Feigheit in Dresden, Mut in Berlin

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Ulrich Gellermann
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Verbunden: 22.03.2013 - 15:43
Feigheit in Dresden, Mut in Berlin
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Feigheit in Dresden, Mut in Berlin

Die deutsche Nation meldet sich zurück

Außer zu bierseligen Fußballmeisterschaften und den Badetücher-Schlachten tapferer Deutscher gegen Engländer auf Mallorca hatte sich die deutsche Nation eigentlich abgemeldet. Sie war bis 1990 auf zwei Territorien aufgeteilt und das bekam ihr nicht schlecht: Das deutsche Wesen wusste halbwegs um seine historische Schuld an der Vernichtung verschiedener Völker und einer Religionsgemeinschaft und hielt in der Genesungsfrage zumeist den Mund. Das bekam seinen Nachbarn gut, aber auch den Deutschen selbst. Brav ordneten sie sich der jeweiligen Großmacht – in deren Einflussbereich sie lebten – unter und waren jedenfalls keine Gefahr mehr. Das sollte sich mit der "Deutschen Einheit" ändern.

Als ob es tatsächlich und plötzlich eine Deutsche Einheit gegeben hätte. Es gab von Beginn an ein Oben und ein Unten, ein Arm und ein Reich, die Habe-alles und die Habe-nichtse. Und doch existierte eine Art Klammer um die völlig gegensätzlichen Gruppen im selben Land: Die Nation. Was dem Einzelnen als gewollt erscheint, ist ein historisches Zufallsprodukt. Die Saarländer könnten auch Franzosen geworden sein, die Schleswig-Holsteiner Dänen, und die Slawen siedelten bis zum 13. Jahrhundert auf etwa einem Drittel des heutigen Deutschland. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts starb im Wendland eine slawische Sprache aus: Das Drawänopolabische.

Aber diese nationale Zufälligkeit, von gemeinsamer Sprache, Geschichte und einem gemeinsamen Gebiet existiert. Die Nation ist zu einem eigenen Wert geworden, zu einer gesellschaftlichen Kategorie und verlangt deshalb Beachtung.

Schon lange existiert das Wort "Anti-Amerikanismus" als Kampfbegriff gegen jede kleine Regung nationaler Eigenständigkeit. Er entstand in der alten Bundesrepublik, als sich in der Bewegung gegen den Vietnamkrieg die Enttäuschung über das, was man für die US-Demokratie gehalten hatte, als dummes Zeug, als Tarnanzug des Imperialismus herausstellte. Es waren zumeist Jugendliche in amerikanische Jeans und nicht selten in Parkas der US-Armee gekleidet, die in Sprechchören wie "USA-SA-SS" einen Zusammenhang zwischen der imperialistischen Vergangenheit der Deutschen und der imperialistischen Gegenwart der Amerikaner herstellten. Sie wurden mit der Beschuldigung des "Anti-Amerikanismus" unversehens als Nationalisten gebrandmarkt, aus dem westlichen Bündnis ausgeschlossen und zu gesellschaftlichen Parias gestempelt. Dass sie sich als Freunde der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung begriffen, half ihnen nichts: Sie waren mit den falschen Amerikanern befreundet.

Der Begriff des Anti-Amerikanismus war nie weg. Gern tauchte er im Umfeld US-amerikanischer Kriege auf und wurde gegen deren deutsche Gegner eingesetzt. Der arme Gerhard Schröder zum Beispiel, als Kanzler ein braver NATO-Verfechter, wurde flugs öffentlich zum Anti-Amerikaner erklärt, nur weil er keine deutschen Truppen für den Irak-Krieg zur Verfügung stellte. Sein eher taktisches Verhalten erklärte man zum "nationalen Alleingang". Und da war sie schon wieder, die Nation.

Einen Aufschwung erlebt der Nationalisten-Verdacht gerade im Umfeld der Auseinandersetzungen um das TTIP-Abkommen: Von der FAZ über die ZEIT bis zum Deutschlandfunk, gern werden die Gegner des TTIP [zu TTIP hier, hier und hier] in die Schublade des "latenten", des verborgenen, des schwärenden Anti-Amerikanismus gesteckt. Ja, die Bewegung gegen das TTIP-Abkommen ist gegen die amerikanische Regierung und deren europäische Partner gerichtet. Und die weitaus meisten Unterschriften dagegen kamen aus Deutschland.

Die Berliner Anti-TTIP-Demonstration war – erkennbar an ihren Sprüchen – ebenso heiter wie "anti-amerikanisch". Vom rumgedrehten Obama-Spruch "Yes we can stop TTIP", über die Karikatur eines Uncle Sam, der bedrohlich "I want Europe" ruft bis zum Plakat das "Nein zu NATO und TTIP" sagte, war die Auflehnung der Kleinen, der Deutschen und der Europäer, gegen die große amerikanische Macht zu erkennen. Dass erhebliche Teile der deutschen Unternehmer gute Freunde des Abkommens sind, verweist erneut auf die Fragwürdigkeit der "deutschen Einheit" und darauf, dass ab 100.000 Euro Jahreseinkommen aufwärts der Anteil vaterlandsloser Gesellen deutlich wächst.

Aber natürlich gibt es spezifisch deutsche Interessen, die gewahrt werden müssen. Vor den eigenen Gerichten, in der eigenen Sprache sein gutes Recht zu verteidigen, gehört ebenso dazu, wie der Raum für die eigene Kultur, wenn es zum Beispiel darum geht, dem deutschen Film seinen Platz gegen die US-amerikanischen Blockbuster zu erkämpfen. So war es in Berlin.

"Alibaba und die 40 Dealer" konnte man auf der Dresdner Pegida-Aktion lesen und wusste: Der Ausländer ist immer der Verbrecher. Auch das von den NSU-Mördern und anderen Nazis benutzte Wort "Heimatschutz" stand dort geschrieben und natürlich wurde die "Ausweisung Krimineller" gefordert ohne jeden Hinweis auf die Banken und die Waffenindustrie. Und damit der Nazi-Text komplett wurde, gab es auch Plakate wie "Islam = Karzinom". All das wurde vom chorischen Ruf "Abschieben - Abschieben" begleitet. Das gibt sich als deutsche Opposition aus und ist doch nur die Nachgeburt diverser Regierungen, die immer schon für "schnelle Abschiebung" waren. Das ist eine Bewegung in der Nachfolge der im Staatsdienst gut dotierten Sarrazins, Buschkowskys, Seehofers und Schilys. Während man sich im Anti-TTIP-Berlin mit der großen Macht anlegte, trampelten die gefährlichen Phrasendrescher in Dresden feige auf Flüchtlingen herum, die sie noch unter sich glauben und deren Hilflosigkeit der Hintergrund ihrer Hasstiraden ist.
 

Spätestens bei der Ausblendung der Fluchtursache wurde die Ähnlichkeit von Merkel und Pegida deutlich: Die US-amerikanischen Kriege werden von beiden nicht thematisiert. So kann die eine Seite jene Barmherzigkeit demonstrieren, die aber keine Heilung des Kriegs-Elends verspricht, weil sie sich nicht mit der US-Regierung anlegen will. Während die andere Seite Opposition vortäuscht und doch nur Klon der bundesdeutschen Ausländerpolitik ist. Beide haben mit dem nationalen Interesse der Deutschen – mit ihren Nachbarn in Frieden zu leben und aus ihrer Geschichte zu lernen – nichts zu tun.
 

Besonders skurril wird es allerdings, wenn Linke die Nation als ihren Feind begreifen. So wirbt die Zeitung "Neues Deutschland" online mit dem Spruch sie sei "Links, nicht deutsch". Ja, wie blöd ist das denn? Sind die Kollegen vielleicht Luxemburger oder Schweizer? Nein, man ist auf der Flucht vor der besonderen deutschen Verantwortung. Man glaubt, man könne sich da rausmogeln und wenn man aus der Nation ausgetreten und nur noch links sei, dann begänne das feine Leben. Das erinnert stark an jene Damen der bessern Gesellschaft, die gestern noch Hanna hießen, sich aber heute gern Channah rufen lassen und glauben, so könne man aus der Täter- in die Opfer-Rolle schlüpfen.

Da es sie nun mal gibt, die Nation, sollte man ihrem mutigen Teil applaudieren und ihren feigen Teil verachten.

Uli Gellermann, Berlin



► Quelle:  RATIONALGALERIE > Artikel vom 22.10.2015



Bild- und Grafikquellen:

1. Spaltpilze der Gesellschaft: Als ob es tatsächlich und plötzlich eine Deutsche Einheit gegeben hätte. Es gab von Beginn an ein Oben und ein Unten, ein Arm und ein Reich, die Habe-alles und die Habe-nichtse. Gewinner und Verlierer. Grafik:  WiKa / QPress.de

2. USA fucks Europe! Das Transatlantische Freihandelsabkommen, offiziell Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (englisch Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP, früher Trans-Atlantic Free Trade Agreement, TAFTA), ist ein unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandeltes Freihandels- und Investitionsschutzabkommen in Form eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen der Europäischen Union und den USA. Die genauen Vertragsbedingungen werden seit Juli 2013 ausgehandelt, dieser Prozess ist nicht nur intransparent, sondern beschleunigt den Entdemogratisierungsprozess.
Ur-Grafik: Christopher Dombres. Quelle: Flickr (Bild nicht mehr verfügbar). Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0). Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de

3. Jahrestag PEGIDA, Dresden, 19. Oktober 2015. Das Foto ist einer der vielen Beweise, wie kaltherzig und unmenschlich einige der Pegida-Anhänger sind, sicher nicht alle. Man dankt Ungarn für deren menschenverachtendes Verhalten gegenüber den Flüchtlingen (Zäune mit rassiermesserscharfen Schneiden, Unterbringungen der allerübelsten Sorte - siehe hier und hier). Foto: strassenstriche.net. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

4. Jahrestag PEGIDA, Dresden, 19. Oktober 2015. Teilnehmer mit Schild: "Auch wenn die Wahrheit rechtsradikal ist, stehe ich dazu, Herr Misere!" Foto: strassenstriche.net. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

5. Trojanisches Pferd. NEIN ZU TTIP! JA ZUR VOLKSABSTIMMUNG! Foto: Chris Grodotzki / Campact. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz. Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0)

6. NATO: Wir bomben nur für den Frieden. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.