Nachdenkliches zu Europa und Unbekanntes zu Russland

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Kai Ehlers
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Nachdenkliches zu Europa und Unbekanntes zu Russland
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Nachdenkliches zu Europa und Unbekanntes zu Russland  

Fragen zu Nationalismus und „Flüchtlingskrise“

Ein Abgrund tut sich auf, so will es vielen Zeitgenossen beim Blick auf das gegenwärtige Weltgeschehen, besonders auf die Vorgänge in Europa, erscheinen, ein Abgrund, der die Werte der Nachkriegsgesellschaft – Menschenrechte, Solidarität, Toleranz – verschluckt und an deren Stelle überwunden geglaubte Gespenster des Nationalismus, des religiösen Fanatismus oder gar des Faschismus in neuer Gestalt wieder aufsteigen lässt.

Zu verdenken ist niemandem eine solche Sicht: die geistige Verschmutzung und das Elend des ukrainischen Krieges, die Verstetigung des Terrors in den Brutalitäten des „Islamischen Staates“, der besser Anti-Islamischer Staat genannt würde, der Rückfall der Europäischen Union in nationalistische Egoismen angesichts der „Flüchtlingskrise“müssen erschrecken. Vergleiche mit dem Ende des römischen Reiches werden gezogen, das trotz des Limes im Ansturm der hunnischen und germanischen Völkerschaften unterging. Thilo Sarazzins fade Prophezeiungen, Deutschland schaffe sich ab, kommen zu neuen Ehren.

Aber stimmt dieses Bild? Verweist das Anwachsen separatistischer Tendenzen, auch des aktuellen Nationalismus, ja, selbst die barbarische Kulturstürmerei des „IS“ über die Tagesereignisse hinaus nicht auch auf eine dahinter liegende Entwicklung, die in ihrer aktuellen Eskalation auf Veränderung der gegenwärtigen Verhältnisse drängt?

  • Ist vielleicht nicht die Zivilisation am Ende, sondern nur die atlantische Dominanz?
  • Nicht Europa, sondern nur die imperiale EU?
  • Nicht Deutschland, sondern nur die gegenwärtige Verfasstheit Deutschlands als tendenzieller neuer Zuchtmeister Europas?

Damit kein Irrtum aufkommt zu dem hier Gemeinten: Keine Krankheit führt automatisch zur Gesundung; solche Automatismen müssten erst noch erfunden werden. Aber bei gründlicher Diagnose wächst die Chance mit frischen Kräften in einen neuen Lebensabschnitt einzutreten.


Versuchen wir also eine Diagnose.

Weltfrieden? Europäische Solidargemeinschaft? Demokratie? – Die meisten Menschen sind sich mehr oder weniger im Klaren darüber, dass von einem Weltfrieden nicht die Rede sein kann, es sei denn, man gehe der systematisch verbreiteten Anmaßung derer auf den Leim, die den atlantischen Binnenraum als Weltgemeinschaft ausgeben.

Aber schon die Auflösung des sowjetischen Imperiums entzieht sich einer solchen Sicht. Die Transformationskriege am Rande der ehemaligen Sowjetunion - Usbekistan, Tadschikistan, die Gebiete des Kaukasus – forderten mehrere zigtausend Menschenleben. Die meisten dieser Kriege endeten in Diktaturen neu entstandener, nationalistischer, keineswegs demokratischer, solidarischer oder gar subsidiär verfasster Gesellschaften. Das bisher letzte Beispiel aus dieser Reihe war und ist die Ukraine. Millionen von Flüchtlingen retteten sich seinerzeit nach Russland; aktuell kamen auch gerade wieder eine Million Menschen aus der Ukraine.

Aber wen in der „Weltgemeinschaft“, in der Europäischen Union, in Deutschland hat es interessiert, wie Russland in einer Situation, in der die Staatlichkeit des Landes bis hin in die lokalen sozialen Strukturen und bis in die Familien hinein zusammengebrochen war, neue Solidarität entwickeln konnte?
 

 

Im Gegenteil wurde Wladimir Putins Kennzeichnung dieses Zusammenbruchs als größte soziale Katastrophe des 20./21. Jahrhunderts als revanchistischer Anspruch auf Wiederherstellung des russischen Imperiums denunziert, bestenfalls als Großmannssucht bespöttelt oder Putin gar als anti-demokratischer Möchtegern-Stalin dämonisiert. Die tatsächliche Wiederherstellung sozialen Vertrauens im Lande, die in Russland gelungen ist und die allein Grundlage solidarischen Zusammenlebens sein kann, entzieht sich ganz offensichtlich dem westlichen Verständnis, das Solidarität und Demokratie nicht nach der tatsächlichen Lebenslage der Menschen, sondern nach der Einhaltung formal-demokratischer Regeln beurteilt – und die sind in Russland zweifellos weitaus weniger entwickelt als in Deutschland.

Und was ist mit dem „IS“, was mit der „Flüchtlingskrise“? Beide Phänomene sind ja nicht vom Himmel gefallen, passender gesagt, nicht plötzlich aus dem Untergrund hochgeschossen: Das Aufkommen des „IS“ ist Ausdruck einer Eskalation des Widerspruchs zwischen den im Gewand des Fortschritts und der Menschenrechte auftretenden reichen Ländern des Westens und den von ihnen zur Wüste gemachten Ländern des Südens, insonderheit des afrikanischen Kontinentes, in denen die aus den früheren Kolonien entstandenen Nationalstaaten, die meisten von ihnen Diktaturen, heute nur noch die Rolle von Agenturen internationaler Kreditgeber spielen. Sie haben die Ressourcen ihres jeweiligen Landes und Absatzmärkte zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen haben sie das Land, in der Regel mit Gewalt, ruhig zu halten. Wo das nicht gelingt, sind die „Special forces“ zur Stelle. Nur wenige Länder haben sich aus dieser Zange befreien können.

Seit Gründung der Internationalen Währungsordnung nach 1945 war erkennbar, wohin diese Entwicklung führen musste: In die Zerstörung lokaler Märkte, in das Anwachsen einer Heerschar „Überflüssiger“, die ihre Zukunft, noch dazu gesteigert durch das rasante Bevölkerungswachstum nicht mehr in ihren Heimatgebieten, sondern im reichen Westen suchen – sofern sie überhaupt noch die Kraft haben, über eine Zukunft für sich nachzudenken. Demokratische, solidarische, gar subsidiäre Gesellschaften konnten unter diesen Bedingungen jedenfalls nicht entstehen.

Dass diese Entwicklung nur in einer globalen Revolte gegen die Verursacher dieses Elends enden konnte, war schon lange klar. Der „IS“ wächst  als vergiftete Speerspitze aus dieser Revolte hervor; die „Flüchtlingskrise“ ist ein längst überfälliger Ausdruck dieser Entwicklung.


Erwachen der Völker

Ja, dies alles ist heute herrschende Realität. Und dennoch ist damit nicht alles beschrieben. Unter all diesen Umständen hat sich eine Tendenz herausgebildet, die einer der bekanntesten Strategen der USA, Zbigniew Brzeziński seinerzeit als „awakeningofpeople“ bezeichnet hat. Unter dem Druck der vom Westen ausgehenden neo-kolonialen Globalisierung sind als deren unvermeidliche Begleiterscheinung immer mehr Menschen mit den Möglichkeiten bekannt geworden, die unsere Welt heute den Menschen zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit bereitstellt – denjenigen, versteht sich, die Zugang zu diesen Möglichkeiten haben. Zu diesen zu gehören, tritt inzwischen bei einer wachsenden Zahl von Menschen als Verlangen nach Teilhabe an den Reichtümern der Welt, nach Selbstbestimmung, nach Autonomie, in der Auseinandersetzung mit den herrschenden Kräftenals aktiver Separatismus oder, im pervertierten Fall des „IS“, als destruktiver pseudo-religiöser Fanatismus zutage. Gegner sind in jedem Fall die etablierte Ausbeuterordnung der „Weltgemeinschaft“ und deren lokale Statthalter.


Krise der EU

Diese allgemeine Entwicklung macht auch vor der Europäischen Union nicht halt, wenn sich die schwächeren Mitglieder der Bevormundung und dem wirtschaftlichen Druck durch die Großen der Kern-EU, allen voran durch Deutschland, nicht weiter beugen wollen. Von Binnenzöllen unbelastet würgt Deutschland als „Exportweltmeister“ die lokalen Wirtschaften der kleineren Mitgliedstaaten der EU ab, danach werden ihre Regierungen durch Kredithilfen in eine Abhängigkeitsschleife gebracht, aus der für sie bei Beibehaltung der jetzigen Beziehungen kein Weg wieder herausführt. Es ist der gleiche Mechanismus, mit dem die EU als Ganzes, wieder mit dem Motor Deutschland, die lokalen Wirtschaften in den nach-kolonialen Ländern in Abhängigkeit hält. Die „Flüchtlingskrise“ ist nicht etwa die Ursache der Krise der EU; sie bringt das lange herangerollte Problem nur in die Sichtbarkeit der aktuellen Politik.

Um es in ein Bild zu fassen: in der „Flüchtlingskrise“ laufen die langen Wellen der globalen und die aus der EU kommenden kürzeren Wellen der Ausbeutungskonflikte aktuell zu mächtigen Brechern zusammen. Sie haben das Zeug, die Uferbefestigungen, auch wenn noch ein paar Sandsäcke aufgeworfen werden, glattweg zu überspülen und neue Uferkonturen entstehen zu lassen.

Kommt hinzu, dass die Entwurzelung der Bevölkerung in den aus den Kolonien hervorgegangenen Nationalstaaten, die dort aus der Zerstörung der traditionellen Strukturen der Selbstversorgung ohne Aufbau von adäquaten Alternativen lokaler Wirtschaften resultiert, ihre Fortsetzung in der Europäischen Union findet. In den Mitgliedstaaten, die in die Abhängigkeit gedrängt werden, nimmt die Verarmung der Bevölkerung in dem Maße zu, wie das Bruttosozialprodukt in den Kern-Ländern der EU, vor allem Deutschlands wächst. Nehmen wir als letztes Beispiel Griechenland, das unter dem Druck seiner Kreditschulden dem von Brüssel geforderten Abbau sozial-staatlicher Leistungen nachkommen musste – für Griechenland ein Fall ins Nichts, für Brüssel eine Stabilisierung.

Aber nicht nur in Griechenland, auch in Spanien, Italien, Portugal, den Balkanländern führt das Diktat der EU als „Wettbewerbsgemeinschaft“, dominiert vom „Exportmeister“ Deutschland zu einer immer weiter auseinander gehenden Schere zwischen dem reichen Kern der EU und drückender Armut in den peripheren Mitgliedsländern. Eine Pyramide der Ausbeutung innerhalb der EU ist entstanden, an deren Spitze Deutschland die Bedingungen diktiert; sogar Frankreich muss sich ducken. Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und sinkende soziale Versorgung – runtergestaffelt von Norden nach Süden, von innen nach außen – bilden die Basis der Pyramide.

Demokratie, Solidarität und Subsidiarität bleiben bei diesem Prozess nicht nur im globalen Maßstab, nicht nur in der EU, sondern auch in Deutschland zunehmend auf der Strecke. Darüber werden täglich genügend Fakten veröffentlicht, so dass hier auf Details verzichtet werden kann. Aber je größer der Druck der „Wettbewerbsgemeinschaft“ EU, desto breiter wird die Basis und desto intensiver das Verlangen, diese Art der Gemeinschaft zu verlassen. Initiativen für direkte Demokratie, für Autonomie, separatistische Bewegungen wie die in Schottland, in Katalonien, Rückzüge auf nationale Alleingänge in der EU wie die Ungarns, Austrittstendenzen wie die Englands, begleitet von nationalistischen Exzessen wie in der Ukraine, terroristischen wie denen des „IS“ und anderswo sind Ausdruck dieser Entwicklung.
 

 

Kurz gesagt, es macht Sinn, im heute zu beobachtenden Chaos nicht nur den Schrecken des Zerfalls, der Revolte, der demonstrativen Zerstörung von Menschen und Kultur, sondern auch die Dynamik der Überwindung, wenn auch teils pervertiert, der für diese Entwicklung ursächlichen Herrschaftsstrukturen zugunsten kleinerer, überschaubarer, autonomer miteinander auf Augenhöhe kooperierender Lebenseinheiten zu erkennen – auch wenn klar ist, dass dieser Übergang einlang andauernder ist und noch viele Opfer kosten wird.


Russland nationalistisch?

Wichtig ist wohl an dieser Stelle noch einmal in den Vergleich zu Russland zu gehen, das sich von deutschen Politikern und Medien in zunehmendem Maße als nationalistisch kritisieren lassen muss. Wladimir Putin erscheint in dieser Kritik gar als der leibhaftige Wiedergänger Hitlers, der das Land in einem nationalistischen Rausch und unter Inkaufnahme eines neuen Weltbrandes zu neuer imperialer Größe führen wolle.

Ach, wollte doch nur einer dieser Kritiker Russland einmal von innen, das heißt, von seiner sozialen und kulturellen Struktur her betrachten! Zum einen ist Russland zwar ein Zentralstaat, ohne Moskau geht gar nichts, zum anderen ist das Land aber nach Republiken und im Land miteinander lebender unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Sprachgruppen derartig vielgestaltig organisiert, dass es sich verbietet von einer russischen Nation zu sprechen. Alle Versuche eine solche Nation zu definieren, sind gescheitert.

Das Höchste, was an „nationaler“ Vereinheitlichung erreicht wurde, war der ‚Große Vaterländische Krieg‘ unter Stalin. Gerade diese Formulierung, die Worte wie sowjetische oder russische Nation vermeidet, zeigt aber auch das vollkommen andere Verständnis von Vaterland oder Nation in Russland: Russland ist nach russischem Sprachgebrauch ein Vaterland vieler „Nationen“, d.h., ein Land von Völkern miteigener Sprache, Religion und Kultur sowie unterschiedlichster Republiken in unterschiedlichsten Stadien von Autonomie, die einen gemeinsamen Organismus vieler Vaterländer im friedlichen Zusammenleben miteinander bilden. Der Zusammenhalt kann nicht befohlen, er muss im Konsens immer wieder neu hergestellt werden.

Putin ist ein Meister des Konsenses. Ausnahmen wie der Tschetschenienkrieg (I. 1994-1996; II. 1999-2009), der eine Sezession gewaltsam unterband, bestätigen wie immer die Regel. Der Tatsache der Vielvölker-Konsensgesellschaft trägt Rechnung, dass dieser Organismus in Russland nicht als russisch, sondern als russländisch bezeichnet wird. Moskau, einer russländischen Redewendung folgend, ist auch heute immer noch weit.

Was den angeblichen aktuellen Nationalismus angeht, so mag ein Beispiel genügen: Der Tschuwaschische, im Herzen Russlands an der Wolga lebenden „Nationalschriftsteller“ (eine ins Deutsche nicht übersetzbare Formulierung) Michail Juchma[1], 79, sein Leben lang engagiert, die Tschuwaschische Kultur vor ihrer Überformung durch das Russische zu bewahren, aus dieser Position heraus ein scharfer Kritiker Putins, antwortete im Sommer 2015  auf die Frage, was er von der Politik Putins halte, er stimme Putin in seiner Außenpolitik voll zu: „Er verteidigt unsere Vaterland“. „Unsere Vaterland“, erklärt Juchma, das ist mein tschuwaschisches Vaterland im untrennbaren Zusammenhang des russländischen Organismus.

Wer im Glashaus sitzt, soll also nicht mit Steinen schmeißen, so könnte man diesen Artikel beenden. Anders gesagt: Möglicherweise können Europäer in ihrer Auseinandersetzung mit dem Nationalismus von der russländischen Realität etwas lernen, zumindest Anregungen für ein Europa nach der Europäischen Union gewinnen, das die unterschiedlichen Gewordenheiten der europäischen Kulturen im lebendigen Konsens verbindet, statt sie weiter in ein Korsett der „Wettbewerbsgemeinschaft“ zu schnüren.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de
 

          

 


 

[1] Michail (Mischi) Nikolajewitsch Juchma [s. Foto rechts] wurde 1936 im Dorf Suguty im Bezirk von Batiresko in der tschuwaschischen Republik der russischen Föderation geboren. Er studierte Literatur- und Theaterwissenschaft. Seine ersten Veröffentlichungen erschienen im Jahre 1962, 1964 wurde er in den Verband der Schriftsteller aufgenommen. Seit 1993 trägt er den Ehrentitel eines „tschuwaschischen Volksschriftstellers“.

Juchma ist Wissenschaftler, Aufklärer und ein Mann der Öffentlichkeit. Er hat über zweihundert Werke verfasst, darunter Prosa, Gedichte, Dramaturgie, publizistische Beiträge, sowie grundlegende Forschungsarbeiten zur alten und mittelalterlichen Geschichte des bulgar-tschuwaschischen Volkes. Werke von Juchma wurden in einige Dutzend Sprachen übersetzt, teilweise auch in Lehrbücher (in das Schulprogramm) der Länder Asiens, Europas und Afrikas aufgenommen. In allen seinen Werken ist M. N. Juchma als einfühlsamer Lyriker, Kulturliebhaber und Kenner der Psychologie, als Philosoph, Denker und Maler präsent.

Michail Juchma wurde mit zahlreichen sowjetischen, russischen sowie internationalen Auszeichnungen und Preisen geehrt. Für sein Engagement um die Wiedergeburt der Kultur der kleinen Völker erhielt er einen Internationalen Preis sowie die goldene UNO-Medaille. 2006 erhielt er eine weitere Auszeichnung für Verdienste um die tschuwaschische Republik, 2009 wurde M. N. Juchma mit dem internationalen M. A. Scholochow-Kunst- und Literaturpreis ausgezeichnet.

Juchma ist der Gründer und Präsident des tschuwaschischen Kulturzentrums und der tschuwaschischen Abteilung der Internationalen Akademie für Information. Außerdem leitet er den Vorsitz des Schriftstellerverbandes der tschuwaschischen Republik. (Text: Rhombos-Verlag, Berlin - Foto: © Kai Ehlers, Hamburg).



Buchtipp: "Kartoffeln haben wir immer. Überleben in Russland zwischen Supermarkt und Datscha", von Kai Ehlers, Verlag Horlemann, Bad Honnef, 2010, ISBN: 978-3-89502-293-7

Was haben Kartoffeln mit der globalen Krise zu tun? Und was hat diese Frage damit zu tun, ob etwas von Russland zu lernen ist? Sind die Russen dem allgemeinen Wachstumswahn nicht noch mehr verfallen als die übrige Welt?

Russlands Politiker versuchen ihr Land mit Macht in einen Supermarkt und den genügsamen Selbstversorger der Sowjetzeit in einen Konsumenten zu verwandeln, der Russland zum Eldorado internationaler Investoren machen soll. Aber was ist mit der Bevölkerung? Ist sie bereit, sich auf eine Masse von Konsumenten ausrichten zu lassen? Teils ja, scheint es, dann aber auch wieder nein. Unter dem Druck der Krise erlebt die traditionelle Kultur der familiären Zusatzversorgung, kurz Datscha, als Überlebensmodell landesweit ihre Erneuerung. Nur ein Strohfeuer? Das sich legen wird, wenn die Krise vorbei ist?

Das Buch von Kai Ehlers zeigt, dass es hier um längerfristige Perspektiven geht, dass die Zukunft Russlands nicht im Entweder-Oder, nicht in Supermarkt oder Datscha, sondern in Supermarkt und Datscha liegen könnte und dass solche Perspektiven nicht nur für Russland Bedeutung haben. In Russland treten sie im Zusammenprall von einer Jahrhunderte langen Tradition der Selbstversorgung und der militanten Modernisierung der letzten Jahrzehnte nur besonders krass hervor.

Das Buch von Kai Ehlers arbeitet sich nicht an der nochmaligen Vorführung des russischen Tandems Medwedew/Putin ab. Nicht die Große Politik, sondern die Bewältigung der sozialen Folgen der Krise durch die Bevölkerung steht im Zentrum. Das Buch führt den Leser mitten ins soziale Geschehen Russlands. Ehlers verdeutlicht die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten für eine Bewältigung der globalen Krisen sowie mögliche generelle Alternativen. Das Buch enthält Analysen, zahlreiche Gespräche und Untersuchungen vor Ort zur Entwicklung des Sozialen in Russland und Ausblicke auf eine Ökonomie des Bedarfs. Eine vergleichbare Arbeit ist auf dem deutschen Buchmarkt zurzeit nicht erhältlich.

Das Buch kann direkt über den Autor Kai Ehlers bestellt werden.



Bild- und Grafikquellen:

1. Strömungen -  in Pastellfarben gemaltes Bild. Foto: © Kai Ehlers, Hamburg.

2. ISLAMO-PHOBIE??? HOMO-PHOBIE??? RUSSO-PHOBIE!!! Karikatur: © Götz Wiedenroth, Flensburg. Herzlichen Dank für die Freigabe zur Veröffentlichung im Kritischen Netzwerk. www.wiedenroth-karikatur.de/

3. EUROPA: Spiel nicht das Opfer bei Umständen die Du selber mit verschuldet hast! Grafik: Wilfried Kahrs / QPress.

4. NEIN zur EU-DIKTATUR. Dieses Motiv kann als Auto-Aufkleber in kleinen oder größeren Mengen bestellt werden bei > www.eu-diktatur.com/ .

5. EU-Flag - Gone with the wind. Fotobearbeitung: Theophilos Papadopoulos. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0)
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6. Buchcover: "Russland – Herzschlag einer Weltmacht. Russlands Rolle in der Kulturkrise".

Mit neuem Selbstbewusstsein kehrt Russland auf die Bühne der Weltpolitik zurück. Ein Land, das noch vor wenigen Jahren in Armut und Chaos versank, hat sich auf seine eigenen Kräfte besonnen. Muss der Westen das wieder erstarkte Russland fürchten? Wird er Russlands soziale und kulturelle Entwicklungskräfte erkennen und von ihnen profitieren, statt sie einzudämmen? Kann Russlands Fähigkeit, gestärkt aus Krisen hervorzugehen, Impulse für einen globalen Wandel geben?

Eine bescheidene Etagenwohnung in einem Moskauer Vorort ist Schauplatz eines Dialoges zwischen dem deutschen Russlandforscher Kai Ehlers und dem russischen Schriftsteller und Journalisten Jefim Berschin. Im Gedankenaustausch treffen Skepsis und Sympathie, Innen- und Außenperspektive aufeinander. Authentische Einblicke in Umwälzungen der nachsowjetischen Ära öffnen sich und Grundmotive russischer Mentalität, Geschichte und Kultur, geografischer und geopolitischer Besonderheiten werden sichtbar, die Russlands Entwicklung geprägt haben und sich nur auf seinem Boden entfalten konnten.

ISBN: 978-3-85636-213-3. Bei Interesse können Sie dieses und alle weiteren Bücher des Autors beim ihm selbst bestellen - weiter.

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7. Buchcover "25 Jahre Perestroika, Bd.1. Gespräche mit Boris Kagarlitzki". Von Kai Ehlers. Gorbatschow and Jelzin. 83 – 96/97: Perestroika, Putsch, Revolte, Übergang in die Restauration. Laika Verlag, ISBN: 978-3-944233-28-4

Welche Lehren zieht die russische Linke aus dem Kollaps des realen Sozialismus? Welchen Einfluss hat sie auf die Entwicklung nehmen können? Welche Alternativen entwickelt sie heute? Für Russland? Über Russland hinaus? "Zehn Monate nach dem tatsächlichen Einsetzen des 500-Tage- Programms wird das ideologische Klima das vollkommene Gegenteil zu dem sein, was es jetzt ist. Liberalismus und Kapitalismus werden verhasster sein als jetzt der Kommunismus."

Das erklärte Boris Kagarlitzki, profiliertester Reform-Marxist des heutigen Russland im September 1990 angesichts des Übergangs von Gorbatschows Reform des Sozialismus zu Jelzins Kurs der Zwangsprivatisierung. In welchem Auf und Ab sich die Verhältnisse tatsächlich entwickelten, zeigen die Gespräche, die Boris Kagarlitzki und der deutsche Russlandforscher Kai Ehlers über einen Zeitraum von 25 Jahren miteinander geführt haben. Sie vermitteln, begleitet von einer vergleichenden Chronologie, einen authentischen Einblick in die inneren Abläufe und die Grundfragen der nachsowjetischen Transformation.

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8. Buchcover "25 Jahre Perestroika, Bd.2.: Gespräche mit Boris Kagarlitzki. Jelzins Abgang, Putin und Medwedew - ISBN: 978-3-944233-29-1, erschienen August 2015.

Der zweite Band führt mitten in die Krise der Jelzinschen Modernisierung – Separationstendenzen in der russischen Föderation, Tschetschenienkrieg, Aufkommen sozialer Verwüstungen, angesichts derer die Mehrheit der Bevölkerung um ihr Überleben kämpfen muss. Dann Wladimir Putins Ansage, eine »Diktatur des Gesetzes« einführen zu wollen. Das Dilemma einer Opposition, die zwischen Zustimmung zu Putins Ordnungspolitik und Kritik an dem von ihm praktizierten autoritären und zugleich neoliberalen Führungsstil einen Weg zu finden sucht.

Als roter Faden schließlich zieht sich durch die Gespräche die Frage, welche Lehren aus dem Zusammenbruch des realsozialistischen Gesellschaftsaufbaus für die Zukunft einer sozialistischen, zumindest aber gemeinwohlorientierten, solidarischen Gesellschaft zu gewinnen sind.

97 – heute: Stabilisierung, restaurative Normalisierung, Eintritt in die globale Krise

Wohin brachte uns Perestroika? Was waren ihre Ziele? Wer waren ihre Aktivisten? Wer waren ihre Gegner? Wer war Gorbatschow? Wer Jelzin? Wer ist Putin? Wie liest sich linke Kritik dieser Jahre? Welche Lehren zieht die russische Linke aus dem Kollaps des realen Sozialismus? Welchen Einfluss hat sie auf die Entwicklung nehmen können? Welche Alternativen entwickelt sie heute? Für Russland? Über Russland hinaus?

„In zehn Monaten nach dem tatsächlichen Einsetzen des ‚500-Tage-Programms’ wird das ideologische Klima das vollkommene Gegenteil zu dem sein, was es jetzt ist. Liberalismus und Kapitalismus werden verhasster sein als jetzt der Kommunismus.“ Das erklärte Boris Kagarlitzki, profiliertester Reform-Marxist des heutigen Russland im September 1990 angesichts des Übergangs von Gorbatschows Reform des Sozialismus auf Jelzins Kurs der Zwangsprivatisierung.

In welchem Auf und Ab sich die Verhältnisse tatsächlich entwickelten, ist den Gesprächen zu entnehmen, die über einen Zeitraum von 25 Jahren zwischen Boris Kagarlitzki und dem deutschen Russlandforscher Kai Ehlers geführt wurden. Sie vermitteln, begleitet von einer vergleichenden Chronologie, einen authentischen Einblick in die inneren Abläufe und die Grundfragen der nachsowjetischen Transformation.

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9. Buchcover: "Die Kraft der »Überflüssigen«. Der Mensch in der globalen Perestroika". Pahl-Rugenstein, 2013, ISBN 978-3-89144-463-4

Wir leben in einer paradoxen Zeit: In einer Welt des Überflusses und der globalen Entgrenzung werden immer mehr Menschen als überflüssig bezeichnet oder fühlen sich sogar selbst so. Ein globaler Verwertungsprozess reißt uns aus unseren lokalen familiären, wirtschaftlichen und geistigen Verankerungen und spuckt uns am Ende als menschlichen Müll wieder aus.

Nur wenige Profiteure sind die Nutznießer dieses Vorganges, eine wachsende Mehrheit sieht sich als »überflüssig« ins Abseits gedrängt. Millionen der heute sieben Milliarden Menschen schaffen nicht einmal den Sprung in die Verwertung. Sie bleiben gleich auf den Müllhalden der Zivilisation stecken. Kein Ausweg? Keine Perspektive? Nur noch der große Crash? Nur noch lang angelegte strategische Selektion zwischen nützlichen und nicht nützlichen Menschen? Oder eine Revolte der »Überflüssigen«? Aber wie könnte diese Revolte aussehen?

Schauen wir genau hin: Die »Überflüssigen« sind nicht das Problem, das entsorgt werden müsste – sie sind die Lösung. Sie sind Ausdruck des über Jahrtausende angesammelten Reichtums der Menschheit – wirtschaftlich, sozial und kulturell. Sie sind Ausdruck der Kräfte, welche die Menschheit heute zur Verfügung hat, um vom physischen Überlebenskampf aller gegen alle in eine ethische Kulturgemeinschaft überzugehen, die am Aufstieg des Menschen zum Menschen orientiert ist und keinen Menschen mehr ausschließt.

Das vorliegende Buch zeigt: Wer die »Überflüssigen« sind, welche Kräfte in ihrem »Überflüssigsein« liegen. Welchen Widerständen bis hin zu eugenischen Selektionsphantasien der heute Mächtigen ihr Aufbruch ausgesetzt ist. Welche Kraft die »Überflüssigen« bilden, wenn sie sich entschließen, ihr Leben selbst zu organisieren – und schließlich, wie der Weg der Selbstorganisation in einer neuen, sozial orientierten Gesellschaft aussehen könnte.

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10. Buchcover "Kartoffeln haben wir immer. Überleben in Russland zwischen Supermarkt und Datscha", von Kai Ehlers, Verlag Horlemann, Bad Honnef, 2010, ISBN: 978-3-89502-293-7