Griechenland: Varoufakis dokumentiert Syrizas politischen Verrat

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Griechenland: Varoufakis dokumentiert Syrizas politischen Verrat
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Varoufakis dokumentiert Syrizas politischen Verrat

Von Robert Stevens / wsws.org/de

Yanis Varoufakis, bis vor kurzem griechischer Finanzminister, ist weiterhin bemüht, sich als Gegner des Spardiktats zu präsentieren, dem Premierminister Alexis Tsipras zugestimmt hat. Damit demonstriert er nur aufs Neue den Bankrott des gesamten Syriza-Projekts, das pseudolinke Gruppen weltweit immer noch in den höchsten Tönen loben.

Varoufakis wurde nach dem Wahlsieg Syrizas im Januar Finanzminister der neuen Regierung. Am 6. Juli, direkt nach dem überwältigenden Votum gegen die Austeritätspolitik in dem von der Regierung ausgerufenen Referendum, wurde er von Tsipras entlassen. In einem Interview mit der britischen Tageszeitung "The Observer" sagte Varoufakis letzte Woche, Tsipras habe sich für die „Kapitulation“ vor der Europäischen Union und den anderen Geldgebern Griechenlands entschieden und wolle ein „neuer De Gaulle“ werden.
 

"Here lies SYRIZA, that i once supported" written on the pavement of Syntagma Square, Athens

Varoufakis gab weitere Details darüber preis, wie Tsipras noch in den Abendstunden nach dem überwältigenden Votum der griechischen Wähler gegen die Austeritätspolitik der EU zur Entscheidung kam, alle von der EU geforderten Maßnahmen zu akzeptieren. Tsipras rechtfertigte dies mit den Worten, es sei „besser, dass eine progressive Regierung die Kapitulationsbedingungen mit Abscheu erfüllt, als es den örtlichen Marionetten der Troika (Europäische Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) zu überlassen, sie rücksichtslos durchzusetzen.“

Die Ereignisse haben gezeigt, dass die wichtigste „Marionette“ der Troika SYRIZA heißt, und dass Varoufakis dabei eine führende Rolle spielte. Der ehemalige Finanzminister beschreibt, wie er in den Verhandlungen mit der Troika wirtschaftspolitische Vorschläge „ganz nach Art von Reagan und Thatcher“ unterbreitete, unter anderem Steuererleichterungen und Privatisierungen. Seine Vorschläge wurden abgelehnt, weil, so die Klage Varoufakis‘, die Troika auf vollständige Kapitulation und „Regimewechsel“ aus war.

SYRIZA glaubte bei ihrem Regierungsantritt, dass sie Bündnispartner in Europa, darunter Italien, Frankreich und andere tief verschuldete Länder, für ihren Vorschlag gewinnen könne, für Griechenlands Auslandsschulden in Höhe von 300 Mrd. Euro eine Verhandlungslösung zu finden. Doch vor allem wollte SYRIZA die Unterstützung Deutschlands gewinnen. Varoufakis reiste persönlich nach Berlin und pries den Architekten der EU-weiten Sparpolitik, Finanzminister Wolfgang Schäuble, als einen der größten politischen Führer der Gegenwart. [Ergänzung ADMIN H.S.: zu Schäuble bitte hier und hier lesen!]
 

Als deutlich wurde, dass Schäuble jedes Zugeständnis an Griechenland ablehnte und das Land aus der Eurozone drängen wollte, schwenkten SYRIZA und Varoufakis um und forderten Angela Merkel auf, Schäuble an die Kandare zu nehmen. Varoufakis erklärte dem Observer: „Wir erwarteten gar nicht, dass die Troika einsehen würde, dass sie auf dem falschen Weg ist… Wir erwarteten, dass die europäischen Partner ihr Einhalt gebieten würden, vor allem Kanzlerin Merkel.“

Letzte Woche machte Varoufakis die Dokumente, die er der Troika bei den Verhandlungen im Mai und Juni vorlegte, der Öffentlichkeit bekannt. An der Ausarbeitung seiner Vorschläge war das “Board of International Advisors” beteiligt, dem Lord Lamont angehört, ein „enger Freund“, wie Varoufakis sagt.

Lamont war Finanzminister in der Regierung der Konservativen unter Premierminister John Major. Er bekleidete eine Reihe von wichtigen Ämtern in der Regierung von Margaret Thatcher. Vor kurzem schrieb er, dass die Freundschaft mit Varoufakis auf gemeinsamen Ansichten über Wirtschaftspolitik beruhe. „Yanis und ich nahmen in Melbourne an einer Diskussion über den Euro teil. Wir nahmen dabei entgegengesetzte Positionen ein, doch im Verlauf der Diskussion stellten wir fest, dass wir im Grunde einer Meinung waren und unsere Ansichten sich kaum unterschieden.“

Varoufakis holte sich für seine Vorschläge außerdem den Rat von Thomas Mayer ein, ehemals Chefökonom der Deutschen Bank, und von Lawrence Summers, Professor an der Harvard University und Ex-US-Finanzminister. Eine Ökonomieprofessorin des "Board of International Advisers", Mariana Mazzucato, ist ständiges Mitglied der Expertengruppe Innovation für wirtschaftliches Wachstum der Europäischen Kommission.

James K. Galbraith von der University of Texas ist ein langjähriger Weggefährte von Varoufakis. Bevor er Finanzminister wurde, verfasste Varoufakis ein Papier mit dem Titel „Ein bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“. Die erste Version verfasste er mit dem früheren Parlamentsabgeordneten der Labour Party, Stuart Holland. Die letzte veröffentlichte er im Juli 2013 zusammen mit Galbraith. Im Juni 2013 veröffentlichten Varoufakis und Galbraith auch einen Gastkommentar mit der Überschrift „Nur SYRIZA kann Griechenland retten.“

Varoufakis and Galbraith gaben der herrschenden Elite weltweit zu verstehen, dass eine Syriza-Regierung „für Europa und die USA keine schlechte Sache wäre“. Bei einem Wahlsieg von SYRIZA, schrieben sie, „würde sich für die USA nichts grundlegend ändern… SYRIZA will nicht aus der NATO raus oder amerikanische Militärbasen schließen.“

Die Dokumente, die Varoufakis Schäuble und Co. im Mai und Juni vorlegte, trugen den Titel „Politische Rahmenbedingungen für die fiskalische Konsolidierung Griechenlands, seine wirtschaftliche Erholung und Wachstum“, und „Die griechische Krise überwinden: Strukturreformen, Wachstum und Schuldenmanagement durch Investitionen.“

Die Dokumente sprachen sich für Privatisierungen und die Gründung einer „Bad Bank“ aus, wie sie die irische Regierung, die die Austeritätspolitik vertritt, geschaffen hatte, um staatliche Ausgaben genau den Banken zukommen zu lassen, die die Wirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatten. Das Juni-Dokument versicherte der Troika, dass die Vorschläge Syrizas „Griechenlands europäische und internationale Partner keinen Euro zusätzlich kosten [werden].“

Zum Ende seines Interviews mit dem Observer betonte Varoufakis zum wiederholten Male, dass es keine Aussicht auf den Sozialismus gebe. „Ich glaube nicht, dass eine Zeit der wirtschaftlichen Depression eine Zeit für die Revolution ist“, behauptete er. „Davon profitieren nur die Nazis, die Rassisten, Fanatiker und Misanthropen.“ Tsipras, der Varoufakis den wichtigsten Posten in seiner Regierung gab, obgleich dieser nie Mitglied von SYRIZA war, würde diesen Aussagen sicher zustimmen.

Varoufakis’ Dokumentation der reaktionären, antisozialistischen Perspektive von SYRIZA entlarvt die Lügen der Linken Plattform und aller pseudolinken Gruppen weltweit, die jetzt, nachdem sie SYRIZA monatelang als fortschrittliche Lösung angepriesen haben, dieses Prädikat den verspäteten Abweichlern der Partei verleihen.

Viele Vertreter der Linken Plattform, auch ihr Führer Panagiotis Lafazanis, bekleideten wichtige Ämter in der Syriza-Regierung und in der Partei. Zu manchen Zeitpunkten behaupteten sie, im Zentralkomitee der Partei in der Mehrheit zu sein, und hatten vier Vertreter im 11-köpfigen Politischen Sekretariat Syrizas. Sie traten am entschiedensten für die Koalition Syrizas mit den rechten, fremdenfeindlichen Unabhängigen Griechen (ANEL) ein.

Varoufakis hatte während seiner Amtszeit engen Kontakt zu Lafazanis. Kurz nachdem SYRIZA im Februar zugestimmt hatte, das von der Vorgängerregierung der Neuen Demokratie (ND) akzeptierte Sparprogramm noch zu verschärfen, wurde Varoufakis bei einer nächtlichen Diskussion mit Lafazanis im Parlamentsgebäude fotografiert. Lafazanis und seine Gesinnungsgenossen wussten, was Varoufakis und Tsipras mit der Troika diskutierten. Immer wenn es eng wurde, sorgten sie mit ihren Stimmen dafür, dass SYRIZA im Amt blieb.
 

Ein Teil der Linken Plattform hat nun von SYRIZA abgespalten und die Volkseinheit (Laiki Enotita, LAE) gegründet. Zuvor waren sie von Tsipras aus der Partei gedrängt worden, der selbst ihre halbherzige Opposition nicht länger akzeptieren wollte. Unter dem neuen Namen und als neue Partei setzen sie ihre alte Politik fort und werden weiterhin alles daran setzen, die Entwicklung einer revolutionären Bewegung in der griechischen Arbeiterklasse zu verhindern.

Robert Stevens



Quelle:  WSWS.org > WSWS.org/de >Artikel

Dank an Redakteur Ludwig Niethammer für die Freigabe zur Veröffentlichung
 

Bild- und Grafikquellen:

1. "Here lies SYRIZA, that i once supported" written on the pavement of Syntagma Square, Athens due to the retreat of the greek government to the troika. Foto: Chris Acos. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

2. Wolfgang Schäuble (* 18. September 1942 in Freiburg im Breisgau) ist ein deutscher Politiker der CDU, seit 1972 Mitglied des Bundestages und derzeit Bundesminister der Finanzen im Kabinett Merkel III. Er war von 1984 bis 1989 Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, sowie von 1989 bis 1991 und von 2005 bis 2009 Bundesminister des Innern. Von 1991 bis 2000 war Schäuble Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und von 1998 bis 2000 Bundesvorsitzender der CDU. 1990 wurde er Opfer eines Attentates und ist seither auf den Rollstuhl angewiesen. Mit über 43 Jahren Parlamentszugehörigkeit ist Wolfgang Schäuble der dienstälteste Abgeordnete in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Foto: © Etienne Ansotte  / International Monetary Fund (IMF). Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

3. Yanis Varoufakis (* 24. März 1961 in Athen) ist ein griechischer Wirtschaftswissenschaftler, der auch die australische Staatsangehörigkeit besitzt. Er ist Verfasser mehrerer Sachbücher und aktiver Blogger. Bei der Parlamentswahl 2015 wurde er für SYRIZA ins griechische Parlament gewählt. Seit dem 27. Januar 2015 ist er Finanzminister im Kabinett Alexis Tsipras; am 6. Juli 2015 kündigte er sein Ausscheiden aus diesem Amt an und wurde entlassen.

Originalfoto: Jörg Rüger. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ lizenziert. Digitale Nachbearbeitung: Wilfried Kahrs (rotes Kreuz markiert das Ausscheiden aus dem Amt).

4. Panagiotis Lafazanis (griechisch Παναγιώτης Λαφαζάνης, * 19. November 1951 in Elefsina) ist ein griechischer Politiker. Lafazanis, seit 2000 Abgeordneter des griechischen Parlaments (Direktmandat Piräus B), gehörte dem linken Parteienbündnisses SYRIZA an, und war deren stellvertretender Parteivorsitzender und war bis zu der vorgezogenen Parlamentswahl 2015 deren parlamentarischer Geschäftsführer. Vom 27. Januar bis 17. Juli 2015 gehörte er als Umwelt- und Energieminister als einer von zehn Ressortchefs der Regierung Griechenlands unter Alexis Tsipras an. Am 21. August 2015 spaltete er sich gemeinsam mit 24 anderen SYRIZA-Abgeordneten von der Partei ab und gründete die neue Gruppierung Volkseinheit (LAE). - Text: Wikipedia.

Foto: x-andra photography / © Wassilis Aswestopoulos. W.A. ist freier Journalist und Autor zweier Bücher, u.a. das in 2. und erweiterter Auflage erschienene Buch "Griechenland - eine europäische Tragödie". Die Rechte am Bild verbleiben beim Fotograf - herzlichen Dank für die Genehmigung es hier im KN veröffentlichen zu dürfen. > www.aswestopoulos.de.

5. Buchcover: "Griechenland - eine €UROpäische Tragödie. Die wahren Gründe für die Griechenland- und Euro-Krise." von Wassilis Aswestopoulos. Zweite, aktualisierte und ergänzte Auflage Mai 2014, 240 Seiten, gebunden mit Prägung oder als eBook.