Larmoyante Werte-Krieger
von Manfred Sohn
Stolz waren noch vor kurzem alle jene, die mit ihren High-Tech-Waffen Krieg nach Afghanistan, Libyen, Irak, Syrien und anderswo trugen. Stolz erklärten sie, sich gegen Vorwürfe verteidigend, das seien imperialistische Kriege, es ginge ihnen nicht um Öl, andere Rohstoffe oder die Ausbeutung fremder Arbeitskraft, sondern um die Verteidigung westlicher Werte bis hin zum Hindukusch. Dort müssten Frauen befreit und müsse den Kindern eine Zukunft, vergleichbar mit der Zukunft der Kinder in Deutschland, den USA oder anderer Leuchttürme der Freiheit, erkämpft werden.
Diese westliche Werte-Kampf-Gemeinschaft, in der wir hier nolens volens mindestens als Steuerzahler alle zwangseingeschlossen sind, massakriert seitdem zuverlässig mehrmals im Jahr dutzende von den westlichen Werten gegenüber Ungläubigen – durch Drohnenangriffe, die selbst vor Hochzeitsgesellschaften nicht zurückschrecken. Jemand wie der deutsche Oberst Klein, der den Befehl gab, Jugendliche und Kinder zu verbrennen, die bei einem liegen gebliebenen, vorher entführten Tanklastwagen Benzin für ihre heimatlichen Primitiv-Kocher abzapften, wurde in diesem Krieg um die Expansion westlicher Werte folgerichtig auch nicht vor ein Kriegsgericht gestellt, sondern zum General befördert. [Anm. Admin H.S.; siehe 2 Videos und 2 PdFs im Anhang]
► Afghanistan: Gesamtopferzahl der Koalition (USA, GB und Andere) nach Jahr und Monat: 3.528 Soldaten (inkl. 54 Deutscher)
Year | Jan | Feb | Mar | Apr | May | Jun | Jul | Aug | Sep | Oct | Nov | Dec | Total |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
2001 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 3 | 5 | 4 | 12 |
2002 | 10 | 13 | 15 | 10 | 1 | 3 | 0 | 3 | 1 | 5 | 1 | 8 | 70 |
2003 | 4 | 7 | 12 | 2 | 3 | 7 | 2 | 4 | 2 | 6 | 8 | 1 | 58 |
2004 | 11 | 2 | 3 | 3 | 9 | 5 | 2 | 4 | 4 | 8 | 7 | 2 | 60 |
2005 | 2 | 3 | 6 | 19 | 4 | 29 | 2 | 33 | 12 | 10 | 7 | 4 | 131 |
2006 | 1 | 17 | 13 | 5 | 17 | 22 | 19 | 29 | 38 | 17 | 9 | 4 | 191 |
2007 | 2 | 18 | 10 | 20 | 25 | 24 | 29 | 34 | 24 | 15 | 22 | 9 | 232 |
2008 | 14 | 7 | 20 | 14 | 23 | 46 | 30 | 46 | 37 | 19 | 12 | 27 | 295 |
2009 | 25 | 25 | 28 | 14 | 27 | 38 | 76 | 77 | 70 | 74 | 32 | 35 | 521 |
2010 | 43 | 53 | 39 | 34 | 51 | 103 | 88 | 79 | 57 | 65 | 58 | 41 | 711 |
2011 | 32 | 38 | 39 | 51 | 56 | 66 | 53 | 82 | 53 | 42 | 27 | 27 | 566 |
2012 | 35 | 24 | 39 | 40 | 45 | 39 | 46 | 52 | 27 | 24 | 17 | 14 | 402 |
2013 | 8 | 1 | 16 | 16 | 26 | 27 | 14 | 13 | 13 | 10 | 4 | 13 | 161 |
2014 | 7 | 10 | 3 | 9 | 4 | 12 | 9 | 5 | 6 | 3 | 3 | 4 | 75 |
2015 | 0 | 1 | 0 | 1 | 1 | 2 | 0 | 3 | 3 | 10 | 0 | 6 | 27 |
2016 | 3 | 0 | 0 | 0 | 2 | 1 | 0 | 2 | 0 | 3 | 4 | 1 | 16 |
Quelle: http://www.icasualties.org
► Irak: Gesamtopferzahl der Koalition (USA, GB und Andere) nach Jahr und Monat: 4.832 Soldaten
Year | Jan | Feb | Mar | Apr | May | Jun | Jul | Aug | Sep | Oct | Nov | Dec | Total |
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2003 | 0 | 0 | 92 | 80 | 42 | 36 | 49 | 43 | 33 | 47 | 110 | 48 | 580 |
2004 | 52 | 23 | 52 | 140 | 84 | 50 | 58 | 75 | 87 | 68 | 141 | 76 | 906 |
2005 | 127 | 60 | 39 | 52 | 88 | 83 | 58 | 85 | 52 | 99 | 86 | 68 | 897 |
2006 | 64 | 58 | 34 | 82 | 79 | 63 | 46 | 66 | 77 | 111 | 78 | 115 | 873 |
2007 | 86 | 85 | 82 | 117 | 131 | 108 | 89 | 88 | 70 | 40 | 40 | 25 | 961 |
2008 | 40 | 30 | 40 | 52 | 21 | 31 | 13 | 23 | 25 | 14 | 17 | 16 | 322 |
2009 | 16 | 18 | 9 | 19 | 25 | 15 | 8 | 7 | 10 | 9 | 11 | 3 | 150 |
2010 | 6 | 6 | 7 | 8 | 6 | 8 | 4 | 3 | 7 | 2 | 2 | 1 | 60 |
2011 | 6 | 3 | 2 | 11 | 2 | 15 | 5 | 0 | 4 | 4 | 2 | 0 | 54 |
2012 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 |
2013 | - | - | - | - | - | - | - | - | - | - | - | - | - |
2014 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 2 | 1 | 0 | 3 |
2015 | 0 | 0 | 1 | 1 | 1 | 1 | 0 | 0 | 2 | 1 | 1 | 0 | 8 |
2016 | 0 | 0 | 1 | 3 | 3 | 0 | 1 | 1 | 2 | 1 | 5 | 0 | 17 |
Quelle: http://www.icasualties.org
In beiden Angriffskriegen bisher 8.360 getötete Soldaten. (aktualisiert am 26.12.2016). Von den zehntausenden leicht und schwerst Verletzten, den vielen für ihr Leben lang psychisch traumatisierten Soldaten spricht keiner. Und von den hunderttausenden zivilen Opfern erst recht niemand. Für sie gibt es nicht mal eine Statistik. Kollateralschaden eben - who cares? (ADMIN H.S.)
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Der Gegner der westlichen Wertgemeinschaft ein anderer als der von früheren imperialistischen Kriegen gewohnte. Der hatte in der Regel einheitliche Kommandostrukturen und eine Zentrale, nach deren Ausschaltung der Krieg meist gewonnen war.
Der neue Gegner reagiert sehr unterschiedlich – mal traditionell (und deshalb zügig enthauptet) wie der Irak, mal geschickt defensiv wie Assad in Syrien. Teile des angegriffenen islamischen Werte-Konglomerats haben offenbar nüchterne militärische Schlußfolgerungen in ihren Lagebesprechungen gezogen. Sie weichen dem offenen Krieg auf dem eigenen Territorium aus und beherzigen die Regel, daß selten ein Krieg gewonnen wurde ohne ihn auf das Territorium des Gegners zu tragen. Entsprechend dieser Kriegslogik massakrieren nun diejenigen, deren Hochzeitsgesellschaften massakriert wurden, westliche Redaktionen. Sie bedienen sich dabei aus dem Heer der in und von den westlichen Gesellschaften als kapitalistische nicht mehr verwertbaren jungen Männer, deren biologische oder soziale Wurzeln oftmals in die Länder der sogenannten dritten Welt zurückreichen.
So ist das nun in diesem Krieg: Schlag folgt auf Schlag bis einer am Boden liegt. Der individuelle Schmerz der Hinterbliebenen ist groß und sowohl hüben als auch drüben mitzufühlen. Mindestens larmoyant, im schlimmeren Fall berechnend-verlogen aber ist die staatlich organisierte Massentrauer in den NATO-Ländern.
Verlogen ist die Massentrauer schon in ihrer Begründung. Natürlich geht es nicht um Meinungsfreiheit. Auch das deutsche Strafgesetzbuch bedroht im § 166 mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren denjenigen, der „den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Die Doppelzüngigkeit der westlichen Wertekrieger bekam wenige Tage nach dem Angriff in Paris der französische Komiker Dieudonné zu spüren, der sich unter anderem mit der Formulierung „Ich fühle mich wie Charlie Coulibaly“ über die Solidaritätsbekundungen lustig machte und prompt von der Polizei verhaftet wurde. Albern ist die Figur, bei den westlichen Wertekriegern herrsche blanke Vernunft und bei den östlichen Gotteskriegern blinder Fanatismus. Die sofort aus dem Internet wieder entfernte – soviel zur unbeschränkten Meinungsfreiheit – Videobotschaft von Amedy Coulibaly ist kalt und vernünftig wie wir es auch von Selbstzeugnissen früherer US-Elitesoldaten kennen. Die am 14. Januar in der „New York Times“ ausführlich dargelegte Botschaft der Al Qaeda-Gruppe im Jemen ist alles andere als wirr, sondern in ihren politischen Botschaften völlig klar: „Wir sagen Euch noch einmal: Stoppt Eure Beleidigungen gegenüber unseren Propheten und Heiligtümern. Hört auf, unser Blut zu vergießen. Verlaßt unsere Länder.“ Und sie weisen – als würden sie das deutsche Strafgesetzbuch kennen – darauf hin, daß die „Freiheit der Ideen immer gezähmt würde“, außer es ginge darum, den Islam anzugreifen und diese Religion zu diffamieren.
Ihre Worte werden verrauchen, weil dieses Geplänkel mit jetzt noch dutzenden von Toten in einem Monat – und nicht wie der letzte große Krieg rund 30.000 Toten pro Tag – ein willkommener Anlaß ist, die Vorbereitungen auf größere Kriege zu beschleunigen. Jedem denkenden Menschen ist klar, daß Massendemonstrationen gegen Angriffe wie die in Paris überhaupt nichts nützen. Wen sollen die denn beeindrucken? Sinn machen sie nur als Formierungen eines Volkes und Erhöhung seiner Kriegsbereitschaft. Das scheint zu gelingen; jedenfalls erlahmt gegenwärtig die Abwehr der Forderung nach einer deutlichen Erhöhung der Kriegsetats in den NATO-Ländern.
Der große Krieg, der jetzt vorbereitet wird, wird keine Wiederholung der großen Kriege von 1914 oder 1939. Damals ging es den kriegführenden kapitalistischen Nationen um die Aneignung fremder Territorien, um deren Rohstoffe und Arbeitskräfte ausbeuten zu können. Er war gierig vor allem nach der Verwertung menschlicher Arbeitskraft. Das hat sich inzwischen grundlegend gewandelt. Der Kapitalismus in seiner absteigenden Phase, in der er sich spätestens seit seinem letzten großen Sieg von 1989 befindet, kann aufgrund der Ergebnisse der mikroelektronischen Revolution schon in seinen Kernländern die menschliche Arbeitskraft nicht mehr verwerten – deshalb das stete Anschwellen der stehenden Heere dauerhaft arbeitsloser junger Männer, aus denen auch die Krieger von Paris rekrutiert wurden.
Niemand wollte Afghanistan erobern. Niemand – bis auf ein paar alte SS-Tattergreise – will Kiew erobern. Niemand wird Rußland erobern wollen. Was die westliche Werte-Kriegsgemeinschaft allerdings wollen muß, ist die Verhinderung von funktionierenden gesellschaftlichen Strukturen jenseits der Allherrschaft des kapitalistischen Marktes. Die schrumpfende Verwertungsmaschine, die unentwegt wachsende Mengen von Autos, Laptops, Handys und anderen Dingen ausspuckt, muß Konkurrenten zerstören. Sie hat nichts einzuwenden gegen die sich ausbreitenden Gebiete, die entstaatlicht werden, in denen Warlords und andere Banden von Raub und der Resteverwertung des kapitalistischen Überflusses an VW-Pick-Ups, Toyotas und Samsung-Geräten leben – Hauptsache, sie bauen keine ernsthafte Alternative zu verlogenen Schein-Überlegenheit der westlichen Wertegemeinschaft auf, die sie mit ihrem Elend ungewollt rechtfertigen. Also wird der heraufziehende Krieg gegen Rußland und China weniger denn je ein Eroberungs- und mehr denn je vor allem ein Zerstörungs- und Vernichtungskrieg sein.
Er eröffnet gewaltige Möglichkeiten neuer zusätzlicher Kapitalinvestitionen und sorgt für gründlichen Verbrauch und Verschleiß der angesammelten Vorräte an Waren und Kapitalien, wesentlich rascher und durchgreifender, als es in den gewöhnlichen Depressionsperioden auch bei stärkster künstlicher Nachhilfe möglich ist.
So ist der Krieg das beste Mittel,
um die endgültige Katastrophe des ganzen kapitalistischen Wirtschaftssystems immer wieder hinauszuschieben.
Ernst Winkler
Theorie der natürlichen Wirtschaftsordnung, 1952
Teil dieser Kriegsvorbereitung ist die wachsende Aggressivität, die seit Paris in jeder europäischen Boulevard-Zeitung zu sehen ist und die Larmoyanz, die allen Kriegern aller Zeiten eigen war, wenn plötzlich nicht mehr nur die anderen, sondern man selbst gezwungen wird, Blei zu fressen.
Manfred Sohn, Wittmarshof
► Geheimakte Kunduz - Protokoll eines tödlichen Fehlers (1)
► Geheimakte Kunduz - Protokoll eines tödlichen Fehlers (2)
► Bild- und Grafikquellen:
1. "Wenn Krieg die Antwort ist, dann war die Frage falsch" Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de
2. "USA will always fight for justice" - Bildbearbeitung: Wilfried Kahrs, QPess.de
3. Charlie-Hebdo-Trauermarsch: Der inszinierte Aufmarsch der Heuchler. Foto: Twitter / Bildbearbeitung: Monika Bassani (?)