Poker um Griechenland: Der tickende Zeitzünder im Hintergrund

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Ernst Wolff
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Verbunden: 17.02.2015 - 23:40
Poker um Griechenland: Der tickende Zeitzünder im Hintergrund
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Poker um Griechenland

Der tickende Zeitzünder im Hintergrund

Varoufakis riskiert den Grexit... Tsipras provoziert den Graccident... Die Pokertaktik der Syriza reißt Europa in den Abgrund...

Ein ums andere Mal bläuen die Mainstream-Medien ihrem Publikum in diesen Tagen ein, dass die griechische Regierung Europas Zukunft gefährdet, weil sie ihren Gläubigern eine Einigung im Schuldenstreit verweigert. Viele Menschen sind inzwischen überzeugt, dass das Problem einzig und allein an der starren Haltung von Finanzminister Yanis Varoufakis und seinem Premier Alexis Tsipras liegt und nur durch ein Erzwingen ihres Entgegenkommens gelöst werden kann.
 

Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein als diese Annahme. Selbst wenn SYRIZA sich den Bedingungen der Troika - eine Kooperation von Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission. - zu einhundert Prozent unterwerfen und die Renten ein weiteres Mal kürzen, die Mehrwertsteuer erhöhen und den Mindestlohn senken würde, wäre keines der Probleme des Landes gelöst. Im Gegenteil: die Durchsetzung dieser Maßnahmen würde auf direktem Weg in einen Volksaufstand und möglicherweise in einen Bürgerkrieg führen.


Griechenlands Probleme sind unlösbar

Der Grund für die Ausweglosigkeit der gegenwärtigen Situation lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Probleme um Griechenland sind nur ein Teil der Probleme der Eurozone und unter den gegebenen Bedingungen unlösbar. Grund ist, dass die Finanzindustrie durch die Deregulierung des Bankensektors, die Einführung des Euro und eine Orgie hochriskanter Spekulationsgeschäfte die wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen Europas ausgehöhlt und nachhaltig zerstört hat.

Der gesamte Kontinent befindet sich heute in den Händen internationaler Großbanken, Hedgefonds und anderer Finanzinstitutionen. Sie allein bestimmen, wer die einzelnen Länder regiert. Spurt eine Regierung nicht, wird sie mit Hilfe der „Finanzmärkte“ zu Fall gebracht. Die Übernahme von Bankschulden durch öffentliche Einrichtungen, d.h. die Übertragung privater Schulden auf die Allgemeinheit, war ein von der Finanzindustrie gefordertes und durch ihr hörige Politiker ausgeführtes Verbrechen von historischem Ausmaß.

Auch die Art, wie Griechenland unter Mithilfe von EU-Bürokraten und Goldman-Sachs-Bankern in die EU aufgenommen wurde, war kriminell und dazu im Sinne der deutschen Finanzelite, deren Exportwirtschaft davon profitiert, wenn wirtschaftlich schwache Länder sich der EU anschließen und den Euro auf diese Weise schwächen. 2010 wurde Griechenland unter die Zwangsverwaltung der Troika aus EU, EZB und IWF gestellt, die dem Land innerhalb von vier Jahren sechs Sparprogramme auferlegt hat. Nicht eine einzige dieser Maßnahmen richtete sich gegen internationale Spekulanten oder griechische Milliardäre.

Wenn Politiker wie der von Talkshow zu Talkshow eilende SPD-Mann und wieder gewählte Präsident des Europaparlamentes, Martin Schulz , der griechischen Regierung in diesen Tagen öffentlich vorwerfen, sie habe die Milliardäre im eigenen Land nicht zur Kasse gebeten, dann ist das die pure Verlogenheit. Die von Schulz und seinen Kollegen mitgetragenen Sparpakete haben nie am Vermögen eines ultrareichen Griechen gekratzt, aber die Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen drastisch verschlechtert und die Lebengrundlagen der schwächsten und hilfsbedürftigsten Mitglieder der Gesellschaft auf unmenschliche Weise zerstört.

Wenn Schulz darüber hinaus behauptet, dass Griechenland vor der Regierungsübernahme durch SYRIZA auf einem guten Weg gewesen sei, dann ist das ebenfalls unwahr: Die finanzielle Situation des Landes hat sich seit 2010 kontinuierlich verschlechtert.


Deutsche und griechische Politiker stecken in der Klemme

Warum aber lügt Martin Schulz so offensichtlich? Aus einem einfachen Grund: Er steckt wie die gesamte deutsche Politik in einer ausweglosen Klemme. Schulz und Co. haben ihren Wählern die Milliardenzahlungen zur Bankenrettung als „Hilfszahlungen an die Griechen“ verkauft und hetzen seit Wochen gegen deren neue Regierung. Nun aber verlangen die Banken weitere Gelder, doch die öffentliche Stimmung in Deutschland ist gegen deren Auszahlung. Was also tun?

  • Nicht zahlen und einen Bankencrash riskieren?
  • Oder zahlen und den letzten Rest politischer Glaubwürdigkeit verspielen...?

Doch nicht nur Schulz und die deutsche Politik stecken in der Klemme. Ihren griechischen Kollegen Tsipras und Varoufakis geht es nicht besser. Sie haben ihren Wählern Reformen versprochen, inzwischen aber erfahren, dass die Finanzindustrie zu keinerlei Zugeständnissen bereit ist. Tsipras und Varoufakis werden ihre Zusagen also nicht einlösen können und haben in der gegenwärtigen Situation daher auch nur eine Option: Sie müssen – wie die deutsche und die europäische Politik - auf Zeit spielen.
 

Genau das ist der Hintergrund des Schauspiels, das sich Millionen von Europäern derzeit Tag für Tag bietet: Auf der einen Seite die Politiker der EU, auf der anderen Seite die der SYRIZA, beide mit der ewig gleichen Verzögerungstaktik. Worauf wird es hinauslaufen? Auf eine Abfolge fauler Kompromisse, die kein Problem lösen, aber beide Seiten etwas Zeit gewinnen lässt...?


Der tickende Zeitzünder im Hintergrund

Vorerst ja, aber genau da liegt das Problem, denn diese Zeit ist begrenzt. Ursache ist die zunehmende Wut in der griechischen Bevölkerung, die sich inzwischen sowohl gegen die Troika, als auch gegen die eigene Regierung richtet. Seit deren Regierungsübernahme sind fast fünf Monate vergangen, ohne dass sich für die Opfer der Krise etwas Entscheidendes getan hätte. Schlimmer noch: Während in Athen und Saloniki die Armee der Obdachlosen wächst, die Zahl nicht krankenversicherter Menschen steigt und arbeitslose Jugendliche die letzte Hoffnung auf einen Job verlieren, müssen die mittlerweile völlig entnervten Menschen in diesen Tagen erfahren, dass die weltweiten privaten Finanzvermögen der Ultrareichen im vergangenen Jahr um fast 12 Prozent auf 164 Billionen Dollar angestiegen sind.
 

Und nicht nur die Griechen sind von dieser schreienden Ungerechtigkeit betroffen:

  • In Spanien wurden Zehntausende aus ihren Wohnungen gewiesen,
  • in Italien nimmt die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen rasant zu und
  • in Portugal erwägen immer mehr Akademiker, das Land zu verlassen, weil sie dort für sich keine Zukunft mehr sehen.

All dies geschieht, während die Politiker wie beim Gipfel im Elmau atemberaubende Summen zur eigenen Belustigung aus dem Fenster werfen und die Ultrareichen ihren Wohlstand immer hemmungsloser zur Schau tragen. (siehe Artikel hier , hier und hier)
 

Es sind dieser Zynismus der Besitzenden und der Mächtigen, gepaart mit der ungeheuren Zunahme der sozialen Ungleichheit, die wie ein Zeitzünder im Hintergrund ticken, während die angeblich um eine Lösung ringenden Politiker sich gegenseitig im Hinhalten üben. Niemand sollte das explosive Potential einer solchen Situation unterschätzen. Außerdem sollte niemand glauben, dass sich die politische Elite in Griechenland angesichts derartiger Entwicklungen hinter den Kulissen nicht mit Unterstützung von Geheimdiensten und Militär auf ein Worst-Case-Szenario vorbereitet. Wer wissen will, wie dies aussieht, sollte sich vor allem die Bilder der jüngeren Vergangenheit aus Ägypten ins Gedächtnis rufen. Dort hat ein Militärregime auf blutige Weise die Macht an sich gerissen und dafür gesorgt, dass das Land unter internationalen Investoren inzwischen als demokratiefreier und krisensicherer Geheimtipp gilt.

Ernst Wolff, Berlin

: Bitte um Beachtung der nachfolgenden 8 Lesetipps und der 12 angehängten -Text-Dokumente weiter unten!!


 

Lesetipps:

Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Wolffs Interview für Geopolitika - weiter

Griechenland: die tickende Zeitbombe - weiter

⇒ Kooperation statt Konfrontation: die Syriza-Regierung und die Troika
- weiter

Der IWF bereitet sich auf das Ende der US-Dollar-Ära vor - weiter

EZB und nationale Notenbanken verpulvern 1 Billion Euro für die Finanzindustrie - weiter

Wolfgang Berger: Wie sich der Finanzsektor die Welt unterwirft - weiter

KenFM im Gespräch mit: Ernst Wolff - "Weltmacht IWF" - weiter

Ein Bail-In bei der Hypo Alpe Adria? Alarmstufe rot fürs globale Finanzsystem! - weiter


Bild- und Grafikquellen:


1. Proteste gegen die Sparpolitik - Sympatiebekundung vor der Londoner Kathedrale: Solidarity with the Greece struggle. Foto: duncan c. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

2. GREEKS PROTEST AUSTERITY CUTS. Protesters clash with policemen during riots at a May Day rally in Athens May 1, 2010. Foto: Joanna / REUTERS/Icon/Panagiotis Tzamaros. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

3. Martin Schulz. Die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament wählte in ihrer Sitzung am 18. Juni 2014 in Brüssel Martin Schulz zum Vorsitzenden der Fraktion. Dieses Amt legte er nieder, als er am 1. Juli 2014 mit 66,8 % erneut zum Präsidenten des Parlaments gewählt wurde. Bildbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de

4. Warum lügt Martin Schulz so offensichtlich? Aus einem einfachen Grund: Er steckt wie die gesamte deutsche Politik in einer ausweglosen Klemme. Schulz und Co. haben ihren Wählern die Milliardenzahlungen zur Bankenrettung als „Hilfszahlungen an die Griechen“ verkauft und hetzen seit Wochen gegen deren neue Regierung.  Foto: SPÖ Presse und Kommunikation. © SPÖ/Johannes Zinner. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

5. Bürgerproteste in Athen und im ganzen Land: Wer kann den Griechen verdenken, daß sie sich zukünftig noch deutlicher zur Wehr setzen? Foto: Eric Vernier. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

6. Wandbemalung: "SOON ALL THE GREEKS WILL BE IN JAIL BECAUSE OF THE I.M.F." (Intern. Monetary Fund = engl. für IWF). Foto: Steve Calcott. Find me on www.calcott.com for more info!. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

7.  Cover: "WELTMACHT IWF - Chronik eines Raubzugs" von Ernst Wolff.

AnhangGröße
PDF Icon Ernst Wolff - Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs - Tectum Wissenschaftsverlag - Inhaltsverzeichnis, Vorwort und Leseprobe.pdf790.78 KB
PDF Icon Ernst Wolff - Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs - Interview durch Ken Jebsen_KenFM als Textversion.pdf1.09 MB
PDF Icon Thomas Piketty - Das Kapital im 21. Jahrhundert - Vollständige Einleitung als Leseprobe - 46 Seiten - Beck, München 2014.pdf1.23 MB
PDF Icon Thomas Piketty und die Verteilungsfrage - Analysen, Bewertungen und wirtschaftspolitische Implikationen für Deutschland - SE Publishing März 2015 - Verteilungsfrage_org.pdf2.86 MB
PDF Icon John Perkins - Bekenntnisse eines Economic Hit Man - Unterwegs im Dienst der Wirtschaftsmafia - ISBN 978-3-442-15424-1 - Leseprobe.pdf438.9 KB
PDF Icon Jochen Weiss - Mammon - Eine Motivgeschichte zur Religiosität des Geldes - Dissertation Feb 2004, Universität Mannheim.pdf3.17 MB
PDF Icon Silvio Gesell - Die Natürliche Wirtschaftsordnung (1916).pdf1.23 MB
PDF Icon Tobias Plettenbacher - Neues Geld - Neue Welt - Die drohende Wirtschaftskrise - Ursachen und Auswege _ Exponentielles Wachstum - Zinseszins-Effekt - Geldsystem - Kollaps.pdf3.99 MB
PDF Icon Oekosozialismus oder Barbarei - Eine zeitgemäße Kapitalismuskritik - 40seitige Broschüre von Saral Sarkar und Bruno Kern.pdf209.22 KB
PDF Icon IMF April 2015 - Global Financial Stability Report (GFSR) - Navigating Monetary Policy Challenges and Managing Risks - 162 pages.pdf4.35 MB
PDF Icon IMF April 2015 - World Economic Outlook (WEO) - Uneven Growth - Short- and Long-Term Factors - 230 pages.pdf11.06 MB
PDF Icon IMF October 2014 - Global Financial Stability Report (GFSR) - Risk Taking, Liquidity, and Shadow Banking - Curbing Excess while Promoting Growth - 191 pages.pdf4.7 MB