Irakrettung: Es ist zu spät, Herr Kerry

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Irakrettung: Es ist zu spät, Herr Kerry
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Es ist zu spät, Herr Kerry


von William Pfaff


Außenminister John Kerry glaubt, dass der Irak gerettet werden kann mit einem neuen Premierminister, der Nouri al-Maliki ersetzt. Der Neue würde sich die entfremdeten und feindseligen sunnitischen Bürger zu Freunden machen, die rund 40 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, die es in der Vergangenheit diktatorisch beherrscht haben und die von der vorherrschenden schiitischen Mehrheit aus der Macht und den höheren Rängen gezwungen worden sind. Diese, so glaubt Herr Kerry, können überredet werden, das alles zu vergessen – soweit sie nicht schon der neuen ISIS-Armee angehören.

 

 

Jemand muss Herrn Kerry sagen, dass es zu spät ist. (Er ist der Mann, der uns gesagt hat, er wäre dabei, ein zwei-Staaten-Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern bis Ende nächsten Monats zustandezubringen.) Viele andere Leute in Washington haben die Presse über ihre gleichermaßen unrealisierbaren Vorstellungen über die Rettung des heutigen Iraks informiert: eine neue Führung, nationale Aussöhnung, Bestellung von Schiiten, Drusen und Turkmenen zu Beamten, ein neues Parlament, eine neue und gut ausgebildete Armee, eine landesweite von den besten amerikanischen Werbeagenturen entwickelte Kampagne, um die Iraker zu überzeugen, sie müssten sich gegenseitig lieben und mit Optimismus in die Zukunft blicken. Oder sie wollen einen neuerlichen amerikanischen Einmarsch.

Die Mahnrufe in Washington, Barack Obama müsse in Hinblick auf die Krise im Mittleren Osten „etwas unternehmen,“ beruhen auf der Illusion, dass die Vereinigten Staaten von Amerika bereits über die Macht verfügen, nach der das Pentagon in seinem Programm gestrebt hat, ein globales System von Befehlszentralen zu schaffen, die bereits Europa, die Amerikas, den Mittleren Osten und Zentralasien, den Pazifik abdecken und das jetzt mit dem „Africa Command“ abgeschlossen wird – alle mit den Mitteln ausgestattet, um amerikanische strategische Vorherrschaft in jedem Winkel der Erde zu entfalten.

  • Bereit, wofür eingesetzt zu werden?
  • Um die Schulmädchen zu retten, die in Nigeria entführt werden?
  • Um den Jihadismus auszumerzen?
  • Um einen modernen Staat für die separatistischen Tuaregs der Sahara aufzubauen?
  • Um die Flut moderner Waffen zurückzuholen, die in Libyen von Stammes- und jihadistischen Gruppen geplündert wurden, nachdem sich die Vereinigten Staaten von Amerika zu Frankreich, Britannien und Quatar gesellt hatten, um Libyen von Colonel Muammar Gaddafi zu befreien?

Was auf Geheiß des französischen „Philosophen“ und Selbstdarstellers BernardHenri Levy erfolgte, der seinen Kumpel Nicolas Sarkozy überzeugte, dass den Menschen in Benghazi 2011 ein „Holocaust“ drohte, wenn Frankreich nicht die NATO dazu brachte, sie zu retten. Die Amerikaner sind nicht die einzigen, die ihre Außenpolitik nach dem gestalten, was Narren und Fantasten sich ausdenken.

Die US-Marines und die Green Beret-Berater der Armee sind jetzt im Einsatz im Irak, um die ängstlichen amerikanischen Beamten, Berater und Söldner zu schützen, die sich noch immer in der Grünen Zone in Bagdad befinden, und um die Armee des Irak zu beraten – was von dieser noch übrig ist und in die Schlacht gegen die ISIS-Freischärler zurückgeschickt werden kann, die jetzt große Teile von Irak und Syrien kontrollieren.

Was sollen diese amerikanischen Militärberater machen? Die Armee des Irak wurde aufgelöst, neu geschaffen, neu ausgebildet und eingeübt kurz nach dem amerikanischen Einmarsch in das Land vor über einem Jahrzehnt (der dem Irak, wie George W. Bush vor seinem Abgang erklärte, Freiheit und Demokratie gebracht hat). Offiziell verfügt die irakische Armee heute über eine Viertelmillion von den USA ausgebildeten einsatzbereiten Soldaten und über eine halbe Million ausgebildeter aktiver Reservisten.

Wenn diese Armee nicht dazu gebracht werden kann, ihr eigenes Land und ihre Religion zu verteidigen, indem sie eine Invasion von etwa sieben- bis zehntausend hochmotivierten Freiwilligen, die den Sunnitenaufstand ausmachen, abblockt, dann lässt sich nichts machen. Das ist wie Vietnam gestern und wie Afghanistan morgen. Wenn es da keine reale Nation gibt – eine kräftige und lebendige Nation, oder ein anderes zivilisatorisches Zentrum – dem die Mehrheit der Bevölkerung sich zugehörig und dem gegenüber sie sich loyal fühlt – dann kann eine hochmotivierte aufständische Bewegung kaum geschlagen werden, nicht einmal unter diesen Gegebenheiten.

Dick Cheney sagte den Amerikanern, dass die Iraker unsere Soldaten als Befreier begrüßen würden, sobald wir in ihr Land einmarschierten. Wo ist dieser Geist der Befreiung?! Barack Obama könnte den Irakern eine seiner Reden halten, um ihren Geist der Befreiung aufzumöbeln.

Aber auch das würde nichts nützen. Der Mittlere Osten ist auseinandergerissen worden von amerikanischen Invasionen und Angriffen, und leichtsinnigen Ideen über die Umgestaltung der Lebensbedingungen anderer Menschen nach unseren Vorstellungen, wie sie leben und sich verhalten und was sie glauben sollen. Es ist, als wären die Hunnen durchgezogen: Millionen sind tot, die Städte liegen in Ruinen, die Moslems bekriegen sich gegenseitig. Der Irak und Syrien und wahrscheinlich Jordanien in ihrem heutigen Zustand, und möglicherweise auch der Libanon, werden sich nie davon erholen können.

Die Araber werden überleben, und eines Tages werden Palästina und das alte Syrien und Mesopotamien zweifelsohne wiederhergestellt sein. Israel? Als ein moderner Staat hat es wenig mehr als sechs Jahrzehnte existiert, obwohl auch es in der Antike existiert hat. Wird es das moderne Israel am Ende dieses Jahrhunderts noch immer geben? Nach all dem, was geschehen ist und noch geschehen wird? Die Antwort darauf möchte ich wissen.

William Pfaff



Quelle: erschienen am 14. Juni 2014 auf > truthdig > Artikel > William Pfaff's Webseite

Informationen über William Pfaff:


William Pfaff is a globally respected political commentator and author on international relations, contemporary history and U.S. policy. He is published in five countries and his column is syndicated by Tribune Media Services.

Pfaff’s sometimes controversial opinions on international law, long-term U.S. policies and American foreign relations are noted for their deep concern with the influence of history on today’s affairs and their attention to the moral complexities of international politics and action.

Pfaff’s column studies European, Middle Eastern, Asian and American concerns through a prism influenced by the experiences of an American living abroad. He is regularly published in newspapers in Europe, the Middle and Far East, Latin America and the United States.

Pfaff is the author of eight books, including “The Wrath of Nations” (Simon and Schuster, 1993) and “Barbarian Sentiments: America in the New Century” (Hill and Wang, 2000). His latest book is “Fear, Anger and Failure: A Chronicle of the Bush Administration’s War Against Terror from the Attacks of September 11, 2001 to Defeat in Baghdad” (Algora Publishing, 2004). It offers a collection of his columns on the war on terror, from September 11th until December 2003, when the U.S. policy emphasis shifted from Iraq’s reconstruction to American withdrawal. The book has been praised by Russell Baker of The New York Times as “page after page in article after article {Pfaff was writing} what should have been said week after week as Bush’s cheery civilian warriors marched us into the Middle East. Really splendid work.”

Pfaff has contributed many political essays to The New Yorker magazine. In Europe, his articles have appeared in Commentaire (Paris), Lettre Internationale (Berlin), Politique Exterior (Madrid), Europaische Rundschau (Vienna), Moderna Tider (Stockholm), Forum (Munich), Die Zeit (Hamburg). In the United States he is published in the New York Review of Books, Foreign Affairs, World Policy Journal, and The National Interest, among other magazines. Pfaff is the former deputy director of Hudson Research Europe, the European affiliate of the well-known American policy research institute.

Pfaff is a graduate of the University of Notre Dame. He is based in Paris.

 

Die Weiterverbreitung dieses Textes ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen! Die deutsche Übersetzung wurde dort freundlicherweise von Klaus Madersbacher / A zur Verfügung gestellt.

Bild- und Grafikquellen:


1. U.S. Secretary of State John Kerry, a State Department translator, and Iraqi Prime Minister Nouri al-Maliki pose for a photograph before beginning a meeting in Baghdad on June 23, 2014. Foto: U.S. Department of State. Quelle: Wikimedia Commons. Dieses Werk ist in den Vereinigten Staaten gemeinfrei, da es von Mitarbeitern der US-amerikanischen Bundesregierung oder einem seiner Organe in Ausübung seiner dienstlichen Pflichten erstellt wurde und deshalb nach Titel 17, Kapitel 1, Sektion 105 des US Code ein Werk der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ist.  Diese Datei wurde als frei von jeglichen bekannten Einschränkungen des Urheberrechts, einschließlich verbundener und benachbarter Rechte erkannt.