Tsipras und Varoufakis: Ja zu Zwangsräumungen und zur Enteignung von Sparern

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Ernst Wolff
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Verbunden: 17.02.2015 - 23:40
Tsipras und Varoufakis: Ja zu Zwangsräumungen und zur Enteignung von Sparern
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Tsipras und Varoufakis:


Ja zu Zwangsräumungen und zur Enteignung von Sparern


Die moralische Verkommenheit einer politischen Bewegung wie SYRIZA


Vor den Wahlen im Januar versprach Alexis Tsipras als Führer des Bündnisses SYRIZA dem griechischen Volk, die Diktatur der Troika zu beenden und ihrer unmenschlichen Austeritätspolitik den Kampf anzusagen.

Fünf Monate lang verhandelten er und sein Finanzminister Varoufakis mit den Vertretern der EU-Kommission, des IWF und der EZB. Während sie deren finanzielle Forderungen in dieser Zeit vollauf erfüllten, widersetzten sie sich einigen ihrer Forderungen.  
 

 

Anfang Juli setzten sie ein Referendum an, bei dem ihnen die Bevölkerung den Rücken stärkte und den klaren Auftrag erteilte, die Politik eines „nein“ zur Austeritätspolitik in den Verhandlungen mit der Troika offensiv zu vertreten.  

Statt diesen Wählerauftrag zu erfüllen, reagierte Tsipras mit einer 180-Grad-Kehrtwende. Er feuerte umgehend seinen Finanzminister und akzeptierte bei den Verhandlungen in Brüssel ein noch schärferes Austeritätsprogramm als seine Vorgänger.

Inzwischen hat Tsipras zwei Abstimmungen im griechischen Parlament mit Unterstützung genau der Kräfte überstanden, die er einst als seine Gegner bezeichnete. Außerdem hat er inzwischen alle politischen Mitstreiter, die auch nur teilweise an ihren früheren Versprechen festhielten, aus seinem Kabinett entfernt.
 

 

Damit nicht genug: Mit der Zustimmung zu dem am Mittwoch verabschiedeten Reformpaket billigen sowohl Tsipras als auch sein Ex-Finanzminister Varoufakis Maßnahmen, deren Unmenschlichkeit weit über das hinausgeht, was beide ihren Gegnern im Wahlkampf vorgeworfen haben.

Zum einen dürfen Verfahren zur Zwangsräumung von Wohnungen und Häusern in Griechenland von nun an beschleunigt durchgeführt werden. Angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage, der hohen Arbeitslosigkeit und der andauernden Kapitalverkehrskontrollen ist abzusehen, dass neben vielen bereits betroffenen Bürgern zahllose weitere mit ihren Zins- und Tilgungsraten in Verzug und damit in Zahlungsschwierigkeiten geraten werden.  
 

 

Mit ihrem „Ja“ zu dieser Maßnahme zeigen Tsipras und Varoufakis, welch falsches Spiel sie getrieben haben, als sie sich in den vergangenen Monaten vor den Augen der Welt als Anwälte der kleinen Leute gebärdeten. Bei Zwangsräumungen - einer der brutalsten sozialen Maßnahmen überhaupt -  stehen sie jetzt offen auf der Seite von Inkassobüros und Geldeintreibern statt auf der Seite unverschuldet in Not geratener Menschen.
 

 

Noch viel weiter gingen die beiden mit ihrer Zustimmung zu einer Maßnahme, die sie den Bürgern Griechenlands auch noch als fortschrittlich verkaufen: Um Steuerzahler, die in der Vergangenheit zur Rettung in Not geratener Banken herangezogen wurden, zu „entlasten“, wird in Zukunft auch in Griechenland die europäische Bankenabwicklungsrichtlinie BRRD in Kraft treten. Sie besagt, dass vor einem Eingreifen des Staates zunächst Aktionäre und Gläubiger der betroffenen Banken zur Kasse gebeten werden.

Wie diese auch als „Bail-in“ bezeichnete Maßnahme in der Praxis aussieht, hat das Eingreifen der Troika in Zypern im Frühjahr 2013 gezeigt. Dort wurden Anleger, die mehr als 100.000 Euro auf ihren Konten hielten, ohne ihr Einverständnis mit 40 Prozent an der Sanierung ihrer Bank beteiligteine Maßnahme, die vor allem den Mittelstand, insbesondere kleinere Unternehmer, mit äußerster Härte traf.
 

 

Zwar gilt europaweit offiziell ein Einlegerschutz für Einlagen bis 100.000 Euro, doch sollte niemand glauben, dass Einlagen unter diesem Betrag vor einem Bail-in sicher sind. Die größten vier Banken Griechenlands - die National Bank of Greece (NBG), die Piräus Bank, die Alpha Bank und die Eurobank – verfügen derzeit über Kundeneinlagen in Höhe von knapp 130 Mrd. Euro. Da Schätzungen zufolge zwischen 40 und 50 Prozent ihrer Kredite nicht bedient werden (bei steigender Tendenz) und nur etwa 40 Prozent der Einlagen über 8.000 Euro liegen, ist die Lage weitaus dramatischer als bei den Banken auf Zypern. Um die faulen Kredite loszuwerden und ihr Eigenkapital zu erhöhen, brauchen die griechischen Banken dringend ein Bail-in.
 

 

Die Abmachung zwischen der Troika und der zyprischen Regierung von 2013 basierte im übrigen nicht etwa auf einer gesetzlichen Grundlage, sondern auf einer eilig beschlossenen „Vereinbarung“ zwischen der zyprischen Regierung und der EU. Eine „Notverordnung“ zur Außerkraftsetzung der gesetzlichen Einlagensicherung dürfte der EU im Fall Griechenland kaum Schwierigkeiten bereiten.

Wie die Financial Times berichtet und eine der betroffenen Banken inzwischen bestätigt hat, wird eine solche Maßnahme für die griechischen Banken bereits hinter verschlossenen Türen diskutiert. Hierbei soll es um eine 30prozentige Enteignung aller Konten über 8.000 Euro gehen.

Diese Informationen dürften sowohl Tsipras als auch Varoufakis bekannt gewesen sein, als sie am Mittwoch für die Bankenabwicklungsrichtlinie gestimmt haben. Sie haben damit wissentlich dazu beigetragen, dass den arbeitenden Menschen in Griechenland, denen bereits sechs Sparprogramme aufgebürdet wurden, deren Renten im Schnitt um 45 Prozent gekürzt wurden, denen zu einem großen Teil der Zugang zum Gesundheitswesen versperrt ist und deren Ärmste ihren Hunger bekämpfen, indem sie im Müll nach Essbarem wühlen, nun auch ein Teil ihrer lebensnotwendigen Rücklagen genommen werden.

Und nicht nur ihnen, sondern auch Millionen von Sparern in Serbien, Albanien, Bulgarien, Mazedonien und Rumänien, die ihre Konten bei den dortigen Filialen der griechischen Banken unterhalten und in deren Ländern der Lebensstandard teilweise noch unter dem Griechenlands liegt.

Am Wochenende vor der Abstimmung hatte Yannis Varoufakis der spanischen Zeitung El Mundo noch ein Interview gegeben, in dem er die Kreditgeber seines Landes als „Terroristen“ bezeichnete. Kann man die moralische Verkommenheit einer politischen Bewegung wie SYRIZA besser auf den Punkt bringen als dadurch, dass man drei Tage nach dieser Aussage für die teilweise Enteignung arbeitender Menschen zugunsten milliardenschwerer Investoren stimmt?

Ernst Wolff

 

 


 

Bild- und Grafikquellen:


1. Wie sieht die Zukunft vieler Griechen aus? Niemand in Portugal, Spanien, Italien, Irland und anderen EU-Staaten kann angesichts der entgrenzten Finanz- und Staatspolitik in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken. Wer hinter die geschönten Statistiken in Deutschland blickt und die steigenden Zahlen bezüglichen Aters- und Kinderarmut kennt, weiß, daß auch hierzulande viele Menschen ein fremdbestimmtes Leben werden führen müssen.

Foto: EmsiProduction. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0)

 
2. Der Widerstand gegen die menschenverachtende Austeritätspolitk auf Griechenlands Strassen wächst, Foto vom 15. Juli in den Strassen Athens. Foto: Jan Wellmnn. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0)

3. Alte Frau in einer der Markthallen Athens. Ob sie noch genug Geld hat, um sich mit Lebensmitteln und anderen Dingen des Alltages zu versorgen? Hat sie noch Geld für ihre Miete? Foto: Sascha Kohlmann, Berlin. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)

4. Obdachlosigkeit, Armut und Hoffnungslosigkeit zeigen sich immer häufiger auf den Straßen Griechenlands. Bei Zwangsräumungen - einer der brutalsten sozialen Maßnahmen überhaupt -  stehen sie jetzt offen auf der Seite von Inkassobüros und Geldeintreibern statt auf der Seite unverschuldet in Not geratener Menschen.

Foto: Ιωάννης Πρωτονοτάριος. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)

5. International Monetary Fund, IMFUCKED. Foto/Grafik: Teacher Dude. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)

6. Die Piräus Bank ist eines der größeren Kreditinstitute Griechenlands. Das Unternehmen mit Sitz in Athen ist als Universalbank tätig und unterhält bedeutende Tochtergesellschaften in Südosteuropa, unterhält aber auch kleinere Aktivitäten in anderen Branchen wie dem Leasinggeschäft.

Die Aktie der PB ist im Athex Composite Share Price Index an der Athener Börse gelistet. Die 1916 gegründete Bank wurde 1975 vom Staat übernommen und 1991 privatisiert. Sie entwickelte sich von einer Spezialbank der Schifffahrt zu einer privatwirtschaftlichen Großbank.

Das Foto zeigt eine Piraeus Bank-Filiale in Donetsk, Ukraine. Foto: Erud. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

7. NEIN zur EU-DIKTATUR. Dieses Motiv kann als Auto-Aufkleber in kleinen oder größeren Mengen bestellt werden bei > www.eu-diktatur.com/ .

8. ALEXIS TSIPRAS, Premierminister Griechenlands und Chef von SYRIZA. This caricature of Alexis Tsipras was adapted from a Creative Commons licensed photo by Olaf Kosinsky available via Wikimedia. The body was adapted from a Creative Commons licensed photo from Robert Scoble's Flickr photostream.The background was from a Creative Commons licensed photo from Brian Jeffery Beggerly's Flickr photostream. Karikatur: DonkeyHotey. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0). Digitale Nachbearbeitung: Wilfried Kahrs (Inschriften) auf Wunsch von Admin H.S.

9. Cover: "WELTMACHT IWF - Chronik eines Raubzugs" von Ernst Wolff.

10. Buchcover: "Griechenland - eine €UROpäische Tragödie. Die wahren Gründe für die Griechenland- und Euro-Krise." von Wassilis Aswestopoulos. Zweite, aktualisierte und ergänzte Auflage Mai 2014, 240 Seiten, gebunden mit Prägung oder als eBook.

 

Anhang Größe
Global Wealth Report 2015 - Winning the Growth Game - Bericht der Boston Consulting Group BCG - 38 Seiten.pdf 739.71 KB
Ernst Wolff - Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs - Tectum Wissenschaftsverlag - Inhaltsverzeichnis, Vorwort und Leseprobe.pdf 790.78 KB
Ernst Wolff - Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs - Interview durch Ken Jebsen_KenFM als Textversion.pdf 1.09 MB
Thomas Piketty - Das Kapital im 21. Jahrhundert - Vollständige Einleitung als Leseprobe - 46 Seiten - Beck, München 2014.pdf 1.23 MB
Thomas Piketty und die Verteilungsfrage - Analysen, Bewertungen und wirtschaftspolitische Implikationen für Deutschland - SE Publishing März 2015 - Verteilungsfrage_org.pdf 2.86 MB
John Perkins - Bekenntnisse eines Economic Hit Man - Unterwegs im Dienst der Wirtschaftsmafia - ISBN 978-3-442-15424-1 - Leseprobe.pdf 438.9 KB
Jochen Weiss - Mammon - Eine Motivgeschichte zur Religiosität des Geldes - Dissertation Feb 2004, Universität Mannheim.pdf 3.17 MB
Silvio Gesell - Die Natürliche Wirtschaftsordnung (1916).pdf 1.23 MB
Tobias Plettenbacher - Neues Geld - Neue Welt - Die drohende Wirtschaftskrise - Ursachen und Auswege _ Exponentielles Wachstum - Zinseszins-Effekt - Geldsystem - Kollaps.pdf 3.99 MB
Oekosozialismus oder Barbarei - Eine zeitgemäße Kapitalismuskritik - 40seitige Broschüre von Saral Sarkar und Bruno Kern.pdf 209.22 KB
IMF April 2015 - Global Financial Stability Report (GFSR) - Navigating Monetary Policy Challenges and Managing Risks - 162 pages.pdf 4.35 MB
IMF April 2015 - World Economic Outlook (WEO) - Uneven Growth - Short- and Long-Term Factors - 230 pages.pdf 11.06 MB
IMF October 2014 - Global Financial Stability Report (GFSR) - Risk Taking, Liquidity, and Shadow Banking - Curbing Excess while Promoting Growth - 191 pages.pdf 4.7 MB