Der freie Wille bestimmt

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Der freie Wille bestimmt
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Ist die Natur des Menschen ein Hindernis für den Sozialismus?


Dies ist der Titel eines Artikels von John Molyneux aus der heutigen Linken Zeitung. Diesen habe ich zum Anlaß genommen, dort den folgenden Leserbrief zu posten:

Hinter dieser Grundsatzfrage verbirgt sich eines der meist diskutiertesten menschlichen Geheimnisse. Eigentlich geht es – einfach gesagt – um die Problemstellung, ob der Mensch einen freien Willen besitzt oder ob er genetisch bzw. von seinen Instinkten gesteuert wird und das Böse und Destruktive somit unvermeidlich in ihm verankert ist.

Die vom Autor angeführte im Christentum verbreitete Annahme von der Erbsünde führt dabei auf die falsche Spur, denn die Erbsünde ist ein Dogma, das von den Kirchenfürsten eingeführt wurde, um die Menschen zu reglementieren und sich der Verantwortung für ihre eigenen Untaten zu entziehen. Im Alten Testament in der Schöpfungsgeschichte heißt es dagegen, daß Gott den Menschen den freien Willen gegeben hat, sich auch gegen ihn zu entscheiden. Dies wird symbolisiert durch die Vertreibung aus dem Paradies, die nicht anders bedeutet als die Befreiung des Menschen aus einem abhängigen unselbstständigen in ein selbstverantwortetes Leben. Der Hinauswurf aus dem Paradies ist also zu deuten als der erste wesentliche Schritt zum Menschsein – eben zur Erlangung des Bewußtseins, das die Selbstreflektion ermöglicht.

Weitere falsch gelegte Spuren sind die angeblich wissenschaftlichen Triebtheorien, die wie bei Freud auch zum Teil auf fundierten Annahmen beruhen. Allerdings vergessen sie, daß beim Menschen nur die angeborene positive Aggressionsenergie und – motivation als Erbe der tierischen Vergangenheit instinktiv abläuft. Diese Art von Aggression dient der Selbstverteidigung und dem Überleben und hat überhaupt nicht Negatives an sich.

Jetzt komme ich zum wesentlichsten Argument in diesem Kontext. Die negativen Aspekte des menschlichen Verhaltens – also die destruktiven Aspekte wie Gewalt, Egomanie, unsolidarisches Verhalten, Neid, Haß, Grausamkeit u. v. a. – haben in der Schublade des Instinkts nichts zu suchen, denn sie müssen dem menschlichen Charakter zugeordnet werden. Weil die selbsterhaltenden Funktionen des Menschen vom Instinkt gesteuert werden, heißt das noch lange nicht, daß man zwangsläufig zur Analogie des angeborenen Bösen gelangen kann und der Destruktivität eine fatalistische Größe zumessen kann.

Die menschliche Charakterausprägung ist sicher auch – aber nur tendenziell – vorgeprägt. In der Hauptsache ist sie jedoch bedingt durch sowohl durch die individuelle biografische Geschichte als auch nicht zuletzt durch die Prägung der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse – also des Normen- und Regelwerkes der Kultur und Gesellschaft. Diese sozio-psychologischen Faktoren werden wesentlich bestimmt durch die wirtschaftlichen Bedingungen und das existierende Wertesystem. Der Mensch besitzt ergo die – tatsächlich angeborene – Fähigkeit, seine ihm innewohnenden negativen wie positiven Alternativen zu beeinflussen. Mit dem Aufwand von Mühe, Konzentration und Ausdauer ist die Förderung der „guten“ menschlichen Eigenschaften durchaus erfolgreich zu bewerkstelligen!

Als Fazit aus meinen Ausführungen komme ich zu der Annahme, daß all die kursierenden auf dem Instinkt beruhenden Triebtheorien, die Widerlegungen des Potenzials des freien Willens und andere deterministischen Argumente zum größten Teil nur eine zweckgerichete Erfindung sind. Sie sollen nämlich nur dazu dienen, die Untaten – insbesondere der Machthabenden – zu rechtfertigen und als unveränderbares Schicksal darzustellen. Auf der anderen Seite stellen sie natürlich auch für den einzelnen Menschen eine bequeme Ausrede dar, sich der Verantwortung für sein unsoziales Verhalten und der Schuldanerkenntnis zu entziehen sowie kritische Selbsthinterfragung zu vermeiden.

Die von John Molyneux gestellte Frage, ob die Natur des Menschen ein Hindernis für die Einführung sozialistischer Lebensformen ist, ist damit von mir eindeutig zu verneinen.

Meine vorgetragenen Argumente pro Willensfreiheit hat übrigens Erich Fromm, den ich zur Lektüre wärmstens ans Herz legen kann, in seinen wissenschaftlichen Arbeiten bestätigt. Über Erich Fromm, Politik, Gesellschaft und Philosophie findet Ihr mehr im angeführten Link.


Hier ist der Artikel von John Molyneux aus der Linken Zeitung vom 29. 10. 201 im Original: 

Ist die Natur des Menschen ein Hindernis für den Sozialismus?

1. Das Argument gegen Sozialisten

"»Der Sozialismus ist eine gute Idee, aber er wird nicht funktionieren. Man kann die Natur des Menschen nicht verändern!« Das ist der häufigste und einflußreichste aller Einwände, die gegen den Sozialismus erhoben werden. Es ist das erste Argument, das einem in der Fabrikhalle, in der Arbeitskantine oder in der Kneipe begegnet. Es ist das Argument, auf das viele Politiker und Intellektuelle zurückgreifen.

Das ist der häufigste und einflußreichste aller Einwände, die gegen den Sozialismus erhoben werden. Es ist das erste Argument, das einem in der Fabrikhalle, in der Arbeitskantine oder in der Kneipe begegnet. Es ist das Argument, auf das viele Politiker und Intellektuelle zurückgreifen ...."