Poststreik: Ausweitung des Kampfes ist das Gebot der Stunde

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Helmut S. - ADMIN
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Poststreik: Ausweitung des Kampfes ist das Gebot der Stunde
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Poststreik: Ausweitung des Kampfes ist das Gebot der Stunde


von Martin Schneider / Frederik Haber


In der Öffentlichkeit ist der Streik der PostlerInnen und PaketfahrerInnen mittlerweile deutlich sichtbar. Briefe und Pakete brauchen länger, kommen nicht mehr an, Privatpersonen und Firmen beklagen Ausfälle. Die Medien berichten täglich. Offensichtlich stapeln sich die Sendungen in den Verteilzentren, Lagern und Speditionshallen, die massenhaft angemietet wurden.

Der Vorstand der Post AG versucht, diesen Streik herunterzuspielen, kleinzureden, man habe alles im Griff, 80% der Sendungen würden zugestellt. Beamte werden als Streikbrecher eingesetzt. Das Management geht sogar so weit, Hilfskräfte mit handgemalten Zetteln im Supermarkt und von der Straße weg zu rekrutieren, und sie zur Zustellung zu bewegen, natürlich über prekäre Arbeitsverhältnisse.
 

 

Leiharbeitsfirmen unterbieten sich im Einsatz via Werkvertrag. Für die Sonntagsarbeit wurden Beschäftigte, deren Familien und StudentInnen mit einer Kopfprämie von 100 Euro akquiriert, die zusätzlich zum Lohn in Form von Zalando- und Amazongutscheinen oder bar ausgezahlt wurde. DHL und Post stellen bundesweit sonntags zu. Die Regierungspräsidien, die für die Regulierung der Sonntagsarbeit zuständig sind, winken alles durch. So positioniert sich der Staat im Arbeitskampf der KollegInnen der Post.


Ziele der Post AG

Das Ziel der Post AG ist eine massive Lohnsenkung. So etwas geht nicht mit direktem Raub, sondern unter dem Mantel der Umstrukturierung. Sie hat 49 neue Gesellschaften unter dem Namen DHL-Delivery GmbH gegründet und setzt damit einhergehend eine Neustrukturierung der Zustellbezirke um. In diesen juristisch selbstständigen Unternehmen werden alle diejenigen eingestellt, die jahrelang befristet bei der Post oder DHL angestellt waren. Sie erhalten – aus ihrer Sicht endlich – feste Verträge, aber zu wesentlich schlechteren Konditionen.

Dieses dreckige Manöver rechtfertigt der Vorstand damit, dass im „umkämpften Markt dauerhaft nicht so hohe Entgelte gezahlt werden könnten“. Es geht also um eine strategische Entscheidung, das Ziel ist eine permanente Herabstufung der ZustellerInnen, der zunächst die komplette Paketsparte anheim fallen soll. Dass danach das ebenfalls hoch lukrative Briefgeschäft dran ist, wird nicht gesagt und nicht verleugnet. Selbst bürgerliche Medien wie ZDF-Frontal empören sich darüber, dass die Marktführerin Post AG im Angesicht von Milliardengewinnen und erst kürzlich erhöhter Dividende so kaltschnäuzig argumentiert und sprechen von „Gewinnmaximierung“ und „Spaltung der Gesellschaft“ auf dem Rücken der Beschäftigten.

Was eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei der Post für die kleinen Konkurrentinnen wie DPD, Hermes und Co bedeutet, ist offensichtlich: Der Druck auf die Löhne verschärft sich. Die Prekarisierung wird ausgeweitet.


Ver.dis Strategie

Von ver.di wird dieses Vorgehen auch deshalb kritisiert, weil die Gewerkschaft schon vor Jahren durch den Verzicht auf freie Tage und Kurzpausen de facto einer Arbeitszeitverlängerung zugestimmt hatte, damit der Vorstand genau auf diese Ausgliederungen verzichtet. Jetzt wird gefordert, die Arbeitszeit wieder auf den alten Stand zu verkürzen. Aber den Beschäftigten geht es noch um mehr. So berichtet eine Streikende der Jungen Welt: „Es geht nicht nur um die Subunternehmen, es geht um Arbeitszeitverkürzung und mehr Geld. Das muss klar sein. Viele sind zu Zugeständnissen finanziell nicht in der Lage. Die ‚Traumlöhne’ bei der Deutschen Post gibt es nur noch bei alteingesessenen Kollegen. Neue fangen mit Gruppenstufe null an, da liegt der Stundenlohn zwischen zehn und elf Euro.“ (Junge Welt 18.06.15, Seite 8)

Trotz dieser eindeutigen Ausgangslage, begann die Gewerkschaftsführung den Tarifkonflikt verhalten. Zu Beginn des Streiks wurden nicht mal 20.000 der 140.000 tariflich beschäftigten KollegInnen in den Streik gerufen. Auf eine Urabstimmung wurde gänzlich verzichtet. Das heißt aber auch, dass er in Falle eines „Kompromissangebots“ der Post AG von der Führung abgeblasen werden kann ohne die Mitglieder abstimmen zu lassen.

Noch zu Beginn des Streikes machte die Verhandlungsführerin Kocsis dem Postvorstand das Angebot, auf jede Lohnerhöhung in diesem Jahr zu verzichten, wenn umgekehrt die 49 Delivery Neugründungen zurückgenommen würden; also das, wofür die Belegschaft schon einmal verzichtet hatte, soll sie nun erneut bezahlen. So ein Angebot bedeutet nicht nur einen materiellen Ausverkauf, sondern auch einen Tiefschlag für die Kampfmoral. Die Beschäftigten werden durch solche Verzichtserklärungen auf weitere Anschläge vorbereitet. Bürgerliche Medien erdreisten sich derweil, die Forderung von Verdi auf eine Einmalzahlung von 500 Euro und 2,7% in 2016 zu reduzieren.
 

 

Diese Verwirrung der Bevölkerung und auch in den Köpfen der Streikenden wurde, wenn nicht forciert, so doch bewusst in Kauf genommen. Dem Vorstand der Post ging dieses Angebot trotzdem nicht weit genug. Er lehnte ab - die gleiche Brutalität wie beim Vorstand der Bahn AG. Trotz dieser scharfen Angriffe zeigt sich immer wieder, wie tief die sozialpartnerschaftlichen Traditionen in ver.di verankert sind. Die ehemalige DPG hatte immer auch den Charakter einer Betriebsgewerkschaft, die nur für ein Unternehmen zuständig ist. Auch heute sitzen in den entscheidenden Positionen bei verdi „Ehrenamtliche“, also BetriebsrätInnen, die an die Jahrzehnte lange „Sozialpartnerschaft“ mit  der Post gewöhnt sind und dafür auch immer wieder die Interessen der Beschäftigten geopfert haben. Natürlich haben diese keine neuen prekären Verträge. Die Liste der Streichungen und Verzichte dazu ist lang.

Dass es jetzt mal auch für sie ernst werden könnte, kam diesen Leuten offensichtlich erst dann in den Sinn, als die AG sich mit Gründung der 49 Delivery GmbH eklatant aus den bestehenden Verträgen verabschiedet hat. Da sind sie endlich aufgewacht, weil es nun auch an ihre Pfründe geht, wenn im Zuge von Neugründungen, die alten „Betriebe“ langsam auslaufen und auch keine Betriebsräte mehr brauchen, und weil ein solcher Konfliktkurs des Managements auch immer weniger Spielraum für Vermittlung und Partnerschaft lässt.

Letztlich geht es beim Angriff der Kapitalseite nicht nur darum, den Versorgungsauftrag des Monopolisten Deutsche Post in den Niedriglohnbereich zu drängen. Es geht auch darum, die gewerkschaftliche Macht in diesem noch aus den Zeiten der Bundespost hoch organisierten Konzern zu zerschlagen.


Was tun?

Nötig sind eine Ausweitung, eine Vertiefung und eine Verbindung des Streiks mit anderen Arbeitskämpfen!

Ausweitung heißt, dass der Post möglichst wenig Spielraum gegeben werden darf, die Arbeit umzuverteilen. Der unbefristete Streik muss endlich zum Vollstreik werden! Alle KollegInnen aus allen Bereichen müssen raus. Und zwar aus zwei Gründen: Es erhöht es den Druck und es verhindert, dass KollegInnen unter der unmenschlichen Mehrbelastung leiden und permanent bist zum Umkippen arbeiten. Drittens kann das dafür sorgen, dass alle Befristeten und Auszubildenden solidarisch aufgefangen sind und sich nicht den Einschüchterungsversuchen der Unternehmensführung beugen brauchen.
 

 

Vertiefung heißt ein aktives Vorgehen gegen Streikbruch. Dazu müssen sich die KollegInnen vor Ort selbst zusammentun, StreikbrecherInnen ansprechen, den Kontakt mit den Beschäftigten der Konkurrenzunternehmen suchen, für die dieser Streik von enormer Bedeutung ist. Die Bevölkerung kann direkt durch Flugblätter in die Briefkästen informiert werden und um Solidarität gebeten werden.

Eine Streikende gibt ein gutes Beispiel, wie so etwas gehen kann:


„Wir Vertrauensleute haben den Streikbeginn bei uns selbst in die Hand genommen, d.h. Druck auf die Arbeitskampfleitung ausgeübt, dass wir „rauskommen“. Das sollten andere Stützpunkte auch tun und dabei mithelfen, dass die Umsetzung funktioniert. D.h. alle rein in den Streik und die praktische Arbeit sofort organisieren. Abwarten ist keine Lösung. Wir sind keine Statisten, das ist unser Streik und wir sind aktiver Teil der Gewerkschaft, die ihn führt. Wir brauchen den Druck und die gemeinsame Basisarbeit von unten, eine aktive Belegschaft, die aller Einzelheiten und Details kennt, berät und abstimmt. Wir brauchen unsere eigenen Organe und unsere Agenda. Das ist wichtig, falls die VerhandlungsführerInnen auf die Idee kommen sollten, in ihrer bekannten Manier zu agieren und dem Druck, der unweigerlich seitens der Politik kommen wird, der demnächst durch die bürgerlichen Medien geschürt wird, unter Preisgabe unserer Interessen nachgeben. Wir haben umfangreiche Ideen Druck aufzubauen und werden das umsetzen.“


Drittens ist die Verbindung des Poststreiks mit den Arbeitskämpfen der ErzieherInnen und bei Amazon sehr naheliegend. An allen drei Streiks werden von ver.di (plus der GEW) geführt. Die Führung der Gewerkschaft versucht ganz offensichtlich, das Naheliegende zu verhindern.

Umso mehr ist deutlich, dass die Streikenden ihre Kämpfe selbst unter Kontrolle bekommen müssen.

Wir fordern die Kontrolle über den Streik durch die Betroffenen und Streikkomitees. Darüber hinaus muss die vorhandene öffentliche Solidarität mobilisiert werden. Solidaritätskomitees müssen gegründet werden. Die kämpfenden GewerkschafterInnen müssen sich auch mit anderen Streikenden, wie aktuell mit den Kolleginnen und Kollegen vom Handel, verbinden. Die Kämpfe müssen geeignet sein, eine größtmögliche Kraft der ArbeiterInnenklasse zu mobilisieren. Der Gewerkschaft ver.di sei dabei geraten, sich endlich vom System Sozialpartnerschaft zu verabschieden. Das bedeutet: Keinerlei weitere Preisgabe der Rechte der Beschäftigten, kein Verzicht, keine faulen Kompromisse, vor allem auch: keine Geschäfte mit der Post AG in den Hinterzimmern, keine intransparenten Deals, die die Belegschaft ein weiteres Mal enttäuschen und so die Kampfkraft unterminieren.

  • Volle Mobilisierung für die Tarifforderungen!
  • Nein zu allen Ausgliederungen, Wiedereingliederung von Delivery!
  • Kontrolle des Arbeitskampfes durch die Basis, Beschäftigtenversammlungen, gewählte, rechenschaftspflichtige u. abwählbare Streik- und Verhandlungskomitees!

Die von der Jungen Welt interviewte Post-Kollegin hat völlig recht:


„Wir brauchen keine faulen Kompromisse, sondern die volle Durchsetzung der Forderungen. Die sind: 36 Stunden pro Woche, 5,5 Prozent mehr Lohn und die Rückführung aller Zustellungssubunternehmen in die Konzernstruktur. Alle Kollegen müssen dafür raus. Das erhöht den Druck und schützt Befristete und Auszubildende. Wir brauchen einen aktiven Streik, denn Arbeitskampf ist kein bezahlter Sonderurlaub, sondern bedeutet die Selbstorganisation des eigenen Kampfes. Abschlüsse ohne vorherige Diskussion und Abstimmung müssen verhindert werden. Die Niederlage von uns Postlern wäre eine Niederlage weit über unseren Sektor hinaus – umgekehrt wäre ein Sieg auch ein Erfolg für alle.“


Martin Schneider / Frederik Haber, Infomail 826, 22. Juni 2015

 


 

► Quelle: Gruppe Arbeitermacht - deutsche Sektion der Liga für die 5. Internationale > zum Artikel


Bild- und Grafikquellen:

 

1. POST-STREIK in Köln vor Ver.di. Foto: Marco Verch, Köln. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0

2. Alter Briefkasten mit alten Logo. Dieses Foto ist bei dem vierten Foto-Meetup des Wuppertaler Kulturvereins "Rakete e.V." entstanden. Foto: Henning Mühlinghaus, Wuppertal. http://rundumschlag24.blogspot.de/. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0)

3. POST-STREIK mit Ver.di-Flagge in Köln. Foto: Marco Verch, Köln. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0)

4. Postrad eines Briefzustellers/zustellerin. Foto: www.OPPOSITION24.de - Nachrichten aus der Postdemokratie.. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0)