Neutrale Schweiz – aber im engen Verbund mit der NATO?
Christian Müller, Redakteur der Online-Zeitung INFOsperber
Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) verschweige, dass neue Kampfjets nur im Verbund mit der NATO sinnvoll sind, schreibt Stefan Schmid von CH Media.
Stefan Schmid, seines Zeichens «Chefredaktor Ostschweiz» des Zeitungsverbundes CH Media (darunter die Aargauer Zeitung, die Solothurner Zeitung, die Luzerner Zeitung, das St. Galler Tagblatt, die Thurgauer Zeitung, die Urner Zeitung und etliche weitere Titel), übernimmt die Aussage eines NATO-Mannes wörtlich: «Die Schweizer Luftwaffe ist von der NATO abhängig – ohne Zusammenarbeit wäre sie ‹blind, taub und wehrlos› (…).»
Stefan Schmid schreibt in seiner Analyse: «Im Vorfeld der Abstimmung vom 27. September ist sie wieder einmal hoch im Kurs: die Geschichte vom neutralen Land, das sich inmitten Europas und umzingelt von NATO-Staaten aufwändig selber verteidigen muss. – Die Schweiz sollte sich im Falle eines militärischen Angriffs ‹möglichst unabhängig von anderen Staaten oder Organisationen verteidigen können›.
Diese Sätze stehen zuoberst auf der Webseite des Verteidigungsdepartements VBS. Und sie werden von Befürwortern der neuen Kampfflugzeuge bei jeder Gelegenheit wiederholt. Bloss: Von Unabhängigkeit kann keine Rede sein. Dass die schöne Geschichte vom wehrhaften, neutralen Kleinstaat nicht der Realität im 21. Jahrhundert entspricht, ist offensichtlich. Ohne die NATO wäre Deutschland ‹blind, taub und wehrlos›, sagte vor einem Jahr Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, angesprochen auf die Gefahr eines amerikanischen Rückzugs aus Europa. Zum Vergleich: Deutschlands Verteidigungsausgaben sind rund zehnmal höher als jene der Schweiz. Und trotzdem gilt: Alleine geht es nicht.»
Stefan Schmid weiter: «Die Aussage des deutschen Spitzendiplomaten trifft deshalb eins zu eins auch auf die Schweiz zu, wie Recherchen zeigen. ‹Die Idee von einer möglichst autonomen Verteidigung ist ein Scherz›, sagt ein Schweizer Ingenieur, der in der Kampfjetindustrie geforscht hat. Das VBS blende technologische und strategische Abhängigkeiten von der NATO aus neutralitätspolitischen Gründen aus.
Anstatt der Bevölkerung das Ausmass der internationalen Kooperation verständlich zu machen, gaukle man ihr vor, man wolle möglichst unabhängig operieren. Dabei sei klar: Die Verteidigung der Schweiz beginnt an den Grenzen Europas. Und sie kann nur im Verbund mit den Nachbarstaaten sichergestellt werden.»
► Wie also am 27. September abstimmen?
Die Analyse des prominenten CH Media-Mannes aus St. Gallen ist bemerkenswert. Was er in der Formulierung «die Verteidigung der Schweiz beginnt an der Grenze Europas» unter den «Grenzen Europas» versteht, bleibt allerdings im Dunklen.
Schockierend indessen ist, was Stefan Schmid in seinem Kommentar schreibt, den er seiner Analyse beigefügt hat:
«Die Schweiz braucht neue Kampfflugzeuge nicht deshalb, weil man sich selbst verteidigen muss. Man braucht sie, um solidarisch mit den Nachbarstaaten für die Sicherheit Europas zu sorgen. Eine klassische Verbundaufgabe. Zu viel lastet auf den Schultern der USA. Europa muss mehr Verantwortung übernehmen. Und zu diesem Europa gehört auch die Schweiz. Die Neutralität steht dabei nicht im Weg. Sie bedeutet, dass wir keine Kriege anzetteln und uns auch nicht daran beteiligen wollen, sofern wir nicht selbst angegriffen werden. Darüber hinaus hat sie keine Bedeutung mehr.»
Chefredaktor Stefan Schmid plädiert also a) für den Kauf von neuen Kampfjets und b) für eine Integration der Schweizer Armee und Flugwaffe in die (US-dominierte) NATO – zur wirtschaftlichen Entlastung der USA.
Weiss Stefan Schmid überhaupt, was die NATO ist?
► Das Ziel der NATO ist nicht die Verteidigung
Wer die Geschichte der NATO einmal angeschaut hat, weiss es: Die NATO definiert sich als Verteidigungsbündnis – so wie sich die meisten Kriegsministerien als Verteidigungsministerien bezeichnen. Die Realität aber ist eine andere: Die NATO hat noch nie irgendwo einen Angriff abgewehrt, sie hat aber schon etliche Male entgegen ihren eigenen Grundsätzen in anderen Ländern eingegriffen. Gerade in diesen Tagen kann man in der Ukraine wieder sehen, wie die NATO operiert und dabei ihre eigene «Verfassung» bewusst umgeht.
Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj hat der «Special Operations Force» der Armee einen neuen Chef verpasst: General Hryhoriy Halahan. Dazu schreibt die «Kyiv Post» am 27. August:
Zu Deutsch: «Die Sondereinsatztruppe der Ukraine wurde Anfang 2016 als neue eigenständige militärische Einheit eingerichtet, die vor allem von den USA, Estland, Litauen und dem Vereinigten Königreich unterstützt wird. Die hochklassifizierte Formationstruppe zielt darauf ab, sich von den alten Traditionen der sowjetischen SpezNas (Spezialeinheit des Nachrichtendienstes; Red.) zu verabschieden und eine moderne Spezialeinsatztruppe zu schaffen, die voll und ganz mit den NATO-Vorschriften übereinstimmt. Sie erklärt die Durchführung hochsensibler Operationen in den Bereichen Nachrichtendienst, psychologische Kriegsführung und Terrorismusbekämpfung zu ihrem vorrangigen Aufgabenbereich.»
Und die «Kyiv Post» weiter:
Zu Deutsch: «Viele Experten bezeichnen die Einheit als den sich am schnellsten entwickelnden Dienstzweig der Ukraine im Rahmen der Verteidigungsreform 2020, mit der die volle Kompatibilität mit der NATO erreicht werden soll. Seit 2020 ist die Truppe mit Fähigkeiten für Operationen am Boden, zur See und in der Luft sowie im Cyberspace ausgestattet. – Im Juni 2019 wurde das 140. ukrainische Sondereinsatzzentrum mit Sitz in Chmelnyzky von der NATO zertifiziert und zum Einsatz bei der NATO Response Force (NRF) zugelassen, der multinationalen militärischen Formation, die vom Bündnis regelmässig in hoher Bereitschaft gehalten wird, um auf unmittelbare Gefahren zu reagieren.»
Das ist die NATO. Weil sie gemäss ihren Statuten die Ukraine ihres Bürgerkrieges in Donetsk und Luhansk wegen nicht als Mitglied aufnehmen kann, arbeitet sie einfach ausserhalb der Mitgliedschaft engstens mit der ukrainischen Armee zusammen und «zertifiziert» die ukrainische «Special Operations Force» nach NATO-Kriterien!
► Die Schweiz im NATO-Verbund?
Will die Schweiz wirklich im Verbund mit dieser NATO sein – notabene heute, nicht damals vor 1991, als alle Angst vor den Kommunisten hatten? Wir, die neutrale Schweiz? Und soll die Schweiz wirklich zur wirtschaftlichen Entlastung der USA – siehe Stefan Schmid – für sechs Milliarden Franken neue Kampfjets kaufen?
Neutral sein und gleichzeitig gewollt im NATO-Verbund: Die politische Schizophrenie der Schweiz ist programmiert.
Dr. Christian Müller, seit Anfang 2011 Mitglied der Redaktionsleitung der Schweizer Informationsplattform INFOsperber
Molinazzo di Monteggio TI, Kontakt: christian.muellerATinfosperber.ch
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Siehe dazu auch auf Infosperber:
«So schaffte sich die NATO ihren notwendigen Feind», Christian Müller, 16. Februar 2020 >> weiter.
«Die NATO ist eine Gefahr, kein Garant für den Frieden», Christian Müller, 26. Januar 2019 >> weiter.
«NATO: sie provoziert und provoziert und provoziert», Christian Müller, 18. Februar 2018 >> weiter.
Anmerkung von KN-ADMIN Helmut Schnug:
Praktisch alle Parlamentarier zählen in der Schweiz zu den Spitzenverdienern, und die große Mehrheit gehört darüber hinaus zu den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung; einzelne sogar zu den reichsten 0,1 Prozent.
Die Schweiz rühmt sich besonderer Volksnähe, da politische Ämter meist nebenberuflich ausgeübt werden. In Wirklichkeit führt dieses System dazu, dass sich praktisch nur engagieren kann, wer sehr wohlhabend ist. Insbesondere auf dem Land ist es für weniger reiche Parteien schwierig, geeignete Kandidaten für die Wahlen zu finden, und es sind hauptsächlich die Unternehmer oder ihre Günstlinge, die finanziell in der Lage sind, mehrere Jahre lang politisch aktiv zu sein und bei Wahlen den eigenen Wahlkampf zu finanzieren.
Wenn man sich die Interessensbindungen der Volksvertreter im Parlament und der Regierung anschaut, dann sieht man auf einen Blick, dass die überwiegende Mehrheit direkt die Interessen der Schweizer Unternehmen und Großkonzerne vertritt. Vor allem die SVP- und FDP-Abgeordneten, aber auch Parlamentarier anderer Fraktionen, sitzen oft parallel zu ihrem politischen Mandat in mehreren Verwaltungsräten und vertreten als Lobbyisten direkt die Interessen dieser Unternehmen im Parlament.
Was die SP-Abgeordneten betrifft, so sind sie, falls sie nicht ebenfalls Verwaltungsmandate innehaben oder selbständige Unternehmer sind, oft führende Gewerkschaftsfunktionäre und tragen auch in dieser Funktion dazu bei, die Interessen der Großunternehmen und Branchenverbände zu wahren.
«Register der Interessenbindungen», Schweizer Nationalrat, Stand 01. September 2020 >> weiter.
► Quelle: Der Artikel wurde von Dr. Christian Müller am 29. August 2020 erstveröffentlicht auf INFOsperber >> Artikel.
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3. Schweizer Kampfjet F/A-18 im Hangar. Urheber: Andre Scheidegger. Copyright: VBS/DDPS. Quelle: Webseite des schweizer Verteidigungsdepartements (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, VBS) >> Mediathek VBS >> Foto. Produktionsnummer / Serie: 7025. Die Nutzung der Medien der Mediathek VBS erfolgt unter der Creative Commons Lizenz Version 3.0. Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Schweiz (CC BY-NC-ND 3.0 CH).
4. Die NATO ist ein christliches, offensiv-aggressives und menschenrechtsverachtendes Militär- und Angriffsbündnis. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Destabilisierung, Diffamierung, Osterweiterung und Verletzung der Souveränität ausgesuchter Staaten zwecks Regime-Change gehören zum blutigen Repertoire. Die meisten Mitgliedsstaaten sind selbst Kriegstreiber, Schurkenstaaten oder zumindest willfährige Unterstützer.
The NATO is a christian, offensive-aggressive and inhuman military and offensive alliance. War crimes, crimes against humanity, destabilization, defamation, eastward expansion and violation of the sovereignty of selected states for the purpose of regime change belong to its bloody repertoire. Most NATO member states are themselves warmongers, rogue states or at least compliant supporters.
L'OTAN est une alliance militaire et offensive chrétienne, offensive-agressive et inhumaine. Les crimes de guerre, les crimes contre l'humanité, la déstabilisation, la diffamation, l'expansion vers l'Est et la violation de la souveraineté de certains États en vue d'un changement de régime font partie du répertoire sanguinaire. La plupart des Etats membres sont eux-mêmes des bellicistes, des Etats voyous ou, du moins, des partisans dociles.
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5. Patrouille Suisse 2020: Auf dem Weg zu den Flugzeugen, Militärflugplatz Emmen. Urheber: Andre Scheidegger. Copyright: VBS/DDPS. Quelle: Webseite des schweizer Verteidigungsdepartements (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, VBS) >> Mediathek VBS >> Foto. Produktionsnummer / Serie: 7068. Die Nutzung der Medien der Mediathek VBS erfolgt unter der Creative Commons Lizenz Version 3.0. Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Schweiz (CC BY-NC-ND 3.0 CH).
6. NATO (NORTH ATLANTIC TERROR ORGANISATION): WE ONLY BOMB FOR PEACE. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).
7. Transporthelikopter TH98 Cougar im Flug (Transporthubschrauber, Eurocopter). Urheber: Alexander Kühni. Copyright: VBS/DDPS. Quelle: Webseite des schweizer Verteidigungsdepartements (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, VBS) >> Mediathek VBS >> Foto. Produktionsnummer / Serie: 6880. Die Nutzung der Medien der Mediathek VBS erfolgt unter der Creative Commons Lizenz Version 3.0. Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Schweiz (CC BY-NC-ND 3.0 CH).
8. FCK NATO. Kilez More FCK NATO Shirt. Grafik: Kilez More. Das FCK NATO Shirt gibt´s hier. Kilez More (bürgerlich Kevin Mohr; * 19. März 1988 in Wien) im Interview. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).