Die Welt ist nicht heil - aber heilbar! Gedanken zum Thema Heil

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Rudolf Kuhr
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Verbunden: 20.04.2014 - 22:03
Die Welt ist nicht heil - aber heilbar! Gedanken zum Thema Heil
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Die Welt ist nicht heil - aber heilbar!

Gedanken zum Thema Heil  

Die Vorstellungen von einem Weltbürgertum sind nicht neu, die Umsetzung scheint jedoch immer noch in weiter Ferne zu liegen. Warum läßt die Praxis so lange auf sich warten? Warum wiederholen die Menschen immer wieder die gleichen Fehler? Obwohl die Geschichte gezeigt hat, daß nationale Abgrenzungen zu Konflikten führen, sind erst in der jüngsten Vergangenheit größere staatliche Gebilde des Ostblocks wieder in kleinere Nationalstaaten zerfallen, die sich zum Teil sogar gegenseitig bekriegen.

Auch der freiwillige Verzicht auf demokratische Verhältnisse, wie in Weißrußland, sollte den Verfechtern eines Weltbürgertums zu denken geben und sie veranlassen, zumindest gleichrangig mit den Bestrebungen nach einem Weltregierungs-System den Weltbürger selbst als Menschen entsprechend heranzubilden. Mit der Einführung eines Systems durch Politiker ist es allerdings nicht getan. Zu einer Weltföderation fehlt es noch immer an einer genügenden Anzahl von Menschen, die dazu willens und vor allem auch dazu fähig wären. Eine Welt-Regierung müßte sich nach den bisherigen Gegebenheiten erst noch ein passendes Volk suchen.

'Das Heil und der Tod - Vom Gesundmachenwollen und Sterbendürfen' hieß das Thema einer Zeitschrift zu wesentlichen Lebensfragen unserer Zeit. Über das Heil war allerdings kaum etwas zu lesen. Dabei wäre wohl eine gründliche Kenntnis davon eine wesentliche Voraussetzung dazu, das einmalige, uns anvertraute Leben bewußter zu führen, menschenwürdiger zu gestalten, wie der Redakteur in seinem Aufruf für entsprechende Beiträge zu diesem Thema treffend schrieb. Der Tod war offensichtlich interessanter, wichtiger. Das ist zwar nicht verkehrt, denn nur zu oft wird er verdrängt. Das Heil sollte jedoch auch nicht vernachlässigt werden, weil dieses, in einem genügendem Maße verwirklicht, uns den Tod leichter annehmen lassen könnte.

Heil ist ein heute etwas antiquiert anmutender Begriff, wenn man an seine Herkunft aus dem Germanischen denkt, und durchaus auch ein Unbehagen auslösender, wenn man an seine inflationäre und mißbräuchliche Verwendung im 3. Reich (Heil-Hitler!) und durch verschiedene religiöse Konfessionen denkt, sei es beispielsweise mit den Bezeichnungen wie Heilige Schrift, Heiliger Vater, Heiliger Stuhl, Heilige Stadt oder Heiliger Krieg.

Allgemein anerkannt ist der Begriff Heil im Bereich der Gesundheit, dem Heilwesen, wenngleich er hier oft fälschlich verwendet wird, indem man gern von unheilbaren und heilbaren Krankheiten spricht, obwohl nicht Krankheiten, sondern Menschen geheilt werden sollen. Dem entsprechend müßte es eigentlich anstatt Zahnheilkunde wohl richtiger Zahnreparaturkunde heißen. In der Medizin wird viel über Krankheiten gelehrt aber kaum etwas über Gesundheit. Es ist eine verhängnisvolle Selbsttäuschung, wenn man glaubt, mit der Beseitigung des Krankheitssymptoms einen Menschen geheilt zu haben.

Was wie Wortklauberei erscheint ist jedoch von einiger Bedeutung, weil eine unheilvolle Orientierung deutlich wird, die nicht nur in der Medizin, sondern auch in vielen anderen Bereichen vorherrscht. Es ist die Konzentration auf Probleme, nicht auf die Möglichkeit eines ganzheitlichen Ideals einer heilen Welt. In der Gesellschaft ist eine allgemeine Orientierung auf äußerlich erkennbare Erfolge und Symptome von Fehlverhaltenweisen in Teilbereichen zu erkennen, kaum jedoch eine solche auf eine sinnvolle, ganzheitliche Lebensgestaltung.

Es ist halt bequemer, die Vorstellung von einer heilen Welt für weltfremd zu erklären als sich darum zu bemühen, eine solche zu verwirklichen, denn das würde Arbeit an der eigenen Person als dem nächstliegenden Teil dieser Welt bedeuten. Die Welt ist nicht heil, aber sie ist heilbar. Nicht heil ist sie durch den nicht heilen Menschen aber sie wäre heilbar durch die Heilung des Menschen. Heil bedeutete ursprünglich Rettung, Hilfe, Nutzen oder Lebenskraft des Menschen, besonders als Gabe Gottes oder der Götter; im Christentum die Erlösung. Heilen wird für Gesundmachen, in der Umgangssprache auch, örtlich verschieden, als Heilmachen oder Ganzmachen für Wiederherstellen von Gegenständen verwendet. Sinnvolle Übersetzung von Heil wäre heute vielleicht am ehesten Ganzheit oder Ganzheitlichkeit.

Das Un-heile der Welt beginnt mit dem Menschen, und zwar mit jedem Menschen erneut bereits durch seinen Verstand, der ihn, im Gegensatz zum Instinkt besitzenden Tier, von der ganzheitlichen Verbundenheit mit der Natur trennt. Dieses Bewußtsein des Getrenntseins sowie von der eigenen Endlichkeit löst Unbehagen und Gefühle der Angst aus, die meist schwer ertragen werden. Es entsteht eine mehr oder weniger bewußte Suche nach einer Lösung dieses Problems. So entsteht Religion, Rückbindung, durch geistige und/oder materielle Hilfsmittel, durch Heilmittel in Form von Vorstellungen, Ideologien, Konfessionen und/oder Gegenständen und Personen. Wenn diese Heilmittel nicht zur Heilung des Menschen führen, indem sie ihm zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit verhelfen und dazu, daß er eine un-mittelbare, eigenständige Verbindung zur Natur herstellt, dann werden sie zur Droge im Sinne der Abhängigkeit mit den bekannten unheilvollen Folgen für Individuum und Gesellschaft.

Mit der Trennung des Menschen durch seinen Verstand von der Natur verhält es sich ähnlich wie mit der Trennung von seinen Eltern im Entwicklungsprozeß des Erwachsenwerdens. Er kann nur stabil werden, indem er zu sich selbst hingeführt wird und sich zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit, zur Mündigkeit entwickelt, wenn er sich innerlich ablöst und die Verantwortung für sich selbst voll und eine gewisse Mitverantwortung für seine Mitwelt mit übernimmt. Wenn Eltern ihre Kinder aufgrund eigener Unselbständigkeit nicht loslassen oder sie sehr früh an eine ideelle Autorität binden, dann be- oder verhindern sie eine vollständige Selbständigkeit, eine eigenständige Identität in un-mittelbarer Verbundenheit zur Natur. Sie fördern damit eine innere Spaltung in eine reale und eine Scheinwelt, die Ursache ist für inneren und äußeren Unfrieden. Sie fördern die Neigung zu ständiger Suche nach Hilfe von außen und damit zur Sucht. Und sie fördern auch die Neigung zur Gewalt gegen sich und die Mitwelt.

Das einzige Heilmittel, das den Menschen wirklich heilen und von der Sucht erlösen kann, ist das Streben nach Wahrhaftigkeit, das Anerkennen der Tatsachen. Tatsache ist, daß ich in meiner Erkenntnisfähigkeit beschränkt bin, und daß ich sterben muß. Tatsache ist, daß diese beschränkte Erkenntnis eine unangenehme und eine angenehme Seite hat. Die unangenehme Seite ist die Kenntnis von meiner Unfähigkeit zu vollkommener Erkenntnis sowie von meiner Endlichkeit. Die angenehme Seite ist die Erkenntnis, daß mich die Kenntnis von der unangenehmen Seite veranlassen kann, offen zu sein für mögliche Erweiterungen meiner derzeitigen Kenntnisse, sowie die mir voraussichtlich zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll zu nutzen. Tatsache ist auch, daß ich mich mit demselben Verstand, der mich unfreiwillig von der Natur trennt, freiwillig durch eine realistische Anschauung der Welt wieder mit dieser verbinden kann, um mich als Teil derselben zu erkennen und zu erleben. Ebenso Tatsache ist, daß eine gleichzeitige Gegensätzlichkeit wie mit den beiden unangenehmen und angenehmen Gesichtspunkten, eine anregende Spannung und Energie entstehen läßt.

Heil bedeutet, wahrhaftig und ganzheitlich orientiert zu sein, einen Sinn des Lebendigen in der Dreieinigkeit mit den gegensätzlichen Polen und der sich daraus ergebenden Kraft zu erkennen; nicht den bequemen, linearen Weg in das eine Extrem zu nehmen, sondern Verbindung zwischen beiden zu halten, und die daraus entstehende Spannung sinnvoll zu nutzen. Wie zum Beispiel bei der elektrischen Energie, die aus den beiden gegensätzlichen Polen Plus und Minus und der daraus entstehenden Spannung besteht, so bestehen auch im menschlichen Bereich immer wieder dreipolige Verhältnisse, die in einem ausgewogenen Gleichgewicht sein müssen, wenn sie heilsam wirken sollen. Körper + Geist = Seele; Verstand + Gefühl = Vernunft; These + Antithese = Synthese; Ich + Wir = gemeinsame Aufgabe; Idealismus + Materialismus = Humanismus. Wenn einer der gegensätzlichen Pole überbetont wird, dann wird das Ganze geschwächt und es entsteht ein Ungleichgewicht, eine ungesunde Einseitigkeit bis hin zum Extremismus.
 

Humanismus ist unter den Religionen, Konfessionen, Weltanschauungen

und sonstigen geistigen Rückbindungen diejenige ethische Orientierung,

deren Namen bereits den direkten Weg und das eigentliche Ziel

sinnvollen Handelns enthält, deren Maßstäbe real, plausibel

und wissenschaftlich haltbar zu begründen sind.

Rudolf Kuhr

 

Heil ist wohl am ehesten darin zu sehen, sich als Bestand-Teil der Mitwelt, bestehend aus menschlicher Gemeinschaft und Natur, zu erkennen und zu erleben, sich einerseits distanzieren zu können und andererseits gleichzeitig verbunden zu fühlen, auch von und mit sich selbst. Heil entsteht nicht durch Verdrängen unangenehmer Tatsachen und durch das Abhängigmachen von materiellen oder geistigen Heilmitteln, sondern durch das Anerkennen der Realität und durch sinnvolles sowie verantwortliches Einordnen in ein lebendiges Ganzes. Ein Leben, das sich an der Realität und an der Vorstellung von der Möglichkeit einer heilen, beziehungsweise heilbaren Welt orientiert, das wird erfüllter verlaufen, bereits im Hier und Jetzt eine gewisses Erlöstsein erfahren und dann schließlich auch einen würdigen Abschluß finden.

Das Problem unserer Welt ist der Mensch, seine Heilung die vordringlichste Aufgabe der in der Gesellschaft Verantwortlichen. Es wäre zu wünschen, daß die Vertreter der verschiedenen Heilslehren weniger darauf hinwirkten, die Menschen zur Abhängigkeit von ihren Heilmitteln zu führen, sondern vielmehr zur Selbst-Heilung im Sinne des Philosophen Johann Gottlieb Fichte, der sagte: 'Groß und glücklich wäre der Meister, der alle seine Schüler größer machen könnte, als er selbst war', und daß eine Innen- und Kultur-Politik auch das Innere des Menschen mit einbezieht gemäß der Erkenntnis, daß die Stabilität einer Gesellschaft von der inneren Stabilität möglichst vieler Bürger abhängt.
 
Es wäre zu wünschen, daß jeder einzelne Mensch guten Willens in der ethischen Orientierung am Humanismus in einem neuen, umfassenden Verständnis, als Ideal einer universellen, verantwortlichen Menschlichkeit eine Möglichkeit erkennt, die inneren und äußeren Spaltungen der Menschen zu überwinden und damit ursächlich zur eigenen Heilung und zum Heil der Welt beizutragen. Eine entsprechend gebildete, fähige Weltbevölkerung hätte wohl bald auch eine Welt-Regierung.

Rudolf Kuhr  
 



Heilung statt Erlösung

Die Weltanschauung "Christentum" hat nach meiner Überzeugung weder inhaltlich noch historisch Berechtigung, sich auf den Juden Jesus als Gründer zu berufen. Ihrem tatsächlichen Gründer, dem Apostel Paulus, aber spreche ich die theologische wie auch die menschliche Legitimation ab, als Verkünder ewiger Wahrheiten verstanden werden zu dürfen.

Meine Religiosität hat sich durch den Ablösungsprozess von der Struktur "Kirche" immer mehr verdichtet und profiliert. Ich verstehe heute ihre Grundlage als Eingebundensein in einen grossen universalen Zusammenhang von Realität. Der Einklang mit diesem "Kreis" ermöglicht ein harmonisches "Sein mit sich selbst", das heilenden Effekt hat. Durch die ideologiefreie Annäherung an solche grundlegenden spirituellen und seelischen Erfahrungsebenen habe ich die Überzeugung gewonnen, dass Erlösungsreligionen überflüssig sind. Was die Welt braucht, ist Heilung statt Erlösung. Die dem Menschen dazu helfenden Einsichten und Wahrheiten aber trägt er immer schon in sich selbst.

Ernst Cran, Theologe



► Quelle: Humanistische AKTION für verantwortliche Menschlichkeit > Webseite > Artikel

► Buchtitel: "Wachstum an Menschlichkeit. Humanismus als Grundlage" > zur Vorstellung meines Buches

Bildquellen:

1. Gläserne Weltkugel. Das Un-heile der Welt beginnt mit dem Menschen, und zwar mit jedem Menschen erneut bereits durch seinen Verstand, der ihn, im Gegensatz zum Instinkt besitzenden Tier, von der ganzheitlichen Verbundenheit mit der Natur trennt Foto: Heinz Hirsch. Quelle: Pixelio.de

2. Fingerzeig: Es ist halt bequemer, die Vorstellung von einer heilen Welt für weltfremd zu erklären als sich darum zu bemühen, eine solche zu verwirklichen, denn das würde Arbeit an der eigenen Person als dem nächstliegenden Teil dieser Welt bedeuten. Foto: Lupo Quelle: Pixelio.de