

Stillstand. Was sich nicht bewegt, existiert nicht.
Von Gerhard Mersmann | Forum-M7.com
»Der Ursprung des Daseins ist die Bewegung.
Folglich kann es darin keine Bewegungslosigkeit geben,
denn wäre das Dasein bewegungslos,
so würde es zu seinem Ursprung zurückkehren,
und der ist das Nichts.
Deshalb nimmt das Reisen nie ein Ende,
nicht in der höheren und auch nicht in der niederen Welt.«
(Ibn al-ʿArabī, arab. Mystiker, Philosoph, Dichter, Weiser,
* 1165 in Murcia, Arab al-Andalus; * 1240 in Damaskus)
Was sich nicht bewegt, existiert nicht. Und genau das ist es, was mir den Stillstand so suspekt macht, der natürlich immer nur gefühlt sein kann, weil er objektiv ja gar nicht existiert. Der Stillstand ist das Ansinnen, die Spielregeln des Lebens nicht einhalten zu wollen. Auch das ist verständlich, weil die absurde Bewegungsrichtung des Lebens letztendlich immer der Tod ist. Insofern scheitern wir alle. Wenn wir das nicht reflektieren, so handelt es sich um ein intendiertes Tabu, um den Spaß an der Sache nicht zu verlieren. Wer hat schon Lust, immer zu wissen, dass man irgendwann sowieso dem Sensenmann in die Arme läuft.
Und diejenigen, die die Vorwärtsbewegung durch den inszenierten Stillstand aufhalten wollen, machen das aus dem Motiv der Todesangst. Sie wollen die eherne Gesetzmäßigkeit des Lebens außer Kraft setzen und nehmen dabei sogar in Kauf, die Zeit, die hier auf diesem Planeten bleibt, nicht etwas besser, schöner, sinnvoller machen zu wollen. Nein, es soll alles so bleiben, wie es ist, und wenn möglich, möglichst lange. Wenn man so will, der Tod im Leben.
»Memento mori.«
(»Bedenke, dass du sterben wirst.«)
»Memento te hominem esse.«
(»Bedenke, dass du ein Mensch bist.«)
»Respice post te, hominem te esse memento.«
(»Sieh dich um und bedenke, dass auch du nur ein Mensch bist.«)
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Die Apologeten des Stillstandes wollen den Tod im Leben, um den Tod am Ende möglichst lange hinauszuschieben. Absurd aber wahr. Deshalb gibt es auch zwanzigjährige Greise und Vierzigjährige, die über Erfahrungen von Achtzigjährigen verfügen.
Neben denen, die den Stillstand favorisieren, existieren nämlich auch noch die, die über eine, um zu zitieren, neurasthenische Angst vor dem Stillstand verfügen. Sie versuchen alles zu gestalten und zu beschleunigen. Ob sie sich, analog zu den Verfechtern des Stillstandes, wirklich immer bewusst machen, was sie treiben, sei dahin gestellt. Sicher ist jedoch, dass sie über die Qualität, die die Beschleunigung des Daseins mit sich bringt, die gefühlte Lebenszeit essenziell bereichern, weil sie sie mit Erfahrung verdichten.
Auch sie werden scheitern, das ist die Regel, und wenn schon zu Lebzeiten, dann spätestens an der Erkenntnis, dass die Dauer des Aufenthaltes auf diesem Planeten immer zu kurz ist, um die Komplexität des hiesigen Daseins zu erfassen. Dennoch werden sie weitermachen, denn die Neurasthenie [Nervenschwäche; H.S.] ist nicht zu unterschätzen.
Über diesen 'Clash of Civilizations' ist in der Moderne noch nicht sonderlich viel nachgedacht worden, sollten wir aber machen. Denn die unterschiedliche Position zum Sinn des Lebens einmal festzumachen an der gewissen Endlichkeit, ist gefährlich. Die Menschen in unaufgeklärten, tief religiösen Epochen waren da cooler. Sie wussten um die Endlichkeit und hatten ein Konzept für das Danach, was ja nicht unangenehm sein musste.
Mit der Materialisierung der Betrachtung des Daseins, d.h. Aufklärung, Wissenschaft und Industrialisierung war dieser Spuk vorbei. Aber der große Wurf ist epistemologisch dennoch nicht gelungen. Anstatt einer famosen Begründung für die Liquidierung des Gottes zugunsten einer neuen Dimension, wurde ein recht antiquiertes Tabu errichtet. Wir denken einfach öffentlich nicht mehr über die Endlichkeit nach.
Unabhängig davon ist der beständige Kampf zwischen Stillstand und Beschleunigung das wohl probateste Stilmittel der menschlichen Existenz. Der Stillstand fordert die Geister der Gestaltung heraus und bietet ihnen die Reibungsfläche. Daraus entsteht oft vieles, das nützlich ist und manchmal sogar etwas Großes. Und das wegen eines Phänomens, das im strengen Sinne gar nicht existieren kann.
Gerhard Mersmann
Clash of Civilizations | Samuel Huntington (Dauer 1:16:44 Min.)
Der Kampf der Kulturen ist eine Theorie, die besagt, dass die kulturellen und religiösen Identitäten der Menschen die Hauptquelle für Konflikte in der Welt nach dem Kalten Krieg sein werden. Sie wurde von dem Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington 1992 in einer Vorlesung am 'American Enterprise Institute' aufgestellt und 1993 in einem Artikel in 'Foreign Affairs' mit dem Titel „The Clash of Civilizations?“ als Reaktion auf das Buch „The End of History and the Last Man“ seines ehemaligen Studenten Francis Fukuyama von 1992 weiterentwickelt.
Huntington erweiterte seine These später in seinem 1996 erschienenen Buch „The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order.“ Der Begriff selbst wurde zuvor von Bernard Lewis in einem Artikel in der Septemberausgabe 1990 von 'The Atlantic Monthly' mit dem Titel „The Roots of Muslim Rage“ verwendet. Noch früher erschien der Ausdruck in einem Buch von Basil Mathews aus dem Jahr 1926 über den Nahen Osten: „Young Islam on Trek: A Study in the Clash of Civilizations.“
Gerhard Mersmann, Dr. phil., (Jahrgang 1956), gebürtiger Westfale, ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen.
Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Publizistische Aktivitäten durchziehen seine gesamte Biographie. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse sind auf seinem persönlichen Blog M7 regelmäßig nachzulesen. >> https://form-7.com/ .
► Quelle: Dieser Beitrag wurde am 30. September 2020 erstveröffentlicht auf https://form-7.com/ >> Artikel und am 17. März 2025 erneut veröffentlicht >> Artikel. Eigentümer, Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich ist Gerhard Mersmann.
Hinweis: Das Eingangszitat des arab. Mystikers, Philosophen und Dichters Ibn al-ʿArabī wurde von Helmut Schnug eingefügt. Mersmanns erster Satz »Da muss ich immer an den schönen Satz von Friedrich Engels denken: Der Ursprung allen Daseins ist die Bewegung. Recht hat er.« wurde von Helmut Schnug gestrichen.
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1. Der Sensenmann (auch Gevatter Tod oder Schnitter) ist eine aus dem Mittelalter stammende personifizierte, anthropomorphe Allegorie des Todes. Der Tod wird oft als gerippenhafte Gestalt (Skelett) dargestellt, die mit einer Sense die Menschen dahinmäht. Illustration: aggi / Axel Schäfer, Buseck/Hessen (user_id:1582826). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Illustration.
2. Symbolbild: Skelett eines Menschen. Foto: clarencealford / Clarence Alford, Cape Girardeau/United States (user_id:5516293). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.
»Der Stillstand ist das Ansinnen, die Spielregeln des Lebens nicht einhalten zu wollen. Das ist verständlich, weil die absurde Bewegungsrichtung des Lebens letztendlich immer der Tod ist. Insofern scheitern wir alle. Wenn wir das nicht reflektieren, so handelt es sich um ein intendiertes Tabu, um den Spaß an der Sache nicht zu verlieren. Wer hat schon Lust, immer zu wissen, dass man irgendwann sowieso dem Sensenmann in die Arme läuft.
Diejenigen, die die Vorwärtsbewegung durch den inszenierten Stillstand aufhalten wollen, machen das aus dem Motiv der Todesangst. Sie wollen die eherne Gesetzmäßigkeit des Lebens außer Kraft setzen und nehmen dabei sogar in Kauf, die Zeit, die hier auf diesem Planeten bleibt, nicht etwas besser, schöner, sinnvoller machen zu wollen. Nein, es soll alles so bleiben, wie es ist, und wenn möglich, möglichst lange. Wenn man so will, der Tod im Leben. – Die Apologeten des Stillstandes wollen den Tod im Leben, um den Tod am Ende möglichst lange hinauszuschieben. Absurd aber wahr.« (-Gerhard Mersmann).
3. Neurasthenie (Nervenschwäche; von altgriechisch νεῦρον neuron „Nerv“ und ἀσθενής asthenḗs „schwach“) ist eine in der ICD-10 enthaltene psychische Störung. Sie wird nur noch selten diagnostiziert und spielt in der psychotherapeutischen sowie psychiatrischen Praxis kaum noch eine Rolle, da inzwischen andere Krankheitsbilder (u. a. Depression und Burn-out) beschrieben wurden, welche die Symptome der Neurasthenie umfassen. Die aus den USA als Krankheitskonzept übernommene Befindlichkeitsstörung wird im Deutschen häufig als „reizbare Schwäche“ bezeichnet. Neurasthenie gehörte im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zu den Modekrankheiten einer gehobenen Gesellschaftsschicht.
Chaos im eigenen Kopf. Die bekannten Ordnungen zerfallen eine nach der anderen, weil die zu diesen Ordnungen gehörenden Institutionen das gleiche Schicksal erleiden. Wie sollte es auch anders sein? Fällt die Ordnung, dann sind ihre Institutionen genauso überflüssig wie ihr Moralkodex. Und dieses Szenario beschreibt die Situation, in der wir uns befinden.
Selbstaufmerksamkeit, die aufmerksame Beschäftigung mit sich selbst. Nach der ursprünglichen Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit (auch: der objektiven Selbstbewußtheit) von Duval und Wicklund (1972) ist Aufmerksamkeit entweder auf Aspekte der Umwelt oder auf die eigene Person gerichtet. Den Zustand, in dem wir uns selbst zum Beobachtungsgegenstand machen, bezeichnen sie als objektive Selbstaufmerksamkeit: die Aufmerksamkeit, die auf uns selbst als Objekt gerichtet ist. Subjektive Selbstaufmerksamkeit hingegen richtet sich nach deren (etwas mißverständlichen) Terminologie auf externale Objekte: Wir erleben uns als Subjekt, als Quelle von Wahrnehmung und Handlung in der Außenwelt. [..]. (spektrum.de >> Lexikon der Psychologie >> Selbstaufmerksamkeit >> weiterlesen).
Vektorgrafik: StarGladeVintage / Colleen. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Vektorgrafik.
4. Der Makabertanz (franz.: Danse macabre) oder Totentanz ist die im 14. Jahrhundert aufgekommene Darstellung des Einflusses und der Macht des Todes auf beziehungsweise über das Leben der Menschen. Auch in bildlichen Darstellungen dieser Zeit sind Tanz und Tod meist gleichzeitig zu finden.
Der Sensenmann (auch Gevatter Tod oder Schnitter) ist eine aus dem Mittelalter stammende personifizierte, anthropomorphe Allegorie des Todes. Der Tod wird oft als gerippenhafte Gestalt (Skelett) dargestellt, die mit einer Sense die Menschen dahinmäht. Foto: d.roux70. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).