Faschisten in Israel: Hilferuf von Uri Shani in schrecklichen Tagen aus Haifa

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Helmut S. - ADMIN
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Faschisten in Israel: Hilferuf von Uri Shani in schrecklichen Tagen aus Haifa
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Faschisten in Israel
Hilferuf von Uri Shani in schrecklichen Tagen aus Haifa


Liebe Freunde!

Dies ist ein Hilferuf in schrecklichen Tagen. Es fällt mir schwer, über die gestrige Nacht zu schreiben. Ich schäme mich. Aber ich muss darüber berichten. Ich fuhr mit dem Autobus nach Haifa zu einer Demo gegen den Krieg. Da ich nie genau weiß, wie lange ich brauche, war ich viel zu früh da.

Von weitem schon sah ich die Polizisten, viele Polizisten, ein Wasserwerfer, berittene Polizisten, und dann sah ich sie: eine riesige Menge von Faschisten wartete auf uns, schon lange waren sie da. Sie konnten es gar nicht abwarten, dass wir kämen, um uns abzuschlachten.

Dann sah ich im Internet, dass der Versammlungsplatz geändert wurde. Es war klar, die Polizei war nicht an einem Blutbad interessiert. Jedenfalls tat sie so. So tröpfelten also ein paar hundert Demonstranten zum neuen Versammlungsort, wo sich aber auch schon ein immer grösser werdendes faschistisches Untier ansammelte.

Im Nachhinein weiß ich, dass wenig Demonstranten von unserer Seite kamen, weil sowohl der Bürgermeister von Haifa wie die faschistischen Führer zur Abwehr gegen unsere Demonstration aufgerufen hatten. Nachdem die Faschisten schon vor einer Woche in Tel-Aviv tätig wurden, hatten viele von uns Angst und kamen nicht. Ihr stellt Euch vielleicht vor, die zionistischen Faschisten hier seien ein unbedeutendes Häuflein.

Aber gestern abend fletschten Tausende von Niederträchtigen die Zähne! Wir hatten Angst, wir waren schwach, natürlich auch wütend, aber vor allem schwach und eingeschüchtert. Die Polizei tat das Mindeste, damit es nicht zu einem großen Blutbad kam. Aber einige von uns wurden verletzt, viele wurden mit Steinen beschossen, gejagt, verfolgt, bis in die entferntesten Seitenstraßen und Gassen, sogar den Krankenwagen, in dem verletzte Araber behandelt wurde, griffen die Faschisten an und versuchten ihn zu stürmen, ein wahres Pogrom - und wer wurde verhaftet?

Drei Araber von unserer Seite, die darüber wütend wurden. Haifa, das ich kannte, gibt es nicht mehr. Es ist etwas in diesem Land und in mir zerbrochen, das nicht wiedergutzumachen ist.

Ich habe mich von dieser Schreckensnacht noch nicht erholt. Ich weiß nicht, woher der Stein kommt, der mich treffen wird. Bisher konnte ich die Gefahr einigermaßen einschätzen.

Heute nicht mehr. Das nächste Pogrom lauert hinter jeder Ecke. Ich habe die Gesichter der Faschisten gesehen. Es sind meine Nachbarn, sie sitzen neben mir im Autobus, sie stehen mit mir an der Kasse im Supermarkt, es sind ganz normale Bürger und Bürgerinnen. Gib ihnen ein Blutbad, und sie reißen sich die Maske vom Gesicht. Und die israelische Regierung bietet ihnen ein Blutbad, wie es wenige zuvor hier gegeben hat. Wir nähern uns immer mehr den syrischen Maßstäben.

Natürlich entfesselt das schreckliche Blutvergießen in Gaza eine schreckliche Wut, überall auf der Welt. Die ungeheure militärische israelische Übermacht steht in keiner Proportion zu den kläglichen Versuchen der Hamas-Terroristen, auf diese eine Antwort zu bieten. Und natürlich bricht diese Wut da und dort auch in antisemitische Hetze aus. Schon immer war Antisemitismus gut, um von der Sache abzulenken. Aber ihr, lasst Euch nicht ablenken! Es geht auch nicht darum, dass wir hier Bollwerk spielen sollen für Euch. Wir halten diese Rolle nicht mehr aus! Wir gehen kaputt daran. Bitte, erlöst uns davon!

Europa gedenkt ... 100 Jahre danach.... Europa brauchte noch einen Zweiten Weltkrieg, um ein kleines bisschen gescheiter zu werden. Aber Europa hat noch viel zu lernen. Zum Beispiel, dass die Umwälzungen und endlosen Kriege im Nahen Osten heute, 100 Jahre danach, auch ein Produkt des Ersten Weltkrieges sind. Denn im Ersten Weltkrieg haben die französischen und die britischen Kolonialmächte untereinander den Nahen Osten aufgeteilt, Grenzen gezogen, Regierungen eingesetzt.

Dann wurden irgendwann diese konstruierten "Staaten" "unabhängig". Aber alle Staaten des Nahen Ostens sind europäische Konstrukte. Es musste doch eigentlich klar sein, dass diese künstlichen Konstruktionen irgendwann auseinanderbrechen. Warum das so gewaltsam geschieht? Ja, da beteiligt sich natürlich Europa selber wieder ganz fleißig dabei. Aber zuerst einmal sollte klar sein, dass was auf wackligen Beinen gebaut ist, irgendwann mal umkippt.

Ein Freund schrieb mir darauf auf Facebook: "und oft dann noch das Argument, es muss wohl an der Mentalität dort liegen, dass da so viel Gewalt ist."Ja, es muss wohl an der europäischen Mentalität liegen, Kriege zu exportieren.

Wer sich über die Sticheleien von palästinensischer Seite ärgert, der sollte sich einmal vergegenwärtigen, woher die Waffen kommen, die Hamas benutzt. Israel war 2012 an 6. Stelle der größten Waffenexporteure der Welt. Und sowohl das israelische Verteidigungsministerium wie private israelische Waffenhändler verkaufen Waffen an jeden.

"Wir wollen verkaufen und uns nicht mit Moral beschäftigen." Und: "Wir brauchen Exportverträge wie Luft zum Atmen." Es gibt praktisch kein Land auf der Welt, das nicht israelische Waffen kauft, auch kein arabisches, auch nicht Iran und die Taliban. Und Waffen, liebe Freunde, sind da, damit sie gebraucht werden! (Alle Informationen in diesem Abschnitt habe ich von einem Artikel vom 26.6.2013 von Sara Leibovitz-Dar)

Deutschland stand 2012 noch vor Israel an 5. Stelle.

Im April 2002 schrieb ich folgende Zeilen: "Brief an die Schweizer" - weiter

Inzwischen ist mein Sohn, von dem ich damals schrieb, bald 18 Jahre alt. Heute läuft er Gefahr, nicht nur Opfer zu sein in diesem Wahnsinn, sondern auch Täter. Ich weiß nicht, was schlimmer wäre.

Es gibt ein Privileg, auf das ich nicht verzichten werde: Ich kann Euch in deutscher Sprache direkt von der Straße berichten, was ich erlebe. Ich behaupte nicht, dass dies objektiv ist. Meine Angst ist subjektiv. Meine Trauer gehört mir. Mit meinem Zorn muss ich selber fertig werden.

Eduardo Galeano ist ein Schriftsteller aus Uruguay. Er hat u.a. "Die offenen Adern Lateinamerikas" geschrieben, ein Buch, das Berühmtheit erlang dadurch, dass Hugo Chaves es Obama vor laufender Kamera schenkte, im Jahre 2009. Den nachfolgenden Text schrieb er nicht jetzt, sondern im Jahr 2012. - weiter

Die chilenische Regierung hat den ersten Schritt getan. Artikel bei World Bulletin: "Chile to suspend trade talks with Israel over Gaza bombing" - weiter

Jetzt ist es an Europa zu handeln!

Jede Aktion, die zum Ziel hat, ökonomischen Druck auf die israelische Regierung und ihre mächtigen Hintermänner auszuüben, ist erwünscht, wie zum Beispiel diese Petition.

Vor bald 74 Jahren wurde meine Mutter zwölf Jahre alt. Zu ihrem Geburtstag (ihre Bat-Mitzwah) erhielt sie einen Brief aus Hamburg von Tante Ida, und in diesem Brief schreibt Tante Ida: "Es ist fünf vor zwölf." Und auch eine Uhr zeichnete sie daneben, mit dem großen Zeiger auf 11 und dem kleinen auf 12. Anderthalb Jahre danach wurde sie nach Theresienstadt deportiert, und noch ein Jahr danach, am 14.7.1943, war sie tot. Ein Stolperstein an der Johnsallee erinnert an sie.

Liebe Freunde, ich habe gestern die faschistische Fratze hautnah gefühlt. Es ist fünf vor zwölf!

Und noch eine letzte Bitte: Wer nicht mit mir einverstanden ist, soll mir bitte nicht antworten! Ich werde schon genug gemobbt, und es geht mir wirklich nicht gut in diesen Tagen.

Uri Shani, 20.7.2014


Informationen über Uri Shani:

Uri Shani wurde 1966 in Zürich, Schweiz, geboren. In den Jahren 1982-1984 spielte er im Schultheater des Gymnasiums.

Im Jahre 1985, nach Abschluss des Abiturs und nach langjähriger Arbeit in der Jugendbewegung "Haschomer Haza’ir", wanderte Uri in den Kibuz Magen im Süden Israels aus.

Im Jahr 1988/1989 gründete er in Be’er-Schewa eine Gruppe der arabisch-jüdischen Jugendbewegung Re’ut-Sadaka.

Von 1989 bis 1992 und von 2000 bis 2002 studierte er Theaterregie und -pädagogik im "Seminar Hakibuzim"  in Tel-Aviv.

Im Jahr 1994/1995 lebte und studierte er Arabisch in Kairo.

Uri Shani ist verheiratet mit Michal Shani und hat einen Sohn, Midian.


Von 2002 bis 2008 leitete Uri das Projekt "Nemashim".  Nemashim berichtet über die bewegten Jahre eines gleichnamigen interkulturellen Theaterprojekts, in dem hebräische und arabische Jugendliche – wörtlich und spielerisch – in einer Kommune zusammenlebend und arbeitend, einen Weg suchten, die gesellschaftlichen, politischen und ethnischen Spannungen auszuleben und zugleich mit Theaterspiel das Bewusstsein für einen Weg zur Gewaltfreiheit in der Konfliktbearbeitung propagierten. Interkultureller Dialog und gegenseitiger Respekt sollten so im konkreten alltäglichen gefördert werden, die Bereitschaft zur Verständigung wachsen können. 2011 ist ein Buch über das Projekt im AphorismA-Verlag in Berlin erschienen.

Uri spricht, liest und schreibt hebräisch, deutsch, englisch, französisch, arabisch, und übersetzt Stücke aus den vier anderen Sprachen ins Hebräische. Außerdem ist er seit über zwanzig Jahren politisch aktiv, seit 2009 in der Bewegung Tarabut-Hithabrut.