Ist ein Leben ohne Vorurteile und Feindbilder möglich ?

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Ist ein Leben ohne Vorurteile und Feindbilder möglich ?
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DENKANSTÖSSE ZUM THEMA: NR. 49

Ist ein Leben ohne Vorurteile und Feindbilder möglich ?

Wie können wir sinnvoll damit umgehen?

 

„Es ist leichter ein Atom zu zertrümmern, als Vorurteile abzubauen.“

(Albert Einstein)

 

Einige einleitende Gedanken

Kinder, Jugendliche, alte Menschen, Frauen, Männer, Juden, Iraker, Schweizer, Russen, Prostituierte, Türken, Homosexuelle, Amerikaner, Christen usw. - es gibt keine Gruppe von Menschen, keine Nationalität, keine Religion für die es keine Klischees gäbe und die nicht mit bestimmten Eigenschaften besetzt wären. Wir können uns leider dem Phänomen nicht entziehen, dass wir in Stereotypen denken.

„Der Begriff Stereotype bezieht sich auf eine Reihe gleicher Eigenschaften, die Gruppen zugeschrieben werden. Bei der Wahrnehmung von Gruppen bedienen wir uns einiger typischer Eigenschaften, um Mitglieder dieser Gruppe zu kennzeichnen.“ (Norbert Kühne u. a., S. 23)

Das ist problematisch, weil dadurch Schubladen entstehen, die für Individualität, kritisches Hinterfragen, Verstehen anderer Personen oder Gruppen wenig Raum lassen. Zu leicht entstehen aus solchen Schubladen Vorurteile und Feindbilder. Deshalb drängen sich einige fundamentale Fragen auf:

Ist ein Leben ohne Vorurteile und Feindbilder für uns Menschen möglich? Kann der Mensch überhaupt die Realität als solche wahrnehmen? Ist er zu objektiver und aggressionsfreier Wahrnehmung fähig? Kann er wahrnehmen, ohne gleich zu interpretieren?

Normalerweise eher nicht. Denn wir haben als Menschen bereits sehr früh die Tendenz, die Wirklichkeit, das, was wir erleben und was uns begegnet, zu kategorisieren: in gut und böse, in richtig und falsch. Damit geben wir unserem eigenen Weltbild die Struktur, die wir zur Orientierung in unserem Leben brauchen. Auch wenn Vorurteile und Feindbilder vom Inhalt her austauschbar sind, ohne sie wird kaum ein Mensch leben können. Die entscheidende Frage muss deshalb lauten: Wie können wir konstruktiv damit umgehen?


1. Begriffliche Bestimmungen

Schauen wir uns zum besseren Verständnis zuerst einmal die beiden Begriffe „Vorurteile“ und „Feindbilder“ genauer an.

Wenn wir von einem Gespräch mit dem neuen Lehrer unseres Kindes zurückkommen und sagen: „Ich hätte nicht gedacht, dass der Neue so aufgeschlossen ist“, dann haben wir ein ganz harmloses Vorurteil korrigiert. Bei „wirklichen“ Vorurteilen, die tief sitzen, ist das anders.


1.1 Was sind Vorurteile?

Vorurteile sind - als vorgefasste Meinungen und ungeprüfte Ablehnungen - soziale Einstellungen, die sich auf soziale Gruppen bzw. Individuen beziehen. Sie sind oft aus Vorausurteilen entstanden, die ohne eingehendere Prüfung zu falschen Verallgemeinerungen werden. „Ein Vorurteil ist eine dem Stereotyp nahestehende Einstellung (Meinungsbildung), die kaum auf Erfahrung (Information, Sachkenntnis), um so mehr auf subjektiver Eigenbildung bzw. Generalisierung von Ansichten usw. beruht. Kennzeichnend für das Vorurteil ist auch die zähe, unflexible, unreflektierte Fortdauer und die meist zerstörerische (selten förderliche) Wirkung, die es im Gemeinschaftsleben entfalten kann.“ (F. Dorsch, S. 741)

Haben Vorurteile auch einen Nutzen und wenn ja welchen? Vorurteile erleichtern uns das Leben ähnlich einem Reiseführer durch eine uns fremde Region. Sie können in Gruppen einen gewissen Zusammenhalt schaffen und verstärken die Bereitschaft zu gemeinsamen Aktivitäten. Dieser soziale Vorteil kann sich sowohl auf den privaten wie auf den öffentlichen Bereich beziehen.

Man unterscheidet negative und positive Vorurteile. Beide basieren kaum auf objektiv gesicherten Informationen, sondern vor allem auf subjektiven Einstellungen, Gefühlen und Wertungen (s. Arthur S. Reber, S. 590)

Positive Vorurteile entstehen z. B. schnell in der Phase der Verliebtheit zwischen zwei Menschen. Als Beispiel für negative Vorurteile seien hier die ethnischen Gruppen der „Sinti und Roma“ genannt. Ihnen werden häufig folgende Charakteristika zugeschrieben: „Ihre moralischen Eigenschaften zeigen eine sonderbare Mischung von Eitelkeit und Gemeinheit, Ziererei, Ernst und wirklicher Leichtfertigkeit, fast einen gänzlichen Mangel männlichen Urteils und Verstandes, welcher von harmloser List und Verschlagenheit, den gewöhnlichen Beigaben gemeiner Unwissenheit, begleitet ist; dabei zeigen sie noch entwürdigende Kriecherei in Tun und Wesen, darauf berechnet, andere durch List zu übervorteilen; sie haben nicht die geringste Rücksicht auf Wahrheit und behaupten und lügen mit einer nie errötenden Frechheit ...“ (Benz, S. 175).

Fragen Sie sich selbst: Was verbinden Sie mit „Zigeunern“? Was fällt Ihnen spontan und als erstes ein? Sind Sie nicht auch in irgendeiner Weise von solchen Vorurteilen geprägt? Vorurteile werden, abhängig vom Inhalt, mitunter auch als “interessenbestimmte Lügen” definiert (Werner Bergmann, S. 5).

Wir Menschen haben die Tendenz, das herauszugreifen, was wir sehen wollen und blenden das aus, was uns nicht gefällt. Damit belügen wir - bewusst oder unbewusst - uns selbst und andere. In der Regel werden Vorurteile anderer schneller erkannt als die eigenen. Wie auch immer: Der Kontakt mit Menschen, gegen die wir Vorurteile hegen, wird gemieden, die Kommunikation mit ihnen reduziert.

Vorurteile und diskriminierendes Verhalten stehen oft in engem Zusammenhang. Ist beispielsweise der Personalchef einer Firma der Ansicht, dass Frauen „an den Küchenherd“ gehören, so wird er Frau P., die sich um eine hausinterne Führungsposition bewirbt, bei der Vergabe der Stelle übergehen (aus: Hans-Werner Bierhoff, S. 265).

Diskriminierendes Verhalten als Folge von Vorurteilen ist auch sonst in unserem Alltag sehr häufig zu beobachten, z. B. auf Spielplätzen, wenn Eltern bewusst ihre Kinder von bestimmten Ausländergruppen fernhalten, oder bei der Wohnungssuche, wo eine leerstehende Wohnung nicht an Personengruppen bestimmter Nationalitäten vermietet wird (nationale Vorurteile).

diese exzellente 20-seitige Informationsschrift mit Statistiken und Grafiken bitte hier weiterlesen – klick

 


 

Informationen zum Verein Studiengesellschaft für Friedensforschung e.V. München:

Die STUDIENGESELLSCHAFT wurde 1958 gegründet - zu einem Zeitpunkt heftiger politischer Auseinandersetzungen um die Eingliederung der Bundesrepublik in die atomaren Verteidigungsstrategien des Westens und der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr. Es lagen erst bescheidene Ansätze zur wissenschaftlichen Erhellung der Ursachen des Krieges und der Bedingungen des Friedens vor. Eine deutsche Friedensforschung gab es noch nicht. Unter der Leitung ihrer Initiatorin und langjährigen Vorsitzenden, der Psychotherapeutin Christel Küpper, sah die STUDIENGESELLSCHAFT damals ihre erste Aufgabe darin, Krieg und Frieden als legitime Themen wissenschaftlicher Forschung bewußt zu machen, um der Entwicklung einer Friedensforschung den Weg bereiten zu helfen.

Schwerpunkte seit 1966

Das allgemeine Ziel der Arbeit der Studiengesellschaft: In der Bevölkerung das kritische Denken und die eigene Urteilsbildung auf der Basis sachlicher Information zu fördern, um so zu ethisch-politischen Entscheidungen und verantwortlichem Handeln zu kommen.

hier bitte weiterlesen    http://www.studiengesellschaft-friedensforschung.de/
 

Studiengesellschaft für Friedensforschung e.V.

Fritz-Baer-Straße 21

81476 München

Telefon/Fax (0 89) 724 471 43

E-Mail: info@studiengesellschaft-friedensforschung.de


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Rene Wolf
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Verbunden: 19.05.2012 - 09:03
Vorteil und Vorurteil

 

"Als Beispiel für negative Vorurteile seien hier die ethnischen Gruppen der „Sinti und Roma“ genannt. Ihnen werden häufig folgende Charakteristika zugeschrieben: „Ihre moralischen Eigenschaften zeigen eine sonderbare Mischung von Eitelkeit und Gemeinheit, Ziererei, Ernst und wirklicher Leichtfertigkeit, fast einen gänzlichen Mangel männlichen Urteils und Verstandes, welcher von harmloser List und Verschlagenheit, den gewöhnlichen Beigaben gemeiner Unwissenheit, begleitet ist; dabei zeigen sie noch entwürdigende Kriecherei in Tun und Wesen, darauf berechnet, andere durch List zu übervorteilen; sie haben nicht die geringste Rücksicht auf Wahrheit und behaupten und lügen mit einer nie errötenden Frechheit ...“ (Benz, S. 175).
 
Ohne die Überschrift "Sinti und Roma" kann dieses Zitat auf alle Gruppen von Menschen angewendet werden. Vorausgesetzt, vorher wurde ordentlich manipuliert und man kennt möglichst niemanden aus einer solchen Gruppe. Mir fielen spontan "Politiker" ein.
 
Und dann: "die meisten meiner Mitmenschen".Dabei kam mir sofort der Gedanke, dass ich da auch mit von der Partie bin. Allgemein trifft das Zitat auf "Menschen an sich" zu. Und das ist das Problem. Es ist zu allgemein. Es kann nicht immer, an jedem Ort, bei jedem der benannten Gruppe stimmen. Umgekehrt: Kennen wir nicht Menschen, von denen sich dagen lässt:
 
„Ihre moralischen Eigenschaften zeigen eine sonderbare Mischung von Bescheidenheit und Emphatie, Offenheit, Albernheit und wirklichem Ernst, fast einen gänzlichen Mangel von männlichen Vor- Urteilen und von Aggressivität, welche von symphatischer List und Gewitztheit, den gewöhnlichen Beigaben gereifter Bildung, begleitet ist; dabei zeigen sie noch Mut und Klarheit in Tun und Wesen, darauf berechnet, anderen beizustehen; sie haben nicht die geringste Rücksicht auf Lügen und leben und lieben mit einer mitunter errötenden Leidenschaft ...“   ?    
(nach Benz, von René Wolf)
 
Es gibt keine gewichtigen Vorurteile, die nicht bewusst von Menschen in Umlauf gebracht wurden, die sich davon einen Vorteil versprechen. Die "verrückten Mullahs" ist ein solches, wahrhaft schlimmes, Vorurteil. Als Anarchist stelle ich sofort die Gegenfrage: gibt es nicht viel schlimmereverrückte Europäer, verrückte Amerikaner oder gar verrückte Israelis?
 
Der israelische Schriftsteller Uri Averny wie kürzlich darauf hin: "Trotz der ständigen Gehirnwäsche zeigen die Umfragen, dass die Mehrheit der Israelis absolut gegen einen Angriff sind. Netanjahu und Barak werden als zwei Suchtkranke gesehen, manche sagen Größenwahnsinnige, die nicht mehr rational denken."
 
Ohne die Frage "cui bono", also "wem zum Vorteil" ist fast jede gesellschaftliche Diskussion sinnlos. Das lässt sich auch in den meisten Netz- Diskussionen beobachten. Reine, ideologiefreie Psychologie (überhaupt: Wissenschaft) gibt es nicht. Was fehlt, ist oft die Zeit, die Ruhe, die wir für eine fundierte Meinung brauchen- wir müssen ja nicht gleich urteilen. Eine Meinung lässt dem anderen Raum für seine Gegen- oder- Mit- Meinung. Ein Urteil weniger.
 
"Auto fahren bedeutet Freiheit und macht Spaß" ist eine unreflektierte Aussage, meinetwegen auch ein Vorurteil. Wenn sie wahr wäre, würden wir hinter den Frontscheiben nur lächelnde Menschen sehen. Tatsächlich glauben aber Viele diesen Satz. Entgegen ihrer Erfahrung. Sie schimpfen über Benzinpreise und andere Autofahrer, über teure Werkstätten und Staus. Aber sie glauben an die Freiheit des Autofahrens. Wem nützt es? Klar, der Auto- Lobby.

 

Nu pogodi!

René L. Wolf

 

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