser Rubrik wäre eigentlich die Aufdeckung der zionistischen Verbrechen gegenüber den ursprünglichen Bewohnern des von den Besatzern für sich reklamierten Landes gewesen, speziell durch die fortgesetzte Landnahme- und Siedlungsbau-Politik Israels in der Westbank. Es ging – Du magst Dich vielleicht doch noch schemenhaft erinnern – um eine Buchvorstellung: "Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina – Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat" von Petra Wild, erschienen im Verlag Promedia, Wien im März 2013. Und was kam dabei rum? Wir redeten die ganze Zeit über "Antisemitismus", als ob das zwischen uns strittig sein könnte, dass es ihn zu bekämpfen gilt mit dem Ziel, ihn ein für allemal zu überwinden. Du aber hauchtest ihm ein zweites, drittes Leben ein, indem Du ihn ausführlich zitiertest und als pauschalen Vorwurf gegen jeden instrumentalisierst, der es wagt, die richtigen Lehren aus ihm zu ziehen, nämlich antirassistisch zu denken und zu handeln statt in Nationalegoismen. Du brauchst den "Antisemitismus" mitsamt seinem Assoziationsapparat zur Vernebelung und Inschutznahme des Zionismus. Das ist nicht nur vorsätzlich beleidigend, sondern auch für Dich selber dumm. Denn Du deckst Verbrechen mit dem Hinweis auf Verbrechen. Du löscht Feuer mit Öl. Du nennst zionistischen Rassismus schlimmstenfalls "bedauernswert", palästinensischen Widerstand dagegen "unbedingten Vernichtungswillen". Du postulierst eine unmoralische "Moral" (nämlich die des Rechts des Stärkeren) mit dem Pfeifen auf jede Moral, die jener entgegensteht. Das liest sich stellenweise selbstherrlich zynisch, und mit dem Hinweis auf einen "Vernichtungswillen" vonseiten der Unterdrückten selbstvernichtend blöd.

Du redest sogar davon, der Gebrauch des Wortes "Philosemitismus" und dessen "unvermeidliche" deutsche Übersetzung in "Judenfreundlichkeit" könne nur jemandem über die Lippen kommen, der im selben Atemzug auch "Rassenschande" in den Mund nähme. Als ob jemals ein Altnazi seinen opportunistischen "Gesinnungswandel" in einem Anflug von Einsicht mit dem Begriff des "Philosemitismus" etikettiert hätte! Dient dieser doch gerade dazu, den oberflächlich "demokratisch geläuterten", verkappten Antisemitismus als solchen zu kennzeichnen in seiner Funktion. Dein Drang zur Aufgabe jeder Logik ist frappierend. Wie kommt das nur? Sind wir geistig nicht ganz auf der Höhe? Haben wir ein Problem damit, Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen? Müssen wir, wie kleine Kinder, zur Abwehr "unangenehmer" oder peinlicher Tatbestände mit dem Finger auf Andere zeigen, und stattdessen über die Hamas raisonieren oder einen völlig frei erfundenen "Judenhass" bei "den Arabern" unterstellen, der eigentlich ein gewachsener Hass auf die Machenschaften der Zionisten ist – und eine (leider nicht grundlose) Feindseligkeit gegenüber dem Staat Israel, wie der sich seit nunmehr über 60 Jahren geriert – als brutaler Kolonist im Palästinenserland?

Immer mit dem "unschuldig" vorgebrachten "Argument des unvoreingenommenen kleinen Jungen", der mit erschrecktem Blick über die Kleinheit seines Ländchens auf der Landkarte nur dadurch zu beruhigen ist, dass "unsere" Waffen stärker sind als die "unserer Feinde" zusammen genommen? Sind wir so naiv oder tun wir nur so? Was sollten da die Andorraner sagen, die Menschen in Monaco oder in San Marino? Oder die in Liechtenstein, in der Schweiz oder im Vatikan? Widerspricht es der Größe und Verteidigbarkeit ihrer Mini-Territorien, dass sie noch existieren oder liegt es an ihrem Nutzen für die einvernehmende Nachbarschaft? Als Geldwaschanlage, Steueroase oder neutraler Diplomatentreff. Ist die fünftgrößte Atommacht der Erde ein nostalgischer Zwergstaat? Pflegen wir nun der Lustbarkeit eines Versteckspiel-Irrgartens? Müssen wir uns – schamlos rassistischer Terminologie bedienend – die an Verfolgungswahn kränkelnde Philippika eines Jean Amery an die damals (1969) Neue Linke zu eigen machen, ohne uns kritisch von ihr zu distanzieren?

Die liest sich wie ein Anklage-Pamphlet zur Begründung eines präventiven Amoklaufs: "Wer garantiert, dass nicht einmal eine Regierung in den Vereinigten Staaten zum großen Versöhnungsfest den Juden dem Neger zum Fraß hinwirft?" Hast Du sie noch alle, ausgerechnet diesen Text gegen die Israel-Kritiker in Stellung zu bringen?! Willst Du den (deutschen) Antisemitismus mit (jüdischem) Gegenrassismus bekämpfen? Ich meine dabei noch nicht einmal in erster Linie das Wort "Neger" (das ich als geborener Bayer und gelernter Lateiner nicht von vornherein zwingend als diskriminierend auffassen muss, sondern als Synonym für "Schwarzer" nehmen könnte), wiewohl ich um seine Verwendung als beleidigendes Schimpfwort in rassistischen Zusammenhängen durchaus im Bilde bin. Das wäre noch nicht das Schlimmste.

Es geht vielmehr um den grausigen Gedanken, der dahinter steckt, und der ein genuin antidemokratischer ist: Die Vorstellung (beispielsweise des Ku-Klux-Klans) nämlich, dass die "stolze weiße Rasse" in einem Meer von anderen Hautfarben anderer Zuwanderer unterginge, würde man den Afroamerikanern gleiche Rechte, Wahlrecht und Chancengleichheit einzuräumen. Die Vorstellung der Buren in Südafrika, nur durch strikteste Apartheid ihre Herrschaft sichern zu können, die Vorstellung von einem Sarrazin, der barmt, dass Deutschland sich "abschaffe", wenn es den Zuzug von Arbeitsmigranten nicht rigoros eindämme. Das ist letztlich nicht weit entfernt von der scheinheilig vorgebrachten "Ausländer-raus"-Forderung von Neonazis, die sie als "Rückführung von Ausländern" getarnt proklamieren. In letzter tödlicher Konsequenz wird ihr dann der mörderische Nachdruck verliehen vom blanken Terror eines "Nationalsozialistischen Untergrundes".

Diese krude Vorstellung, man müsse sich (als "Herrenmensch") davor hüten, unter "die Schwarzen" fallen, von "den Arabern" oder sonst irgendeiner "Flut" von bedrohlich "fremden", nicht "artgemäßen" oder andersgläubigen Menschengruppen "aufgefressen", "überfremdet" oder auch nur überstimmt zu werden, verbietet per se jeglichen demokratischen Ansatz. Wenn die Losung "Gleiche Rechte für alle, die hier leben" der leibhaftig an die Wand gemalte "Teufel" sein sollte, dessen Herrschaftsübernahme mit allen Mitteln und nur unter Inkaufnahme jeglichen Rechtsbruchs zu verhindern sei, dann kann man, nein, dann darf man kein Demokrat sein. Denn das wäre quasi Verrat an der Existenz des "eigenen Volkes". Man findet sich nach solcher Logik zwangsläufig im Lager der Antidemokraten wieder, wenn man für sich Sonderrechte, generelle Straffreiheit und ungezügelte ethnische Bevorzugung einfordert und praktisch in Anspruch nimmt. Ich sagte Dir ja bereits: Demokratie und Zionismus beißen sich, sie gehen nicht zusammen. Wenn Du Israel damit "verteidigen" willst, arbeitest Du nur an seiner Delegitimation, zumal es sich ja als "die einzige Demokratie" im Nahen Osten feiern lassen möchte, was freilich nur bei politisch Blinden und notorisch Gehörlosen verfängt. Oder bei Zynikern gar nicht erst die Rolle spielt: "Ich weiß so gut wie irgendwer und jedermann, dass Israel objektiv die unerfreuliche Rolle der Besatzungsmacht trägt. Alles zu justifizieren, was die diversen Regierungen Israels unternehmen, fällt mir nicht ein." Nein, justifizieren wäre grob "antisemitisch".

Das offenbart die Methode, mit der man sich wappnet: Man weiß und verschließt verzeihend die Augen für den guten Zweck: Welch "ein Glück, dass für einmal der Jude nicht verbrannt wurde, sondern als herrischer Sieger dastand, als Besatzer." Da wird gar nichts mehr erst groß bestritten, ist es doch auch unbestreitbar. Vielmehr wird das ethische Empfinden offen verhöhnt: "Napalm und so weiter. Ein Aufatmen ging durchs Land. Jedermann konnte reden wie die „Deutsche National- und Soldatenzeitung“." Und darauf noch einen drauf im Stil genau jenes Komissblattes: "Sieg, Sieg und nochmals Sieg: Es droht die Katastrophe, und ihr weicht man auch nicht aus, indem man direkt in sie hineinrennt und Israel zum Teilgebiet einer palästinensischen Föderation macht." Was hättest Du einem Nazi entgegenzusetzen, der (in cleverer Umgehung der Leugnung des Holocaust) sowas ähnliches (in ethnischer Umkehrung) sagen würde: "Klar haben wir die Juden umgebracht. JA, das war so. Ein historisches Faktum. Ein damals als notwendiger angesehener Akt der Selbstbehauptung, bevor uns der Iwan und die asiatischen Horden überrannt hätten, und die Juden uns an die ausgeliefert hätten. Ich leugne da gar nichts. Da gibt es auch gar nichts zu leugnen für einen national gesinnten Deutschen". Kein Gesetz hätte ihm da was ans Bein binden können für so eine Aussage. Es wäre weder Verleugnung noch Verharmlosung noch Verherrlichung gewesen. Was hättest Du ihm denn herauszugeben außer gleicher Münze nur umgedreht? Wie hilflos stündest Du dem gegenüber!

Findest Du das nicht beschämend für Dich selbst, auf diesem Niveau Jean Amery zustimmend zu zitieren? Einen Text, der vor antisemitischen Klischees nur so strotzt: "Der ehern tretende Unterdrücker-Legionär und der krummbeinige Davonläufer stören einander nicht." Und das verpackt als konstruierten Vorwurf an linke Israel-Kritiker, die nie von "krummbeinigen Davonläufern" gesprochen haben! Ich würde erröten vor Scham, nichts qualitativ anderes erwidern zu können als blankes Ressentiment auf der gleichen Ebene mit einem Antisemiten. Stattdessen flüchtest Du (stracks am Thema vorbei) in haltlose Unterstellungen: "Wenn andererseits die in ihrer Ideologie eher unterkomplexe Hamas ausdrücklich Koranstellen zustimmend zitiert, die massenmörderische Absichten erkennen lassen, kann man das nicht mit Hilfe einer wohlwollenden Interpretation klein reden." Kannst Du mir irgendwo eine singuläre Koranstelle, ein einziges Wort von Hamas benennen, das ich je bemüht, "wohlwollend interpretiert" oder gar "kleingeredet" hätte?  

Du scheinst lieber gegen nicht vorhandene Windmühlenflügel zu kämpfen, verrennst Dich dabei aber – derart einäugig – eher rettungslos ins Dickicht nationalistischer Phraseologie als der Realität ins Auge zu sehen. Dazu gibst Du Dich allerdings irre klug: "Es gibt keinen ehrbaren Antisemitismus". Richtig. Als ob das hier jemand behauptet hätte! Und als ob "venezolanische Juden Anlass sahen, den Koffer vom Schrank zu holen" angesichts herzlicher Umarmungen von "Chávez, Ahmadinedschad und Lukaschenko". Du siehst ja überall Juden die Koffer packen. Israel müsste 16 Millionen jüdische Einwohner zählen, wenn es nach Deiner Emigrations-Plänen ginge. Würdest Du lieber von einem israelischen Regierungsmitglied umarmt werden, das im Gaza-Krieg 2008/09 geiferte: "Die Palästinenser sind alle Terroristen. Man muss sie vernichten". Oder gleich vom stellvertretenden Kriegsminister Israels, der die Palästinenser und die Hamas bereits am 29. Februar des Jahres 2008 gewarnt hatte, wenn sie so weitermachen würden, dann (wörtliches Zitat): „bringen sie sich in die Gefahr einer größeren Shoah“. So redete nur einer, der das auch so meinte. Ein Aufschrei der Empörung ging durch Israel. Er musste kurz darauf seinen Irrsinns-Spruch zurücknehmen. Aber nicht wegen der Vernichtungsdrohung gegen die Palästinenser, sondern weil er das „heilige Wort“ in einen aktuellen politischen Zusammen­hang gestellt und damit profanisiert, also entweiht hatte. Mit dem Jonglieren großer Begriffe hast Du es ja auch. Du beklagst, dass Israel-Kritiker sich zum Erfüllungsgehilfen und zu finalen Exekutoren der Shoah aufschwängen:

„(...) Indem man sich zum Sprachrohr derer macht, die das Werk des deutschen Faschismus vollenden wollen, zu dessen Verbündeten sie unter dem Jerusalemer Großmufti Amin Al-Husseini einmal gehörten, wird man eine israelische Regierung schwerlich von der beklagenswerten Ansicht abbringen, gegenüber so wahrgenommenen Gegnern sei alles erlaubt.“ Geht's noch eine Nummer dicker? "Was erlauben" Selbach!? Die Zionisten könnten von ihrer "beklagenswerten Ansicht, ... alles sei erlaubt" nur abgebracht werden, indem man sie widerspruchslos gewähren ließe? Wo bleibt denn da auch nur ein Funke von Logik? Sollen die Palästinenser kapitulieren, die Europäer und speziell die Deutschen ihr "Maul halten" und die UNO alles absegnen, um die israelischen Regierungen zu besänftigen? Wären sie dann entgegenkommender? Ziviler? Vermutlich hast Du schon mal was über das grandiose Scheitern von Appeacement-Politik gehört. Israel lehnt diese übrigens kategorisch ab, und praktiziert das genaue Gegenteil. Du gerätst da in gewisse Widersprüche zu dem, was Du da als Methode anpreist, wenn Du sie so unüberlegt anempfiehlst.

Du magst anscheinend Zitate, wenn sie Dir in den Kram passen, aber Du verwirfst sie, sobald sie Dir vor Augen führen, dass "die Schrift" sich auf grausam unerbittliche Weise "erfüllt", indem der Zionismus einlöst, was sie "verheißen" hat. Sicher kein singulärer Fall in archaischer Zeit, aber doch unbestreitbar lange vor dem Islam! Da liegen Jahrhunderte und noch dazu die Entstehung des Christentums dazwischen. Wieso beharrst Du darauf, die geschichtliche Reihenfolge einfach umzukehren und frech zu behaupten, die Israelis müssten nur deshalb so wild um sich schlagen, weil ihnen die Hasswellen des Koran entgegenschlügen? Der unglaublichste Vernichtungswille lag in Wahrheit doch bei den christlichen Kreuzrittern: Sie metzelten über 20 Millionen "Muselmanen" und wateten kniehoch im Blut bei ihrem Vorhaben, Jerusalem zu erobern. Zu der Zeit war kein Hass zwischen Juden und Moslems. Den heutigen Hass vieler Muslime auf Zionisten und israelische Kriegspolitik mit "Judenhass" zu benennen ist ahistorisch und inhaltlich falsch. Du weigerst Dich, auch nur ein Jota an Deinen unhaltbaren Vorurteilen zu überdenken. Solltest Du aber, bevor Du Dich vollends als vorsätzlich halsstarrig und absichtlich unbelehrbar "entlarvst".

Die "Selbstentlarvung des Autors" unterstellst Du wiederum mir, der ich mich bemüht habe, möglichst transparent zu argumentieren, indem ich meinen Fundort für die Zitate aus dem Buch Josua preisgegeben habe, nämlich das Buch von Roger Garaudy. Ich muss zugeben, kein "Schriftgelehrter" zu sein, der fit wäre in allen Testamenten. Mich interessieren theologische Auslegungskünste nicht wirklich. Ich kannte zunächst nur das eine Kapitel aus dem Buch, welches ich aber, um es als zitabel zu überprüfen, dann erst besorgen und über Nacht in Gänze durchackern musste. (Du scheinst ja über Ostern nichts anderes zu tun gehabt zu haben als permanent diese Website zu observieren.) Es war keine erbauliche Lektüre, ich habe sie mir trotzdem angetan, bevor ich zu meinem Entschluss kam. Dazu brauchte ich übrigens nicht irgend jemandes Leumundszeugnis, um es vertreten zu können, das Werk in diesem Zusammenhang anzuführen, sondern nur meine Augen und meinen Verstand. Ich hätte auf die Erwähnung Garaudys auch ganz verzichten und einfach die von ihm erschlossenen Originalstellen als von mir selbst entdeckte präsentieren können. Das hätte ich freilich unredlich gefunden, und musste angesichts der späteren Kapitel erkennen, dass ich den umstrittenen Autor nicht ohne erklärende Anmerkung erwähnen würde können. Daher also die kurzfristige Rücknahme des Kommentars, um diese so kritisch wie nötig zu formulieren. Als wer oder was ich mich durch diese verantwortliche Arbeitsweise "entlarvt" haben sollte, will ich gar nicht wissen. Spar Dir nur Dein unterschwelliges Triumphgeheul, und überdenke lieber Du den schrägen Sinngehalt von Jean Amerys selbstgerechten Ausführungen, die eine kritische Kommentierung absolut nötig hätten. Wenn Du sie schon vor uns ausbreiten musstest. Sie sind kein guter Ausweis für intellektuelle Redlichkeit und schon gar nicht geeignet, Israels Schandtaten zu "verteidigen", sondern allenfalls ein bösartig moralfreies Zeitdokument, inspiriert vom unsäglichen Geist des Sechs-Tage-Krieges von 1967 – nach dem Militär-Motto: "Angriff ist die beste Verteidigung". Je unfairer unter der Gürtellinie, desto wirkungsvoller. Wenn schon, denn schon.

Weil: "Niemand garantiert nichts." Mit diesem Kernsatz im Kleide einer Volksweisheit lässt sich jede noch so kriegerische Haltung, jede noch so brutale militärische Handlung rechtfertigen. Weil auf nichts und niemanden Verlass ist im Ernstfall, muss man selbst zum Äußersten greifen notfalls, um wenigstens selber Garant seinerselbst zu sein. Dieses bluttriefende Axiom wird wie ein Mantra zur Selbstberauschung vorgetragen, auch wenn es tausendmal nicht stimmt. Nichts kann der noch so hoch gerüstete Militärapparat verhindern und auch nicht die Polizei: Weder Selbstmord-Attentate noch Raketenabschüsse. Die wären nur dann de facto weitgehend (aber nicht einmal dann gänzlich) auszuschließen, wenn man genau zu dem würde, vor dem man einst fliehen musste und weswegen man einen eigenen Staat überhaupt installieren konnte: Es wäre ein faschistischer Staat, der bar aller Skrupel die Palästinenser nicht nur außer Landes, sondern auch in die völlige Vernichtung treiben würde. Darauf laufen solch apokalyptische Denkspiralen hinaus, von wegen "Niemand garantiert nichts" – außer die eigene Stärke sich selbst. Doch wir wissen, dass kein Staat auf unbegrenzte Dauer ungestraft gegen den Rest der Menschheit systematisch Verbrechen wider die Menschlichkeit begehen kann ohne entweder selbst daran zu zerbrechen oder von außen zur Raison gezwungen zu werden. Diesen Weg kann Israel nicht ernsthaft gehen wollen. Also müssen andere Garantien her, und die heute gegebenen dürfen jedenfalls nicht leichtfertig verspielt werden. Die einzig realistische Garantie wäre ein gerechter Frieden, den genau solche Sprüche verhindern wollen. Was also nützen solch entsetzlichen Sätze?! Sie klingen wahnsinnig selbstbetörend, und wirken nur selbstzerstörend. Klug sind sie keinesfalls. Und von Weisheit zeugen sie schon gar nicht. Wenn Dir irgend etwas liegt an den Menschen in Israel, dann befördere nicht die Tendenzen jener, die die ultimative Entscheidungsschlacht suchen, indem Du ihre Worte nicht wörtlich genommen und ihre Taten als nicht als Tatsachen sehen willst. Dann sag' laut und deutlich: Halt! Stop! Hört auf damit! "Zurückhaltung" heißt Schweigen, Dulden, Mittragen, Gewährenlassen. Da das selbstreferenzielle System des zionistischen Denkens nicht von sich heraus implodiert, hilft nur internationaler Druck von außen – und die Solidarität mit den (selbst-)kritischen Juden in Israel sowie mit den israelkritischen Juden in Deutschland. Hör auf, dem Unrecht das Wort zu reden!

Du mokierst Dich, "der gemeine Einheitsinternationalist" beweise "damit nicht mehr und nicht weniger als die Teilbarkeit seiner internationalen Solidarität", wenn er nicht schweigen mag angesichts dessen, was in Gaza und im Westjordanland geschieht, wenn er nicht einstimmen mag in die Kriegshetze gegen den Iran, die nur ablenken soll von der innenpolitischen Misere und der Besatzungspolitik Israels. Während Du Dich mit Deiner ungeteilten nationalen Solidarität für Israel in unverbrüchliche Treue zu Menschenrechtsverletzungen und zum Völkerrechtsbruch begibst, leistet Du den Bewohnern Israels einen Bärendienst, und den Menschen in der Region sowieso. Ich denke, wir werden wohl keine Freunde mehr werden in dieser Art von Nichtkommunikation. Lassen wir's also. Dann musst Du eben auf der "falschen" Seite der Geschichte stehen bleiben, die freilich auch über Dich und Deine prozionistischen Reinwaschungsversuche hinweggehen wird. Ich hatte gehofft, Dich mit Argumenten, gestützt auf Fakten und Zitate zum Überdenken Deiner einseitigen Verteidigungs-Haltung animieren zu können; nun muss ich erkennen, dass es Dir nur um Aufrechterhaltung Deiner unhaltbaren Behauptungen ging. Schade eigentlich. Aus unserer Debatte hätte was Sinnvolleres werden können, wäre sie denn nur ein Beitrag zum ursprünglichen Thema geworden: Siedlerkolonialismus. Dazu hast Du Dich mit keinem Wort erklärt, nicht einmal ansatzweise. Du hast nur lang und breit zu erläutern versucht, warum wir uns damit lieber nicht beschäftigen sollten. Das war ein bisschen arg wenig, und inhaltlich eher dünn. Eigentlich eine umschweifige Themaverfehlung. Wollen wir nun die Ausdauer der Leserschaft des Kritischen Netzwerkes nicht noch überstrapazieren. So leb' denn wohl, Don Quichote!   

Wolfgang Blaschka, München

 

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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Christliche Zionisten und Evangelikale


Liebe Kommentatoren und MitleserInnen

an dieser Stelle beende ich die Diskussion und danke für Eure aufschlußreichen Beiträge.  Zum einen möchte ich dem durchaus üblichen Nachplappern der Hasbara keinen weiteren Raum bieten, zumal bisher kein wesentliches Argument Rudolf Selbachs auf seiner Seite ist. Ihre Meinung, Herr Selbach, entspricht keineswegs die der Mehrzahl der Deutschen, sondern ganz offensichtlich nur der nicht bzw. fehl, zumindest aber einseitig informierter Christlicher Zionisten und Evangelikale.

Der christliche Zionismus ist der ideologische Ursprung des jüdischen Zionismus. Er hat ihn ins Leben gerufen und aufgrund imperialistischer Interessen Großbritanniens und der USA zu einem weltpolitischen Faktor gemacht. So unglaublich es klingt: Heute ist der christliche Zionismus ein wichtiges ideologisches Bindemittel der Allianz zwischen dem Imperialismus der Vereinigten Staaten und den imperialistischen Kräften des Staates Israel. Er trägt ganz allgemein im Umfeld der christlichen Kirchen des Westens - mehr als es sich diese eingestehen wollen - dazu bei, ein religiös getöntes Klima der verhängnisvollen Israel-Hörigkeit zu schaffen. Das stärkt die extremsten Kräfte in Israel. Den israelischen Linken, Juden wie Arabern, werden gravierende Hindernisse in den Weg gelegt bei ihrem Bemühen, die rassistischen und diskriminierenden Elemente des Staates Israel zu überwinden und die Politik der Unterdrückung der Palästinenser zu beenden.

Die MitleserInnen mögen sich nun aus den Inhalten der zahl- und umfangreichen Beiträge hier und an anderen Stellen des Kritischen Netzwerks selbst eine Meinung bilden und an geeigneten Stellen mitdiskutieren.
 



Back to topic – zurück zum Thema:

Ich darf einige Anmerkungen von Frank Dörfel aus Berlin, der das im Startbeitrag von mir vorgestellte Buch bereits las, hier veröffentlichen:  

Ein großartiges Buch, von einzigartiger Dichte, voller Quellenangaben, voller weiterführender Literaturhinweise! Nach Ilan Pappé und Shlomo Sand nun endlich ein Buch von einer deutschen Wissenschaftlerin. Es wird noch Wochen brauchen, den vielen Hinweisen nachzugehen und die vielen sauber angegebenen Quellen nachzulesen, nicht aus Misstrauen gegenüber der Autorin – das wäre wohl kaum gerechtfertigt, so gut ist offenbar alles recherchiert und belegt – sondern dort, wo es wichtig ist, mehr über den Kontext zu erfahren.


Endlich ein Buch, das den Siedlerkolonialismus zentral thematisiert, das die Parallelen zu siedlerkolonialistischen Geschehnissen wie der Eroberung Amerikas, der Vertreibung und weitgehenden Ausrottung der Urbevölkerung Australiens, den inzwischen zurückgedrängten Siedlungsaktivitäten der Franzosen in Nordafrika und der Buren in Südafrika deutlich macht. Sieht man mit Hilfe von Petra Wild das Geschehen in Nahost unter Zuhilfenahme dieser Kategorie, so wird deutlich, dass der sog. Friedensprozess lediglich ein recht erfolgreicher Versuch der Verzögerung und Zurückdrängung von Kräften, die dem zionistischen Projekt der Landnahme gefährlich werden könnten durch eine Friedensrhetorik, die dem Beobachter aber kaum die Brutalität der anhaltenden ethnischen Säuberung verdecken kann.

Petra Wild rüttelt auf, weil ihre Quellen so aktuell sind und weil das von ihr beschriebene Geschehen sich bis heute, weitgehend verstärkt fortsetzt. Es wird dem Leser deutlich, dass von „Innen“ durch Verhandlungen keine Lösung kommen kann, weil die zionistische Seite kein Interesse an einer Verhandlungslösung hat. Und somit wird die Verantwortung, die wir tragen, deutlich: wir haben die Verpflichtung, unsere Politiker, unsere Medien, unsere Wirtschaftsbosse, aber auch unsere konsumierenden Nachbarn immer wieder auf die Lage der Menschen in Nahost hinzuweisen und ihnen die Verpflichtung deutlich zu machen, aus Gründen der Rechtsordnung, aus Gründen der Humanität, aber auch aus Gründen der mittel- und langfristigen Wirtschaftlichkeit die Position der Palästinenser einzunehmen. Den Zögernden sei Südafrika und das auch durch die Weltöffentlichkeit mit erzwungene Ende der Apartheid genannt.

Wir werden in den nächsten Wochen versuchen, soweit es unsere Zeit erlaubt, zu all den in dem beigefügten Inhaltsverzeichnis schon aufgezeigten Unterthemen wenigstens einige wichtige Auszüge zusammenzustellen. Doch jetzt kann nur allen, die besser verstehen wollen, was sich seit fast einem Jahrhundert in Palästina abspielt, der dringende Rat gegeben werden, das Buch zu lesen.

Der PROMEDIA-Verlag hat ein gut gestaltetes, sehr ordentlich bearbeitetes Buch herausgebracht. Wohltuend ist beispielsweise der gute, lesbare Druck. Und besonders hat uns gefreut, dass die insgesamt 730 (!!) Fußnoten nicht - wie in vielen Publikationen leider üblich - an das jeweilige Ende von Kapiteln oder gar des ganzen Buches verdrängt wurden, so dass man ständig blättern muss, wenn man die Information aus der jeweiligen Fußnote haben will, sondern dass diese Fußnoten dort zu finden sind, wo sie hingehören, nämlich am Fuß der jeweiligen Seite.

Das sehr wichtige Kartenmaterial lässt leider manche Details in seinen Grautönen verschwinden: wenn es sicher die Kosten des Buches unschön erhöht hätte, hier farbige Seiten oder gar ausklappbare größere Karten anzubieten, so wäre beispielsweise eine Hinterlegung genaueren, lesbareren Materials auf der Webseite des Verlages eine gute Lösung.

Es bleibt bei all dem Lob noch ein weiterer, kleiner, dem Rezensenten aber wichtiger Hinweis an den Verlag: bei einer hoffentlich bald nötig werdenden Neuauflage sollte dem Buch unbedingt ein Index von Namen, Orten, Themen etc. angefügt werden. Das würde die Nutzbarkeit auch als Nachschlagewerk stark verbessern. (Text: Frank Dörfel, Berlin)

 

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Harry Popow
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Verbunden: 18.05.2013 - 13:52
Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina


Tränen des Vaterlandes / Anno 1636
"Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina“ – Von Petra Wild

Tränen des Vaterlandes

…so der Titel eines Antikriegsgedichtes, geschrieben von Andreas Gryphius unter dem einschneidenden Eindruck des Dreißigjährigen Krieges von 1618 bis 1648. Darin heisst es:


Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret.

Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,

Die Jungfraun sind geschändt, und wo wir hin nur schaun

Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.


Tränen des Vaterlandes… so die Überschrift dieser Rezension zu einer Anklageschrift, die sich dem Völkermorden gegenüber den Palästinensern widmet. Über 300 Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach den Greueln der Weltkriege nun dies: Es geht nicht ab mit nur dreißig Jahren – seit 65 Jahren (seit dem 08. Mai 1948) währt der Würgegriff israelischer Politik gegenüber den Palästinensern innerhalb der Grenzen Israels und in den 1967 besetzten Gebieten. Jenen, die unter dem Deckmantel des Zionismus und der Bibel aus ihren angestammten Landstrichen gewaltsam aus ihren Häusern, Dörfern und ihrem Land vertrieben, gelyncht, ausgehungert und ermordet, die enteignet und ihrer wirtschaftlichen und natürlichen Ressourcen beraubt wurden, deren Geschichte ausgelöscht werden soll, die systematisch diskriminiert werden.

„Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“, so der Titel eines politischen Sachbuches von Petra Wild. Geboren 1963 in Aarbergen/Hessen, studierte sie arabische Sprache und Islamwissenschaften in Jerusalem, Leipzig, Damaskus und Berlin. Sie arbeitet als freiberufliche Publizistin vor allem zur Palästina-Frage und zur Arabischen Revolution.
 

Wie bereits Evelyn Hecht-Galinski in ihrem Buch „Das Elfte Gebot: Israel darf alles“ sowie antizionistische und fortschrittliche kritische Juden Israels, Publizisten und Palästina-Unterstützer aller Herren Länder, so beschreibt auch Petra Wild die unter unmenschlichen Bedingungen hausenden Palästinenser in der Grünen Linie, in der Westbank, im Gaza-Streifen und in Ost-Jerusalem. So heißt es zum Beispiel auf Seite 47: „Während die jüdisch-israelische Bevölkerung insgesamt denselben Lebensstandard hat wie jene der westlichen kapitalistischen Länder, leben die palästinensischen Staatsbürger Israels unter Dritte-Welt-Verhältnissen.“ Angeführt werden u.a. eine schlechtere Gesundheitsversorgung, eine höhere Säuglingssterblichkeit, eine schlechtere Bezahlung, eine Benachteiligung bei Serviceleistungen, ein Leben unter der Armutsgrenze, ein Ausgeschlossensein aus dem öffentlichen Nahverkehrsnetz. Die Palästinenser werden „als nicht zum Lande gehörend, als unzivilisiert, rückständig, primitiv, faul, dreckig, dumm, gewalttätig und fanatisch dargestellt“. (S. 74) Sie seien gesichtslose Feinde, Terroristen. (S.78) Alle Maßnahmen, so die Autorin, zielen darauf ab, den Willen der Palästinenser zu brechen und ihnen die Hoffnung zu rauben. Dazu zählen Erschwernisse des täglichen Lebens, Schikanen, Kollektivstrafen, gewaltsames Niederschlagen von Demonstrationen, hohe Haftstrafen, die Zerstörung von Häusern und ganzen Stadtvierteln, Wasserentzug, Zerstörung der Olivenbäume, Psychoterror, gezieltes Morden an Widerstandskämpfern sowie Kriege und Massaker gegen die Zivilbevölkerung. „Die Projektion des Hasses auf die Palästinenser ermöglicht die Bewahrung des selbstgerechten israelischen zionistischen Selbstbildes als moralisch rein und dient als zusammenhaltende Kraft in der jüdisch-israelischen Gesellschaft.“ (S. 78) Bei allem  offensichtlichen Landraub – es gäbe keine Massenvertreibungen, keine großen militärischen Aufgebote, es ist vielmehr ein schleichender Prozess, so Petra Wild. (S. 137)

Auf den 240 Seiten und in zwölf Kapiteln spiegelt sich anhand von konkreten Beispielen und bewegenden persönlichen Schicksalen, Zitaten und Kommentaren das Leben eines Volkes wider, das seit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 um seine Rechte kämpft. Es geht um die Ghettoisierungspolitik in der Westbank, die ethnische Säuberung des Jordantals, die Gewalt der kolonialen Siedler sowie die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung und die Zerstörung der historischen Stadt Jerusalem. Petra Wild kommt es insbesondere darauf an, neue Aspekte der Willkürakte des Staates Israel hervorzuheben. Es geht nicht nur um eine Neuauflage der in Afrika einst berüchtigten Apartheid, nicht nur um die ethnische Säuberung, nicht nur um schleichenden Genozid, sondern zusammenfassend um den zionistischen Siedlerkolonialismus. Er strebt danach, so Petra Wild in der Einleitung, „die einheimische Bevölkerung durch eine eingewanderte Siedlerbevölkerung vollständig zu ersetzen“. (S. 9)

Anfangs geht die Autorin gründlich auf den Ursprungs des Konfliktes ein. Sie definiert den Siedlerkolonialismus als eine spezifische Form des Kolonialismus, der auf dem Raub des Landes und der Ressourcen durch Siedler besteht. Zur Legitimation bediene man sich eines ausgeprägten Rassismus, motiviert durch „die Einteilung der Menschen in höhere, zum Herrschen bestimmte und niedere, ihnen unterworfene Rassen“. (S. 12) Der Zionismus, der als Aushängeschild für die Alleinherrschaft der Juden benutzt wird, schreibt Wilde, entstand Ende des 19. Jahrhunderts im europäischen jüdischen Kleinbürgertum. Er definierte Judentum nicht mehr nur als Religionsgemeinschaft, sondern als Volk bzw. Nation. „Da die Zionisten die Prämisse der Antisemiten übernahmen, dass Juden und Nicht-Juden nicht zusammenleben könnten, sahen sie die Lösung (…) in der Gründung eines eigenen Nationalstaates außerhalb Europas.“ (S. 12) Ihren Anspruch auf das Land Palästina, das damals zum Osmanischen Reich gehörte, begründeten die zionistischen Siedler damit, „dass sie nicht in ein neues Land kämen (…), sondern nach einem verlängerten Auslandsaufenthalt einfach nach Hause zurückkehrten; die Einheimischen wären die eigentlichen Fremden“. (S. 13) Man greife in der israelischen Geschichtsschreibung auf eine sich ergebende fundamentalistische Bibelauslegung zurück, „der zufolge Palästina das Land der Juden und nur der Juden war und nun – 3.000 Jahre später – wieder ist“. (S. 34) Welche sind die Hauptursachen für die Zuspitzung der Konflikte, der Auseinandersetzungen zwischen Kolonialisten und Kolonisierten? Darauf gibt die Autorin folgende Antwort: Es seien „immer der Kampf um Land und Ressourcen“. (S.205)

Obwohl unterschiedliche Bevölkerungsteile in Israel leben, definiert sich der Staat als Staat der Juden, also als Staat einer übernationalen Religionsgemeinschaft. Allerdings schließe die „religiös-ethnische Definition des Staates anstelle einer territorialen (…) die Integration und Gleichberechtigung nicht-jüdischer Bevölkerungsteile strukturell aus“, schreibt die Autorin. (S. 22)  Sie verweist auf zahlreiche Tricks und Verschleierungen des Staates Israel, die es ihm ermöglichen, sich aus Gesetzen mit eindeutigem Apartheidcharakter herauszuhalten. Man lagere beispielsweise staatliche Funktionen an internationale zionistische Organisationen aus. So würde eine Arbeitsteilung bestehen und das demokratische Image in der westlichen Welt gewahrt bleiben. (S. 40) Der Kern der zionistischen Politik in Palästina sei die fortgesetzte „Judaisierung“, die als Hauptideologie Vorrang vor den formalen Bekenntnissen zur Demokratie habe. (S.55) Der koloniale Blick auf die einheimische Bevölkerung werde von oben her durch die ideologischen Staatsapparate, Politiker, Militärs und Rabbiner verbreitet. Zudem bediene sich das religiöse Recht einer Herrenmenschen-Rhetorik, die sie mit den Heiligen Schriften begründet. (S.76) Außer Acht dürfe nicht gelassen werden, dass die eigene Leidensgeschichte der Juden zu einer stark ausgeprägten Selbstgerechtigkeit der Siedlerbevölkerung führe. (S.77) Verwiesen wird auf Seite 82 auf einen seit dem Krieg gegen den Gazastreifen verschärften Rassismus, sodass kritische Israelis vor einem heraufziehenden Faschismus warnen, (S. 82) wobei der Kolonialismus seinem Wesen nach zum Faschismus neigt. (S. 88)

Welche Lichtblicke öffnet uns die Anklageschrift? Im Gespräch ist eine Ein-Staat-Lösung. Im Vordergrund stünden die Erlangung der Rechte der einheimischen Bevölkerung. Das Konzept ziele darauf ab, „den kolonialen Charakter des gegenwärtigen Staates Israel aufzuheben“ und den Nationalismus zurückzudrängen, um so die Möglichkeit für ein gleichberechtigtes Zusammenleben zu eröffnen. (S. 215) Das setze die Überwindung des Zionismus voraus. (S. 217) Von „Innen“, das wird klar, ist durch Verhandlungen keine Lösung zu erwarten. Daran hat die zionistische Seite kein Interesse. Da der Staat Israel in der schlimmsten Krise seiner Geschichte stecke, sei die arabische antiimperialistische Einheit sowie u.a. die Schwächung der USA in der Region und die Entwicklung einer starken internationalen Solidaritätsbewegung vonnöten, so die Autorin auf Seite 222. Von entscheidender Bedeutung sei der revolutionäre Prozess in der arabischen Welt. Interessant ist in diesem Zusammenhang folgende Bemerkung des israelischen Historikers Moshe Zuckermann (junge welt vom 26./27. Januar 2013): Der Zionismus rechtfertige „die Abneigung des jüdischen Kleinbürgers gegen seinen nichtjüdischen Konkurrenten und erlaubt es ihm zugleich, (…) gegen die Verfolgung Stellung zu nehmen, ohne sich gegen das kapitalistische System zu wenden, das ihm gewisse Vorteile sichert“. Damit wäre auch dies ausgesprochen: Nichts geht, ohne den Machtanspruch der herrschenden Elite in den Fokus zu nehmen.

Das Buch der Petra Wild ist eine sehr faktenreiche und lesenswerte Analyse. Vor allem Studenten, deutsche Politiker und politisch Interessierte mögen die zahlreichen Belege für die menschenverachtende Vertreibungspolitik Israels genau sichten und zu eigenen Schlußfolgerungen gelangen lassen. Zu fragen ist auch, wie die Machtverhältnisse im imperialistischen Israel beschaffen sind, die auf die Geschichte und vor allem auf die Lösung der Konflikte einwirken könnten. Man denke dabei an jüdisch-israelische Aktivisten, an mehrere Tausend von antizionistischen oder zionismuskritischen Israelis (S. 213), von denen Petra Wild schreibt. Sie wollen „den Boden für das Zusammenleben in einem gemeinsamen demokratischen Staat bereiten. Ohne Siedlungskolonialismus, ohne Aggressionsbereitschaft gegenüber anderen Ländern, ohne dass „Tränen des Vaterlandes“ vergossen werden müssen, ohne Verstöße gegen die Menschlichkeit, die auch Andreas Gryphius im letzten Vers beklagt:


Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,

Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot,

Daß auch der Seelenschatz so vielen abgezwungen.


Harry Popow

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ)

 

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Rudolf Steger
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Verbunden: 17.06.2013 - 15:49
Rezension zum Buch von Petra Wild


Rezension zum Buch von Petra Wild


Ich habe gesehen, dass das Buch von Petra Wild hier diskutiert wird. Nachdem ich die Rezension von Moshe Zuckermann in der SZ vom 04.06.2013 gelesen habe, war es mir ein Bedürfnis, selbst eine Rezension bei Amazon zu schreiben, um meine Sicht zu diesem Thema darzustellen. Ich möchte meine Rezension hiermit zur Diskussion stellen und bin gespannt auf die Reaktionen!


Ein Stern statt 5 Sterne, wie sie von den Vor-Rezensenten vergeben wurden? Warum dieser extreme Unterschied in der Bewertung?

Hier muss es sich offensichtlich um einen grundlegenden Einwand gegen das Buch von Petra Wild handeln. Zur Begründung möchte ich auf eine Rezension von Moshe Zuckermann zurückgreifen, die am 4. Juni 2013 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Auch er empfiehlt das Buch von Petra Wild von Anfang bis Ende. Allerdings macht er eine für mich entscheidende Einschränkung. In seinen Worten liest sich das so:


"Ist es zum Beispiel unerlässlich, mit dem UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in den palästinensischen besetzten Gebieten, Richard Falk, einen Vergleich zwischen Israels Praktiken in den palästinensischen Territorien und den Gräueltaten der Nazis zu ziehen, wie es Petra Wild meint tun zu sollen?"


Allerdings kritisiert Zuckermann nicht etwa die perfide Gleichsetzung von Nazi-Gräueltaten und der Ermordung von 6 Millionen Juden mit der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern, er befürchtet lediglich, dass diese Gleichsetzung der Glaubwürdigkeit der Autorin schaden könnte. Er fährt daher folgendermaßen fort:


"Zu befürchten steht, dass solche Parallelen eher den Anlass bieten können, von der Auseinandersetzung mit der Unsäglichkeit des real Bestehenden abzulenken, um sie durch dezidierte Polemik über die Validität des Vergleichs aus dem Blickfeld geraten zu lassen."


Übersetzt in verständliches Deutsch soll das wohl heißen, dass diese Nazi-Israel-Gleichsetzung nach seiner Auffassung der Glaubwürdigkeit der Autorin schaden und die Fragwürdigkeit ihres gesamten „Werkes“ beweisen könnte. Dazu bedarf es allerdings keiner „dezidierten Polemik“. Spätestens seit der Herausgabe des Antisemitismusberichtes der Bundesregierung im Herbst 2011 wissen wir, dass 40 - 50 % der deutschen Bevölkerung der perversen Aussage zustimmen, dass das, „was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, im Prinzip nichts anderes ist als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben“ (s. Tabelle 1, S. 55). Diese Gleichsetzung ist wohl nicht weniger antisemitisch als die unter Antisemiten so beliebte Leugnung des Holocaust.

In ihrem Interview bei Muslim-Markt.de legt die Autorin Wert darauf zu sagen, dass sie Wissenschaftlerin sei und keine Ideologin. Das muss sehr bezweifelt werden. Sie nennt sich in diesem Interview selbst eine ehemalige Linksradikale, die sich heute stark zur arabischen Welt und zum Islam hingezogen fühlt. Selbstverständlich ist es Frau Wild unbelassen, sich im Propagandakrieg gegen Israel auf der islamisch/arabischen Seite zu positionieren. Aber ihr Buch ist dann sicher kein wissenschaftliches Werk, wie sie vorzutäuschen versucht, sondern politische Agitation gegen Israel. Es taugt daher keinesfalls zur Information über den israelisch/palästinensischen Konflikt.

Selbst wenn die von der Autorin zusammengestellten „Fakten“ alle wahr sein sollten, durch ihre Einseitigkeit und die Wortwahl werden sie zur Manipulation. Wissenschaft hat keine politische Agenda. Eine wissenschaftliche Schrift kann kein politisches Ziel, hier die sogenannte „Einstaatenlösung“, gewissermaßen wissenschaftlich hergeleitet, als Lösung des Konfliktes empfehlen.

Dies ist eine politische Agenda, die mit Wissenschaft nichts zu tun hat. (Man informiere sich bei kompetenten Autoren über die Fragwürdigkeit und die möglichen Auswirkungen dieser sog. „Einstaatenlösung“.) Sie hat in der Regel eher das Ziel, die Existenz des Staates Israel in Frage zu stellen. Eine seriöse Wissenschaftlerin würde es wohl kaum wagen, eine wissenschaftlich begründete Empfehlung mit derartig unkalkulierbaren Folgen für die Menschen vor Ort abzugeben.

Moshe Zuckermann befürchtet in seiner Rezension, dass das Buch als antisemitisch eingestuft werden könnte. Er beklagt, dass in Deutschland „eine aggressive Ideologie gegen jede Kritik an Israels Politik“ entstanden sei, „die keine noch so perfide Kreuzigung des jeweiligen Kritikers und seine infame Besudelung scheut“.

(Man beachte die Wortwahl! Wenn die Schilderung der Lebensverhältnisse der Palästinenser durch die Autorin ebenso maßlos und hetzerisch übersteigert ist wie dies mit dieser realitätsfernen Beschreibung des angeblichen Umgangs mit „Israel-Kritikern“ in Deutschland geschieht, dann kann die palästinensische Realität nicht so schlimm sein.) Frau Wild habe dies in ihrem Vorwort angesprochen.

Ob die Motive der Autorin nun antisemitisch sind, also auf allgemeiner Judenfeindschaft gründen oder nicht, muss hier nicht geklärt werden. (Sie trägt zur Abwehr dieses Vorwurfs das allgemein übliche Klischee vor, dass es ja auch genügend Juden gäbe, die ihre Auffassung teilen.) Es ist jedoch zu erwarten, dass das Buch in Deutschland antisemitische Klischees bedient und damit zum Antisemitismus beiträgt. Unter den laut Antisemitismusbericht der Bundesregierung ca. 20 % als antisemitisch einzustufenden Deutschen einschließlich der israelfeindlich Eingestellten (bis ca. 50 %) wird es daher bestimmt viele Käufer finden.

Nachdem man aber wohl kaum ein Buch empfehlen würde, das den Holocaust leugnet, kann man auch das hier vorliegende Buch nicht empfehlen, da es die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit der Ermordung von 6 Millionen Juden durch den Nationalsozialismus gleichsetzt. Es stellt sich die Frage, ob diese Gleichsetzung nicht ebenso wie die Holocaustleugnung den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt.

Es kann nun jeder / jede LeserIn selbst entscheiden, ob die "Gleichsetzung des Holocaust mit der Ermordung von 6 Millionen Juden durch das Nationalsozialistische Deutschland" mit der "israelischen Politik gegenüber den Palästinensern" der "Leugnung des Holocaust" entspricht. Sie ist zumindest moralisch soweit verwerflich, dass ein Buch, das diese Gleichsetzung enthält, nicht empfohlen werden sollte.

Leider kann nicht weniger als 1 Stern vergeben werden.

 

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina


Werter Rudolf Steger,

ob Sie ein Buch empfehlen oder nicht, bleibt ihnen gern überlassen. Nicht jeder muss Bücher empfehlen oder auch nicht, vor allem, wenn er eine Rezension über eine Rezension abliefert. Sie beziehen sich ausschließlich auf die SZ-Kritik von Moshe Zuckermann, zitieren aus einem Interview mit der Autorin und erwähnen mehrmals statistische Erhebungen über den antisemitischen Bodensatz unter der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Von den Inhalten des von Ihnen ausdrücklich nicht empfohlenen Buches erfahren wir explizit nichts, nur von einer Formulierung im Vorwort.

Das ist ziemlich dünne für eine Rezension, und im Falle Ihrer Nichtempfehlung im Ergebnis weniger als nichts. Ich darf Ihnen eines verraten: bei einem Buch kommt es auf den Inhalt an. Der Inhalt ist in der Regel das Geschriebene zwischen den zwei Buchdeckeln, genauer gesagt zwischen dem Vorwort und dem Anhang. Das nennt man Text. Es empfiehlt sich, das schwarz Gedruckte zu lesen, nicht die weißen Stellen. Sie besprechen eigentlich nur die leeren Flecken, den blinden Fleck Ihrer Interesselosigkeit am Inhalt.

Vielleicht hatten Sie keine Zeit, keine Lust oder keine Ahnung, wie man zumindest einen Anschein von Belesenheit vorspiegelt, damit die geneigten Rezipienten Ihrer gestrengen Nichtempfehlung zumindest ansatzweise folgen könnten. Im Gegenteil bekennen Sie freimütig, dass Ihnen der Inhalt ziemlich wurscht ist: "Selbst wenn die von der Autorin zusammengestellten ‘Fakten‘ alle wahr sein sollten, durch ihre Einseitigkeit und die Wortwahl werden sie zur Manipulation." Sie begründen das nicht etwa mit den (absichtlich oder fahrlässig) nicht referierten Fakten aus dem Buch noch mit einzelnen Ihnen stark widerstrebenden Formulierungen oder gar mit inhaltlichen Einwänden dagegen, sondern mit dem Hinweis auf ein "Geständnis" der Autorin über ihre "linksradikale Vergangenheit" und ihr Interesse an der arabischen Welt und am Islam.

Bumm! Das sitzt. Mehr war nicht zu sagen. Der rechte Reflex. Da mussten Sie das Buch gar nicht gelesen haben, um ganz genau zu wissen, dass "man auch das hier vorliegende Buch nicht empfehlen [kann], da es die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit der Ermordung von 6 Millionen Juden durch den Nationalsozialismus gleichsetzt."

Nun darf ich Ihnen aber unter der Hand noch etwas Weiteres verraten: Der Inhalt, d.h. also der thematische Gegenstand des Buches, beschäftigt sich ausschließlich mit dem Leid der Palästinenser im Westjordanland und den Verbrechen der israelischen Siedlerkolonialisten, von denen Sie nichts wissen wollen - nicht mit dem Holocaust. Sie ignorieren vorsätzlich diese Tatbestände, um sie mit der Shoah verglichen wahrzunehmen, jenem Zivilisationsbruch, der tatsächlich in seiner Dimension und der brutalen Durchsetzung ein einzigartiges Verbrechen der Menschheitsgeschichte darstellt, und bis heute nachwirkt. Dabei zeigt Petra Wild doch gerade auf, dass der Siedlerkolonialismus mit dem Zionismus begründet begann, der Holocaust dem zionistischen Projekt Israel allenfalls zum Durchbruch verhalf, nach Jahrhunderten antisemitisch motivierter Ausgrenzungen und Verfolgungen, den zahlreichen wiederkehrenden Pogromen und dem Assimilisationsdruck vor allem in Westeuropa, einer weitgehend missglückten "Juden-Emanzipation", die vor der NS-Deportation nicht schützte.

Man sollte diesen Frevel an der Menschheit aber nicht zu instrumentalisieren suchen wie Weiland Joseph Fischer, der in Jugoslawien "einen zweiten Holocaust verhindern" zu wollen vorgab, um die Erpressung von Rambouillet und den NATO-Krieg zu rechtfertigen, der die "humanitäre Katastrophe", welche durch deutsche Außenpolitik (Genschers und Kinkels) seit 1991 in Gang gesetzt worden war, erst perfekt machte, und die Bundesrepublik Jugoslawien schließlich verschwinden ließ. Ich weiß nicht, ob und wieweit Sie vor den kriegstreiberischen Publikationen des olivgrünen Außenministers gewarnt haben, wann Sie je gegen die aus der Schublade des Scharping-Kriegsministeriums gezauberte "Hufeisenplan"-Fälschung ähnliche rhetorische Attacken vorgetragen haben. Ich will gar nicht wissen, ob sie bei der Phosphorisierung des Gaza-Streifens aus Empörung und Protest auf die Straße gegangen sind oder ob Sie generell eher ein Bellizist sind. In diesem Fall verhalten Sie sich jedenfalls wie ein Ignorant mit Vorsatz. Bertolt Brecht hat mal gesagt: "Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über Bäume zum Verbrechen wird, weil es das Schweigen über soviel Unrecht einschließt", und er meinte das in Bezug auf den Faschismus. Erich Fried sagte entsprechendes in Bezug auf die Politik Israels den Palästinensern gegenüber. Ignoranz ist das Schlimmste, was denkende Wesen sich und ihren Mitmenschen antun können. Die Deutschen, die von nichts gewusst haben wollten, haben das Abscheulichste erst ermöglicht und zugelassen. Ich nehme an, Sie werden diese berufsmäßig "Ahnungslosen" gewiss genauso verachten wie ich. Zurecht. Da sind wir uns wenigstens an diesem einen Punkt einig. Lernen wir also daraus, und sehen wir hin - ohne Scheuklappen!

Scheuklappen verengen den Horizont. Überprüfen wir doch bei dieser Gelegenheit gleich noch Ihre Sicht auf die Wissenschaft und ihre Aufgaben: "Eine wissenschaftliche Schrift kann kein politisches Ziel, hier die sogenannte „Einstaatenlösung“, gewissermaßen wissenschaftlich hergeleitet, als Lösung des Konfliktes empfehlen. ... Dies ist eine politische Agenda, die mit Wissenschaft nichts zu tun hat." Nun fragt sich, wofür Wissenschaft da sein sollte außer zum Aufzeigen von Lösungen, selbstverständlich aufgrund fundierter Analyse. Mit Ihrem "Lösungs-Verbot" könnten allerhöchstens vage Anfangs-Thesen formuliert werden, Hypothesen wären schon gewagt und eine Conclusio, also jeglicher Ausblick bliebe untersagt. Oft sind das aber in wissenschaftlichen Werken die einzigen selbstformulierten Gedanken des Autors, falls der nicht auch vorher schon bei anderen abgekupfert hat, ohne Fußnoten zu nennen. Sie könnten mit Ihrem Verdikt dreiviertel aller Doktorarbeiten einstampfen lassen, sie zumindest ausdrücklich nicht empfehlen. Viel Spaß dabei! Lösungsfreies Arbeiten gelingt kaum einem Chemiker, empfehlungsfreies nicht einmal Ihnen.

Nach dieser intellektuellen Glanzleistung schwingen Sie sich gegen Ende Ihrer Ausführungen zum freiberuflichen Staatsanwalts-Hilfsassistenten auf, der entscheidende Fragen stellt: "Es stellt sich die Frage, ob diese Gleichsetzung nicht ebenso wie die Holocaustleugnung den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt." Nun wird's allmählich justiziabel. Aber nicht das Buch, sondern Ihre denunziatorischen Versuche, die Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung zu relativieren, indem Sie sie an der Tragödie der Shoah gemessen dargestellt sehen wollen. Sie unterstellen eine Gleichstellung der Nakba mit der Shoah, wo die spezifischen Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen der ersteren detailliert aufgezeigt werden, und Sie darüber Kenntnis gehabt haben sollten, falls Sie die Ausführungen dazu gelesen und verstanden hätten.

Sie erwähnen diese Inhalte, um die es dabei geht, jedoch mit keinem Wort, weil sie, selbst bei unterstelltem Wahrheitsgehalt, Sie nicht im Geringsten zu interessieren scheinen. Sie erwähnen sie mit keiner einzigen Silbe. Kein Jota zu Checkpoints, exklusiven Straßen nur für Juden, Landraub, Wasserklau, Siedlerterror, Enteignung, Entrechtung, Vertreibung, Hauszerstörung, gezielter Brunnendemolierung, großflächiger Olivenbaumentwurzelung, Kinderverhaftung, Folterungen, extralegalen Tötungen, Siedlungs- oder Mauerbau! Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Sie berührt sie gar nicht erst. Sie stellen sich neben die Verbrechen hin, sehen darüber hinweg und sagen, es interessiere Sie nicht, selbst wenn alles zutreffend wiedergegeben sein sollte. Im Zivilleben stünden Sie wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht - wenn's dumm liefe für Sie. So ein gekonntes Wegsehen grenzt schon an Billigung von Straftaten. Verharmlosung von Gewaltakten und Verächtlichmachung der Opfer kommen Ihnen salopp über die Lippen: "Wenn die Schilderung der Lebensverhältnisse der Palästinenser durch die Autorin ebenso maßlos und hetzerisch übersteigert ist wie dies mit dieser realitätsfernen Beschreibung des angeblichen Umgangs mit ‘Israel-Kritikern‘ in Deutschland geschieht, dann kann die palästinensische Realität nicht so schlimm sein." (Beachten Sie Ihre eigene Wortwahl!) Was ist das schon alles gegen die singulären NS-Verbrechen? Peanuts! So gut wie nichts. Sie relativieren tendenziell gegen Null. Dabei mimen Sie selbstherrlich den wachsamen Warner vor historischer Relativierung, voll Inbrunst tiefster Überzeugung, als wandelndes Bollwerk gegen Holocaust-Leugner in die Geschichtsbücher einzugehen.

In Wahrheit reden Sie der Relativierung das Wort, geben den unvergleichlichen Ungleichungsbeauftragten, der sich anmaßt, anderen genau solcherlei Relativierung zu unterstellen, um die es gar nicht geht. Aber so ist das mit Leuten, die weder eine Buchbesprechung hinkriegen, welche auch nur einen Ansatz vom Inhalt des Besprochenen verrät, noch ein Gespür dafür entwickeln, was in diesem Fall als moralisch oder aber unmoralisch anzusehen ist. Sie geben dennoch vor, exakt zu wissen, "ob die ‘Gleichsetzung des Holocaust mit der Ermordung von 6 Millionen Juden durch das Nationalsozialistische Deutschland‘ mit der ‘israelischen Politik gegenüber den Palästinensern‘ der ‘Leugnung des Holocaust‘ entspricht" und beantworten statt des von Ihnen eben erst noch aufgerufenen Lesers apodiktisch lieber selbst: "Sie [die Gleichsetzung] ist zumindest moralisch soweit verwerflich, dass ein Buch, das diese Gleichsetzung enthält, nicht empfohlen werden sollte." Ein Buchhalter hätte es nicht holpriger in seinen Geschäftsbericht einfügen können: "Ein Verlust ist zumindest soweit gewinnschmälernd, dass ein Hauptbuch, das einen solchen Minus-Saldo enthält, nicht als positive Bilanz gelten kann", oder so ähnlich.

Ihre redundante Beweisführung klingt geradezu zwingend: "Nachdem man aber wohl kaum ein Buch empfehlen würde, das den Holocaust leugnet, kann man auch das hier vorliegende Buch nicht empfehlen, da es die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit der Ermordung von 6 Millionen Juden durch den Nationalsozialismus gleichsetzt". Brillant! "Q.e.d.", würde man diese Herleitung beschließen können, wenn sie nicht so bodenlos daneben wäre. Wenn die Wasserträger des Zionismus nicht mehr zu bieten haben als zur Beschweigung ihrer Untaten verleumderische Etiketten aufzupappen, dann sollten Sie sich von ihnen lösen und mal endlich die Augen aufmachen vor der blanken Realität, die selbst Sie das Gruseln lehren würde, wenn Sie sie nur ansatzweise wahrnähmen. Aber generell sollten Sie erst mal ein Buch durchlesen, bevor Sie es vor Publikum mit dem Gestus des Möchtegern-Zensors zu "zerreißen" suchen.

Fangen Sie damit an, das Buch Kapitel für Kapitel, Aspekt um Aspekt, Gräuel um Gräuel durchzuackern. und sich gelegentlich in die Lage derer zu versetzen, die das alles erleben und ausbaden müssen. Ich befürchte allerdings beinahe, dass es anstrengend wird, falls Sie zu den notorischen Realitätsverweigerern und Lesemuffeln gehören, zumindest was Literatur und Sachbücher angeht, deren Inhalte sie partout nicht wahrhaben wollen. Es gibt solche Leute, die nur einmal im Leben ein Buch gelesen haben, nämlich die Bibel. Und das nur unter Zwang. Heino ist so ein Fall. Entsprechend klingen seine Liedtexte.

Im Vertrauen: Lesen bildet. Und der Trend geht nach wie vor zum Zweitbuch. Also hingesetzt und hurtig aufgeklappt! Nur keine Angst vor den Buchstaben, die tun Ihnen nichts. Zwischendurch Umblättern nicht vergessen! Erst bis zum bitteren Ende lesen und dann rezensieren! Wenn Sie der komplette Inhalt dann immer noch kalt gelassen hat, sind Sie ein hoffnungsloser Fall, was Empathie und Unrechtsbewusstsein anbelangt. Ich traue das allerdings jedem empfindsamen Menschen zu, also auch Ihnen. Im Zweifel fragen Sie Ihren Arzt oder Psychotherapeuten. Sie werden den Knopf für Mitmenschlichkeit gewiss finden. Andernfalls interessierte das kompetenzlose Geschreibsel niemanden außer den Autor selbst. Ich vergebe also zur Motivation und zwecks Befriedung auch an Sie generös einen Stern. Möge er Ihnen leuchten!

Wolfgang Blaschka

 

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Harry Popow
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Verbunden: 18.05.2013 - 13:52
Stegers Fehlinterpretation


Stegers Fehlinterpretation


Wie jemand eine Rezension schreiben kann, ohne das jeweilige Buch gelesen zu haben, das ist schon eine arge Zumutung für die Leser. So erging es mir auch bei diesem Text von Rudolf Steger zu Petra Wilds Buch „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina“. Alles dreht sich bei Herrn Steger um den Vorwurf, die Autorin habe – so liest er das aus einem Beitrag von Moshe Zuckermann heraus - , Israel mit der Nazidiktatur gleichgesetzt.

Da ich ebenfalls eine Rezension geschrieben habe, fand ich die entsprechenden Textstellen schnell heraus. Ja, die Autorin zitiert auf Seite 202 den UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in den palästinensischen besetzte Gebieten, Richard Falk, und den israelischen Historiker Ilan Pappe. „Ilan Pappe bezeichnete die Blockade des Gazastreifens bereits 2006 als genozidale Politik.“ Und Richard Falk nannte die Hungerblokade 2007 einen ´Holocaust-am-Entstehen`: „Ist es eine unverantwortliche Übertreibung, die Behandlung der Palästinenser mit dieser kriminellen Nazi-Akte kollektiver Gräueltaten zu assoziieren? Ich denke nicht.“ Weiter: Auf Seite 82 schreibt Petra Wild, „dass kritische Israelis vor einem heraufziehenden Faschismus warnen“. Seite 84: „Noah Flug von der Internationalen Vereinigung der Holocaust-Überlebenden (…) zeigte sich entsetzt, da er sich an die Politik der Nazis erinnert fühlte.“ Auf Seite 88 geht sie den Gedanken der israelischen Professorin Dalia Golan nach, die zwar fragte, ob „alle Elemente des Faschismus hier präsent sind“, aber auf den Rassismus aufmerksam machte, der wesentlich für verschiedene Formen des Faschismus, „vor allem natürlich des Nazi-Faschismus“ stehe.

Ohne diese Texte gelesen zu haben und sich lediglich auf eine andere Rezension berufend, entsteht bei Rudolf Steger ein zu verurteilendes Bild von einem Propagandakrieg gegen Israel. Er vorverurteilt das Buch der Autorin, ohne die Fakten im Zusammenhang zu analysieren. Er versteht ja nicht einmal, dass Wissenschaft dem Menschen zu dienen hat und stets auch mit Politik zu tun hat. (Ich begrüsse ausdrücklich entsprechende Aussagen der Autorin, die damit nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch politischen und gesellschaftlichen Weitblick verrät.) Sein Vorwurf, das Buch bediene antisemitische Klischees, dient jener Klasse von Leuten, die den imperialistischen und aggressiven Charakter des Staates Israel, der ja nicht allein ein Judenstaat ist, zu leugnen. Ich wette, Rudolf Steger hat möglicherweise auch das angeblich provozierende Gedicht von Grass scharf verurteilt. Wer die Empörung gegenüber jeglicher Aggressionsbereitschaft und Unterdrückung mit „Volksverhetzung“ definiert, fördert sie, ob er das mitkriegt oder nicht.

Harry Popow

 

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Rudolf Steger
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Verbunden: 17.06.2013 - 15:49
Kritik an Petra Wilds Buch


Kritik an Petra Wilds Buch


Hallo, lieber Herr Blaschka,

vielen Dank für Ihre kritische Antwort auf meinen Beitrag zum Thema Buch-Rezension Petra Wild. Zunächst zu Ihrem Vorwurf, dass ich die Rezension von Moshe Zuckermann in der SZ zur Grundlage meiner Rezension bei Amazon gemacht habe.

Stimmt! Das war meine Absicht und diese hatte einen guten Grund. Ich habe Zuckermann gewissermaßen zum Kronzeugen meines Haupteinwandes gegen das Buch von Petra Wild und deren Glaubwürdigkeit gemacht. Ich zitierte daher Moshe Zuckermann in meinem Text wörtlich: „Ist es zum Beispiel unerlässlich, mit dem UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in den palästinensischen besetzten Gebieten, Richard Falk, einen Vergleich zwischen Israels Praktiken in den palästinensischen Territorien und den Gräueltaten der Nazis zu ziehen, wie es Petra Wild meint tun zu sollen?“ So stand dies in der SZ.

Sie behaupten, dass von einer derartigen Aussage im Buch von Frau Wild nichts zu finden sei. Ich habe gedacht, dass Zuckermann, nachdem er das Buch ansonsten über alles lobt, schon glaubwürdig wäre und nicht eine Unwahrheit in die Welt setzt. Deshalb habe ich nicht direkt aus dem Buch zitiert. Ich möchte dies hiermit für Sie nachholen:

Der UN-Berichterstatter Richard Falk wird von Frau Wild auf S. 202 folgendermaßen  zitiert: „Ist es eine unverantwortliche Übertreibung, die Behandlung der Palästinenser mit dieser kriminellen Nazi-Akte kollektiver Gräueltaten zu assoziieren? Ich denke nicht.“ (Ich gehe davon aus, dass Zuckermann sich auf dieses Zitat bezieht.) Nun kann es Frau Wild nicht entgangen sein, dass diese Äußerung aus dem Jahre 2007 dem UN-Berichterstatter große Schwierigkeiten eingebracht hat, da sie doch weitgehend als massiv daneben eingestuft wurde. Trotzdem hat Sie in Ihrem überstarken Bedürfnis, alles Aufzufindende gegen Israel in Stellung zu bringen, ein ordentliches Eigentor geschossen, demaskiert Sie doch damit Ihre Absichten, in ihrem Kapitel „Die Genozid-Debatte“ ab S. 201 Israel einen beabsichtigten, teilweise bereits vollzogenen Genozid zu unterstellen.

Ich stellte nun diese von mir kritisierte Aussage in einen Zusammenhang mit Ergebnissen aus Meinungsumfragen und habe dazu geschrieben: „Spätestens seit der Herausgabe des Antisemitismusberichtes der Bundesregierung im Herbst 2011 wissen wir, dass 40 - 50 % der deutschen Bevölkerung der perversen Aussage zustimmen, dass das, „was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, im Prinzip nichts anderes ist als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben“ (s. Tabelle 1, S. 55).

Diese Gleichsetzung ist wohl nicht weniger antisemitisch als die unter Antisemiten so beliebte Leugnung des Holocaust. Sie nennen das „statistische Erhebungen über den antisemitischen Bodensatz unter der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland.“

Wenn Sie die Hälfte der deutschen Bevölkerung als „antisemitischen Bodensatz“ bezeichnen wollen (böse Zungen werden vielleicht behaupten, dass Sie darin recht haben), dann versuchen Sie, das Potential an antizionistischen, israelfeindlichen Meinungen zu verharmlosen. (Wann „antizionistisch“ gleich „antisemitisch“ ist, das ist eine eigene, sehr interessante Diskussion.) Sie irren aber ganz gewaltig, wenn Sie von einem „Bodensatz“ reden. Wenn Sie sich die statistischen Erhebungen einmal genauer anschauen würden, dann könnten Sie feststellen, dass dieser Bodensatz nahezu mehrheitsfähig ist. Leider beschränken sich antisemitisch / israelfeindliche Aussagen nicht auf Neonazis und Rechtsextreme, sondern dieser „Bodensatz“ reicht bis weit in die Mitte der bürgerlichen, der intellektuellen, vor allem der Links- und Gutmenschen - Population (zur Sicherheit, damit Sie den Spottbegriff „Gutmenschen“ nicht falsch verstehen, es sind nicht die „guten Menschen“ gemeint, im Zweifel bitte die Diskussion zu dieser Begriffsverwendung nachlesen).

Folgende Aussagen finden Sie in der relativ neuen wissenschaftlichen Abhandlung zum Thema aktuelle Judenfeindschaft in Deutschland mit dem Titel „Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“ von Schwarz-Friesel und Reinharz:


“So bedrückend die Rezeption der vulgär-antisemitischen Gewalt-Schreiben der Extremisten auch war, viel belastender war für alle an den Textanalysen Beteiligten das Lesen der Schreiben judenfeindlicher Verfasser aus der Mitte der Gesellschaft. Es waren Wissenschaftler, Rechtsanwälte, Ärzte, Bankangestellte, Pfarrer und Studierende, die Äußerungen  kommunizierten, aus denen das uralte judenphobe Ressentiment sprach, ....“  und  „Vielen Menschen ist aber nicht bekannt bzw. bewußt, dass die aktuell kursierenden, negativ be- bzw. entwertenden verbalen Charakterisierungen von Juden und/oder Israelis zum Teil seit Jahrhunderten zum Standardrepertoire von Antisemiten gehören“.


Antisemitismus in Deutschland ist daher heute keineswegs ein Randgruppenproblem, sondern eine zunehmende Einstellung bei einem Großteil der deutschen Bevölkerung, vielfach in Form von Israelfeindschaft und Antizionismus, als „legitime Israelkritik“ getarnt, die sich jedoch oft leicht infolge ihrer sprachlichen Maßlosigkeit und begrifflichen Übersteigerung demaskieren lässt. Dazu gehört regelmäßig die Tarnung durch die angebliche „Liebe für oder Sorge um Israel" und ein krampfhaftes Bemühen, nicht als antisemitisch zu gelten, da dies infolge der deutschen Geschichte ja nicht gerade Anerkennung findet.

Nun schreiben Sie ja interessanterweise folgendes: „Der Inhalt, d.h. also der thematische Gegenstand des Buches, beschäftigt sich ausschließlich mit dem Leid der Palästinenser im Westjordanland (stimmt übrigens nicht, ein ganzes Kapitel handelt vom Gazastreifen, dazu noch weiter unten etwas mehr) und den Verbrechen der israelischen Siedlerkolonialisten, von denen Sie nichts wissen wollen - nicht mit dem Holocaust.“

Ja, sehen Sie, gerade das ist ja das Problem. Die Autorin fokussiert sich auf „das Leiden der Palästinenser“. Dabei muss sie sich natürlich nicht auf den Holocaust einlassen, aber sie blendet eben das Leiden Anderer konsequent aus. Es ist interessant, dass die Formel „Das Leiden der Palästinenser“ fatal an die christliche Formel vom „Leiden Christi“ erinnert. Dies ist kein Zufall. Soll diese Formel doch erstmalig verbreitet worden sein von einer Gruppe von palästinensischen Theologen aus dem Westjordanland in ihrer antiisraelischen Schrift Kairos-Dokument  mit dem Titel „Ein Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und Palästinenserinnen“, welches Teil der BDS-Kampagne geworden ist.

In diesem theologisch verbrämten Aufruf zum Boykott Israels sind alte antijudaistische Versatzstücke aus dem 2000 Jahre alten Antijudaismus des Christentums verarbeitet, was der evang.-luth. Kirchenführung naturgemäß recht peinlich war, befindet sie sich doch in einem lobenswerten, aber anstrengenden Prozess der Aufarbeitung ihrer antijudaistisch / antisemitistischen Vergangenheit nach den Erfahrungen des Holocaust. Eine kritische Stellungnahme dazu finden Sie z.B. hier. (siehe auch neuere Verlautbarungen der EKD)

Nun jedoch zurück zum Buch von Frau Wild. Sie hat ausschließlich israelfeindliche Meinungen und Verlautbarungen gesammelt und abgeschrieben und in  730 (!)  Fußnoten dokumentiert. Gegenmeinungen nicht vorhanden. Dafür ist sie nicht zuständig. Will Sie doch damit angebliche Apartheit und ethnische Säuberung in Israel belegen. Ihre Quellen sind oft höchst umstritten, auch wenn sie UN oder NGO heißen, die Titel der Autoren Professor, Historiker, Wissenschaftler lauten (Für viele Leser ohne Hintergrundwissen sind dies ja Siegel der Vertrauenswürdigkeit.).

Zur Glaubwürdigkeit von Autoren nachfolgende Buchkritik (nachzulesen bei Amazon) zu dem von Frau Wild häufig zitierten Autoren Ilan Pappe (Die ethnische Säuberung):


„Folgt man den Ausführungen Pape‘s, galt der "Plan Dalet" nicht der Sicherung der UNO- Grenzziehung durch jüdische Militärorganisationen, sondern der systematischen ethnischen Säuberung Palästinas. Hinter diesem Masterplan steckte angeblich niemand anders als David Ben Gurion zusammen mit einer ominösen Beratergruppe. Dann läßt Pape im Rahmen der Umsetzung dieses Planes das palästinensische Blut in Strömen fließen. Als wären die israelischen Einheiten nicht in einen Existenzkampf verwickelt, ja als gebe es gar keine arabischen Truppen, hasten die Israelis ungehindert von Dorf zu Dorf, um systematisch Massaker an der Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern, anzurichten. Das krasseste Beispiel ist der Bericht über das Massaker in Tantura mit 230 Opfern. Pape stützt sich dabei auf den Studenten Teddy Katz, der im Rahmen seiner Doktorarbeit Interviews mit "Überlebenden" über 50 Jahre nach den Ereignissen führte. Seltsamerweise drang in all den Jahrzehnten nichts davon an die Öffentlichkeit, obwohl arabische Wissenschaftler alles daransetzen, um Israel Kriegsverbrechen nachzusagen. Katz wurde von Veteranen der Alexandroni-Brigade, die dieses Verbrechen begangen haben soll, wegen Verleumdung verklagt.

Das Gericht stellte fest, dass die Forschungsarbeit Fälschungen und Lügen beinhalte, nachdem sowohl jüdische als auch arabische Zeugen bestritten, dass sich nach der Kapitulation des Dorfes ein Massaker ereignet hätte. Katz unterzeichnete einen Entschuldigungsbrief. Die Doktorarbeit wurde nachträglich von der Universität Haifa aberkannt. Das hält Pape aber nicht davon ab, seitenlang über dieses Massaker, das nie stattfand, zu berichten. Keine Frage, dass während dieses Krieges von israelischer Seite auch Kriegsverbrechen begangen wurden. Dazu zählt der Angriff auf das Dorf Deir Jasin, dem 354 Palästinenser zum Opfer fielen. Aber die Herangehensweise Pape‘s an dieses wichtige Thema wird den elementarsten Voraussetzungen historischer Forschung nicht gerecht.“


Man muss die Meinung dieses Rezensenten ja nicht teilen. Aber man sollte Fragwürdigkeiten zur Kenntnis nehmen und nicht einfach ignorieren. Deshalb meine Meinung: Die absolute Einseitigkeit in der Auswahl der Quellen macht das Buch zu einem propagandistischen Machwerk. Immerhin: eine anerkennenswerte Fleißarbeit.

Kennen Sie übrigens den schönen Spruch: „Die halbe Wahrheit ist auch gelogen“? Um Ihnen zu verdeutlichen was ich meine, möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen:

Ich war im vergangenen Jahr auf einer privaten Rundreise durch Israel und Palästina. Am Ende der Reise haben ich und meine Frau uns noch zwei Übernachtungen in Tel Aviv in einem großen Hotel mit Strandblick aus dem 16. Stockwerk geleistet. Direkt am Strand gegenüber konnte ich von unserem Fenster aus ein Gebäude in einer größeren Anlage sehen, das als Brandruine zu erkennen war, in der wohl eine Explosion stattgefunden haben muss. Wir haben uns dann diese Anlage näher angesehen und fanden vor dem Gebäude einen Gedenkstein mit folgender Inschrift:

 

IN MEMORY OF INNOCENT CITIZENS

AMONG THEM MANY YOUNGSTERS

WHOSE LIVES WERE CUT OFF BY MURDERES

IN A BLOODY TERROR ATTACK

ON FRIDAY NIGHT  1. 6. 2001

MAY THEY REST IN PEACE


Auf der Rückseite des Gedenksteins befanden sich 21 Namen. Da ich in keinem Reiseführer Hinweise auf diesen Ort fand, habe  ich  im Internet nachgesehen und unter dem Begriff „Dolphinarium Tel Aviv“ Informationen gefunden, die auf einen Terroranschlag vor inzwischen 12 Jahren hinwiesen. Unter dem Stichwort „10 Jahre Dolphinarium Massaker“ findet man beispielsweise folgenden Text mit einem Bild, das die zerfetzten Leichen von ermordeten Jugendlichen zeigt:


„Vor 10 Jahren, am 1. Juni 2001, jagte sich der jordanische Selbstmordattentäter Said Hotari in der Warteschlange vor der Tel Aviver Diskothek in die Luft. Er ermordete dabei 21 Jugendliche, darunter 13 Minderjährige und verletzte 120 weitere. Der Attentäter war Mitglied der Hamas und wohnte seit 2 Jahren in Kalkylia, wohin er aus Jordanien zugezogen war. Der Sprengsatz war mit Nägeln und Schrauben gefüllt, um dessen tödliche Wirkung zu verstärken. In Ramallah reagierten Einwohner auf die Nachricht mit Freudenschüssen. Amerikanischer Druck führte zur Verurteilung des Attentats durch den damaligen Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Jassir Arafat in Englisch. Später entdeckte Dokumente jedoch zeigen, dass die PA dem Vater des Attentäters nach dem Anschlag 2000 Dollar überwies. Das Attentat war ein Grund für den Bau des Sicherheitszaunes zwischen dem israelischen Kernland und dem Westjordanland.“


Eine detaillierte Beschreibung des Attentats finden Sie auch noch in dem Artikel von Thorsten Schmitz von der SZ:        

Sollte meine Beschreibung dieses schrecklichen Mordanschlages in Tel Aviv noch nicht ausreichen, um Ihre Empathie auch gegenüber Juden zu aktivieren, so können Sie z.B. auch noch nachlesen bei „Wikipedia, Passover massacre“ . Lesen Sie vor allem auch z.B. das Alter von vielen der 30 Ermordeten und denken Sie auch an die weiteren gesundheitlichen und psychischen Folgen für die 140 Verletzten.

Nun stellen Sie sich vor, lieber Herr Blaschka, es findet sich ein „Wissenschaftler“, so wie Frau Wild, und stellt alle  terroristischen Aktivitäten der palästinensischen Seite nur während der 2. Intifada zusammen, mit hunderten von Ermordeten und tausenden Verletzten, mit bleibenden Schäden fürs ganze Leben, im Detail beschrieben mit den persönlichen und familiären Folgen, streng wissenschaftlich selbstverständlich, genau abgeschrieben mit Quellenangaben in ausführlichen Fußnoten (wegen der Wissenschaftlichkeit!).

Das Ganze könnte natürlich noch ausgeweitet werden, beginnend mit den ersten Pogromen an Juden in den dreißiger Jahren, selbstverständlich nur die Untaten der palästinesisch / arabischen Seite, Vertreibung und „ethnische Säuberung“ von Juden, Zerstörung von jüdischen Wohngebieten, Angriffskriege zur Vernichtung des neu gegründeten Staates Israel und zur Vertreibung der Juden, Zusammenarbeit mit Nazideutschland zur Ausrottung der Juden, Flucht und/oder Vertreibung von angeblich 800.000 arabischen Juden nach 1948 aus den arabischen Ländern,  usw. usw. Eine derartige wissenschaftliche Leistung hätte nur den Nachteil, dass das entstehende Werk mindestens 1000 Seiten umfassen würde (bin ich voreingenommen?) und in Deutschland kaum einen Markt finden würde.

Es könnte den Untertitel tragen „Das Leiden der Juden in Palästina“. Dieses Werk würden Sie selbstverständlich lesen, nach Ihren eigenen aufgestellten Regeln Seite für Seite, nach Ihrem Prinzip „Lesen bildet“, so wie Sie mir es in Ihrem Text empfehlen: „Fangen Sie damit an, das Buch Kapitel für Kapitel, Aspekt um Aspekt, Gräuel um Gräuel durchzuackern und sich gelegentlich in die Lage derer zu versetzen, die das alles erleben und ausbaden müssen.“

Leider kann ich Ihnen ein derartiges Buch nicht empfehlen, da ich keines kenne, das in dieser einseitigen Art die Untaten gegen die Juden im Gebiet des historischen Palästina auflistet. Im Vertrauen: Ich würde dieses Buch wahrscheinlich nicht lesen wollen, schon gar nicht Seite für Seite, da ich durch ein derartiges Buch vermutlich total aufgehetzt wäre gegen Palästinenser, Araber, Islam usw. In einer Rezension über dieses Buch könnte Moshe Zuckermann dann seinen eigenen Text aus seiner Rezension über Wild‘s Buch abschreiben:


„Wichtig ist dieses Buch nicht so sehr, weil es Unbekanntes, Ungewusstes bietet. Alles, was darin an empirischem Material zusammengetragen, analysiert und gedeutet wird, konnte schon seit Langem von jedem, der es wollte, gewusst werden. Weil man es aber nicht wissen will beziehungsweise bereits Gewusstes tunlichst verdrängen möchte, ist dieses Buch wichtig. Es fungiert gleichsam als literarische Zwangsjacke der beharrlich Wegschauenden, den Blick auf den im Buch berichteten Schrecken ideologisch Verweigernden.“


Wenn Sie mir „mangelnde Empathie“ für die Palästinenser vorwerfen, darf ich Sie auf Ihre „selektive Empathie“ für die Palästinenser hinweisen. Wenn Sie Ihre Empathie auch auf die jüdischen Israelis ausweiten könnten, wäre es vielleicht möglich, dass wir uns bei unserem Meinungsaustausch in einigen Fragen näher kommen könnten. Dann werfen Sie mir Folgendes vor: „Kein Jota zu Checkpoints, exklusiven Straßen nur für Juden, Landraub, Wasserklau, Siedlerterror, Enteignung, Entrechtung, Vertreibung, Hauszerstörung, gezielter Brunnendemolierung, großflächiger Olivenbaumentwurzelung, Kinderverhaftung, Folterungen, extralegalen Tötungen, Siedlungs- oder Mauerbau! Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.“

Die ganze Liste von Unrecht gegenüber den Palästinensern fließt Ihnen locker aus der Feder. Aber gerade weil es Schlagworte aus einem Propagandakrieg sind, sollte man jeden einzelnen Punkt kritisch hinterfragen und Informationen von beiden Seiten einholen, um bewerten und konkretes Unrecht anprangern zu können.

„Kein Jota zu Checkpoints“?

Wenn Sie einmal in Jerusalem im voll besetzten Stadtbus gefahren sind oder sich in einem Restaurant aufhalten, wenn Sie in Tel Aviv sich im Gedränge eines Marktes bewegt haben, dann haben Sie dabei stets auch die Bilder von mörderischen palästinensischen Anschlägen vor Augen. Wenn Sie die vielen Beeinträchtigungen erlebt haben, denen Bürger Israels (Juden und Araber, Juden und Moslems und Christen) unterworfen sind, weil die Sicherheit gewährleistet sein muss, dann verstehen Sie deren Sichtweise. Dass „palästinensische Mörder“, aufgehetzt und geschickt von menschenverachtenden Terrororganisationen, abgehalten werden müssen, ihr mörderisches Geschäft auf dem Weg ins Paradies zu ihren versprochenen Jungfrauen zu vollbringen. Diese sehen, und das sind nicht nur Juden, die Grenzschutzanlagen, den „Mauerbau“, Checkpoints und Kontrollen etwas anders als die „Israelkritiker“ im Schaukelstuhl aus dem sicheren Deutschland. Sind das alles Erfindungen einer böswilligen Propaganda, eingebildeter Verfolgungswahn der jüdischen Israelis?

„Empathie“ ja, aber bitte für alle.

Auch für die jungen Israelis  in Uniform (auch junge Mädchen, fast noch Kinder), die sicher auch etwas Besseres zu tun hätten, als an den Übergängen unter Lebensgefahr „Palästinenser“ zu kontrollieren, ob sie eine Selbstmordbombe oder Waffen bei sich tragen, um in Israel Anschläge zu verüben. Hübsch bemalt sind z.B. die kleinen Bunker direkt neben dem Kindergarten im Kibutz Nir Am, wenige Kilometer vom Gazastreifen entfernt, in den die kleinen Kinder rennen können, wenn Raketenalarm ertönt.

Suchen Sie mal bei Frau Wild im Kapitel über den Gaza-Streifen auf etwa 20 Seiten, wie oft sie den Raketenterror der Hamas-Regierung mit tausenden von Raketen gegen die Menschen im Süden Israels erwähnt und wie sie ihn bewertet.  (Da behaupten doch die betroffenen Menschen, dass die tapferen Hamas-Krieger sich in Kinderkrankenhäuser flüchten und sich unter der Zivilbevölkerung verstecken, wenn die Israelische Luftwaffe gegen Raketenbeschuss zurück schlägt. Alles gelogen? Oder Meldungen, die man in hunderten von Fußnoten in einem wissenschaftlichen Werk aufführen könnte, um einen Sachverhalt auch von der anderen Seite zu beleuchten. Frau Wild zeichnet sich auch bei ihrer Behandlung des Gaza-Themas jedenfalls durch völlige Einseitigkeit aus!)

Sprachlich sehr beeindruckend schreiben Sie folgenden Satz:


„Wenn die Wasserträger des Zionismus nicht mehr zu bieten haben als zur Beschweigung ihrer Untaten verleumderische Etiketten aufzupappen, dann sollten Sie sich von ihnen lösen und mal endlich die Augen aufmachen vor der blanken Realität, die selbst Sie das Gruseln lehren würde, wenn Sie sie nur ansatzweise wahrnähmen.“


Sie brauchen „Zionismus“ nur durch „Antizionismus“ zu ersetzen, dann können Sie diesen Satz wunderbar zur Kennzeichnung des Buches von Frau Wild einsetzen. Die Etiketten, die sie zur Dämonisierung Israel „aufpappen“ möchte, heißen Apartheit, Kolonialismus, Ethnische Säuberung, Genozid, Ghettoisierung, Ethnokratie, Rassismus, Siedler, Landraub, zionistisch, usw.  Sie sind alle Teile einer propagandistischen Kriegsführung.

Bemerken Sie, dass Sie Ihrerseits mit keiner einzigen Silbe erwähnen, (ebenso wie Ihre von Ihnen offenbar sehr geschätzte Autorin Petra Wild), was man den Juden in Israel antut oder gerne antun möchte, wenn man nur könnte und Israel sich nicht wehren könnte. Sie haben völlig recht, wenn Sie meinen, dass die palästinensische Bevölkerung eher das Opfer in dieser Auseinandersetzung ist als die jüdische Bevölkerung. Aber ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen, dass die politischen Führungen der Palästinenser und die der umliegenden arabischen Staaten mit ihrer gewalttätigen und hasserfüllten Politik zumindest teilweise (ich will Sie nicht überfordern) die Verursacher der „Leiden der Palästinenser“ sein könnten?

Wenn Sie wenigstens Ihre einseitige Empathie für die palästinensische Bevölkerung dazu nutzen würden, nach allen Ursachen der Lage der palästinensischen Menschen (selbstverständlich auch, aber nicht ausschließlich der israelischen Politik) zu fragen, dann wären Sie, und nur dann, in der Lage, Konzepte für eine Verbesserung der Situation der Palästinenser vorzuschlagen. Vielfach hat man jedoch den Verdacht, dass nicht die Empathie für die Palästinenser, sondern der Hass auf Israel hinter den Meinungen und Aktionen vieler Palästina-Aktivisten steckt.    

Ihr „Wasserträger des Zionismus“ soll wohl sog. „Israelfreunde“ treffen. Wenn man diesen Titel umkehren würde in „Wasserträger des Antizionismus“, dann wären Sie  in teilweise sehr schlechter Gesellschaft. Eine Aufzählung möchte ich mir sparen.

  • Ist es Ihnen vorstellbar, dass jemand gleichzeitig „Israelifreund“ und „Palästinenserfreund“ sein könnte? 
  • Dass man die schwierige Situation für beide Seiten erkennt?

Informieren Sie sich doch auch auf proisraelischen Internetseiten über die Vorkommnisse in und um Israel. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich nicht einseitig informiere, wenn ich mir eine Meinung bilden möchte. (Im Zweifel sollte man sich aber auch einmal „keine Meinung“ erlauben.) Sollten Sie Schwierigkeiten bei der Suche haben, ich unterstütze Sie gerne. Vielleicht wollen Sie mir Ihrerseits Quellen nennen, die ich vielleicht noch nicht in meinem Sortiment habe.   

Auf Ihre freundliche Empfehlung zum Kauf eines „Zweitbuches“ möchte ich Ihnen empfehlen, eine „Zweitmeinung“ zur Kenntnis zu nehmen (Minimum für die Politische Bildung und Politisches Denken“). Sie können hundert Bücher lesen und lernen nichts, wenn diese stets die gleiche Meinung vertreten.

Abschließend möchte ich Ihnen noch eine These unterbreiten: Könnte es nicht auch sein, dass der israelisch/palästinensische Konflikt weder ein  ethnischer, noch ein rassischer Konflikt ist, noch mit Religion zu tun hat. Könnte es sein, dass weder Apartheit noch Genozid geplant sind (wie das Frau Wild herbeizuphantasieren versucht), sondern ganz einfach folgender Sachverhalt vorliegt:

Es geht um die Existenz und das Überleben des Staates Israel. (Wenn Sie die Existenz des Staates Israel für überflüssig halten, fehlt die Grundlage für jede weitere Diskussion.) Historie, Religion, Volkszugehörigkeit, Sprache (auch Mythenbildung), all dies sind Vehikel, um den Zusammenhalt der Gesellschaft und das Fortbestehen dieser Nation in der Zukunft zu sichern. Nicht ein „Existenzrecht“, keine UNO, kein Völkerrecht und keine Charta der Menschenrechte würden die Existenz Israels sichern können oder wollen, wenn das Land nicht in der Lage wäre, durch seine militärische und wirtschaftliche Potenz selbst für seine Sicherheit zu sorgen. Wer dem palästinensischen Volk helfen will, muss daher die Existenz und die Sicherheit Israels sicherstellen, wer die Sicherheit Israels in Frage stellt oder gefährdet, der schadet den palästinensischen Menschen.

Die jüngere Geschichte bestätigt dies. Alle Gewalt gegen Israel schadete am Ende der palästinensischen Bevölkerung. Dabei kommt dem Westjordanland aufgrund seiner geographischen Lage eine entscheidende Bedeutung zu (bitte Landkarte mit Höhenangaben in die Hand nehmen). Die Aufgabe der Kontrolle über das Westjordanland käme einem Selbstmord Israels gleich (eine Wunschvorstellung von vielen), die abzusehende kriegerische Auseinandersetzung brächte auch für die palästinensische Bevölkerung schlimmste Folgen.

Ebenso unabsehbar wären vermutlich die Folgen der angepriesenen „Einstaatenlösung“ mit einem wohl kaum zu verhindernden Bürgerkrieg (man betrachte sich die Verhältnisse in den umliegenden arabischen Staaten). Mir ist klar, dass dies Spekulationen sind. Aber es sind realistische Spekulationen. Die Folgen würden die Menschen in der Region tragen, nicht Bücherschreiberinnen im sicheren Deutschland.   

Besatzung, Grenzanlagen, Mauern, Checkpoints und Abgrenzung können nur dann verschwinden, wenn eine friedliche palästinensische Gesellschaft entstehen würde, welche die Realität der Existenz des Staates Israel akzeptiert. Dies hat nichts zu tun mit Parteinahme für Israel (dazu muss man, wie Sie es nennen, kein „Wasserträger des Zionismus“ sein), dazu muss man lediglich fähig sein, Realität zu erkennen. Wer glaubt, man könne über die Schwächung Israels Vorteile für das palästinensische Volk erzielen (wie etwas die von Frau Wild erwähnte und offenbar sehr geschätzte BDS-Kampagne), der schadet diesem Volk nur. Das ist die Lehre aus der Vergangenheit. Der Testfall Gazastreifen zeigt allerdings, dass die Hoffnung auf einen friedlichen palästinensischen Staat bis auf weiteres wohl eine Utopie ist.

Lieber Herr Blaschka, zum Abschluss darf ich Sie trösten. Meine Empfehlung, das Buch von Frau Wild nicht zu lesen, ist nur an Personen gerichtet, die sich über den israelisch / palästinensischen Konflikt erst informieren möchten. Ich verstehe, wenn oft wohlmeinende Menschen beim Lesen derartig einseitig zusammengestellter „Fakten“ Wut und Empörung empfinden, ja sogar Hass auf Israel sich entwickelt. Deshalb empfinde ich dieses Buch von Frau Wild so perfide. Es erzeugt Hass. Und dieser Hass löst keine Probleme, er erzeugt sie.  

Lesern, die sich intensiv mit der Thematik befassen, möchte ich allerdings das Buch sogar empfehlen. Hier erfahren sie recht konzentriert, wie Antizionisten denken und argumentieren. Dafür ist es eine echte Fundgrube. Motive und Methoden können studiert werden. Das ganze Sortiment an israelfeindlichen (und im Untergrund oft judenfeindlichen) Klischees wird aufgefahren.

Ganz persönlich möchte ich Sie noch bitten, sofern Sie auf diesen Text von mir antworten möchten:  Diskutieren Sie, argumentieren Sie - diffamieren Sie nicht.

Grüße

Rudolf Steger

Einen Nachtrag noch: Sie meinten, einen „rechten“ Reflex unterstellen zu müssen, weil ich in meiner Rezension Folgendes geschrieben habe: „In ihrem Interview bei Muslim-Markt.de legt die Autorin Wert darauf zu sagen, dass sie Wissenschaftlerin sei und keine Ideologin. Das muss sehr bezweifelt werden. Sie nennt sich in diesem Interview selbst eine ehemalige Linksradikale, die sich heute stark zur arabischen Welt und zum Islam hingezogen fühlt.“

Wenn man gerne dieses „Links-Rechts“-Schema verwenden möchte, dann ist es schon eher ein „linker“ Reflex, der mich antreibt. Denn ich vermag weder Linksradikalität noch Islam „links“ zu verorten. Unter „linkem“ Denken verstehe ich im Wesentlichen „kritisch-hinterfragendes“ Denken. Verkommt „linkes“ Denken zur linksradikalen Ideologie (man könnte es auch fundamentalistisch nennen), so verliert es dieses wesentliche Merkmal. „Linksradikales Denken“ wird so zu einem „säkularen Glauben“, auch wenn dieser sich gerne als wissenschaftlich tarnt.

Die Selbstkennzeichnung von Frau Wild ist für die Beschreibung einer Autorin sehr wichtig, kann man doch daraus ableiten, aus welchem Weltbild heraus sie argumentiert und welche Ziele sie verfolgt. Spannend wäre es selbstverständlich noch zu erfahren, warum sie sich eine „ehemalige“ Linksradikale nennt und wie sie zur Politischen Ideologie des Islam steht.

 

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Rudolf Steger
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Verbunden: 17.06.2013 - 15:49
Rezension zum Buch von Petra Wild


Hallo, lieber Harry Popow,

vielen Dank für die Reaktion auf meinen Diskussionsbeitrag.

Zunächst muss ich mich schon wundern, zu welch hellseherischen Fähigkeiten Sie und auch Herr Blaschka befähigt sind. Können Sie sich vorstellen, dass jemand nach dem Lesen eines Buches zu einer anderen Deutung des Inhaltes kommt als Sie?

Im Übrigen verweise ich Sie auf meine Antwort zur Kritik von Herrn Blaschka.

Ihre Wette haben Sie übrigens gewonnen. Das "provozierende Gedicht von Grass" (meines Genossen!) habe ich tatsächlich scharf verurteilt, allerdings nicht schriftlich. Das haben Andere zur Genüge getan. Obwohl er bei der Mehrheit der Bevölkerung angeblich gut ankam.

Wir sind außerdem auch noch der gleichen Meinung, dass Wissenschaft dem Menschen dienen sollte und immer, zumindest die Gesellschaftswissenschaften, (mehr oder weniger) mit Politik zu tun haben.

Ich habe mich nur dagegen ausgesprochen, dass sich Autoren durch den Hinweis auf angebliche Wissenschaftlichkeit den Anschein von Objektivität verschaffen möchten. Bitte im Interview von Frau Wild bei Muslim-Markt.de nachlesen. Wenn ich mich recht erinnere, hat sie dort nicht darauf hingewiesen, dass sie eine politische Agenda verfolgt. Behauptet sie nicht das Gegenteil?

Noch eine Übereinstimmung: Empörung zu äußern über das Unrecht in dieser Welt ist keine Volksverhetzung. Aber bitte keine "selektive" Empörung (siehe meine Erläuterungen in meiner Antwort an Herrn Blaschka).

Grüße

Rudolf Steger

 

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Harry Popow
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Verbunden: 18.05.2013 - 13:52
Antisemitismus als Keule gegen berechtigte Israel-Kritik


Im Dschungel von Fakten...

Randglossen zu Herrn Stegers „Israel-Verständnis“


Worum geht es? Ich habe mich durch die zahlreichen Fakten des Herrn Steger regelrecht hindurchwühlen müssen. Seine Sicht auf „alle Seiten“ ist richtig und menschlich. Wen lässt es schon kalt, wenn bei jeglichen kriegerischen Auseinandersetzungen Tote zu beklagen sind, viel Blut fließt. Herr Steger ist zu beneiden, vieles persönlich in Augenschein genommen zu haben. Fakten und Tatsachen, ist ja identisch, sprechen eine deutliche Sprache: Pfui Teufel! Insofern sind unsere Meinungen wohl deckungsgleich. Fakten aber sind wie Irrlichter, die in der Dunkelheit den falschen Weg weisen können, wollte man sich an diesen orientieren. In meiner langjährigen Laufbahn als Journalist habe ich stets einen inneren Kompass gehabt. Der hieß Humanität. Doch dabei ließ ich es nicht bewenden. Ich suchte und fand die grundlegenden Ursachen für gesellschaftliche Widersprüche - gar für Kriege - in den Besitzverhältnissen. Sie wissen sicherlich, was ich meine. Lässt man die außer Acht, bleibt man an einzelnen Tatsachen hängen, übersieht dialektische Zusammenhänge und gaukelt selbst wie ein Irrlicht durch die Meinungsvielfalt, ohne mitunter den geringsten Erkenntnisgewinn. Vieles bleibt Oberfläche, ohne Substanz.

Auch Herr Steger irrlichtert durch die Konfliktsituation Israel / Palästina. Und lässt meines Erachtens den Charakter und das Wesen des israelischen Staates außen vor. Kann man wirklich davon ausgehen, dass Israel völlig identisch mit Judenstaat ist? (Es ist die Heimat der Juden, das ist klar.) Möglicherweise hat Herr Steger nachträglich einiges im Buch von Petra Wild doch überlesen. Sie geht nämlich sehr gründlich auf die Vorgeschichte ein und wie es zur Siedlungspolitik gekommen ist. Ganz eindeutig ist klar: Israel definiert sich als jüdischer Staat. Also als Staat einer übernationalen Religionsgemeinschaft. Dabei wird zwischen jüdischer Nationalität und israelischer Staatsbürgerschaft differenziert. Ausschlaggebend ist jedoch die nationale Zugehörigkeit. Die Autorin verweist auf das Kuriosum, dass es in Israel 137 anerkannte Nationalitäten gibt, aber keine israelische Nationalität. Damit sei der nichtdemokratische Charakter eingeschrieben. Er stellt sich als Herrenvolkdemokratie dar. Die Folge: Die Diskriminierung und Entrechtung der arabischen Bevölkerung. Man teile die Bürger in solche der ersten und solche der zweiten Klasse ein. Die Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden – das ist das entscheidende Motiv dafür, dass 93 Prozent der Palästinenser keinen Zugang zum Land haben. Und auf Seite 205 verweist die Autorin auf die eigentliche Ursache des Konfliktes: Es seien „immer der Kampf um Land und Ressourcen“. Auf Seite 22 trifft sie die Aussage, dass die religiös-ethnische Definition des Staates anstelle einer territorialen die Integration und Gleichberechtigung nicht-jüdischer Bevölkerungsteile strukturell ausschließe.
 

Evelyn Hecht-Galinski charakterisiert in ihrem Buch „Das elfte Gebot: Israel darf alles“ auf Seite 70 den israelischen Staat mit folgenden Worten: „Wenn man also Israel mit seiner heutigen Politik akzeptiert, unterstützt man eine Ideologie des jüdischen Natonalismus und erklärt damit einen jüdischen Staat mit einer Unrechtspolitik für rechtmäßig – einen Staat, der jegliches internationale Recht mit Füßen tritt.“ Auf Seite 93 meint sie, es gehe nicht um das Existenzrecht Israels – was längst geschehen ist - es geht um das Existenzrecht Palästinas und um die Solidarität mit den Palästinensern. Auch Frau Evelyn Hecht-Galinski betont, dass die Ursachen der Konflikte in dieser Region „primär von Wirtschaftsinteressen bestimmt ist“. (S. 112) Und als Letztes: „Der leiseste Verdacht von Antisemitismus ist die letzte Waffe, um alle Debatten und Israel-Kritik im Keim zu ersticken“. (S. 204) Doch genug, genug...

Es ist sehr verwunderlich, dass Herr Steger nicht die Israel-Politik als die eigentliche Ursache der Konflikte sieht oder sehen will. Es geht einem sehr zu Herzen, wenn er die von Herrn Blaschka angeführte Liste des Unrechts durch die Israelis als „Schlagworte aus einem Propagandakrieg“ bezeichnet, was bei ihm kein Einzelfall ist.

Als ich auf die Steger-Meinung stieß, man müsse alle Seiten hören, um zur Wahrheit zu gelangen, fiel mir das Manko im Denken von Herrn Steger wie Schuppen von den Augen. Das ist das Grundproblem. Ein Blick in die Geschichte: Hätte man im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß nicht auch – so interpretiere ich rein theoretisch mal Herrn Steger – die Faschisten und deren Motivation hören sollen um ein angeblich „gerechteres Urteil“ fällen zu können statt die Kriegsschuldigen einseitig zu verurteilen?  Mehr noch, sollten nicht auch die von der Roten Armee im Krieg gefallenen Deutschen ins Kalkül gebracht werden, um dies Völkermorden durch die deutschen Hitlerschergen kleinzureden? Hat man etwa bei der Verunglimpfung der DDR auch deren Friedensbemühungen und das ernsthafte Streben nach einer Alternative zu einem imperialistischen Deutschland in Betracht gezogen?

Durch die ganze Geschichte zieht sich stets das Gleiche: Zur Wahrheit kommt man nicht durch allseitige Befragung (wenn überhaupt, dann höchstens bei Kriminalfällen), sondern durch Erforschung der gesellschaftlichen Ursachen für Fortschritte (für wen?) oder Kriege (für wen, in wessen Interesse?) Man unterscheide Tatsachen und Wahrheit. Wahrheit kommt nur Aussagen über die objektive Realität zu. Und da es nicht alles die gleichen Sonnenkinder mit identischen Interessen auf der Erde gibt, unterscheiden sich die Ansichten über Zustände oft erheblich. Hängt immer von der Sicht ab, die ja jeder hat, allerdings: Nicht jeder sieht etwas. Da muß man schon in die Tiefe gehen bei gesellschaftlichen Widersprüchen! Ich wiederhole mich: Es zeugt von gehöriger Blauäugigkeit, jede Verurteilung der imperialistischen Machenschaften des israelischen Staates mit Antisemitismus gleichzusetzen. Wer hat etwas gegen Juden? Nur Dummköpfe, Judenhasser, Fanatiker. Aber gegen Eroberungspolitik muß man etwas haben, die aber nicht schlechthin von Juden ausgeht, sondern von den dort (wie auch in Deutschland und anderswo) herrschenden Machteliten. (Da dieses Wort noch nicht gefallen ist im Disput: Alles hängt vom Profitstreben ab, von der Diktatur des Geldes, der wir alle unterliegen.)

Nochmals: Der Dreh- und Angelpunkt der Dispute um die Apartheid, um die Siedlungsexpansion Israels, ist die nötige Ursachenforschung, die ja meines Erachtens sowohl der Petra Wild als natürlich auch der Evelyn Hecht-Galinski äußerst treffend und umfangreich gelungen ist. Nur: Wer eine andere Sicht hat und die Augen vor der Realität verschließt, der verheddert sich in Einzelfakten und findet keine Erkenntnis, findet nicht den Weg zur Wahrheit. Stegers einseitige Schutznahme für Israel, ohne diesen Staat in seinem Wesen erkennen zu wollen, führt gnadenlos zu Fehleinschätzungen. Im irrlichternden Garten findet nur der sich zurecht, der sich gesellschaftspolitisch orientieren kann. Mit Schlagwörtern wie „umstrittene Quellen“, „fragwürdiger Pape“, „propagandistische Kriegführung“, „israelfeindliche Meinungen“, „Empathie haben für alle“ beweist Herr Steger seine ganz persönliche Einseitigkeit. Ohne Kompass ist das halt so.


Gruß von Harry Popow

 

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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Islamwissenschaftlerin Petra Wild


Petra Wild - Islamwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten Palästina-Frage


Offener Brief an Herrn Westphal, Urania. Stellungnahme von Petra Wild zum Vorwurf, die Inhalte ihres Buches „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Palästina in Wort und Tat“ verstießen gegen die Völkerverständigung.


Sehr geehrter Herr Westphal,

Sie haben in Ihrer außerordentlichen Kündigung der Veranstaltungsräume für das Symposium „Palästina – Frieden auf der Basis von Gerechtigkeit“ am 16.August 2013 explizit Bezug auf mich als Referentin genommen. Da ich persönlich betroffen bin, hat Herr Kilic freundlicherweise Ihre Kündigung an mich weitergeleitet. Sie schreiben in Punkt 2: „Des Weiteren müssen wir davon ausgehen, dass Äußerungen der Rednerin Petra Wild, die zum Thema: Der zionistische Siedlerkolonialismus in Palästina: Apartheid und ethnische Säuberung sprechen soll, als gegen die Völkerverständigung gerichtet anzusehen sind. Frau Wild vertritt z.B. in dem Muslim-Marktinterview vom 30.April 2013 die These, dass Frieden zwischen Palästinensern und Israel nur nach dem Ende Israels als jüdischem Staat möglich wäre. Zudem wirft sie dem Staat Israel einen schleichenden Genozid an den Palästinensern vor und geht von einer ethnischen Säuberung und einer systematischen Zerstörung der Lebensgrundlagen der Palästinenser aus. Zudem schreibt sie dem Staat Israel einen ethnokratischen Charakter zu, also eine Herrschaft einer Ethnie über eine andere, die im Gegensatz zur Demokratie stehe.“

Ich möchte hiermit wie folgt Stellung nehmen:

Ich bin Islamwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten Palästina-Frage sowie Revolution und Konterrevolution in der arabischen Welt. Im März diesen Jahres habe ich nach zweijähriger Forschungsarbeit eine Monographie mit dem Titel „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“ vorgelegt. Darin habe ich eine Vielzahl öffentlich zugänglicher Quelle (siehe das 10seitige Literaturverzeichnis) systematisch ausgewertet, vor allem Studien, Analysen und Berichte von UN-Organisationen wie dem Komitee für die Eliminierung aller Formen des Rassismus und der rassistischen Diskriminierung (CERD) und der UN-Organisation für humanitäre Angelegenheiten in den 1967 besetzten Gebieten (OCHA) sowie israelischer, palästinensischer und internationaler Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen wie B'Tselem, Adalah, Human Rights Watch und Amnesty International. Hinzu kommt die Auswertung der Studien von Think Tanks wie dem renommierten britischen Royal Institute for International Affairs (Chatham House) und israelischer, arabischer und internationaler Medien wie Haaretz, Aljazeera und The Guardian. Ganz wesentlich für die in dem Buch formulierten Erkenntnisse waren auch die Werke kritischer israelischer Wissenschaftler wie Oren Yiftachel, Ilan Pappe und Moshe Machover sowie internationaler Kolonialismus- und Genozidforscher wie Patrick Wolfe, Martin Shaw und John Docker. In den bisher erschienenen ausnahmslos positiven Rezensionen meines Buches wurde u.a. hervorgehoben, dass die von mir dargestellten Sachverhalte fundiert und nachprüfbar belegt sind.

Von daher geht es an der Sache vorbei, wenn Sie die Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschung wie sie in dem Buch „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina“ dargelegt werden als bloße subjektive Meinung darstellen, die sanktioniert werden muß. Ich werfe Israel gar nichts vor, wie Sie mir unterstellen und ich stelle auch keine Behauptungen auf – ich mache eine Analyse. Theodor W. Adorno sagt sinngemäß, dass jedes geistige Gebilde von einiger Dignität die Eigenschaft hat, dass der untersuchte Gegenstand und nicht die Intention des Autors bestimmt, wohin die Reise geht. Das Buch mußte also, wollte es dem untersuchten Gegenstand gerecht werden, so geschrieben werden wie es geschrieben wurde. Alles was Sie mir als subjektive Meinung vorwerfen, ist als objektive Realität vielfach belegt. Die systematische Vertreibung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung aus Jerusalem z.B. wird vom UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte in den 1967 besetzten Gebiete, Richard Falk, als „ethnische Säuberung“ und im Goldstone-Report als „stiller Transfer“ bezeichnet. Die Analyse Israels als Ethnokratie basiert im wesentlich auf den Studien des kritischen israelischen Geographen Oren Yiftachel. Andere Untersuchungen kommen zu noch schärferen Ergebnissen. Das UNO-Komitee zur Eliminierung aller Formen des Rassismus und der rassistischen Diskriminierung (CERD) kam nach einer Untersuchung der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern innerhalb der Grünen Linie (also im Kernstaat Israel) im Jahre 2007 zu dem Ergebnis, dass diese teilweise den Kriterien der rassistischen Segregation oder Apartheid entspreche.

Unzutreffend ist, wenn Sie sagen, ich würfe Israel einen „schleichenden Genozid“ an den Palästinensern vor. Zutreffend ist, dass ich den israelischen Historiker Ilan Pappe zitiere, der die zionistische Politik gegenüber dem Gaza-Streifen 2006 auf diesen Begriff brachte.

Im letzten Kapitel meines Buches stelle ich die Diskussion über eine Ein-Staat-Lösung vor, die seit einigen Jahren unter palästinensischen und antizionistischen israelischen Individuen und Gruppen geführt wird. Hier geht es explizit um das friedliche und gleichberechtigte Zusammenleben aller auf dem Boden des historischen Palästinas lebenden Menschen – seien es Christen, Juden oder Muslime – in einem säkularen, demokratischen Staat aller seiner Bürger/innen – und das entspricht ja gerade ihrem Satzungsziel „der Verständigung unter den Völkern“ und der Förderung der „Toleranz auf allen Gebieten der Kultur.“

Indem Sie mich als kritische Wissenschaftlerin und alle, die sich mit mir einlassen, sanktionieren, greifen sie das Fundament der Wissenschaft selbst an. Denn jede Wissenschaft, die mehr sein will als „instrumentelle Vernunft“ im Dienste von Herrschaft ist notwendigerweise kritisch. Wer Denkverbote erteilt und Bekenntniszwang an die Stelle von kritischer Erkenntnis setzt, zerstört überdies die Grundlagen der Demokratie.

Petra Wild
 

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