Der Bündnisfall: Brände löschen mit Benzin

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Ulrich Gellermann
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Verbunden: 22.03.2013 - 15:43
Der Bündnisfall: Brände löschen mit Benzin
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Der NATO-Bündnisfall: Brände löschen mit Benzin


Eine Kriegserklärung an den Verstand


Als die USA nach den Anschlägen am 11. September 2001 den NATO-Bündnisfall haben wollten, bekamen sie ihn: Die NATO beschloss am 4. Oktober zum ersten Mal in ihrer Geschichte eben diesen Fall. "Ein bewaffneter Angriff gegen einen Bündnispartner wird als Angriff gegen alle angesehen", so der damalige Generalsekretär George Robertson. Jetzt - nach den Anschlägen in Paris - fordert auch Frankreich den Bündnisfall. Nicht nach dem NATO-Statut, sondern dem Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages entsprechend: "Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt."
 

Die USA traten damals schnellstens einen Krieg in Afghanistan los, obwohl die dort herrschenden Taliban keineswegs in den Anschlag vom 11. September verwickelt waren. Im Gegenteil, die Taliban waren alte, ziemlich gute Freunde der CIA, die im Kampf gegen die Sowjetunion von den US-Freunden in Saudi Arabien und in Pakistan finanziert und munitioniert wurden. Hätte sich die wahllose Rache an der Herkunft der meisten Attentäter orientiert, wäre ein Krieg gegen Saudi-Arabien fällig gewesen. Auch der Irak, der mit der Begründung überfallen wurde, er sei in die Anschläge verwickelt, hatte nachweislich mit den Terrorschlägen am 11. September 2001 nichts, aber auch gar nichts zu tun. Da aber bereits die irakischen "Massenvernichtungswaffen" erlogen waren, kam es den USA auf weitere Lügen nicht an.

Nun also der EU-Bündnisfall. Der Lissabon-Vertrag, aus dem jetzt ein neuer Kriegs-Fall herausgelesen wird, war eine höchst undemokratische Verlegenheitslösung, denn der EU-Verfassungsvertrag war 2005 in einem Referendum in Frankreich und in den Niederlanden abgelehnt worden. Da die Bevölkerung offenkundig nicht so wollte wie die EU-Obrigkeit, ließ man das mit den Volksabstimmungen schnellstens sein und fingerte den neuen Vertrag im Hinterzimmer der EU-Regierungs-Chefs: Das EU-Parlament durfte auch abstimmen, aber ohne jede bindende Wirkung. Tatsächlich muckten damals als einzige die Iren auf. Die setzten ein Referendum durch. Weil die irische Bevölkerung nicht sofort JA sagte, musste sie ein zweites Mal abstimmen. Auf den Fluren in Brüssel war man sich sicher, dass die EU-Staatschefs die Iren solange hätten wählen lassen, bis ein genehmes Ergebnis verkündet werden konnte.

Gab es damals, am 19. März 2011, als der französische Präsident Sarkozy als erster Staatschef der Anti-Gaddafi-Koalition acht Rafale und zwei Mirage Kampfflugzeug zu Luftschlägen nach Libyen schickte, einen bewaffneten Angriff auf Frankreich? Nein, der Angriff der französischen Luftwaffe sollte angeblich dem Schutz der libyschen Zivilbevölkerung dienen. Rund 50.000 Tote später konnte vom Schutz der Bevölkerung keine Rede mehr sein. Ein bewaffneter Angriff auf das Hoheitsgebiet Libyens war dieser Luftangriff zweifellos. Nicht wenige Kämpfer des IS kommen heute aus Libyen. Der IS hat dort gerade im August einen Aufstand niedergeschlagen. Staatliche Strukturen, die den IS hätten verhindern können, haben die Anti-Gaddafi-Koalitionäre Frankreich, England und die USA gründlich zerstört.
 

Gab es jüngst, durch den Anschlag am 13. 11. 2015, einen bewaffneten Angriff auf Frankreich? Von wem? Aus dem Irak? Aus Syrien? Aus Libyen? Finanziert wird die IS-Terrorgruppe, die sich zum Anschlag in Paris bekannt hat, wesentlich von den Golf-Staaten: Von Kuwait, Bahrain, Saudi-Arabien, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Oman. Wird Frankreich jetzt die Golfstaaten zerbomben? Nein! Die französische Luftwaffe macht da weiter, wo sie schon seit einiger Zeit unterwegs ist, ohne dass ein Anschlag als Begründung angeführt werden könnte: Die l’Armée de l'air fliegt bereits seit September 2014 im Rahmen des US-geführten Bündnisses Luftangriffe auf Stellungen des "Islamischen Staates" im Irak. Seit etwa einem Monat bombt Frankreich auch in Syrien. Wenn man so erfolgreich sein sollte wie das Anti-Terror-Bündnis in Afghanistan, dann wird man es auch in den nächsten 14 Jahren noch mit dem Islamischen Staat zu tun haben.

Schon hat sich Frau von der Leyen, die tapfere Bundesverteidigungsministerin, zur Stelle gemeldet: Mindestens will sie die französischen Truppen in Mali entlasten. Da ist zwar der IS (noch) nicht, aber das kann ja nach weiteren westlichen Militäreinsätzen werden. Der schon lange währende "Krieg gegen Terror", der immer nur zu weiteren Kriegen und weiterem Terror geführt hat, soll verlängert werden. In seiner Bilanz war und ist der Krieg gegen den Terror eine Kriegserklärung an den Verstand. Das Löschen von Bränden mit Benzin wird offenkundig zum Dauersport der irren Führungseliten.

Ulrich Gellermann, Berlin

Lesetipps:


1. Wie man einen Terroranschlag vorläufig klassifizieren kann - weiter.

2. Nordatlantikvertrag: Acht Gründe für den Austritt Deutschlands aus der NATO - weiter.

 



► Quelle:  RATIONALGALERIE > Artikel vom 18.11.2015



Bild- und Grafikquellen:

 

1. + 2. François Gérard Georges Nicolas Hollande (* 12. August 1954 in Rouen, Seine-Maritime) ist Politiker der Sozialistischen Partei (PS) und seit dem 15. Mai 2012 der 24. Staatspräsident der Französischen Republik. Wer einen Brandherd (IS-Terror-Miliz in Syrien) seit vielen Monaten mit Staatsterrorismus bekämpfen will und dabei den einst souveränen Staat in Schutt und Asche bombt, braucht sich nicht wundern, wenn hunderttausende Flüchtlinge das Land verlassen. Auch wenn die abscheulichen Terror-Anschläge in Paris mit nichts zu rechtfertigen sind, sind sie doch auch ein Hinweis auf den Zustand dr französischen Innen- und der imperialistischen Außenpolitik.   

Karikatur von Carlos Latuff, einem "Politischen Karikaturist", geboren November 1968 in Rio de Janeiro, Brazil. Seine Bilder versteht er als „antikapitalistisch, antiimperialistisch“ und als Unterstützung der Menschenrechte. Seine politischen Karikaturen thematisieren häufig den Nahostkonflikt mit antizionistischer Ausrichtung. Carlos Latuff (eigentlich Carlos Henrique Latuff de Souza) gewährt jedem das bedingungslose Recht, seine Werke für jedweden Zweck zu nutzen, inklusive uneingeschränkter Weiterveröffentlichung, kommerziellem Gebrauch und Modifizierung, zu nutzen, es sei denn, Bedingungen sind gesetzlich erforderlich. Sein Blog > latuffcartoons.wordpress.com > zu dieser Karikatur.