Die Krisen des Kapitalismus: Eine andere Studie der politischen Ökonomie (SARAL SARKAR)

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Die Krisen des Kapitalismus: Eine andere Studie der politischen Ökonomie (SARAL SARKAR)
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Die Krisen des Kapitalismus.  Eine andere Studie der politischen Ökonomie

Autor: Saral Sarkar / Herausgeber: Initiative Ökosozialismus

Verlag:  AG SPAK Bücher Neu-Ulm (2010) – zur Verlagsseite

ISBN:   978-3-940865-00-7

broschiert, 383 Seiten,  D: 22,00 EUR, A: 22,00 EUR, CH: 33,00 sFr.

Spätestens seit der Finanzkrise im Jahr 2008 ist es ins Bewusstsein der Menschen in den Industrieländern gedrungen: Der Kapitalismus ist gescheitert. Allerdings: Krisen haben den Kapitalismus stets begleitet: Große Börsencrashs, Verelendung von großen Bevölkerungsteilen in der Dritten Welt, ökologische Zerstörung, Massenarbeitslosigkeit, verheerende Kriege usw. Dies alles gehört zu seinen notwendigen Begleiterscheinungen.

Doch entgegen allen „linken“ und marxistischen Theorien, die vorhersagten, dass der Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen zugrunde gehen würde, konnte er sich bis heute am Leben halten – allerdings zu einem hohen Preis.


..


Saral Sarkar zeichnet sehr detailliert und dennoch gut verständlich die Krisengeschichte des Kapitalismus seit Beginn des vorigen Jahrhunderts bis heute nach. Vor allem diskutiert er ausführlich die unterschiedlichen theoretischen Ansätze, diese Krisenanfälligkeit zu erklären, und die theoretischen Ansprüche sowie praktische Versuche, ihn „krisenfest“ zu machen. Einen breiten Raum nehmen dabei John Meynard Keynes und der Keynesianismus ein, der sich ja gerade heute wieder eines großen Ansehens erfreut.

Der Autor bleibt bei seiner Analyse nicht an der Oberfläche. Nicht einige zweifelhafte Praktiken von Bankmanagern waren es etwa, die für die aktuelle Situation verantwortlich sind, sondern der letzte Grund liegt im Wachstumszwang des Kapitalismus selbst und in den Grenzen des Wachstums, die nun endgültig erreicht sind.


Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim schrieb als Fazit in seiner bei socialnet veröffentlichten Rezension:


Lässt sich der heutige und äußerst lebendige und katastrophale Turbo- und Raubtierkapitalismus bändigen hin zu einem sozialen, keynesianischen Kapitalismus? Oder bedarf es eines wirklichen Systemwechsels hin zu einem ökologischen Sozialismus? Die Argumente und Antworten Saral Sakars sind eindeutig: Es ist der ökosozialistische Bewusstseinswandel, der notwendig ist, soll die (Eine) Welt gerechter und humaner werden. Damit beantwortet sich auch die Frage, wie sie gewissermaßen über den Argumentationen und Analysen schwebt: Stellen die Krisen, wie sie sich in der Vergangenheit und Gegenwart darstellen, nur Symptome einer Krise im Kapitalismus, oder zeigen sie die Krise des Kapitalismus?  (Quelle > Rezension)
 




Inhalt:


Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . 9

I. Marxistische Krisentheorien

1. Der tendenzielle Fall der Profitrate . . . . . . . . . . . . . . . 23

2. Unzufriedenheit mit dem Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate . . . . . . . . . . . . . . . 27

3. Die marxistische Unterkonsumtionstheorie der Krise . . . . . . . . . . . . . . . 31

4. Unzufriedenheit mit der Unterkonsumtionstheorie der Krise – die Disproportionalitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . 34

5. Wo bleibt die finale Krise des Kapitalismus? . . . . . . . . . . . . . . . 38

6. Die Kontroverse über die Zusammenbruchstheorie . . . . . . . . . . . . . . . 43

a) Die Verelendungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . 45

b) Rosa Luxemburg: Grenzen der Akkumulation . . . . . . . . . . . . . . . 46

c) Kritik an Luxemburgs Theorie . . . . . . . . . . . . . . . 49


II. Der große Crash und die Große Depression

1. Die 1920er-Jahre . . . . . . . . . . . . . . . 54

2. Der Boom und das Delirium . . . . . . . . . . . . . . . 56

3. Der Crash . . . . . . . . . . . . . . . 62

4. Die Große Depression . . . . . . . . . . . . . . . 65

5. Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . 69


III. Die Retter des Kapitalismus

1. Keynes und die Keynesianer . . . . . . . . . . . . . . . 75

a) Krise der orthodoxen Ökonomik . . . . . . . . . . . . . . . 75

b) Die nicht-marxistische Krisenbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . 78

c) Die Keynesianische Revolution . . . . . . . . . . . . . . . 80

d) Keynes versus Marx . . . . . . . . . . . . . . . 95

e) Der Aufstieg des Keynesianismus . . . . . . . . . . . . . . . 98

2. Schumpeters Verklärung der Krise: Schöpferische Zerstörung . . . . . . . . . . . . . . . 104

a) Die Schumpeter’sche Theorie des Konjunkturzyklus . . . . . . . . . . . . . . . 106

b) Die langen Wellen . . . . . . . . . . . . . . . 109

c) Untergang des Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . 111

d) Die Schumpeter’sche Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . 114


IV. Stagflation – Der Niedergang des Keynesianismus und der Aufstieg des Neoliberalismus

1. Stagflation . . . . . . . . . . . . . . . 116

2. Die neoliberale Konterrevolution . . . . . . . . . . . . . . . 120

3. Das theoretische Fundament der neoliberalen Politik . . . . . . . . . . . . . . . 124

– Monetarismus versus Keynesianismus . . . . . . . . . . . . . . . 124

4. Monetaristische Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . 131

5. Der Neoliberalismus und die Angebotspolitik . . . . . . . . . . . . . . . 133


V. Warum der Keynesianismus scheiterte – Erklärungen der Fachökonomen

1. Eine politische Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . 136

2. Ist Inflation ein größeres oder eher ein kleineres Übel? . . . . . . . . . . . . . . . 141

3. Öffentliche Kampagne . . . . . . . . . . . . . . . 144

4. Einige objektivere Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . 146

5. Sachzwang Umstrukturierung: . . . . . . . . . . . . . . . 147

Der Keynesianismus musste begraben werden . . . . . . . . . . . . . . . 147

6. Makropolitik . . . . . . . . . . . . . . . 149


VI. Die Krisen im globalisierten neoliberalen Kapitalismus

1. Von den 1970er-Jahren bis Ende der 1980er-Jahre . . . . . . . . . . . . . . . 153

a) Die Verschuldungskrise der Entwicklungsländer . . . . . . . . . . . . . . . 154

b) Die Börsenblase und der Crash von 1987 . . . . . . . . . . . . . . . 162

2. Die turbulenten 1990er-Jahre . . . . . . . . . . . . . . . 168

a) Die neoliberalen Demokraten in den USA . . . . . . . . . . . . . . . 168

b) Rezession und Stagnation in Japan . . . . . . . . . . . . . . . 172

c) Rettungsversuch für Japan, radikale Wende in den USA . . . . . . . . . . . . . . . 175

d) Krisen in den aufstrebenden Schwellenländern (emerging markets) . . . . . . . . . . . . . . . 177

e) Die große Krise in Ostasien . . . . . . . . . . . . . . . 182

f) Russland . . . . . . . . . . . . . . . 193

h) Lateinamerika . . . . . . . . . . . . . . . 194

h) Japan und die USA nach der Ostasienkrise . . . . . . . . . . . . . . . 196

3. Ein langer Crash und ein Zusammenbruch im neuen Millennium . . . . . . . . . . . . . . . 200

a) Ein großer Crash auf Raten . . . . . . . . . . . . . . . 200

b) Der Zusammenbruch in Argentinien . . . . . . . . . . . . . . . 203


VII. Kann der Keynesianismus diesmal die Probleme lösen?

1. Inflation . . . . . . . . . . . . . . . 214

2. Ist der Keynesianismus wirklich passé? . . . . . . . . . . . . . . . 217

3. Rezepte deutscher Keynesianer gegen die Stagnation . . . . . . . . . . . . . . . 221

4. Meine Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . 224

5. Globaler Keynesianismus? . . . . . . . . . . . . . . . 234

6. Keynesianer kennen keine Grenzen des Wachstums . . . . . . . . . . . . . . . 238

7. Ein halber Sozialismus funktioniert nicht . . . . . . . . . . . . . . . 241


VIII. Warum man die Globalisierung kritisieren soll

1. Die Theorie des komparativen Vorteils und die Argumente für Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . 245

2. Die Annahmen der Theorie und die Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 249

a) Die politische Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 249

b) Die wirtschaftliche Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 251

3. Das Nachhaltigkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . 257


IX. Aspekte der Krise des Kapitalismus

1. Instabilität des internationalen Finanzwesens . . . . . . . . . . . . . . . 263

2. Massenarbeitslosigkeit und Unzufriedenheit bei Arbeitern . . . . . . . . . . . . . . . 269

3. Uneingelöste Versprechen von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . 272

4. Die Krise des Sozialstaates . . . . . . . . . . . . . . . 277

5. Die Krise der Sozialdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . 279

6. Wirtschaftliche Zwänge, Beschränkungen und Versuchungen . . . . . . . . . . . . . . . 284

7. Krise des Kapitalismus in der Dritten Welt . . . . . . . . . . . . . . . 287

8. Die steigenden Defensivkosten . . . . . . . . . . . . . . . 291


X. Wo kommt das Mehr her?

1. Das Geheimnis der steigenden Arbeitsproduktivität . . . . . . . . . . . . . . . 299

2. Nachhaltiges Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . 306

3. Entropie, Niedrig-Entropie und der Wirtschaftsprozess . . . . . . . . . . . . . . . 309

4. Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . 313

5. Die Zangengriffkrise . . . . . . . . . . . . . . . 318


XI. Die Zukunft des Kapitalismus

1. Harry Shutts Vision eines regulierten, egalitären und globalen Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . 325

2. Einige Erfolgsgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . 331

3. Kann der Kapitalismus in einer schrumpfenden Wirtschaft überleben? . . . . . . . . . . . . . . . 338

a) Herman Dalys Steady-state-Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . 338

b) Elmar Altvaters solidarische Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . 342

4. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . 346


XII. Die Weltwirtschaftskrise des Jahres 2008

1. Der bisherige Verlauf der Krise . . . . . . . . . . . . . . . 350

2. Die unmittelbaren Ursachen der Krise . . . . . . . . . . . . . . . 353

3. Was ist eigentlich los?– Die tieferen Ursachen der heutigen Krise . . . . . . . . . . . . . . . 355

4. Perspektive 361

Anhang/Textverweise . . . . . . . . . . . . . . . 365

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 369

 



Leseprobe: Vorwort  (Quelle: Buchseiten 9-20)

In der Antiglobalisierungs- bzw. globalisierungskritischen Bewegung gibt es zwei sehr beliebte Slogans: „Eine andere Welt ist möglich“ und „Die Welt ist keine Ware“. Ich habe Zweifel, ob sich alle Aktivisten der Bewegung der Implikationen dieser Slogans wirklich bewusst sind. Die Rede ist hier von der Welt. Das heißt, man darf erwarten, dass die Aktivisten das Denken in den Grenzen der nationalen Interessen überwunden haben. Dann ist die Rede von einer anderen Welt, von der man träumt. Wie soll diese andere Welt aussehen? Da hilft uns der zweite Slogan. Hier wird Kritik an einem Wirtschaftssystem geäußert, in dem fast alles zur Ware geworden ist. Da die Warenförmigkeit von allen Gütern und Dienstleistungen ein Hauptmerkmal des Kapitalismus ist, darf man erwarten, dass die Aktivisten von einer nichtkapitalistischen Welt träumen. Mir war diese Bedeutung der Bewegung, an der ich seit 1997 (also beginnend mit der Anti-MAI-Kampagne) beteiligt bin, völlig klar, obwohl ich das aus Rücksicht auf reformistische Bündnispartner nicht thematisierte.

Aber in den folgenden Jahren zeigte sich – und es wurde mir auch von anderen Aktivisten vielfach klar gemacht –, dass die Mehrheit in der Bewegung, auch die Mehrheit ihrer führenden Leute, keine andere, also keine nicht-kapitalistische, Welt schaffen wollen. Sie wollen bloß die gegenwärtige, die globalkapitalistische Welt etwas besser, etwas gerechter, etwas sozialer, etwas ökologischer gestalten. Sie sind auch nicht gegen Globalisierung, sondern nur globalisierungskritisch. Das ist auch der Fall bei den anderen, mit der globalisierungskritischen Bewegung assoziierten sozialen Bewegungen: der Gewerkschaftsbewegung, der Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung, der Arbeitslosenbewegung, der Friedensbewegung, der inzwischen erlahmten Ökologiebewegung usw.

In all diesen sozialen Bewegungen gibt und gab es von Anfang an eine Minderheit – ich zähle mich selbst dazu –, deren Vision einer besseren/anderen Welt eine  nichtkapitalistische, klarer gesprochen, eine sozialistische ist. Einige Jahre lang nach dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Systeme in Osteuropa ab 1989 unterließen sie es, öffentlich von der Notwendigkeit einer sozialistischen Gesellschaft zu reden – vielleicht aus Angst, ausgelacht zu werden. Aber schon zehn Jahre später, bei den Anti-WTO-Demos in Seattle im Jahre 1999, konnten viele Leute die Meinung äußern, im Kapitalismus könne es keine Lösung auch nur eines einzigen gesellschaftlichen Problems geben. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte es bei großen Teilen der  Weltbevölkerung und deren Meinungsführern eine euphorische, feierliche Stimmung gegeben. Von einer möglichen großen Friedensdividende war die Rede. In Europa hörte man von dem „gemeinsamen Haus Europa“. Diese euphorische Stimmung war 1999 längst verflogen. Eine Serie von großen Wirtschaftskrisen (Osteuropa, Russland, Mexiko Ostasien, usw.), eine Serie von Kriegen und Bürgerkriegen, z.B. auf dem Balkan und in Ruanda, die zunehmende Armut und wirtschaftliche Unsicherheit von großen Teilen der Weltbevölkerung neben zunehmendem Reichtum einer Minderheit, Umwelt- und Naturkatastrophen, die große Zahl von Kriegs-, Umwelt- und Wirtschaftsflüchtlingen usw. – all das bestimmte das allgemeine Bild der Welt in und seit den 90er-Jahren. Man hörte in Seattle den Slogan „Let us smash capitalism“ (Lasst uns den Kapitalismus zerschmettern!). Viele waren davon überzeugt, dass eine andere Welt ist nicht nur möglich, sondern auch nötig ist. Dass der weltweite Sieg des Kapitalismus als Ideologie (obwohl nicht als konkretes System) von solch kurzer Dauer sein würde, dass man schon im Jahre 2000 von seinem Scheitern reden würde, konnte man sich 1989 noch nicht vorstellen.

Das ist aber inzwischen der Fall. Davon sind viele Leute so überzeugt, dass sie nach einer Alternative fragen. Aber gibt es überhaupt eine Alternative? Sollen wir eine Alternative zum Kapitalismus suchen oder Alternativen für Teilbereiche in ihm? In unseren neuen sozialen Bewegungen sind die meisten, wie oben gesagt, Reformisten, weil es ihrer Meinung nach (leider) keine Alternative zum Kapitalismus gibt. Diejenigen, die den Kapitalismus überwinden wollen, die Radikalen, arbeiten mit ihnen zusammen. Denn auch eine bloße Linderung der Leiden ist ein erstrebenswertes Ziel, zumal sie die Gewissheit der Vergangenheit verloren haben, dass die Gesetze der Geschichte die Menschheit zum Sozialismus oder Kommunismus oder zu irgendeiner höheren, besseren Gesellschaftsform führen würden und dass sie selbst nur die Werkzeuge der Geschichte seien.

Im Jahre 1999 hielt ich auf einer Versammlung von solchen Aktivisten, also Sozialisten, einen Vortrag über den Inhalt meines damals gerade erschienenen Buches Eco-Socialism or Eco-Capitalism? (1999). Sie waren mit keiner meiner, von ihren alten, hehren Positionen abweichenden Hauptthesen einverstanden. Auf dem Heimweg fragte ich ein führendes Mitglied einer kleinen trotzkistischen sozialistischen Partei, woher er denn die Erwartung ableite, der Kapitalismus würde irgendwann in eine so schwere Krise geraten, dass die organisierte Arbeiterklasse, trotz ihrer bisher enttäuschenden Geschichte, ihn endlich wegfegen würde. Die große Mehrheit der Arbeiter, sogar der Arbeitslosen, lebte doch ganz gut im hoch entwickelten Kapitalismus. Dieses System habe doch bis jetzt, zumindest in den hoch entwickelten Industrieländern, alle Krisen gemeistert, selbst die Große Depression von 1929–1933 und den zerstörerischen Zweiten Weltkrieg. Der Genosse konnte keine klare Antwort geben.

Ein anderes Mal, auch im Jahre 1999, sagte mir ein anderer sozialistischer Freund, was die Analysen und die Zukunftsperspektive betreffe, hätte ich recht. Doch wer solle den Ökosozialismus verwirklichen? Erst wenn die Arbeiterklasse die Macht ergriffen und die Produktionsmittel sozialisiert habe, werde sie begreifen, dass die heutige Industriegesellschaft per se, und erst recht eine weiter wachsende industrielle Ökonomie, die Umwelt total zerstören werde. Und dann, befreit von den Profit- und Wachstumszwängen des Kapitalismus und von der Macht der Kapitalisten, werde es der Gesellschaft auch möglich sein, die Wirtschaft ökologisch/nachhaltig zu gestalten. Also mit einem Wort: Zuerst muss der Kapitalismus überwunden werden; erst dann gibt es die Hoffnung auf eine Entwicklung hin zum Besseren. Das ist, rein logisch betrachtet, überzeugend. Aber auch dieser Freund konnte die Frage nicht beantworten, welches Interesse die Arbeiterklasse der reichen Industrieländer haben könnte, den Kapitalismus zu beseitigen zu versuchen, in dem sie heute, zumindest in ihrer großen Mehrheit, ganz gut lebt.

Noch früher hatte ich die gleiche Frage an einen führenden Genossen einer anderen trotzkistischen sozialistischen Kleinpartei gestellt. Auch damals bekam ich keine klare Antwort. Dieser konnte mir aber auf eine andere Frage eine überzeugende Antwort geben. Er meinte, es sei schon jetzt notwendig, eine revolutionäre sozialistische Partei aufzubauen. Denn sonst werde es, wenn die kapitalistische Gesellschaft schließlich in eine große Krise gerate, wenn sie früher oder später zusammenzubrechen drohe – was er selbstverständlich erwartete –, keine Kraft geben, den Kapitalismus wegzufegen und eine andere Welt aufzubauen.


Das Verhältnis der marxistischen Linken zur Krise des Kapitalismus ist seltsam: Seit über hundert Jahren erwarten sie die finale Krise bzw. den Zusammenbruch des Kapitalismus. Hunderte von Büchern und Tausende von Aufsätzen haben sie darüber geschrieben, aber die finale Krise kommt nicht. Bei meiner Lektüre der einschlägigen Literatur fand ich Beschreibung und Analyse der ersten, zweiten, dritten und der jüngsten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus (siehe z.B. Varga 1962, Kuczynski 1977). 1962 – in einer Zeit, in der westliche Ökonomen von einem langen Boom, ja gar von Wirtschaftswundern, redeten, prognostizierte Eugen Varga, der berühmte marxistische politische Ökonom und Theoretiker der damaligen Sowjetunion:


„Wir dürfen ... , als etwas sehr Wahrscheinliches, voraussagen, dass das zwanzigste Jahrhundert das letzte Jahrhundert des Kapitalismus sein wird. Bis Ende des Jahrhunderts wird es entweder überhaupt keinen Kapitalismus mehr geben oder es werden nur unwesentliche Reste davon übrigbleiben.“ (Varga 1962: 15 6)


Und Jürgen Kuczynski, der große marxistische Gelehrte aus der DDR, fand 1977, dass die seiner Meinung nach „zyklische Überproduktionskrise“, die damals den Kapitalismus in den Industrieländern plagte, „die innerhalb der allgemeinen Krise des Kapitalismus wirkenden Widersprüche zuspitzte“ (1977: 40). Er schlussfolgerte:


„Wir verkünden, dass die allgemeine Krise des Kapitalismus so weit fortgeschritten ist, dass wir – wenn wir einen großen Krieg und die besonderen Faktoren, die er hervorbringt, verhindern können – mit einem Zerfallsprozess des Kapitalismus rechnen können, der nur durch kurze Ausbrüche des Lebens unterbrochen sein wird.“ (Kuczynski 1977: 14 0)


Wie wir wissen, lagen beide, Varga und Kuczynski, völlig falsch mit ihrer Prognose bzw. ihren Schlussfolgerungen. In der Zeit nach 1977 hat es in der kapitalistischen Welt mehrere Krisen gegeben – Börsencrashs, Finanzkrisen, Wirtschaftskrisen, Schuldenkrisen der Dritten Welt usw. Sie kamen und gingen, wie viele andere Krisen vor ihnen. Aber weder war das 20. Jahrhundert das letzte Jahrhundert des Kapitalismus, noch befand sich dieser in einem Zerfallsprozess. Im Gegenteil, es war die Welt der sozialistischen Industrieländer, die im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zusammenbrach.

Bei den Krisen der 1980er- und 1990er-Jahre konnte man in manchen linken Kreisen jedes Mal die Hoffnung wahrnehmen, dass der Kapitalismus, wie es Kuczynski prognostiziert hatte, endlich in einen Zerfallsprozess eingetreten sei. Ausdrücke wie „the Party is over“ und „Titanic“ wurden benutzt (Garnreiter et al. 1998: 32 , 37). Aber jedes Mal ernteten sie, nach dem darauffolgenden erfolgreichen Krisenmanagement und der Erholung, den Spott der bürgerlichen Kommentatoren, denn die „kurzen Ausbrüche des Lebens“, die Kuczynski prognostiziert hatte, waren gar nicht so kurzlebig. In den USA sprach man von den „roaring Nineties“ (die boomenden Neunziger), und die große ostasiatische Krise von 1997–1998 konnte der übrigen kapitalistischen Welt nicht viel anhaben.


Erst Anfang des 21 . Jahrhunderts und in den folgenden Jahren kam eine echte Krisenstimmung auf, die sich nicht verflüchtigen will. Im Gegenteil, sie vertieft sich. Aber nicht so sehr wegen der Verschärfung der inneren Widersprüche des Kapitalismus, von denen die Marxisten seit jeher sprechen und die es tatsächlich gibt, nicht wegen der Konflikte unter den nationalen Staatsmonopolkapitalismen, unter den imperialistischen Blöcken, zwischen den Metropolen und den ehemaligen Kolonien, Halb-Kolonien und den heutigen Schwellenländern, oder zwischen der Arbeiterklasse und der Kapitalistenklasse (obwohl aus solchen Gründen eine ganze kapitalistische Wirtschaft, die von Argentinien, zusammenbrach). Nein, die wichtigste Ursache dieser Krisenstimmung ist etwas ganz anderes, etwas, was sich die Marxisten und die sonstigen Linken nie zuvor als eine Krisenursache haben vorstellen können, nämlich die globale Erwärmung, die zu Klimakatastrophen und vielfältigen zerstörerischen ökologischen Krisen (zusätzlich zu der alltäglichen globalen Umweltverschmutzung und -degradierung) führt und in Zukunft verstärkt führen wird. Gleichzeitig – und das ist die zweitwichtigste Ursache der Krisenstimmung – bewahrheitet sich eine Prognose von Dennis Meadows und seinen Mitautoren, die 1972 in ihrem Buch Grenzen des Wachstums von der allmählichen Erschöpfung der billigen Vorräte der nicht erneuerbaren Ressourcen sprachen. Wie wir wissen, steigt schon seit Anfang des 21 . Jahrhunderts der Weltmarktpreis von Erdöl, des wichtigsten Energiestoffs der industriellen Wirtschaften, kontinuierlich. In einschlägigen Kreisen wird über peak oil (Ölfördermaximum) diskutiert. Viele sagen eine große Krise voraus, wenn Öl unerschwinglich geworden ist. Man redet schon vom bevorstehenden Ende des Ölzeitalters. Auch der Weltmarktpreis von Erdgas, Kohle und wichtigen Industriemetallen steigt seit ein paar Jahren. Was noch schlimmer ist: Es steigen weltweit auch die Lebensmittelpreise seit 2007.

Diese doppelte Krise (ich nenne sie Zangengriffkrise; vgl. weiter unten, Kap. IX, 2, e) stellt nicht bloß die Krise des Kapitalismus dar, als die sie die meisten Linken gerne sehen möchten, sondern sie wird langfristig unweigerlich auch der Industriegesellschaft an sich ein Ende bereiten. Das wird geschehen, ob es uns gefällt oder nicht. Auch eine echt sozialistische Industriegesellschaft würde daran zugrunde gehen. In meinem Buch Die nachhaltige Gesellschaft (2001) habe ich meine These dargelegt, dass die sozialistische Industriegesellschaft der ehemaligen Sowjetunion hauptsächlich an der ökologischen und Ressourcen-bedingten Krise gescheitert ist.

Nun, eine sozialistische Gesellschaft muss keine industrielle sein. Es gibt dafür keinen zwingenden Grund. Aber, wie der oben zitierte Freund sagte, die Arbeit am Übergang zu einer nichtindustriellen, nachhaltigen Gesellschaft könnte vielleicht gar nicht anfangen, solange der Kapitalismus nicht überwunden ist. Die Frage lautet nun: Ist es denn möglich oder wahrscheinlich, dass der Kapitalismus an einem oder mehreren seiner von Marxisten genannten inneren Widersprüchen zusammenbricht, bevor uns noch schwerere Ressourcenkrisen und noch größere ökologische und Klimakatastrophen als die schon heute zu beobachtenden treffen? Oder ist es möglich oder wahrscheinlich, dass ihn die Arbeiterklasse von mehreren großen, wichtigen und mächtigen Ländern bei einer großen Krise aus eigenem Interesse auf dem Weg des Klassenkampfs wegfegen würde, um dann den Weg für die Arbeit an einem geordneten und friedlichen Übergang zu nachhaltigen, besseren, gerechten Gesellschaften freizumachen, bevor die heutige Zivilisation im globalen Chaos und vielfältigen Kriegen und Zerstörungen endet? Auf den Ruinen der heutigen Zivilisation würde es wohl nicht möglich sein, eine nachhaltige und sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Dann würde den Überlebenden wohl einfach die notwendige Kraft dazu fehlen.

Es ist nicht leicht, diese Fragen heute zu beantworten. Aber wir, sowohl Reformisten als auch Radikale, müssten uns intensiv damit befassen, um uns Klarheit über die Lage zu verschaffen und unsere politische Arbeit daran zu orientieren. Noch spezifischer formuliert: Es ist wichtig zu verstehen, warum der Kapitalismus noch nicht zusammengebrochen ist, warum bisherige Versuche scheiterten, ihn auf dem Weg des Klassenkampfes zu beseitigen, warum der nach dem Zweiten Weltkrieg in den reichen Industrieländern aufgebaute Sozialstaat (Wohlfahrtsstaat) und die soziale Marktwirtschaft wieder abgewickelt werden, warum der Keynesianismus, der in den 1950er- und 1960er-Jahren als die Heilslehre galt, wieder verworfen wurde, usw. Eine Antwort auf jede dieser Fragen (und weitere relevante Fragen) ist notwendig, um sich darüber eine Meinung bilden zu können, ob unser jeweiliges mittelfristiges Projekt eine Erfolgschance hat oder nicht, ob unsere jeweilige langfristige Zielvorstellung einigermaßen realistisch ist oder völlig utopisch im negativen Sinne.

Ich bin diesen Fragen nachgegangen. Um die Theorien und Sachverhalte, die mit der Krise oder den Krisen des Kapitalismus zusammenhängen, besser verstehen zu können, habe die relevanten Teile der Volkswirtschaftslehre bzw. der politischen Ökonomie studiert. Auf der Grundlage des so angeeigneten Wissens bin ich zu gewissen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen gekommen, die ich mit dieser Studie mit den Menschen teilen will, die auch eine andere, bessere Welt zu schaffen versuchen. Ich meine, nicht nur meine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen, sondern auch das hier zusammengefasst präsentierte ausgewählte Wissen aus der Volkswirtschaftslehre und politischen Ökonomie werden solchen Menschen nützlich sein.


Ich bin mir dessen bewusst, dass einige meine Qualifikation für eine solche Studie in Frage stellen könnten, da ich doch kein ausgebildeter Ökonom bin. (In Bezug auf meine Ausführungen über die Energiebilanz der Solarenergie-Technologien in meinem vorigen Buch [Sarkar 2001] habe ich schon eine ähnliche Frage gehört: Wie konnte ich mir anmaßen, über das Thema schreiben zu können, wo ich doch kein Physiker bin? Meine Berechtigung, über die Krise(n) des Kapitalismus zu schreiben, ist meine Beobachtung, dass die meisten Fachökonomen der Welt den wichtigsten Aspekt des Themas Krise des Kapitalismus, ja Krise aller industriellen Wirtschaften, nicht verstanden haben. Um mich kurz zu fassen, berichte ich hier nur von der Kritik von zwei zu einer kleinen Minderheit gehörenden berühmten Fachökonomen, von denen ich eine Menge über die ökologische Ökonomie gelernt habe. Kenneth Boulding, der einmal Vorsitzender der American Economic Association war, schrieb: „Jedermann, der glaubt, dass in einer begrenzten Welt exponentielles Wachstum immer währen kann, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.“ (zit. nach Heinberg 2003: 167). Es ist leider eine Tatsache, dass die meisten Fachökonomen so etwas glauben. Die zweite Kritik kommt von Nicholas Georgescu-Roegen, der über den berühmten Paul Samuelson berichtete, dass dieser in der letzten von ihm allein verfassten Auflage seines gefeierten Lehrbuches Economics die Meinung vertrat, die Wissenschaft könne vorübergehend das Entropiegesetz außer Kraft setzen (Georgescu-Roegen 1987: 17). Jeder gute Naturwissenschaftler weiß, dass das unmöglich ist. Auch in der jüngsten Zeit sahen sich einige junge kritische Fachökonomen gezwungen, einen Arbeitskreis mit dem Namen Arbeitskreis Post-Autistische Ökonomie zu gründen. Zwei Thesen aus ihrer Kritik (2004) an den heutigen Wirtschaftswissenschaften lauten: „Das Menschenbild des Homo oeconomicus ist autistisch“; und „Die Wirtschaftswissenschaften verschreiben sich der Einhaltung formaler Regeln. Die Urteilskraft in der Bewertung realer wirtschaftlicher Zusammenhänge nimmt dadurch ab.“ (Hervorhebung von mir). Auch manche Wirtschaftsjournalisten haben ihren vormals üblichen Respekt vor Fachökonomen verloren. Zum Beispiel schreibt Markus Sievers in der Frankfurter Rundschau:


„Mit den Ökonomen, speziell in Deutschland, ist es so eine Sache. Gerne erstellen sie, vor allem wenn die Bezahlung stimmt, wissenschaftliche Studien mit komplizierten Modellen ... .Meist verspricht der Titel viel und liefert das Werk wenig. Fast immer bleibt der Erkenntnisgewinn deutlich hinter wissenschaftlichem Anspruch und branchenüblichem Honorar zurück.

Der Beirat des Wirtschaftsministers macht hier keine Ausnahme. Von Neugier und der Lust, Neues und Ungewohntes zu entdecken, lassen sich auch diese Ökonomen nicht in Gefahr und aus der Spur bringen.  Wie soll Deutschland auf die Globalisierung reagieren? Löhne senken, Arbeitsmarkt flexibilisieren, Kündigungsschutz lockern. Ach ja, für Innovationen solle auch etwas getan werden.

Diese Erkenntnis haben 25 Professoren zustande gebracht. Darauf hätte, mit Verlaub, auch Lieschen Müller kommen können.“
(Sievers 2006)


Ich habe keine Angst, mich in Gefahr zu bringen. Ich denke, ich habe in diesem Werk eine Menge Neues und/oder Ungewohntes präsentiert.

Es gibt noch einige schwerwiegende Gründe dafür, dass wir uns nicht ganz auf Fachökonomen verlassen können und uns unsere eigene Meinung bilden müssen. Erstens geht es bei den meisten Fragen, über die im Zusammenhang mit dem Thema dieses Buches gestritten werden, letztlich um Wertfragen. Wissenschaftler können uns mit ihrem Wissen behilflich sein. Aber Wertentscheidungen sind nicht Sache der Wissenschaftler als Wissenschaftler. Zweitens bezweifle ich nicht, dass reine Wissenschaftlichkeit möglich ist. Sie ist auch in den Sozialwissenschaften möglich, und Sozialwissenschaftler können objektiv wissenschaftliche Erkenntnisse äußern. Aber sie sind auch Menschen, sie können Fehler machen, und sie haben als Menschen auch private, Gruppen- und Klasseninteressen, wofür sie ihren Status und ihre Macht, bewusst oder unbewusst, einsetzen. Besonders bei polit-ökonomischen Fragen haben sie eine Menge Macht. John Maynard Keynes war überzeugt, dass die Welt durch nicht viel anderes beherrscht wird als durch die Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen. „Praktiker“, schrieb er, „sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen“ (zit. nach Koesters 1985: 254 ). Ökonomen lassen sich auch von Machthabern und Interessengruppen anheuern, wodurch sie oft ihre Meinungsfreiheit verlieren. Oder sie werden bereitwillig zu Soldaten für die eine oder andere Seite im Klassen- oder Konkurrenzkampf und legitimieren die Politik ihrer Seite mit Hilfe zweckentsprechender Theoriebildung. Das war auch der Fall bei der Arbeitswertlehre von Marx. C. George Caffentzis, ein amerikanischer marxistischer Philosoph, schreibt im Kontext seiner Verteidigung der Marx’schen Theorie:


„Marx’s Theorie der Maschinen wurde bei einem politischen Kampf eingesetzt; sie war nicht das Resultat von irgendeinem suprahistorischen, aprioristischen Vernunftsschluss. Theoretisch hätte Marx bei seiner Auffassung von Maschinen andere Wege gehen können und dennoch antikapitalistisch bleiben können. Zum Beispiel hätte er argumentieren können, dass Maschinen Wert schüfen, dass dieser Wert aber das Produkt von allgemeiner sozialer und wissenschaftlicher Arbeit sei, das nicht von der kapitalistischen Klasse angeeignet werden dürfte. So eine Position wurde in der Tat im frühen 20. Jahrhundert von Veblen und anderen eingenommen, . . .

Die Wurzel von Marx’s Theoriewahl gegen die Position, dass Maschinen Wert schaffen, lag in der komplexen politischen Situation, mit der er und sein Flügel der Arbeiterbewegung Westeuropas konfrontiert waren . . .

Angesichts der aus der Tiefe des Systems aufkommenden ideologischen Attacke [nämlich, dass Maschinen Wert schüfen und Arbeiter nicht so wichtig seien] brauchte Marx eine direkte Erwiderung. Diese bestand darin, ... darauf zu verweisen, dass das Kapital – ungeachtet alles Donnerns seiner Dampfhämmer, ungeachtet des furchterregenden Schweigens seiner Chemiewerke – nicht ohne Arbeit auskommen kann. Arbeit ist nicht die einzige Quelle des Reichtums, aber sie ist die einzige Quelle des Werts. Das Kapital war also auf Leben und Tod gebunden an die Arbeiterklasse, egal welche Kräfte es auch immer freisetzte, die zu einer Art Produktion ohne Arbeit führten. Das war die politische Karte, die Marx im politischen Spiel gegen die ideologische Erstickung der Maschinegleich-Kapital-Metapher spielte. Sie stellte sich als eine nützliche heraus, nicht nur bei den Kämpfen der 1860er-Jahre.“
(Caffentzis 1997: 42 –45)


Auf die Kritik der Arbeitswertlehre von Marx werde ich im Kapitel X eingehen. Hier wollte ich nur zeigen, dass auch der große Marx nicht allein durch die pure Erkenntnissuche motiviert war.

Drittens, wie Lawrence R. Klein (1947: 31 ), ein ausgebildeter Ökonom und Autor des vermutlich ersten Buches über die Keynes’sche Ökonomik, schrieb: „ ... praktische Ökonomik ist einfach gesunder Menschenverstand, während theoretische Ökonomik ‚schwierig gemachter gesunder Menschenverstand‘ ist.“ Aber zumindest Volkswirtschafts- (und politische) Theorien sind nicht so schwierig, dass ein durchschnittlich intelligenter Mensch sie nicht als Autodidakt außerhalb eines Universitätsstudiums erlernen kann. Man muss dafür nicht alle die Originalwerke der großen Meister lesen. Ein Physiker muss ja auch nicht die Originalwerke von Newton und Galilei gelesen haben. Viertens: Außer den exakten Naturwissenschaften gibt es kaum eine Wissenschaft, in der unter den Adepten bei allen Fragen Konsens herrscht. Selbst bei den exakten Naturwissenschaften, besonders wenn es um deren Anwendung geht, gibt es große Meinungsunterschiede, z.B. bei der Anwendung von Chemikalien in Landwirtschaft und Medizin und bei der Frage der Wirtschaftlichkeit oder Lebensfähigkeit der Solarenergie-Technologien. In solchen Fällen müssen sich informierte Laien ihre eigene Meinung bilden, besonders wenn die betreffenden Fragen politische und lebensphilosophische Relevanz haben. Schließlich geht Politik, insbesondere Wirtschaftspolitik, jeden an. Wirtschaftspolitik ist zu wichtig, als dass sie Fachökonomen und Politikern überlassen werden könnte. Und zu guter Letzt sollten wir uns die Geschichte über des Kaisers neue Kleider in Erinnerung rufen. Es war ein Kind, weder die Minister noch Textilienexperten, das es merkte und zu sagen wagte, dass der Kaiser nackt war.


Der Autor eines theoretischen oder Sachbuches fragt sich schon am Anfang der Arbeit, für welche potentielle Leser er schreibt. Im Falle dieses Buches ist es klar: Ich schreibe in erster Linie für politische Aktivisten, die eine andere, bessere Welt zu schaffen versuchen, die aber meiner Meinung nach zu viele Illusionen hegen und zu vielen falschen Theorien anhängen. Gerade solche Leute brauchen theoretische Klarheit und objektives Wissen um die Lage der Welt. Ich denke, dass auch Menschen, die keine politischen Aktivisten, wohl aber allgemein an polit-ökonomischen Fragen interessiert sind, dieses Buch interessant und informativ finden werden. Fachökonomen werden hier zwar vieles finden, was sie schon wissen. Aber auch sie sollten das Buch lesen, wenn sie an einer neuen Kritik der politischen Ökonomie interessiert sind. Während meiner langjährigen Teilnahme an sozialen und politischen Bewegungen, sowohl in Indien als auch in Deutschland, habe ich die Erfahrung gemacht, dass Aktivisten bald zu Fachaktivisten werden. Ein Friedensaktivist ist dann nur noch ein Friedensaktivist. Er weiß viel über das Thema Krieg und Frieden, aber z.B. kaum etwas über den Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie. Ein Umweltschützer, der viel über die Qualität des Wassers in Deutschland weiß, weiß z.B. kaum etwas über die wahren Ursachen von Kriegen. Und so weiter. Das ist nicht gut. Haben wir nicht in den 1980er-Jahren gehört, dass alles mit allem zusammenhängt, dass wir holistisch, vernetzt denken sollen? Das ist immer noch richtig. Und darum sollten sich alle politischen Aktivisten – besonders in einer Zeit, in der die Menschheit von Klimakatastrophen, Umweltzerstörungen, Ressourcenkriegen, Flüchtlingsströmen, Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut usw. bedroht ist – einige Grundkenntnisse über politische Ökonomie erwerben. Dieses Buch will dazu beitragen und tut dies dadurch, dass es die wichtigste Frage der politischen Ökonomie erörtert. Es soll auch als eine Art kritische Einführung in die Theorien über die Krise des Kapitalismus betrachtet werden.


Aus diesem Grund besteht ein Großteil des Buches aus sozusagen diskursiven Referaten über eine Auswahl von mehr oder weniger ernsthaften Wirtschaftskrisen und Krisentrends des 20. Jahrhunderts und der Anfangsjahre des 21. und über die wichtigeren widerstreitenden bürgerlichen Theorien, die zur Erklärung der Krisen konstruiert wurden und aus denen heraus Wirtschaftspolitiken vorgeschlagen wurden, die den Kapitalismus frei von schweren Krisen machen und stetiges Wachstum sichern sollen. Ich habe auch, gegebenenfalls, immer meine Kritik und Zweifel an diesen Theorien und ihren Politikempfehlungen präsentiert. Bürgerliche Wirtschaftstheorien sehen keine Möglichkeit einer Wirtschaftskrise, die zum Zusammenbruch des Kapitalismus führen könnte, sehr wohl aber die marxistische(n) Wirtschaftstheorie(n). Darum bietet bereits das erste Kapitel eine Präsentation der marxistischen Krisentheorien.

Unter den bürgerlichen Theorien habe ich dem Keynesianismus den meisten Platz gewidmet. Das habe ich getan, weil er nach der traumatischen Erfahrung der Großen Depression der 1930er-Jahre, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, als eine Heilslehre rezipiert wurde, die angeblich den langen Nachkriegsboom ermöglichte. Der Keynesianismus versprach, den Kapitalismus künftig ganz krisenfrei und auch sozial gerecht zu machen. Um so schockierender war es also, als er Mitte der 1970er-Jahre scheiterte. Die Geschichte des Aufstiegs und Niedergangs des Keynesianismus und der fortdauernden Kontroversen zwischen den Monetaristen und Neoliberalen einerseits und den Restkeynesianern andererseits ist nicht nur faszinierend, sondern auch sehr aufschlussreich für die Beantwortung unserer weiter oben formulierten Kernfrage.

In den drei Kapiteln vor dem Schlusskapitel habe ich die enge Sicht der Krise des Kapitalismus – nämlich Krise gleich Wirtschaftskrise – verlassen und weitere Aspekte und mein Verständnis der Krise des Kapitalismus sowie tiefer gehende Fragen unseres Themas behandelt. Im Schlusskapitel habe ich über einige Visionen des reformierten Kapitalismus und einige Erfolgsgeschichten referiert und dargelegt, warum sie mich nicht überzeugen.


Die Wissensbasis eines jeden Autors ist das Ergebnis der Erkenntnissuche von Tausenden von Forschern und der Arbeit von vielen anderen Autoren. Wenn er etwas Neues oder Ungewohntes zu sagen hat, dann ist das nur auf der Basis dieses akkumulierten Wissens möglich geworden. Das trifft auch auf dieses Buch zu. Darum möchte ich hier all den Autoren – Wissenschaftlern, Publizisten und Journalisten – aufrichtig danken, von deren Arbeiten ich so viel gelernt habe. Hier kann ich sie nicht alle nennen; sie sind zu viele. Ihre Namen sind in der Bibliographie zu finden. Ich möchte hier auch einigen namentlich unbekannten Kritikern danken, die mich bei meinen Vorträgen auf einige Lücken in meinem Wissen und einige Schwächen in meiner Argumentation aufmerksam gemacht haben.


Einigen Freunden möchte ich aber besonders und namentlich danken: Bruno Kern, meinem Genossen bei der politischen Arbeit für eine ökosozialistische Gesellschaft, der den ganzen Text sprachlich redigiert hat und einen sehr großen Teil der mit der Produktion des Buches zusammenhängenden Arbeit geleistet hat; Bob Tatam, meinem britischen Freund und politischen Sympathisanten, der mir regelmäßig für das Buch relevante Artikel aus der britischen Presse besorgt hat; Heide und Hermann Huber, die mir auf vielfältige Weise geholfen haben, Heide besonders bei der Gestaltung des Buchumschlags; und, last but not least, meiner Frau Maria Mies, ohne deren moralische und materielle Unterstützung ich die Arbeit gar nicht hätte anfangen können.
 



Das Buch kann bezogen werden über:


Dr. Bruno Kern > Mombacher Straße 75 A > 55122 Mainz
Tel.: 06131 – 23 64 61
E-Mail: fackelkraus@gmx.de

Als PDF-Datei ist es auch auf der Website der "Initiative Ökosozialismus" verfügbar - bitte hier klicken