Ab Januar 2020 gilt die Bonpflicht. Willkommen in Schilda.

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Ab Januar 2020 gilt die Bonpflicht. Willkommen in Schilda.
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Ab Januar gilt die Bonpflicht. Willkommen in Schilda.

von Jens Berger / NachDenkSeiten

2,2 Millionen Kilometer – ganze fünfzigmal könnte man den Äquator mit den Kassenbons umwickeln, die nach dem Willen der Bundesregierung künftig zusätzlich von Bäckern, Metzgern und Gastronomen ausgedruckt und dem Kunden angeboten werden müssen. Alle Welt spricht von der digitalen, papierlosen Ökonomie und Deutschland wirft die Drucker an. Alle Welt spricht von Umweltschutz und Ressourcenschonung und Deutschland produziert Müllberge an nicht recycelbaren Bons aus Thermopapier.[1] Wäre es nicht so traurig, man müsste herzhaft lachen. Wir werden nicht von Visionären, sondern von Schildbürgern regiert.

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Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die vermeintlich so preußisch-korrekten deutschen Finanzbehörden noch etwas von ihren vermeintlich so liederlichen Kollegen der italienischen Guardia di Finanza lernen können. In Italien ist die Kassenbonpflicht nämlich schon lange Realität. Zu jedem Espresso gibt es einen Bon, der sich beim ersten Windstoß verabschiedet und dann die Piazza verschmutzt. Dieses Schicksal droht künftig auch deutschen Straßencafés und Biergärten.

Während der Kunde in Skandinavien beim Bäcker seine Brötchen unkompliziert und kontaktlos mit dem Handy oder der Smartwatch bezahlen kann, kriegt der deutsche Kunde künftig auch noch einen Bon aus Papier in seinen Jutebeutel, den er daheim in den Restmüll schmeißen kann – das Thermopapier der Kassensysteme ist nämlich laut Umweltbundesamt noch nicht einmal recyclingfähig. Willkommen im Jahre 2020. Willkommen im deutschen Anachronismus.

Es ist ja richtig, dass es in der Gastronomie öfters mal vorkommen kann, dass nicht jeder eingenommene Euro ordnungsgemäß ins Kassensystem eingegeben und versteuert wird. Aber ändert die Bonpflicht daran etwas? Es ist ja nicht so, dass das Finanzamt bei seinen regelmäßigen Betriebs- und Kassenprüfungen heute nicht penibel solche Dinge wie den Schankverlust – also die Differenz zwischen eingekauften und abgerechneten Getränken – überprüfen würde. Und zumindest ich habe auch seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, nicht mehr mitbekommen, dass ein Bäcker mir ein Brötchen an der Kasse vorbei verkauft. Hier wird mit Papierkanonen auf Spatzen geschossen.

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Glaubt man dem Finanzministerium, geht es bei der Bonpflicht ja auch vor allem darum, Manipulationen am Kassensystem zu verhindern. Das ist drollig, da zeitgleich mit der Bonpflicht ja auch fälschungssichere technische Sicherheitseinrichtungen an den Kassensystemen gesetzlich vorgeschrieben werden. Wenn diese Kassensysteme fälschungssicher sind, warum braucht es dann Papierbons, um eine Manipulation eben jener Kassensysteme zu verhindern?

Und selbst wenn man derlei Offensichtlichkeiten einmal beiseite lässt: Gibt es in einem Land, das sich gerne und faktenwidrig dafür rühmt, technologischer Vorreiter zu sein, im Jahre 2020 keine technische Lösung, um Daten an das Finanzamt zu übermitteln, ohne dafür jedem Kunden einen Papierbon in die Hand zu drücken?

Die eigentliche Innovation des Bon-Verfahrens soll eine Prüfziffer sein, die im Prinzip wie eine digitale Blockchain funktioniert und nachträgliche Manipulationen verhindert. Das ist ja toll. Aber wer kommt auf die groteske Idee, diese Prüfziffern zig Millionen Mal auszudrucken und nicht über eine digitale Schnittstelle an die Finanzbehörden zu übermitteln? Liegt das vielleicht daran, dass sich viele Bäckereien in einem Funkloch befinden und an den Segnungen der Technologie des letzten Jahrhunderts noch nicht teilhaben können?

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In der Theorie machen wir uns Gedanken, ob wir uns die Wurst beim Metzger in mitgebrachte Tupper-Dosen einpacken lassen sollen und gehen mit dem Jutebeutel zum Bäcker, um Verpackungsmüll zu vermeiden. In der Praxis produzieren wir bei jedem Einkauf künftig sinnlosen Papiermüll. Und gleichzeitig wird in den Nachrichten der „New Green Deal“ verkündet. Theorie und Praxis liegen halt manchmal meilenweit auseinander. Die „Debatte“ um die Kassenbonpflicht zeigt auf groteske Art, wie weit unsere Politik von visionären Plänen für die Zukunft entfernt ist.

Jens Berger / NachDenkSeiten

[1] Anmerkung H.S.: Die „Bonpflicht“ gilt allerdings nur, wenn elektronische Aufzeichnungssysteme verwendet werden — also bspw. Kassensysteme, iPad Kassen, etc. Für eine offene Ladenkasse besteht keine Belegausgabeverpflichtung. Die Erstellung der Kassenbelege kann auch elektronisch erfolgen. Es muss kein bedrucktes Papier mit umweltschädlichem Bisphenol A oder S verwendet werden! Infos auf kassensichv.net >> weiter


► Quelle: Dieser Text erschien als Erstveröffentlichung am 18. Dezember 2019 auf den „NachDenkSeiten – die kritische Website“ >> Artikel. Die Formulierungen der Übernahmebedingung für Artikel der NachDenkSeiten änderte sich 2017 und 2018 mehrfach. Aktuell ist zu lesen:

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KN-ADMIN Helmut Schnug suchte zur Rechtssicherheit ein Gespräch mit Albrecht Müller, Herausgeber von www.Nachdenkseiten.de und Vorsitzender der Initiative zur Verbesserung der Qualität politischer Meinungsbildung (IQM) e. V. Herr Müller erteilte in einem Telefonat und nochmal via Mail am 06. November 2017 die ausdrückliche Genehmigung. NDS-Artikel sind im KN für nichtkommerzielle Zwecke übernehmbar, wenn die Quelle genannt wird. Herzlichen Dank dafür.

ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. folgende Kriterien oder Lizenzen, s.u.. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt.


Bild- und Grafikquellen:

1. Kassenbonpflicht ab Jan 20120: Alle Welt spricht von der digitalen, papierlosen Ökonomie und Deutschland wirft die Drucker an. Alle Welt spricht von Umweltschutz und Ressourcenschonung und Deutschland produziert Müllberge an nicht recycelbaren Bons aus Thermopapier. Foto: Janine Pusa. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0).

2. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die „Debatte“ um die Kassenbonpflicht zeigt auf groteske Art, wie weit unsere Politik von visionären Plänen für die Zukunft entfernt ist. Foto: stanvpetersen / Stan Petersen, Kastrup/Denmark. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

3. Der Zettelspieß - ZAHLUNG ERFOLGT! Foto: Herr Olsen / Christian Olsen, Solingen. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).