Mythos Kündigungsschutz – und was man tun kann

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Jörg Gastmann
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Mythos Kündigungsschutz – und was man tun kann
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Mythos Kündigungsschutz – und was man tun kann

 

Zu den hilflosen Euro-Rettungsversuchen gehört auch die Forderung, in Krisenländern die  Kündigungsschutzgesetze abzuschaffen. Das ist gar nicht nötig – denn es gibt auf der ganzen Welt bisher kein Gesetz, das vor Kündigungen schützt.

Arbeitgeber beteuern stets, daß sie neue Mitarbeiter einstellen würden, wenn es keinen Kündigungsschutz gäbe. Verbindliche Zusagen und Prognosen gibt allerdings niemand. Vergleichsstudien beweisen hingegen, daß die Abschaffung des Kündigungsschutzes keine langfristigen Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau hat. Lediglich die Fluktuation steigt, also das „hire and fire“.

Unternehmerlobbyisten verweisen gern auf Länder wie die USA, Großbritannien und Dänemark, die fast keinen Kündigungsschutz kennen und gleichzeitig halb so hohe offizielle Arbeitslosenquoten haben. Diese Gleichzeitigkeit ist jedoch kein zwingender Zusammenhang. Von 246 Nationen der Erde hat fast keines ein Kündigungsschutzgesetz (KSchG), aber fast alle haben eine sogar noch höhere tatsächliche Arbeitslosenquote als Deutschland. Die geringeren offiziellen (nicht die tatsächlichen) Arbeitslosenquoten von Ländern wie den USA, Großbritannien und Dänemark begründen sich vor allem durch Statistikmanipulationen und den Zwang, jede noch so schlechte Arbeitsbedingung/Entlohnung annehmen zu müssen.

 


Der Rotgrünschwarzgelbe Wettlauf beim Abbau des Kündigungsschutzes

SPD und Grüne schränkten 2004 den Kündigungsschutz für Über-50-Jährige durch die Möglichkeit zeitlich grenzenlos befristeter Arbeitsverträge ein. Der Europäische Gerichtshof erklärte im Januar 2012 sogar Dutzende aufeinander folgende befristete Arbeitsverträge für rechtsgültig, sofern sie von den Arbeitgebern nicht allzu ungeschickt begründet werden. Desweiteren wollten SPD und Grüne 2004 das KSchG für Mitarbeiter von Existenzgründern für 4 Jahre aussetzen. Am 01.01.2004 verschoben SPD und Grüne die Grenze des Geltungsbereichs des KSchG von Betrieben ab 6 Mitarbeitern auf solche mit mehr als 10 Mitarbeitern. Davon betroffen waren 18% der Beschäftigten. Die Arbeitslosigkeit stieg weiter.

CDU und CSU kopierten das Konzept von SPD und Grünen und wollten im 2005er Wahlkampf die Grenze auf Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern erhöhen. Davon wären weitere 10% der Beschäftigten betroffen. SPD und Grüne verurteilten diese Weiterführung ihres eigenen Konzepts. CDU, CSU und SPD vereinbarten schließlich im Koalitionsvertrag 2005, durch eine 2-jährige Probezeit den Kündigungsschutz in den ersten beiden Jahren vollkommen abzuschaffen. Seitdem können die Arbeitgeber neue Mitarbeiter jederzeit mit 14 Tagen Frist kündigen, und zwar mit einem Zeugnis, in dem nicht von betriebsbedingten Zwängen die Rede ist, sondern lediglich das Nichtbestehen der Probezeit dokumentiert wird. Ein solches Zeugnis ist nicht gerade nützlich bei nachfolgenden Bewerbungen.

 


Kündigungen: einfach, unter Vorwand und überflüssig

Wo liegt das Problem der Arbeitgeber? ?ei Auftragsmangel kann jederzeit betriebsbedingt gekündigt werden (siehe unten). Verhaltensbedingte Kündigungen (oft nach Reaktion des Arbeitnehmers auf Demotivation und Mobbing) sind ein weiterer Trennungsweg. Arbeitnehmerfeindliche Richter geben Arbeitgebern auch bei Bagatellkündigungen Recht, und nicht selten schmuggeln Beauftragte der Arbeitgeber den Kündigungsopfern Gegenstände in die Taschen, um sie dann beim Verlassen des Betriebes zu durchsuchen und wegen Diebstahls anzuzeigen. Da die Opfer keien Möglichkeiten zum Beweis ihrer Unschuld haben, gehen die eigentlichen Straftäter nicht nur straffrei aus, sondern werden auch noch kostenlos die unerwünschten Mitarbeiter los. Selbst SPD-Bürgermeister konstruieren „Vorwandskündigungen“, um städtisches Personal ohne Abfindung loszuwerden. Und schließlich sind in allen Betrieben sind kurzfristige Kündigungen während der Probezeit problemlos möglich.

 


Trio Infernale: Befristung, Scheinselbständigkeit, Zeitarbeit

Eine weitere Umgehungsmöglichkeit des KSchG ist die o.g. Befristung von Arbeitsplätzen. Auch hier haben die Regierungsparteien die Schleusen zu Lasten der Arbeitnehmer geöffnet. Mittlerweile sind rd. die Hälfte aller Neueinstellungen befristet und das KSchG durch die Regierungsparteien ausgebootet.

Sehr beliebt bei Arbeitgebern ist zudem die Scheinselbständigkeit. Von den 2,3 Mio. 1-Mann-Betrieben arbeitet ein sehr großer Teil für nur 1 Arbeitgeber. Sei es der „selbständige“ Spediteur, der für nur 1 Auftraggeber fährt und „seinen“ Lkw selbst finanzieren muß, der Kurierdienstfahrer, der nur für 1 Kurierdienst fährt oder der Tiefkühlkost-Lieferfahrer, der ausschließlich für 1 Unternehmen ausliefert: Die Unternehmen haben dabei nicht nur das KSchG umgangen, sondern auch das volle unternehmerische Risiko auf die Scheinselbständigen abgewälzt und sich ihrer Pflicht zur Zahlung von Sozialabgaben entledigt. Auch die Scheinselbständigkeit ist ein von den Regierungsparteien ermöglichter Sozialmissbrauch durch Unternehmen – und weder Gewerkschaften noch die Justiz interessieren sich ernsthaft dafür.

Der einfachste Weg zur Umgehung des KSChG ist natürlich die Zeitarbeit. Die Regierungsparteien hoben sogar die 24-Monats-Grenze auf, ab der Zeitarbeiter früher fest eingestellt werden mußten. Heute dürfen Arbeitgeber jeden Arbeitnehmer bis zur Rente als Zeitarbeiter beschäftigen – was das KSchG endgültig zur Farce macht.

 


98% aller Wiedereinstellungsklagen scheitern

Daß die Einschränkung des KSchG ein dauerhaftes Wahlkampfthema ist, erstaunt insofern, als in Deutschland überhaupt kein Gesetz existiert, das vor Kündigungen schützt. 2002 beendeten die Arbeitgeber rd. 2,1 Mio. Arbeitsverhältnisse, gegen die im gleichen Jahr 296.957 Arbeitnehmer vor Gericht klagten. Arbeitsrichter Nikolaus H. Hotter aus München stellte fest, daß nur rd. 1,7% aller Verfahren mit der gerichtlich angeordneten Wiedereinstellung enden. Und diese 1,7% werden keine Freude mehr an ihrem Arbeitsplatz haben, sondern von ihren Arbeitgebern so lange gemobbt, bis sie aufgeben.

Prof. Thomas Dieterich, ehemaliger Präsident des Bundesarbeitsgerichts, weiß aus Erfahrung, daß eine „echte betriebsbedingte Kündigung, die ein Arbeitgeber durchsetzen will, immer möglich ist“. Bei erfolgreich gerichtlich durchgesetzten Kündigungen kommt es nur darauf an, daß der Arbeitgeber den Eindruck einer willkürlichen Kündigung vermeidet, indem er einen „sachbezogenen, anerkennenswerten Grund vorträgt“ (SZ 28.07.2004). Lt. Prof. Dieterich „haben gute Fachanwälte noch nie einen Prozeß wegen einer betriebsbedingten Kündigung verloren, weil eine unternehmerische Entscheidung durch einen Arbeitsrichter nicht respektiert worden wäre“. Intelligente Unternehmer finden einen Weg, die Kündigungen unerwünschter Mitarbeiter offiziell als betriebsbedingt zu deklarieren, indem man den Betrieb reorganisiert und die zu kündigenden Mitarbeiter genau in den Betriebsteilen platziert, die zufälligerweise aus betriebswirtschaftlichen Gründen entfallen. Je größer das Unternehmen, desto leichter ist diese Reorganisation.

 


Das „Kündigungsreihenfolge- und Abfindungsgesetz“

Wikipedia ist der Meinung, das KSchG sei „ein Gesetz, das die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zugunsten der Arbeitnehmer auf sozial gerechtfertigte Kündigungen beschränkt“. Wie bei so vielen wirtschaftspolitischen Themen zeigt Wikipedia auch hier für eine erstaunliche Folgsamkeit gegenüber Autoritäten und „etablierten Experten“.

Die mit „Kündigungsschutzgesetz“ betitelten Papierseiten sind – wie wir oben gesehen haben - kaum mehr als ein „Kündigungsreihenfolge- und Abfindungsgesetz“. Die wenigen erfolgreichen Wiedereinstellungsklagen bewirken lediglich, daß jemand anders (aufgrund kürzerer Betriebszugehörigkeit, niedrigeren Alters oder kleinerer Familie) gekündigt wird. Der Tagesspiegel stellte zum KSchG fest: „Zu den Verlieren gehören die Personengruppen, die eigentlich besonders geschützt werden sollen: Berufseinsteiger, jüngere Frauen, gering qualifizierte und ältere Arbeitslose.“

 


Der wahre Grund für das „Feindbild Kündigungsschutz“: Kosten

Das eigentliche Thema heißt „Kosten“. Alle Arten von Kosten sind für Unternehmen grundsätzlich immer zu hoch. Schafft man das KSchG ab, sparen sie Kosten für Abfindungen, Rechtsstreitigkeiten und die Gehälter kranker Mitarbeiter. Zudem kann sich der Arbeitgeber von den leistungsschwächsten Mitarbeitern zuerst trennen, so wie z.B. Infineon und General Electric, die jedes Jahr aus Prinzip die 5% am schlechtesten bewerteten Mitarbeiter entlassen.

 


Was tun?

Letztendlich geht es beim Kündigungsschutz um einen Ausgleich der Arbeitgeberinteressen und den Interessen der Arbeitnehmer und Familien, deren Leben ein Mindestmaß an Planbarkeit erfordert. Die nicht vorhandene Arbeitsplatzsicherheit (und damit Lebensplanbarkeit) ist der Hauptgrund für den Geburtenrückgang. Die Arbeitnehmer vor Kündigungen zu schützen, ist also lebenswichtig für die Existenz jedes Staates. Nur ist das nicht per KSchG möglich.

Da die Abschaffung des Kündigungsschutzes das Problem der Arbeitslosigkeit nicht annähernd lösen kann, läuft diese Debatte am Thema vorbei. Der beste Kündigungsschutz ist ein Überfluss an Arbeitsplätzen. Die bisher einzige Möglichkeit dazu ist das Anreizsystem des „Bandbreitenmodells“, das Geschäfte untrennbar mit fair bezahlter Beschäftigung verknüpft, und bei dem auch die Unternehmer durch etwas profitieren, das sie bisher systematisch zerstören: Kaufkraft, um ihre Produkte zu kaufen.




Aus aktuellem Anlass: In eigener Sache

Aus aktuellem Anlasse bitte ich Sie um Ihre Stimme beiIch kann Kanzler(5. Kandidat von links). Es geht darum, der Öffentlichkeit das o.g. Bandbreitenmodell als eine umsetzbare Alternative zur angeblichen Alternativlosigkeit vorstellen zu dürfen. Sie können es ermöglichen, wenn Sie wollen!

Ihr Jörg Gastmann


http://www.bandbreitenmodell.de
 

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Abbau von Kündigungsschutz als Alibi für Gewinnmaximierung

Jörg Gastmann hat völlig recht mit seinen Ausführungen. Hemmnisse für den Kündigungsschutz abzubauen, schafft nicht einen einzigen neuen Arbeitsplatz, sondern leistet einen weiteren Beitrag zur Spaltung und Zerstörung von noch einigermaßen gesunden Gesellschaftsstrukturen.

Das sog. freie Spiel der Kräfte auf dem Arbeitsmarkt ist eh ein Mißverständnis, denn Menschen sind keine Kartoffeln. Die Arbeitgeber sitzen bei einem Nachfragemarkt immer am längeren Hebel. Wenn der Staat nun hingeht und die bereits bestehenden Ungleichgewichte durch gesetzliche Maßgaben noch weiter zuungunsten der Bürger ausbaut, dann handelt der Staat lediglich als Marionette und Handlanger des Kapitals und der Arbeitgeber.

Man sollte es nie vergessen: Arbeit und Produktion um ihrer selbst willen basiert auf zwanghafter protestantischer Ethik, die den Kapitalismus erst richtig stark gemacht hat. Eine humanistisch gestaltete Welt sieht anders aus, in der Arbeit und Wirtschaft nur als Dienstleister für das Gedeihen und Wohlbefinden der Menschen fungiert.

 

Peter A. Weber

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Jörg Gastmann
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Verbunden: 08.04.2012 - 01:49
Wie man den Arbeitsmarkt umdrehen kann

Genau richtig, Menschen sind keine Kartoffeln, und die Wirtschaft hat nur 2 Funktionen:

1. Güter produzieren, die die Menschen wünschen (klappt hervorragend)

2. Sämtlichen (!) Menschen ein Einkommen bieten, um diese Güter auch kaufen zu können (klappt überhaupt nicht).

Daher (aus bandbreitenmodell.de/kurzversion): Man kann den ökonomischen Mechanismus von Angebot und Nachfrage im Sinne der Menschen anwenden. Das heutige Überangebot an Arbeitskräften kann man in ein Überangebot an Arbeitsplätzen drehen. Dazu muß man bei den Arbeitgebern für eine zusätzliche Nachfrage nach Arbeitskräften sorgen. Wie erreicht man das?

Die zusätzlichen Mitarbeiter müssen für alle Unternehmen existentiell wichtig sein.

  1. Was ist die Existenzgrundlage von Unternehmen? Ein möglichst hoher Umsatz/Marktanteil, um im Wettbewerb zu überleben.
  2. Wie erzielt man einen möglichst hohen Umsatz/Marktanteil? Vor allem durch möglichst niedrige Verkaufspreise.
  3. Wie kann der Gesetzgeber Einfluss auf die Verkaufspreise nehmen? Durch den Satz der Umsatzsteuer.
  4. Wie kann der Gesetzgeber also Einfluss auf die Zahl der Beschäftigten nehmen? Indem er den Satz der Umsatzsteuer jedes einzelnen Unternehmens mit dessen Beschäftigungsintensität (= Verhältnis von Mitarbeiterzahl zum Umsatz) verknüpft.
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