Schuldlos mit Mundlos: Das deutsche Hascherl Beate Zschäpe

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Wolfgang Blaschka
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Schuldlos mit Mundlos: Das deutsche Hascherl Beate Zschäpe
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Schuldlos mit Mundlos

Das deutsche Hascherl Beate Zschäpe

Als "Terror-Braut" geisterte sie durch die Presse, immer nur von hinten abgebildet. Die Jagd auf ihr Gesicht geriet zum Medien-Hype. Monatelang hatte die Angeklagte im NSU-Mordprozess geschwiegen, drehte den Medienvertretern und dem Publikum den Rücken zu und ließ sich auf keinen Blickkontakt mit den Nebenklägern ein.

Mit ihrem Verteidiger-Trio Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hatte sie sich längst verkracht. Am 249. Verhandlungstag endlich lässt sie ihren pennälerhaft wirkenden vierten Pflichtverteidiger Mathias Grasel eine 53- Seiten-Erklärung verlesen. Insgesamt hat sie fünf Anwälte. Richter Götzel wollte da keinen Spielraum für Revisionsgründe lassen.

Als sie Grasel für sich sprechen lässt, ist es vorbei mit dem fahlen Nimbus, den sie in rechtsradikalen Kreisen möglicherweise noch genossen haben mag. Sie stellt sich als schlicht gestricktes Frauchen dar, das keine Ahnung haben wollte vom außerhäuslichen Treiben ihrer beiden Mords-Männer, mit denen sie in Wohngemeinschaft lebte. Was die so trieben, will sie wie so viele deutsche Ehefrauen nicht gewusst haben. Nur böse Ahnungen sollen sie beschlichen haben, wenn sie davon tags darauf in der Zeitung las.

Gleichwohl hegte sie einen bösen Verdacht. Doch war sie eine treue, ordentliche Hausfrau: „Ich hatte gelegentlich eine Pistole in den Schrank geräumt, wenn sie herumlag. Ich gewöhnte mich daran, ab und zu eine herumliegende Pistole gesehen zu haben. Akzeptiert habe ich es nie.“ Waffen hat sie natürlich nicht beschafft, nur weggeräumt. Was ein gutes Hausmütterchen halt so tut.

Kennen gelernt habe sie ihren ersten Lover Uwe Mundlos 1987 auf dem Spielplatz, ganz harmlos. "Wir hörten gemeinsam Lieder mit nationalistischen Inhalten und sangen, man könnte es auch brüllen nennen, nach.“ Es muss sehr lauschig gewesen sein, währte aber nicht ewig. Ein junger Neonazi geht natürlich zum Bund. Dort wird sein Gewehr zur Braut. „Kurz nach Mundlos’ Wehrdienst trennten wir uns. Anschließend ging ich eine Beziehung mit Böhnhardt ein.“ Den lernte sie an ihrem 19. Geburtstag kennen. Eine Freundin stellte ihr den Ersatz-Uwe vor, den Uwe Böhnhardt. „Ich verliebte mich in ihn, war aber noch mit Mundlos zusammen.“

Wie dumme Dinger halt so sind: „Ich wandte mich immer mehr Böhnhardts Freunden zu. Die hatten eine intensivere nationalistische Einstellung als die von Mundlos.“ Aber „es kann keine Rede davon sein, dass ich bei der Gründung eines NSU dabei gewesen sei." Selbstverständlich gab es da keine Gründungsfeier mit Wahl des Vorsitzenden und Blasmusik, nicht einmal eine Buffet-Freigabe auf Anweisung des Protokollführers. "Der NSU war allein eine Idee von Uwe Mundlos.“ Eine Spielerei quasi vom Ex, von dem sie nicht so recht loskam. „Ich weise den Vorwurf der Anklage, ich sei ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens NSU gewesen, zurück.“ Da gab es keine Mitgliedsbücher, keine Monatsbeiträge und keine ordentlichen Sitzungen. Nur so am Küchentisch eben.

Doch wo der "Nationalsozialistische Untergrund" nun einmal dümpelt, braucht er auch Mitläufer und Helfershelfer, jemanden, der aufräumt und die Finanzen in Ordnung hält: „Ich traf mich wieder mit den beiden. Sie brachten Propagandamaterial und Gegenstände in der Garage unter. Außerdem Schwarzpulver und TNT.“ Schön sauber verstaut. „Meine Gefühle zu Böhnhardt waren nach wie vor sehr intensiv. Ich versuchte, mich der Gruppe wieder anzuschließen und Böhnhardt zurück zu gewinnen.“ Zwar habe sie seine Taten verabscheut, doch habe sie sich weiterhin zu Böhnhardt hingezogen gefühlt. „Ich gab mich dem Schicksal hin, weiter mit den beiden Männern zu leben. Nicht sie brauchten mich, ich brauchte sie.“ Die Menage à trois sollte weitergehen. „Die beiden waren meine Familie“, wenngleich nicht unpolitisch: „Wir wollten aufmerksam machen, dass es einen politischen Gegenpol zu den Linken gibt.“
 
„Aktiv wurde ich erst, als Tino Brandt hinzustieß,“ der als V-Mann des Verfassungsschutzes fungierte. Der soll Zusammenkünfte mit der „Kameradschaft Jena“ und Rechtsauskünfte organisiert haben. Auch soll er Geld zur Verfügung gestellt und unter anderem einen Heß-Gedenkmarsch organisiert haben.

Zusammen mit ihrem mutmaßlichen Helfer Ralf Wohlleben sitzt die "aktiv" Gewordene nun als einzige Frau unter den fünf Angeklagten in Untersuchungshaft. Einer der übrigen drei Nicht-Inhaftierten ist derweil immerhin so frei bei Mügida-Aufmärschen mitzuspazieren, in feiner Gesellschaft sozusagen als besorgter Bürger unter den Augen der Polizei.

„Mir wurde bewusst, dass ich mit zwei Menschen zusammenlebte, denen ein Menschenleben nichts wert war.“ Zwar sollen sich Mundlos und Böhnhardt damit gebrüstet haben, dass sie „vier weitere Ausländer umgelegt hätten“, doch „ich hatte mit den Morden nichts zu tun.“ Hatten denn die Frauen der Gestapo-Männer je eine Ahnung gehabt? „Ich stand vor einem unlösbaren Problem. Sollte ich mich stellen, müsste ich den Tod der einzigen beiden Menschen auf mich nehmen, die mir neben meiner Oma wichtig waren.“

Überhaupt sei sie ökonomisch abhängig gewesen. „Ich bekam von der Mutter so gut wie kein Geld, so dass ich mich an kleineren Diebstählen beteiligten musste.“ Gut, im Ganzen waren es fünfzehn bewaffnete Raubüberfälle. Irgendwie musste die Haushaltskasse ja gefüllt werden. Von dem Bombenanschlag auf die Keupstraße in Köln habe sie auch erst im Nachhinein erfahren: Mundlos und Böhnhardt sollen erklärt haben, dass sie „Bock darauf gehabt hätten“. Da „kam mir der Gedanke, wie gefühllos die beiden waren.“

Sie konnte da nichts verhindern, sagt sie. Böhnhardt habe die Bombe in seinem Zimmer gebaut. Da will man nicht stören. Da klopft man nicht an. Dann weiß man auch nichts davon. Die Ahnungslosigkeit steht in strammer NS-Tradition. Nichts zu wissen ist deren höchste Tugend neben der Treue über den Tod hinaus. „Ich hatte nur einen Gedanken: Ihren letzten Willen zu erfüllen.“ Dem musste sie getreulich entsprechen als doppelte Witwe. „Mundlos wollte, dass alle Beweise auf die Taten vernichtet werden, Böhnhardt habe den Wunsch geäußert, dass alle Beweise auf unser Leben vernichtet werden.“ Zschäpe sollte die von Mundlos vorbereiten Paulchen-Panther-DVDs in den Briefkasten stecken, die Wohnung in Brand setzen und die Eltern informieren. Sie erfüllte das Vermächtnis als explosives Fanal: „Im Abstellraum befand sich der Kanister mit Benzin, den Böhnhardt seit längerem dort deponiert hatte.“

Den Befehl "Fackel ab!" hatte sie bereits 1998 zu hören bekommen und ausgeführt, als das Geheimdepot in Jena aufgeflogen war. Damals hatte sie eine 0,7-Liter-Flasche besorgt und an der Tankstelle mit Benzin befüllt, um die berüchtigte Garage Nummer 5 an der Kläranlage in die Luft zu sprengen. Danach tauchte das Trio unter. Ab dem Jahr 2000 begann das gezielte Morden an Enver Şimşek, dem ersten Opfer der Mordserie. „Mit dem Umstand konfrontiert, dass ich in Mord verwickelt war, eröffnete ich den beiden, dass ich mich der Polizei stellen wollte.“

Dennoch leugnet sie frech ihre strafrechtliche Verantwortung: „Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte.“ Sie habe versucht, Mundlos und Böhnhardt vom Morden abzuhalten und immer wieder mit dem Gedanken gespielt, zur Polizei zu gehen und das Leben im Untergrund zu beenden. Doch wegen der Selbstmorddrohung ihrer Freunde sei die Lage für sie schier unlösbar gewesen. Dann doch lieber mitmachen beim Selber-Morden! „Mir war klar, dass es keinen Rückweg ins bürgerliche Leben gab.“ Doch „bis heute weiß ich nicht, was ihre wahren Motive waren.“ Es klingt aus ihrem Munde wie Hohn: „Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen von Opfern.“ Das soll es dann gewesen sein.

Die Tochter des ermordeten Mehmet Kubaşık, Gamze Kubaşık, weist Zschäpes Entschuldigung postwendend zurück als „eine Frechheit, vor allem wenn sie dann noch verbunden wird mit der Ansage, keine unserer Fragen zu beantworten“. Die Null-Aussage wird bestenfalls als Indiz dafür gelten können, wie fest Beate Zschäpe dem NSU verbunden war. Vielleicht spekulierten die neuen Verteidiger auf mildernde Umstände, wenn schon nicht mehr auf Freispruch. Diese Art Einlassung dürfte ihr freilich nicht viel helfen das Gericht davon abzuhalten, nach zweieinhalb Jahren der Beweisaufnahme die besondere Schwere ihrer Schuld festzustellen.

Wolfgang Blaschka, München


Bild- und Grafikquellen:

1. Plakat "Wir trauern um die Opfer: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter." Foto: Jürgen Pohl, Germaringen. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0).

2. Verfassungsschutz deckt NSU: Vor der Vernehmung von Verfassungsschutz-Beamten im NSU-Prozess fordern Bürger*innen der Kampagne "Verfassungsschutz abschaffen!" der Humanistischen Union die Auflösung der Verfassungsschutzämter als Konsequenz aus der fehlenden Aufklärung der NSU-Morde. Zum Kampagnenblog verfassung-schuetzen.de/Hauptseite: Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union - humanistische-union.de/. Foto: HU Kampa. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

Was ist die Humanistische Union?

Die Humanistische Union ist eine unabhängige Bürgerrechtsorganisation. Seit unserer Gründung 1961 setzen wir uns für den Schutz und die Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte ein.

Im Mittelpunkt steht für uns die Achtung der Menschenwürde. Wir engagieren uns für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und wenden uns gegen jede unverhältnismäßige Einschränkung dieses Rechts durch Staat, Wirtschaft oder Kirchen.

Eine größtmögliche Verwirklichung von Menschenrechten und Freiheit ist an Bedingungen gebunden. Dazu gehören Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Anerkennung gesellschaftlicher Vielfalt.

Demokratische Teilhabe muss auch jenseits von Parteien und Wahlen gewährleistet sein. Es reicht nicht, wenn Rechte nur auf dem Papier stehen. In einer pluralistischen Gesellschaft müssen auch radikale Meinungsäußerungen möglich sein. Bitte weiterlesen.

3. Buchcover: "Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund - wo hört der Staat auf?"; Autor: Wolf Wetzel; UNRAST VERLAG, Münster. 3. aktualisierte und erweiterte Auflage; Erscheinungsdatum: Juni 2015; ISBN 978-3-89771-589-9; Seiten: 232

13 Jahre blieb der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) unentdeckt. Zehn Morde wurden begangen, zehn Mal verschoben die Behörden verschiedener Bundesländer die Mordhintergründe ins ›ausländische Milieu‹. Zehn Mal will man keine ›heiße Spur‹ gehabt haben. Dennoch legte man alle zehn Morde in die Blutspur des ›organisierten Verbrechens‹.

Nachdem die Existenz des NSU nicht mehr zu leugnen war, reihte sich eine Panne an die andere. Dass in allen Behörden Beweise verschwinden, Akten verheimlicht, Falschaussagen gemacht, ganze Aktenberge geschreddert werden, beweist, dass weder ›Behördenwirrwar‹ noch ›Kommunikationschaos‹ herrsch(t)en, sondern der gemeinsame Wille, unter allen Umständen zu verhindern, dass etwas ans Licht kommt, was den bisherigen Erklärungen widersprechen würde.

Ab wie vielen Pannen muss man von einem System sprechen? Wenn über zwei Dutzend V-Männer hervorragende Kontakte zur neonazistischen Organisation ›Thüringer Heimatschutz‹ und zu den späteren Mitgliedern des NSU hatten, waren staatliche Stellen nicht etwa auf dem ›rechten Auge blind‹, sondern ließen sehenden Auges zu, dass über sieben Jahre hinweg zehn Morde begangen werden konnten. . . . . Eine Spurensuche. (Verlagstext)

Die 3. Auflage ist um knapp 100 Seiten angewachsen, einige Kapitel sind neu dazugekommen und alle anderen Kapitel sind aktualisiert und ergänzt worden. Nur der Preis von € 14.00 [D] ist gleichgeblieben. Zur ausführlichen Buchvorstellung - weiter.

Neu in der 3. Auflage sind mehrere Kapitel:

  • Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980 – Eine Blaupause für systematische Ermittlungssabotage

  • Die Blutspur der Nicht-Aufklärer im NSU-VS-Komplex Baden-Württemberg – Der Tod eines unwillkommenen Zeugen

  • Über Leichen gehen …. Konsequenzen aus dem ›NSU-Skandal‹ – Ein beschämendes Zwischenfazit

  • Drei Grafiken zum NSU-VS-Netzwerk