GroKo gebongt. SPD will nicht ohne Mutti

1 Beitrag / 0 neu
Bild des Benutzers Wolfgang Blaschka
Wolfgang Blaschka
Offline
Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
GroKo gebongt. SPD will nicht ohne Mutti
DruckversionPDF version

GroKo gebongt

SPD will nicht ohne Mutti

Die beiden Briefschlitzmaschinen haben ihr Werk verrichtet. 337.880 mal ritsch-ratsch, 20.000 mal pro Stunde, und das Befragungs-Ergebnis war von zweimal 164 Helferlein ratzfatz ausgezählt: 75,96 Prozent dafür. Drei Viertel der SPD-Mitgliedschaft signalisierten dem Parteivorstand: Du darfst. Gabriel darf gleich doppelt: Wirtschaft und Energie. Die GroKo ist in trockenen Tüchern. Die Wirtschaft darf aufatmen. Die Opposition darf schlucken. Das Wahlvolk jetzt möglichst nicht mehr mucken. Die Energie ist aufgebraucht. So demokratisch wurde eine Ermächtigung mit gleichzeitiger Selbstentmachtung selten vollzogen. Es ist wie bei einem Kreditvertrag: Zahltag ist später. Was kümmert's? Wir leben jetzt!

Erstaunlich hoch war die Abstimmungs-Beteiligung mit 77,86 Prozent. Über alle Erwartung hinaus! Auch wenn ein paar tausend Ungültige dabei waren, reichte es locker für das Quorum von 20 % der 473.000. Ein Rekordergebnis: Drei von vier Genossen finden noch einen Briefkasten. Manche dürften auch länger danach gesucht haben. Das Wir hat entschieden. Auch wenn es Marietta Slomka nicht gefallen hat, das dumme Gerede von der Verfassungswidrigkeit der Mitglieder-Befragung war tatsächlich Quatsch, da hatte Gabriel ausnahmsweise recht. Das war keine "zweite Wahl", sondern ein Placet für Regierungsbeteiligung, für üppige Zweidrittel-Mehrheits-Beschaffung statt Opposition oder gar eine ganz andere Regierung.

Kein einziger Abgeordneter war in seiner freien Gewissensentscheidung vom Votum der Parteimitglieder beeinträchtigt oder wird es je sein, denn die haben ja nur entschiedenen, was der Parteivorstand darf oder eben nicht. GroKo oder Nein. Der hatte indes für sich längst vor dem überwältigenden Ja entschieden: Diesen Schuh ziehen wir uns nicht alleine an. Da sollten schon die Mitglieder in Haftung genommen sein für derart wählerverhöhnendes Unterfangen. Und siehe da, die Rechnung ging auf. Die  "Verantwortung" wurde übernommen.
 
Man wird umdenken müssen. Es ist nicht immer nur die Führung. Es ist die Parteimitgliedschaft der alten Sozialdemokratie, die sich ein Leben ohne Merkel anscheinend nicht mehr vorstellen kann. Mehrheitlich jedenfalls nicht. Mutti muss bleiben, kräht die überwiegende Mehrheit der Basis im Chor. Alles andere wäre der Untergang des Abendlandes, der Exitus Europas, der Ruin Deutschlands, zumindest das Ende der Merkel-Regierung. Eine Welt ohne Abendland, ohne Europa, ohne  Deutschland oder ohne Merkel kann, mag und will sich der wackere Sozi des Jahres 2013 statistisch gesehen nicht mehr denken. Geschichtlich betrachtet eine Offenbarung.

 

Dachte man doch bisher, die rechtssozialdemokratische Parteiführung oder die Kanalarbeiter oder die Seeheimer oder irgendein Lampenputzer in einem geheimen Besenkämmerchen des Willy-Brandt-Hauses wäre der Bösewicht. Aber es ist die Mehrheit der Mitgliedschaft. Soweit ist es nun also. Bebel würde beben vor Zorn und seine Taschenuhr zurückfordern, wenn er könnte. Sein oller spitzer Brieföffner wurde nicht einmal ansatzweise benutzt. Es musste ja alles schnell gehen mit dem endgültigen Offenbarungseid nach 150 Jahren. Die Abwicklung der Abwicklung war eine logistische Meisterleistung.
 
Heulen und Zähneknirschen bei den Jusos. Jubel in den Mainstream-Medien. Endlich wird das Land wieder regiert. Man stelle sich nur vor, wie das ohne Frau Merkel die ganzen langen Koalitions-Verhandlungen lang gegangen wäre. Nicht auszudenken, was denn geschehen wäre, wenn es tatsächlich etwas zu reagieren gegeben hätte! War ja nichts außer ein paar hundert Flüchtlingen und der altbekannten NSA. Kein Thema mehr - wahrscheinlich auch nicht für die neue Regierung! Eine gewisse Kontinuität hat auch Vorteile. Man muss nicht andauernd umdenken.
 
Die Geringverdiener am untersten Boden der Lohndumpingskala können sich mit der Vorfreude auf einen wenn auch nur minimalen Mindestlohn getrost Zeit lassen. Selbst der  kommt noch lange nicht, sondern stufenweise ab 2015. Dank SPD. Die Maut soll dagegen (wie auch immer) bereits ab Januar kommen. Dank SPD. Sie hat diesem Quatsch nun mal zugestimmt, und ist mithin keinen Gneis-Partikel glimmriger als der neunmal kluge Seehofer. Überhaupt wird sich die SPD noch wundern, was sie alles wollte oder nicht wollte. Es wird ihr ab morgen alles zugerechnet werden, jede einzelne Kloaktion. Dagegen hilft kein herkömmlicher Stallgeruch mehr.
 
Ihre ganzen Wahlkampf-Versprechen waren reine Versprecher. Jetzt gilt, was auf dem Tisch zum Unterschreiben liegt: Der Koalitionsvertrag. Nur kein Zittern und kein Zaudern, da liegt der Stift! Nichts wird nachverhandelt. Die ganze Partei steht (mehrheitlich) dahinter. Keine Steuern auf große Vermögen, dank SPD! Ob es ihr die kranken Banken danken?  
 
Immerhin: Goldman und Sachs hatte bestellt, die SPD hat (sich) geliefert. Mehr kann das Kapital doch nicht wollen, oder? Es wurde bereits "eingepreist". Die Börse denkt an morgen. Was soll jetzt noch kommen? Vorratsdatenspeicherung bis zu einem halben Jahr, wie von Europäischen Gerichtshof vorgegeben: Gebongt! Wer wollte da in seiner Privatheit noch verletzt sein?! Die Leutheuser-Schnarrenberger hat jetzt nichts mehr zu bestimmen. Sie forderte zumindest ein nochmaliges grundsätzliches Überdenken. Aber eben aus dem Off. Jetzt wird regiert, nicht räsoniert! Gabriel geht als Copilot an Bord. "Energie!" ...

Das "alte Schlachtross", die "gute alte Tante", alles Schnee von Gestern, diese Metaphern! Nun ist Beamen angesagt, auf 80-Prozent-Niveau. Das Raumschiff SPD rotiert sich überfliegend durch die Reichstagskuppel, ein letzter Gruß an die Wähler unten, ein kurzes Blinken nach links, und dann husch nach rechts abgedreht, mit halber Lichtgeschwindigkeit und auf allerhöchstem Niveau ins Nirwana der Abgedriftetheit des Politikbetriebs. Nur einmal gab es eine noch größere Koalition, damals 1966 unter Kurt Georg Kiesinger, und danach kam die Studentenrevolte. Mal sehen, was diesmal außer einem Shitstorm im Netz folgt.  
 
Sechs Ministerien für die SPD! Und durchaus wichtige wie Justiz, Umwelt, Arbeit. Die bisherige Arbeitsministerin macht jetzt in Verteidigung; ist ja auch Arbeit, die jetzt allerdings die zivile Andrea Nahles erledigen soll. Das Innenressort hätte ihr genauso gut in den Kram gepasst, das hätte eine gewisse Nestwärme erzeugt. Ihre sieben Kinder hat sie schließlich auch im Griff, zumindest von einschlägigem Personal in fürsorgliche Obhut nehmen lassen. Man kommt ja sonst zu nichts. Familie muss man können, am besten nach Gutsherrinnenart. Das ist reines Management, quasi verschärfte Innen- oder Außen-, jedenfalls Sicherheitspolitik.

Wer Kinder kann, kriegt auch freche Verbrecher, tobsüchtige Taliban oder aufmüpfige Hartz-IV-Empfänger in den Griff. Also macht sie nun statt Arbeit Krieg. Dafür wechselt De Maizière nach Innen an die Heimatfront und verdrängt Hans-Peter Friedrich in die Landwirtschaft, allerdings ohne jedweden Verbraucherschutz. Außen übernimmt Frank-Walter Steinmeier. Seehofer wäre mit seiner Ausländer-Maut vielleicht doch ein wenig zu provokant gewesen, außerdem muss er König von Bayern bleiben. Der hat schon mal Peter Ramsauer kurzerhand aus dem Verkehr gezogen und dafür den Dobrinth auf die Autobahn gelassen. Der bellt vielleicht einen Zacken schärfer. Den Kassenwart macht weiterhin, wer den Griffel bereits drauf hat. Der Rest steht in der Zeitung.

Wolfgang Blaschka, München



Quelle:  Erstveröffentlichung bei RATIONALGALERIE > Artikel

Bild- und Grafikquellen:

Die Karrikatur wurde von dem eifrigen Berliner Karikaturisten KLAUS STUTTMANN gezeichnet - hier seine Webseite.