Flüchtlingscamps in Suruc

1 Beitrag / 0 neu
Bild des Benutzers Civaka Azad
Civaka Azad
Offline
Verbunden: 29.09.2014 - 13:36
Flüchtlingscamps in Suruc
DruckversionPDF version

Flüchtlingscamps in Suruç


Der unerschütterliche Wille der „Misérables“ des Nahen- und Mittleren Ostens


von Murat Bay, Fotojournalist


„Wir versuchen hier eine Solidaritätskultur, ein Leben basierend auf Beteiligung aufzubauen“


Der Alltag von Kobanê ist vom anhaltenden Krieg geprägt, der viele Leben zerstört hat. Zehntausende Menschen haben ihre Kinder, ihre Häuser, ihre Heimat und ihren gesamten Besitz hinter sich gelassen und lediglich mit ihrem Schmerz auf den Schultern Zuflucht in Pirsus (Suruç) gesucht. Nicht lange zuvor, noch vor einigen Wochen, sind diese Menschen in Kobanê ihren alltäglichen Pflichten wie Schule und Arbeit frei nachgegangen, jetzt sitzen sie in Flüchtlingscamps fest und sorgen sich um ihre Zukunft.

Die drei Flüchtlingscamps am Eingang der Stadt erreichten schon bald ihre Kapazitätsgrenzen, sodass sich nun ein weiteres im Aufbau befindet. Sie wurden nach den Herkunftsorten der Flüchtlinge benannt. Demnach heißt ein Camp „Rojava Flüchtlingscamp“ und beherbergt etwa 2100 Flüchtlinge.
 

 

Als ich das Camp betrete begrüßt mich Dilan. Seit Tagen versucht sie durch ehrenamtliche Arbeit das Leben der Flüchtlinge zu erleichtern. Die Müdigkeit steht ihr ins Gesicht geschrieben. Noch bevor ich meine erste Frage stellen kann, hocken wir auf dem Boden und beobachten Kinder und Frauen, die mit ihren leeren Schüsseln in der Essensschlange stehen. Dilan bricht als erste das Schweigen und sagt: „Sie können ihr neues Leben nicht akzeptieren, also so etwas wie Essensschlangen, das Lagerleben usw.. Sie haben den erlebten Schock noch nicht überwunden. Sie haben sich an diese Situation nicht gewöhnen können und haben daher Schwierigkeiten, sich zu artikulieren. Das beeinträchtigt sogar die Kommunikation untereinander. Die meisten wissen, dass ihre Häuser zerstört wurden und fürchten vor einen ungewissen Zukunft“.


Der erste Pfeffersprayeinsatz der Türkei gegen die Menschen aus Kobanê

„Insbesondere die Kinder sind auf Hilfe angewiesen“ bemerkt Dilan und fährt fort: „Die Kinder müssen die Rolle von Erwachsenen einnehmen. Die meisten von ihnen sind in Rojava zur Schule gegangen und können das Ausmass der Tragödie, die sie erlebt haben, nicht einschätzen“. Dilan betont, dass das Leben dieser Kinder geraubt wurde und fügt hinzu: „Vielleicht können wir etwas tun, das diese Lücke ansatzweise schließt, sie brauchen Raum, um ihre Fähigkeiten zu entfalten.“

Die Flüchtlinge waren schon während der Flucht mit großen Problemen konfrontiert. Beispielsweise hat das türkische Militär die Flüchtlinge beim Passieren der türkischen Grenze erbarmungslos angegriffen. Da die meisten Flüchtlinge nie einen Pfeffersprayeinsatz miterlebt hatten, dachten sie zunächst, es handle sich um einen Giftgasanschlag und dass die Menschen, die von dem Gas ohnmächtig wurden, gestorben sind.
 

 

In diesem Moment bemerke ich, dass Saddams Giftgasangriff auf Halepce (Halabja) in den Köpfen der Menschen immer noch Angst und Schrecken verbreitet. Ich erfahre, dass Kinder, die Zeuge etlicher Katastrophen wurden, nachts schreiend aufwachen und ins Bett urinieren. Die Männer und Brüder der meisten Frauen kämpfen an der Front für Kobanê. Manche haben ihre Angehörigen verloren, können aber inmitten ihrer Misere noch nicht mal eine Bestattung durchführen. Obwohl sie alles verloren haben, denken sie nur an Kobanê und sagen: „Kobanê wird befreit werden und wir werden zurück in unsere Heimat gehen, und wenn unsere Häuser zerstört sind, werden wir in Kobanê in Zelten leben“.


Hunderte Flüchtlinge ohne Zelte

Ich gehe zum Flüchtlingscamp Kobanê auf der anderen Straßenseite. Dieses Camp hat ähnliche Probleme. Leyla Akca gibt an, dass mit ungefähr 1800 Flüchtlingen auch dieses Camp überfüllt sei, sodass etwa 500 weitere Flüchtlinge im Freien leben müssen. Ich kenne Leyla Akca von den Kommunalwahlen, an denen sie zusammen mit Osman Baydemir als Ko-Kandidatin antrat. Die bevorstehenden Wintermonate würden den Bedarf an Hilfsgütern erhöhen, meint Akca. In dem Hof einer Fabrik direkt neben dem Camp leben weitere 1500 Menschen. Mit dem Antstieg der Flüchtlingszahlen erhöht sich auch der Bedarf für das Allernötigste. Der Flüchtlingsandrang nimmt kein Ende, täglich kommen neue hinzu.
 

 

Ich versuche zu verstehen, warum so viele Menschen panisch geflohen sind, ohne auch nur das Nötigste mitzunehmen und stoße dabei auf eine interessante Erzählung. Nach dem Massaker des IS in Sengal (Sindschar) erschraken die Dorfbewohner von Kobanê angesichts des Vormarschs des IS in Richtung Kobanê. Nach Augenzeugenberichten fuhren zwei Personen mit Motorrädern in einige Dörfer und verbreiteten die Nachricht: „Daaisch (IS) war in dem Nachbardorf und hat jeden umgebracht“. Die Dorfbewohner brachen in Panik aus, sodass durch einen Dominoeffekt 380 Dörfer in kürzester Zeit verlassen wurden. Dass dies Teil einer psychologischen Kriegsführung war, erfuhren sie, als sie in den Camps ankamen. Neben diesen Menschen gibt es natürlich auch diejenigen die die Massaker überlebt haben. Ich erfahre, dass viele von ihnen nachts leise weinen und realisiere, dass wir nur ein Bruchteil von dem wissen, was diese Menschen durchgemacht haben


Geiselnahme von Kindern für Propagandazwecke

In einem Camp treffe ich auf ein Kind, welches vom IS als Geisel festgehalten und für Propagandazwecke wieder freigelassen wurde. Der Fall, über den international berichtet wurde, handelt von etwa 150 entführten Kindern im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, die in einem kleinen Dorf Allepos über vier Monate in einer Koranschule festgehalten wurden. Das Kind erzählt mir, dass in der Koranschule das Fasten und Beten Pflicht war und fügt hinzu: „Wir wurden nicht misshandelt, aber unser ganze Tag bestand in Beten und Religionsunterricht. Die Türen waren stets verschlossen und wir durften die Schule nicht verlassen.“

Der Vater des Kindes fügt hinzu, dass das größte Trauma wohl durch die Kriegsvideos, die den Kindern alle zwei Tage gezeigt wurden, verursacht wurde. Er fährt hilflos fort: „Die Kinder wurden gezwungen, sich grausame Kriegsvideos anzuschauen, in denen die Opfer der Gräueltaten als Ungläubige bezeichnet wurden, die im Namen des Glaubens geschlachtet werden müssten. Mein Sohn betet regelmäßig seit er zurück ist. Wenn ich ihm sage, dass er noch ein Kind ist und dies nicht notwendig sei, antwortet er, dass ihn im Himmel 72 Jungfrauen erwarten. Sie haben mein Kind einer Gehirnwäsche unterzogen.“ Nach der Ausbildung in der Koranschule mussten sie eine Prüfung ablegen, wobei 125 Kinder den Status des „Hafiz“ (Muslim, die den gesamten Koran auswendig gelernt hat) erhielten und freigelassen wurden. 25 weitere Kinder befinden sich immer noch in Geiselhaft. Das Kind bemerkt weiter: „Sie sagten uns, von Kobanê sei nichts übrig geblieben; wir sollen in die Türkei gehen und die Botschaft verbreiten“. Der Vater des Kindes redet dazwischen: „Sie haben mit dem Tod der anderen Kinder in der Koranschule gedroht, falls sie irgendetwas Falsches machen“. Wie es den Kindern geht, die sich noch in Geiselhaft befinden, ist ungewiss.


Sie sollen auch unsere Häuser zerstören

Tausende Gesichter, hunderte Zelte…Fast jeder Flüchtling, den ich treffe, möchte seine Geschichte erzählen und wünscht sich, dass sie auch Menschen außerhalb Kurdistans erreicht. Hamed T. erzählt, dass er sein Hab und Gut in Kobanê gelassen hat, um rechtzeitig vor dem drohenden Massaker fliehen zu können und dass nun alles vom IS geplündert und zerstört wurde. Ich erfahre auch von anderen Flüchtlingen, dass der IS mit Lastwagen aus den evakuierten Dörfern alles Brauchbare, sogar Vieh und die Ernte, als Kriegsbeute nach Ar-Raqqa transportierte. Muhammed, ein weiterer Flüchtling merkt an: „Unser Land wird vor den Augen der Weltöffentlichkeit ausgeraubt. Bevor sie unsere Dörfer verlassen, zerstören und vernichten sie alles. Ich wünsche mir, dass die Luftangriffe der Anti-IS Koalition auch unsere Dörfer und Häuser vernichten. Bevor sie in die Hände der IS-Mörder fallen, sollen sie komplett zerstört werden.“
 

 

Viele Flüchtlinge im Camp definieren ihre Situation nicht nur über den materiellen Verlust. Sie bedeutet für sie auch eine Missachtung aller menschlichen Werte, Menschenwürde und Stolz. So erzählen zahlreiche Flüchtlinge von ihren weiblichen, teils minderjährigen Angehörigen, die als Sexsklavinnen auf dem Markt verkauft wurden.


Gute Soldaten, schlechte Soldaten

Das Gesicht von Semra M. (17) nimmt strenge Züge an, wenn sie über die Geschehnisse der letzten Monate spricht. Vor etwa 20 Tagen hat sie zusammen mit ihren vier Geschwistern die Stacheldrahtzäune an der türkischen Grenze passiert. Nachdem sie eine Weile bei Bekannten in Suruç untergekommen waren, kam die Familie erst im Flüchtlingscamp wieder zusammen. Sie gibt an, dass sie von einigen türkischen Grenzsoldaten schlecht behandelt wurden, andere ihnen aber auch geholfen haben: „Als wir an der Grenze ankamen hatten wir Koffer in der Hand. Die Soldaten haben untereinander kurdisch gesprochen und uns dann beim Tragen des Gepäcks geholfen. Ohne diese Hilfe hätten wir unser Gepäck hinter dem Grenzzaun zurücklassen müssen.“


„Wenn die Freunde nicht wären…“

Semra M. lebt nun mit ihrer Familie im Flüchtlingscamp. Semra betont, dass sich die Gemeinde von Suruç und die freiwilligen Helfer des Camps sich sehr bemühen, um das Leben der Flüchtlinge zu erleichtern. „Uns haben die Freunde hierher gebracht, wir waren in einer sehr schwierigen Lage und auseinandergerissen. Sie haben uns mit dem Rest der Familie zusammengeführt. Im Moment werden all unsere Grundbedürfnisse erfüllt. Wenn die Freunde nicht wären, wüsste ich nicht, was mit uns passieren würde.“ Sie wendet ihr Gesicht schweigend von mir ab. Als ich sie frage, warum sie schweigt, erzählt sie, dass ihr Bruder vor neun Monaten vom IS entführt wurde und fügt hinzu: „Mein älterer Bruder und meine vier Cousins haben vor neun Monaten die Schule verlassen und wollten zum Arbeiten in den Irak. Sie wurden vom IS überfallen und neun Minibusse mit 163 Insassen fielen in die Hände des IS. Mein Bruder hat niemandem etwas angetan, was ist seine Schuld? Hier meinen alle, dass er wahrscheinlich massakriert wurde, aber wir geben die Hoffnung nicht auf, dass er lebt.“

Als ich sie frage, ob sie von der Türkei irgendetwas erwartet, erzählt sie mir, dass ihre Cousins in einer Sporthalle festgehalten werden. Sie beendet das Gespräch mit dem Appell: „Wir erwarten nichts von ihnen und appellieren nur als Menschen: Sie sollen die Gefangenen freilassen und die Unterstützung dieser IS-Banden einstellen“.


Es reicht nicht, den Schmerz in sozialen Medien zu teilen

Wir setzen uns mit zwei freiwilligen Camp-Helfern in einen kleinen Raum, der als Lager für Hilfsgüter genutzt wird, und unterhalten uns. Cekdar arbeitet im Stadtrat der Gemeinde von Diyarbakir, Emrah als Bäcker in einer Patisserie. Beide haben vor zwei Wochen ihren Arbeitsplatz in Diyarbakir verlassen, um sich an der Solidaritätskoordination in Suruç zu beteiligen.

Emrah und Cekdar geben an, dass sie vor allem aus Gewissensgründen hergekommen sind. Emrah sagt: „Es reicht nicht mehr aus, dass wir unser Leid in den sozialen Medien teilen. Das kurdische Volk wird von einer Katastrophe in die nächste gedrängt. Vor kurzer Zeit wurden wir Zeuge des Massakers in Shengal (Sindschar) und nun versuchen sie dasselbe in Kobanê anzurichten.“ Er zitiert den Premierminister der Türkei, der vor kurzem öffentlich fragte: „Was haben wir mit Kobanê zu tun?“, und sagt: „Wir haben Kurdistan nie geteilt aufgefasst; ja, es gibt künstliche Grenzen, aber für uns haben diese Grenzen keinerlei Bedeutung.“
 

 

Die freiwilligen ArbeiterInnen des Camps leben dort zusammen mit den Flüchtlingen und verbringen ihre gesamte Zeit mit ihnen. Sie werden als Bruder, Schwester, Onkel, Tante oder FreundIn bezeichnet. Emrah reicht mir einen Tee im Plastikbecher und fährt fort: „Wir versuchen hier ein Leben aufzubauen, das auf einer Kultur der Solidarität basiert und den Zusammenhalt stärkt. In allen Kantonen Rojavas wurde versucht, genau dies als Gesellschaftsmodell umzusetzen. Dieses Modell für den gesamten Mittleren Osten wird nicht begrüßt, deswegen versucht der IS, dieses Modell zu zerstören. Wir wollen, dass der Prozess, der in Kobanê unterbrochen wurde und das Individuum, das sich durch dieses Modell verwirklicht hat, hier, in diesen Camps weiterlebt.“


70-jährige Mutter, auf ihrem Rücken der 50-jährige behinderte Sohn, kam und starb

Obwohl behauptet wird, dass alle Zivilisten aus Kobanê evakuiert wurden, erfahre ich, dass viele Flüchtlinge immer noch auf ihre Angehörigen warten. Ich frage Emrah, welches Erlebnis ihn am meisten beeindruckt hat. Er stockt kurz und erzählt: „Eine alte 70-jährige Frau floh vor dem Massaker, erreichte aber nicht rechtzeitig die Fahrzeuge, die die Flüchtlinge abtransportierten. Die Frau hat ganz alleine ihren 50-jährigen behinderten Sohn auf dem Rücken bis an die Grenze getragen.“ Als ich ihn frage, wo die Frau sich nun befinde, sagt er, sie sei gestern Nacht in Beisein ihres Sohnes gestorben. Uns überkommt die Trauer, wir schweigen.


Herzlich willkommen, Heval Serhildan Kobanê!

Um die bedrückende Atmosphäre zu durchbrechen, meint Cekdar: „Wir haben aber zwei neue Campbewohner“. Er zieht mich Arm und führt mich schnell zu den Zelten. Vor dem Zelt fragt er „Hevalê Serhildan ka nê (Wo ist der Weggefährte Serhildan)?“ In den Armen seiner Mutter treffe ich am Zelteingang auf den Neugeborenen Serhildan (siehe Foto). Er kam vor drei Wochen am Grenzübergang in Yumurtalik zur Welt. Weil die türkischen Soldaten ihnen die Einreise verweigerten, kämpften Mutter und Sohn an der Grenze in Kobanê acht Tage lang um ihr Überleben. Er bekam den Namen Serhildan Kobanê (Aufstand Kobanê). Außerdem lerne ich Berxwedan (Widerstand) kennen, der vor einigen Tagen im Camp auf die Welt gekommen ist. Er hält mit seiner winzigen Hand meinen Finger fest.
 

 

Emrah erzählt, dass durch die Intensität der Flüchtlingsströme und des Krieges, viele Hilfsaktionen sich nach täglichen Bedarf richten. Er erklärt, dass sie zunächst mit den Campbewohnern – die er „mein Volk“ nennt – besprochen haben, was sie zusammen mit ihnen und für sie machen können. Die Camps organisieren sich bereits seit einiger Zeit in Kommunen, mit klaren Verantwortungsstrukturen und einer allmählich funktionierenden Arbeitsteilung. Emrah fügt hinzu: „es zeichnet sich ein gewisser Fortschritt bei der Organisierung ab, wir sind uns aber auch bewusst, dass sich das Ganze in einem langwierigen Aufbauprozess befindet.“

Cekdar merkt an, dass viele Probleme auch dadurch entstünden, dass die Camps täglich von hilfsbereiten Menschen aufgesucht werden, die darauf beharren, Hilfsaktionen in Eigeninitiative zu starten, ohne die Campbewohner miteinzubeziehen. Er fährt fort: „Wir achten genauestens darauf, dass die Art der Hilfsgüter und die Art und Weise, wie sie die Menschen erreichen, diese nicht in ihrem Stolz verletzt undbloßstellt.“

Emrah mischt sich schmunzelnd ins Gespräch: „Machmal müssen wir den Besuchern Selbstverständlichkeiten erklären. Dass sie beispielsweise nicht mit 50 Paar Kinderschuhen in ein Camp kommen können, in dem tausende Kinder untergebracht sind.“ Er gibt an, dass einige Hilfsgüter im Übermaß vorhanden sind, wohingegen einige dringend benötigte Dinge fehlen. Er betont zum wiederholten Mal, dass die Hilfsgüter im Depot abgegeben und registriert werden müssen.


Türkische Fahne und Munition im Hilfspaket

Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten zeigt der Faschismus sein Gesicht auch hier. Cekdar zeigt mir die Munition eines MKE-Gewehrs (Mechanical and Chemical Industry der Türkei), und sagt, dass er diese Patrone zusammen mit einer türkischen Fahne in einem Hilfspaket gefunden hat. Dasselbe hatten wir bereits nach dem Erdbeben in der kurdischen Stadt Van erlebt, wo in den Hilfspakten ebenfalls türkische Fahnen und Munition zu finden waren.


Solidarität der Völker

Dass die staatlich konstruierte Trennung zwischen dem kurdischen und türkischen Volk durch den Gezi-Aufstand aufgehoben wurde, wie in linken Kreisen immer wieder festgestellt wird, kann ich anhand der Praxis Kobanê und Pirsus nicht bestätigen. Obwohl viele Besucher aus dem Westen der Türkei hierhin gereist sind, wird dies von der lokalen Bevölkerung als „linker Tourismus“ bezeichnet.

Falls es wirklich eine Solidarität der Völker gibt, ist es an der Zeit, sich von allen Vorurteilen zu befreien und den Menschen hier beizustehen. Sie haben hier noch viel mehr zu erzählen, aber schweigen größtenteils. Es ist nun an der Zeit, diesen Menschen Gehör zu verschaffen. Wenn in ein paar Jahren die Frage gestellt wird „Was hast du gemacht als Kobanê für die Würde der Menschheit gegen die Schreckensherrschaft gekämpft hat?“, müssen wir eine gewissenhafte Antwort geben können. Die Mütter, Väter und Geschwister dieser Menschen (ein Großteil der Campbewohner sind ältere Menschen und Kinder) kämpfen in den Straßen Kobanês. Diese Menschen wurden uns anvertraut. Es ist an der Zeit, diesem Vertrauen gerecht zu werden

Murat Bay
 



Quelle:  Originalartikel erstveröffentlicht in Englisch auf sendika.org > Artikel


  erstveröffentlicht in Deutsch auf Civaka-Azad.org > Artikel


Über Civaka Azad:

Seit Jahrzehnten gibt es in Kurdistan einen Krieg gegen das kurdische Volk. Dabei ist die Forderung der Kurden ausschließlich die Anerkennung ihrer Identität und ihrer Rechte. Allerdings ist diese Forderung Grund genug für die Regierungen der Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien, in denen die Kurden leben, um sie aufs Bitterste bekämpft. Und es ist ein Krieg, der in der Weltöffentlichkeit mehrheitlich keine Beachtung findet. Das ermutigt die Staaten bei Gelegenheit auch auf eine „schmutzige Kriegsführung“ zurückzugreifen. So werden sowohl zivile Opfer billigend in Kauf genommen, als auch Waffen eingesetzt, die nach Genfer Kriegskonvention geächtet sind. Die Schaffung von Öffentlichkeit und ihre Sensibilisierung für die Geschehnisse in Kurdistan können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, diesen Krieg einzudämmen und mittelfristig den Weg für eine friedliche Lösung zu ebnen. Hierzu möchten wir als Civaka Azad unseren Beitrag leisten.

„Only bad news, are good news“, so lautet die Maxime vieler Mainstream Medien hierzulande. Die Ereignisse aus Kurdistan werden, wenn überhaupt, nur einseitig mit dem Fokus auf den Krieg beleuchtet. Allerdings werden in Kurdistan seit Jahren trotz permanenten Kriegszustands auch Projekte für eine kommunale Selbstverwaltung und zivilgesellschaftliche Organisierung der Bevölkerung vorangetrieben. Die Menschen fangen an die Probleme ihrer Region basisdemokratisch selbst zu lösen. Es keimt ein freiheitliches, demokratisches, ökologisches und geschlechterbefreiendes Bewusstsein in der Bevölkerung auf. Mit diesem Bewusstsein und den fortschrittlichen Projekten bauen die Menschen aus Kurdistan ihre Civaka Azad – ihre freie Gesellschaft – gegen die permanenten Repressalien durch die jeweiligen Staatsapparate auf. Auch diesbezüglich haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, diese Projekte in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen, um sowohl einen Schutz vor Repressalien zu bilden als auch Interessierten einen Einblick in das Projekt der Demokratischen Autonomie zu gewähren.

 - bitte hier weiterlesen
 



Bild- und Grafikquellen:


1. - 5. Fotos zum Artikel gehörend! © CopyLEFT Sendika.org 

6. Karte: Die Situation in Kobanê und dem Umland im Grenzgebiet zw. Syrien und der Türkei. Quelle: derStandard.at > Artikel mit Karte 

7. Diren Kobanê - Halte durch, Kobanê. Lange Tage und Nächte des verzweifelten Widerstands gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) welche die syrisch-kurdische Stadt Kobanê massiv mit Granaten beschießt. Seit vielen Wochen ist die Grenzregion im Ausnahmezustand. Die Terrormiliz hat trotz heftiger kurdischer Gegenwehr und von den USA angeführten Luftangriffen einige Viertel der Stadt Kobanê erobert, doch es gelingt den Kurden immer wieder, Teile der Stadt zurückzuerobern.