DER RING DER PLAGIATOREN. Eine Aufführung von Demokratie im Bundestag

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DER RING DER PLAGIATOREN. Eine Aufführung von Demokratie im Bundestag
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Auf der Seite des Online-Magazins RATIONALGALERIE habe ich den nachfolgenden vom Herausgeber und Redakteur Ulrich Gellermann am 19. Oktober 2012 verfassten Beitrag gefunden und darf ihn hier mit seiner freundlichen Genehmigung vollumfänglich vorstellen:
 



DER RING DER PLAGIATOREN

Eine Aufführung von Demokratie im Bundestag


Autor: U. Gellermann


Parallel zur Bundestags-Debatte, die sich mit der Merkel-Erklärung zum Europäischen Rat beschäftigen sollte, rauschte eine kleine Meldung durch den Äther und raschelte durch die bedruckten Papiere: Frau Schavan, deren Doktorarbeit im begründeten Plagiatverdacht steht, verbietet der Universität Düsseldorf Informationen zur Plagiats-Untersuchung an die Öffentlichkeit zu geben. Das, so Frau Dr. Annette Schavan, sei sie sich "und der Wissenschaft schuldig." Dachte man bis jüngst, die Wissenschaft lebe vom öffentlichen Austausch, wird man von Frau Doktor eines Schlechteren belehrt. Glaubte man noch gestern, man lebe in einer Art Presse- und Informationsfreiheit, reicht heute ein NEIN der Wissenschafts-Ministerin, um jede Art von Öffentlichkeit zu einer Frage auszuschalten: Hat die Dame anderer Leute geistiges Eigentum geklaut und in welchem Umfang?

Eine große Öffentlichkeit fand die Ankündigung, es gäbe ein Duell im Bundestag. Kurz vor der Tagung des Europäischen Rates wolle die Kanzlerin dazu was erklären und der sozialdemokratische Kanzlerkandidat, wolle zur Erklärung was erklären. Von offenem Schlagabtausch war vorab die Rede, jetzt solle es spannend werden, endlich würde die größte der Oppositionsparteien mal zeigen was Opposition ist und die Regierung würde beweisen, dass sie regiert. Und wirklich, konzentrierte man sich nur auf die Töne und die Bilder, waren gravierende Unterschiede bemerkbar. Frau Merkels Kleinmädchengezwitscher, die Händchen zu eleganten Rhomben geformt, das Gesicht um die staatsfraulichen Lippen gefaltet, all das gab den Eindruck von souveräner Langeweile. Steinbrück dagegen, massig im dunklen Anzug sitzend, mal die Arme priesterlich ausgebreitet, dann mit dem Zeigefinder drohend Löcher in die Luft stechend, einen Sound von Norddeutschem Quengelton in den Saal blasend, wirkte Steinbrück wie die fleischgewordene Opposition.

Wer nicht nur die Töne und Bilder in sich aufnahm, wer auch nach den Inhalten in den beiden Reden suchte, dem fielen, mitten im Merkelschen Klangteppich der bekannten Gleichförmigkeit, zwei kleine Abweichungen auf. Denn, teilte uns die Kanzlerin mit, trotz der bekannten Euro-Probleme gäbe es zumindest einen Erfolg: Die Lohnstückkosten in den Problemstaaten seien gesunken. Das freute sie. Wenn Arbeiter und Angestellte weniger verdienen, wenn sie, bei schlechten Ausgangslöhnen, nach den Auflagen der EU noch weniger konsumieren können, schwätzt die Kanzlerin von Erfolgen. Dass die Merkelsche Herzlosigkeit menschliches Elend ignoriert, ist bekannt. Aber dass ihr Verstand, nach den langen Jahren des europäischen Misserfolges immer noch nicht weiß, dass sinkende Löhne in den Nachbarländern auch sinkenden deutschen Export bedeuten, erstaunt ein klein wenig, hatte man sie doch für begrenzt lernfähig gehalten. Doch die Kanzlerin ist eben ein Plagiat: Die Imitation der rot-grünen 20/10-Schröderei und die immerwährende Kopie der eigenen Asozialität.

Die zweite Abweichung von der Merkel-Norm betraf den Finanzminister Schäuble. Ihm gebühre ein kräftiges Dankeschön für seinen Vorschlag, einen europäischen Währungskommissar zu inthronisieren, sagte die Kanzlerin. Und befürwortet so ein Amt, das die Souveränität der nationalen Parlamente weiter einschränken würde. Dafür soll dann schnell ein europäischer Konvent einberufen werden - ein Gremium, in dem traditionell die EU-Funktionäre sitzen, um sich selbst zu bestätigen - um dort die Änderung der EU-Verträge beschließen. Diese Änderung würde im Eiltempo auf einen europäischen Bundesstaat zumarschieren, der ein Fortschritt sein könnte, wenn man die Bürger der EU einbezöge. Daran ist natürlich kein Denken. Keine neue Verfassung, keine Volksabstimmung ist geplant. Die Euro-Funktionäre glauben sich, trotz ihrer seit Jahren sichtbaren Misserfolge, im Besitz jener Weisheit, die sie der Bevölkerung absprechen. Aber an genau dieser mechanischen, immer nur Löcher flickenden Vorgehensweise krankt die EU bis in den Tod.

Dann der Angriff des Kronprätendenten: All das, was die Kanzlerin an Erkenntnissen habe, wäre von der SPD schon vor zwei Jahren gesagt worden, meinte Steinbrück. Gab es ein atemloses Entsetzen im Saal? Schwebten in der Luft Millionen von Fragezeichen? Denn man war doch dabei, als die SPD brav alle Vorlagen für diesen oder jenen Rettungsschirm zustimmte, als sie der sozialen und wirtschaftlichen Strangulation der Südländer ihre Stimmen lieh, als sie das System Merkel ohne Widerrede stützte. Kein Protest gegen die Lüge eines Opponenten war zu hören, der nie opponiert hatte, der im Gegenteil als Finanzminister im Kabinett Merkel der weiteren Entfesselung der Finanzmärkte Vorschub leistete. Und so konnte er dann auch kühl feststellen, dass "Deutschland" weiter seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen würde und das man zwar "nachhaken und weiterarbeiten" müsse, wenn die SPD weitere Rettungsschirmen durchwinken solle, aber eine Zustimmung zum nächsten Schirm stellte er schon mal in Aussicht. Selbst als ihm ein richtiger Satz entfuhr: "Not zerstört Demokratie", klebt dem die Steinbrücksche Meinung "Sparanstrengungen sind notwendig" an und er relativierte so die Einsicht von zuvor. Auch Steinbrück: Ein Plagiat, seiner selbst als Finanzminister und auch der Schröder-Regierung. Wenn er doch wenigsten die Kopie eines Oppositionspolitikers hätte liefern können.

Gleich zu Beginn der Bundestagsdebatte gab der Nachrichtenticker eine Meldung preis: Das statistische Bundesamt teilte mit, dass fast 844.000 Menschen am Ende des letzten Jahres die "Grundsicherung" beanspruchen mussten. Das sind jene 374 Euro für Menschen, deren Rente nicht zum Überleben reicht. An dieser Armutspolitik krankt Europa. Davon kein Wort. Aber vielleicht kann die Regierung ja auch diese Nachricht verbieten. Das löst zwar kein Problem, macht die Diskussion um die europäische Entwicklung aber einfacher und verhindert die Frage nach der Enteignung der Vielen zugunsten der wenigen Reichen.
 



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Republik der Attrappen und Mogelpackungen

 

Republik der Attrappen und Mogelpackungen
 
Bildungsministerin Annette Schavan ist überführt. Die Universität Düsseldorf hat ihr ihren Doktortitel wegen bewiesener Plagiatsvorwürfe aberkannt. Frau Schavan zeigt aber Stärke und gebärdet sich als wackere und uneinsichtige Streiterin. Sie „will um ihren Doktortitel kämpfen“ und sämtliche Rechtsmittel ausschöpfen. Wirklich ein typisches Verhalten von notorisch unbelehrbaren Narzißten. In diesem Kontext fallen mir noch folgende Eigenschaften ein, die symptomatisch sind: Hochmut, Anmaßung, Überheblichkeit, Arroganz, Blasiertheit oder Dünkel. Das Gegenteil von Hochmut ist übrigens Demut, was der christlichen Dame anscheinend völlig abgeht.
 
Der Titel ihrer Dissertation war übrigens „Person und Gewissen – Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“. Frau Schavan hat sich in ihrer Dissertation ausgerechnet schwerpunktmäßig mit Moral und Gewissen beschäftigt. Daß sie dabei gleichzeitig fleißig abschrieb und sich der Elaborate anderer bediente, paßt anscheinend problemlos in ihr Moralverständnis. Schließlich ist sie konservativ-katholisch geprägt und war in mehreren katholischen Einrichtungen tätig, was sie als ein Vorbild für christliches Selbstverständnis ausweist.
 
 
Vor vier Jahren wurde Frau Schavan von der Freien Universität Berlin der Titel eines Honorarprofessors verliehen. Dieser Titel steht nach den neuesten Erkenntnissen auch auf dem Spiel. Bezeichnend ist die Begründung für die Berufung. Frau Dr. Schavan sei eine Person, die „in besonderer Weise geisteswissenschaftliche Exzellenz mit gesellschaftlicher Präsenz und Wirksamkeit“ verbinde.“ Bei dieser Qualifikation müßte man vor Ehrfurcht erstarren und fragen, ob nicht eine Heiligsprechung schon im Anmarsch ist. 
 
Was den von U. Gellermann im Bundestag versammelten „Ring der Plagiatoren“ angeht, so verstärkt sich immer mehr der Eindruck, daß sich das hohlköpfige Geschwätz umso mehr steigert, je größer die politische Bedeutung des jeweiligen Mandatsträgers ist. Wenn die im Bundestag konzentrierte organisierte Verantwortungslosigkeit selbstbeweihräuchernd als demokratische Errungenschaft bezeichnet wird, dann muß ich erschreckend feststellen, daß der Begriff der Demokratie bei uns schon so richtig in den Dreck gezogen wurde. 
 
Welche inhaltlichen Alternativen bieten uns denn unsere demokratischen Honorationen? Doch wohl nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wenn ich es nicht genau wüßte, daß Peer Steinbrück Mitglied einer sozialdemokratischen Partei sowie Gewerkschaftsmitglied ist, dann käme ich im Traum nicht auf die Idee, bei dem Mann eine soziale Kompetenz zu vermuten. Zur Zeit ist der Kandidat ja als Kreidefresser unterwegs und versucht gequält, sich an sozialdemokratische Prinzipien zu erinnern. Dabei muß er sich ständig unter Kontrolle halten, damit er sich nicht verspricht und sagt, was er wirklich denkt.
 
 
Peter A. Weber
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Pseudowissenschaft - Doktortitel

Die Rationalgalerie stellt zuviel Fragen. Nach Sinn und Inhalt und Gründen und Zweck. Klar, das ist rational. Was aber, wenn wir in einer irrationalen Welt lebten? Wenn es am Ende nur darum ginge, wer den staats­fraulicheren Eindruck oder die bissigere "Opa-Sitz-Schon"-Haltung an den Tag legt. Obama versus Romney, Merkel gegen Steinbrück, das sind doch Duelle, die nach Krawattenknoten und Kostümknöpfen, nach dem Gestus, dem federndem Gang und danach entschieden werden, wie die Wahlkampfzentralen oder Redak­tio­nen der Printmedien die Sache als Punktrichter entscheiden: 63 mal gehüstelt, 16 mal den Kontrahenten unterbrochen, dabei 2 mal gerügt mal 24 Argumente minus 13 mal die Augen gerollt dividiert durch 178 mal falsch geblinzelt macht – ge­nau! – keinen Unterschied, also unent­schie­den. Die Frage der Kolumnisten lau­tet allenfalls: Muss der Her­ausforderer nicht noch mehr zulegen? Sollten Amtsinhaber ausschließlich auf ih­ren Amtsbonus vertrau­en und im Übrigen alles an sich abtropfen lassen? Und wielange klappt das? Das ist echte Wis­senschaft! Da muss man doch nicht nach der Doktorarbeit der Wissenschaftsministerin fragen.

Es gab Zeiten im alten Ägypten, da wurde von den Hofastrologen der Stuhlgang des Pharao seziert, inter­pretiert und vermutlich auch probiert, um den günstigsten Zeitpunkt für einen Feldzug oder den Baubeginn einer neuen Pyramide festzulegen. Das war schon nahe dran an der Realität: Es roch, schmeckte und sah aus wie Kacke, es war Kacke, und die Verschlungenheit der Würste sowie Farbe und Konsistenz waren untrüg­li­che Zeichen für die Qualität der Entscheidungen der Herrscher-Politik jeden Tages. Immer Sch...

In Zeiten, wo Lebensberatung und Lifestyle gefragt sind, geht es um Prestige, Design und gute Laune. Die Pseudowissenschaft, etwa bei der Berechnung des Bedarfs eines Hartz-IV-Empfängers, kann so zum reinen Gesundheitstip regredieren: Kein Bier und keine Ziga­retten! Ob man zu sowas einen Doktortitel redlich er­wor­ben haben muss oder nicht: What shall's?! Man muss nur die passende Grundeinstellung haben. Neoli­be­ralismus gibt Antworten auf die Fragen der Zeit ohne Fragen zu stellen. Machen statt Mäkeln, Tun statt Grübeln, Forsch sein statt Forschen. Nur so kommen wir an den Abgrund, jenseits dessen sich alle ratio­nalen Fragen nach Inhalt und Interessenslagen erübrigen: Wer hat, der hat. Wer nicht hat, dem hat nichts gegeben zu werden! Und Stein­brück hat – jenseits aller Inhalte – deutlich gesagt, dass er kategorisch aus­schließt, unter Merkel Finanzminister werden zu wollen. Dann halt über ihr, neben ihr oder hinter ihr. Wahl­kampf­ver­sprechen sollten nun mal gehalten werden. Soviel Stil muss sein, auch und gera­de in einer Gro­ßen Koa­lition. Wer käme da noch auf die Idee, nach den Kosten zu fragen oder wer sie zu tragen hat?!

 

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Fall-Studien: Schavans Plagiate

 

Dr. maus. ?  Eine Fall-Studie

von Jürgen Hofmann via RATIONALGALERIE


Der Verfasser, Autor vieler Theaterstücke und Essays, arbeitete als Hochschullehrer an mehreren Universitäten und war zuletzt Leiter des Studiengangs Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste.

Aufregung im Supermarkt: eine Kundin wird vom Kaufhaus-Detektiv gestellt, ein Muttchen, grauhaarig, unauffällig, bieder. Zwar hat sie an der Kasse eine Reihe von Waren bezahlt, aber in ihrer Tasche führt sie immerhin auch ein paar Sächelchen mit, die sie nicht aufs Laufband gelegt hatte. Die Frau verteidigt sich lauthals: das ist mir unterlaufen, ein Flüchtigkeitsfehler! Ich habe schlicht vergessen, diese Gegenstände anzugeben. Denken Sie an den Einkaufsstress, sehen Sie, welche Menge an Waren ich ordentlich gekauft habe - und Sie werden zugeben müssen, dass es sich bei den nichtbezahlten Kleinigkeiten wirklich nur um eine Bagatelle handelt.

Es ist bedauerlich, dass die Süddeutsche Zeitung (7.2.13) in den Chor jener einstimmt, die Frau Schavans betrügerische Dissertation schönreden. Ginge es um Ladendiebstahl, wären alle schnell sich einig. Niemand spräche milde von "mausen", "mopsen" oder "stibitzen" - schon das Klauen eines Camembert bei Aldi gilt vielen tatortgeschulten Bürgern als kriminell. Illegale Aneignung von geistigem Eigentum aber wird verniedlicht, als müsse man es im akademischen Raum damit nicht so genau nehmen. Statt von "betrügen" ist plötzlich nur von "schummeln" die Rede und statt von "Unterschlagung" von "Schlamperei".

Der sonst oft so scharfsinnige Heribert Prantl kreiert sogar eigens einen neuen Entschuldigungs-Begriff : gemessen an Guttenberg, der sich in seiner Dissertation zu 60% mit fremden Federn geschmückt habe, sei der Betrug der Ministerin so gering zu veranschlagen, dass er persönlich ihr, träte sie zurück, sogar den akademischen Grad beließe: "ihre Plagiate sind, wenn man von Plagiat reden mag, Mini-Plagiate."

Auch wenn man also nicht davon "reden mag", ob ein Plagiat erst bei, sagen wir 25 oder 30 % der undeklarierten Textmenge beginnt - in der Sache sollte ein seriöser Kommentator doch wenigstens die hochwahrscheinlichen Fakten zur Kenntnis nehmen. Der erste wissenschaftliche Berichterstatter der Düsseldorfer Universität sprach seinerzeit, nach sorgfältiger Analyse, von einer ebenso umfangreichen wie als vorsätzlich erkennbaren Unterschlagung von Quellen, aus denen Frau Schavan sich in ihrer Arbeit bedient habe. Und unter dem Stichwort "schavanplag" kann sich jeder Internetnutzer, auch der wissenschaftliche Laie, zumindest aus zweiter Hand mühelos ein Bild vom enormen Ausmaß jenes angeblichen Mini-Plagiats machen.

Fast schon von selbst versteht sich, dass auch eine Bildungsministerin, mit dem Plagiatserweis konfrontiert, um kein Deut anders reagiert als ihre ertappten VorgängerInnen: Empörung, Leugnung, Anwälte. Stets auch geht es bei den betrügerischen Dissertationen um die gleiche Methode: der Doktorand erschleicht sich die von einer Doktorarbeit geforderte eigene wissenschaftliche Leistung dadurch, dass er bzw. sie fremde Sätze, gegebenenfalls längere Passagen, gar ganze Seiten, wörtlich übernommen, als selbst verfasste ausgibt. Da die Promovendin bei Einreichung ihrer Arbeit "an Eides Statt" versichern muß, dass sie keinerlei andere Hilfsmittel als die angegebenen benützt hat, wird - wohlgemerkt bei einem Werk mit dem Thema "Person und Gewissen" (sic!) - nebenbei gleich noch ein Meineid mit in Kauf genommen. Noch ist das digitale Aufklärungs-Zeitalter ja nicht in Sicht.

Wird ihr Betrug aufgedeckt, so greifen die überführten TäterInnen noch immer zu jenen Ausflüchten, wie der smarte Verteidigungsminister zu Guttenberg sie einst in den öffentlichen Verteidigungs-Diskurs einführte. Von Flüchtigkeitsfehlern ist da die Rede, von Ungenauigkeit, Schlampigkeit usw., vom blossen Vergessen der sog. Gänsefüßchen, von "früher" angeblich anderen Maßstäben - besonders gern auch von der riesigen Seitenzahl der Arbeit, angesichts derer doch, sagen wir: fünfzehn oder zwanzig "Zitierfehler" eine Petitesse darstellten. (Womit, ganz nebenbei, wohlfeil auf die leichte Beeindruckbarkeit von Fritz und Lieschen Müller durch den Mythos von Wissenschaft spekuliert wird: was hat dieser Mann / diese Frau da einfach an gigantischer Fleißarbeit geleistet - nur damit ihm/ihr die Neidhämmel, Beckmesser und politischen Feinde winziger Versäumnisse wegen jetzt am Zeug flicken!)

Nun zieht sich durch den Leitartikel der "Süddeutschen" ebenso wie durch die anderen Berichte der Zeitung zum Thema ein rhetorisches Bild, das sich auch in der allgemeinen Debatte einiger Beliebtheit erfreut. Sein Beschönigungs-Potential scheint es mir wert, dass man es etwas genauer unter die Lupe nimmt. "Die Ministerin hat", sagt Heribert Prantl, "handwerkliche Fehler gemacht…" "Annette Schavan hat in ihrer Doktorarbeit", so der Journalist später noch einmal, "gegen handwerkliche Regeln der Wissenschaft verstoßen."

Ist es ein "handwerklicher Fehler", wenn ich reihenweise ganze Sätze von anderen Autoren abschreibe und sie, ohne sie als Zitat zu kennzeichnen, als meine eigenen ausgebe? Ist es ein Verstoß gegen "handwerkliche Regeln der Wissenschaft", wenn ich Sigmund Freud (und andere) so zitiere, dieses Mal mit Gänsefüßchen, als hätte ich sein Werk selbst gelesen (also insbesondere mit Seitenangaben) – und dabei verschweige, dass ich die Sätze (nachweislich!) nur von einem anderen Autor abgeschrieben habe, der seinerseits Freud im Original studierte? Hat die im Supermarkt erwischte Kundin nur einen handwerklichen Fehler begangen? (Ja, vielleicht – wenn ich, wie Taschendiebe, Klauen als Handwerk auffasse.)

Nein, mit Handwerk hat all das nicht das geringste zu tun. Die systematische Aneignung fremden Eigentums, selbstverständlich auch des geistigen, ist Betrug. Mit dem Tischler, der einen Stuhl leimt und dabei auch mal einen Fehler macht (falscher Leim, falscher Span), greift Herr Prantl zwar vermutlich unbewusst, aber doch nicht zufällig auf einen vorindustriellen Berufsstand zurück, dem die meisten von uns geneigt sind, Redlichkeit zuzubilligen - wenn man so will: Berufsehre. An den ehrlichen Meister Anton sollen wir denken und es mehr oder minder als Versehen entschuldigen, wenn Frau Schavan uns leimt. Kaum zufällig auch beruft die Betrügerin selbst sich dreist auf ihre "Ehre", die der Betrugsvorwurf ihr abspreche.

Handwerk in der Wissenschaft, jedenfalls in dem Sinn, wie er in der Schavan-Debatte herangezogen wird, betrifft zunächst äusserliche Formen des Zitierens, Konventionen, Floskeln: "op.cit." oder "a.a.O." für Beziehungen auf ein bereits früher zitiertes Werk, Verweise wie "vgl." (vergleiche), Bemerkungen wie "sic!" (tatsächlich so!). Als Kern des Handwerks aber lernt der angehende Wissenschaftler natürlich insbesondere, wie man maßgebliche Literatur auf dem Fachgebiet ermittelt und von unwichtiger unterscheidet, wie und in welchem Ausmaß man ihre Standpunkte referiert, Behauptungen überprüft, Argumente abwägt, selbst Schlüsse zieht - und vieles andere dergleichen. Dazu gehört ebenso die Korrektheit, mit der man fremde Positionen, insbesondere gegnerische, neutral referiert. So berührt Handwerk nicht immer, aber immer wieder auch das geistige Telos von Wissenschaft.

Alles wissenschaftliche Arbeiten jedoch, tradierterweise am deutlichsten in den Geistes- und Sozialwissenschaften, ist fundamental einem einzigen Ziel verpflichtet: der Wahrheit. Sie ist nicht nur das Erkenntnisziel, sondern zugleich das ethische Medium der Wissenschaft. Selbstverständlich fordert sie von jenen, die sich ihr verpflichtet fühlen, ein gleichermaßen hohes Vermögen an Wissen ebenso wie an Handwerk. Sie jedoch, die Wissenschaft, setzt bei ihren Adepten vor allem eine Tugend elementar voraus : die der Wahrhaftigkeit.

Streben nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit - beides ist in der Wissenschaft nicht voneinander zu trennen. Aber natürlich sind beide Werte auch, wie im übrigen Leben, umstellt und durchsetzt von ihren Gefährdungen: durch Irrtum, Verblendung, Ideologien oder Moden, durch Oberflächlichkeit und Lüge. Als bedenklicher Vektor tritt dazu die speziell in Deutschland traditionell verbreitete Titelsucht (gegen die man von jeher vergeblich geltend gemacht hat, dass der "Dr." nur ein akademischer Grad ist, so wie das "von" nur ein Adels-Prädikat). Schaffte man das hierzulande verbriefte Recht zum Führen des "Doktors" als Namenszusatz ab – man darf annehmen, dass die Zahl der Dissertationen, angeblich alle höherer wissenschaftlicher Qualifikation dienend, sich schlagartig erheblich verringerte.

Die sog. "Doktorväter" - darunter überforderte ebenso wie leichtfertige oder verblendete - müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie ihre betrügerischen Doktoranden nicht schon seinerzeit erkannt haben. Aber die Hochschulen bestehen zurecht auch auf einem Grundprinzip: die "universitas" von Lehrern und Studierenden muß, auf Gedeih oder Verderb, einander jene Wahrhaftigkeit in der gemeinsamen Arbeit eher emphatisch zuerkennen, als dass sie sie primär und permanent misstrauisch überwachte. Die akademische community war und ist ein Schauplatz von Macht, Ehrgeiz, Eitelkeit, Geltungsbedürfnis, Intrige, allen anderen menschlichen Schwächen. Aber sie bleibt eben auch ein wunderbarer Ort der gemeinsamen Lust am Suchen nach neuen Erkenntnissen. Diese Gemeinschaft ist verletzlich, weil sie mehr auf Vertrauen gegründet ist als auf Kontrolle. Im übrigen können Betrüger sich im akademischen Betrieb schon deshalb nur zu leicht tummeln, weil kaum ein Wissenschaftler noch sein eigenes Fachgebiet zu überblicken vermag.

Natürlich ist die moderne Universität längst in der Industriegesellschaft angekommen, produziert Dienstleistungen und Waren. Die Institution, die einmal im fast klösterlich strengen Medium von Ethos und Handwerk als Werk von wenigen gedieh, ist eine säkulare Fabrik der Massen geworden, nicht zuletzt auch Doktorfabrik. Und natürlich läßt sich schon lange nicht mehr verhindern, dass Wissenschaft käuflich wird : Erkenntnisse werden gekauft, Forschungsergebnisse bestellt, Gutachten bezahlt, akademische Grade "erworben", Professorentitel gegen Spenden verliehen. Insofern bereitet es mir eine winzige Genugtuung, dass mit der Überprüfung von Dissertationen durch die hochspezifische software von Computern der Warentest auch in einen Bereich eingeführt wird, dem Tauschwert eigentlich wesensfremd ist.

Annette Schavan, in Neuss aufgewachsen, ist der durch ihre stockkatholisch-erzkonservative Heimatstadt am Rhein vorgegebenen Spur von früh an zielstrebig gefolgt. Laufbahn in Kirche (Cusanuswerk, Generalvikariat Aachen etc.) und CDU (Junge Union, Bundesvorstand usw.) gehen innig Hand in Hand. Es fällt schwer, Schavans Erschleichung eines karrierefördernden Doktorgrads nicht mit jenem Macht- und Geltungsbedürfnis in Beziehung zu bringen, das ihr zuletzt den Posten einer Bundes-Bildungsministerin und den einer Theologie-Honorarprofessur eintrug.

Daß die "gläubige Katholikin" (so ihre Markenzeichen) zu Lug und Trug in der Lage ist, kann spätestens nach den Parteispendenskandalen ihrer Partei und den sog. Missbrauchsskandalen ihrer Kirche niemanden wirklich verwundern. Daß sowohl zu Guttenberg als auch sie von Christ-Demokraten seinerzeit ernsthaft als Kandidaten für die Vakanz im Bundespräsidialamt gehandelt wurden, spricht für sich selbst.

Stellen wir das Bild vom Ladendiebstahl auf die Füße! In der Universität gilt dasselbe wie in anderen gesellschaftlichen Sektoren auch: wir wollen weder betrügen noch betrogen werden. In der Wissenschaft darf es kein als "Mausen" verharmlostes Entwenden geben. Den zweibeinigen Katzen hänge man die Schelle um!

P.S. Inzwischen ist Frau Schavan zurückgetreten, selbstverständlich nur zum Wohle unseres Landes und weiterhin unter strikter Leugnung ihres Betrugs. Beflissen werden ihr, von Regierung wie Opposition, politische Verdienste nachgelogen, dass sich die Balken biegen. Karrieristen fallen weich - wir warten auf den nächsten Fall.
 



Quelle: dieser Beitrag wurde am 11. Februar 2013 erstmals auf der Seite RATIONALGALERIE veröffentlicht - hier geht’s zum Originalbeitrag

 

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Schawans Zitatfracht in der Doktorarbeit

 

Schawans Zitatfracht in der Doktorarbeit


Könnte es sein, dass der Bene deshalb seine Mitra nimmt, weil zu befürchten steht, es könne herauskommen, dass seine Jesus-Bücher allesamt von jemand anderem eingeflüstert und in die Hand diktiert wurden?

Früher in der Schule nannte man "Spicken" oder Abschreiben: "Unterschleif". In diesem Fall dürfte es sich um "Überschleif" handeln. "Göttliche Eingebung" als Betrug an der Menschheit. Nun legt man ihm das auch noch als menschliche Größe aus! So wie der Nichtmehr-Bildungsministerin ihren generösen Amtsverzicht, damit sie uneinsichtig beharrend gegen die Uni klagen kann, auf dass sie keine neuen Visitenkarten drucken lassen muss.

BILD verstieg sich zu einer neuen Analogie: "Wir" sind nicht länger Papst. "Wir sind Mensch". Damit sollte aber wohl "um Himmels Willen" nicht gesagt sein, dass der Mensch aufhören soll zu arbeiten, bevor er tot umfällt. So "frei" sollen "wir" dann auch wieder nicht sein, zumindest in Deutschland nicht. Mit (erwerbsarbeits)freier Selbstverwirklichung am Lebensabend hat dieses Beispiel freier Willensentscheidung nichts zu tun zu haben!

Im vatikanischen Kloster wird da ohnehin nichts draus. Selbst für Seine Ex-Heiligkeit nicht. Der Altpapst wird es gar nicht lassen können, als "weiße Eminenz" seinem Nachfolger seine Einsichten und Ratschläge zukommen zu lassen. Dafür dürfte schon der rechtzeitig installierte "Großinquisitor" Müller zu sorgen wissen. Für den gilt jedes Jota aus Ratzls Werk als Offenbarung. Versöhnung von "Glauben und Wissen(schaft)" war eines der Hauptanliegen seines Mentors.

Im guten Glauben daran wird wohl auch Annette Schavan die Zitatfracht in ihre Doktorarbeit eingeschmuggelt haben, im Vertrauen auf die Gutgläubigkeit ihres Doktorvaters. Ein Schuft, wer da böse Absicht unterstellt! Sie wollte doch nur den akademischen Grad. So wie die Frau im Supermarkt das Überraschungsei. Eigentlich unabsichtlich, möglicherweise fahrlässig, jedenfalls nicht mit dem Vorsatz es zu entwenden. Sie ließ es einfach in ihre Tasche kullern, beinah wider Willen. Es überkam sie so, wie von unsichtbarer Hand. Schlamperei, Irrtum, Übersichtsverlust. Keine Ahnung. Nur dass die Ladendiebin mit dieser Verteidigung niemals Ministerin werden könnte, sondern allenfalls straffällig. Im Wiederholungsfalle womöglich vorbestraft.

Wieviele Zitate (Überraschungseier) waren das nochmal?! Und das bei einem einzigen Einkauf! Welch göttliches Schnäppchen! Ihr Glaube an die Wissenschaft muss felsenfest gewesen sein. Sie wäre die ideale Päpstin: Petra I. Und wir müssten uns zur Hälfte wieder umoperieren lassen, auf dass sich das Wort der BILD-Zeitung erfülle: "Wir" sind nicht länger Mensch. "Wir sind Päpstin".
 

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Plagiate in Ratzingers Dissertation entdeckt

 

Muß Joseph Ratzinger seinen Doktortitel wegen Plagiatierens abgeben?


Joseph Ratzinger ist bekanntlich Dr. theol. und Prof. für Dogmatik und Fundamentaltheologie. Mir wurde zugeflüstert, daß er in seiner Dissertation "Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche" wesentliche Elemente aus der Bibel abgeschrieben haben soll. Gott hat bereits auf seine Urheberrechte gepocht und Strafantrag gestellt. Wohin soll das noch führen?

Angela Merkel hat übrigens eine bemerkenswerte Doktorarbeit abgeliefert, die für die Physik bahnbrechend und revolutionierend war. Sie trug den vielsagenden Titel: "Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden". Man sieht, die Frau war ihrer Zeit weit voraus - auf solch ein Thema muß man erst einmal kommen! Jetzt ist auch ihre politische Durchschlagskraft erklärbar.

Wer solche Erfolge wie Angela Merkel aufzuweisen hat, besitzt natürlich auch Feinde. Diese brüten zur Zeit einen besonders fiesen Plan aus, wie man ihre ewige Kanzlerschaft ein wenig abkürzen könnte. Da bietet sich doch ihre Dissertation an - es wäre doch gelacht, wenn sich nicht einige Kapitel finden würden, die nicht auf ihrem Mist gewachsen sind. Schließlich ist dies anscheinend die einzige Methode, um Angela los zu werden. Auch Al Capone konnte man bekanntlich nur durch ein paar Lappalien in seiner Steuerabrechnung aus dem Verkehr ziehen.

 

Peter A. Weber

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