Katholische und Evangelische Kirchen Deutschlands als Speerspitze des Sozialstaates

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Katholische und Evangelische Kirchen Deutschlands als Speerspitze des Sozialstaates
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Kath. und Ev. Kirchen Deutschlands als Speerspitze des Sozialstaates


Deutsche Bischofskonferenz und EKD stellen ihre „ Ökomenische Sozialinitiative“ vor


Am 28.2.2014 stellten der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Zollitsch und der EKD-Ratsvorsitzende Schneider ihr neuestes Elaborat vor, die „Ökomenische Sozialinitiative". Die FAZ veröffentlichte in einem Artikel "Kirchen stellen sich gegen Rente mit 63" in diesem Zusammenhang „Sie kritisieren die geplante Rente mit 63 und warnen vor der Verführungskraft voller Kassen.“

Um es kurz zu machen: Diese großartig angekündigte Initiative ist eigentlich das Papier nicht wert, auf der sie geschrieben steht. Es handelt sich um eine Aufreihung von Plattitüden nach dem Motto „Bloß niemandem auf die Füße treten“.

 
Bevor ich die wesentlichen Textstellen aus dem Papier zum besten gebe, greife ich zuerst zusammenfassend einige Kernpunkte heraus und lasse den kritischen Jesuiten Friedhelm Hengsbach zu Wort kommen. Als Essenz der Proklamation könnte man herausarbeiten, daß sich die beiden großen christlichen Kirchen Deutschlands im Namen des Neoliberalismus mit der Marktwirtschaft verbrüdert und das Merkel-Evangelium nachgebetet haben. Ohne auch nur die Wurzeln der sozialen Ungerechtigkeit zu berühren und deren Ausreißen zu fordern, haben sie sich dem Chor der Ja-und-Amen-Sager angeschlossen und loben einmütig das Modell der sozialen Marktwirtschaft. Sie spiegeln uns dabei vor, als sei diesen Modell noch unbeschädigt und funktioniere noch wie in den 1960er und 1970ern.
 
Der große Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, beteuerte in brüderlicher Einigkeit mit der EKD, daß „Der Weg zur Rente mit 67 der richtige sei.“ Die von der SPD geförderte Rente mit 63, die nun von der Groko umgesetzt werden soll, beweise „die Verführungskraft voller Kassen“.
 
Ich verweise in diesem Kontext auf unseren Beitrag im Kritischen Netzwerk „Papst outet sich als Kapitalismuskritiker“der auf Papst Franziskus‘ Apostolisches Schreiben vom 24.11.2013 hinweist. Darin sagt der Papst u. a.:
  • „Diese Wirtschaft tötet“
  • „Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen. Darum bestreiten sie das Kontrollrecht der Staaten, die beauftragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls zu wachen.
  • „Das geschieht nicht nur, weil die soziale Ungleichheit gewaltsame Reaktionen derer provoziert, die vom System ausgeschlossen sind, sondern weil das gesellschaftliche und wirtschaftliche System an der Wurzel ungerecht ist.“
Demgegenüber wird vom deutschen christlichen Etablishment die angeblich existierende soziale Marktwirtschaft auf den Schild gehoben und behauptet, daß dieses Programm „die Krise der vergangenen Jahre ohne größere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen überstanden habe“. Welche Ignoranz und Realitätsverleugnung drückt sich in diesen Worten aus! Aber es kommt noch besser: Zollitsch versucht die Anklagen von Papst Franziskus zu relativieren und abzuschwächen, in dem er vorgibt, der Papst habe mit seiner Feststellung, das derzeitige kapitalistische Wirtschaftssystem töte, nicht die Verhältnisse in Deutschland gemeint, sondern sich lediglich auf Zustände in anderen Teilen der Welt bezogen, wo „reiner Kapitalismus“ vorherrsche.
 
Wie angekündigt lasse ich nun noch den Jesuiten Prof. Friedhelm Hengsbach sprechen, der sich im Deutschlandfunk zu dieser Thematik geäußert hat:
  • „Also, das Papier ist weichgespült, würde ich sagen, weichgespült auf der einen Seite, und erhaben-teilnahmslos.“
  • Es fängt ja auch an mit dem Lob der sozialen Marktwirtschaft, die erweitert werden muss. Oder es fängt an mit allgemeinen Überlegungen, wie Moral oder wie ethische Reflexion das wirtschaftliche Geschehen beeinflussen darf. Aber gleichzeitig gibt es keine ethische Reflexion, keine ethische Argumentation in dem Papier. Es werden 15 normative Leitbilder – Freiheit, Gerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Beteiligungsgerechtigkeit, Solidarität, Gemeinwohl – irgendwo eingesprenkelt, und das ist natürlich keine ethische Argumentation."
Wer sich selbst ein genaues Bild vom Umfang des Zustandes der geistigen Verwirrung in den Führungsetagen der katholischen und evangelischen Kirche Deutschland machen will, der lese bitte die 64 Seiten umfassende Schrift mit dem Titel "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" ...PdF nach. Für die übrigen, die sich die Zeit nicht nehmen wollen, habe ich im folgenden eine Auswahl der markantesten Aussagen – zunächst einmal ohne eigenen Kommentar – aufgelistet. Bei den aufgeführten 10 Punkten handelt es um die originalen Thesen:
 
 
Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft
 
Gemeinsame Verantwortung heißt:
 
 
1. ..... wirtschaftliches Wachstum in den Dienst für den Menschen zu stellen 
 
Ob  der notwendige Neubau unseres Wirtschaftssystems gelingt, wird sich  nicht zuletzt daran entscheiden, ob dem Geld der Stellenwert zukommt,  der ihm gebührt: eine strikt dienende Funktion. Kapital dient der Real- wirtschaft und damit den Lebensmöglichkeiten der Menschen – noch präziser: aller Menschen. Wo dieser dienende Charakter verloren geht, geht  das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaft verloren. Es ist heute offen,  ob es in den nächsten Jahren gelingen wird, in dieser Hinsicht wieder  Gleichgewichte zu schaffen. Es sind ordnungspolitische Weichenstellungen nötig, die allerdings allein national nicht greifen können.
 
Nur  eine  verantwortlich  gestaltete  Marktwirtschaft  ist  geeignet,  den  Wohlstand hervorzubringen, der erforderlich ist, um für alle Menschen  ein Leben in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit zu ermöglichen. Um die- se Funktion zu erfüllen, bedarf die Marktwirtschaft einer Rahmenordnung, die die wirtschaftliche Betätigung des Einzelnen und der Unternehmen letztlich in gemeinwohldienlichen Bahnen hält. Diese Rahmenordnung kann nicht durch die Addition eigennutzorientierten Verhaltens  gewonnen werden, sondern bedarf breiter demokratischer Entscheidungsprozesse aller Beteiligten im Blick auf gemeinsame Werte. Wo jedoch ein- zelne Unternehmen oder ganze Branchen diese Bahnen verlassen, muss  der Staat diesem Missbrauch der Freiheit wirksam Grenzen setzen können.  Auch in einer wettbewerbsorientierten globalen Wirtschaft muss der Primat der Politik gewährleistet bleiben.
 
 
2. ..... die Soziale Marktwirtschaft nachhaltig weiterzuentwickeln
 
... hat Deutschland die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007– 2009 ohne größere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen überstanden. Damit hat sich gezeigt, dass die Grundidee der Sozialen Marktwirtschaft nicht nur unter moralischer Perspektive, sondern auch unter dem  Aspekt nachhaltigen gesellschaftlichen Erfolgs nach wie vor richtig ist ...  
 
Die Krisenjahre haben auch gezeigt, dass es Deutschland besser als anderen Industrieländern gelungen ist, sich auf die Herausforderungen der Globalisierung einzustellen. Trotz eines ungünstigen weltwirtschaftlichen  Klimas  hat  sich  die deutsche Volkswirtschaft  positiv  entwickelt;  der  Wohlstand unseres Landes konnte erhalten bleiben.
 
... die Notwendigkeit der Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft zur ökologisch-sozialen Marktwirtschaft. Unser gegenwärtiges Wohlstandsmodell ist aufgrund der Begrenztheit der vorhandenen natürlichen Ressourcen und der Grenzen der Belastbarkeit  des Planeten  nicht  weltweit  verallgemeinerbar  und  damit  in  gewisser Weise fragwürdig. Gleichzeitig kann niemand den sich entwickelnden Ländern das Recht bestreiten, am weltweiten Wohlstand teilzuhaben. Die dadurch notwendigen Veränderungen sind in ihrem Ausmaß  noch viel zu wenig im Bewusstsein und akzeptiert.
 
 
3. ..... ordnungspolitische und ethische Maßstäbe für die Wirtschaft zu erneuern 
 
Die  Finanzmarktkrise  der  Jahre  2007–2009 war die Folge menschlichen Versagens auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Zu Recht ist die Maßlosigkeit und eine zum Teil bis ins  Kriminelle  gesteigerte  Selbstherrlichkeit  und  Gier mancher Finanzmarktakteure kritisiert worden. Aber es wäre – auch mit Blick auf das Ziel  der  Verhinderung  künftiger  Krisen  –  verfehlt,  sich  mit  individuellen Schuldzuweisungen gegen bestimmte Personen und Institutionen zu begnügen:
  • Denn die Krise war eine strukturelle Krise und deshalb müssen auch die  strukturellen Ursachen gesucht und beseitigt werden.
  • Es ist die Aufgabe staatlicher Wirtschaftspolitik im Sinne von Ordnungspolitik, solche verfehlten  Anreizstrukturen zu identifizieren und zu beseitigen.
  • Richtig ist vielmehr eine der Grundannahmen der Sozialen Marktwirtschaft: dass nämlich die Märkte eine  Rahmenordnung und eine wirksame ordnungspolitische Aufsicht benötigen, damit das Finanz- und Wirtschaftsgeschehen in gemeinwohldienliche Bahnen gelenkt wird.
  • Ein globaler Markt braucht eine globale  Ordnung.
  • Auch hier muss das Prinzip der  Haftung wieder mehr zur Geltung gebracht werden.

 

4. ..... die Staatsfinanzen zu konsolidieren 
 
Ohne das Geld der Steuerzahler zur Rettung privater Banken wären viele  Staaten kollabiert.
 
Die Stabilität der gemeinsamen Währung ist eine konstitutive Bedingung  für die Errichtung einer wettbewerbsfähigen Sozialen Marktwirtschaft,  wie sie im Vertrag von Lissabon als gemeinsames Ziel der EU-Staaten ge- fordert wird.
Bei allem notwendigen Bemühen um eine Haushaltskonsolidierung darf  die Lösung der europäischen Krise nicht auf dem Rücken von Millionen  von Menschen ausgetragen werden, die sie nicht verursacht haben. Insgesamt ist ein Schuldenabbau, der vor allem auf Kosten der sozial Schwachen  und auf Kosten notwendiger Zukunftsinvestitionen geht, aus ethischer  Sicht nicht hinnehmbar. Darüber hinaus ist es nach unserer Überzeugung  weder im Interesse der heutigen noch der zukünftigen Generationen, das  Projekt Europa aufgrund nationaler Egoismen an grundsätzlich lösbaren  finanz- und geldpolitischen Problemen scheitern zu lassen.  
 
5. ..... ökologische Nachhaltigkeit in Lebens- und Wirtschaftsstilen zu verankern
 
Es  braucht  eine  weltweit  greifende  grundlegende  Transformation  der  Wirtschafts- und Lebensstile, um auch für kommende Generationen eine  hohe Lebensqualität zu erhalten. Dieser anspruchsvolle Veränderungsprozess wird nur dann gelingen, wenn das neue Ziel der ökologischen Verantwortung mit den herkömmlichen Prinzipien der marktwirtschaftlichen  Freiheit und des sozialen Ausgleichs verbunden wird. Das ist die notwendige und durchaus konfliktreiche Zielpluralität der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft.
 
Wie die oftmals vergeblichen oder nur unzureichenden Bemühungen um  internationale Abkommen zeigen, wird es nicht leicht sein, eine weltweite Soziale Marktwirtschaft zu entwickeln. Doch es gibt keine überzeugen- de Alternative.
 
 
6. ..... die mit dem demographischen Wandel einhergehenden sozialen Belastungen gerecht zu verteilen 
 
Die Finanzierung der gesetzlichen Rente wird vor allem angesichts des  ungünstigen Verhältnisses zwischen der steigenden Zahl der Rentenempfänger und der geringer werdenden Zahl an Beitragszahlern zunehmend  schwierig. Vor diesem Hintergrund erfolgten verschiedene Reformen, die  die demografische Entwicklung stärker berücksichtigen und durch stabile Beitragssätze eine übermäßige Belastung der Erwerbstätigen verhindern.  Damit verbunden ist zwangsläufig eine Absenkung des Nettorentenniveaus, weshalb neben die Gesetzliche Rentenversicherung eine zweite,  kapitalgedeckte Säule tritt.
 
Um eine zu starke Absenkung des Rentenniveaus zu vermeiden, wurden  außerdem die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die Erhöhung des  Renteneintrittsalters auf 67 Jahre notwendig.
Auch wenn die Altersarmut heute nur begrenzt ein Problem darstellt, so  droht sie doch in den nächsten 10 bis 15 Jahren in unsere Gesellschaft  zurückzukehren.
 
Es geht deshalb darum, stärker als  bisher auch die soziale und kulturelle Dimension von Armut in den Blick  zu nehmen. Sozialpolitik unter der Leitperspektive von Inklusion und Partizipation ist darauf gerichtet, soziale Chancen zu eröffnen und damit Freiheit (neu) zu ermöglichen. Sozialpolitik in diesem Sinne betrachtet den  Hilfebedürftigen also nicht als bloß passiven Empfänger sozialer Leistungen, sondern nimmt ihn in seiner Personalität ernst. Soziale Hilfen sind  deshalb konsequent an den Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität  auszurichten. Das heißt: Die Hilfe der Solidargemeinschaft muss so gestaltet und auch finanziell so bemessen sein, dass der Empfänger sich stets als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft empfinden kann. Zugleich darf die Solidargemeinschaft erwarten und einfordern, dass der Hilfeempfänger im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten aktiv an der Verbesserung seiner Lage mitwirkt. Gegebenenfalls ist es dabei freilich wiederum  die Aufgabe des Sozialstaates, dafür Sorge zu tragen, dass wirklich jedem  Hilfeempfänger solche Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnet werden. Entsprechend verstehen wir die Ideen zu einem aktivierenden und inklusiven  Sozialstaat und einer entsprechenden Gesellschaft. Sozialstaatliche Instrumente sollten in dieser Richtung weiterentwickelt werden.
 
 
7. ..... durch Inklusion und Partizipation zur Chancengerechtigkeit beizutragen
 
In Deutschland hat sich der Arbeits- markt in den letzten Jahren trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise positiv  entwickelt. Zu dieser positiven Entwicklung trug die Sozialpartnerschaft  in Deutschland, die in der Tarifautonomie sowie in der betrieblichen Mitbestimmung und der Unternehmensmitbestimmung ihre institutionellen  Grundlagen findet, maßgeblich bei.
 
Die Arbeitslosigkeit, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, ist deutlich gesunken. Auch die Sockelarbeitslosigkeit konnte abgebaut werden. Die Gesamtzahl aller Arbeitsverhältnisse hat einen Höchststand erreicht, auch  wenn sich das Arbeitsvolumen, z. B. durch die zunehmende Teilzeitarbeit,  nicht erhöht hat. Dazu haben die Arbeitsmarktreformen der letzten zehn  Jahre beigetragen. Mit den zurückliegenden Arbeitsmarktreformen wur- den Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch das Arbeitslosengeld II ersetzt  und das neue SGB II konsequent auf Aktivierung („Fördern und Fordern“)  umgestellt. Ziel war es, für alle Arbeitslosen, insbesondere Langzeitarbeitslosen, durch kürzere Bezugsdauern und die Senkung der Zumutbarkeitsgrenzen den Druck zu erhöhen, eine Beschäftigung aufzunehmen  und so aus dem Transferbezug auszusteigen.
 
Die Arbeitsmarktreformen und der wirtschaftliche Aufschwung der vergangenen Jahre haben auch dazu geführt, dass viele Menschen den Einstieg  in den Arbeitsmarkt gefunden haben. Dieser Einstieg wurde für viele erst  durch  einen Niedriglohnbereich  und atypische  Beschäftigungsformen  möglich.
 
Zwar ist der vorrangige Weg zur Vereinbarung  entsprechender Löhne die Aushandlung durch die Tarifpartner. Wo dieser Weg jedoch versagt, erscheint ein gesetzlicher Mindestlohn zur Sicherung des Lebensunterhalts erforderlich. Bei der Setzung staatlicher Mindestlöhne muss aber darauf geachtet werden, dass bestehende Arbeitsverhältnisse nicht verdrängt und nicht neue Barrieren zum Einstieg in den  Arbeitsmarkt geschaffen werden.
 
 
8. ..... eine breite Beteiligung an Erwerbsarbeit als wichtigem Ausdruck gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen 
 
Bildung  und  Qualifizierung  sind  wesentliche  Voraussetzungen  für  Beschäftigungschancen  auf  dem  Arbeitsmarkt.
 
 
9. ..... durch Bildung die persönliche Entwicklung u. den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern
 
Die politische, wirtschaftliche und  kulturelle Integration Europas ist so weit fortgeschritten, dass bei allen  Fragen stets die europäische Dimension mitbedacht werden muss. Bei der Lösung der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme müssen daher vor allem die Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität zur Geltung und die verschiedenen Interessen miteinander in Einklang gebracht werden. Im Sinne der Solidarität dürfen die von der Krise betroffenen Länder nicht fallen gelassen werden. Echte Solidarität nimmt dabei in den  Blick, dass die Unterstützung tatsächlich den Schwachen und nicht nur  den in die Krise geratenen Banken in den Geberländern zugutekommt. Die Rettungsmaßnahmen verfolgen jedoch oftmals ein starkes Eigeninteresse  der reicheren Länder.
 
 
10. ..... an der Gestaltung einer europ. Solidaritäts- und Verantwortungsgemeinschaft mitzuwirken
 
Auch in der notwendigen Fortentwicklung der europäischen Integration  müssen beide Aspekte, Solidarität und Verantwortung, gleichermaßen berücksichtigt werden. Deshalb ist es richtig, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit dem Fiskalpakt zu verbinden. Nur so wird Europa  zu einer wirklichen Solidaritäts- und Verantwortungsgemeinschaft weiter  zusammenwachsen.
 
Die in Europa gewachsenen Traditionen einer Wirtschaft, die den sozialen Ausgleich nicht als Zusatzaufgabe sieht, sondern in den Wirtschaftsprozess einbaut, können helfen, eine globale Wirtschaft zu entwickeln,  in der wirtschaftlicher Wohlstand, ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen zentrale Säulen bilden.
 
 
Die Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit
 
Wir halten diese Trennung von Ökonomie und Moral für falsch und für  fatal. Sie ist schon historisch grundfalsch. Die Ökonomie war immer ein  Teilgebiet der Ethik, bis sie sich seit dem 18. Jahrhundert zu einer selbst- ständigen Wissenschaft entwickelte.
 
Die Aufgabe der Wirtschaft sollte es sein, in bestmöglicher Weise die materiellen Grundlagen für ein gutes, selbstbestimmtes Leben aller zur Verfügung zu stellen. Die Marktwirtschaft hat sich als das bestmögliche System herausgestellt, um unter den notorischen Knappheitsbedingungen. Gemeinsame Verantwortung heißt, die Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit des irdischen Lebens den Bereich der materiellen Bedarfsdeckung zu organisieren. Aber auch sie erfüllt diese Aufgabe nur in unvollkommener Weise. Der Markt bedarf einer Rahmenordnung zum Schutz des freien und  fairen Wettbewerbs selbst sowie zum Schutz öffentlicher Güter und der  Umwelt, und er bedarf staatlicher Sozialpolitik, um die gerechte Teilhabe  aller sicherzustellen.
 
Die menschliche Gesellschaft ist keine  Gemeinschaft von puren Egoisten, aber auch keine von reinen Altruisten.  Dem trägt das Modell der Sozialen Marktwirtschaft Rechnung, weil es  einerseits das menschliche Leistungsstreben und Konkurrenzverhalten in den Dienst volkswirtschaftlicher Effizienz stellt, aber andererseits den marktwirtschaftlichen Wettbewerb auf das Gemeinwohl hin ordnet und  im Wege des Sozialstaats mitmenschliche Solidarität organisiert. Diese Verbindung von Freiheit und marktlichem Wettbewerb einerseits und einem System des sozialen Ausgleichs und der Solidarität andererseits ist  mehr als eine spezifisch deutsche Wirtschaftsverfassung, sondern ein moralisch begründetes Sozialmodell, das tief in der europäischen Kultur wurzelt. Diese Kultur Europas ist ganz wesentlich durch das Christentum geprägt worden.
 
 
Unbenommen verhält es sich so, daß in diesem Papier Schwachstellen in den Bereichen Gerechtigkeit und Soziales kritisiert werden. Allerdings reicht es nicht, einfach nur Appelle an die Politik oder die Gesellschaft zu richten. Wir alle wissen aus Erfahrung, daß dies nicht das geringste ausrichtet. Man hätte wenigsten erwarten können, daß die deutschen Kirchenelite nicht hinter dem Papst zurückbleibt und zumindest eine grundsätzliche Systemkritik am marktwirtschaftlichen kapitalistischen System vorgenommen und zusätzlich Roß und Reiter genannt hätte. Jedenfalls ist bei den deutschen Protagonisten offensichtlich der Spruch: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“ zum christlichen Leitsatz erhoben worden.
 
Ich kann mich den Worten von Friedhelm Hengsbach uneingeschränkt anschließen, wenn er betont, daß das Kirchenpapier nur normative Leitbilder ohne ethische Argumenation enthalte. Oder volkstümlich ausgedrückt – es handelt sich um einen Eiertanz oder Herumreden um den heißen Brei! Wie kann man es anders verstehen, wenn das Papier Sätze wie solche ausweist:
  • "Bildung und Qualifizierung sind wesentliche Voraussetzungen für die Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt." Nicht falsch - allerdings sind sie nicht die Grundvoraussetzungen, nämlich das Arbeitsplatzangebot.
  • "Ohne das Geld der Steuerzahler zur Rettung privater Banken wären viele  Staaten kollabiert."
  • „Denn die Krise war eine strukturelle Krise und deshalb müssen auch die  strukturellen Ursachen gesucht und beseitigt werden.“
  • „Deshalb ist es richtig, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit dem Fiskalpakt zu verbinden. Nur so wird Europa  zu einer wirklichen Solidaritäts- und Verantwortungsgemeinschaft weiter  zusammenwachsen.“
So, so: Die Krise war und ist ausschließlich strukturelle bedingt. ESM und Fiskalpakt sind die Bedingung für solidarisches Zusammenwachsen Europas! Auf welchem Planeten lebt die Kirche eigentlich?
 
Es muß schlußgefolgert werden, daß die Kirchen sich als als systemimmanent fühlen und somit das vorherrschende politische, wirtschaftlichen und gesellschaftliche System unterstützen. Konformismus ist das Glaubensbekenntnis – und alles auf ein Weiterwurschteln wie bisher ausgelegt. Wie gut, daß man sich aber immer noch in das Himmelreich flüchten kann, wenn es wirklich brenzlig wird.
 
 
MfG Peter A. Weber