1020 Minuten Minsk: Rettungsaktion für Petro Poroschenko

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
1020 Minuten Minsk: Rettungsaktion für Petro Poroschenko
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1020 Minuten Minsk


Rettungsaktion für Petro Poroschenko


Ausgerechnet als der Flughafen von Donezk von den Belagerungstruppen des Kiewer Regimes freigekämpft war, und die östlichen Aufständischen aus den Trümmern des wochenlang erbittert umkämpften, in sich zusammengesackten Gebäudes heraus in die Offensive gingen, dämmerte es dem kerneuropäischen Staatschef-Duo Hollande und Merkel, dass es um ihren hart umworbenen EU-Assoziierungskandidaten Poroschenko und seine Rest-Ukraine nicht gut stand. Da musste dringend eine westlich inspirierte diplomatische Großoffensive gegensteuern, zumal aus den USA bereits ernsthafte Debatten um die Lieferung von Kriegswaffen über den Großen Teich drängten. Die Frage war nur noch, ob unmittelbar tödliche Waffen wie Panzerabwehr, Artillerie und Raketen oder "non-lethal weapons", also Radaranlagen, Nachtsichtgeräte und anderes Gefechtsführungs-Equipment, vielleicht in ein paar sanitätsdienliche Ballen Verbandszeug verpackt. Das würde den offenen Eintritt der USA in den Krieg an der Ostflanke der NATO bedeuten.
 

 

Obama stand unter Druck, den Forderungen nach Forcierung des Krieges nachzugeben, die Kerneuropäer unter dem Druck der osteuropäischen, US-orientierten baltischen Länder und Polens, die in der Ukraine-Frage der jeweils scharfmacherischsten Lösung zuneigen, wenn es nur gegen Russland geht. Da konnten sich Deutschland und Frankreich bequem als Friedensmächte ins Spiel bringen, ohne dass ihnen Ölzweige oder Erdgasschleier aus der Frisur gefallen wären. Angela Merkel gab die Friedensfürstin par excellence, sekundiert vom Verhandlungskünstler Steinmeier, und lehnte sich an den Charlie-gebeutelten Hollande, um ihr Gewicht auf das Doppelte zu erhöhen. Schließlich galt es gegen den Darth Vader Putin einiges in die Waagschale zu werfen, der für alles, was in der Ostukraine geschieht, verantwortlich gemacht wird, gerade so als wäre er es gewesen, der nach dem faschistischen Februarputsch die russische Sprache verbieten hätte wollen, um einen billigen Vorwand zu haben den Donbass, ja mehr noch ein imaginäres Neurussland, an sich zu reißen. Man schreckte nicht einmal davor zurück, ihm den MH-17-Abschuss zu unterstellen.
 
Da es aber nun mal die Faschisten in der aus dem Maidan emporgeschossenen Kiewer Regierung waren, die mit aller Gewalt das Land politisch spalten und gegen Russland in Stellung bringen wollten, und der Westen ursächlich für den Konflikt verantwortlich war, indem er die bankrotte Oligarchen-Ukraine vor die knallharte Alternative stellte, entweder mit der EU-Anbindung seine Schulden los zu werden oder aber über die eurasische Zollunion weiterhin Handel mit Russland treiben zu können, half nur die schwärzeste Schwarzweißmalerei: Da drüben der despotische Zar Wladimir Wladimirowitsch, hier die paradiesischen Harfen-Dreiklänge: Grenzenlose Freiheit, kapitaler Wohlstand und hochgerüsteter Frieden unter den Fittichen von EU und bald auch NATO. Schon vorab funktioniert die Ukraine als eisernes Bollwerk zur rechtswidrigen Abwehr von Flüchtlingen; diese werden illegal nach Osten zurück verfrachtet, um sie daran zu hindern, einen Asylantrag in EU-Staaten stellen zu können. Spezial-Gefängnisse dafür werden von der EU bereits mit Millionenbeträgen finanziert.
 

 

Die vom Aufruhr angefochtene korrupte Oligarchen-Riege entschied sich bekanntlich für Krieg und ließ ihre Kettenhunde von der Leine, jene blutrünstige Meute vom rechten Sektor, die ihnen Wiktor Janukowitsch vom Hals geschafft hatte, nun gegen den Osten des Landes, der diese bedingungslose West-Angliederung nicht mitmachen wollte. Der Terror, den Kiewer Streitkräfte und "Anti"-Terror-Schwadronen gegen die Bevölkerung entfesselten, bewirkte jedoch das Gegenteil des Beabsichtigten: Der Widerstand organisierte sich militärisch und hielt dem Dauerfeuer der Junta stand. Reihenweise liefen reguläre Soldaten der schlecht ausgerüsteten Kiewer Armee von der Fahne; ihre Panzer und Geschütze überließen sie oft kampflos den so genannten Separatisten. Zudem soll etwa ein Viertel der ukrainischen Arsenale durch landesübliche Korruption den Besitzer gewechselt haben, alles irgendwie "Russenwaffen".
 
Kein Wunder also, dass die Autonomisten über große Bestände schweren Geräts aus alten Armeebeständen sowjetischer Zeiten verfügen. Zuletzt gelang es ihnen damit, rund achttausend Soldaten der ukrainischen Armee einzukesseln. Das Blatt begann sich zu wenden. Da sprang nun der Westen in die Bresche, doppelzüngig mit verteilten Rollen: Zuckerbrot und Peitsche. Plötzlich sollte sich der gescholtene Putin doch wieder "einmischen" und seinen Einfluss auf die "prorussischen" Kombattanten geltend machen, damit die ihre jüngst erzielten Geländegewinne nicht noch weiter auszubauen könnten. Er versuchte es prompt.
 
17 Stunden Verhandlungs-Marathon nun also für dieses "Minsk 2", zur Erfüllung der herbeigesehnten Hoffnung auf Waffenstillstand. Seltsam nur, dass Poroschenko gleich im Anschluss an den Gipfel von irgendwie gearteter "Autonomie" gar nichts wissen wollte. Dabei musste es doch gelungen sein, zumindest die Perspektive einer Verfassungsänderung in das Abschluss-Kommuniqué zu zaubern, sonst hätten sich die Vertreter aus den umkämpften Gebieten, die sich bis zwei Stunden vor dem Showdown geweigert hatten zu unterzeichnen, doch nicht breit schlagen lassen. Vertragspartner sind nämlich nicht etwa Putin, Merkel oder Hollande, sondern die unmittelbaren Kontrahenten im Bürgerkrieg. Für die Einhaltung der Waffenruhe steht es demnach nicht zum Besten.

Die Rechtsextreme Miliz hat bereits verlauten lassen, die Waffenruhe und Vereinbarung von Minsk nicht zu akzeptieren. Man sei auch berechtigt weiterzukämpfen, wenn die offizielle ukrainische Armee den Befehl erhalte, das Feuer einzustellen. Auch die Regierung in Kiew hat mitgeteilt, einen wesentlichen Teil des Minsker Abkommens nicht erfüllen zu wollen: Kiew weigert sich, seine schweren Waffen abzuziehen. (siehe die beiden DWN-Artikel - hier und hier)
 
Kiew wird die Verschnaufpause zur Reorganisation seiner maroden Armee nutzen, und hofft wahrscheinlich auf baldigen Bruch der Vereinbarung, um die zweite Karte aus dem Ärmel ziehen zu können: US-Lieferungen von High-Tech-Qualität. Dann dürfte es mit der bisher generaliter bezweifelten Zurückhaltung Russlands vorbei sein, und Poroschenko zöge seinen Revolver unter dem Kopfkissen hervor, um Putin für "Minsk 3" und folgende an den Verhandlungstisch zu zwingen. Bis dahin darf in der Ukraine weiterhin gestorben werden. Bis sie nicht mehr kann. Der Westen übernimmt gewiss selbstlos die Kriegsgräberfürsorge.


Wolfgang Blaschka, München
 

 



Die Doku "THE BLACK MEN" von Transterra Media zeigt die rechten, gewalttätigen Kampftruppen:




Bild- und Grafikquellen:


1. Das kerneuropäische Staatschef-Duo Dr. Angela Merkel und Francois Hollande (rechts) im Sechsaugengespräch mit ihrem hart umworbenen EU-Assoziierungskandidaten Petro Poroschenko (Mitte). Foto/Quelle: http://www.president.gov.ua/en/

2. Hastings Lionel Ismay, 1. Baron Ismay, (* 21. Juni 1887 in Naini Tal, Uttar Pradesh, Indien; † 17. Dezember 1965 in Broadway, Worcestershire) war ein britischer Politiker, Diplomat und General. Nach einer Ausbildung in Charterhouse und Sandhurst trat Ismay 1905 seinen Dienst in der britischen Armee an. Im Januar 1947 wurde er als Baron Ismay in den erblichen Adelsstand erhoben.

Vom 28. Oktober 1951 bis 12. März 1952 war er Minister für Commonwealth-Angelegenheiten im zweiten Kabinett Churchill, von 1952 bis 1957 erster NATO-Generalsekretär. Auf Ismay geht die Äußerung hinsichtlich der Funktion der NATO für Europa „to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“ zurück, die sich zu einer verbreiteten Kurzcharakteristik für die Allianz entwickelte.

Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de

3. + 4 Karikaturen wurden von Kostas Koufogiorgos, Stuttgart, gezeichnet - ein erstklassiger Künstler. Kostas Koufogiorgos wurde 1972 in Arta, Griechenland geboren, studierte nach dem Abitur 1989 Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Athen und begann zeitgleich als Karikaturist für verschiedenen Zeitungen und Magazine zu arbeiten. Seine ersten Arbeiten wurden im Magazin ODIGITIS veröffentlicht. Bis heute hat Kostas Koufogiorgos für zahlreiche politische- und Wirtschaftszeitungen sowie für über 20 Μagazine in Griechenland gearbeitet. Daneben hat er Bücher, Werbeanzeigen und Poster illustriert. Bitte besucht seine Webseite.