Einkommensarmut – Arbeitsarmut – Beschäftigungsarmut – working poor
von Laurenz Nurk
Die Statistikbehörde der Europäischen Union (Eurostat) hat neue Daten zur Armutsgefährdung und den Lebensbedingungen in den Mitgliedsstaaten der EU und einigen weiteren europäischen Ländern herausgegeben. Den amtlichen Daten zufolge sind aktuell 16,7 Prozent der Bevölkerung bzw. mehr als 13 Millionen Menschen in Deutschland von Armut bedroht. In den beiden Vorjahren waren es 16,1 Prozent. Der Anstieg gegenüber dem Vorjahr geht auf das Anwachsen des Armutsrisikos der älteren Menschen (von 14,9 auf nun 16,3 Prozent) und die wachsende Beschäftigungsarmut zurück. Der Anteil der Menschen, die trotz Arbeit arm sind, ist in Deutschland gegenüber dem Vorjahr um 1,3 Prozentpunkte auf 9,9 Prozent gestiegen. Damit lebt nun jeder zehnte Erwerbstätige bei uns in Armut.
Der Zusammenhang zwischen der Ausbreitung der Arbeitsarmut und der atypischen Beschäftigung in Deutschland ist in den vergangenen Jahren offensichtlich geworden. Verschiedene Studien zeigen, dass befristete Beschäftigung, Leiharbeit, Teilzeitstellen und Minijobs im Durchschnitt schlechter bezahlt werden, als die so genannten Normalarbeitsverhältnisse in Vollzeit. Hinzu kommt die erhöhte Zahl der Soloselbständigen, also von Freiberuflern ohne eigene Angestellte, die in der Regel ebenfalls schlecht verdienen.
Aber das allein reicht nicht aus, um den starken Anstieg der „working poor“ zu erklären. Mittlerweile geht es hier nicht nur um wenige, isolierte Beschäftigungsformen, sondern die Arbeitsarmut hat schon den gesamten Arbeitsmarkt erfasst.
Auch gibt es den Zusammenhang zwischen gewachsener Arbeitsarmut und der Armut bei den Erwerbslosen. Wer bereits in Beschäftigung arm war, wird es als Erwerbsloser erst recht sein. Während fast nur noch Menschen wieder in Arbeit vermittelt werden, die nur kurzzeitig erwerbslos sind, sitzen die Langzeitarbeitslosen in Hartz IV fest und können ihr Haushaltseinkommen kaum über der Armutsgrenze halten. Sie sind deshalb arm, weil auch schon das Arbeitslosengeld I unter der Grundsicherungsgrenze lag oder weil sie als prekär Beschäftigte mit unterbrochenem Erwerbsverlauf nicht lange genug am Stück beschäftigt waren, um überhaupt einen Anspruch auf die Versicherungsleistung aus dem SGB III (Arbeitslosengeld 1) zu haben.
Bei diesen strukturellen Langzeitauswirkungen der sogenannten Hartz IV Reformen hilft es auch nicht, wenn seitens der Bundesregierung die Armuts- und Reichtumsberichte geschönt und die Einkommensungleichheit in Deutschland falsch dargestellt sind, weil die Kapitaleinkommen nicht ausreichend erfasst werden.
Der Entwicklung zur Arbeitsarmut konnte bislang nur die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gegensteuern, auch wenn er durch viele Ausnahmen permanent durchlöchert wird und für das Existenzminimum nicht ausreicht.
Notwendig sind in diesem Zusammenhang auch die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und die rasche Einführung der Vermögens- und einer ordentlichen Kapitalertragsteuer.
Laurenz Nurk
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► Eric Seils: "Wie leben die Armen in Deutschland und Europa? - Eine Auswertung der aktuellen Daten von Eurostat" - weiter, s. auch 8 Anhänge unten!
► Quelle: Erstveröffentlicht am 28.02.2016 auf gewerkschaftsforum-do.de/ > Artikel. Infos der Hans-Böckler-Stiftung entnommen.
► Ergänzung d. ADMIN H.S.: "Wenn du arm & auf Hartz bist ..." - Christoph Holzhöfer. Liedtext und Infos - bitte weiter scrollen.
► Liedtext:
Wenn du arm & auf Hartz bist ... - Christoph Holzhöfer
Wenn du arm & auf Hartz bist
Dann sollst du 's auch richtig spüren
Denn, wenn du arm bist
Sie dich am Nasenring durch die Manege führen
Dann bist du nichts mehr wert
Dann ist da keiner, der dich hört
Dann bist du nur noch Dreck
& Dreck kehrt man weg
Wenn du arm & auf Hartz bist
Dann sollst du 's auch immer bleiben
& wenn du arm bist
Sollen auch deine Kinder darunter leiden
Dann hält man euch den Spiegel vor 's Gesicht
So was wie euch, das wollen wir nicht
Ihr seid doch nur noch Dreck
& Dreck kehrt man weg
Wenn du arm & auf Hartz bist
Dann schimpft man dich Parasit
Nur wer arbeitet, soll auch essen
Ein Recht auf Faulheit, das gibt 's hier nicht
Sie sagen dir: Arbeit ist doch genug da
Ist 's auch gelogen, ach scheißegal
Du bist nur noch Dreck
& Dreck kehrt man weg
Wenn du arm & auf Hartz bist
Wirst du deiner Würde beraubt
Wohlhabende Damen & Herren
Schreiben dir vor, was du zum Leben brauchst
& reicht 's auch vorne & hinten nicht
& wenn du auch Scheiße frisst
Du bist doch nur noch Dreck
& Dreck kehrt man weg
Wenn du arm & auf Hartz bist
Hast du viel Zeit, um nachzudenken
Ja ..., wenn du arm bist
Vorbei ist 's dann mit Geschenken
Dann stirbst du 'n paar Jahre eher
Was soll 's denn, du bist doch eh nichts mehr wert
Du bist doch nur noch Dreck
& Dreck kehrt man weg
► Christoph Holzhöfer | Musiker und Dichter
Christoph Holzhöfer wurde 1960 in einem kleinen Dorf im Sauerland geboren. Er lebt und arbeitete einige Zeit in Berlin und jetzt wieder im Sauerland. Er macht Musik, schreibt Gedichte (von denen einige bereits in Druck gegangen sind) und tritt damit gelegentlich auch bei diversen politischen und sonstigen Veranstaltungen auf. Neben vielen selbstverfassten und selbstkomponierten Liedern hat Christoph Holzhöfer auch eine Reihe von Vertonungen bekannter Dichter der deutschen Arbeiterbewegung, wie beispielsweise Erich Mühsam oder Kurt Tucholsky geschaffen, welche er mit eigenen Kompositionen umrahmte. Von einigen davon waren bislang gar keine musikalischen Vertonungen vorhanden.
Seine Gedichte und vor allem Liedertexte haben meist einen sozial- und gesellschaftskritischen Aspekt und umfassen viele historische aber auch brandaktuelle Themen. Sein Repertoire ist dementsprechend groß und kann sich auf jeden Fall sehen lassen. Da seine Lieder bisher auf keinem Tonträger erschienen sind, lassen sie sich auch nur via YouTube anhören. Er gibt auch Bücher heraus ... verdient aber nichts daran ... ist nur aus Idealismus & um die Bücher zu unschlagbaren Preisen anzubieten ... so dass jeder diese kaufen kann ... [Kontakt über KN-ADMIN H.S. - siehe Impressum].
► Bild- und Grafikquellen:
1. STRICHMÄNNCHEN-Zeichnung: "Die Schere zwischen ARM und REICH geht weiter auseinander." Grafik: islieb.de = Krakelige Comics übers Leben, die Liebe & den ganzen behämmerten Rest. :) Quelle: Flickr.(Bild nicht mehr verfügbar) Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).
2. Gerhard Schröder - SPD-Wahlplakat 2005, leicht modifiziert mit Protest gegen die Hartz-IV-Gesetze. Fotograf: © Diplomsoziologe / Dr. phil. Michael Westdickenberg, Berlin. Danke für die ausdrückliche Freigabe zur Veröffentlichung im KN. Die Bildrechte verbleiben beim Autor. Quelle: Flickr.
3. Seelische Belastung und gesellschaftliche Ausgrenzung durch Armut machen Menschen und damit die Gesellschaft krank. Foto: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt. Quelle: Pixelio.de.
4. Skelett / Langzeitarbeitsloser am Boden: Ende eines Siechtums. Foto: Harry Hautumm. Quelle: Pixelio.de.