Ägypten: Die Militärrepublik. Es rollt die Konterrevolution!

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Helmut S. - ADMIN
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Ägypten: Die Militärrepublik. Es rollt die Konterrevolution!
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Ägypten: Die Militärrepublik


Bericht von Felix Wiesel


Am Samstag, dem 29.11.14 wurde Ägyptens Ex-Diktator Husni Mubarak zusammen mit seinen beiden Söhnen Gamal und Ala’a sowie dem ehemaligen Innenminister Habib al-Adli vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Sie sollten sich dafür verantworten, während der Revolution am 25. Januar 2011 den Tod mehrerer DemonstrantInnen verschuldet zu haben.

Die Urteilsverkündung und der Freispruch Mubaraks überraschen in Ägypten niemanden. Die Urteile sind die logische Konsequenz der politischen Ereignisse seit dem Sturz Mohammed Mursis am 3. Juli 2013. Damals machte sich das Militär die Proteste gegen die konservative Regierung der Muslimbrüder zunutze und putschte die Mursi-Regierung weg, die der privilegierten Position des Militärs hätte gefährlich werden können.
 

 

Obwohl keine Überraschung enttäuscht das Urteil. Es repräsentiert den eigentlichen Charakter des gegenwärtigen Sisi-Regimes. Nach der Revolution vom 25. Januar müssen die Jugend und die AktivistInnen nun zusehen, wie das Sisi-Regime die Politik Mubaraks fortführt. Am System hat sich nichts geändert, das Militär hält weiterhin alle Fäden in der Hand. Nur haben die Menschen in Ägypten bemerkt, dass Demokratie auch auf der Strasse funktioniert. Sie haben damit den "fortgeschrittenen Demokratien" des Westens einiges voraus, weil dort Demokratie auf den periodischen Gang zur Wahlurne begrenzt ist, um die Herrschaft des Kapitals für eine weitere Legislaturperiode zu legitimieren.


Repression

Seit Semesterbeginn im Oktober 2014 kommt es immer wieder zu Eskalationen mit der Polizei. Das Gelände rund um die Universität in Alexandria gleicht seitdem einem militärischen Aufmarschgebie. Schwer bewaffnete Polizisten stehen vor jedem Eingang des ummauerten Universitätsgeländes im Spalier. Hier konzentrierten sich die Stundentenproteste zu Semesterbeginn an der "Faculty of Engineering", bis der Campus von der Polizei gestürmt und zwei StudentInnen dabei erschossen wurden.

Die Regierung versuchte, die Familien der Ermordeten mit Geld zum Schweigen zu bringen - gängige Praxis bei der immer weiter steigenden Zahl von Getöteten. Insgesamt sollen in diesem Semester bereits 16 StudentInnen bei Protesten gestorben sein. Derzeit erzählt man sich, dass zwei StudentInnen bei einer Taschenkontrolle auf offener Strasse wegen des Besitzes von George Orwells "1984" festgenommen worden seien.

Die Repression wird von ca. 1.200.000 Polizisten und 500.000 Soldaten durchgeführt. Oft sind diese arm genug, um sich für einen Monatslohn zum Prügeln kaufen zu lassen oder mit der Aussicht auf Schmiergeld die Waren der Straßenverkäufer zu konfiszieren.
 

 

Die herrschende Klasse besteht in Ägypten oft aus ehemaligen Generälen und solchen, die ihren militärischen Ruhestand in der freien Wirtschaft und der Bürokratie noch vor sich haben. Kapital und Militär bilden ganz offensichtlich eine Einheit. Durch Vetternwirtschaft und Korruption werden Posten und Pfründe innerhalb der Kaste von ehemaligen Militärs verschachert. Die Aussicht auf einen solchen Posten gibt es quasi mit Dienstbeginn.


Die November-Proteste

Schon am Vortag der Urteilsverkündung hatte es in Ägypten Proteste gegeben. Die Muslimbrüder, die nach Mursis Regierungs-Intermezzo wieder in die Illegalität gedrängt wurden, hatten Demonstrationen gemeinsam mit salafistischen Organisationen angekündigt, die natürlich mit der Hoffnung auf den Beginn einer neuen Revolution aus dem religiös-konservativen Spektrum einhergingen. Anlass der Proteste am Freitag, dem 28.11. war die Urteilsverkündung des Folgetages. Es kam in drei Städten zu Demonstrationen von Salafisten und Muslimbrüdern, sowie zu Gegendemonstrationen.

Die Empörung über die Urteilsverkündung am 29.11. löste dann in der angespannten Situation anhaltender Studentenproteste und Unzufriedenheit in mehreren Städten breite Massenproteste aus. In Kairo wurde kurzzeitig erneut der Tahrir-Platz besetzt, in Alexandria kam es zu Demonstrationen entlang der Küstenstrasse. Am Abend kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. An den folgenden Tagen intensivierten sich Protest und Repression an den bisherigen Herden des Widerstands: die Demonstrationen in den Universitäten waren in Alexandria auf ein vielfaches der vorherigen Größe gewachsen. Insgesamt sollen vier Menschen in diesen Tagen von der Polizei ermordet worden sein.


Nationalismus

Die ägyptischen Nationalfarben werden von allen Fraktionen der derzeitigen Auseinandersetzungen gebraucht. Die Polizei ziert den Kühlergrill ihrer Einsatzfahrzeuge mit Fahnen aus dem Supermarkt; die Muslimbrüder kämpfen Fahnen schwenkend für eine islamische Renaissance Ägyptens und die Säkularen sehen im Nationalismus noch immer das Patentrezept gegen die Abhängigkeit des Landes vom Einfluss des Imperialismus. Aber die Geschichte Ägyptens zeigt, dass diese Hoffnung ein Rausch ist, der mit einem bösen Erwachen endet.
 

 

Schon unter dem Einfluss der Osmanen im 19. Jahrhundert keimte ein ägyptischer Nationalismus auf, der die Unabhängigkeit des Landes einforderte. Unter Muhammad Ali Pascha wurde in den 1930ern die ägyptische Armee modernisiert und an der Seite der Engländer und Franzosen in Griechenland und Syrien gegen die Osmanen eingesetzt. Die Reform der Armee nach französischem Vorbild gilt in der bürgerlichen ägyptischen Geschichtsschreibung als Begründung des modernen ägyptischen Nationalstaats. Das Projekt Mohammed Ali Paschas dauerte bis in die 1870er Jahre an und wurde dann durch die militärische Besetzung Ägyptens durch Großbritannien beendet. Grund für die Besetzung Ägyptens war die angeblich prekäre Sicherheitslage der britischen Staatsbürger während der Urabi-Revolte gegen die Osmanen 1882.

Tatsächlich verhinderte die Besetzung aber eine Entwicklung Ägyptens nach japanischem Vorbild, das sich seit den 1860er Jahren dem Zugriff des westlichen Imperialismus entzog und selbst zur imperialistischen Macht wurde. Zudem sicherte sich Großbritannien durch die Besetzung den Zugriff auf die ägyptische Baumwollproduktion. Deren Ertrag sollte dann in den britischen Industriestädten verarbeitet und schließlich wieder in den ägyptischen Markt eingespeist werden.

Dieser Mechanismus aus dem Export ägyptischer Rohstoffe und dem Import fertiger Produkte aus den imperialistischen Ländern wurde nie unterbrochen. Weder die Revolution 1919, die der Monarchie ein Parlament zur Seite stellte, noch die Verstaatlichung der ägyptischen Wirtschaft unter Nasser nach der Revolution 1952 haben entscheidende Schritte in die Richtung unternommen, den Einfluss des Imperialismus ein Ende zu setzen. Das Tächtelmächtel Nassers mit der Sowjetunion und die Verstaatlichungen haben zwar die ägyptische Bourgeoisie und das Kleinbürgertum begünstigt und diese vor der Konkurrenz der europäischen und amerikanischen Monopole geschützt. Doch letztlich blieb die Wirtschaft kapitalistisch. Die Privatisierungen unter Nassers Nachfolger Anwar as-Sadat haben den Zugriff des Imperialismus dann wieder verstärkt. Auch Nassers Orientierung auf den Pan-Arabismus als Gegengewicht zum Imperialismus und seinen Regional-Polizisten Israel wurde unter Sadat wieder kassiert.


Roll back

Es ist offensichtlich: In Ägypten rollt die Konterrevolution! Aber sie kämpft noch immer gegen eine Bevölkerung an, die sich in der drei Jahre währenden Revolution politisiert hat und die Erfahrung gemacht hat, dass sich politischer Wille auch außerhalb der staatlich verordneten “Demokratie” durchsetzen lässt. Aber sie hat keine politische Strategie, keine politische Perspektive oder Partei, die einen Weg über die bürgerlichen Verhältnisse, über kapitalistische Ausbeutung und imperialistische Abhängigkeit hinaus zu weisen vermag. Die Arbeiterklasse hat zwar die Hauptlast der Kämpfe gegen Mubarak und die Muslimbürder getragen - aber sie hat keine eigenständige politische Führung etabliert, die eine sozialistische Perspektive, eine Perspektive der Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung und der Ausweitung der Revolution weisen würde.
 

 

Die Frage ist nun, wer sich in naher Zukunft durchsetzen kann?

  • Die Erschöpfung nach drei Jahren Revolution und die Enttäuschung über ihr Steckenbleiben greift um sich und ist ein Grund für die Etablierung des gegenwärtigen Sisi-Regimes.
  • Der zweite Grund ist die brutale Repression, die sich auch unter dem Mubarak-Regime nicht so schamlos offenbart hat, wie Polizei und Geheimdienst "Amn al-Dawla" es nun tun. Der Terror ist schlimmer als er unter Mubarak - und die Angst.
  • Drittens wirken die falschen Phrasen des weit verbreiteten Nationalismus oder die Heilsversprechung der Religion wie Betäubungsmittel auf die verbliebene Dynamik der Revolution, die unter deren Einfluss zwangsläufig unvollendet bleiben muss.


Felix Wiesel, Infomail 789, 19. Dezember 2014
 



Quelle:  Gruppe Arbeitermacht - deutsche Sektion der Liga für die 5. Internationale > zum Artikel


Bild- u. Grafikquellen:

 

1. Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo in der Nacht, als Husni Mubarak zurücktrat. Foto: Joseph Hill. Quelle: Fickr. Verwendung mit CC-Lizenz Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0)

2. Die Repression wird von ca. 1.200.000 Polizisten und 500.000 Soldaten durchgeführt, aufgenommen in Batal Ahmed Abdel Aziz in Mohandessin Foto: Mariam Soliman. Quelle: Fickr. Verwendung mit CC-Lizenz Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0)

3. Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, 2011. Foto: Joseph Hill. Quelle: Fickr. Verwendung mit CC-Lizenz Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0

4. Massenbewegung auf dem Kairoer Tahrir-Platz im Januar 2014. Foto: martin_vmorris. Quelle: Fickr. Verwendung mit CC-Lizenz Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0)