Griechenland – die tickende Zeitbombe

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Ernst Wolff
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Griechenland – die tickende Zeitbombe
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Griechenland – die tickende Zeitbombe


Zwei Monate nach dem Wahlsieg des Bündnisses SYRIZA treibt Griechenland weiter ins Ungewisse. Die Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF, engl. IMF), Europäischer Zentralbank (EZB, engl. ECB) und EU-Kommission ist bis heute keinen Millimeter von ihrer kompromisslosen Linie abgewichen. Sie fordert nach wie vor, dass die arbeitende griechische Bevölkerung für die Schäden aufkommt, die skrupellose Banker und ihre nicht minder skrupellosen politischen Verbündeten angerichtet haben.

Die vergangenen acht Wochen haben aber auch gezeigt: Der Syriza-Flügel unter Alexis Tsipras, der die neue Regierung bildet, hat dieser Kampfansage nichts entgegen zu setzen. Obwohl er seinen Wählern vor dem 25. Januar ein Ende der Austerität angekündigt hatte, hat Tsipras sein Versprechen bis heute nicht gehalten.
 

 

Im Gegenteil: Seine Regierung betont bei jeder Gelegenheit, sich der Troika unterordnen zu wollen und hat inzwischen sogar begonnen, Gelder von Pensionsfonds, staatlichen Institutionen und öffentlich-rechtlichen Betrieben einzutreiben, um damit Staatsschulden zu begleichen.

Für die arbeitende Bevölkerung in Griechenland ist die entstandene Situation mehr als ernüchternd: Ihr Gegner, die Troika, hat ihr den Krieg erklärt und ihr vermeintlicher Verbündeter, die Regierung Tsipras – Varoufakis, schaut nicht nur zu, sondern fällt ihr auch noch in den Rücken. Kein Wunder, dass sich Protestaktionen häufen und die Regierung in öffentlichen Meinungsumfragen weit hinter ihre früheren Werte zurückfällt.

Trotz dieser kritischen Entwicklung sind die Probleme in Griechenland nur ein kleiner Teil eines weitaus größeren Problems. Dessen Ausmaß lässt sich erahnen, wenn man sich die Zahlen ansieht, die der IWF auf seiner Jahrestagung in Washington vorgelegt hat: Die Banken der Eurozone sitzen derzeit auf faulen Krediten in Höhe von 900 Mrd. Euro, von denen zwei Drittel auf Banken in Italien, Spanien, Irland, Zypern und Griechenland entfallen. Das heißt, ein Großteil der Banken in diesen Ländern ist bankrott und wird nur durch (inzwischen zu diesem Zweck legalisierte) Bilanzfälschung am Leben erhalten.
 

 

Dazu kommt, dass die Euro-Wirtschaft stagniert und in eine Rezession abzugleiten droht, während deflationäre Tendenzen sich trotz massiver Geldspritzen durch die EZB halten. Inflationäre Tendenzen dagegen zeigen sich an den Anleihemärkten, den Börsen und am Immobiliensektor, wo sich riesige Blasen gebildet haben, die jederzeit platzen können.

Eine besonders wichtige Informationen des IWF findet sich in seinem "Global Financial Stability Report" [⇒ siehe Ausg. 10/2014 + 4/2015 als PdF-Anhänge am Ende]. Dort liest man: „Die Risiken im globalen Finanzsystem sind seit Oktober gestiegen und haben sich in Teile des Finanzsystems bewegt, wo sie schwerer einzuschätzen und schwieriger zu behandeln sind.“

Dies ist nichts als eine überaus beschönigende Formulierung der Tatsache, dass das Schattenbankensystem trotz aller anderslautenden Beteuerungen von Politikern nicht kleiner, sondern größer geworden ist. Anders ausgedrückt: Auf dem unregulierten Markt der Finanzprodukte wird mit unverminderter Hemmungslosigkeit spekuliert.
 

Um die Größenordnung dieser Spekulation zu verdeutlichen, hier ein Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands (BIP, engl. GDP - die Summe aller produzierten Waren und erbrachten Dienstleistungen) betrug im Jahr 2014 2,9 Billionen Euro, das der gesamten Eurozone 9,9 Billionen Euro. Der Derivatebestand der Deutschen Bank (Derivate sind Finanzprodukte, die mit der Realwirtschaft nichts zu tun haben, vereinfacht ausgedrückt: Finanzwetten) belief sich im selben Zeitraum auf knapp 50 Billionen Euro.

Im Klartext bedeuten all diese Zahlen: Die Eurozone ist seit der Krise von 2007 / 2008 nicht sicherer, sondern erheblich unsicherer geworden. Die Mittel, die zur Rettung des Systems eingesetzt wurden, sind so gut wie erschöpft. Und das Roulettespiel auf dem Markt der Derivate hat nicht nur zugenommen, sondern inzwischen ein Ausmaß angenommen, das nicht mehr zu beherrschen ist.
 

Euro-19
  Land Einführung Einwohner Ausnahmen
         
Europa Eurozone   ca. 337.000.000  
         
Belgien Belgien 1. Jan. 1999 11.161.642 (2013)  
Deutschland Deutschland 1. Jan. 1999 80.523.746 (2013) Büsingen am Hochrhein (faktisch)
Estland Estland 1. Jan. 2011 1.324.814 (2013)  
Finnland Finnland 1. Jan. 1999 5.426.674 (2013)  
Frankreich Frankreich 1. Jan. 1999 65.663.194 (2013) Neukaledonien Neukaledonien[13]
Französisch-Polynesien Französisch-Polynesien[13]
Wallis und Futuna Wallis und Futuna
Griechenland Griechenland 1. Jan. 2001 11.062.508 (2013)  
Irland Irland 1. Jan. 1999 4.591.087 (2013)  
Italien Italien 1. Jan. 1999 59.685.227 (2013) Campione d’Italia (faktisch)
Lettland Lettland 1. Jan. 2014 2.023.825 (2013)  
Litauen Litauen 1. Jan. 2015 2.930.865 (2014)  
Luxemburg Luxemburg 1. Jan. 1999 537.039 (2013)  
Malta Malta 1. Jan. 2008 421.364 (2013)  
Niederlande Niederlande 1. Jan. 1999 16.730.632 (2012)

ehemalige Niederländische Antillen:

Österreich Österreich 1. Jan. 1999 8.451.860 (2013)  
Portugal Portugal 1. Jan. 1999 10.487.289 (2013)  
Slowakei Slowakei 1. Jan. 2009 5.410.836 (2013)  
Slowenien Slowenien 1. Jan. 2007 2.058.821 (2013)  
Spanien Spanien 1. Jan. 1999 46.704.308 (2013)  
Republik Zypern Zypern 1. Jan. 2008 865.878 (2013) Türkische Republik Nordzypern Türkische Republik Nordzypern

 

 

Hier liegt auch der Grund, weshalb Griechenland nicht fallen gelassen, sondern trotz ständig gegenteiliger Beteuerungen immer wieder durch neue Kredite vor dem Zusammenbruch gerettet wird: Ein Staatsbankrott würde nicht nur bedeuten,

  • dass europäische Banken mehr als eine Viertel-Billion Euro an Krediten abschreiben müssten und . .
  • die Europäische Zentralbank Staatsanleihen in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrags für wertlos erklären müsste.
  • Sie würde auch dazu führen, dass Kreditausfallversicherungen in Billionenhöhe fällig würden.

Da dieser Markt nicht reguliert ist, kann niemand sagen, mit wem diese im Einzelnen abgeschlossen wurden. Es ist aber davon auszugehen, dass neben der Deutschen Bank in erster Linie die sechs größten US-Banken betroffen sind, die in diesem Bereich den globalen Markt beherrschen. Es ist also auch für die Wall Street und die US-Regierung zwingend notwendig, Griechenland und die gesamte Eurozone nicht zusammenbrechen zu lassen.
 

 

Hier aber liegt der Kern des Problems: Das gegenwärtige Finanzsystem ist im Grunde ein toter Organismus, der nur künstlich am Leben erhalten wird, weil alle Beteiligten fürchten, im Fall eines Crashs zu den Verlierern zu gehören. Die Situation gleicht einer Fahrt in einem luftgekühlten Auto, dessen Motor überhitzt ist und dessen Fahrer versucht, ihn durch immer schnelleres Fahren zu kühlen. So wie der Motor in diesem Beispiel irgendwann explodieren muss, werden auch die Eurozone und mit ihr das globale Finanzsystem auseinanderfliegen. Die Frage ist gegenwärtig nur, was den finalen Crash auslösen und was sich möglicherweise noch vor seinem Eintreten ereignen wird.

Hier allerdings muss man auf zwei Entwicklungen hinweisen, die für die Zukunft entscheidend sein werden:

  • Zum einen die weltweite Aufrüstung,
  • zum anderen das Bevorstehen schwerer sozialer Unruhen.

Zwei Weltkriege haben bewiesen, dass Staaten in Zeiten höchster Not nicht davor zurückschrecken, zu den Waffen zu greifen: Kriege kurbeln die Wirtschaft an, schaffen Arbeitsplätze, sorgen durch Zerstörung für neue Investitionsmöglichkeiten, lenken die Bevölkerung von den wahren Schuldigen an ihrer Misere ab und vereinen sie im Kampf gegen einen äußeren Feind. Die auf Russland abzielende Dämonisierungskampagne der USA gegen Wladimir Putin, die gegen China gerichtete Politik des „pivot to Asia“, Frankreichs Feldzüge in Afrika und auch neue Erwachen des deutschen Militarismus dienen genau diesem Zweck.

Der Aufrüstung nach außen entspricht derzeit auch eine Aufrüstung nach innen. Die Finanzindustrie und die ihr hörigen Regierungen sind fest entschlossen, das bestehende System bis zum letzten Atemzug am Leben zu erhalten, aber alle Beteiligten wissen genau, dass das nur über weitere Austeritätsrunden, eine zunehmende Senkung des Lebensstandards bis hin zur völligen Verarmung großer Bevölkerungsteile zu erreichen ist. Also bereiten sie sich durch den Ruf nach „Law and Order“, durch die Militarisierung der Polizei, die Schaffung neuer Einheiten (die angeblich gegen terroristische Gefahren gerichtet sind) und durch Notfallpläne für Volksaufstände ganz bewusst auf soziale Unruhen vor.

Hierbei wird Griechenland als tickende Zeitbombe eine ganz wesentliche Rolle spielen. Das Land hat der Troika bei der Durchsetzung von sechs Austeritätsprogrammen bereits als Labor gedient, in dem die Reaktion der Bevölkerung auf immer brutalere Maßnahmen getestet wurde. Diese Rolle soll das Land auch weiterhin spielen: Die Regierung Tsipras wird in der vor uns liegenden Phase von der Troika mit eiserner Härte gezwungen werden, von all ihren Wahlversprechen abzurücken und die Politik der Vorgängerregierungen fortzusetzen.

Das allerdings wird SYRIZA in einen schweren Konflikt mit denen führen, die sie gewählt haben. Die Anfänge dieses Konfliktes sehen wir zurzeit: Erste Protestaktionen, erste Streiks und die Räumung der Athener Uni sind nur vereinzelte Anzeichen der zukünftigen Entwicklungen. Mit jeder Maßnahme, mit der sich die Regierung Tsipras der Troika weiter beugt, wird die Wut in der Bevölkerung wachsen, bis sie sich am Ende in gewaltigen sozialen Ausbrüchen entladen wird.

Wer wissen will, wie die herrschenden Kräfte dann reagieren, sollte sich das Schicksal des Arabischen Frühlings, insbesondere das Ägyptens, ins Gedächtnis rufen. Dort reagierten die Mächtigen nach den Protesten auf dem Tahrir-Platz zunächst zögerlich, dann mit einigen Zugeständnissen. Als es allerdings ernst wurde, schlug ihre Stimmung um. Sie ließen sämtliche Proteste mit brutaler Gewalt unterdrücken und setzten schlussendlich auf das Militär, das seitdem ein diktatorisches Regiment führt.

Wer nicht glaubt, dass eine Wiederholung dieser Ereignisse in Griechenland droht, der sei an die Militärdiktatur des Landes von 1967 bis 1974 erinnert. Und wer nicht glaubt, dass die internationale Finanzindustrie mit der Errichtung einer solchen Diktatur höchst einverstanden wäre, dem sei ein Artikel von Andrew Bolger in der FINANCIAL TIMES vom 01. Januar 2015 empfohlen, in dem das Sprachrohr des internationalen Finanzkapitals der Welt mitteilte: Das für internationale Investoren attraktivste Land im Jahr 2014 war das seit Sommer 2013 vom Militär beherrschte Ägypten.

Ernst Wolff, Berlin

 

: Bitte um Beachtung der nachfolgenden Lesetipps und der 9 angehängten -Text-Dokumente weiter unten!!


 

Lesetipps:


Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Wolffs Interview für Geopolitika - weiter

Der IWF bereitet sich auf das Ende der US-Dollar-Ära vor - weiter

EZB und nationale Notenbanken verpulvern 1 Billion Euro für die Finanzindustrie - weiter

Wolfgang Berger: Wie sich der Finanzsektor die Welt unterwirft - weiter

KenFM im Gespräch mit: Ernst Wolff - "Weltmacht IWF" - weiter

Ein Bail-In bei der Hypo Alpe Adria? Alarmstufe rot fürs globale Finanzsystem! - weiter


Bild- und Grafikquellen:


1. Griechische Nationalflagge. Graphic Design: Garyck Arntzen. (Norwegian by blood, South African by birth and English by current country of residence. Garyck is an artist by self definition, enjoy drawing, painting, designing and customising stuff he is always in contact with. He enjoys ambient, melodic music, such as tracks produced by Burial, as well as more progressive genre bands such as Tool, Deftones and Dream Theatre.) Quelle: DEVIANT ART.


2. Karte der Wirtschafts- und Währungsunion EUROZONE, (Stand 1. Januar 2015, also inklusive Litauen.) Als Eurozone (amtlich auch Euro-Währungsgebiet oder Euroraum) wird die Gruppe der EU-Staaten bezeichnet, die den Euro als offizielle Währung besitzen. Die Eurozone besteht aus 19 EU-Staaten und wird deswegen als Euro-19 bezeichnet. Zuletzt übernahm Litauen am 1. Januar 2015 als 19. EU-Land den Euro als offizielle Währung.

Die derzeit 19 EU-Staaten der Eurozone sind Belgien, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, die Slowakei, Slowenien, Spanien und Zypern. Von den übrigen neun EU-Staaten sind sieben verpflichtet, den Euro einzuführen, sobald sie die vereinbarten Konvergenzkriterien erreichen. Dänemark und das Vereinigte Königreich können den Euro einführen, müssen es jedoch nicht, das heißt, sie haben de jure eine Ausstiegsoption.

Für die Geldpolitik der Eurozone ist die Europäische Zentralbank zuständig und verantwortlich. Zusammen mit den nationalen Zentralbanken der Staaten der Eurozone bildet sie das Eurosystem. Im Rahmen der Euro-Gruppe stimmen die Staaten der Eurozone ihre Steuer- und Wirtschaftspolitik untereinander ab, allerdings ohne formale Entscheidungsbefugnis.

Autor: San Jose. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.


3. Troika ist eine Kooperation von Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission. Die Troika bzw. ihre Repräsentanten verhandeln mit Mitgliedsländern der Eurozone, deren Staatshaushalt in Schieflage geraten ist. Besondere Bekanntheit erlangte die Troika im Zuge der seit Herbst 2009 öffentlich bekannten griechischen Staatsschuldenkrise. Nach der Parlamentswahl in Griechenland am 25. Januar 2015 wurde Alexis Tsipras griechischer Ministerpräsident. Eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen war bzw. ist es, Griechenland vom angeblichen bzw. vermeintlichen Spardiktat der Troika zu befreien. Möglicherweise wird – im Zuge von hochrangigen Verhandlungen um einen Grexit – der Begriff 'Troika' im offiziellen Sprachgebrauch der EU durch einen anderen, neutraleren Begriff (z. B. „Die Institutionen“) ersetzt. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de

4. Tabelle: EURO-19. Stand: 1. Januar 2015. Quelle: Wikipedia

5. Der Börsenbulle - Charging Bull, Bronzefigur von Arturo Di Modica am Nordende des Bowling-Green-Parks in New York City. Er ist das Wahrzeichen der Wall Street und steht symbolisch für den Optimismus der Börse. Unser Medienkollege Wilfried Kahrs von QPress.de hat den Bullen in New York besucht und kurzerhand waidmannsgerecht erlegt. Soviel zum Optimismus der Börse! Bildbearbeitung: Wika

6. Tickende Zeitbombe. Foto: Dirk Knight. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0)

7. Das EURO-MONSTER. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de

8. Cover: "WELTMACHT IWF - Chronik eines Raubzugs" von Ernst Wolff.