Nicole Gohlke, MdB: »Ich bin für die Aufhebung des PKK-Verbots«

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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Nicole Gohlke, MdB: »Ich bin für die Aufhebung des PKK-Verbots«
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Nicole Gohlke (MdB) im Interview


»Ich bin für die Aufhebung des PKK-Verbots«


Nicole Gohlke ist Bundestagsabgeordnete der LINKEN. In den Jahren 2011 und 2013 bereiste sie verschiedene kurdische Gebiete. Die dort gesammelten Erfahrungen bestärkten die Abgeordnete in ihrer solidarischen Haltung mit der kurdischen Befreiungsbewegung. Sie zeigte auf einer Demonstration die Fahne der verbotenen PKK. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen sie. Im marx21-Interview erklärt Nicole Gohlke, warum und wie sie das Verbot der kurdischen Organisation kippen möchte.

 

 

Christina Müller: Am 18. Oktober hast du auf einer Kundgebung zur Solidarität mit der kurdischen Stadt Kobané die in Deutschland verbotene Fahne der PKK, der Arbeiterinnen- und Arbeiterpartei Kurdistans, hochgehalten. Der Bundestag hat daraufhin deine Immunität als Abgeordnete aufgehoben. Die staatlichen Behörden können nun gegen dich ermitteln. Warum ist es dir wichtig, mit den Kurdinnen und Kurden solidarisch zu sein?


Nicole Gohlke: Die rund dreißig Millionen Kurdinnen und Kurden in der Türkei, in Syrien, im Iran und Irak sind weltweit das größte Volk ohne eigenen Staat. In ihren Siedlungsgebieten werden sie seit langer Zeit angefeindet, unterdrückt und verfolgt. Das reichte vom Entzug der Staatsangehörigkeit in Syrien bis hin zu Angriffen mit Chemiewaffen durch das irakische Saddam-Regime. Auch im Iran erging es der kurdischen Bevölkerung nicht viel besser – unabhängig davon, wer dort gerade herrschte.

Die türkische Regierung betrieb die vielleicht gründlichste Unterdrückungspolitik. Dort wurden beispielsweise die Worte Kurde und Kurdistan aus allen Schulbüchern, Lexika und Landkarten getilgt. Die öffentliche Verwendung der Sprache war verboten, ebenso kurdische Kulturvereine und politische Parteien. Auch kurdische Schulen wurden nicht zugelassen, Zeitungen und Bücher immer wieder beschlagnahmt oder verboten. Laut türkischen Presseangaben wurden alleine in den 1990er Jahren 6153 Siedlungen und 1779 Dörfer zwangsgeräumt und eine Million Menschen zwangsumgesiedelt. Im Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden ermordete die türkische Regierung tausende politisch aktive Menschen. Bis heute schließt die Türkei etwa zwölf Millionen Personen von jeglichen verfassungsrechtlichen Garantien aus. Die Solidarität mit der Befreiungsbewegung der Kurdinnen und Kurden ist deswegen seit langem eine wichtige Haltung innerhalb der Linken.


Christina Müller: Auch die Bundesregierung behauptet, an der Seite der Kurdinnen und Kurden zu stehen. Die dramatische Flucht der Jesidinnen und Jesiden vor dem »Islamischen Staat« diente ihr als Rechtfertigung für Waffenlieferungen an die kurdische Regionalregierung im Nordirak. Das neue Bundeswehrmagazin »Y« titelt »Kampf der Kurden – von der verfolgten Minderheit zum Bündnispartner« …


Nicole Gohlke: Einspruch! Wenn die Bundesregierung es ernst meinen würde mit der Unterstützung der Unterdrückten in der Region, dann würde sie ihnen großzügig Asyl gewähren und das Verbot der PKK aufheben. Doch genau das passiert nicht. Worum es der Bundesregierung tatsächlich ging, verdeutlichte Verteidigungsministerin von der Leyen in einem Interview mit der »Zeit«. Sie sagte: »Wichtiger als die Frage, ob und welche Waffe wir am Ende liefern, ist die Bereitschaft, Tabus beiseite zu legen und offen zu diskutieren.«

 

 

Das Tabu, das von der Leyen meint, heißt: offene Intervention Deutschlands in einen laufenden Krieg mittels Waffenlieferungen. Leider bekommt man den Eindruck, dass der Bundesregierung das Schicksal der Kurdinnen und Kurden herzlich egal ist. Die aktuelle Notsituation wird von vielen Seiten missbraucht und für eigene Interessen instrumentalisiert. Die Regierungen in der Türkei und Syrien sind an einer Schwächung der kurdischen Bevölkerung interessiert, da diese Staaten durch die föderal organisierten kurdischen Autonomiegebiete in Frage gestellt werden. Die USA verfolgen vor allem das Ziel, Einfluss auf das strategisch und wirtschaftlich bedeutende Gebiet im Krieg gegen Syrien zu gewinnen. So geschieht die angebliche Unterstützung der Kurdinnen und Kurden parallel zu Waffenlieferungen an Katar und Saudi-Arabien – also an zwei Staaten, von denen gemutmaßt wird, sie versorgten den IS mit Waffen.


Christina Müller: Warum hält die Bundesregierung am PKK-Verbot fest?


Nicole Gohlke: Die Bundesregierung steht offensichtlich fest an der Seite ihres NATO-Partners Türkei. Ohne die politische und militärische Unterstützung durch westliche Staaten wie Deutschland, Frankreich und die USA wäre die jahrelange Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung überhaupt nicht möglich gewesen. Die Bundesregierung unterstützt die Türkei militärisch, indem sie eine Raketenstaffel der Bundeswehr (die Patriots) im Land unterhält und im großen Stil Waffen exportiert. Zudem unterstützt sie die türkische Regierung politisch, indem sie weiterhin am Verbot der PKK festhält und so die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden stigmatisiert und kriminalisiert. Das PKK-Verbot ist nichts anderes als ein Instrument der Repression und der Versuch, eine große Minderheit in Deutschland einzuschüchtern. Mit meiner Aktion wollte ich insbesondere die laufende Debatte über eine mögliche Aufhebung des PKK-Verbots bestärken.


 

Selbst in konservativen Medien wird gelegentlich das Verbot hinterfragt. Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat ja sogar erwägt, Waffen an die PKK zu liefern. Nicht dass das meine Position wäre, aber dafür wäre ja wohl die Aufhebung des PKK-Verbots und die Streichung der Organisation von der Terrorliste der EU nötig. Auch aus den Reihen der SPD und den Grünen haben sich einzelne Politikerinnen und Politiker kritisch zum Verbot geäußert. Einerseits freue ich mich, weil nun immer mehr Personen erkennen, dass das Verbot falsch ist. Andererseits macht es mich nachdenklich, welch eine entsetzliche Notlage für dieses Umdenken notwendig war.


Christina Müller: Durch deine solidarische Aktion bist du unmittelbar selbst vom PKK-Verbot betroffen. Welchen Repressionen sind politisch und sozial engagierte Kurdinnen und Kurden in der Bundesrepublik ausgesetzt?


Nicole Gohlke: Das PKK-Verbot bedeutet für einen Großteil der hier lebenden kurdischen Bevölkerung, von elementaren Grundrechten wie der Presse- und Meinungsfreiheit oder von dem Recht auf Versammlung und Vereinigung ausgeschlossen zu werden. In letzter Zeit gab es Tausende Ermittlungen gegen politisch aktive Kurdinnen und Kurden in Deutschland. Die meisten Anzeigen betreffen Verstöße gegen Paragraf 20 des Vereinsgesetzes. Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Oktober 2010 wurden kurdische Personen auch strafrechtlich nach Paragraf 129b StGB, also als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung im Ausland, verfolgt und zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Immer wieder wird nach der Teilnahme an legalen Demonstrationen oder an Veranstaltungen in kurdischen Vereinen eine Einbürgerung verweigert – oder die Behörden versuchen sogar, die entsprechenden Personen für Spitzeldienste anzuwerben. Das PKK-Verbot führt dazu, dass die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden sich nicht mehr politisch betätigen können. Daher würde ich durchaus von einer Gesinnungsjustiz sprechen. Gleichzeitig wirken solche Repressionen und die anhaltende Hetzkampagne massiv integrationshemmend.


Christina Müller: Befürworterinnen und Befürworter des PKK-Verbots argumentieren immer wieder mit den in der Vergangenheit verübten Anschlägen, den politischen Verfolgungen auch in den eigenen Reihen, sowie dem Vorwurf des Drogenhandels. Was sagst du dazu?

 

Nicole Gohlke: Ich möchte zwei Dinge zu bedenken geben. Zum einen muss jeder Vorwurf genauer betrachtet werden. Viele werden gezielt gestreut, etwa durch die türkische Regierung. Das gilt beispielsweise für den ebenso prominenten wie absurden Vorwurf, alle Kurdinnen und Kurden würden mit Drogen handeln. Das ist ein Versuch, die PKK zu diskreditieren. Wenn man sich den Konflikt mit der Türkei oder überhaupt mit den Staaten, in denen Kurdinnen und Kurden leben, anschaut, wird deutlich, wer unterdrückt und wer von den Repressionen betroffen ist. Sicherlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass die PKK auch viele Fehler gemacht hat und über Jahrzehnte eine Partei stalinistischer Prägung war. Ich finde es zweitens jedoch zwingend, den Kontext in die Bewertung mit einzubeziehen: Das türkische Militär hat vergewaltigt, gefoltert und gemordet.

Einem derartigen Staatsterror ausgesetzt zu sein und in der Illegalität agieren zu müssen, sind Rahmenbedingungen, die in einer Beurteilung nicht ausgeblendet werden dürfen. Mein Eindruck vor Ort war, dass die PKK in den letzten Jahren einen deutlichen Wandel vollzogen hat. Diese Einschätzung teilen auch viele Personen, die der PKK nahestehen. Von einigen alten Methoden wurde Abstand genommen und die Strukturen für eine bessere Anbindung an die Basis aufgebrochen. Es ist spürbar, das eine stärkere Verankerung in der Bevölkerung besteht. Für eine Partei, die sich in der Illegalität befindet und massiven Repressionen ausgesetzt ist, ist das zweilsfrei eine große Leistung. Und die Frage, die sich jetzt stellt, ist doch, ob Kriminalisierung und politische Verfolgung zu rechtfertigen sind. Egal wie man zur PKK im Einzelnen steht, meine ich: Das sind sie nicht.


Christina Müller: Also geht es um kritische Solidarität?


Nicole Gohlke: Die Linke sollte auch nicht den Fehler machen und den kurdischen Befreiungskampf romantisieren. Ich denke auch, dass wir beispielsweise eine offene und kritische Diskussion innerhalb der Linken über die Gefahren der gegenwärtigen westlichen Intervention brauchen, die viele Kurdinnen und Kurden verständlicherweise zurzeit als ein kleineres Übel ansehen.


Christina Müller: Wie würdest du die innerparteiliche Stimmung in der LINKEN zur Forderung der Aufhebung des PKK-Verbots beschreiben?


Nicole Gohlke: Mich freut, dass es hierzu eine sehr einstimmige Position gibt. Die Fraktion unter Federführung von Ulla Jelpke wird einen Antrag zur Aufhebung des PKK-Verbots in den Bundestag einbringen. Der Parteivorstand hat sich dafür ausgesprochen, die Aufhebung des PKK-Verbots voran zu treiben, und hat sich auch mit meiner Aktion solidarisiert. Die Parteivorsitzende Katja Kipping hat ihren Protest gegen die Aufhebung meiner Immunität auf ihrer Homepage formuliert, andere Abgeordnete wie beispielsweise Andrej Hunko, Dieter Dehm oder Pia Zimmermann sind meinem Vorbild gefolgt und haben die PKK-Fahne öffentlich gezeigt. Ich habe das Gefühl, dass die Partei an dieser Stelle sehr geschlossen agiert und eine große Solidarität vorherrscht.


Christina Müller: Wie können Linke in Deutschland den Kampf der Kurdinnen und Kurden deiner Meinung nach am besten unterstützen?


Nicole Gohlke: Wir sollten versuchen, die kurdische, die türkische und die radikale Linke dafür zu gewinnen, das aktuelle Zeitfenster und die mediale Aufmerksamkeit zu nutzen, um konzentriert gegen das PKK-Verbot vorzugehen – mit Aktionen, Demonstrationen oder Kundgebungen. Ich halte das auch deshalb für wichtig, weil ich das Gefühl hatte, dass viele erstmal erschüttert von der Brutalität des IS waren und nicht wussten, wie nun weiter vorgegangen werden kann. Zunächst einmal ist es völlig richtig und wichtig zu betonen, dass die Menschen in Kobané ein Recht auf Selbstverteidigung haben. Es stellt sich nur die Frage, wie die Unterstützung aus Deutschland aussehen soll: Wie können wir den Verteidigungskampf der Kurdinnen und Kurden nicht nur mit leeren Worthülsen der Solidarität gutheißen, sondern tatsächlich Hilfe leisten? Geld für Waffen zu sammeln sehe ich eher skeptisch.

Die paar Tausend Euro, die wir zusammen bekommen, sind für die Menschen in Kobané nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Hierzulande nutzt die Kampagne aber jenen Kräften, die die Lockerung von Waffenexporten und Auslandseinsätze voranbringen wollen. Was wir wirklich tun können, ist unsere eigene Bundesregierung unter Druck zu setzen und eine breite politische Debatte über die Frage des PKK-Verbots und der Legitimität der kurdischen Befreiungsbewegung anzustoßen.

Ich glaube, es ist Zeit, dass Politikerinnen und Politiker, Prominente, Intellektuelle, Personen aus Kunst und Kultur und die gesamte Linke ein Zeichen setzen gegen diese Kriminalisierung und gegen die unerträgliche Heuchelei der Bundesregierung. Wer es ernst meint mit der Unterstützung des kurdischen Widerstands, muss jetzt vor allem zwei Dinge tun: erstens das PKK-Verbot abschaffen und zweitens Druck auf die Türkei ausüben, die Grenze nach Syrien zu öffnen für Flüchtende, humanitäre Hilfe und den Nachschub für die kämpfenden Kurdinnen und Kurden und sie zu schließen für den IS.


Interview: Christina Müller

 



Quelle:  erstveröffentlicht bei marx21.de > Artikel

Herausgeber des Magazins marx21 ist der Verein »m21 – Verein für solidarische Perspektiven im 21. Jahrhundert e.V.«, welcher auch die Webseite marx21.de betreibt. Das Netzwerk versteht sich als Teil der neuen Linken und der globalisierungskritischen Bewegung, die angetreten sind, die Macht der Konzerne zu brechen - weiter

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Bild- und Grafikquellen:

 

1. Transparent: "SOLIDARITÄT MIT DEM WIDERSTAND IN KURDISTAN" - WEG MIT DEM PKK-VERBOT!". Foto: © Richy Meyer, München.

2. Karikatur von Carlos Latuff, einem "Politischen Karikaturist", geboren November 1968 in Rio de Janeiro, Brazil. Carlos Latuff (eigentlich Carlos Henrique Latuff de Souza) gewährt jedem das bedingungslose Recht, seine Karrikaturen für jedweden Zweck zu nutzen, es sei denn, Bedingungen sind gesetzlich erforderlich. Sein Blog > latuffcartoons.wordpress.com

3. Transparent: "SOLIDARITÄT MIT SENGAL & ROJAVA" - PKK-VERBOT AUFHEBEN!". Foto: © Richy Meyer, München.

4. Nicole Gohlke 2013. Urheber: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, Foto: Jacob Huber. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert.

5. Polizeipräsenz: Das staatliche Gewaltmonopol auf der Suche nach PKK-Unterstützern. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) steht auf dem Verbots-Index. Die Europäische Union, die USA, das Vereinigte Königreich, die Türkei, der Irak, Syrien, Saudi-Arabien, Australien, Kanada sowie weitere Staaten führen die PKK auf ihrer Terrorliste. Auch die NATO stuft die PKK als terroristisch ein. Die meisten EU-Mitglieder stufen die PKK nicht selbst als Terrororganisation ein, sondern tun dies über ihre EU-Mitgliedschaft und die als verbindlich anerkannte EU-Terrorliste - es herrscht Gruppenzwang, vom Mitglied zum Mittäter. Ganz demokratisch eben!

Bestraft werden Gründer, Mitglieder, Werber und Helfer. § 129a StGB sieht in Deutschland für Taten der terroristischen Vereinigung Freiheitsstrafen von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor. Der Straftatbestand in § 129a StGB ist umstritten, da nicht mehr eine kriminelle Tat, sondern schon eine Gesinnung strafbewehrt wird. Der Paragraph wird auch gerne im Rahmen von Ermittlungen herangezogen, da es einen großen Personenkreis erfasst und nur geringe Hürden an den Anfangsverdacht stellt.

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) kritisiert, dass bevor überhaupt strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, aufgrund von unbestimmten Vermutungen und unter gravierender Verletzung von elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen einschneidende und stigmatisierende Maßnahmen gegen Einzelne verhängt werden. Liste der Organisationen, die derzeit von staatlichen Institutionen als terroristisch eingestuft werden - weiter. Foto: © Richy Meyer, München.