Political Publicity: Die Atomverhandlungen und der inszenierte Durchbruch

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Political Publicity: Die Atomverhandlungen und der inszenierte Durchbruch
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Political Publicity: Die Atomverhandlungen und der inszenierte Durchbruch


von Shakib Mohammad-Gou  


Ob zu Weihnachten in Europa oder zum Neujahresfest in Iran: was zählt, ist nicht nur der Inhalt. Auch die Verpackung, die Wahl des Geschenkpapiers, die dekorativen Schleifen und Gimmicks - all das ist entscheidend, um eine gelungene Bescherung zu zelebrieren.

Die Politik ist bekanntlich kein Ort des Schenkens und Beschenktwerdens, vielmehr eher ein Konstrukt aus Diplomatie, List und Zurschaustellung. Die Menschen müssen bei Laune gehalten werden, die Staaten ihre eigenen Interessen wahren und die Machthaber ihre Position stärken und das Image aufpolieren.

Seit der Wahl des Klerikers Hassan Rohani hat sich das Bild Irans in den westlichen Medien abrupt geändert. Beherrschten vorher negative Schlagzeilen über den Amtsvorgänger die hiesigen Medien, gab es nun einen Stimmungswechsel. Ein neues Zeitalter brach an, innerhalb einiger Stunden wandelte sich das Land - medial - in eine freundlichen, offenen, euphorisch Richtung Westen blickenden Staat um. Hassan Rohanis Lächeln und der zu Scherzen aufgelegte, bestens ins westliche Bild passende Zarif führten zu hunderttausenden von „Likes“ in ihren Facebook-Profilen.

Es folgten hellere und farbenfrohere Darstellungen von Iran in den Medien außerhalb des Landes. Die Mission, innerhalb kürzester Zeit ein positiveres Bild von Iran zu erzeugen, war gelungen.

Mit dieser blumigen Atmosphäre sollten nun die „Herausforderungen“ angegangen werden. Zunächst einmal sollte die „Hegemonialmacht im Mittleren Osten“ mit der einstigen „Weltmacht“ zumindest offiziellen Kontakt knüpfen: Eine aufwendig ins Szene gesetzte Reise des iranischen Präsidenten Rohani nach New York, offiziell im Rahmen der UN-Vollversammlung, war der Auftakt einer offiziell „inoffiziellen Versöhnungszeremonie“. Die Medien berichteten nicht mehr von demonstrierenden Exil-Iranern oder pro-israelischen Gruppen, die Hotel-Lobbys besetzten und gegen Iran und seine Führer demonstrierten, als der Amtsvorgänger Mahmoud Ahmadinedschad neunmal in acht Jahren in die USA geflogen war - so häufig bereiste Ahmadinejad kein anderes Land.

Doch BBC, CNN und NBC konkurrierten darum, eine freundliche Atmosphäre beim New York- Besuch des „neuen“ iranischen Präsidenten exklusiv, live und in HD ausstrahlen zu können. Für Laien sah es fast so aus, als ob nach 34 Jahren der erste Iraner eine „Friedensbotschaft“ von vorher nie dagewesenem Ausmaß mit sich brachte.

Der lächelnde Präsident und sein Außenminister waren tagelang das beherrschende Thema, und es wurde fast selbstverständlich darüber diskutiert, wie und wo Rohani und Obama sich endlich die Hand reichen, Höflichkeiten austauschen und sich vielleicht sogar kurz umarmen könnten. Am Ende reicht es für eine lange freundliche Begegnung der Außenminister und ein ebenso freundliches Abschiedstelefonat zwischen Rohani und Obama brachte ein Happy End in Hollywood-Manier.

Stolz trat das Team Rohani die Rückreise an und wurde am Flughafen Teheran nicht nur von den Anhängern frenetisch gefeiert. Ihn sollte auch ein Novum in der 34-jährigen Geschichte der Islamischen Republik Iran widerfahren: Einige „Unverbesserliche“ und „Fanatiker“ - so die offizielle mediale Beschreibung einer tobenden Menge - haben das Präsidentenauto mit Schuhen und Gegenständen beworfen.

Als die gleichen „unverbesserlich-fanatischen“ Kräfte knapp zwei Jahre zuvor die Mauern der britischen Botschaft in Teheran hochkletterten, um hauptsächlich der Ahmadinejad-Administration im Ausland einen weiteren außenpolitischen Schaden zuzufügen, befanden sich fast die gleichen Fraktionen und medialen Lager und sogar das Parlament in einem Wettbewerb, eben jene Kräfte als wahre Patrioten zu beglückwünschen.

Man muss auch mal „nach vorne blicken“ und auch „vergessen und vergeben“ können - das war nun die Devise auch in Iran. Vergessen die britisch-amerikanischen Einmischung in die iranische Innenpolitik, die zum Sturz des Ministerpräsidenten Mohammad Mosadegh geführt und den flüchtigen Mohammad Reza Pahlavi an die Macht katapultierte, vergessen die fortwährende weitere Einmischung in die iranische Innenpolitik, die eben diesen sich emanzipierenden Pahlavi mehr schaden als nützen sollte, vergessen die Erstürmung der US-amerikanischen Botschaft in den unruhigen ersten Stunden der iranischen Revolution, die Geiselnahme, die anschließend gescheiterte Befreiungsaktion der Amerikaner und vergessen auch der anschließende achtjährige, mit Wohlwollen der Westmächte initiierten Iran-Irak-Krieg mit über einer Million Opfern, Invaliden und Entstellten.

Nach dem großen „Vergessen“ in den beiden vorpreschenden Lagern, namentlich der Obama-Administration und auf der Gegenseite die Fraktion um Rohani, seines Mentors Ayatollah Rafsanjani, der Parlamentssprecher Dr. Ali Larijani und die Reformer, sollte nun das seit einem Jahrzehnt vordergründig beherrschende Thema „Atomkonflikt“ angegangen und innerhalb „kürzester Zeit“ gelöst werden. Während vorher Monate notwendig waren, bloß um Termine zu finden, Austragungsorte auszuwählen und Angebote der Gegenseite vor Gremien und Instanzen in den Hauptstädten abzusegnen, so sollte der vorrangig zwischen Iran und den westlichen Staaten bestehende Konflikt nun innerhalb einer überschaubaren Zeit lösbar sein.

Doch was hat sich bei den Positionen Irans so wesentlich geändert?

Am 24. November, nach einer ebenso pompös zelebrierten und medial ausgetragenen, „stundenlangen, harten Verhandlungsrunde“ konnten sich beide Seiten auf eine zwar rechtlich wenig bedeutsame, aber symbolträchtige gemeinsame Erklärung für die nächsten sechs Monate einigen: Innerhalb dieser Zeit sollten die Sanktionen des Westen gegen Iran teilweise gelockert und im Gegenzug die Anreicherung auf zwanzigprozentiges Uran in Iran befristet eingestellt werden. Gemäß dem erfolgreichen Ablauf eines vorgesehenen zweiten befristeten Abkommens würde das iranische Atomprogramm genauso behandelt werden wie das eines jeden anderen Nichtatomwaffen-Vertragsstaates des NPT.

Wenn man aber die Verhandlungspositionen Irans, die entsprechenden Vorschläge und die Verhandlungssituation mit dem Westen unter Rohani mit der Ära Ahmadinedschad vergleicht, entdeckt man einige überraschende Fakten - es bestehen nämlich keine essentiellen Unterschiede.

Ja, man könnte sogar meinen, dass Ahmadinejad in der Atomfrage kompromissbereiter war, als er zum Beispiel 2009/10 bereit war, das vorrätige 3,5-prozentige angereichte Uran ins Ausland zu verfrachten, ohne dafür praktische Garantien für eine Rückgabe zu erhalten. Dieser Deal scheiterte letztlich daran, weil die Fraktion um Rafsanjani, Larijani und die Reformer (die damals noch unter der „Grünen Bewegung“ firmierten) dagegen Sturm liefen und Washington nicht bereit war, die zuvor erzielte Abmachung in technischen Fragen der Implementierung zu modifizieren.

Nichtsdestotrotz scheint der Westen den Eindruck zu erwecken, dass das vorliegende Interimsabkommen mit Iran aus westlicher Sicht einen „Durchbruch“ darstellen würde. Was dadurch beabsichtigt wird, ist undurchsichtig: Es kann als Versuch gewertet werden, durch außenpolitische Erfolge der Regierung Rohani mehr internationale Anerkennung und letztendlich innenpolitisch mehr Macht zu ermöglichen, denn sie gilt für den Westen als zugänglich und nachgiebig. Ob dieses Kalkül allerdings aufgeht, wird die Zeit zeigen.

Dipl. Ing. Shakib Mohammad-Gou
 



Quelle:  IRANANDERS > Artikel

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Bildquelle: Irans Präsident Hassan Rohani / Foto: Mojtaba SalimiQuelle: Wikipedia, © CC-Lizenz

 



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