Reich frisst Arm. Ein, zwei, mehr Millionen Flüchtlinge - wer bietet mehr?

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Ulrich Gellermann
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Verbunden: 22.03.2013 - 15:43
Reich frisst Arm. Ein, zwei, mehr Millionen Flüchtlinge - wer bietet mehr?
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Reich frisst Arm

Ein, zwei, mehr Millionen Flüchtlinge - wer bietet mehr?

Wie auf dem Jahrmarkt werden die Zahlen ausgerufen. Bisher prophezeit der ungarische Ministerpräsident, Viktor Mihály Orbán, mit hundert Millionen vermuteten Vertriebenen in naher Zukunft die Meisten. Brav berichten deutsche Medien über eine zum Teil vorbildliche, zivile Willkommens-Kultur. Fast plakativ schweigt die Tag für Tag wogende Medienberichterstattung über die Ursachen des Flucht-Tsunamis. Während die ersten Seiten und die ersten Minuten noch den Flüchtlingen gehören, geht das übliche Geschäft hinter den Schlagzeilen weiter.

Die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-Notenbank Fed drucken immer mehr Geld und Geld, um das üblich-üble Finanzgeschäft zu bedienen. Und während nach dem Finanzkollaps 2008 zumindest in den Feuilletons vor lauter Schreck und Geldverlust über ein Ende des Kapitalismus gerätselt wurde, wirft die apokalyptische Völkerwanderung bisher scheinbar keine Systemfrage auf, sondern nur die Frage danach, ob denn genug Turnhallen zur Verfügung stünden.

Das große Schweigen, die übergroße Heuchelei lässt die Frage nach der Verantwortung für die Flüchtlingsströme kaum zu. Dass lange vor den Schleppern Profit gemacht worden ist, mit billigen Rohstoffen, mit teuren Waffen, auf einem Markt brutaler Ausbeutung, darüber schweigt der Apologeten-Chor des Kapitalismus. Über 80 Prozent der Weltbevölkerung leben von weniger als 10 US-Dollar am Tag. Der Hunger in der Welt nimmt zu. Aus den aktuellsten Schätzungen der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) geht hervor, dass 923 Millionen Menschen Hunger leiden. Die FAO schätzt außerdem, dass zwischen 2003 und 2007 die Anzahl unterernährter Menschen um 75 Millionen gestiegen ist. [zur FAO-Webseite]

Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) sind die Instrumente, die, unter dem Deckmantel einer Förderung des Welthandels zum Wohle aller, bislang nur die Interessen ihrer Kapitalmehrheitseigner (der Industrieländer) durchgesetzt haben. So wurden die meisten Entwicklungsländer im Laufe der 1980er und 1990er Jahre im Gegenzug für Kreditzahlungen sogenannten "Strukturanpassungsprogrammen" (SAP) unterworfen, die als eines von vielen Elementen die Liberalisierung des Außenhandels vorsahen. Eine "Liberalisierung", die nichts anderes bewirkte als die Märkte für die Konzerne in den USA und Europa zu öffnen. Das Ergebnis: Es stieg die Arbeitslosigkeit, es nahmen Armut und Ungleichheit zu, die nationalen Produktionskapazitäten wurden abgebaut.
 

Länder, die sich dem ökonomischen Diktat der reichen Staaten verweigerten, die versuchten, die Ungleichheit des Welthandels zu mildern und eigene Wege zu gehen, wurden als Diktaturen gebrandmarkt und in das Regime-Change-Programm der USA aufgenommen. Der Maßstab dafür, was eine gute Diktatur ist und was eine schlechte, reicht bis in die elektronische Sprachregelung: Wer bei Google das Begriffspaar Syrien/Diktatur eingibt, erzielt rund 400.000 Treffer, das Begriffspaar Saudi-Arabien/Königreich erreicht den Traumwert von 700.000 Ergebnissen. So belegt der PageRank-Algorithmus der Suchmaschine nichts anderes als eine Medienwirklichkeit, deren Interesse an der Wahrheit völlig beliebig ist: Der syrische Staat wird den Medienkonsumenten als Diktatur serviert, während die saudische Repressionsmaschine als orientalische Märchendynastie verkauft wird.

Noch während an einer menschelnden Oberfläche von der Integration der Flüchtlinge geredet wird, haben die Profit-Maximierer ganz andere Ziele: "Flüchtlinge befristet vom Mindestlohn ausnehmen" fordert der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, Werner Michael Bahlsen, und leckt sich schon beim Anblick neuer Billiglöhner die Lippen. Denn davon, da ist sich die Wirtschaft sicher, kann es nie genug geben. Auch wenn die Lohnstatistik feststellt, dass schon in den letzten fünfzehn Jahren die Hälfte der in Deutschland Beschäftigten um 17 Prozent weniger verdient haben als im Jahr 2000 während das Gewinneinkommen der Unternehmer um 70 Prozent geradezu explodierte.

Weil die Gewinne exorbitant sind und das Geld billig, geht in diesen Tagen ein Deal der verschwiegenen Art vor sich: Die Backpulver-Dynastie Oetker kauft sich in den Elektronikspezialisten ESG ein. (⇒ s. Artikel b. DIE WELT). ESG, das war jenes Unternehmen, das damals den Perma-Absturz des Kampfflugzeugs "Starfighter" verhindern sollte. Heute macht der Rüstungsladen seine 250 Millionen Euro jährlich immer noch im Waffengeschäft: Man "betreut" das Transportflugzeug Transall C-160, das Militär-Flugzeug Fiat G.91 und den Kampf-Hubschrauber Bell UH-1D. Die Oetkers haben einen Riecher für profitable Geschäfte. Denn dort, wo die Mehrheit der Flüchtlinge herkommt, wird nach wie vor Rüstungsgerät aller Art umgesetzt.

So fressen die Reichen die Armen in einer ganz eigenen Verwertungskette auf: Einmal als die Betrogene internationaler Marktbedingungen, dann als Opfer der Rüstungskonzerne, um sie nicht zuletzt in den Willkommens-Ländern erneut zum Objekt der Profit-Gier der Lohn-Drückerei zu machen.

Ulrich Gellermann, Berlin



► Quelle:  RATIONALGALERIE > Artikel.



Bild- und Grafikquellen:

1. "I LOVE CAPITALISM. THE FASTER HUMANITY DESTROYS ITSELF, THE BETTER." Foto: Flickr-user little-shiva. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0)

2. Marsch der Entschlossenen: "WEIL ES UM MENSCHEN GEHT". Am 21. Juni 2015 organisierte das Zentrum für politische Schönheit den "Marsch der (Un-)Entschlossenen" zum Bundeskanzleramt in Berlin. Ca. 6000 Teilnehmer gedachten der mehr als 23.000 Toten Flüchtlinge die im Mittelmeer auch aufgrund der Abschottungspolitik der Europäischen Union, auch Festung Europa genannt, ertrunken sind.

Auf dem Feld vor dem Reichstag wurden anschließend spontan Gräber ausgehoben um auf das Schicksal dieser Menschen aufmerksam zu machen, die zumeist namen- und würdelos in Südeuropa verscharrt werden, da Länder wie Italien oder Griechenland zunehmend mit der Situation überfordert sind.

Foto: Leif Hinrichsen. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0)

3. Die Oetkers haben einen Riecher für profitable Geschäfte. Denn dort, wo die Mehrheit der Flüchtlinge herkommt, wird nach wie vor Rüstungsgerät aller Art umgesetzt. Foto: R.B. Quelle: Pixelio.de.