Die Schweiz ist Spitzenreiterin bei den Retouren

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Die Schweiz ist Spitzenreiterin bei den Retouren
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Die Schweiz ist Spitzenreiterin bei den Retouren.

Der Skandal mit der schnelllebigen Wegwerf-Mode

Von Pascal Derungs, Zürich | für die Online-Zeitung INFOsperber

85 Prozent der zurückgegebenen Kleider landen auf Deponien oder werden verbrannt. Die meisten Menschen schauen darüber hinweg. Doch die US-Journalistin und Autorin Rachel Greenley ließ sich temporär als Lagerarbeiterin anstellen, um die Auswirkungen unserer Gewohnheiten beim Kleiderkauf an der Front zu erleben.

Am 25. November hat sie in DNYUZ und in der New York Times über ihre Erfahrungen berichtet.

«Ich bin Saisonarbeiterin im Lager eines Online-Supermarktes. An fünf Tagen in der Woche verdiene ich 18,75 Dollar pro Stunde, während ich an einem Stehpult mit gelben Behältern voller zurückgegebener Kleidung stehe. Meine Aufgabe ist es, in weniger als zwei Minuten zu entscheiden, ob ein Kleidungsstück weiterverkauft werden soll.»

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► Umsatzbolzerei führt zu Verschleuderung

Rachel Greenley schildert anschaulich die Mühsal dieser manchmal abstoßenden Sortierarbeit mit getragener Kleidung. Vor diesem Knochenjob hatte sie in der Teppichetage desselben Online-Supermarktes gearbeitet. Sie hatte Unternehmensstrategien entwickelt, die auf die Steigerung von Tempo und Umsatz zielten. Dann wechselte sie ins Warenlager, um herauszufinden, wie sich diese Strategie an der Front auswirkt, dort, wo die Retoursendungen bearbeitet werden. Ihre Erkenntnis:

«In Realität bewirkt das eine Flut von schnell produzierter billiger Fast-Fashion, oft aus synthetischen Stoffen, meist aus chinesischer Produktion.» Schnell beginnt sie, sich selbst zu hinterfragen: «Warum kaufen wir Wegwerfkleidung, die von Niedriglohnarbeiterinnen hergestellt wird und die eine bereits überlastete Umwelt belastet?»

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► Wegwerf-Mode bedeutet Ausbeutung von Menschen und Natur

Greenley führt in ihrem Artikel statistische Daten eines Interessenverbandes an: «Von den 75 Millionen Beschäftigten in der globalen Bekleidungsindustrie können geschätzt keine 2 Prozent von ihrem Lohn leben.»

Die grassierende Ausbeutung in der Fashion-Industrie betrifft nicht nur die Arbeitnehmerschaft, sondern auch die Umwelt. «Immer mehr Modemarken berufen sich auf Nachhaltigkeit, doch Fast Fashion ist schlicht inkompatibel mit Nachhaltigkeit», bilanziert die Autorin und rechnet vor:

«Stellen Sie sich die Wirtschaftlichkeit eines 26.99 Dollar teuren Leibchens der chinesischen Marke ‹SweatyRocky› vor. Wie kann dieser Preis die Kosten des Materials, der Arbeit, des weltweiten Transports und der Auslieferung bis an ihre Haustür decken? Ganz zu schweigen von den Kosten der möglichen Retoursendung ins Lagerhaus, wo jemand herausfinden muss, ob Sie das Leibchen getragen haben, als Sie mit dem Hund Gassi gingen? Wenn das Leibchen im Container für unverkäufliche Ware landet, kann es auf einer Abfalldeponie enden, wo das Polyester 200 Jahre benötigt, um sich biologisch abzubauen.»

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Rachel Greenley verweist auf die Studie einer Umweltschutzorganisation von 2018, wonach weltweit jedes Jahr 66 Prozent der ausgemusterten Kleider auf Deponien landen und weitere 19 Prozent verbrannt werden. Recycling und echte Nachhaltigkeit spielen in diesem Drama nur kleine Statistenrollen. Greenley bringt die Unverantwortlichkeit solchen Wirtschaftens auf den Punkt: «Wir handeln im Glauben, dass wirtschaftliches Wachstum unbeschränkt ist, doch unsere natürlichen Ressourcen sind das nicht.»

► Schweiz ist Europameister bei der Retourenquote

Das Logistikunternehmen DPD liefert in über 30 Länder und hat 2021 erstmals die länderspezifischen Retourenquoten erfasst. Die Schweiz ist Spitzenreiterin: 27 Prozent der ausgelieferten Waren wurden retourniert, wie der Tages-Anzeiger am 3.12.2022 berichtet. Es zeichne sich auch dieses Jahr ab, dass die Schweiz obenaus schwinge, heißt es bei DPD. Das erkläre sich vor allem durch die finanziellen Anreize und die Einfachheit von Rücksendungen. 

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Auch der «Handelsverband.swiss» hat bei seinen Mitgliedern im Jahr 2021 eine durchschnittliche Rücksendequote errechnet. Mit 22,5 Prozent liegt sie nur leicht tiefer als in der Analyse von DPD. Kleider machen über den ganzen hiesigen Onlinehandel gesehen den größten Anteil der Retouren aus. Dies hat die «Onlinehändlerstudie 2022» der Hochschule Luzern und der Schweizerischen Post ergeben.

Generell haben Onlineshops, die primär Kleider und Accessoires verkaufen, die höchste Retourenquote: Jeder fünfte Artikel geht wieder zurück. Das ist nur der Durchschnitt, es gibt riesige Unterschiede. Bekannt für seine absurde Retourenquote ist der Online-Riese Zalando, wo die Hälfte der bestellten Ware zurückkommt, wie der Tages-Anzeiger berichtet. Das hat nicht primär mit schlechter Warenqualität zu tun, sondern mehr mit der Erwartungshaltung der Kundschaft und deren Einkaufsstrategie.

Knapp die Hälfte der Onlineshopper planen das Zurückschicken bereits bei der Bestellung mit ein, indem sie mehrere Artikel gleichzeitig ordern, um den besten herauspicken zu können. Dies geht aus dem «E-Commerce-Stimmungsbarometer 2022» von der 'Zürcher Hochschule für Wirtschaft' (HWZ) und der 'Schweizerischen Post' hervor. Die Studie untersucht die Gewohnheiten und Präferenzen von über 12’000 Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten. Die Auswirkungen auf Verkehr und andere Umweltbelastung hat diese Studie nicht untersucht.

Pascal Derungs, Zürich >> paderungs@bluewin.ch


Bitte die 3 nachfolgenden Dokumentationen anschauen!

► Die billige Welt von H&M (Dauer 28:37 Min.)

H&M ist ein Gigant in der Textilindustrie. Das Erfolgsprinzip der Schweden: Modische Kleidung zu kleinen Preisen. Doch wie sozial kann H&M bei diesen Niedrigstpreisen tatsächlich produzieren? . . Seit dem Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes im April 2013 mit 1.135 Toten und 2.438 Verletzten in Bangladesch haben viele der großen Ketten versprochen, auf mehr Sicherheit in den Fabriken zu achten. Unterstützt wurde dies auch von H&M. Der Film macht eine Reise von Europa über Asien bis nach Afrika und versucht zu zeigen, was sich hinter den Kulissen der Zulieferer verbirgt. Die Autoren stellen auch die Frage nach der Verantwortung des Auftraggebers H&M.

► Fast fashion - The shady world of cheap clothing | DW Documentary (Dauer 42:26 Min.)

Fast Fashion hat die Textilindustrie radikal verändert. Heutzutage werden jedes Jahr 56 Millionen Tonnen Kleidung verkauft. Doch billige Kleidung hat einen hohen Preis: Eine prekäre Existenz für die Arbeiter und katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt.

Die Bekleidungsindustrie überschwemmt derzeit den Planeten mit Kleidungsstücken. Mit 100 Milliarden produzierten Kleidungsstücken pro Jahr ist das mehr als je zuvor. Internationale Unternehmen befinden sich in einem ständigen Wettlauf um neue Stile und höhere Gewinne.  Und diese gigantische Expansion wird sich fortsetzen: Prognosen zufolge wird der Sektor bis 2030 um 60 Prozent wachsen.

Auf der einen Seite bedeutet Fast Fashion erschwingliche Kleidung für alle. Zara ist als die ursprüngliche Fast-Fashion-Marke bekannt. Der spanische Bekleidungsriese kreiert jedes Jahr 65.000 neue Modelle.

Das Einkaufen von Kleidung ist zu einer regelrechten Freizeitbeschäftigung geworden, die durch die sozialen Medien angeheizt wird: Die Hälfte aller Instagram-Posts hat mit Mode und Schönheit zu tun. Auf diese Weise beeinflussen die Marktführer der Fast Fashion das Kaufverhalten ihrer Kunden, unterstützt von einschlägigen Neuromarketing-Spezialisten.

Fast Fashion profitiert vom E-Commerce. Kein Anprobieren mehr im Laden, der Kunde bestellt online und lässt sich das Kleidungsstück liefern - und wenn es ihm nicht gefällt, schickt er es einfach zurück. Weggeworfene Kleidung und weggeworfene Arbeit: ausgeführt von einem Heer von Kurieren in der prekären Gig-Economy.

Die Textilindustrie ist der Sektor mit dem zweithöchsten ökologischen Preisschild der Welt. Das Lieblingsmaterial der Fast Fashion-Hersteller - Viskose aus Holzfasern - wird als klimafreundliche Alternative angepriesen. Bei der Herstellung dieses Stoffes wird jedoch eine ganze Reihe von Chemikalien eingesetzt. Dies führt zu ernsten gesundheitlichen Problemen, nicht nur für die Arbeiter in den Fabriken, sondern auch für die Anwohner, zum Beispiel im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh.

Jedes Jahr landen in Europa vier Millionen Tonnen Kleidung auf dem Müll. Weniger als ein Prozent davon wird recycelt. Die Modeindustrie brüstet sich gerne mit ihrer Nachhaltigkeit, doch die Realität sieht ganz anders aus.

► Counting the Cost - Bangladesh: The cost of fashion (Dauer 25:00 Min.)


► Quelle: Der Artikel von Pascal Derungs wurde am 21. Dezember 2022 unter dem Titel »Der Skandal mit der schnelllebigen Wegwerf-Mode« erstveröffentlicht auf INFOsperber >> Artikel.

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► Bild- und Grafikquellen:

1. Klamotten als Retoursendungen: Der Skandal mit der schnelllebigen Wegwerf-Mode - Generell haben Onlineshops, die primär Kleider und Accessoires verkaufen, die höchste Retourenquote: Jeder fünfte Artikel geht wieder zurück. 85 Prozent der zurückgegebenen Kleider landen auf Deponien oder werden verbrannt. Foto: JamesDeMers / Charlottesville/USA. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

2. Klamottenproduktion in einer der vielen Textilfabriken in Bangladesch. Bei den Näherinnen handelt es sich meist um bangladeschische Mädchen und Frauen, die von den Hungerlöhnen ihre Familien durchbringen müssen, nach zwölfstündiger Schinderei in den Slum zurückkehren und unter den Auswirkungen der Chemikalien, mit denen produziert wird, unter anderem Weichmacher und giftige Bleichmittel, leiden, ebenso wie an der Qualität von Luft, Boden und Flüssen. Foto: MARUF_RAHMAN / Maruf Rahman, Dhaka/Bangladesh. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

3. Die Arbeiterinnen und Arbeiter dieser Bekleidungsfabrik in Gazipur, Bangladesch, gründeten eine Gewerkschaft mit der Bangladesh 'Independent Garment Workers Union Federation' (BIGUF), einem langjährigen Verbündeten des Solidaritätszentrums, wodurch sie sichere Arbeitsplätze und existenzsichernde Löhne erreichen konnten. Foto: Solidarity Center. Quelle: Flickr. Die Datei ist mit der CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0) lizenziert.

4. Die optimierte Paketlogistik ist bei stetig steigendem Paketaufkommen der Onlinehändler unverzichtbar. Foto: falco / Oberhausen. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.