Abgefrackt: Gabriels Energie-Ende

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Abgefrackt: Gabriels Energie-Ende
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Abgefrackt: Gabriels Energie-Ende


Wo die Schlandfahnen wehten, während sich die Nationalelf durch's Tournier biß, lag der Fokus auf den Großbildschirmen. Da schwindet der Blick auf die Nebensächlichkeiten dieser Welt außerhalb der brasilianischen Stadien ins Unterirdische. Alles konzentrierte sich auf das erhebend-erhabene Geschehen knapp über der Grasnarbe. So wünschte sich die elitäre Kaste aus Wirtschaft, Politik und Medien "die Menschen draußen im Lande" bei Crackern und Spielen: Gut unterhalten und ausgehalten, am Erdball insgesamt desinteressiert, dennoch jeder ein kleiner deutscher Weltmeister, der den Planeten fest im Griff hat.
 
Im Windschatten der Fußball-WM ist gut Gesetze-Durchpeitschen, Diäten-Erhöhen und all so Sachen, die das Wählervolk nur irritieren und dessen müden Blick auf die Regierung und deren Vorhaben noch weiter trüben könnte. Würde der Bundestag im Moment eines besonders schönen Tores beschließen, die Erde in die Luft zu sprengen, hieße die Schlagzeile vermutlich: "Volltreffer!" Ein Schelm, wer Böses dabei dächte. Solche einsamen Entscheidungen nennt man gemeinhin unpopulär, weil sie dem Volk entweder nicht einsichtig oder fremd, kaum vermittelbar, weil nicht zuzumuten sind.
 
Jetzt war es an der Zeit für ein unterirdisches Gesetz, welches "konventionelles" Fracking unter 3000 Metern bis 6000 Meter unterhalb der Erdoberfläche zu geologischen Forschungszwecken ermöglicht, "unkonventionelles" bis zu einer Tiefe von 3000 Meter allerdings ausschließt. Das Ganze wurde geschickt als "Frackingverbot" verkauft. Das erinnert auffällig an das so genannte Mieterhöhungs-"Begrenzungs"-Gesetz von 1991, als die Kohl-Regierung Mieterhöhungen um 30 Prozent innerhalb von drei Jahren legalisierte (heute noch 20 %) + 11 % bei Renovierungen, bis knapp oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete, den Hausbesitzern also in Wahrheit einen leistungsunabhängigen Einkommenszuwachs von maximal 10 (inzwischen immerhin noch knapp 7) Prozent pro Jahr gesetzlich garantierte - als einzigem Gewerbszweig überhaupt.
 
Nun muss man nicht Geologie studiert haben um zu ahnen, dass Fracking ums Verrecken nicht gut sein kann für die krustig-karstigen Kontinentalplatten, auf denen sich die Menschheit tummelt wie Hefepilz auf dem dünnen Milchhäutchen über einer Tasse allmählich abkühlender Trinkschokolade. Darunter brodelt's immer noch gewaltig: Im Erdkern kocht weißglühendes Eisen, und darüber steigt im Erdmantel enorme Hitze und in Turbulenzen konvulsierendes Magma auf, bis knapp unter die erstarrte Erdoberfläche, und manchmal darüber hinaus. Vulkane wirken wie Ablassventile für den fiebernden Planeten, auf dem wir leben. Die Hotspots erhitzen unterirdisches Wasser auf Geysir-Temperaturen. Island speist damit seine Freibäder, in Bayern wird Erdwärme zu Fernheizungszwecken genutzt. Überall wabert's und spratzelt's unter uns. Die Kruste ist porös und rissig-löchrig, sie lässt sich kaum erforschen außer durch kilometertiefe Nadelstiche. Das ist wie Stochern in Elefantenhaut am lebenden Tier. Könnte sein, dass es ausschlägt. Kann aber auch sein, dass es vorher noch Gewinn abwirft. Schaumamal.
 

 

Diese Methode von Try and Error hat etwas von den Atombombenversuchen in der Wüste von Nevada, als ganze Kompanien mit schwarzen Augenschutzbrillen in den grellen Blitz blinzeln sollten, um die gewaltige Wirkung nuklearer Detonationen als menschliche Versuchskaninchen mitzubekommen. Es hat etwas kindlich verantwortungsloses, durch Versuch und Irrtum herauszufinden, ob etwas gesundheitsschädlich sein könnte, was in jedem Fall tödlich und verheerend wirkt und wirken soll. Beinahe wie Regenwürmer auseinander zu schneiden und darauf zu wetten, welche Hälfte fortlebt und sich regeneriert. Die Unbedarftheit im grenzenlosen Ausprobieren schien bisher das Privileg der "Neuen Welt", die sich ja selbst komplett erfand.
 
Der Tanz auf dem Vulkan ist für die USA nichts neues. Das biblische Wort "Macht euch die Erde untertan" wurde von Anfang an wörtlich genommen. Neben der Expansion geht es nun verstärkt um Intensivierung der Natur-Ausbeutung, um dem Peak Oil ein Schnippchen zu schlagen durch Energie-Autarkie. Die Ideen gehen in die Tiefe, bis ins Unterirdische im wahren Sinne des Wortes: Schieferöl-Gewinnung auf heimischem Territorium. Es zeigen sich bereits erste Erfolge: Das Land sackt ab. Die Erdbebenhäufigkeit ist auf das Vierzigfache gestiegen. Vorerst nur kleine Einbrüche. Noch keine Millionenstädte betroffen, noch keine Wolkenkratzer eingestürzt. Noch kein Trinkwasser verseucht, jedenfalls nicht mit Fracking-Chemikalien.
 

Der Dokumentarfilm von Josh Fox ist eine aufregende Untersuchung, die die Welt vor einer Katastrophe warnt, die durch das Fracking drohen könnte.



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Wäre das nicht auch was für Deutschland, denkt sich Energieminister Gabiel, um die Energiewende hin zu den Erneuerbaren zu einem kompromissfähigen Ende zu bringen, wo doch hierzulande die Wolkenkratzer-Dichte marginal und die Abhängigkeit von russischen und kasachischen Energielieferungen um einiges größer ist? Selbstverständlich unter strenger Ausnahme der Naturschutz- und ausgewiesener Trinkwasser-Gewinnungsgebiete, obwohl gerade dort keine Wolkenkratzer stünden. Welch hochherzige Selbstbeschränkung! Überall sonst könnte doch gebohrt werden. Unter dem Ruhrgebiet wurde jahrzehntelang gebuddelt, und nur an wenigen Stellen brach bisher der Boden ein. Bloß ein paar Häuser waren futsch. Tiefere Gewalt eben.
 
Die Zechen, die da gegraben hatten, sind längst abgewickelt. Da ist niemand mehr haftbar zu machen. Das ist das Praktische an Langzeit- und späten Folgeschäden, die niemals einkalkuliert wurden: Sie bleiben der Allgemeinheit übrig. So wie es die Atomlobby vorgehabt hat: Alle Nachsorgekosten für Rückbau und Reste-Entsorgung, für Endlagerung kontaminierten Abfalls auf Jahrzehntausende hinaus einer öffentlichen Stiftung überschreiben und der Kasse eines Staates aufbürden, den es nach aller historischen Erfahrung bis zum nicht absehbaren Ende seiner Verpflichtungen nicht mehr geben wird. Das ist nachhaltig gedacht, für zig Generationen ein solides Erbe, alternativlos unausschlagbar. Das ist SPD. Das Wir entscheidet. Basta.
 
Fracking in drei- bis sechstausend Metern könnte die Landschaft großräumig umgestalten. Sollte eines Tages der Kaiserstuhl wieder mal explodieren, wäre das obere Rheintal um eine Touristen-Attraktion reicher. Die Flugasche könnte als kostenloser Dünger fungieren. Der Flugverkehr über Mitteleuropa wäre für kurze Zeit lahmgelegt, verbräuchte deutlich weniger Kerosin. Auch das könnte ein ökologisch wertvoller Beitrag sein. Doch geht es nicht nur um die Highlights: Es würde schon genügen, wenn irgendwo unkontrolliert braune Brühe aus den Feldern quölle, Schornsteine und Kirchtürme sich neigten oder ganze Dörfer in schlammigen Kuhlen versänken. Alles würde den Katastrophen-Tourismus anheizen, das Klima erwärmen und Deutschland dauerhaft tieferlegen, dem steigenden Meeresspiegel entgegen.

Die Antideutschen würde es gewiss freuen, die Münchner Makler auch, weil Viele aus den tiefer gelegenen Gegenden sich fluchtartig ins höher situierte Oberbayern begeben würden. Da die Alpen noch in die Höhe wachsen, könnte "aus den bayerischen Bergen die Rettung" kommen, und ein Franz Josef Strauß hätte postum Recht behalten. Die Sozialdemokraten in der GroKo wollen es anscheinend so. Deutschland auf Mindest(lohn)-Niveau scheint der Zukunfts-Plan zu sein, möglichst auf allen Gebieten. Andrea Nahles freut sich historisch.
 
Ob allerdings, wenn ihr Superminister am Ende sein wird mit der Energie, sich noch jemand für seine SPD interessieren würde, ist fraglich. Eher noch dürfte davon die Rede sein, wie die deutsche Beteiligung an der Fußball-Weltmeisterschaft analysiert sein wird, und wer welche Bälle ins Tor versenkt hat. Das Land ist dabei nicht so wichtig für die Regierung in der Hauptstadt, die Menschen erst recht nicht. Hauptsache, die Kasse einiger hoch pokernder Konzerne stimmt. Aber nicht einmal das ist wirklich garantiert. Die nächste Börsenblase kann aufblähen und platzen wie ein entzündeter Eiterpickel.
 
Ganz schön abgef(r)ackt, diese hemdsärmliche Mentalität der Kanalarbeiter-Broker! Sarrazin hat unrecht: Da schafft niemand was ab. Deutschland frackt sich ab. Mit aller nachhaltigen Energie, wie es aussieht. Und kaum jemand hat es bemerkt, dank Fußball. Bisher nur die immerhin etwas über eine halbe Million Menschen, die die einschlägige campact-Petition unterzeichnet haben. Wann endlich gehen wir gegen das abgründige Gesetzesvorhaben auf die Straße, solange die Teerdecke noch trägt?!

Wolfgang Blaschka, München
 



Bild- und Grafikquellen:
 

1. Fracking für Dummies. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de

2. Schematische Darstellung der potentiellen Umweltrisiken einer Bohrung. Autor: Mike Norton, britischer Geologe. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

3. Fracking-Bohrloch. Foto: Joshua Doubek Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.



Literatur zum Thema:


Ugo Bardi: Der geplünderte Planet. Die Zukunft des Menschen im Zeitalter schwindender Ressourcen.

oekom verlag, München 2013, 360 Seiten, 22.95 €, ISBN 978-3-86581-410-4 > Leseprobe siehe Anhang

 

Dieter Eich und Ralf Leonhard: Umkämpfte Rohstoffe. Märkte, Opfer, Profiteure

Christoph Links Verlag GmbH, Berlin 10/2013, 208 Seiten, 16.90 EUR, ISBN: 978-3-86153-710-6

 

Fracking: Die Angst vor den tiefen Löchern > FAZ-Artikel v. 10.05.2014, von Georg Küffner - weiter

 

Fracking: Amerika im Gasrausch > DIE ZEIT Nº 07/2013, von Christian Tenbrock und Fritz Vorholz – weiter