Flüchtlingspolitik à la EU

2 Beiträge / 0 neu
Letzter Beitrag
Bild des Benutzers Helmut S. - ADMIN
Helmut S. - ADMIN
Online
Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Flüchtlingspolitik à la EU
DruckversionPDF version

Flüchtlingspolitik à la EU

von Ulla Jelpke / Ossietzky


Die griechische Küstenwache hält Flüchtlinge gewaltsam von ihrer Überfahrt nach Griechenland ab. Sie zwingt sie in türkische Gewässer zurück, sie schlitzt Schlauchboote auf, sie haut die Motoren entzwei, sie setzt das Leben der Flüchtlinge skrupellos aufs Spiel. So haben es schon mehrfach Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen festgehalten, zuletzt Amnesty International in einem Report Anfang Juli. Wer es auf griechisches Territorium schafft, kommt umgehend in stacheldrahtbewehrte Lager und muß bis zu eineinhalb Jahre auf eine Entscheidung über das Asylgesuch warten.

Der Inselstaat Malta wurde vor wenigen Tagen vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verurteilt, weil er eine Somalierin fast eineinhalb Jahre lang in einem Gefängnis eingesperrt hatte, wo sie extremer Kälte und Hitze ausgesetzt war. Monatelang wurde ihr der Freigang verwehrt. Trotz Infektion nach einer Fehlgeburt hatte die Frau nur minderwertiges Essen erhalten. Ein Mann aus Sierra Leone war gar zwei Jahre lang eingesperrt. Wegen behördlicher Willkür haben die beiden nun Anspruch auf jeweils mehrere zehntausend Euro Schmerzensgeld. Das Vorhaben der maltesischen Regierung, somalische Flüchtlinge, die über Libyen eingereist waren, ohne jegliche Asylanhörung nach Libyen zurückzuschicken, hatte der Gerichtshof bereits zuvor per einstweiliger Verfügung untersagt.

Italien hat Hunderte afrikanischer Flüchtlinge aus Libyen, die nach Beginn des NATO-Krieges gegen das nordafrikanische Land flüchten mußten, aus den ohnehin erbärmlichen Unterkünften hinausgeworfen, ihnen Bargeld und Fahrkarten in die Hand gedrückt und sie aufgefordert, in andere EU-Länder zu verschwinden. 300 von ihnen sitzen derzeit in Hamburg mehr oder weniger auf der Straße, einige leben im Flüchtlingscamp auf dem Berliner Oranienplatz. Nicht viel anders erging es einer Gruppe von 70 afghanischen Flüchtlingen, die aus ihren Unterkünften in Ungarn geflohen sind, weil sie dort menschenunwürdig behandelt wurden und ständiger Bedrohung durch Aktivisten vom Schlage der faschistischen Jobbik ausgesetzt waren.

Das europäische Asylsystem erweist sich als Desaster. Arme Länder wie Griechenland und Ungarn, in denen sich offener Unwille und faktische Überforderung der Behörden mischen, erhalten vom Rest der EU praktisch keine Unterstützung, und die Konsequenzen haben die Flüchtlinge zu tragen.

Der neue Papst unternahm seine erste Dienstreise nach Lampedusa. In seiner Rede prangerte er die »Globalisierung der Gleichgültigkeit« an und bezeichnete die Unterstützung von Flüchtlingen als Gebot christlicher Nächstenliebe. Aber er blieb unverbindlich, griff niemanden direkt an und zog keine konkreten politischen Schlußfolgerungen. Damit haben Kirchengemeinden zwar päpstlichen Segen, die gröbsten Mißstände des Asylsystems humanitär abzumildern, zugleich ist es aber den EU-Mächtigen weiterhin möglich, ihr menschenfeindliches System von Abschreckung und Abschiebung beizubehalten.

Das gilt auch für deutsche Behörden. Der Hamburger Senat verweigert den Flüchtlingen jede Unterstützung und versteckt sich hinter der Zuständigkeit der Bundesregierung beziehungsweise der italienischen Regierung. Wären nicht Hilfsangebote christlicher und muslimischer Gemeinden, die Flüchtlinge müßten auf offener Straße übernachten. Der Bundesregierung ist es egal, was den Flüchtlingen in Italien widerfahren ist: Sie sollen gefälligst dorthin zurück. Der Hamburger Senat behauptet, er könne nicht anders, und übersieht geflissentlich seine Möglichkeit, Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu erteilen. Desgleichen die grün-rote Landesregierung Baden-Württembergs, die ihre Entscheidung über Verbleib oder Abschiebung der 70 Afghanen von einer Lageanalyse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abhängig machen will, und nicht von der Situation, die die Flüchtlinge in Ungarn real erfahren haben.

In Berlin zeigt man sich derweil, mit Ausnahme ausgerechnet der säkularen Parteien Grüne und Linke, von päpstlichen Hinweisen gänzlich unbeeindruckt. Seit Oktober vorigen Jahres campieren Flüchtlinge auf dem Oranienplatz, und es mehren sich die Stimmen, daß das Camp endlich aufgelöst werden müsse, weil es ja keine Lösung sei, so etwa der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Selbstverständlich ist das Camp keine Lösung – es ist ein Protest gegen einen Mißstand, der beseitigt werden muß. Doch CDU-Innensenator Frank Henkel verweigerte die Teilnahme an einer Gesprächsrunde mit der Begründung, er nehme an keinen Gesprächen teil, »die sich in rechtswidrigen Zuständen bewegen«. Dabei ist das Camp selbst vom Bezirk genehmigt – »rechtswidrig« ist allein die Anwesenheit einiger der Flüchtlinge in Berlin, weil sie ihre Residenzpflicht verletzen. Genau darüber wollten sie reden, aber: Das ist ja Bundessache, darüber brauchen Berliner Politiker nicht zu reden. Das Bundesinnenministerium will auch nicht reden, sondern die Entscheidungen des BAMF durchgesetzt wissen. So werden Flüchtlinge nach und nach in die Verzweiflung getrieben. Welche dramatischen, selbstzerstörerischen Auswüchse das haben kann, machte der Hunger- und Durststreik mehrerer Flüchtlinge in München deutlich, der beinahe Todesopfer gefordert hätte.

Auf wieviel Ressentiment selbst bescheidene Hilfe für Flüchtlinge immer noch stößt, zeigt sich dieser Tage in Berlin-Hellersdorf, wo die geplante Einrichtung eines Aufnahmelagers für bis zu 400 Menschen die Emotionen hochkochen läßt. Eine Anwohnerversammlung wurde Anfang Juli von einigen Dutzend organisierten Nazikadern gekapert, die mit ihren rassistischen Tönen bei einem Großteil der fast 1000 Teilnehmer Anklang fanden. Der Bezirk muß sich verteidigen, weil er die Anwohner nicht früh genug informiert habe – den Zuzug von Ausländern muß man in Deutschland offenbar frühzeitig anmelden –, die bürgerliche Presse zitiert reihenweise Nachbarn, die in der Aufnahme von Flüchtlingen ein Sicherheitsrisiko für sich, ihre Kinder oder ihre Wertsachen sehen.

Noch haben solche Töne zum Glück nicht die absolute Deutungshoheit. Der Versuch der NPD, eine Demonstration vor mehreren Flüchtlingsheimen in Berlin durchzuführen, scheiterte an geringer Beteiligung auf der eigenen Seite und Hunderten Gegendemonstranten. Es zeigt sich, daß antifaschistische Interventionen dringend notwendig bleiben und auch Erfolg haben.
 


 

► Quelle:  Erschienen in Ossietzky, der Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft - Heft 16/2013 > zum Artikel


Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, wurde 1997 von Publizisten gegründet, die zumeist Autoren der 1993 eingestellten Weltbühne gewesen waren – inzwischen sind viele jüngere hinzugekommen. Sie ist nach Carl von Ossietzky, dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 1936, benannt, der 1938 nach jahrelanger KZ-Haft an deren Folgen gestorben ist. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte er die Weltbühne als konsequent antimilitaristisches und antifaschistisches Blatt herausgegeben; das für Demokratie und Menschenrechte kämpfte, als viele Institutionen und Repräsentanten der Republik längst vor dem Terror von rechts weich geworden waren. Dieser publizistischen Tradition sieht sich die Zweiwochenschrift Ossietzky verpflichtet – damit die Berliner Republik nicht den gleichen Weg geht wie die Weimarer.

Wenn tonangebende Politiker und Publizisten die weltweite Verantwortung Deutschlands als einen militärischen Auftrag definieren, den die Bundeswehr zu erfüllen habe, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Flüchtlinge als Kriminelle darstellen, die abgeschoben werden müßten, und zwar schnell, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Demokratie, Menschenrechte, soziale Sicherungen und Umweltschutz für Standortnachteile ausgeben, die beseitigt werden müßten, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie behaupten, Löhne müßten gesenkt, Arbeitszeiten verlängert werden, damit die Unternehmen viele neue Arbeitsplätze schaffen, dann widerspricht Ossietzky – aus Gründen der Humanität, der Vernunft und der geschichtlichen Erfahrung.

Ossietzky erscheint alle zwei Wochen im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin – jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen Sprachregelungen, gegen das Plattmachen der öffentlichen Meinung durch die Medienkonzerne, gegen die Gewöhnung an den Krieg und an das vermeintliche Recht des Stärkeren.

Redaktionsanschrift:


Redaktion Ossietzky
Haus der Demokratie und Menschenrechte

Greifswalderstr. 4

10405 Berlin

redaktion@ossietzky.net

http://www.ossietzky.net/


Bild des Benutzers Peter Weber
Peter Weber
Offline
Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
EU - "Demokratie" als Menschenbekämpfer im Mittelmeer


EU - "Demokratie" als Menschenbekämpfer im Mittelmeer


Bei der Bekämpfung von Asylanten, die aus ihren afrikanischen Heimatländern über das Mittelmeer flüchten müssen und von einem Leben in Sicherheit im gelobten Land EU träumen, haben sich nicht nur die nationalen Küstenwachen der EU-Länder unrühmlich hervorgetan. Da gibt es noch die rabiate Grenzschutztruppe mit dem schönfärberischen Namen „ Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union“, kurz Frontex genannt. Frontex ist in den letzten Jahren mehrfach negativ wegen brutaler Eingreifmethoden aufgefallen. Hier der Link zu einem Beitrag von n-tv mit der Überschrift „Frontex prüft neue Fangtechniken“, der wie folgt beginnt:

„Die EU-Grenzschutzagentur Frontex sucht nach Wegen, um Fahrzeuge zu stoppen – mit Netzen, Farbdüsen und anderen Tricks, die aus einem Schurkenstück stammen könnten. Dafür zeigt sie den Mitgliedstaaten Drohnen, die gegen illegale Einwanderung helfen sollen.“

Die EU hat anscheinend immer noch nicht kapiert, wie dringlich die Lösung dieses Asylantenproblems ist. Um dem Übel an die Wurzel zu gehen, müßte der Bevölkerung in den armen Krisenstaaten Afrikas Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden. Dazu ist es auch unerläßlich, daß den betreffenden Staaten faire Handelsbedingungen geboten und daß sie nicht mit billiger subventionierter EU-Ware überschwemmt werden. Falls dies nicht gelingt, werden wir in Zukunft von Asylanten überrollt werden. Für den Übergang gebietet es jedoch die Menschlichkeit, daß den Flüchtlingen in der EU geholfen wird und sie human behandelt werden.  Die Grenztruppen aufzurüsten und dem Problem mit Gewalt zu begegnen ist kontraproduktiv. Die Gelder, die für Militäreinsätze und Waffen zum Fenster hinaus geworfen werden, könnten zielführender verwendet werden.

Wer wie die EU und ihre Mitgliedsländer ständig die demokratische Fahne mit Menschenrechtsbeteuerungen voran trägt, der beweist doch mit der inhumanen Asylantenpraxis, daß das demokratische Gefasel reine Fassade ohne jegliche Substanz ist. Obwohl es niemand aus den oberen Etagen zugeben will, pfeifen es doch die Spatzen vom Dach, daß es sich bei der EU um eine reine ökonomische Zweckgemeinschaft zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Konzerne und des Kapitals handelt. Das rührselige Gedusel um die europäische Gemeinsamkeit der Bürger kann nur als Märchen verstanden werden. Hier geht es um knallharte Profitinteressen, wobei konsumferne Menschen wie Asylanten nur hinderlich im Wege stehen.

Ich mache persönlich immer wieder die Erfahrung, daß die soziale Einstellung der meisten Bundesbürger im allgemeinen und speziell im Hinblick auf Asylanten enorm zu wünschen übrig läßt. Der Tenor lautet stets, daß die Flüchtlinge vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen und uns dabei die Butter vom Brot nehmen. Besonders wird immer auf unsere ach so vorbildlichen sozialen Leistungen hingewiesen, auf die es diese Schmarotzer abgesehen hätten. Daß es aufgrund der außerordentlichen Produktivität der deutschen Wirtschaft und der Reichtumsschwemme in bestimmten Kreisen einerseits und andererseits angesichts der vor die Säue geschütteten Billionen an unsinnigen Subventionen an die Konzerne sowie der Raubtierfütterungsaktionen an die Banken überhaupt keine Finanzierungsprobleme für Sozialleistungen o.ä. geben müßte, das hat sich bei diesen Schwachmaten noch nicht herumgesprochen. Nach unten wegtreten und nach oben buckeln – das war und ist eben die Stärke der Kleinbürger.

MfG Peter A. Weber

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden.