St. Petersburg: Duma will Minihotels und Hostels weitgehend verbieten

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Lothar Deeg
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Verbunden: 07.03.2016 - 23:08
St. Petersburg: Duma will Minihotels und Hostels weitgehend verbieten
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Duma will Minihotels und Hostels weitgehend verbieten

 


In St. Petersburg, der „Hauptstadt der Minihotels“ geht die Panik um – zumindest unter den Betreibern der kleinen und günstigen Herbergen. Ein neues Gesetz soll das Anbieten von Unterkünften in Wohngebäuden untersagen.

Am Freitag verabschiedete die Duma einstimmig in erster Lesung eine gerade einmal 14 Worte lange Veränderung im russischen Wohnungsrecht. Sie verbietet die Unterbringung von Hotels oder die Gewährung von hotelartigen Dienstleistungen in Wohnräumen. Punkt.
 

 

Wohnungen sind – im Gegensatz zu Gewerbeflächen – zum Wohnen da. Ein Hotel oder Hostel ist aber ein Gewerbebetrieb – und mithin nicht legal, wenn dafür Räumlichkeiten genutzt werden, die nicht für eine gewerbliche Nutzung freigegeben wurden. Was für die Abgeordneten nach einer sauberen und logischen Lösung eines sich seit langem aufdrängenden Problems aussieht, könnte sich für die Tourismusbranche – vor allem in St. Petersburg – zu einer mittleren Katastrophe auswachsen.

Denn in der alten Zarenmetropole gibt es inzwischen (so genau weiß es niemand) zwischen 800 und 1500 kleiner Beherbergungsbetriebe – die meisten davon in der historischen Innenstadt. Nach Angaben der Stadtverwaltung entfallen 17 Prozent des Petersburger Bettenangebots auf Mini-Hotels und Hostels. Und die Zeitung „Kommersant“ schreibt, dass sich 80 bis 90 Prozent dieser Kleinherbergen in Wohnhäusern befinden.


Hostel-Nachbarn sind nicht zu beneiden

Befeuert wurde die Gesetzesinitiative durch viele durchaus berechtigte Klagen von Bürgern, deren Wohnungen sich in Häusern befinden, in denen andere Wohnungseigentümer die Geschäftsidee entwickelt haben, doch Touristen oder Gastarbeiter unterzubringen. In vielen Fällen mag dies harmlos sein – wenn die Wohnungen nicht groß sind und darin ein schickes Mini-Hotel für ruhebedürftige Geschäftsreisende oder Kulturtouristen eingerichtet wurde. Ein Minihotel kann aber auch ein jugendherbergsartiges Massenquartier mit Doppelstockbetten dicht an dicht sein – und das nicht unbedingt nur für budgetsensible Rucksacktraveller, sondern auch für Arbeitsmigranten, die sich ihre Koje erst als Taglöhner verdienen müssen.
 

 

So etwas bedeutet eine enorme Belastung für Infrastruktur eines Hauses wie auch für die Nerven der Bewohner: In den Treppenhäusern herrscht ein stetiges Kommen und Gehen, viel Müll fällt an, es wird immer wieder laut – und viele Hostelbetreiber pfeifen auf Vorschriften, die beispielsweise den Einbau von Duschen oder Küchen abseits der dafür ursprünglich vorgesehenen Räumlichkeiten verbieten. In der Petersburger Innenstadt gibt es schon Gebäude, in denen die Mehrheit der Wohneinheiten inzwischen auf diese Weise genutzt wird.


Tourismus-Business in Gefahr

Andersrum wird aber auch ein Schuh draus: Die Minihotels sind inzwischen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für St. Petersburg. Das gesamte Tourismusgeschäft könnte darunter leiden, wenn viele der günstigen Unterkunftsmöglichkeiten in zentraler Lage wegfallen würden. Deshalb setzte sich auch gleich der Beirat des Gouverneurs zur Entwicklung des Kleinunternehmertums zusammen und verfasste einen Appell an den Gesetzgeber, die Neuregelung nicht gar so schlicht zu formulieren. Ansonsten würde der ganze Gewerbezweig faktisch vernichtet.
 

 

Beiratsvorsitzende Jelena Zereteli erklärte gegenüber dem „Kommersant“, dass ohnehin im Vorfeld der Fußball-WM 2018 alle Petersburger Beherbergungsbetriebe einer Klassifikation unterzogen würden. Bei diesem General-Check mit einem Sterne-System würden ohnehin alle „zweifelhaften Unterkunftsvarianten ausgesiebt“. Das neue Gesetz würde die bisher geleistete Arbeit in diesem Bereich mit einem Federstrich zunichte machen.

Die vom Gesetzgeber als Ausweg angebotene Überführung von Wohnraum in Gewerbeflächen sei hingegen überaus kompliziert. „Wenn das so einfach wäre, hätte das der Löwenanteil der Unternehmern schon lange gemacht“, so Zereteli. Voraussetzung für die offizielle Nutzungsänderung sind zum einen bauliche Maßnahmen wie der Einbau von Alarmanlagen, Rauchmeldern, Lärmschutz und Fluchttüren – und die Grundregel, dass sich eine Gewerberäumlichkeit nicht über einer Wohneinheit befinden darf.

 


Smolny steht auf Seiten der Minihoteliers

Auch die Petersburger Stadtverwaltung steht auf der Seite der Minihoteliers – zumindest in Person des Chefs des Komitees für Tourismusentwicklung, Viktor Kononow: „In den letzten 20 Jahren wurde eine große Zahl von Kommunalwohnungen mit hoher Zimmerzahl von Unternehmern aufgekauft und in Minihotels und Hostels umgewandelt. Das darf man nicht zerstören, denn dies ist ein Stützpfeiler des günstigen Unterkunftsegments in der Innenstadt Petersburgs.“ Diese Art der Nutzung würde sogar dazu beitragen, den historischen Anblick der Innenstadt zu bewahren, sagt er.
 

 

Wie der „Kommersant“ hinweist, steht die Radikallösung der Duma auch in Widerspruch zu einer erst im Januar in Kraft getretenen staatlichen GOST-Norm zu Unterkunftsbetrieben. Demnach ist es statthaft, Hostels in Wohnräumlichkeiten zu betreiben. Allerdings sollten die Quartiergeber natürlich auch alle anderen Normen beachten – was Umbauten, nächtlichen Lärm und Rauchen auf den Treppen etc, angeht.

Aber die werden ja von den Behörden nicht gerade intensiv durchgesetzt. Viel leichter ist es, schnell noch ein weiteres Gesetz zu verabschieden, das – vor allem so knapp vor den nächsten Wahlen – dem einfachen Bürger richtig und lobenswert erscheint.

Lothar Deeg, Korrespondent in St. Petersburg

 



Quelle: veröffentlicht am 17.05.2016 bei russland.RU > Artikel.

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► Bild- und Grafikquellen:

 

1. Minihotel in St. Petersburg. Foto: Khuroshvili Ilya. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

2. Soul Kitchen Hostel, St Petersburg - Russia, Oct2013. Foto: Ana Paula Hirama. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

3. St Petersburg war historisch das Zentrum der russischen Wissenschaft und ist neben Moskau immer noch der wichtigste Bildungs- und Wissenschaftsstandort. In der Stadt sind über 120 Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen ansässig. Foto: Ana Paula Hirama. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

4. St Petersburg - die Stadt weist nach eigenen Angaben 221 Museen auf. Darüber hinaus gibt es 45 Galerien und Ausstellungshallen sowie 80 Kulturhäuser (Stand November 2013).. Foto: Ana Paula Hirama. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

5. Panoramic view from St Isaac's Cathedral, St Petersburg. Foto: Ana Paula Hirama. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

6. Buchcover: "St. Petersburg - Zeit für das Beste. Highlights – Geheimtipps – Wohlfühladressen." von Lothar Deeg und Oliver Meinhart (Fotos). Verlag Bruckmann. 288 Seiten; ISBN-13: 978-3-7654-6194;

St. Petersburg ist als frühere Hauptstadt des Zarenreiches reich an herausragender Architektur und wertvollen Kunstschätzen. Allein mit den Sammlungen der Eremitage ließe sich ein längerer Besuch gut füllen, aber es gibt so viel mehr zu entdecken. Neben der weitläufigen historischen Innenstadt mit ihren unzähligen Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten sollte man auch die prächtigen Zarenschlösser um Umland nicht verpassen, die so manches europäische Pendant blass aussehen lassen. Ein Reiseführer für alle, die sich Zeit für das Beste nehmen wollen.

Lothar Deeg ist Russland-Kenner und fühlt sich als "Petersbürger" - seit 1994 lebt und arbeitet er in St. Petersburg als Russland-Korrespondent. Russlands Kulturmetropole St. Petersburg kennt er als Autor zweier Reiseführer in allen Details - auch weil er immer wieder zu Fuß, per Fahrrad oder mit seinem Lada hier auf der Suche nach interessanten Orten.

7. Der Gribojedow-Kanal (russisch Канал Грибоедова, Kanal Gribojedowa) wurde 1739 unter dem Namen Katharinenkanal gebaut. Er folgt dem Flusslauf der Kriwuscha und ist heute der mittlere von drei Hauptkanälen durch das Zentrum von Sankt Petersburg. Er wurde 1923 nach dem Schriftsteller und Diplomaten Alexander Gribojedow benannt, der von 1816 bis 1818 in einem der Häuser am Kanal wohnte.

Der Kanal ist fünf Kilometer lang, 32 Meter breit und verbindet die Moika in der Nähe des Marsfeldes mit der Fontanka nahe ihrer Mündung in die Newa. Den Gribojedow-Kanal überspannen 21 zum Teil sehr aufwendig gestaltete Brücken. Neben den sehr schmalen Fußgängerbrücken Greifen- und Löwenbrücke und schmalen Straßenbrücken wie der Italienischen Brücke gibt es auch aufwendigere und breitere Konstruktionen, wie zum Beispiel die am Anfang des Kanals an der Blutskirche gelegene Theaterbrücke oder die 95 Meter breite Kasaner Brücke in Höhe des Newski-Prospekts.

Foto: Златогорский Владимир. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.